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Samstag, 24. August 2013

Inside (4383 - 4402)


4383
Ich stehe im Türrahmen von Marthas Arbeitsplatz und betrachte verliebt meine süße Frau. Sie sieht heute besonders hübsch aus.
Ich knabbere meine Nüsse und sehe ihrem eifrigen Gewusel zu. Eigentlich würde ich lieber an ihr als an meinen Nüssen knabbern.
Die Pelztussi macht Martha Druck wegen ihrer Entwürfe. Hat einfach die Uhrzeit vorgezogen, das kleine Miststück. Martha klagt mir, daß sie noch nichts hat, daß ihr einfach nichts einfällt.
Aber hier wird sie nicht arbeiten können. Aus zuviel Gutmütigkeit hat sie sogar Sascha erlaubt, hier sauberzumachen, obwohl sie eigentlich Ruhe braucht.
Komm doch zu mir arbeiten.“
Bei dir … zuhause?“
Bei uns!“, sage ich betont und komme ihrem süßen Gesicht ganz nah. „Schlüssel hast du doch.“
Ach, ich dachte, das wär mehr was für den Notfall.“
Kann man mal 'ne Ausnahme machen.“
Ich breit' mich aber ziemlich aus, wenn ich arbeite.“, grinst sie mich an.
Dann stimmt sie zu und meint, es wär schon ganz schön cool, 'nen Freund mit 'ner eigenen Wohnung zu haben.
Ich schiebe Marthas Sachen beiseite, knie mich auf ihren Tisch und betone noch einmal: „Unsere Wohnung.“.
Sie soll das schnell verinnerlichen, daß es kein sie und ich mehr gibt, sondern nur noch uns.
Kann das wirklich sein, daß ich das mit unserer Beziehung schneller als selbstverständlich und normal ansehe als sie?
Ich küsse sie zärtlich.
Unsere.“, stimmt sie lächelnd zu.
Ich glaube, sie ist glücklich.
Und das scheint wirklich an mir zu liegen.

*******

Beschwingt mache ich mich an meine eigene Arbeit.
Bis Sascha mich wieder mal nervt.
Es erstaunt ihn, daß ich das mit Martha 'ganz gut hinzukriegen' scheine.
Was denkt der Vogel sich? Daß ich mir nicht alle Mühe gebe? Habe ich nicht bewiesen, wieviel mir an einer Beziehung mit Martha liegt?
Nicht schlecht, wenn man jemanden zum Reden hat, oder? Na, so von wegen der alten Zeiten. Ich kann mich erinnern, mir hat's damals ganz gut getan.“
Sascha!“, unterbreche ich ihn. „Das ist schön. Du bist aber nicht ich.“
Ich merke, daß Sascha mir gerne noch einen guten Rat geben würde, aber er läßt es dann doch. Meint nur, daß es ihn freue, daß es ganz gut zu klappen scheine.
Danke.“, sage ich. Und lasse offen, wofür. Daß er sich für mich und Martha freut. Oder für seinen ungefragten Ratschlag, über meine Vergangenheit zu reden.
Warum muß ich darüber eigentlich mit 'ner kroatischen Putzfrau reden?“
Sascha grinst. „Weil's dir mit 'nem Serben zu peinlich wäre?“
Was soll der Spruch denn jetzt?
Ich werfe ihm einen Blick zu, der alles und nichts bedeuten kann und lasse ihn stehen.
Ich werde nach Hause gehen und schauen, wie weit Martha mit ihrer Arbeit ist.
Im Vorbeigehen fällt mein Blick auf ihren Arbeitsplatz. Ohne sie wirkt der Raum öde und farblos.

*******

Ich freue mich riesig auf meine Süße.
Und stelle fest, daß es ein herrliches, wunderschönes Gefühl ist, nach Hause zu kommen und sie ist da.
Aber verändert hat es sich bei mir. Es ist so ordentlich.
Sie hätte ein wenig aufgeräumt, meint sie fröhlich, nachdem ich sie mit einem zärtlichen Kuß begrüßt habe.
Ich frage sie, wie's läuft.
Super. Es war echt eine tolle Idee, daß ich hier arbeiten darf.“
Es freut mich sehr, daß sie bei mir ein kreatives Plätzchen gefunden hat.
Ich sehe mich im Loft um.
Blumen?“
Ja. Für dich.“
Martha schenkt mir Blumen!
Mir hat noch nie eine Frau Blumen geschenkt.
Und eigentlich gehört das doch umgekehrt, oder? Mann schenkt Frau Blumen.
Schön.“, freue ich mich über die hübschen Blumen, die das doch recht düstere Loft verschönern. Lebensfreude hier rein bringen.
Ich glaube, Martha braucht eine andere Arbeitsumgebung als ich. Doch ein wenig mehr Farbe und Fröhlichkeit.
Da hätt' ich mal drauf kommen sollen.“
Dafür hätte ich ja jetzt sie.
Ja. Und für vieles andere.
Glücklich beuge ich mich über sie und versuche sie ein wenig zu verführen.
Aber sie erliegt meinem Charme nicht.
Meint, sie hätte nur noch eine Viertelstunde.
Ihre Arbeit geht vor. Und sie braucht die Bestätigung und den Erfolg.
Als sie nach ihren Sachen greift, fällt mir einer ihrer Entwürfe in die Hand.
Was das wäre, frage ich.
Ein Drache.“, meint sie.
Ja, das habe ich auch erkannt.
Und er erinnert mich schmerzlich an etwas …
Mein Blick fällt auf den Koffer mit meinen Erinnerungsstücken.
Irgendwas stimmt nicht. Der war doch nicht offen?
Dann wandern meine Augen zurück auf die Zeichnung mit dem roten Drachen ...

*******

Ich hole den Koffer von dem Kartonstapel, auf dem er steht.
Ich habe mir nicht genau gemerkt, wie die Sachen darin eingeschichtet waren, aber mir ist doch sofort klar, daß da jemand dran war.
Dann finde ich das Foto, nach dem ich suche.
Ich mit dem roten Drachen.
Martha.
Du weißt doch, daß du dich aus meiner Vergangenheit raus halten sollst.
Daß das ein Tabu-Bereich ist, den du bitte rücksichtsvoll meiden sollst.
Ich dachte, das hättest du begriffen.
Und dann hast du nichts Besseres zu tun, als in meiner Abwesenheit darin herumzuwühlen wie in einer Kiste mit Urlaubs-Souvenirs?
Und mißbrauchst meine allerprivatesten Dinge auch noch für deine kreative Inspiration?
Ich spüre, wie sich tiefe Enttäuschung, aber auch Zorn in mir breitmachen.
Wie so oft kochen meine Gefühle über, wenn es um dieses Thema geht.
Ich weiß, daß ich damit nicht umgehen kann, obwohl ich meine, mit Schweigen, Vergessen, Verdrängen die perfekte Lösung gefunden zu haben.
Und ganz tief in mir drin zu wissen, daß es eben nicht die Lösung ist, macht mich noch zorniger.
Ich werfe die Fotos und den anderen Kram zurück in den Koffer, verschließe ihn und packe ihn wieder unter’s Bett, wo ich ihn nie hätte hervorholen sollen!
Ich lasse mich auf’s Bett fallen, fahre mir durch die Haare und weiß, daß das so nicht stehenbleiben kann.
Ich muß es Martha sagen, oder meine Verärgerung wird zwischen uns hängen und unserer Beziehung bestimmt nicht gut tun.

*******

Ziemlich aufgebracht bin ich kurz darauf bei LCL, um Martha zur Rede zu stellen.
Hast du meinen Koffer aufgemacht?“
Was?“
Den alten Koffer!“, zische ich. „Hast du den aufgemacht?“
Ich merke selbst, wie aggressiv ich klinge.
Und daß dieser Tonfall Martha gegenüber sicher absolut unangebracht ist.
Aber wie immer, wenn es um dieses Thema geht, verliere ich meine Selbstbeherrschung.
Schon die Art, wie ich sie am Arm gepackt halte, geht gar nicht.
Er ist mir runtergefallen.“, meint Martha und ist offensichtlich total vor den Kopf gestoßen wegen meines rüden Verhaltens.
Und sie macht sich auch gleich nachdrücklich frei von meiner Hand, die ihren Arm immer noch viel zu fest gepackt hält.
Warum?“, will ich wissen.
Sie hätte eine Vase gesucht und als sie nach oben gegriffen hätte, sei ihr der Koffer runtergefallen. Sie hätte aber gleich wieder alles hinein geräumt.
Ach ja? Und die Zeichnung von dem Drachen?
Eine innere Stimme sollte mir sagen, daß ich keinen Grund habe, ihr das nicht zu glauben.
Aber diese Stimme schweigt.
Du kannst nicht einfach so an meine Sachen gehen.“
Ich bemühe mich, runterzukommen. Ruhig mit ihr zu reden.
Hab ich doch gar nicht!“, beteuert sie ihre Unschuld. Sie hätte wirklich gleich alles wieder eingeräumt.
Meine verschränkten Arme signalisieren nur zu deutlich, wie ich wieder voll in meine alten Verhaltensmuster zurückfalle.
Und das bei ihr.
Bei der Frau, die ich liebe.
Der ich vertrauen sollte.
Mein Gott, Juri! Ich … ich hab echt das Gefühl, ich bin bei dir wie auf einem Minenfeld! Ein Schritt zu weit und du gehst in die Luft! Aber ich geb mir wirklich sehr viel Mühe, dir nicht zu nahe zu kommen, dir genug Raum zu geben. Und ...“
Sie bricht ab.
Ich spüre, sie ist mal wieder völlig überfordert und zugleich gefrustet.
Warum nur mache ich es ihr so schwer?
In diesem Koffer ... da ist Jugoslawien. Da guck ich selber nicht mehr rein.“, versuche ich zu erklären, warum ich so wütend reagiert habe.
Doch da bin ich nicht ehrlich. Zweimal habe ich es schon versucht.
Das eine Mal sogar wegen ihr. Habe versucht, mich damit auseinanderzusetzen. Und überfordert aufgegeben.
Da kommt Nicole mit Marthas Entwurf mit dem Drachen. Dem roten Drachen von dem Foto.
Hatte ich mich grade halbwegs wieder beruhigt, kommt nun meine Enttäuschung wieder hoch.
Oder ist es die Angst vor der Erkenntnis, daß es so nicht weiter gehen kann?
Du verwendest das?“
Ja, Alexa hätte der Entwurf gefallen.
Du hast es sofort wieder eingeräumt.“
Mein Blick läßt keinen Zweifel offen, daß ich ihr nicht glaube.
Sie hätte sich das Foto nur einen Augenblick angesehen.
Es hat dich inspiriert.“
Ja, Juri und was ist so schlimm daran? Sie ist doch keine Sensationsreporterin, die dein Leid ausschlachtet.
Du weißt selbst, wie schnell sich kleine Details ins Hirn einbrennen können und sich zu einer Idee auswachsen. Ohne daß man es bewußt steuert.
Und … es weiß doch niemand, wo Marthas Idee herkommt. Sie wird es sicher niemandem erzählen.
Also warum immer noch dieser Ärger, diese Enttäuschung?
Ja, es habe sie inspiriert, gibt sie zu und ich sollte begreifen, daß sie es nicht böse gemeint hat.
Hilflos meint sie: „Herrgott, wie soll ich denn wissen, was dich verletzt, wenn du mir nichts erzählst?“
Du guckst dir meine Sachen an, hinter meinem Rücken … und ich soll dir was erzählen?“
Juri, bist du eigentlich völlig bescheuert? Kapierst du wirklich nicht, daß nur du hier das Problem bist?
Und wieder läßt du sie für deine Unzulänglichkeiten leiden …
Ich sehe die Enttäuschung über mein Mißtrauen in ihren Augen.
Und was tue ich?
Lasse sie einfach stehen.

*******
Ich verdammtes Arschloch!
Ich schäme mich, sie so behandelt zu haben.
Nicht wie eine gleichberechtigte Partnerin.
Sondern immer noch wie meine Assistentin, die sich aus meinem Privatleben rauszuhalten hat.
Verstehst du das unter einer Beziehung, Juri?
Zum Vögeln, zum Spaßhaben ist sie gut genug?
Aber wenn es darum geht, sie ernsthaft an deinem Leben teilhaben zu lassen, kneifst du wieder, stößt sie wieder zurück?
Ich habe plötzlich Angst, daß sich rein gar nichts verändert hat, daß ich stehengeblieben bin, wieder mal paralysiert.
Herrgott, ich will das nicht mehr!
Ziemlich aufgewühlt komme ich zuhause an.
Und so stehe ich dann vor dem Bett. Mit dem Koffer darunter. Und meiner Vergangenheit darin.
Ich ziehe ihn hervor, meine Hände zittern, als ich ihn öffne.
Ich greife mir den Stapel Fotos.
Und lasse mich damit auf dem Boden nieder.
Die Erinnerungen an meine Eltern, an die Heimat …
Juri, lass den Schmerz doch zu.
Du hast doch inzwischen begriffen, daß du keine Schuld hast an dem, was geschehen ist.
Du darfst trauern.
Und du mußt loslassen.
Loslassen bedeutet doch nicht, vergessen.
Du darfst sie weiter lieben, ihr Andenken ehren.
Aber lass los!
Nur so kannst du endlich mit dem Thema abschließen.
Und Martha wird dir dabei helfen.
Sie ist doch da, wenn du sie brauchst.
Mir wird klar, wie ungerecht ich sie behandelt habe.
Sie hat nicht neugierig herumgeschnüffelt.
Es war ein Versehen, nicht böse gemeint.
Und … wenn du es ernst meinst mit dieser Beziehung, dann mußt du lernen, alles mit ihr zu teilen. Auch die unangenehmen, schmerzlichen Dinge.
Eine Partnerschaft ohne Vertrauen hat keine solide Grundlage.
Und du willst doch für immer mit ihr zusammenbleiben.
Ziemlich verlegen nehme ich die restlichen Fotos aus dem Koffer und stelle ihn dann wieder oben auf die Kartons.
Als hätte ich ihn nie aus falsch verstandenem Vertrauen unter’m Bett versteckt.
Erneut greife ich mir die Fotos, lege mich damit auf’s Bett.
Da ist auch das von mir mit dem Drachen …
Ein kleiner sorgloser, fröhlicher Junge, der sich auf’s Drachensteigenlassen freut.
Ich verstehe, daß Martha von diesem Anblick inspiriert wurde.
Und finde es nicht mehr schlimm.
Ich muß gestehen, daß ich selber gerne Fotos von ihr aus ihrer Kindheit sehen würde.
Ich gestehe allerdings auch, daß der Streifzug durch meine Vergangenheit hart ist.
Und ich merke, wie sehr ich Martha brauche.
Ihre Kraft, ihren Glauben an das Gute.
Ihre Zuversicht, ihre Lebensfreude.
Sie ist mein Anker, mein Halt, wenn die Wogen des Lebens wieder mal hoch gehen und ich zu kentern drohe.
Dann wird sie mich wieder aufrichten.
Ich merke, wie mich diese Gedanken ruhiger machen.
Bis ich die Fotos betrachten kann, ohne daß mein Herz rast.
Sich mir die Kehle zuschnürt.
Ich bin nicht mehr allein mit dieser Last.
Ich habe Martha.

*******

Ich bin noch ganz in Gedanken versunken, als Martha nach Hause kommt.
Ihre Stimme zittert, als sie sich bei mir entschuldigt.
Es tut mir leid, daß du das Gefühl hast, daß ich dein Vertrauen mißbraucht hab. Das wollte ich nicht.“
Eigentlich bräuchte sie nichts mehr sagen.
Weil ich ihr längst nicht mehr böse bin.
Aber der ängstliche Klang in ihrer Stimme macht mir klar, daß sie befürchtet, mich zu verlieren.
Hier war ich sechs Jahre alt, glaub' ich. Das Haus da hinten … da haben wir gewohnt. … Es hing bei uns in der Küche; meine Mutter hat es sehr gemocht.“
Da ich nun mal nicht gut mit Worten bin und bevor ich wieder was Falsches sage, reiche ich ihr einfach das Foto.
Ich hoffe, ich drücke damit aus, daß ich ihr vertraue und ihr diesen Teil meines Lebens nicht mehr versperre.
Und auch wenn es unbeholfen klingt, ergänze ich noch, daß es mir nichts ausmacht, wenn sie an meine Sachen geht.
Weil ich alles mit ihr teilen will.
Sie setzt sich neben mich, ich sehe sie an.
Und weiß, daß ich die einzig richtige Frau an meiner Seite habe.
Das ist kein Zufall, daß wir uns getroffen haben.“, sage ich überzeugt.
Nein, das Schicksal hat mir diese Frau geschickt, weil ich sie brauche.
Großes Glück, daß du da so hinterher warst. … Vielleicht hast du ja 'nen Schlüssel.“
Wofür?“
Ich deute auf das Bild von mir mit dem roten Drachen.
Ich hab vergessen, wer er ist. Vielleicht kannst du mir helfen, da wieder hin zu finden.“
Zu dem kleinen unbeschwerten Jungen, der ich mal war.
Wir lächeln uns an – da ist eine wunderbare Vertrautheit zwischen uns.
Sie besitzt nicht nur den Schlüssel zu dieser Wohnung.
Sondern auch den zu meiner Seele.

4386
Es ist einfach nur wunderschön, morgens neben Martha aufzuwachen. Ein Gefühl, das ich nicht mehr missen möchte.
Das morgendliche Joggen hat Martha aufgegeben. Sie findet inzwischen mehr Gefallen daran, sich von mir zärtlich verwöhnen zu lassen und sich dann noch mal an mich zu kuscheln.
Wir laufen jetzt meist nach der Arbeit eine Runde.

Der Alltag in einer festen Beziehung hat so seine Stolperfallen für mich, besonders seit Martha ganz bei mir eingezogen ist.
Ich bin sehr glücklich, daß wir richtig als Paar zusammenleben, aber einfach ist es nicht.
Für mich sogar eine gewaltige Umstellung.
Ich kann meine Nußschalen nicht mehr einfach auf den Boden werfen. Meine Stiefel nicht mehr im Weg stehen lassen.
Sie ist süß, wenn sie mit mir schimpft. Und eigentlich sehr geduldig mit mir, obwohl ich bestimmt furchtbar anstrengend bin.


Martha hat ein Foto von uns machen lassen. Dieses Foto und das mit mir und meiner Mutter hängen in meiner kleinen Küche, die diesen Namen eigentlich nicht verdient, weil es da nur einen Zweiplatten-Herd und einen Wasserkocher gibt. Und einen kleinen Hängeschrank, an dem Martha liebevoll die Fotos befestigt hat.

