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Ich
stehe im Türrahmen von Marthas Arbeitsplatz und betrachte verliebt
meine süße Frau. Sie sieht heute besonders hübsch aus.
Ich
knabbere meine Nüsse und sehe ihrem eifrigen Gewusel zu. Eigentlich
würde ich lieber an ihr als an meinen Nüssen knabbern.
Die
Pelztussi macht Martha Druck wegen ihrer Entwürfe. Hat einfach die
Uhrzeit vorgezogen, das kleine Miststück. Martha klagt mir, daß sie
noch nichts hat, daß ihr einfach nichts einfällt.
Aber
hier wird sie nicht arbeiten können. Aus zuviel Gutmütigkeit hat
sie sogar Sascha erlaubt, hier sauberzumachen, obwohl sie eigentlich
Ruhe braucht.
„Komm
doch zu mir arbeiten.“
„Bei
dir … zuhause?“
„Bei
uns!“, sage ich betont und komme ihrem süßen Gesicht ganz
nah. „Schlüssel hast du doch.“
„Ach,
ich dachte, das wär mehr was für den Notfall.“
„Kann
man mal 'ne Ausnahme machen.“
„Ich
breit' mich aber ziemlich aus, wenn ich arbeite.“, grinst sie mich
an.
Dann
stimmt sie zu und meint, es wär schon ganz schön cool, 'nen Freund
mit 'ner eigenen Wohnung zu haben.
Ich
schiebe Marthas Sachen beiseite, knie mich auf ihren Tisch und betone
noch einmal: „Unsere Wohnung.“.
Sie
soll das schnell verinnerlichen, daß es kein sie und ich mehr gibt,
sondern nur noch uns.
Kann
das wirklich sein, daß ich das mit unserer Beziehung schneller als
selbstverständlich und normal ansehe als sie?
Ich
küsse sie zärtlich.
„Unsere.“,
stimmt sie lächelnd zu.
Ich
glaube, sie ist glücklich.
Und
das scheint wirklich an mir zu liegen.
*******
Beschwingt
mache ich mich an meine eigene Arbeit.
Bis
Sascha mich wieder mal nervt.
Es
erstaunt ihn, daß ich das mit Martha 'ganz gut hinzukriegen'
scheine.
Was
denkt der Vogel sich? Daß ich mir nicht alle Mühe gebe? Habe ich
nicht bewiesen, wieviel mir an einer Beziehung mit Martha liegt?
„Nicht
schlecht, wenn man jemanden zum Reden hat, oder? Na, so von wegen der
alten Zeiten. Ich kann mich erinnern, mir hat's damals ganz gut
getan.“
„Sascha!“,
unterbreche ich ihn. „Das ist schön. Du bist aber nicht ich.“
Ich
merke, daß Sascha mir gerne noch einen guten Rat geben würde, aber
er läßt es dann doch. Meint nur, daß es ihn freue, daß es ganz
gut zu klappen scheine.
„Danke.“,
sage ich. Und lasse offen, wofür. Daß er sich für mich und Martha
freut. Oder für seinen ungefragten Ratschlag, über meine
Vergangenheit zu reden.
„Warum
muß ich darüber eigentlich mit 'ner kroatischen Putzfrau reden?“
Sascha
grinst. „Weil's dir mit 'nem Serben zu peinlich wäre?“
Was
soll der Spruch denn jetzt?
Ich
werfe ihm einen Blick zu, der alles und nichts bedeuten kann und
lasse ihn stehen.
Ich
werde nach Hause gehen und schauen, wie weit Martha mit ihrer Arbeit
ist.
Im
Vorbeigehen fällt mein Blick auf ihren Arbeitsplatz. Ohne sie wirkt
der Raum öde und farblos.
*******
Ich
freue mich riesig auf meine Süße.
Und
stelle fest, daß es ein herrliches, wunderschönes Gefühl ist, nach
Hause zu kommen und sie ist da.
Aber
verändert hat es sich bei mir. Es ist so ordentlich.