Gestern stand hier irgend so ein Vogel auf der Matte, der mir Versicherungen aufschwatzen wollte. Der hat geredet und geredet, während ich dachte, daß mein Gesichtsausdruck eigentlich deutlich mein Desinteresse kundtun würde. Nur so halb habe ich mitbekommen, daß er eigentlich Handwerker ist.
Heute aber bin ich froh, daß er mir seine Karte dagelassen hat. Denn das Scheiß-Schloß hakt und ich komme nicht raus.
Also rufe ich den Typ an, damit er mich aus meiner mißlichen Lage befreit.
Das schafft er auch schnell, meint allerdings, die Tür ginge nun entweder nicht zu oder wenn sie zu sei, dann nicht mehr auf.
Das geht ja mal gar nicht.
Martha wird ja auch einmal alleine zuhause sein. Und ich möchte, daß sie dann sicher ist vor unerwünschten Gästen.
Also beauftrage ich den Typ, das Schloß so schnell wie möglich in Ordnung zu bringen. Die Kohle wird er brauchen können, da er seinen Vertreter-Job geschmissen hat.
Er ist mit seinen Händen auch weitaus geschickter als mit seinem Mundwerk.
So wie ich, haha.

*******

Ich bin mit Martha im No Limits, gemütlich was trinken.
Es gefällt mir, so entspannt und ganz selbstverständlich mit ihr auszugehen.
Doch wir werden gestört.
Sie bekommt einen Anruf und erzählt mir anschließend ganz begeistert was von einem Song, einem Rapper und einem Hut, den sie für dessen neues Video designen soll.
Ich kenne weder den Song noch habe ich was mit Rappern am Hut, aber das ist ja egal.
Hauptsache, sie hat Erfolg und ist glücklich.
Sogar daß unsere kleine private Feier heute Abend ausfällt, kann ich verschmerzen.
Wir wollten nämlich eigentlich die Tatsache ein wenig festlich begehen, daß ich es endlich geschafft habe, sie ganz in mein Leben zu lassen. Ohne Einschränkungen.
Aber daß sie grade einfach abhaut ohne mich zu küssen, das gefällt mir gar nicht.

*******

Mir ist klar, daß Martha wohl die ganze Nacht durcharbeiten wird.
Sie stellt hohe Ansprüche an sich selbst und will natürlich etwas Besonderes und darüberhinaus erstklassige Arbeit abliefern.
Da ich sie nur in ihrer Konzentration stören würde, entschließe ich mich, ein wenig trainieren zu gehen.
Hole meine Sporttasche von Zuhause und Martha eine anständige Stärkung – Sahne-Curry und Schoko-Muffins.
Doch als ich sie bei LCL treffe, meint sie enttäuscht, daß die Sache mit dem Video für sie flach falle. Sie muß die Pelze für diese kleine Zicke heute fertigstellen und die vertraglichen Pflichten für LCL gehen natürlich vor.
Spontan biete ich ihr an, die Pelze zu übernehmen, damit sie Zeit für diese Mütze hat.
Sie weigert sich erwartungsgemäß, aber wie meist schaffe ich es, sie zu überzeugen.
Diesen Arsch rette ich gerne.“
Die Stärkung brauche ich allerdings jetzt selber. Ich hab schon ewig nichts mehr genäht.

*******

Ehrlich, diese Pelze sind grauenvoll. Mir sind echte Pelze eh schon zuwider aber dann noch in diesen kreischbunten Farben?
Martha schaut vorbei.
Mir ist klar, warum. Sie traut mir nicht.
Ich bin ja nur der chaotische Designer.
Und natürlich schaffe ich diese Näherei nicht annähernd in derselben Zeit wie sie.
Aber sie soll sich um ihren Hut kümmern und nicht um meine Näherei.
Also schmeiße ich sie auf meine übliche charmante Art raus.
Und natürlich nähe ich mir in die Pfoten und brülle aus Ärger über meine Blödheit halb LCL zusammen.
Was eine ausgesprochen dämliche Aktion war.
Denn im Nu steht der halbe Laden um mich herum.
Und natürlich ist es ausgerechnet Rebecca, die sofort sieht, daß ich einen der bescheuerten Pelze vollgeblutet habe.
Scheiße!
Um den Pelz ist es nicht schade, aber ich will nicht, daß Martha meinetwegen Ärger bekommt.
Rebecca ist mal wieder auf Hundertachtzig, mault mich und Martha an.
Mein Einwand, daß Marthas Auftrag kreatives Neuland wäre und wir alle was davon hätten, verhallt unverstanden.
Da ich der Grund für den ganzen Ärger bin, verziehe ich mich. Zumal Rebecca mir unmißverständlich nahelegt, mich vom Acker zu machen.

*******

Als ich später wiederkomme, sind die Pelze anprobiert und die Models fertig für den Fotografen.
Martha hat es tatsächlich geschafft, einen der beiden geforderten Hüte zu machen.
Sie wirft noch einen Blick auf den Hut, sagt was von 'einer Chance, die nur einmal kommt' und ich spüre nur zu deutlich die Enttäuschung in ihrer Stimme.
Ich habe da eine Idee.
Und schmuggle den Hut mit in die Fotosession.

*******

Ich warte auf Martha, die noch kleine Änderungen an einem der Pelze vornimmt.
Ich frage sie nach dem Hut.
Sie meint, sie würde ihn verwahren, vielleicht könne sie später einmal verwenden.
Sie überlegt, wo sie den Hut gelassen hat und als sie ihn nicht findet, verdächtigt sie Jessica, ihn mitgenommen zu haben.
Ganz beiläufig schiebe ich ihr ein Foto unter, das Jessica mit ihrem Hut zeigt.
Wenn die reichen Russen den morgen kaufen, kriegst du viele Aufträge. So läuft das.“
Doch statt sich zu freuen, wird sie stinksauer.
Poltert los, daß Rebecca doch vorhin schon so sauer gewesen sei und wenn sie morgen den Hut in der Kollektion entdecken würde, dann würde sie sie garantiert feuern.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Ich wollte ihr helfen und hab's mal wieder noch schlimmer gemacht als vorher.
Weil ich wieder mal impulsiv gehandelt habe ohne vorher nachzudenken.
Juri, du Vollidiot!
Ich hätte große Lust, meinen Kopf auf die Tischplatte zu schlagen, aber eigentlich reicht mir mein durchlöcherter Finger schon.

4387
Ich schaffe es einfach nicht, Martha davon zu überzeugen, daß ihr Hut in der Pelzpräsentation eine gute Sache ist.
Du freust dich nicht.“, stelle ich ein wenig hilflos fest.
Nein, das tut sie nicht.
Du hast 'nen Auftrag verloren und warst traurig.“
Sollte sie nicht meine Motivation erkennen?
Ich liebe sie doch und will nicht, daß sie traurig und enttäuscht ist.
Ja, und?“, meint sie nur.
Ja, ich weiß, daß man auch Enttäuschungen wegstecken muß.
So ist deine Arbeit nicht umsonst.“
Vielleicht hilft dieses Argument ja. Und tatsächlich wäre es schade um die Mühe gewesen, die sie sich gegeben hat.
Was, wenn Tanja oder Rebecca das rauskriegen würden?
Wenn die nicht total bescheuert sind, dann freuen die sich.“
Daran glaubt Martha nicht.
Als Nicole das Foto mit dem Hut sieht und sehr angetan davon ist, will ich schon triumphieren.
Aber selbst Nicoles Reaktion überzeugt Martha nicht.
Sie meint, daß nicht jeder Mitarbeiter einfach eigene Sachen in die Kollektion schmuggeln könne.
Du bist Designerin.“, sage ich und ich bin darauf anscheinend mehr stolz als sie selbst.
Ja, aber für Accessoires. Und nichts weiter.“
Ja, und? Das ist doch nicht weniger wert.
Die schmeißen mich raus!“
Warum hast du soviel Schiß?“
Ich verstehe das wirklich nicht.
Sie hat ihren Designerjob bei dem blonden Lahnstein-Drachen durchgesetzt. Wer das schafft, braucht wegen so einer Sache wie der hier doch keine Bange zu haben.

*******

Sie läßt mich einfach stehen.
Ich laufe ihr nach zum Aufzug.
Bist 'n ganz schöner Brocken.“
Das ist sie wirklich.
Sie schweigt mich an, starrt stur auf die Fahrstuhltür.
Mach das nicht mit mir. Ich bin derjenige, der schweigt. Du bist diejenige, die immer redet.“
Ich versuche, sie aus der Reserve zu locken.
Na komm! Sei wütend. Schrei mich an. Zertrümmere Teller auf meinem Kopf oder was auch immer! Und dann entschuldige ich mich bei dir und wir gehen essen. Oder du kriegst 'nen Sahnecocktail und dann vertragen wir uns wie immer.“
Doch das funktioniert nicht.
Sie meint, ich nehme sie nicht ernst.
Ich sei wie eine Dampfwalze, ob mir das schon mal jemand gesagt hätte?
Ich habe keine Ahnung, was sie meint.
Ich will mich doch einfach nur wieder gut mit ihr verstehen.
Keinen Streit, keine Disharmonie haben.
Juri Adam und seine Lebensweisheiten.“
Ich würde erstens nur tun, worauf ich Bock hätte, zweitens, wenn jemand was dagegen hätte, würde ich's erst recht machen und drittens seien Regeln nur was für absolute Loser.
Mein „Ja.“ zu diesem Vortrag ist natürlich die völlig falsche Reaktion.
Aber es geht noch weiter.
Das ginge so nicht, weil es da draußen eine Milliarde anderer Menschen gäbe und außerdem sie und mein „ich“ wäre nämlich jetzt ein „wir.“
Schön.“, meine ich. Das mit dem „wir“ habe ich ihr ja erst noch eintrichtern müssen.
Klar ist das schön. Aber für dich hat sich nichts geändert. Du machst nach wie vor alles, worauf du Bock hast und fragst mich noch nicht mal.“
Martha … ich möchte nur nicht, daß du etwas verpaßt, weil du zu schüchtern bist.“
Aber selbst wenn schon. Dann ist das eben meine Sache. Ich leb mein Leben so, wie ich will und du deins so, wie du willst. Verstanden?“
Okay.“, meine ich und obwohl ich in Beziehungsdingen immer noch unerfahren bin, weiß ich genau, daß die Sache noch längst nicht erledigt ist.
Umso mehr, als ich auf meine Frage, ob wir was essen gehen, keine Antwort bekomme.

*******

Martha ist immer noch sauer, als wir zuhause ankommen.
Vielleicht hätte ich dich fragen sollen.“
Ja.“
Sorry.“
Doch damit ist es nicht getan.
Das habe ich jetzt davon, daß Martha mir gegenüber so selbstbewußt geworden ist.
Ich sage ihr, daß die Pelze ohne den Hut gar nix seien.
Martha jedoch meint, daß Tanja und Rebecca das so verstehen würden, als wollte sie kostenlos Werbung für sich machen.
Und die gegenseitige künstlerische Befruchtung, die ich in der Sache sehe, hält sie für einen Vertrauensbruch.
Ich raufe mir die Haare und weiß langsam nicht mehr, was ich sagen soll.
Wie willst du jemals Erfolg haben, wenn du dich nicht traust?“
Und was traust du dich hier bitte?“, fährt sie mich an.
Sie sei diejenige, die den Ärger bekäme, die vielleicht sogar ihren Job verlieren würde.
Ich meine, wenn sie ein Problem mit Rebecca bekäme, dann solle sie sie zu mir schicken.
Das war auch wieder die falsche Antwort.
Ich hätte schon genug angerichtet.
Sie würde gleich morgen selbst zu Rebecca gehen und ihr alles sagen.

Unser schöner, harmonischer Abend ist gelaufen.
Kürzlich erst die Disharmonie, weil ich so überempfindlich auf die Sache mit dem Koffer reagiert habe.
Und kaum ist alles wieder in Ordnung zwischen uns beiden …
Martha bleibt verstimmt und so gehen wir auch zu Bett.
Sie dreht mir den Rücken zu.
Ich bin frustriert und habe keine Ahnung, was ich machen soll.
Ich spiele kurz mit dem Gedanken, zu versuchen, ihre Laune durch ein paar kleine Zärtlichkeiten aufzubessern, aber ich traue mich nicht.
Ich will ihr nicht schon wieder meinen Willen aufzwingen.
Im Zweifelsfall mache ich es damit nur noch schlimmer und das könnte ich nicht ertragen.
Es ist so schon schlimm genug, ohne sie in meinen Armen einzuschlafen.

*******

Als ich aufwache, ist Martha schon weg.
Ich habe anscheinend im Schlaf wieder meine Zuversicht zurückgewonnen.
In jeder Beziehung gibt es mal Streit.
Okay, bei uns ein wenig öfter.
Aber wir müssen uns eben erst zusammenraufen.
Und ich bin sicher ein Härtefall.
Aber wir lieben uns.
Das kann eine Meinungsverschiedenheit nicht zerstören.
Guter Hoffnung mache ich mich auf den Weg zu LCL.

Martha hat anscheinend gerade ihre Besprechung mit Rebecca, denn sie ist nicht an ihrem Platz.
Erstaunlich geduldig warte ich.
Und dann kommt sie.
Diesmal drehe ich ihr den Rücken zu.
Sie sagt mir, daß der Hut bei Rebecca sehr gut angekommen sei.
Also … es lohnt sich manchmal wirklich, was zu riskieren. Und ich bin manchmal eine hysterische Kuh.“
Mich reitet ein Teufelchen und so bleibe ich über's ganze Gesicht grinsend mit dem Rücken zu ihr stehen, meine nur „Hm. Einsicht ist der erste Weg zur Besserung.“
Ja, aber das nächste Mal sag mir bitte Bescheid wenigstens.“
Ah! Falscher Text.“
Was?“
Ich grinse immer noch und pfeife jetzt auch noch vielsagend vor mich hin.
Okay, du hattest Recht in allem und danke, daß du mir meinen Arsch gerettet hast. Gut so?“
Es ist genau wie damals, als ich sie wieder zu meiner Assistentin machen wollte und sie mir so lange stur in die Augen schaute, bis ich mich für den Mist, den ich verzapft hatte, entschuldigte.
Umgekehrt funktioniert das also auch.
Langsam drehe ich mich zu ihr rum.
Aber weil Frauen immer das letzte Wort haben müssen, kommt kaum, daß sie sich entschuldigt hat, ein „Aber mach das bitte nie wieder! Ich mein, es gibt bestimmt Leute, die finden das total toll, ins kalte Wasser geschubst zu werden. Aber ich nicht, ich krieg da Schnappatmung und mag überhaupt nicht so gern ...“
Weiter kommt sie nicht, denn ich nehme ihr Gesicht in meine Hände und küsse sie zärtlich.
Mutig sein. Verstanden?“
Sie schaut mich an und meint „Nee. Erklär noch mal.“
Wieder küsse ich sie, nachdrücklicher und leidenschaftlicher als eben.
Wieder schüttelt sie den Kopf.
Und da macht es 'klick' bei mir.
Du kleines Luder!, denke ich, drücke sie auf den Tisch hinunter und sorge dafür, daß sie nur noch japsen kann …

4388
Da Marthas Hut nun mal in der Pelz-Präsentation gelandet ist, ist Martha heute auch dabei, als diese Berg-Zicke ihre Show abzieht.
Martha zuliebe finde ich mich ebenfalls kurz ein, aber ich ertrage dieses Weib einfach nicht.
Ich sage Martha, daß ich lieber ein wenig arbeite; diese Alexa könne eh nichts und küsse meine Süße zärtlich, bevor ich mich verpisse.
Als ich später wieder runter komme, ist die Veranstaltung immer noch im Gange.
Ich trinke einen Schluck Sekt; Martha möchte nicht.
Dafür hat sie aber gar nichts dagegen, daß wir im Hintergrund ein paar leidenschaftliche Zärtlichkeiten austauschen.

4389
Lange halte ich es wieder nicht aus. Wie diese Alexa sich produziert, kotzt mich so dermaßen an.
Martha klagt mir ihr Leid; dieses Miststück hat sie wegen der Sache mit dem Hut ganz schön zusammengefaltet.
Leider ist Martha in dieser Hinsicht nicht so drauf wie ich, daß sie das einfach an sich abprallen läßt.
Andererseits liebe ich sie dafür, daß ihr eben nichts einfach so am Arsch vorbeigeht.
Wenn dem so wäre, hätte sie sich nie so um mich bemüht. Sich für meine Probleme interessiert, obwohl ich es ihr so schwer gemacht habe.
Ich verdanke ihr soviel …

*******

Ich bin schon nach Hause; es war ja nicht abzusehen, wann diese Veranstaltung endlich zuende sein würde.
Als Martha eine Weile später auch nach Hause kommt, ist sie ganz aus dem Häuschen.
Jubelnd fällt sie mir um den Hals und erzählt mir ganz begeistert, daß die Berg, statt sie in den Boden zu stampfen, eine komplette Kollektion ihrer Accessoires für die Pelze gefordert hat. Weil ihr Hut die Russinnen so begeistert hätte.
Sie hatte wirklich befürchtet, ihren Job zu verlieren.
Ich freue mich sehr für sie, beglückwünsche sie und drücke sie fest an mich.
Voll unter Dampf wuselt sie anschließend durch das Loft, meint, sie hätte durch die Pelznäherei viel Zeit verloren und müsse sich jetzt echt ranhalten.
Sie beugt sich über ihre Tasche und präsentiert mir dabei ihr süßes Hinterteil.
In mir kribbelt es sehnsüchtig.
Ich will sie.
Jetzt.
Leise trete ich hinter sie und ziehe ihr ganz langsam den Reißverschluß ihres Kleides runter.
Ich merke so rein gar nichts mehr davon, daß Martha sofort an die Arbeit gehen wollte.
Sie ist wie Wachs in meinen Händen.
Als auch ihre Dessous zu Boden geraschelt sind, drehe ich sie zu mir herum und wir küssen uns leidenschaftlich.
Langsam und genüßlich zieht sie mich aus, verwöhnt mich mit ihren süßen Lippen, ihrer weichen Zunge.
Ich lehne mich gegen den Stützpfeiler, der, wenn er sprechen könnte, schon so einiges zu erzählen hätte und lasse meine Süße machen.
Ich bin gerne dominant, genieße es aber auch, mich meiner Partnerin ganz hinzugeben.
Und ich liebe es, daß Martha beim Sex so herrlich locker und unverkrampft ist.
Anders als so manches meiner Models, die auch beim Vögeln eine gute Figur machen wollten und sich oft gar nicht richtig fallenlassen konnten.
Was mich nicht unbedingt angemacht hat.
Martha kennt keine Hemmungen, keine falsche Scheu und deshalb ist der Sex mit ihr so herrlich.
Ich hebe sie hoch und während sie ihre Beine um mich schlingt, gleite ich sanft in sie hinein.
Sie saugt sich an meinem Hals fest und stöhnt genußvoll.
Wir sollten das öfter so machen, es macht nicht nur Spaß, es ist auch ein gutes Training für meine Oberschenkelmuskeln.
Ich trage sie rüber zum Bett, lasse sie sacht darauf nieder und versenke mich wieder tief in ihr.
Sie preßt sich an mich, packt mich so derbe bei den Haaren, daß ich leise zische.
Aber ihre Lust macht mich so an!
Als wir uns schließlich nach einem heftigen gemeinsamen Höhepunkt laut schnaufend voneinander lösen, meint sie: „Das war schön.“
Oh ja, das war es!
Ich würde gerne noch einfach eine Weile so liegenbleiben, mit ihr in meinen Armen.
Aber Martha fühlt sich durch die kleine Vögelei zwischendurch offenbar inspiriert und fragt mich, ob wir arbeiten wollen.
Da packt es auch mich und wir springen gleichzeitig genauso voll motiviert aus dem Bett wie wir uns eben noch darin gewälzt haben.
Und es ist einfach großartig!
Wir arbeiten beide getrennt und doch gemeinsam.
Die Luft im Loft schwirrt vor Kreativität; es knistert geradezu.
Wir sind produktiv und haben nebenbei einen Riesenspaß.
Glücklich und beschwingt küsse ich sie und arbeite weiter.
Das Leben kann herrlich sein!

*******

Später bei LCL will ich kurz nach ihr sehen.
Sie erzählt mir, daß die Berg alle ihre Entwürfe gekauft hätte.
Das freut mich. Nicht, daß ich der kleinen Pelzzicke Sachkenntnis zutrauen würde. Aber geldgierig ist sie und mit Marthas Sachen kann man Geld machen.
Aber etwas stimmt nicht, das merke ich Martha an.
Und dann sehe ich, daß die Labels, die sie an ihren Sachen anbringen will, nicht ihre sind.
Martha versucht so zu tun, als ob ihr das nichts ausmachen würde, aber ich merke genau, wie enttäuscht sie ist.
Das ist dein geistiges Eigentum!“, sage ich.
Niemand darf sich das einfach so aneignen.
Das ist nicht so wild.“, bemüht sie sich, diese Dreistigkeit herunterzuspielen.
Das ist deine Kreativität, das bist du!“, meine ich umso engagierter.
Als sie nicht auf meinen Einwand reagiert, daß unter dem LCL-Logo ihr Name als Designerin zu stehen hätte, marschiere ich entschlossen zur Tür.
Sie will mich aufhalten, doch ich mache ihr klar: „Entweder ich geh dahin oder du!“
So geht es jedenfalls nicht! Sowas darf man sich einfach nicht gefallen lassen.
Ich würde dieses kleine Miststück von Berg mit Vergnügen zur Schnecke machen, freue mich aber, daß Martha selbstbewußt genug ist, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

4390
Da ist Martha! Ich bin gespannt, wie ihr Gespräch mit Alexa war.
Doch sie läuft einfach an mir vorbei.
Ich rudere noch mit den Armen, um sie auf mich aufmerksam zu machen, doch sie scheint mich gar nicht wahrzunehmen.
Mit versteinertem Gesichtsausdruck geht sie wie mechanisch aufgezogen zu ihrem Platz.
Ich verstelle ihr den Weg, sie schreckt richtig hoch.
Wie es gewesen sei, will ich wissen.
Sie sagt erst gar nichts.
Und auf mein Nachbohren meint sie, sie hätte das nicht gewollt.
Was, Martha?
Ich habe gekündigt.“, meint sie tonlos.

*******

Ich biete Martha Schokolade an.
Das hilft ihr sonst immer.
Doch sie lehnt ab.
Sie meint, sie hätte einfach nur das gleiche Recht haben wollen wie alle anderen.
Du hast für dein Recht gekämpft.“, pflichte ich ihr bei.
Ich massiere ihr sanft die Schultern.
Alexa habe sie ausgelacht und einfach stehenlassen und dann sei ihr das mit der Kündigung rausgerutscht.
Richtig so.“, meine ich. Sie darf sich sowas nicht gefallen lassen. Lieber erhobenen Hauptes gehen, als sich von so einer wie der Berg unterbuttern lassen.
Und sie meint, daß Alexa sie absichtlich provoziert, ihr eine Falle gestellt habe.
Damit könnte sie Recht haben, das ist dem kleinen Miststück zuzutrauen.
Ob ich auch mal was dazu sagen würde?
Sie hätte grad ihren Job verloren, weil sie ihren vorlauten Schnabel nicht hätte halten können.
Weißt du, wieviele Jobs ich schon verloren habe, weil ich meine Meinung gesagt habe?“
Sie sei aber nicht ich.
Sie hätte sich aus ihrem Provinznest in diesen Weltklassekonzern hochgearbeitet, von der simplen Näherin zu einer Accessoire-Designerin und in zwei Sekunden hätte sie sich das alles kaputtgemacht.
Ich nehme sie bei den Händen und ziehe sie auf meinen Schoß.
Sie würde einen anderen Job finden, meine ich.
Doch sie will diesen, genau diesen, für den sie so hart gekämpft hätte.
Martha soll nicht denken, daß ich ihr Dilemma nicht ernst nehme, nur weil ich selbst in der gleichen Situation … sagen wir … gelassener reagieren würde.

*******

Martha erklärt mir, daß sie nicht gewollt habe, daß sie plötzlich ohne Job und ohne Geld dastehe.
Sie wolle mir nicht auf der Tasche liegen.
Jetzt mach dir doch keine Sorgen um Geld.“, versuche ich sie zu beruhigen. „Was wichtig ist, sind die Ideen.“
Als ob ich jemals von ihr denken würde, sie wolle mich finanziell ausnutzen.
Ich verstehe, daß sie unabhängig sein will. Das würde mir ganz genauso gehen.
Aber daß man sich in einer Notlage unterstützt, ist doch wohl selbstverständlich.
Sie könne eine Bank ausrauben und Geiseln nehmen, sagt sie.
Das hatte ich mit 'Ideen' eigentlich nicht gemeint.
Wer wird niedergeschlagen und steht immer wieder auf?“
Ich.“
Genau, Süße!
Mach dich selbstständig.“, rate ich ihr und meine das ernst.
Doch das will sie nicht.
Weil ihr erster Versuch auch schiefgegangen sei.
Weil ich selber nicht daran geglaubt hätte, daß sie es schafft, als ich ihre Sachen aufkaufte.
Das stimmt nicht, Martha!
Sie brauche Sicherheit.
Ob ich das verstehen würde?
Nein!“
Ich versuche ihr klarzumachen, daß die paar Tage Selbstständigkeit nicht aussagekräftig sind und daß sie es noch geschafft hätte.
Du bist der kreative Typ!“
Es ist lieb, daß du das so siehst.“
Aber sie will sich nicht selbstständig machen. Das sei nicht sie.

*******

Ich komme die Treppe runter und sehe Martha unten stehen, wie sie wehmütig ihre Wackelblume in der Hand hält.
Ihr Job hier bei LCL bedeutet ihr wirklich viel. Sie ist unglücklich.
Das tut mir weh.
Und ich sehe mich gefordert, etwas zu tun.
Ich zücke mein Handy und spreche Sebastian von Lahnstein auf die Mailbox, daß wir reden müßten.

*******

Ich treffe Martha draußen und gestehe, daß ich ihr vorhin nicht richtig zugehört hätte. Also, daß ich nicht verstanden hätte, um was es ihr geht.
Vielleicht sei sie ja noch nicht reif für die Selbstständigkeit und wolle noch ein paar Jahre in der Firma bleiben.
Das könne man sich leider nicht aussuchen, meint sie.
Ich sage ihr, daß ich ein Gespräch mit Sebastian für sie arrangiert habe.
Sie schaut mich an, sagt nur „Ja.“ und verschwindet durch die Tür nach innen.
Ich bin zuversichtlich, daß sie ihren geliebten Job behalten darf, drücke ihr aber selbstverständlich die Daumen.

*******

Doch ein wenig ungeduldig warte ich draußen.
Es dauert gar nicht so lange, bis sie wieder rauskommt, was ich als gutes Zeichen werte.
Doch dann sagt sie zu meiner Verblüffung, daß sie gar nicht mit Sebastian geredet habe.
Das war deine einzige Chance!“ Ich verstehe sie grad wirklich nicht.
Und dann meint sie „Ich hör dir zu.“
Ich verstehe die Anspielung, Martha, aber was meinst du bitte damit?
Sie meint, ich hätte vielleicht Recht gehabt, daß sie noch nicht bereit sei für die Selbstständigkeit.
Aaaber … vielleicht auch nicht.“
Ähm, umgekehrt, oder wie, Süße? Im Sinne von doch bereit?
Sie erklärt mir, sie hätte in den letzten Monaten soviel geschafft, was sie sich eigentlich gar nicht zugetraut hätte.
Sie läßt sich auf eine Bank fallen und meint:
Ich mach mich selbstständig. Weil ich an mich glaube.“
Sie schließt die Augen und reckt ihr Gesicht der Sonne entgegen.
Wie sie da so sitzt, selbstbewußt, strahlend, glücklich … ist sie so wunderschön, daß mir ganz heiß vor Freude darüber wird, daß sie zu mir gehört.
Und ich bin so verdammt stolz auf sie!

4392
Heute bin ich alleine joggen. Und es ist einfach herrlich, nach Hause zu kommen und Martha ist da.
Sie erfüllt meine an sich trostlose Bude mit Leben, mit Wärme.
Das tut mir so gut.
Während ich an der Tür noch einige Dehnübungen mache, lausche ich ihrer fröhlichen Stimme; sie telefoniert gerade.
Als das Gespräch beendet ist, erzählt sie mir von einer Freundin, die ihr Ladengeschäft aufgibt, weil sie mit ihrem Freund nach London zieht.
Und sie könne den Laden übernehmen.
Doch sie zögert.
Ich frage sie, ob die Miete zu hoch ist.
Nein, keineswegs.
Falsche Gegend?
Nein, das wohl auch nicht.
Ja, was is?“, werde ich ungeduldig.
Martha, lass dir doch nicht die Würmer einzeln aus der Nase ziehen!
Der Laden sei in Berlin.
Gut.“, sage ich und sehe sie auffordernd an.
Ich freue mich riesig; das ist eine tolle Chance für ihre Selbstständigkeit.

*******

Als ich aus der Dusche komme, sitzt Martha ziemlich unentschlossen und nicht besonders glücklich auf dem Bett.
Wann wolltest du denn los?“, frage ich sie.
Wohin?“
Wohin?
Berlin.“
Warum?“
Manchmal verstehe ich Martha einfach nicht.
Du mußt dir den Laden doch angucken.“
Sie meint, das sei 'ne Nummer zu groß für sie.
Ich verstehe sie falsch und frage nach der Größe des Ladens.
Doch das hat sie nicht gemeint.
Sie meint, sie hätte noch nie eine eigene Kollektion auf die Beine gestellt. Und dann auch noch in Berlin.
Ihr fehlt mal wieder die nötige Portion Zuversicht.
Das sei verrückt.
Ich frage sie, ob ihre Freundin, die den Laden abgibt, verrückt sei.
Nein, die sei ganz normal.
Aha!“, meine ich.
Es ist also verrückt, sich in Berlin selbstständig zu machen, aber nicht verrückt, dasselbe in London zu tun.
Leider begreift Martha nicht, worauf ich mit meinem „Aha!“ hinaus will.
Berlin ist der perfekte Ort für deinen Plan.“
Aber … was ist mit uns?“
Okay, damit kommen wir dem Grund für ihr Zögern wohl näher.
Ach, Berlin ist doch nicht in Bangladesh.“, versuche ich sie zu beruhigen.
Und will sie zärtlich küssen.
Doch sie weicht aus.
Ach, Martha! Ich weiß, du hast gesagt, nicht mal ein Meter Trennung geht, aber das hält unsere Beziehung schon aus.
Wir lieben uns.
Ich fliege jedes Wochenende nach Berlin, wir treffen uns, ziehen um die Häuser ...“
Ich dachte, es sei für sie selbstverständlich, daß wir uns jedes Wochenende sehen würden. Anders würde ich das doch selbst nicht aushalten.
In welchem Stadtteil der Laden eigentlich sei, will ich wissen.
In Neukölln.
Na, perfekt! Neukölln ist DAS Viertel für Mode in Berlin. Da gibt es reichlich Kundschaft.
Ich versuche, meine Begeisterung auf Martha zu übertragen.
Natürlich schaffst du das!“
Sie schaut immer noch skeptisch, aber ich denke, mein Glauben an sie hat sie doch überzeugt.
Und diesmal weicht sie nicht aus, als ich sie küssen will ...

*******

Martha ist unterwegs. Sie will ihren Freunden die Neuigkeit mitteilen.
Ich bin ein bisschen müde und mache es mir im Sessel gemütlich.
Dann muß ich eingedöst sein.
Ein bekannter Traum.
Der Schrank.
Ich sehe mich selbst, wie ich durch einen Spalt zwischen den Schranktüren spähe.
Und die Leichen meiner Eltern erblicke, ohne in dem Moment wirklich zu begreifen, daß sie tot sind.
Ich sehe schwere Stiefel; die eines der Mörder …
Verstört ziehe ich mich wieder tief in den Schrank zurück.
Und schrecke hoch, stelle fest, daß ich nur geträumt habe.
Noch heftig atmend reibe ich mir die Stirn, um wieder klar zu werden.
Stehe auf und versuche, den Alp abzuschütteln.
Es ist erschreckend, wie dieser Traum mich immer wieder total aus der Fassung bringt.
Plötzlich geht die Tür auf.
Ganz von selbst.
Hat Martha sie vorhin nicht richtig zugemacht?
Repariert ist sie ja.
Noch ein wenig durcheinander von dem Traum und mit einem Gefühl im Magen, das ich nicht erklären kann, bewege ich mich langsam auf die Tür zu.
Irgendwas stimmt nicht.
Draußen liegt Martha.
Reglos.
Tot.
Neben ihr ihr Strickzeug.
Mein Herz setzt für einen Moment aus, das Blut weicht mir aus dem Gesicht.
NEIN !!!
Nein, das darf nicht …
Sie darf nicht …
In dem Moment, wo ich meine, zusammenzubrechen, bewegt Martha ihren Kopf.
Verstört und verängstigt schlage ich die Tür zu.
Und finde mich im nächsten Augenblick in meinem Sessel wieder.
Ich begreife nicht, was passiert ist.
Gerade war ich doch noch …
In heller Panik rase ich zur Tür, schreie „MARTHA!“ und reiße die Tür auf.
Starre voller Angst auf die Stelle, wo eben noch Martha tot gelegen hat.
Doch die Stelle ist leer.

*******

Ich bin verstört.
Muß mich setzen.
Was war das gerade?
Ein Alptraum im Alptraum?
Doch es ist eigentlich unwichtig.
Viel wichtiger ist, was dieser Traum mir gerade sagt.
Ich habe panische Angst, Martha zu verlieren.
Das ist sonnenklar.
Um das zu erkennen, brauche ich keine Traumdeutung.
Ich kann sie nicht einfach so nach Berlin gehen lassen.
Es würde mich wahnsinnig machen.
Ich würde keine ruhige Minute mehr haben, kein Auge mehr zumachen können.
In meinem verzweifelten Wunsch, sie festzuhalten, sie nie mehr loszulassen, reift ein Gedanke in mir ...

Ich bin noch völlig in Gedanken versunken, als Martha nach Hause kommt.
Sie ist wieder fröhlich und gut gelaunt.
Fragt mich, ob alles okay ist, als sie mich wie erstarrt im Sessel sitzen sieht.
Ich sehe sie an und sehe sie gleichzeitig tot auf dem Boden liegen.
Ja ja.“, antworte ich auf ihre Frage.
Ich kann ihr unmöglich die Wahrheit sagen.
Ich habe solche Angst, sie zu verlieren.
Es passiert genau das, weswegen ich nie jemanden an mich ranlassen wollte.
Nie wieder wollte ich solche Verlustängste haben …
Martha hat keine Ahnung, was mit mir los ist.
Ich bin hier. Man kann mich küssen, umarmen. … Das wird nicht mehr so leicht werden.“
Wir beide haben soviel zu arbeiten, wir werden keine Zeit haben, uns zu vermissen.“
Nee, Juri, du wirst sie nicht vermissen. Du wirst Panik schieben.
Das glaubst du ja wohl selber nicht.“
Martha weiß, wie sehr ich sie liebe und begehre. Klar, daß sie mir den Spruch nicht abkauft.
Wann fährst du?“
Morgen.“
Gut.“
Gut geheuchelt.
Ja, ich dachte, daß ich mir den Laden so schnell wie möglich anschaue. Aber wenn ich mir vorstelle, daß ich dann … in einer anderen Stadt bin, könnt' ich glatt losheulen.“
Sie sagt wie immer offen, wie ihr zumute ist.
Ich sage Martha, daß wir das feiern sollten. Also ihren Neuanfang in Berlin. Mit all ihren Freunden.
Sie ist erstaunt und hält das nicht für notwendig.
Doch ich hänge mich sofort an ihr Telefon und trommle die Leute zusammen.
Ich brauche Leute um mich herum; das wird mich hoffentlich von meinen Ängsten ablenken ...

*******

Sascha hilft mir, die Kisten mit den Getränken ins No Limits zu tragen. Nicht, daß dort Mangel an Alkoholischem herrschen würde.
Aber die Feier soll serbisch angehaucht sein und da brauchen wir doch ein wenig mehr Sljivovic als gewöhnlich vorrätig.
Sascha ist wie immer penetrant neugierig und wundert sich, warum ich mit Martha nicht lieber allein sein möchte.
Und er kauft mir nicht ab, daß ich das mit Marthas Weggang nach Berlin so locker nehme.

*******

Ich stoße mit Sascha an.
Martha denkt bestimmt, du bist froh, daß sie geht.“, meint er.
Ich starre erst auf die Theke und dann ihn an.
Na, ist doch vollkommen klar – erst hattest du die ganze Zeit Schiß, sie an dich ranzulassen ...“
Ich lasse ihn nicht ausreden, ziehe ihn zu mir her, damit niemand sonst mich hört und sage:
Ich hatte einen unguten Traum. Martha lag auf dem Boden. Tot.“
Okay, du hast Schiß vor 'ner Trennung. Das mit deinen Eltern ist was komplett Anderes, da war Krieg.“, meint er eindringlich zu mir und ich verstehe, daß er mich beruhigen will. Daß ich nicht befürchten muß, Martha ebenso zu verlieren.
Aber seine gut gemeinten und sicher wahren Worte können mir meine Angst nicht nehmen.
Menschen sterben auch ohne Krieg.“
Du kannst Martha nicht vor allen Gefahren beschützen. Mann, genieß es, solange sie da ist und … und zeig ihr, was du fühlst.“
Ja, da hat er Recht.
Ich sollte Martha zeigen, was ich fühle.
Was ich will.
Nämlich sie.
Für immer.
Ich sehe auf den Ring an meinem linken Ringfinger.
Es ist der Ehering meines Vaters.
Ich fasse einen Entschluß.
Es ist der einzig Richtige.