Sie
hätte ein wenig aufgeräumt, meint sie fröhlich, nachdem ich sie
mit einem zärtlichen Kuß begrüßt habe.
Ich
frage sie, wie's läuft.
„Super.
Es war echt eine tolle Idee, daß ich hier arbeiten darf.“
Es
freut mich sehr, daß sie bei mir ein kreatives Plätzchen gefunden
hat.
Ich
sehe mich im Loft um.
„Blumen?“
„Ja.
Für dich.“
Martha
schenkt mir Blumen!
Mir
hat noch nie eine Frau Blumen geschenkt.
Und
eigentlich gehört das doch umgekehrt, oder? Mann schenkt Frau
Blumen.
„Schön.“,
freue ich mich über die hübschen Blumen, die das doch recht düstere
Loft verschönern. Lebensfreude hier rein bringen.
Ich
glaube, Martha braucht eine andere Arbeitsumgebung als ich. Doch ein
wenig mehr Farbe und Fröhlichkeit.
„Da
hätt' ich mal drauf kommen sollen.“
Dafür
hätte ich ja jetzt sie.
Ja.
Und für vieles andere.
Glücklich
beuge ich mich über sie und versuche sie ein wenig zu verführen.
Aber
sie erliegt meinem Charme nicht.
Meint,
sie hätte nur noch eine Viertelstunde.
Ihre
Arbeit geht vor. Und sie braucht die Bestätigung und den Erfolg.
Als
sie nach ihren Sachen greift, fällt mir einer ihrer Entwürfe in die
Hand.
Was
das wäre, frage ich.
„Ein
Drache.“, meint sie.
Ja,
das habe ich auch erkannt.
Und
er erinnert mich schmerzlich an etwas …
Mein
Blick fällt auf den Koffer mit meinen Erinnerungsstücken.
Irgendwas
stimmt nicht. Der war doch nicht offen?
Dann
wandern meine Augen zurück auf die Zeichnung mit dem roten Drachen
...
*******
Ich
hole den Koffer von dem Kartonstapel, auf dem er steht.
Ich
habe mir nicht genau gemerkt, wie die Sachen darin eingeschichtet
waren, aber mir ist doch sofort klar, daß da jemand dran war.
Dann
finde ich das Foto, nach dem ich suche.
Ich
mit dem roten Drachen.
Martha.
Du
weißt doch, daß du dich aus meiner Vergangenheit raus halten
sollst.
Daß
das ein Tabu-Bereich ist, den du bitte rücksichtsvoll meiden sollst.
Ich
dachte, das hättest du begriffen.
Und
dann hast du nichts Besseres zu tun, als in meiner Abwesenheit darin
herumzuwühlen wie in einer Kiste mit Urlaubs-Souvenirs?
Und
mißbrauchst meine allerprivatesten Dinge auch noch für deine
kreative Inspiration?
Ich
spüre, wie sich tiefe Enttäuschung, aber auch Zorn in mir
breitmachen.
Wie
so oft kochen meine Gefühle über, wenn es um dieses Thema geht.
Ich
weiß, daß ich damit nicht umgehen kann, obwohl ich meine, mit
Schweigen, Vergessen, Verdrängen die perfekte Lösung gefunden zu
haben.
Und
ganz tief in mir drin zu wissen, daß es eben nicht die Lösung
ist, macht mich noch zorniger.
Ich
werfe die Fotos und den anderen Kram zurück in den Koffer,
verschließe ihn und packe ihn wieder unter’s Bett, wo ich ihn nie
hätte hervorholen sollen!
Ich
lasse mich auf’s Bett fallen, fahre mir durch die Haare und weiß,
daß das so nicht stehenbleiben kann.
Ich
muß es Martha sagen, oder meine Verärgerung wird zwischen uns
hängen und unserer Beziehung bestimmt nicht gut tun.
*******
Ziemlich
aufgebracht bin ich kurz darauf bei LCL, um Martha zur Rede zu
stellen.
„Hast
du meinen Koffer aufgemacht?“
„Was?“
„Den
alten Koffer!“, zische ich. „Hast du den aufgemacht?“
Ich
merke selbst, wie aggressiv ich klinge.