*******

Ich seile mich kurz von der Party ab, denn ich muß etwas organisieren.
Und finde einen Stehgeiger, der spielen kann, was mir vorschwebt.
Als ich diesen vor Martha bugsiere, ist sie sichtlich erstaunt; sie kann sich keinen Reim auf mein Verhalten machen.
Sicher auch nicht darauf, daß sie allein an der Bar sitzt, während ich scheinbar ausgelassen tanze.
Aber den Mut, den ich gleich brauche, muß ich mir erst antrinken und antanzen.
Doch dann hole ich sie mir und ziehe sie mit auf die Tanzfläche.
Wir tanzen so ausgelassen wie damals in der Balkan-Disco.
Das gefällt ihr, sie lacht und strahlt.
Überhaupt sieht sie wunderschön aus in ihrem luftigen Sommerkleid, geradezu bezaubernd.
Es ist ein herrliches Kleid, weiß mit schwarzer Stickerei, schulterfrei. Dazu trägt sie hohe schwarze Pumps mit Schnallen, die schöne schlanke Beine machen.
Nicht nur ich sehe sie bewundernd an.
Und es muß Schicksal sein, daß sie ausgerechnet heute ein Kleid trägt, das wie gemacht ist, um …
Wir tanzen um Martha herum und feiern sie.
Dann kommt Sascha wie verabredet mit zwei Gläsern Sljivovic für Martha und mich.
Mach mir nach!“, sage ich und wir kreuzen unsere Arme wie beim Brüderschaft trinken.
Ich zerschmettere mein leeres Glas auf dem Boden und sie tut es mir nach.
Angazovanje!“, rufe ich laut.
Natürlich hat Martha keine Ahnung, daß dies das serbische Wort für „Verlobung“ ist und ist deswegen völlig arglos.
Sascha allerdings versteht, das sehe ich an seinem Blick.
Und wieder tanzen wir ausgelassen … ich bin total aufgedreht.
Aber noch habe ich erst den halben Weg geschafft.
Ich muß es Martha noch sagen.
Ich küsse sie genußvoll und bin willens, es jetzt zu tun.

*******

Weißt du, was das vorhin war?“
Wir haben Brüderschaft getrunken, oder?“
Sie kann sich das Gläserschmeißen und meinen serbischen Ausruf nicht erklären.
Hör mal zu: Mein ganzes Leben hatte ich Angst davor, daß mir jemand zu nahe kommt. Dann ist plötzlich so 'ne Martha gekommen und ist mir viel zu nahe gekommen. Ich hab sie versucht loszuwerden, aber sie ließ sich nicht abschütteln.“
Ich ziehe sie näher zu mir, nehme ihre Hände in meine.
Weißt du … du hast mir beigebracht, was es heißt, glücklich zu sein. Das da vorhin, das war ein alter serbischer Brauch.“
Und der bedeutet?“
Ich nehme ihren Kopf in meine Hände.
Wir haben uns miteinander verlobt.“
Was? Das meinst du jetzt gar nicht ernst, oder?“, lacht sie ungläubig.
Oh doch, meine Süße, und wie!
Sie schaut mich an und meint verblüfft: „Juri, bist das wirklich du?“
Sie glaubt mir nicht?
Ich mein', du hast große Angst, dich zu binden und jetzt willst du auf einmal alles und das für immer … und mich ...“
Ja, Süße. Dich. Und für immer.
Zu wissen, daß du für immer zu mir gehörst, wird mir die Sicherheit geben, die ich brauche.
Damit ich nie wieder sehen muß, was ich heute gesehen habe.
Aber Martha ist nicht nur mein Notanker, an dem ich mich festhalten kann, bis meine Probleme eines Tages hoffentlich der Vergangenheit angehören werden.
Nein, der Gedanke, daß sie meine Frau wird, daß wir heiraten, ist tatsächlich ein wunderschöner, freudiger Gedanke, bei dem mir warm um’s Herz wird.
Und so sehe ich sie zärtlich-lächelnd an und frage schlicht: „Willst du?“.
Ja. Ja. Ich will.“, sagt sie und strahlt mich an.
Mein Herz tut einen freudigen Hüpfer.
Ich nehme ihren Kopf wieder in meine Hände und küsse sie.
Ziehe sie anschließend auf die Tanzfläche, wo wir in einem langen, innigen Kuß versinken.
Die anderen um uns herum nehmen wir nicht mehr wahr.
Es gibt nur noch uns.
Und das für immer.

4393
Ich weiß nicht, wie lange wir uns einfach nur geküßt und in den Armen gehalten haben.
Es war wundervoll.
Es hat sich sooo gut angefühlt.
So absolut einzig richtig.
Dann hat Martha das Bedürfnis, ihr Glück zu teilen.
Ich bin gerne einverstanden – ich bin gefühlsmäßig auf einem grandiosen Höhenflug, weil es mich beinahe überwältigt, daß Martha so glücklich über meinen Antrag ist.
Unsere Gäste sind erstaunt, scheinen sich aber zu freuen.
Ich fange Saschas Blick auf, habe kurz den Eindruck, daß er nicht glücklich darüber ist.
Aber dann lächelt er und nickt zustimmend und ich weiß, auch er findet es richtig.
Und ich kriege das glückselige Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht.
Wieder tanzen wir.
Und wieder und wieder muß ich meine zukünftige Frau küssen.

*******
Martha steht bei Dana und Ricardo, dem Arzt.
Ich bitte die beiden, auf uns zu trinken.
Danach ziehe ich Martha wieder auf die Tanzfläche, lege mir ihre Arme um den Hals und drücke sie fest an mich.
Ich bin so unsagbar glücklich.
Und gerade deshalb verstehe ich nicht, warum ich just jetzt wieder das Bild von Martha vor Augen habe, wie sie tot vor meiner Tür liegt.
Oder vielleicht gerade, weil sie mir nun noch näher ist?
Die Gute merkt sofort, daß etwas mit mir nicht stimmt.
Ich schiebe meine komische Stimmung auf die Musik, die sei zu traurig.
Doch sie ahnt, was mit mir ist, denn sie meint, es sei doch noch gar nicht sicher, daß sie nach Berlin ginge. Vielleicht gefiele ihr der Laden ja gar nicht.
Ganz plötzlich kann ich all die Leute um uns herum nicht mehr ertragen.
Weißt du, ich würde gerne die letzte Zeit, die wir miteinander haben, mit dir alleine verbringen. … Gehen wir?“
Sie strahlt mich an und nickt.
Vielleicht hilft mir ihre Zärtlichkeit aus dieser trüben Stimmung.
Und so schleichen wir uns von unserer eigenen Feier.
Vermissen wird man uns kaum.

*******

Tatsächlich vertreibt der Gedanke an traute Zweisamkeit mit meiner Süßen die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf.
Vor Glück übermütig trage ich sie das letzte Stück Weg.
Sie wehrt sich, quiekt und verlangt lachend, daß ich sie runter lasse.
NIEMAAALS!“
Sie meint, das mache man eigentlich erst nach der Hochzeit so.
Ich werde dich jeden Tag meines Lebens auf Händen tragen!“, deklamiere ich.
Sie quiekt noch lauter und ich muß mich anstrengen, meine ernste Haltung zu bewahren.
Und zwar ins Bett!“, füge ich hinzu, während ich sie schwungvoll darauf werfe.
Ich kniee mich gleich über sie, lasse ihr keine Chance zu entkommen.
Sie scheint allerdings nicht die geringste Lust zu einem Fluchtversuch zu haben.
Genüßlich und leidenschaftlich erwidert sie meinen Kuß.
Ich liebe dich, Juri Adam.“, meint sie offensichtlich sehr glücklich.
Ich dich auch, meine Süße!
Und wir haben wunderbaren Sex voller Lust, Liebe und Zärtlichkeit …

Martha schläft entspannt und friedlich, während mich die schrecklichen Bilder wieder einholen.
Ich liege wach, beobachte meine Süße im Schlaf und beneide sie um das Glück, so unbelastet, so unbeschwert zu sein.
Wenn ich nur die Fesseln meiner Vergangenheit abwerfen könnte …
Ich liege da, gequält von der Angst, sie verlieren zu können.
Weil ich ohne sie wieder in das finstere Loch zurückstürzen würde, das mein Leben vor ihr war.
Einsam und kalt.
Ich brauche sie so sehr.
Ihre Liebe, ihre Wärme, ihre Zuversicht.
Der Gedanke, daß sie nicht mehr da sein könnte, daß sie mich hilflos zurückläßt, ist schrecklich ...

*******

Als die Sonne heraufsteigt und ihr goldenes Licht durch das Oberlicht über der Tür wirft, habe ich keine Minute geschlafen.
Martha wacht auf und wundert sich.
Hockt sich neben mich auf die Stufen, auf denen ich erstarrt bin und sieht mich fragend an.
Ich hab Angst.“
Wovor?“
Dich zu verlieren.“
Und ich habe den Mut, ihr von meinem schrecklichen Traum zu erzählen.
Daß ich sie habe tot da liegen sehen.
Sie versucht mich zu beruhigen. Daß das nicht heißen müsse, daß es wirklich passiert.
Es hätte höchstens was damit zu tun, daß ich Verlustängste habe.
Nein.“, sage ich.
Sie lächelt und meint, doch das sei es, ich würde sie eben jetzt schon vermissen.
Ich drehe den Kopf weg.
Hey, red mit mir, sonst kann ich dir nicht helfen.“
Sie hat ja Recht.
Seitdem meine Eltern ermordet wurden, hatte ich immer Verlustängste. Ich wollte dich nicht an mich ranlassen und jetzt kann … ich dich nicht gehen lassen.“
Ihr fröhliches Lächeln ist Traurigkeit gewichen. Und Betroffenheit.
Sie wiederholt, daß das nicht passieren müsse. „Wir bleiben zusammen, das ist doch ganz klar. Wir stehen das zusammen durch, wirklich.“
Sie streicht mir zärtlich durch's Haar.
Diese liebe, tröstende Geste nimmt etwas von der klammen Kälte in mir.
Glaub mir … so schnell wirst du mich nicht los.“
Das ist Marthas einzigartige Art, das Leben immer mit Humor zu nehmen …

*******

Ich versuche, mich zu erklären.
Was in diesem Traum geschieht.
Daß ich wieder und wieder das brutale Hämmern der kroatischen Milizen an unsere Tür höre.
Auch während ich Martha davon erzähle, werden wieder Bilder aus der Vergangenheit in mir lebendig.
Ich sehe Vaters Hand, die sich im Todeskampf an der Erkennungsmarke seines Mörders festkrallt.
Dieses Bild hat sich mir unauslöschbar eingeprägt.
Ich höre Schüsse, sehe die leblosen Körper.
Meine Eltern waren gleich tot. Ich habe meinen Vater an der Tür liegen sehen. … Er hatte was in der Hand. Diese Erkennungsmarke.“
Ich zeige Martha das angelaufene Stück Blech.
Sage ihr, daß mein Vater dieses Ding seinem Mörder vom Hals gerissen haben muß.
Mein Leben lang will ich den schon finden. Der Gedanke daran hat mich überhaupt am Leben gehalten.“
Der Gedanke an Vergeltung für seine Bluttat.
Ich weiß nicht, ob Martha nun schockiert ist.
Sie fragt mich, ob ich ihn gefunden hätte.
Ich sage ihr, daß da keine Chance besteht. Die Täter hätten ihre Spuren gut verwischt und den Mantel des Schweigens und Vergessens über ihre Untaten gebreitet.
Martha sagt, daß sie es versteht. Daß ich diesen Menschen finden möchte. Sie verstünde auch das Gefühl von Rache.
Aber … ich glaube, daß du damit abschließen solltest.“
Ich höre ihr aufmerksam zu. Alles was sie sagt, ist wert, darüber nachzudenken.
Denn egal, was du tust … es ändert nichts an der Tatsache.“
Daß meine Eltern tot sind? Nein, daran würde sich nichts ändern.
Aber der Wunsch nach Vergeltung sitzt so lange und so tief in mir, daß ich ihn nicht einfach so abschütteln kann.
Martha beugt sich über meinen Koffer, will wohl die Marke wieder hineinlegen.
Da bemerkt sie, daß der Koffer einen doppelten Boden hat.
Es hat keinen Sinn und wäre auch nicht richtig, ihr zu verheimlichen, was sich darunter verbirgt.
Und so klappe ich ihn hoch, daß sie die Pistole darunter sehen kann.
Einer der Schüsse, von denen meine Eltern niedergestreckt wurden, hallt mir laut in den Ohren …

*******

Mir ist klar, daß Martha das nicht so im Raum stehen lassen wird.
Ich habe ihr die Waffe gezeigt, bin aber nicht willens darüber zu reden.
Es ist auch müßig, denn ich werde den Mörder nie finden.
Martha gibt mir außerdem zu bedenken, daß dieser schon längst tot sein könnte.
Ja, das wäre möglich. Ich ertappe mich dabei, ihm einen möglichst schmerzlichen Abgang zu wünschen, während ich mich anziehe, denn ich will raus an die Luft, mich bewegen.
Gestern Abend hast du mir gesagt, wie glücklich du bist … mit mir. Ich dachte … da kannst du die Vergangenheit endlich ruhen lassen.“
Nichts lieber als das, Martha. Was glaubst du wohl, wie gerne ich das alles hinter mir lassen würde? Es ist eine quälende Last.
Du mußt es wenigstens versuchen.“, redet sie mir zu. Lehnt sich von hinten an mich, legt die Arme um mich.
Das tue ich doch, Martha. Indem ich mir dir zusammen bin. Aber das ist nicht so einfach.
Sie deutet auf die kyrillischen Buchstaben, die sich von meinem Hals runter bis zu meiner rechten Hand ziehen und möchte wissen, was sie bedeuten.
Schwer zu erklären. Sowas wie … 'Niemals verzeihen. Niemals vergessen.'“
Das habe ich mir damals eintätowieren lassen, als ich mir schwor, Vergeltung zu üben, den Mord an meinen Eltern zu rächen.
Ich glaub nicht, daß das der richtige Weg ist.“, meint Martha.
Ich weiß, daß eine solche Denkweise ihr fremd ist.
Ich hatte die Waffe jahrelang nicht mehr in der Hand.“, sage ich.
Aber … würdest du sie benutzen?“
Ich verstehe, daß dies für Martha sehr wichtig ist.
Ich suche ihn gar nicht.“, antworte ich und weiß, daß das keine Antwort auf ihre Frage ist.
Würdest du die Waffe wirklich benutzen?“, fragt sie nun sehr viel eindringlicher.
Juri, du bist kein Mörder! Wirf diese Waffe weg! Und auch diese Marke.“
Ich weiß, daß es nicht richtig ist, sie ohne ein weiteres Wort einfach stehenzulassen, aber ich muß raus.
Raus an die Luft und nachdenken.

*******

Als ich wieder nach Hause komme, ist Martha nicht da. Sie brauchte wahrscheinlich auch frische Luft.
Mir hat die Bewegung geholfen.
Ich fühle mich imstande, in Ruhe nachzudenken.
Ich weiß, was den Haß und die Rachegefühle haben hochkochen lassen.
Martha tot … ich weiß, daß ich keine Ruhe hätte, bis der gefunden ist, der ihr etwas angetan hat.
Das war es. Der Gedanke, daß irgendjemand mir Martha gewaltsam nehmen könnte, hat das ausgelöst.
Ich nehme die Waffe in die Hand und betrachte sie.
Soviel Unheil kann man damit anrichten.
So eine Waffe hat meine Eltern getötet.
Ich denke an Martha und was wohl gerade in ihr vorgeht.
Was sie denkt.
Ganz sicher will sie keinen Mann, der sich niederen Rachegelüsten hingibt.
Ich habe geschworen, meine Eltern zu rächen, als ich fünfzehn war.
Seitdem ist eine lange Zeit vergangen.
Und ich habe mich verändert, seit Martha in mein Leben getreten ist.
Kann … sollte ich mich ihr zuliebe von dem Schwur lösen?
Ist dieser Schwur mir wichtiger als sie?
Sie hat mich gebeten, es wenigstens zu versuchen.
Die Vergangenheit hinter mir zu lassen.
Sie hat es verdient, sie ist es wert, daß ich mich ernsthaft bemühe.
Und so wickle ich Waffe und Marke in ein Tuch.

*******

Damit Martha sieht, daß es mir ernst ist, rufe ich sie an. Sie soll runter zum Rhein kommen.
Dort warte ich auf sie.
Sie ist aufgeregt und außer Atem, als sie kommt.
Was los ist, möchte sie wissen.
Danke.“, sage ich.
Sie sieht mich fragend an.
Dieses Kapitel ist für mich jetzt zuende. Ich will nach vorne schauen. Mit dir.“
Und das meine ich wirklich so, wie ich es sage.
Die Vergangenheit ist vergangen.
Martha ist meine Zukunft.
Sie lächelt mich glücklich an; ich weiß, daß sie stolz auf mich ist.
In hohem Bogen werfe ich das Tuch samt Inhalt in die Fluten des Stroms.
Sie lächelt immer noch so glücklich, als ich mich ihr wieder zuwende.
So und jetzt setz' ich dich in den Zug nach Berlin. Mach dir keine Sorgen um mich.“

*******

Irgendwie zieht es mich zurück ans Rheinufer, nachdem ich Martha zum Zug gebracht habe.
Immerhin habe ich einen Teil meiner Vergangenheit in diesem Fluß versenkt.
Während ich nachdenklich am Ufer entlang spaziere, holt Kim mich ein.
Fragt, ob Martha schon in Berlin sei.
Und meint, wir wären gestern Abend ja ziemlich schnell weg gewesen.
An ihrem dreckigen Lachen erkenne ich, daß sie mein Schweigen richtig deutet.
Ich bedanke mich für ihr Kommen, worauf sie meint, es wäre eine tolle Party gewesen und es hätte sehr gut getan, einfach mal alles zu vergessen …
Einige Meter weiter entdecke ich etwas im Kies ... das halbe Stück der Erkennungsmarke.
Es muß aus dem Tuch gerutscht sein, als ich zum Wurf ausgeholt habe.
Kim fällt auf, daß es nur eine halbe Marke ist.
Die andere Hälfte hat der Mörder meines Vaters.“
Vergessen? …

*******

Die Erkenntnis, daß ich meine Vergangenheit doch nicht einfach dadurch abhaken kann, indem ich einen Teil davon auf dem Grund des Rheins versenke, erschreckt mich sehr.
Ich habe Martha nichts vorgemacht; ich will das nicht mehr!
Aber kann ich das?
In mir drin wüten Emotionen, die mir Angst machen, weil sie unkontrollierbar scheinen.
Ich beginne zu begreifen, daß der bloße Wille allein nicht reicht.
Aber was soll ich tun?
So tun, als ob nichts wäre?
Ich werde dem Mörder eh nie begegnen – es würde sich doch eigentlich nichts ändern im Vergleich zu früher …
Ich bringe es nicht fertig, das halbe Stück Marke in den Fluß zu der Waffe zu werfen.
Und auch das gibt mir wieder zu denken.
Was ist so schwer daran, ein Stück Blech ins Wasser zu schmeißen … außer man will das gar nicht?
Will ich diese Rache noch?
Das ist eine Frage, mit der ich mich sehr intensiv auseinandersetzen sollte.
Ich bin nicht mehr allein. Ich lebe in einer festen Beziehung.
Alles, was ich für mich entscheide, hat auch Konsequenzen für Martha.

4394
Ich versuche zu arbeiten, aber ich schaffe es nicht, mich zu konzentrieren.
Ich bin sauer auf mich selbst, daß meine Gedanken immer wieder abschweifen.
Wütend schubse ich alles vom Tisch, was darauf liegt – halb angefangene Entwürfe, Stoffe, einfach alles.
Und klatsche die Erkennungsmarke auf den Tisch.
Es hat keinen Sinn, es zu verdrängen.
Ich muß mir eingestehen, daß es mich mehr beschäftigt, als ich will.
Niemals verzeihen. Niemals vergessen.
Das hat sich mir eingeprägt wie mit einem Brandzeichen eingebrannt.
Es hat keinen Sinn, es zu leugnen.
Aber es macht mich verdammt noch mal wütend.
Mein Blick fällt zu Boden, da liegt etwas.
Ein kleines Kärtchen mit einem aufgeklebten Herz und Marthas Handschrift. Ich vermisse dich jetzt schon, steht darauf.
Meine Gesichtszüge entspannen sich sofort; ich merke, wie ich glücklich lächle.
Meine Martha!
Sascha taucht auf.
Fragt, ob Martha schon weg wäre.
Und will wissen, ob mit mir alles okay ist.
Klar merkt er, daß was nicht stimmt. Da hat er blöderweise eine Antenne für.
Ob ich klar käme.
Klar komm' ich klar.“
Er meint, wenn mir die Decke auf den Kopf fallen sollte, dann sollte ich doch mal wieder mit zum Training kommen. Wäre schon eine Weile her.
Da hat er Recht. Aber in der letzten Zeit waren immer andere Dinge wichtiger.
Martha allen voran.
Zu arbeiten hat keinen Sinn.
Ich greife mir meine Jacke und haue ab.
Vielleicht nehme ich Saschas Angebot mit dem Training noch an.

*******

Doch meine düsteren, rachsüchtigen Gedanken lassen mich zuhause noch weniger los als bei LCL.
Es ist sicher unklug, immer wieder die Marke hervorzuziehen.
Jedes Mal klingen mir wieder die Worte im Ohr – niemals verzeihen, niemals vergessen.
Das ist schon wie ein Fluch, der mich in seinem Bann hat.
Nein, das ist nicht gut!
Ich öffne den Koffer und mein Blick fällt auf das kleine Flugzeug, mit dem ich als Kind so gern gespielt habe.
Ich reise in Gedanken zurück in heile, glückliche Kindertage.
Sehe Mutter vor mir, die leise lächelt, als ihr Sohnemann wieder Flugkapitän spielt.
Mir zärtlich über den Kopf streichelt.
Doch dann drängen sich andere Bilder vor mein Auge.
Ein schwerer Stiefel, der das geliebte Spielzeug zertritt.
Schüsse.
Die mein Leben zerstören, indem sie mir alles nehmen, was mir lieb und teuer ist.
Ich lege das Flugzeug zurück und schlage den Kofferdeckel zu.
Ich fühle mich meinem Trauma mehr denn je hilflos ausgeliefert.
Martha, ich brauche dich!
Ich greife zum Telefon und rufe sie an.
Es tut mir gut, ihre Stimme zu hören.
Sie sitzt noch im Zug.
Und meint fürsorglich, daß sie sofort zurückkommen würde, wenn ich sie brauchen sollte.
Doch das will ich nicht.
Es darf nicht immer nur um mich und meine Probleme gehen.
Der Laden in Berlin bedeutet ihr viel.
Darauf soll sie sich konzentrieren.
Sie fragt mich, was ich heute noch so mache.
Ich sage ihr, daß ich vielleicht mit Sascha boxen gehe.
Ob ich mit ihm reden wolle, fragt sie.
Mir ist klar, warum sie mich das fragt.
Ich antworte „Ich weiß noch nicht. Vielleicht.“
Wenn einer dich verstehen kann, dann er.“
Dann reißt leider die Verbindung ab.
Gerne hätte ich einfach noch weiter ihrer lieben Stimme gelauscht, die mir so gut tut.

*******

Ich habe das Telefon schon in der Hand und Saschas Nummer aufgerufen.
Doch ich kann mich nicht überwinden, ihn anzurufen.
Aber allein mit mir selbst kommen sie wieder … die dunklen Erinnerungen.
Ich lehne mich an meinen Sandsack und höre sie wieder.
Die Schüsse.
Die Tritte der schweren Stiefel.
Wieder sehe ich die toten Körper meiner Eltern.
Nein, es tut mir ganz und gar nicht gut, mit diesen Erinnerungen allein zu sein, die jetzt, wo Martha nicht da ist, viel präsenter sind als zuvor.
Darum rufe ich Sascha doch an.
Ich muß hier raus.
Beim Training werde ich vielleicht eine Weile von meinen destruktiven Gedanken verschont.
Abgesehen davon, daß ich ein wenig von den Aggressionen in mir ablassen kann.
Und vielleicht kann ich mich ja wirklich überwinden, mit ihm über meine Vergangenheit zu reden ...

*******

Sascha fragt mich schon wieder, ob alles okay ist.
Er scheint zu spüren, daß mir Marthas Abwesenheit echt zu schaffen macht.
Daß ich sie brauche, weil ohne sie alles zusammenbricht.
Ich bin aber nicht willens, mein Seelenleben vor ihm auszubreiten.
Stattdessen frage ich ihn, ob er oft an Zagreb denkt.
Ja, klar.“, meint er.
Dann fordert er mich auf, endlich mit dem Training anzufangen.
Er ist ein ernster, aber fairer Gegner, wenn er mich nicht gerade gewaltsam davon abhalten will, mich an Martha ranzumachen.
Und das Training tut mir echt gut.
Sich körperlich abzureagieren ist nie verkehrt, wenn das Innenleben aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Und wir haben sogar Spaß.

*******

Ich gestehe, ich war doch nicht so ganz bei der Sache.
Sascha hat mich ein paarmal eiskalt erwischt.
Ich reibe mir die schmerzenden Rippen, während wir bei Emilio am Burrito-Wagen stehen und was essen.
Sascha zieht mich mit meiner Unachtsamkeit auf, gibt mir aber die Gelegenheit zur Revanche.
Ich stimme zu, daß wir uns morgen wieder im Club treffen.
Dann verabschiedet er sich.
In dem unguten Gefühl, daß mich meine finsteren Gedanken wieder einholen, wenn ich alleine bin, halte ich ihn auf.
Und lade ihn auf ein Bier ein.
Er ist erstaunt, sagt aber zu.
Ich will mit ihm reden.
Er hat Ähnliches durchgemacht wie ich.
Ich habe mich Martha gegenüber geöffnet.
Ich kann das auch bei ihm versuchen.
Er wird mich vielleicht sogar besser verstehen können als Martha.

*******

Sascha merkt gleich, daß ich ihn nicht einfach zu einem Bier und einer belanglosen Plauderei eingeladen habe.
Und so fordert er mich schon bald auf, zu reden.
Meine Vergangenheit. Ich muß mich mal richtig mit meiner Vergangenheit beschäftigen.“
Ich gestehe ihm, daß ich einfach nicht über den Krieg reden kann.
Kenn ich.“, sagt er.
Ich frage ihn, wie er das gemacht hätte. Seinen Frieden zu finden.
Denn diesen Frieden brauche ich sehr.
Er meint, er hätte viel mit einem Sozialarbeiter geredet, als er nach Deutschland kam. Das hätte ihm gut getan.
Woran ich mich erinnern könne, will er wissen.
An die Mörsergranaten. … Und es war kalt.“
Ich spüre die Kälte beinahe körperlich. Auf dem Balkan herrscht ein strengerer Winter als hier.
Hat man dich auch zum Holzklauen geschickt?“, fragt er.
Was, dich auch?“
Uns verbindet tatsächlich mehr, als ich dachte.
Die Leute haben ihre eigenen Möbel verheizt, weil es nichts anderes gab. Und dann haben sie uns Kinder losgeschickt, um Bäume in der Nachbarschaft zu klauen.“, erzähle ich. „Gab richtige Schlägereien um die Bäume.“
Ja. Und Kinder schlägt man nicht.“, nennt Sascha den Grund, warum wir die Bäume klauen mußten.
Warum ich mit niemandem darüber geredet hätte, fragt Sascha nach einer Pause.
Ich hätte halt nicht so einen Sozialarbeiter wie er gehabt.
Über sowas kann man nicht mit jedem x-beliebigen Menschen reden.
Und ich habe seit damals niemanden mehr an mich rangelassen.
Aber jetzt habe ich ja Martha und dich.“
Ich schaffe es, Sascha zuzulächeln.
Es tut mir wirklich gut, mit ihm zu reden.
Beim Gedanken an Martha fällt mir ein, daß sie mich anrufen wollte, sobald sie in Berlin angekommen ist.
Ich wühle in meinen Taschen, habe aber offensichtlich mein Handy vergessen.
Sascha bietet mir seins an.
Aber ich lehne dankend ab; Martha wüßte ja, daß wir beisammen sind. Weil es nämlich ihre Idee gewesen sei, daß ich mit ihm reden soll.
Ich weiß zwar nicht wieso, aber diese Frau liebt dich.“
Ich weiß es ja auch nicht, warum sie sich freiwillig mit so einem chaotischen, komplizierten Typen rumschlägt.
Kannst dich echt glücklich schätzen mit ihr.“, fügt er hinzu und lächelt mich vielsagend an.
Ich weiß. Und glaub mir, das tue ich.
Ja. Jede andere hätte mich längst verlassen.“
Ich trinke mir mit Sljivovic ein wenig Mut an.
Meine Eltern … sind gestorben.“
Meine Zunge ist schwer wie Blei und das liegt nicht an dem bisschen Alkohol.
Und wie?“
Kroatische Bürgermiliz. Bei uns zuhause.“
Wieder sehe ich die grausame Szene vor mir.
Und du?“, hallt Saschas Stimme wie aus der Ferne an mein Ohr.
Ich war zuhause.“
Sascha fährt sich durch die Haare und das „phhh“, das er von sich gibt, macht mir klar, daß er sehr wohl nachfühlen kann, was ich durchgemacht habe.
Hast dir den ganzen Scheiß angeguckt?“, fragt er.
Ja. Alles. Alles habe ich gesehen.
Viel mehr als ich sehen wollte.
Als jemand je sehen sollte.
Ich starre eine Weile in den Pool im No Limits und fordere Sascha dann auf, von seinen Eltern zu erzählen.
Sein Vater sei bei der Miliz gewesen.
Er hätte viele Einsätze gehabt und sei immer wieder nach Hause gekommen, sodaß Sascha dachte, sein Vater sei unverwundbar.
Ja, als Kind denkt man immer, die Eltern wären bis in alle Ewigkeit für einen da.
Bis zu dem einen Tag.“
An Saschas Stimme und daß er verstummt, merke ich, was nun kommt.
Wie ist es passiert?“
'Ne Handgranate hat ihn erwischt.“
Trotz der saloppen Ausdrucksweise spüre ich, daß Sascha das zwar verarbeitet haben mag, aber seinen Vater ebenso vermißt wie ich meinen.
Alles, was unser Nachbar noch nach Hause bringen konnte, war diese Marke. Ich trag sie jeden Tag bei mir.“
Es spricht für ihn, daß er diese Erinnerung an seinen Vater stets bei sich hat.
Er reicht mir das kleine Stück Blech und steht auf, um uns noch was zu trinken zu holen.
Bewegt von unserem Gespräch betrachte ich die Marke näher.
Sie kommt mir so vertraut vor.
Während schemenhaft Bilder durch meinen Kopf rasen, hole ich die Marke aus meiner Tasche; jene, die mein Vater seinem Mörder abgerissen hat.
Ich halte sie aneinander – sie passen perfekt zusammen.
Ich blicke zu Sascha hinüber, der an der Theke steht.
Und plötzlich lodert heiß der Haß in mir auf.
Stärker als jedes andere Gefühl stehe ich innerlich in Flammen.
Niemals verzeihen, niemals vergessen.
Ich sehe nicht Sascha.
Ich sehe den Mörder meines Vaters.
Und ich will Vergeltung.
Es ist nichts verziehen und nichts vergessen ...

Ein Teil von mir weiß, daß gerade etwas gewaltig schief läuft.
Aber dieser Teil wird kontrolliert von dem weitaus größeren, der zu keinem rationellen Denken mehr fähig ist.
Haß ist ein ebenso starkes Gefühl wie die Liebe.
Und er kann genauso zerstörerisch sein wie sie.
Der Vulkan bricht aus und glühende Lava bricht sich Bahn.
Der Vulkan bin ich.
Über zwanzig Jahre schlummerte er.
Um jetzt mit Wucht alles herauszuschleudern.
Wie ein Korken, der dem Druck unter ihm nachgibt.
Nur viel, viel stärker.
Eine Stimme tief in mir sagt mir, daß ich im Begriff bin, den größten Fehler meines Lebens zu machen.
Aber ich bin nicht imstande, auf sie zu hören.
Ich will Rache.
Vielleicht nur aus der Verzweiflung heraus, daß dann alles ein Ende hat.
Der Schmerz, den ich fühle.
Daß endlich endet, was an diesem einen Tag vor langer Zeit begann.
Äußerlich völlig ruhig, beginne ich damit, die Ausführung meiner Rache zu planen …

4395
Wie mechanisch aufgezogen gehe ich nach oben zur Theke.
Auf seltsame Weise ist alles um mich herum wie ausgeblendet; die Menschen, die Geräusche …
Je stärker der Haß in mir wütet, desto ruhiger werde ich nach außen.
Dann stehe ich neben ihm.
Was er sagt, höre ich nicht.
Ich lege die Marke vor ihm auf die Theke.
Blechernes Zeugnis einer grausamen, unnötigen Bluttat.
Ich habe das Gefühl, daß die tätowierten Buchstaben auf meinem Arm mir gerade noch einmal eingestochen werden.
Er wundert sich über mein Verhalten, sieht mich verständnislos an.
Er sollte es wissen.
Und wenn er es nicht weiß, werde ich dafür sorgen, daß er sich erinnert.
Niemals verzeihen, niemals vergessen.
Wortlos gehe ich.

*******

Dann bin ich zuhause.
Blicke auf die Marke und sehe wieder die Bilder vor mir.
Meinen Vater, wie er seinem Mörder die Marke abreißt.
Die leblosen Körper von ihm und meiner Mutter.
Aber diesmal will ich sie sehen.
Jedes einzelne Detail.
Ich versuche nicht wie sonst, die Bilder abzuschütteln.
Und diesmal sehe ich auch ihn, sein Gesicht …
Und er ist hier …
All die Jahre des Hoffens, ihm einmal zu begegnen … und nun geschieht, auf was ich letztlich nicht mehr zu hoffen wagte.
Daß ich meine Rache ausüben darf.
Meinen Schwur einlösen …

*******

Ich habe über den Club meine Kontakte spielen lassen.
Treffe meinen Mann am Rheinufer.
Geld und Waffe wechseln den Besitzer.
Dann melde ich mich bei ihm.
Wenn er kein feiges Arschloch ist, stellt er sich mir.
Und trägt die Konsequenzen für sein Handeln.
Der Vulkan brodelt, aber ich bin äußerlich immer noch völlig ruhig.
Der Gedanke, meinen Racheschwur bald einlösen zu können, erfüllt mich mit tiefer Befriedigung.
Es ist, als ob die Erlösung für jahrelange Qual naht.
Ich weiß, ich werde mich befreit fühlen.

*******

Er ist hier.
E ist tatsächlich gekommen.
Ich höre ihn, als er telefoniert.
Er ist arglos, er hat keine Ahnung, was ihn erwartet.
Daß er gleich bezahlen wird.
Bezahlen für den sinnlosen Tod meiner Eltern.
Langsam und leise nähere ich mich ihm.
Und dann stehe ich vor ihm.
Von Angesicht zu Angesicht.
Es soll nicht schnell gehen.
Er soll vorher begreifen, warum er bezahlen soll.
Er soll die Todesangst spüren, die meine Eltern gefühlt haben.
Ohne Vorwarnung schlage ich ihn nieder.

*******

Als er wieder zu sich kommt, ist er an einen Stuhl gefesselt.
Ich trete dicht vor ihn.
Er verlangt, daß ich ihn losmache.
Ich greife nach der Kette um seinen Hals und reiße ihm die Marke runter.
Halte ihm seine und meine Hälfte unter die Augen.
Was ist das?“, herrsche ich ihn an, obwohl ich es weiß.
Aber er soll es mir sagen.
Die Erkennungsmarke meines Vaters.“
Ja, du Bastard.
Deines Vaters.
Ob Vater oder Sohn, es macht keinen Unterschied für mich.
Wenn ich ihm ins Gesicht sehe, ist es, als würde ich den Mörder selber anblicken.
Woher hast du die?“, fragt er aufgebracht.
Es war so ein schöner Tag.“, sage ich ganz ruhig.
Ein schöner Tag, der zum schlimmsten meines Lebens wurde.
Ich erzähle ihm, wie die Männer unser Haus stürmten.
Er hat sie einfach so erschossen.“
Das war nicht mein Vater!“
Oh doch!
Ich weiß nicht, wie lange ich in dem Schrank gesessen habe. Vielleicht ein paar Stunden. Als ich rausgeklettert bin, da lag mein Vater auf dem Boden. Und das hier hatte er in der Hand.“
Mit diesen Worten werfe ich das Beweisstück der Gräueltat hinter ihm auf den Boden.
Das kann nicht sein, Juri! Das kann nicht sein!“, jammert er und will nicht erkennen, zu was sein Vater fähig war.
Zwanzig Jahre. Zwanzig Jahre habe ich darauf gewartet.“
Endlich den Mord an meinen Eltern rächen zu können.
Dein Vater hat meine Familie ausgelöscht.“
Es war Krieg! Was kann ich dafür?“
Du bist ein Vukovic.“
An deinen Händen klebt das Blut meiner Eltern ganz so, als ob du selbst sie erschossen hättest.
Ich packe ihn mit den Händen hart am Hals.
Komm runter, Alter und mach mich los!“, zischt er.
Ich bin ganz ruhig, Junge.
Ruhiger als je zuvor.
Weil ich endlich erfüllen kann, was ich mir selbst geschworen habe.
Juri, schau mich an! Ich war das nicht! Der Krieg ist vorbei!“
Nicht für mich.“
Noch nicht. Aber bald.
Ich trete hinter ihn, ziehe ihm den Kopf an den Haaren nach hinten und präsentiere ihm meinen Unterarm.
Niemals verzeihen, niemals vergessen.“
Ich weiß, daß deine Eltern tot sind. Meine auch. Und tausend andere Menschen auch! Es war Krieg!“
Das ist keine Entschuldigung.
Du wirst dafür bezahlen.“
Ich bin nicht mein Vater!“
Auch das ist für mich keine Entschuldigung, sondern nur der feige Versuch, die eigene Haut zu retten.
Was willst du jetzt machen? Mich umbringen?“
Ja, winsele um dein Leben.
Nicht mal die Chance hatten meine Eltern.
Juri, du kennst mich doch.“
Ich mach's wie dein Vater.“
Ich knall dich einfach ab.
Ich richte die Knarre auf ihn.
Juri, wir sind doch Freunde.“
Das zählt in einem dreckigen Krieg nichts mehr.
Ich mach's wie dein Vater.“, wiederhole ich und lache ihm unbarmherzig ins Gesicht.
Leg diese verdammte Waffe weg, Juri! Noch ist nichts passiert.“
Nein, noch nicht.
Du darfst ruhig noch einen kleinen Augenblick Todesangst kosten.
Es ist schon viel zu viel passiert.“, lasse ich ihm keinen Zweifel, was sein Schicksal angeht.
Juri, bitte!“, fleht er mich an.
Ich koste diesen Moment aus.
NEIN!!!“, dringt eine mir sehr vertraute Stimme in mein Bewußtsein.
Und irgendetwas passiert mit mir.
Ich weiß nicht, was es ist.
Aber es ist diese Stimme, die nicht nur an mein Ohr dringt, sondern ganz tief in mein Inneres …

4396
Martha!
Was zum Geier tut sie hier?
Warum ist sie nicht in Berlin?
Juri, was tust du hier?“
Was ich tun muß.
Sein Vater hat meine Familie ausgelöscht!“, erkläre ich ihr zornig.
Juri, leg bitte die Waffe weg.“, höre ich ihre flehende, eindringliche Stimme.
Das hier geht sie nichts an.
Und ich will nicht, daß sie es sieht.
Ihre Worte mögen unverstanden am Haß, an der Rache abprallen.
Aber das Entsetzen und die Angst in ihrer Stimme dringen tief in mich ein.
In mir arbeitet es.
Kräfte streiten miteinander.
Der Haß, die Rache haben die Oberhand.
Die Erkennungsmarke ist der Beweis! Er hat sie die ganze Zeit um den Hals gehabt!“, spricht der Haß aus mir. „Ich hab's nicht mal gemerkt.“
Sie klettert durch die Seile und kommt auf mich zu.
Wieder sage ich ihr, daß sie sich raushalten soll.
Verdammt, warum mußte sie jetzt hier auftauchen?
Doch eine leise Stimme in mir ist froh, daß sie hier ist.
Der Haß und die Rache bemühen sich, diese Stimme zu übertönen.
Martha! Hau ab!“
Es ist fast, als ob die destruktiven Kräfte in mir Martha als eine Bedrohung für die Ausführung meiner Rache ansehen.
Immer noch habe ich die Waffe in der ausgestreckten Hand.
Ich will meine Rache vollenden.
Ich muß sie vollenden.
Aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich es noch kann.
Ich schwitze.
Längst schon bin ich auch äußerlich nicht mehr ruhig.
Gib mir die Waffe.“, sagt sie und blickt mir gerade in die Augen.
Hau ab!“, brülle ich.
Ein Teil von mir bekommt Panik.
Panik davor, daß der andere Teil ihr etwas antun könnte.

*******

Was machst du hier?“, fragt sie und kommt auf mich zu.
Ich merke, wie ich vor ihr zurückweiche.
Ich hab gesagt 'Geh weg!'.“
Das geht nicht. Ich bleib genau hier. Weil … ich will mir nicht mein ganzes Leben lang vorwerfen, daß ich nichts getan hätte.“
Ich schlucke schwer.
Die Situation überfordert mich.
So war es nicht geplant.
Zwanzig Jahre ...“
Ich weiß.“, unterbricht sie mich.
Aber wenn du hier rumballerst … dann bist du ein Mörder.“
Nein, ich übe Rache. Das ist etwas anderes.
Du bist gerade dabei, Sascha umzubringen. Willst du das?“
Hör auf.“, sage ich.
Sie versteht mich nicht.
Das kann sie auch nicht.
Martha stellt sich genau zwischen Sascha und mich.
Ein Teil von mir begreift, daß die Waffe in meiner Hand nun auf Martha gerichtet ist.
Doch der Haß und die Rache sind immer noch stärker als alles andere.
Diese Gefühle kann man nicht einfach so abschütteln.
Warum machst du das?“, frage ich.
Ich verstehe nicht, warum sie nicht beiseite geht.
Ich will sie nicht verletzen.
Auf keinen Fall.
Weil ich dich liebe.“, antwortet sie.
Die leise Stimme in mir sagt mir, warum.
Weil sie mich vor mir selbst schützen will, der ich gerade dabei bin, mein eigenes Leben zu zerstören.
Doch der Haß und die Rache behaupten das Gegenteil.
Sie sind es doch, die mich am Leben gehalten haben.
Meinem Leben einen Sinn gaben.
Und weil ich glaube, daß es mehr wert ist als Rache.“, fährt sie fort.
Aber wenn es dir so wichtig ist … los!“
Und sie breitet die Arme vor mir aus.
Nach wie vor streiten die Kräfte in meinem Inneren.
Haß gegen Liebe.
Rache gegen Vernunft.
Wer gewinnen wird, weiß ich nicht.
Es ist ein erbitterter Kampf.
In dem ich auf merkwürdige Art und Weise nur Zuschauer bin.
Ich habe das Gefühl, neben mir zu stehen und kann nicht fassen, daß ich eine geladene Waffe auf Martha richte.
Auf die Frau, die ich liebe.
Auf die Frau, die ich heiraten will.
Mit der ich den Rest meines Lebens verbringen will.
Zieh durch! Knall mich ab! Es ist Krieg, oder?“
Ja, es ist Krieg.
Aber du bist doch nicht der Feind!
Ich bin der Kollateralschaden. Aber dann bist du keinen Deut besser als die Menschen, die du so sehr haßt.“
Ich will Rache.
Ich kann nicht vergessen und verzeihen.
Aber ich kann Martha kein Leid zufügen.
Ich will ihr nichts Böses antun.
Der Schweiß rinnt mir die Stirn herunter, während das Negative in mir gegen Martha ankämpft.
Widerwillig bemerke ich ihre Tränen.
Juri, du verdammter Idiot!, versucht die Stimme der Vernunft zu mir durchzudringen.
Du fügst ihr bereits Leid zu, indem du immer noch hier stehst, mit der Waffe in der Hand.
Ich weiß, du bist nicht so. Der Mann, den ich liebe, ist nicht so.“
Daß sie angesichts dieser Situation noch an das Gute in mir glauben kann, rührt etwas in mir an.
Du bist nicht so. Hab ich Recht?“
Ich weiß nicht, ob ich darauf mit Ja antworten kann.
Doch langsam sinkt mein Arm nach unten.
Langsam läßt meine Hand die Waffe fallen.
Langsam drehe ich mich um.
Ich höre, wie Martha hastig Sascha von seinen Fesseln befreit.
In mir toben immer noch wilde Emotionen.
Aber unter den Haß, die Rache, die Liebe haben sich nun auch Scham und Schuldgefühle gemischt …
Martha kommt zu mir.
Es ist vorbei.“
Ist es das?
Komm, wir gehen jetzt nach Hause.“
Ich nicke nur.

*******

Wortlos gehen wir nach Hause.
Wortlos hocke ich mich auf's Bett, sie sich mir auf einen Stuhl gegenüber.
Sie sieht mich an.
Ich spüre, daß auch in ihr die Emotionen toben.
Entsetzen, Angst. Vielleicht auch Abscheu.
Guck mich nicht so an.“
Wie guck ich denn?“
So, als hätt' ich mich da reingesteigert.
Die Stimme der Vernunft in mir weiß, daß es genau so ist.
Hast du doch auch ein bisschen, oder? … Du … wolltest einen Menschen töten, der bei dem Mord an deinen Eltern nicht mal dabei war.“
Spielt das wirklich keine Rolle für mich?
Seines Vaters Blut ist auch sein Blut.“, versuche ich mich zu rechtfertigen.
Aber Sascha kann nichts dafür! Und außerdem … ist es Vergangenheit.“
Vergangenheit?“, frage ich.
Die Vergangenheit ist meine Gegenwart.
Ich seh das jeden Tag.“
Immer wieder auf's Neue.
Wie meine Eltern sterben.
Das kann, das darf niemals vergangen sein.
Vergessen werden.
Okay.“, sagt Martha und steht auf. „Ich versteh das. Die Wut. Daß da ein Trauma ist, das dich quält. Aber … es ist eine ganz andere Sache, daß man einen Menschen töten will, der nichts anderes verbrochen hat, als der Sohn eines Mörders zu sein. Das geht nicht. … Ich muß eine Sache wissen ...“
Was?“, frage ich, obwohl ich es weiß.
Wenn … ich nicht da gewesen wäre … hättest du Sascha umgebracht?“
Ich weiß es nicht. Ich denke ja.
Ich sehe sie an und sage nichts.
Mir ist klar, wie sie mein Schweigen deuten wird.
Aber die Konsequenzen muß ich wohl tragen.
Wortlos verläßt Martha die Wohnung.
Läßt mich allein.
Aber ich denke, das ist gut so.
Ich habe nachzudenken.
Es ist nämlich noch lange nichts vorbei …

*******

Obwohl ich mich wie erschlagen fühle, vibrieren meine Nerven.
Rastlos laufe ich auf und ab.
Um runterzukommen, gieße ich mir ein großes Glas Sljivovic ein.
Mein Blick fällt auf die Tätowierung auf meinem Unterarm.
Niemals vergessen, niemals verzeihen!, hallen die Worte in meinem Kopf.
Dieser Schwur ist ein Fluch!
Ein böser Fluch, der mich innerlich zerfrißt.
Wie ein bösartiges Geschwür, das lange unentdeckt bleibt, bis es schließlich tötet.
Die Erkenntnis, daß ich nicht imstande bin, dagegen anzukämpfen, macht mich fertig.
Klirrend bricht das leere Glas in meiner Hand.
Doch der Schmerz, den die scharfen Splitter verursachen, ist nichts gegen die Qual in meinem Inneren …

*******

Ich gehe duschen, bediene mich noch einmal am Sljivovic und lege mich ins Bett.
Nicht um zu schlafen.
Ich weiß, daß ich das nicht kann.
Aber wenn schon der Geist unruhig ist, kann wenigstens der Körper ruhen.
Ich bemühe mich nicht, abzuschalten.
Ich weiß, daß es falsch wäre, wieder alles zu verdrängen.
Nun rächt sich, daß ich mir immer eingeredet habe, klarzukommen.
Ich denke an Martha und daß ich möglicherweise die Chance auf ein glückliches Leben mit ihr verspielt habe.
Auf ihre Frage, ob ich Sascha getötet hätte, habe ich nichts gesagt.
Sie kann nicht anders, als das als ein Ja zu deuten.
Und wird mich kaum noch so lieben können wie zuvor.
Ich hasse mich wieder mal selbst.

Martha kommt nach Hause.
Sie legt sich neben mich auf's Bett.
Ich stelle mich schlafend, weil ich nicht willens bin, mit ihr zu reden.
Nicht, bevor ich mit mir im Reinen bin.
Eine Entscheidung getroffen habe.
Ich spüre ihre Fingerspitzen auf meiner Haut; sie ist unsicher.
Vielleicht hat sie auch Angst.
Wenn ich eines ganz sicher nicht wollte, dann sie unglücklich machen.
Und das habe ich.
Sie dreht sich weg.

Ich fühlte mich so selbstgerecht, als ich meine Rache plante.
Aber ich denke, Martha hat Recht.
Hätte ich Sascha getötet, hätte ich mich mit seinem Vater auf dieselbe Stufe gestellt.
Das ist es ganz sicher nicht, was ich will.
Aber es wäre so gewesen, das kann ich nicht leugnen.
Auch wenn dasselbe Blut in ihm fließt – Sascha kann nichts für die Taten seines Vaters.
Und nein, er ist auch nicht wie er.
Das sollte ich mir eindringlich klar machen.
Es ist falsch, meinen Haß auf ihn zu projizieren, nur weil das eigentliche Ziel meiner Rache nicht mehr greifbar ist.
Saschas Vater hat seine Strafe bekommen, indem er an der Granate krepiert ist.
Ich muß nicht Richter spielen.
Nur, daß die Vergangenheit vergangen ist … das gilt nicht für mich.
Ich drehe mich leise rum, sehe zu Martha und hoffe, sie schläft.
Ich bin mir nicht sicher, ob sie bei mir ist, weil sie bei mir sein will oder weil sie meint, sie muß, um mich vor weiteren Dummheiten zu bewahren.

Stunden vergehen über meinen quälenden Grübeleien.
Ich bin gleichzeitig Ankläger und Angeklagter.
Der eine macht dem anderen schwere Vorwürfe, daß er es so weit hat kommen lassen.
Ich habe mir immer eingeredet, daß meine Rache nie jemand anderen als den Schuldigen treffen würde.
Und nun muß ich erkennen, wieviele Unschuldige dabei unter die Räder kommen.
Sascha. Martha.
Sascha, der eigentlich ein guter Freund ist.
Der geholfen hat, daß Martha und ich zusammen gekommen sind.
Martha, die Frau, die mich so liebt, wie ich bin.
Beide waren sie immer für mich da, wenn ich sie gebraucht habe.
Und was tue ich ihnen da an?
Juri, zerstöre meinetwegen dein eigenes Leben.
Aber nicht ihres!
Dazu hast du kein Recht!
Hat Martha gar nichts an dir verändert?
Hattest du nicht mal das Gefühl, daß sie einen besseren Menschen aus dir macht?
Wo ist dieses Gefühl hin?
Ausgelöscht durch ein kleines, verrostetes Stück Blech?
Ich fühle mich beschissen.
Scham und Reue treiben mir die Tränen in die Augen.
Und ich habe keine Ahnung, wie ich an den einzigen Menschen, die mir etwas bedeuten, wiedergutmachen soll, was ich angerichtet habe.

Als der Morgen graut, bin ich auf.
Ich muß raus an die frische Luft.
Und dann will ich mit Sascha reden.
Solange diese Sache zwischen uns steht, werde ich auch mit Martha nicht ins Reine kommen.
Sie schläft noch und ich lasse sie schlafen.
Ich habe ihr gestern mehr zugesetzt, als ihr gut tut.

*******

Ich laufe eine große Runde.
Schweren Herzens betrete ich anschließend LCL, wo ich hoffentlich Sascha treffen werde.
Ich muß es hinter mich bringen.
Was ich machen soll, wenn er nicht mit mir reden will, weiß ich nicht.
Ich sehe ihn bei Martha stehen.
Hast du kurz Zeit? Laß uns reden.“
Er sieht mich kurz an und meint dann „Okay.“
Er ist verdammt cool. Läßt sich auf einen Schwatz mit dem Kerl ein, der ihm gestern noch eine Kugel in den Leib jagen wollte.

Wir gehen runter zum Rhein.
Weißt du, was Martha mich gestern gefragt hat?“
Was?“
Ob ich wirklich geschossen hätte. Wenn sie nicht dagewesen wäre.“
Hättest du.“, sagt er nüchtern. „Du hättest geschossen.“
Ich fürchte, er hat Recht.
Glück für mich.“, meint er.
Für mich auch.“
Sie liebt dich.“
Ja.“
Ich glaube, wir verstehen beide nicht, wieso.
Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht hab.“
Mir ist bewußt, wie hohl das klingt.
Als ob ich darauf pochen könnte, ein bisschen neben der Spur gewesen zu sein.
Ich bin zu weit gegangen.
Viel zu weit.
Es tut mir leid.“
Hör auf, Mann.“
Ich verstehe, daß ihm ein 'tut mir leid' nicht reicht.
Nein, ich mein's ernst. Es tut mir leid, was ich da gemacht hab.“
Ich wünschte, ich könnte besser mit Worten umgehen.
Aber die Scham und die Schuldgefühle schnüren mir fast die Kehle zu.
Er wendet sich mir zu und ich hoffe, daß wenigstens meine Augen eine deutliche Sprache sprechen.
Bange Sekunden vergehen, die sich mir zur Ewigkeit dehnen.
Dann deutet er mit einer einladenden Bewegung seiner Arme an, daß er bereit ist, zu verzeihen.
Und ich zögere keine Sekunde und nehme dankbar an.
Drücke ihn erleichtert an mich.
Vielleicht kann er nicht vergessen. Aber verzeihen.
Er beweist mir, daß es möglich ist.

Als wir uns aus der versöhnenden Umarmung lösen, fällt unser Blick auf Martha, die uns aus einiger Entfernung beobachtet.
Sascha klopft mir aufmunternd auf die Schulter und drückt so aus, daß er mir für das Folgende viel Glück wünscht.
Mir schlägt das Herz bis in den Hals, als Martha sich mir nähert.
Ich wage es nicht, sie anzusehen.
Ich hab dir Angst gemacht.“
Eine Scheißangst, ja.“
Glaub mir, das hab ich nie gewollt!
Danke. Ohne dich … ich kann dir nicht versprechen, daß von einem auf den anderen Tag alles … daß nichts mehr da ist. … Und wenn du mich verlassen willst, dann kann ich das verstehen.“
Sehr gut sogar.
Obwohl ich innerlich bitte und flehe, daß sie es nicht tut.
Aber das sage ich nicht.
Sie soll frei entscheiden. Was sie sich selber zumuten will.
Ich sehe sie an.
Und sie mich.
Ich sehe Schmerz in ihren Augen.
Es ist so hart für sie, mich zu lieben.
Und dann …
Ich will dich nicht verlassen. Ganz im Gegenteil.
Sie lächelt und weint gleichzeitig.
Mir steht auch das Wasser in den Augen.
Unbeschreiblich erleichtert lehne ich meine Stirn an ihre und kann mein Glück kaum fassen.
Allerdings, so meint sie, müßten wir noch was loswerden. Und zieht die Waffe aus ihrer Tasche, die beinahe mehr als nur ein Leben zerstört hätte.
Sie will, daß ich sie ins Wasser werfe.
Und ich tue es ohne zu zögern und im vollen Bewußtsein, daß dies endgültig ein Schlußstrich unter das 'niemals vergessen, niemals verzeihen' sein muß.
Ich werde mich in Therapie begeben, damit sich nie wieder wiederholt, was gestern passiert ist.
Doch erst einmal ziehe ich Martha in meine Arme.
Was habe ich ihre Nähe, ihre Wärme vermißt …

4400
Martha begleitet mich zu LCL.
Wir gehen ganz gemütlich zu Fuß; das Wetter ist schön.
Wir haben uns ein paar Tage der Entspannung gegönnt, die wir beide auch sehr nötig hatten.
Wir mußten erstmal wieder zur Ruhe kommen; das Geschehen hat uns beide ziemlich mitgenommen.
Ich frage Martha, wann ihr Zug morgen geht.
Nachmittags. Also haben wir heut den ganzen Tag und den Abend. Ich dachte, ich koch uns was Schönes und dann … feiern wir Abschied.“
Das Wort Abschied höre ich nicht gern.
Ich freue mich für Martha – ein eigener Laden in Berlin, das ist wirklich großartig.
Aber ich spüre immer deutlicher, wie es mir zusetzt, daß sie bald weit weg von mir sein wird.
Ich habe keine Angst, daß unsere Beziehung an der Entfernung zerbricht.
Aber ich habe Angst vor dem Alleinsein.
Ich brauche sie.
Jetzt mehr als je zuvor.
Ihr gegenüber versuche ich, mir nichts anmerken zu lassen.
Ich will nicht, daß sie bleibt, nur weil ich allein nicht klarkomme.
Sie ist offen zu mir und äußert ihre Bedenken, mich gerade jetzt allein zu lassen.
Ich versuche ihr klarzumachen, daß sie sich meinetwegen keine Sorgen machen muß.
Das, was passiert ist, wird sich nicht wiederholen.
Doch sie bleibt beunruhigt.
Ich nehme ihr Gesicht in meine Hände und küsse sie zärtlich.
Keine Angst.“
Das muß ich gerade sagen.

*******

Ich versuche, mich durch arbeiten von Marthas immer näher rückenden Abreise abzulenken.
Dabei sollte ich die Zeit doch nutzen und sie mit ihr verbringen.
Genau das sagt mir Sascha auch.
Als er eindringlich meint, ich solle doch den Abschied mit ihr feiern, verliere ich kurz die Beherrschung.
Denn Sascha führt mir meine Angst vor dem Alleinsein deutlich vor Augen.
Und er deutet auch meinen Temperamentsausbruch gleich richtig.
Es fällt dir also doch nicht so leicht, daß sie geht.“
Am liebsten würde ich gerne mitgehen.“
Und warum machst du das nicht?“
Darüber habe ich auch schon nachgedacht.
Und jetzt, wo Sascha es ausspricht, verstehe ich gar nicht mehr, warum ich so lange darüber nachdenken mußte.
Ich will mich nicht von ihr trennen.
Aber das muß ich auch nicht.
Ich werde auch in Berlin wieder akzeptable Arbeit finden.
Unangenehm ist, daß Martha meinen Ausbruch mitbekommen hat. Zwar hat sie nichts gehört, aber gesehen, wie ich scheinbar drohend dicht vor Sascha stand.
Fragt uns, ob alles klar bei uns ist.
Sascha grinst sie an und bejaht.
Ich hoffe, sie glaubt uns, daß alles in Ordnung ist.
Vor allem aber soll sie erstmal nicht wissen, daß ich mit nach Berlin gehe.
Damit will ich sie überraschen.

*******

Während ich Sascha klarmache, daß ich Martha überraschen will, mache ich mir einen Kaffee.
Du wirst mir fehlen.“, meint er auf einmal.
Das hätte ich jetzt nicht gedacht.
Aber ich fürchte, ich habe seine Freundschaft bisher auch nicht sehr zu schätzen gewußt.
Geschweige denn, sie erwidert.
Er meint, er hätte außer mir niemanden, mit dem er über den Kriegs-Scheiß reden könne.
Aber was red ich? Du hast es ja einfacher.“
Wie bitte?
Einfacher? Meine Eltern wurden vor meinen eigenen Augen erschossen.“
Sascha packt mich heftig an der Schulter und meint: „Also deine Eltern waren gute Menschen. Sei stolz auf sie. Aber mein Vater … mein Vater war ein Mörder. Verstehst du das?“
Ich brauche nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu begreifen, was los ist.
Und wie beschissen es Sascha geht, obwohl auch er sich nichts anmerken ließ.
Er läßt mich los und dreht sich weg.
Wo willst du hin?“
Ich hau ab.“
Bleib hier!“
Nein!“
Bleib hier!“
Mann, laß mich in Ruhe!“
Warte!“
Er haut ab und ich hinterher.
Den lasse ich in diesem Zustand nicht allein.
Martha will mich aufhalten, fragt, was los ist.
Männersache!“
Ich habe grad wirklich keine Zeit für lange Erklärungen.

Ich brauche eine Weile, um ihn einzuholen.
Er ist auf dem Weg zu der WG, in der auch Marthas Cousine Dana wohnt.
Dort hat er seit ein paar Tagen Unterschlupf gefunden.
Er mag mir nicht zuhören, meint, ich würde nicht verstehen.
Doch das tue ich sehr gut.
Es ist eine schreckliche Erkenntnis.
Er stürmt die Treppe hoch, ich hinterher.
Auch als er sich im Vorbeigehen eine Flasche Sljivovic schnappt und damit ins Bad marschiert, bin ich ihm auf den Fersen.
So leicht wird man mich nicht los.
Er schaltet das Radio ein; mir ist klar, er will den Kopf zumachen und nicht mehr grübeln.
Das kenne ich nur zu gut.
Aber ich habe endlich begriffen, daß man sich mit der Verdrängungstaktik nur selbst schadet.
Früher oder später kommt alles wieder hoch.
Also lasse ich ihn nur so lange in Ruhe, bis er soviel Alkohol intus hat, daß er sich stumm auf den Wannenrand hockt.
Ich versuche, in ihn zu dringen, ihm klarzumachen, daß ich ihm die Taten seines Vaters nicht nachtrage.
Er packt mich, schüttelt mich und fragt: „Und wieviele andere, Juri? Wieviele?“
Mir ist klar, was er meint.
Wir werden aber nicht erfahren, wieviele Menschenleben sein Vater auf dem Gewissen hat.
Und Sascha sollte es auch besser nicht wissen.
Sein Blick fällt auf meine Tätowierung, deren Bedeutung er nun kennt.
Und mir ist klar, wie quälend dieses „nicht verzeihen“ für ihn sein muß.
Haß und Krieg … sowas wird nie enden, wenn man nicht verzeihen kann.
Ich begreife, daß außer mir niemand da ist, der Sascha helfen kann.
Weil ich der einzige bin, der diese Verzeihung geben kann.
Ich muß mir erst noch etwas Mut antrinken für diesen Schritt.
Ich will es tun. Für Sascha. Weil er ein guter Freund ist.
Dem ich helfen muß. Dem ich helfen will. Und dem ich helfen kann.
Ich stehe auf, greife mir eine Rasierklinge und reiche sie Sascha.
Der starrt mich verständnislos an.
Soll ich mich rasieren, Alter? Wie hättest du's denn gern?“
Ich halte ihm meinen Unterarm vor die Nase und sage: „Mach da ein 'Verzeihen, aber nicht vergessen' draus.“
Vergessen kann und will ich nicht, was geschehen ist.
Aber verzeihen kann ich.
Er starrt mich immer noch verdutzt an, aber dann dämmert es ihm, worauf ich hinaus will.
Das meinst du wirklich ernst?“
Ja. Es wird Zeit, daß endlich Schluß ist mit dem Krieg, mit dem Haß. Es wird Zeit, daß wir beide unseren Frieden finden.“
Ich habe ein wenig Sorge, daß er es vermasselt, weil er schon ziemlich einen im Kahn hat.
Ich allerdings auch.
Aber ihm ist die Bedeutung des Augenblicks bewußt und er reißt sich zusammen.
Da wir keine Farbe haben und ich keine Lust, mit den Schminksachen der Ladies herumzuexperimentieren, bleibt es beim bloßen Einritzen. Aber es geht ja um die symbolische Handlung. Ich werde mir das später mal vernünftig stechen lassen.
Sascha ist nicht gerade zärtlich mit mir und ich werde etwas laut.
Auch, als Sascha mir anschließend vom Sljivovic über sein Gekritzel gießt.
Was seine Mitbewohner denken könnten, ist uns egal.
Als Sascha fertig ist, stoßen wir an. Trinken auf unsere Freundschaft, die jetzt unbelastet ist.
Gerade will ich raus, um uns Nachschub zu holen, denn die Flasche ist leer, als ich fast Martha in die Arme stolpere.
Sie ist ziemlich bleich und sieht erschrocken aus.
Ich bin durch den vielen Sljivo übermütig und außerdem freue ich mich, sie so unerwartet hier zu sehen.
Deshalb kann ich nicht anders, als sie zärtlich zu küssen.
Sie bemerkt das Blut und will sofort wissen, wo Sascha ist.
Denkt sie wirklich, ich hätte ihn hier im Badezimmer abgemurkst?
Kann doch bei fremden Leuten nich so'ne Sauerei veranstalten.
Martha und die anderen wollen wissen, was wir getrieben haben.
Sascha erklärt, daß er mich tätowiert hat.
Das ist zwar bissi übertrieben, aber egal.
Mit vom Sljivo nicht mehr ganz gehorsamer Zunge erkläre ich Martha die neue Bedeutung meiner Tätowierung.
Wir haben nämlich was verstanden. Der Krieg ist erst vorbei, wenn man sich gegenseitig verzeiht. Verstehst du? … Und, was denkst du?“
Ich find's wunderbar.“, lächelt sie uns glücklich an.
Und küßt mich.
Das fühlt sich so herrlich an, daß ich sie zu einem zweiten Kuß an mich ziehe.

*******

Das nächste, was passiert, ist, daß es dunkel ist und ich Stimmen höre.
Die Stimmen kommen mir bekannt vor.
Eine gehört Martha.
Die andere Sascha.
Nebulös dringt in mein Hirn, daß er sich wundert, was er hier macht.
Wo bin ich, wo sind wir überhaupt?
Es riecht vertraut.
Ich glaube, wir sind bei uns zuhause.
Und dunkel ist es, weil ich den Kopf unter der Decke habe.
Ich glaube, da lasse ich ihn vorerst auch.
Martha versucht, sich zu erinnern.
Balkan-Party.“
Stimmt. Wir hatten wenig Lust, den anderen WGlern groß was zu erklären und fanden, weil die Sache nur uns drei was angeht, daß auch nur wir drei unseren Neuanfang feiern sollten.
Das isses nämlich, was passiert ist.
Ein Neuanfang.
Sind dann im No Limits eingekehrt.
Wir haben Sljivovic getrunken.“, stellt Sascha fest.
Yep. Reichlich. Ich glaub, mir läuft er noch aus den Ohren.
Ja. Zuviel. Und dann hast du dich geweigert, nach Hause zu gehen.“
Hab ich das?“
Du wolltest deinen alten Kumpel Juri nicht alleine lassen. Uns blieb nichts anderes übrig, als dich mitzunehmen.“
Stimmt. Sascha war ausgesprochen anhänglich. Ich dachte schon, sein Arm würde an meiner Schulter festwachsen.
Ich bin erleichtert, festzustellen, daß ich meine Hose noch anhabe.
Denn in dem Moment, wo wir das No Limits verließen, ist wohl mein Film abgerissen.
Langsam wühle ich mich unter der Decke hervor und setze mich auf.
Verdammt, ist das hell hier.
Und die Scheiß-Vögel da draußen machen einen Höllenlärm.
Ich drehe mich erst zu Sascha um, der mir zugrinst.
Dann zu Martha, die winkt und auch grinst.
Sehe ich so komisch aus?
Sascha macht Anstalten, aufzustehen.
Dabei bemerke ich, daß er sich mein Kissen gekrallt hat.
Schnell stopfe ich es mir in den Rücken, eine zweite Chance darauf bekommt er nicht.
Ich mach uns dann mal Kaffee und hau ein paar Eier in die Pfanne.“, meint er und steigt aus dem Bett. „Hast du Eier, Alter?“
Eier? Was für Eier? Ich hab nicht mal 'ne Küche.“
Jedenfalls keine, die man so nennen kann.
Ehm, Sascha, ich würd' mich eigentlich ganz gern noch von Juri verabschieden. Also ...“
Marthas Tonfall und wie sie sich an mich kuschelt, lassen keinen Zweifel daran, auf welche Weise sie sich von mir verabschieden möchte.
Wieso verabschieden? Alter, hast du es ihr ...“
Sascha!“
Mann, halt die Klappe! Das soll doch 'ne Überraschung werden, schon vergessen?
Bitte!“ Ich sehe ihn warnend an.
Glücklicherweise hat der Sljivo noch genügend Hirnzellen übriggelassen, daß er kapiert.
Und Martha hat zum Glück nicht gemerkt, daß er sich beinahe verplappert hätte und hält ihn einfach noch für ziemlich verpeilt.
Vor sich hin grummelnd zieht Sascha Richtung Tür davon. Die dann auch hinter ihm zuklappt.
Ein klein wenig fühle ich mich schuldig, daß wir ihm so deutlich das Gefühl geben, gerade sehr unerwünscht zu sein und er ohne Kaffee und ‚ne kurze Dusche abhauen muß.
Aber Marthas warmer Körper an meinem und ihr zärtlicher Blick lassen mein schlechtes Gewissen schnell verschwinden.
Du … weißt du was? Ich würde wahnsinnig gerne zum Abschied mit dir duschen.“, sage ich zu meiner Süßen.

Es ist nicht das erste Mal, daß wir gemeinsam duschen, das tun wir oft.
Und es ist auch nicht das erste Mal, daß wir unter der Dusche Sex haben.
Trotzdem ist es diesmal was Besonderes.
Und besonders schön auch.
Ich habe nur keine Ahnung, wie ich noch einen halben Tag lang vor Martha geheim halten soll, daß ich mit ihr nach Berlin gehe …

4401
Als wir gut gelaunt aus der Dusche kommen, legt sich Martha einladend auf's Bett und erwartet offenbar mehr.
Ich bedauere es sehr, nicht darauf eingehen zu können; der Anblick ihres nur in ein Handtuch gewickelten Körpers ist verführerisch.
Und ihr Blick noch mehr.
Dummerweise muß ich für meine geplante Überraschung noch einiges erledigen. Wobei ich Martha natürlich absolut nicht gebrauchen kann.
Ich weiß, daß es so gut wie unmöglich ist, aus der Nummer raus zu kommen, ohne sie vor den Kopf zu stoßen.
Und natürlich ist sie sehr erstaunt, als ich ihr sage, daß ich arbeiten will.
Sie meint, sie hätte gehofft, wir würden im No Limits frühstücken, uns mit Dana treffen und dann eben die restlichen Stunden gemeinsam verbringen.
Sie schmiegt sich von hinten an mich, legt mir ihre warmen Hände auf die Brust.
Ich seufze innerlich tief auf und täte nichts lieber, als mich wieder an sie zu kuscheln.
Ich müsse halt noch was erledigen, meine ich.
Ich hätte es mit den Arbeitszeiten sonst doch auch nicht so genau genommen, meint sie prompt.
Stimmt, erst recht, wenn sie nur mit einem Handtuch bekleidet vor mir stehen würde.
Ich versuche mich auf die Pelz-Tussi rauszureden, aber mir ist klar, daß Martha mich kaum verstehen kann.
Bleib doch hier. Schlaf noch ein bisschen.“, schlage ich ihr vor.
Ich komm mit zu LCL. Ist ja eigentlich auch egal, wo ich den letzten Tag mit dir verbringe. Hauptsache, wir sind zusammen.“
Mist, das hat mir gerade noch gefehlt!

*******

Bei LCL ist es noch schlimmer.
Ich muß so tun, als ob ich wirklich arbeiten will und bin mit den Gedanken doch ganz woanders.
Daß Martha wehmütig wird, ihren alten Arbeitsplatz betrachtet und sich an unsere erste Begegnung erinnert und wie das alles mit uns angefangen hat, macht es nicht besser.
Obwohl ich mich ihr gegenüber wie der letzte Arsch verhalte, lacht sie immer noch fröhlich und ist gut gelaunt.
Ich will sie frühstücken schicken, schlage ihr vor, sich mit Dana zu treffen, aber da meint sie, sie müsse noch unbedingt eine Sache erledigen.
Was, will sie mir nicht verraten, aber ich würde mich freuen.
Im Moment würde ich mich freuen, wenn sie endlich gehen würde, sodaß ich mich kümmern kann.
Da ich nicht darauf vertraue, daß sie lange wegbleibt, rufe ich sicherheitshalber Dana an.
Als ich ihr erkläre, daß ich mit Martha nach Berlin gehen will, ist sie vor Freude ganz aus dem Häuschen.
Und sofort bereit, mir bei meiner Überraschung für Martha zu helfen.
Schnell rufe ich auch Sascha an und frage ihn, ob der Kurier mit dem Paket schon da war.
Ursprünglich hatte ich vorgehabt, mich in Berlin wieder bei einem der Modehäuser als Designer anheuern zu lassen. Bis Sascha fragte, warum ich mich nicht mit Martha zusammentun würde. Es wäre doch schön, wenn wir den Laden gemeinsam führen würden.
Ich war sofort Feuer und Flamme für diese Idee.
Gemeinsam haben Sascha und ich den Laden 'Good girls, bad boys' getauft.
Ich habe eine Grafikdesignerin in Berlin gefunden, die sich den Laden angesehen und ein Ladenschild entworfen hat.
Und eine Fotomontage von Marthas, nein, unserem Laden mit dem geplanten Ladenschild befindet sich auf Leinwand gedruckt jetzt drüben im Lagerraum, durch Packpapier vor neugierigen Blicken geschützt.
Ich freue mich riesig darauf, Martha damit zu überraschen.
Hoffentlich klappt alles.
Soviele Leute reißen sich ein Bein aus, um alles Nötige in Windeseile zu deichseln.
Ich warte noch auf Denise' Rückmeldung, ob wir uns am Wochenende treffen können, um die Einzelheiten abzuklären. Ich hoffe, sie findet schnell noch eine Firma, die das Schild bis nächste Woche Samstag herstellen kann.
Da würde ich nämlich gerne mit Martha zusammen unseren Laden eröffnen.
Wenn ich mir was in den Kopf gesetzt habe ...

Viel zu schnell ist Martha wieder da.
Und erzählt mir munter, sie hätte meine Flüge.
Ich weiß erst nicht, was sie meint, bis sie mich darüber aufklärt, daß es meine Flüge nach Berlin sind, um sie dort nächste Woche zu besuchen.
Langsam bekomme ich ein schlechtes Gewissen, denn Martha ist nun nicht mehr so fröhlich, als ich so kurz angebunden bin und ihr auch noch sage, daß ich nicht weiß, ob ich nächste Woche Zeit habe.
Das muß sie verletzen, aber mir Idiot ist nichts Besseres eingefallen.
Warum habe ich nicht zum Schein zugestimmt; die Flüge hätte man später canceln können.
Noch blöder wird es, als Sascha dann auftaucht, mit dem zum Glück gut verpackten Bild unter'm Arm.
Er ist schlagfertiger als ich, aber Marthas Unverständnis über mein Verhalten wächst.
Glücklicherweise taucht jetzt Dana auf und flunkert ihr vor, sie müsse unbedingt heute noch mit ihr Dessous kaufen, denn morgen sei sie ja weg.
Ich merke, daß Martha das alles sehr seltsam vorkommt, aber Danas eindringliche Bitte kann sie nicht abschlagen.
Sie ruft mir ein „Bis später!“ zu.
Okay.“, meine ich nur und nicke.
Wieder fühle ich mich wie ein absolutes Arschloch.
Rasch entschlossen laufe ich zu ihr hinüber, als sie mit Dana vor dem Aufzug steht und küsse sie sehr zärtlich.
Immerhin lächelt sie nun wieder.

Sascha meint, bevor sie mich abschießt, solle ich Martha lieber sagen, was Sache ist.
Ich sag ihr überhaupt nichts.“, antworte ich stur.
Irgendwie habe ich mich in meine Idee, Martha zu überraschen, ziemlich reingesteigert.
Aber nachdem ich nun schon so weit gekommen bin, wäre es jammerschade, aufzugeben.

*******

Dana ruft an und meint, wir hätten ein Problem.
Martha will Berlin sausen lassen und hier bleiben.
Ich bin gerührt, daß Martha meinetwegen bleiben will, weil sie meint, sie müsse einfach da sein, wenn ich sie brauchen sollte. Sie meint, ich würde sie vermissen, würde ihr das aber nicht zeigen wollen, um ihr nicht im Weg zu stehen.
Sie ist bereit, alles aufzugeben, auf alles zu verzichten, was ihr wichtig ist … mir zuliebe.
Ich habe einen Kloß im Hals und würde sie jetzt gerne fest in meine Arme schließen.
Aber ich bemühe mich, nüchtern zu denken.
Daß Martha Berlin absagen will, ist eine mittlere Katastrophe für mein Vorhaben.

Die meisten Telefonate habe ich erledigt, als Martha wieder auftaucht und mir freudestrahlend erklärt, sie hätte die Lösung für unser Problem.
Was für ein Problem?
Ich wolle nicht, daß sie nach Berlin geht und das hätte sie jetzt verstanden.
Und deshalb würde sie bleiben.
Sie hätte eine Maklerin gefunden, die für sie den perfekten Laden für ihre Accessoires finden würde.
Das alles würde ein Stange Geld kosten, aber Hauptsache wäre, daß wir zusammen sind.
Ich bin einerseits wirklich gerührt, daß sie sich so um mich sorgt, aber sie wird mir noch meine schöne Überraschung kaputtmachen.
Meine Einwände, der eine Laden sei nicht zentral genug, der andere zu teuer und daß sie überhaupt schon den perfekten Laden in Berlin hätte, wischt sie weg.
Aber ich will keine egoistische Freundin sein, der die Karriere wichtiger ist, als ihr eigener Freund. Ich will nicht, daß du Verlustängste hast.“
So langsam liegen meine Nerven blank.
Ich brülle meine Anspannung raus, obwohl ich weiß, daß Martha sich meinen Ausbruch nicht deuten kann.
Ich habe keine Verlustängste, okay? Hab ich nicht! Martha, du denkst zuviel! Halt doch mal deine Füße still! Beruhig dich!“
Also hast du kein Problem mit einer Fernbeziehung?“
Doch. Und wie. Deswegen will ich ja mit nach Berlin.
Völlig konträr zu meinen Gedanken, zu meinen Gefühlen sage ich: „Nein.“

*******

Martha ist inzwischen durch mein Verhalten sichtlich beunruhigt und aufgebracht und so langsam beginne ich mich zu fragen, ob meine Überraschung rechtfertigt, ihr so zuzusetzen.
Juri, jetzt sag mir endlich, was ist los? Warum weißt du nicht, ob du mich am nächsten Wochenende in Berlin besuchen kannst? Was ist zum Teufel soviel wichtiger?“
Nicole unterbricht uns, weil sie eine Frage hat und ich bin froh, Martha eine Weile entkommen zu können, denn mein schlechtes Gewissen wächst.

*******

Ursprünglich hatte ich Martha meine Überraschung im No Limits präsentieren wollen, aber ich begreife, daß ich ihr mein für sie unerklärliches Verhalten nicht länger zumuten kann.
Die Fotomontage ist eh hier bei LCL und Sascha holt schnell Sekt zum Anstoßen.
Wir sind kaum fertig mit den paar kleinen Vorbereitungen, als Martha auf mich zustürmt, offenbar total wütend.
Wer ist Denise? Du hast nicht mal abwarten können, bis ich in Berlin bin?“
Woher zum Teufel weiß sie von Denise? Und was kann ich nicht abwarten?
Ich vermute, sie hat meine Idee erraten. Ich verstehe nur nicht, warum sie so sauer ist.
Hm ja, ich dachte, ich wollt's dir persönlich sagen.“
Persönlich? Das ist aber nett, daß du's nicht per Telefon oder SMS machst.“
Ich verstehe nicht, was hier abgeht.
Und daß Dana wild gestikulierend hinter Martha steht, hilft mir auch nicht auf die Sprünge.
Was?“
Oder per Fax, oder Email, was weiß ich!“
Sie steigert sich richtig in ihre Aufregung hinein.
Ich versuche sie dazu zu bringen, erst mal tief durchzuatmen.
Damit sie mir in Ruhe zuhört.
Ich will nicht atmen!“
Ich fasse sie bei der Hand und gehe mit ihr um meinen Arbeitstisch herum.
Lege das Paket mit der Fotomontage darauf.
Aufmachen.“
Was ist das?“
Aufmachen.“, wiederhole ich meine Aufforderung.
Wütend gibt sie nach.
Und hält einen Augenblick später die Leinwand in Händen.
Ich habe es selbst noch nicht in groß gesehen, es sieht geil aus.
Martha erkennt ihren Laden sofort.
Und ist verwundert, daß er ein Namensschild hat.
Dana erklärt Martha, daß Denise die Grafikdesignerin ist, die dieses Schild entworfen hat.
Ich lege meiner verdutzen Frau den Arm um die Schultern.
Und die kommt am Samstag auch zur Eröffnung unseres Ladens.“
Unser Laden?“
Ja. Ich zieh mit dir nach Berlin.“
Ne.“
Martha glaubt mir anscheinend nicht.
Mmh.“
Neee.“
Sie zweifelt immer noch, aber in ihren Augen sehe ich aufkeimende Hoffnung.
Ich wiederhole mein „Mmh.“ und nicke, während ich ihr lächelnd tief in die Augen sehe.
Und in der nächsten Sekunde fällt sie mir überglücklich um den Hals.
Ich strahle genauso wie sie und will sie gerade fest an mich ziehen, als sie mich küßt.
So innig, daß ich meine, vor Glück zu platzen.

4402
Meine Süße knutscht mich in Grund und Boden.
Sie ist vor Freude ganz aus dem Häuschen.
Das heißt, du kommst wirklich mit nach Berlin? Das glaub ich nicht. Du mußt mich kneifen.
Dieser Aufforderung komme ich gerne nach und Marthas süßer Arsch ist wie geschaffen dazu.
Ich war wohl deutlich genug, aber sie lacht.
Wir sind beide einfach glücklich.
Auch Dana freut sich mit uns, meint, da wir ja schon das Ladenschild hätten, bräuchten wir ja nur noch die Regale einräumen.
Martha redet sich in Begeisterung.
Deine Mode und meine Accessoires, auf den ersten Blick denkt man, das paßt nicht, aber auf den zweiten Blick ist es perfekt.“
Wie wir.“, flüstere ich ihr ins Ohr.
Martha kann nicht glauben, daß es heute schon losgehen soll.
Sie fragt mich nach meinem Vertrag mit LCL.
Die werden dich nicht so einfach gehen lassen, nicht von heut auf morgen.“
Ich regel das.“

*******

Ich mache direkt einen Termin mit der Geschäftsführung klar.
Inzwischen sind das Tristan von Lahnstein und diese Pelzschnepfe.
Ersterer erzählt mir was von einseitiger Vertragsverlängerung seitens LCL und so'n Zeug.
Ich mache klar, daß ich mir in meinen Vertrag habe schreiben lassen, daß ich gehen kann, wann ich will. Auch sofort.
Das will er mir nicht glauben.
Und das Huhn versucht mich einzuwickeln von wegen, die Zusammenarbeit sei doch bisher so erfolgreich gewesen und dank LCL sei ich jetzt wer.
Ich esse in Ruhe eine Banane und höre mir an, wie sie mich mit der bescheuerten Pelzkollektion ködern will.
Dann hab ich keinen Bock mehr auf das Gelaber.
Ich glaub, ich geh.“

*******

Martha hilft mir, mein Zeug bei LCL einzupacken.
Sie ist entsetzt, als ich jede Menge Entwürfe in den Müll werfe.
Du bist meine Inspiration.“, meine ich und küsse sie.
Sie meint dann, wenn ich sie hier nicht bräuchte, dann würde sie zuhause weitermachen, denn wir heute noch los wollten, müßten wir uns beeilen.
Nun ist sie es, die mich glücklich küßt.
Kaum ist sie weg, taucht die Berg auf und meint, hier dürfe nichts weggeschmissen werde, weil es alles geistiges Eigentum von LCL sei.
Ist mir wurscht.
Bitte. Neue Ideen sind sowieso besser.“
Aber auch die würden LCL gehören, meint sie.
Was wollt ihr von mir? Ich hab gekündigt.“
Nun ist es Sebastian von und zu, der mich von der Seite anmacht.
Ich hätte meinen Vertrag besser lesen sollen – Ansgar hätte sich abgesichert.
Wenn ich vorzeitig aus dem Vertrag aussteige, gehört mein Name und alles, was darunter vermarktet wird, noch fünf Jahre LCL.
Diese Höllenbrut von Lahnstein macht mich noch wahnsinnig.
So eine Scheiße!
Die Berg hat sichtlich Spaß daran, mich süffisant darauf hinzuweisen, daß ich ohne meinen Namen ein Niemand bin.
Nicht mit mir!
Ich muß hier erstmal raus …

*******

Auf dem Weg nach Hause zermartere ich mir den Kopf, aber es will mir keine Lösung einfallen. Dieser Sebastian ist Anwalt; der weiß, wovon er spricht und außerdem wird er seine Seite gut vertreten.
Nie hätte ich gedacht, daß die mich so reinlegen würden.
Ich weiß mir keinen Ausweg und das macht mich wahnsinnig.
In diesem Zustand komme ich zuhause an.
Marthas Onkel hilft ihr beim Packen.
Leider muß ich Marthas Fröhlichkeit einen Dämpfer verpassen.
Diese undankbaren Arschlöcher!“
Was ist'n los?“
Ich halte ihr den verdammten Vertrag hin.
Du gehst alleine nach Berlin.“
Es fällt mir nicht leicht, das auszusprechen, aber hab ich eine andere Wahl?
Ich sehe in Marthas enttäuschtes Gesicht und könnte schreien!

*******

Martha und ich sind draußen unterwegs; ich brauche Bewegung.
Martha schaut dabei in den Vertrag.
Und entdeckt unter anderem, was es mich kosten würde, wenn ich entgegen des Vertrags meine Sachen unter meinem Namen vermarkte – eine lächerliche Konventionalstrafe von einer Million Euro blüht mir dann.
Nach allem, was ich für die gemacht habe, wollen die mir meinen Namen nehmen, diese Schweine!“, brülle ich außer mir und schlage mit meiner Jacke auf einen Betonpfeiler ein, den mein Wutausbruch freilich wenig beeindruckt.
Ob ich meinem Anwalt mal diesen Vertrag gezeigt hätte, will Martha wissen.
Was für ein Anwalt?“
Klar, versteh ich ... und das Kleingedruckte magst du auch nicht.“
Ich bin Designer, ich will mich kreativ beschäftigen und keine Buchstaben dressieren.
Sicher, jetzt rächt sich das.
Aber was ist denn jetzt?“, will Martha wissen.
Bleib ich eben hier. Aber die sollen nicht denken, daß ich denen ein brauchbares Stück designen werde, nicht eins!“
Aber was willst du machen?“
Was ich machen will? Ich werde denen Hosen designen, bei denen das Arschloch offen ist. Damit sie endlich mal sehen, wer sie sind. Ich werde denen Tausendfüßlerkostüme designen, das werd' ich machen!“
Das Problem ist, wenn du das machst, wird das bestimmt ein Trend.“
Nun muß ich trotz der beschissenen Situation lachen.
Ich schwör dir, die werden froh sein, wenn ich hier weg geh. Das schwör ich dir!“
Niemand versucht mich ungestraft von meiner Frau zu trennen.
Martha meint enttäuscht, daß so aber nichts aus unserem gemeinsamen Durchstarten in Berlin würde.
Ihre Enttäuschung tut mir weh.
Ich ziehe sie an mich und während meine Hände sie tröstend liebkosen, ich ihr sage, daß schon alles wieder wird, spüre ich, wie sie sich entspannt.
Wir schaffen das!

*******

Ich treffe mich mit Sascha im No Limits.
Beim Sljivovic erzähle ich ihm von der ganzen Scheiße.
Ich versteh' immer noch nicht, wie die dich mit so 'nem billigen Trick hier behalten können.“, meint er.
Ich kann ja gehen. Nur den Namen muß ich hier lassen.“
Als was willst du gehen? Angela Merkel?“
Sehr witzig.
Nein, als Juri Adam kann ich gehen. Ich kann nur unter meinem Namen nicht arbeiten. - Ich mein, die nehmen dir deinen Namen weg, einem Mann!“
Ich gieße uns nochmal nach.
Du weißt, das ist das Persönlichste überhaupt. Den hast du von deiner Mama bekommen.“
Bei der Erwähnung meiner Mutter reise ich blitzschnell in die Vergangenheit.
Und habe eine Idee!
Ich trinke schnell aus.
Du siehst zwar nicht sehr intelligent aus, aber du bist ein Genie!“
Ich muß Sascha einfach küssen für die geniale Eingebung, die er mir beschert hat.
Dann spurte ich los.

*******

Ziemlich aufgeregt komme ich zuhause an.
Martha kann sich mein Gewusel nicht erklären.
Und erst recht nicht den Zettel, auf den ich ihr das Wort 'Korolok' kritzle.
So hat mich meine Mutter immer genannt. Das heißt 'kleiner König'.“
Echt jetzt?“
Und ich zeige ihr eines meiner Kinderfotos.
Da siehst du wirklich wie ein kleiner König aus, ganz stolz. Ein kleiner König, der sein eigenes Reich hat, seine eigenen Regeln. So warst du früher schon. Und so bist du heute noch.“
Ich hab das noch nie jemandem erzählt.“
Das versteh ich. Der Name erinnert dich an deine Mutter und auch daran, wie sie gestorben ist.“
Martha begreift natürlich nicht, warum ich ihr davon erzähle.
Wie deine Mutter dich genannt hat, das ist das Persönlichste, was du haben kannst.“, versuche ich Martha die Bedeutung zu erklären.
Und weißt du, wer das gesagt hat?“
Dalai Lama?“
Nein, Unser Kroate.“
Sascha? Aber ich versteh' nicht, was du damit meinst.“
Juri Adam ist Geschichte. Ab heute bin ich wieder Korolok.“
Dieser Name wird mich künftig nicht mehr an dunkle Zeiten erinnern.
Ich mache aus ihm etwas Positives. Das Symbol für unseren Neuanfang in Berlin.
Und was hat das mit LCL zu tun?“
LCL … diese Leute … die können ja meinen Namen haben, aber für die arbeite ich nicht mehr. Okay, das wird vielleicht am Anfang ein bisschen schwer, aber ich hab das schon mal geschafft. Die Leute sehen mich. Ich fang neu an. Wir beide fangen neu an. In Berlin. So wahr ich Korolok heiße.“
Da begreift sie.
Und fällt mir glücklich um den Hals.

*******

Ich kann es kaum erwarten, denen bei LCL zu sagen, daß ihre hinterfotzigen Vertragsklauseln mich nicht halten, sie sich meinen Namen sonstwohin stecken und sie mich überhaupt am Arsch lecken können.
Aber ich habe Lust, mir mit denen noch ein Späßchen zu erlauben.
Denise hatte auch schon Flyer für unsere Einweihung erstellt. Der Name 'Juri Adam' ist am Computer schnell durch 'Korolok' ersetzt.
Ich nehme Martha mit in das Büro der Berg. Sie gehört schließlich an meine Seite.
Das arrogante Weibsstück ist überzeugt, mich am Haken zu haben.
Sie irrt sich gewaltig.
Wortlos reiche ich ihr die Einladung.
Good girls, bad boys ... Housewarming Party … powered by Korolok – was soll das sein?“
Das … wird unser neuer Laden in Berlin.“ Genüßlich lasse ich mir jedes Wort auf der Zunge zergehen, während ich meinen Arm um Martha lege, um zu verdeutlichen, daß nichts uns trennen kann, schon gar nicht sie.
Natürlich begreift sie nichts und korrigiert mich.
Unverkennbar macht sie sich über Martha lustig, aber das juckt mich nicht mehr.
Umso weniger, als es Martha auch nicht juckt.
Die grinst über's ganze Gesicht und kostet die Situation sichtlich aus.
Also … Juri Adam könnt ihr behalten. Der wird nichts mehr für euch designen. … Korolok – so nenn' ich mich ab jetzt. Und so geh ich nach Berlin.“
Ich sehe Martha in die Augen und weiß, daß sie in diesem Moment genauso glücklich ist wie ich.
Ich genieße das wütende Gesicht der Berg, Marthas strahlende Genugtuung und wie sich meine Süße bei mir unterhakt, als wir das Büro zusammen verlassen.

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Nun steht der Abschied bevor.
Ich komme dazu, wie Martha und Dana sich umarmen.
Es ist nicht leicht für meine Süße. Sie hat etliche Leute hier sehr ins Herz geschlossen.
Lächelnd wischt sie sich eine Träne weg.
Ich lege den Arm um sie, als wir uns auf den Weg nach unten machen, um LCL für immer zu verlassen.
Als wir unten ankommen, ist das Foyer voll.
Sascha erwartet uns am Fuß der Treppe.
Ich dachte, ich klingle euch die Meute zusammen, bevor ihr 'nen serbischen Abgang macht.“
Ich versuche, ihn böse anzusehen, aber der Drang, ihn zu drücken, ist stärker. Und das tue ich mehrfach.
Er wird mir fehlen; er ist wirklich ein guter Freund geworden.
Während Martha sich von ihren früheren Kolleginnen verabschiedet, spricht mich Sebastian an.
Ich bin erstaunt, daß er nicht sauer ist, sondern mir sogar alles Gute wünscht und meint, das mit dem neuen Namen sei keine schlechte Idee.
Nachdem Rebecca sich herzlich von mir verabschiedet hat, wünscht mir auch Tristan alles Gute.
Anscheinend ist die Berg das einzig wirkliche Miststück hier.
Martha und ich wenden uns zum Gehen.
Das Foyer voller Menschen weckt Erinnerungen in mir.
Soll ich dich tragen?“, frage ich Martha.
Ich glaub, diesmal kann ich alleine laufen.“
Während Sascha, der verrückte Hund, uns von oben mit Blütenblättern berieselt, gehen wir zur Tür … und Martha hat noch einen würdigen Abgang, in dem sie davor läuft. Das hat aber anscheinend niemand gemerkt und wir beide grinsen uns nur einen.

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Dann ist das Taxi da.
Der Abschied von Marthas Familie fällt sogar mir nicht leicht.
Dann paß mir gut auf unsere Martha in Berlin auf.“, gibt Thomas mir mit auf den Weg, als er sich von mir verabschiedet.
Und ob ich das tun werde!
Ich bin ein vertrauenswürdiger Mensch.“
Dana zieht es vor, mir zu drohen. „Wenn du Scheiß baust ...“
Nein, ich habe nicht vergessen, daß ich dann einen guten Zahnarzt brauche.
Dann küßt sie mich aber doch auf die Wange.
Auch Kim und ich verabschieden uns herzlich.
Dann dränge ich Martha zur Abfahrt; je länger sie sich verabschiedet, desto härter ist es für sie, desto weniger möchte sie loslassen.
Ich verstehe sie gut.
Und dann sitzen wir im Taxi.
Thomas reicht Martha noch ihre Schneiderpuppe rein.
Sehr zu meinem Verdruß liegt die nun quer über uns.
Ich finde, drei Leute sind zuviel. - Anhalten!“
Das Taxi hält und ich schmeiße das blöde Ding raus.
Geht doch.“, meine ich zufrieden.
Aber ich hätte anschließend nicht Martha ansehen sollen.
Dieser Blick …
Seufzend steige ich aus und hole die blöde Puppe wieder rein.
Geht doch.“, meint nun Martha grinsend.
Na warte!
Ich schubse das lästige Teil in den Fußraum und greife mir meine Frau für einen langen innigen Kuß …