Und
daß dieser Tonfall Martha gegenüber sicher absolut unangebracht
ist.
Aber
wie immer, wenn es um dieses Thema geht, verliere ich meine
Selbstbeherrschung.
Schon
die Art, wie ich sie am Arm gepackt halte, geht gar nicht.
„Er
ist mir runtergefallen.“, meint Martha und ist offensichtlich total
vor den Kopf gestoßen wegen meines rüden Verhaltens.
Und
sie macht sich auch gleich nachdrücklich frei von meiner Hand, die
ihren Arm immer noch viel zu fest gepackt hält.
„Warum?“,
will ich wissen.
Sie
hätte eine Vase gesucht und als sie nach oben gegriffen hätte, sei
ihr der Koffer runtergefallen. Sie hätte aber gleich wieder alles
hinein geräumt.
Ach
ja? Und die Zeichnung von dem Drachen?
Eine
innere Stimme sollte mir sagen, daß ich keinen Grund habe, ihr das
nicht zu glauben.
Aber
diese Stimme schweigt.
„Du
kannst nicht einfach so an meine Sachen gehen.“
Ich
bemühe mich, runterzukommen. Ruhig mit ihr zu reden.
„Hab
ich doch gar nicht!“, beteuert sie ihre Unschuld. Sie hätte
wirklich gleich alles wieder eingeräumt.
Meine
verschränkten Arme signalisieren nur zu deutlich, wie ich wieder
voll in meine alten Verhaltensmuster zurückfalle.
Und
das bei ihr.
Bei
der Frau, die ich liebe.
Der
ich vertrauen sollte.
„Mein
Gott, Juri! Ich … ich hab echt das Gefühl, ich bin bei dir wie auf
einem Minenfeld! Ein Schritt zu weit und du gehst in die Luft! Aber
ich geb mir wirklich sehr viel Mühe, dir nicht zu nahe zu kommen,
dir genug Raum zu geben. Und ...“
Sie
bricht ab.
Ich
spüre, sie ist mal wieder völlig überfordert und zugleich
gefrustet.
Warum
nur mache ich es ihr so schwer?
„In
diesem Koffer ... da ist Jugoslawien. Da guck ich selber nicht mehr
rein.“, versuche ich zu erklären, warum ich so wütend reagiert
habe.
Doch
da bin ich nicht ehrlich. Zweimal habe ich es schon versucht.
Das
eine Mal sogar wegen ihr. Habe versucht, mich damit
auseinanderzusetzen. Und überfordert aufgegeben.
Da
kommt Nicole mit Marthas Entwurf mit dem Drachen. Dem roten Drachen
von dem Foto.
Hatte
ich mich grade halbwegs wieder beruhigt, kommt nun meine Enttäuschung
wieder hoch.
Oder
ist es die Angst vor der Erkenntnis, daß es so nicht weiter gehen
kann?
„Du
verwendest das?“
Ja,
Alexa hätte der Entwurf gefallen.
„Du
hast es sofort wieder eingeräumt.“
Mein
Blick läßt keinen Zweifel offen, daß ich ihr nicht glaube.
Sie
hätte sich das Foto nur einen Augenblick angesehen.
„Es
hat dich inspiriert.“
Ja,
Juri und was ist so schlimm daran? Sie ist doch keine
Sensationsreporterin, die dein Leid ausschlachtet.
Du
weißt selbst, wie schnell sich kleine Details ins Hirn einbrennen
können und sich zu einer Idee auswachsen. Ohne daß man es bewußt
steuert.
Und
… es weiß doch niemand, wo Marthas Idee herkommt. Sie wird es
sicher niemandem erzählen.
Also
warum immer noch dieser Ärger, diese Enttäuschung?
Ja,
es habe sie inspiriert, gibt sie zu und ich sollte begreifen, daß
sie es nicht böse gemeint hat.
Hilflos
meint sie: „Herrgott, wie soll ich denn wissen, was dich verletzt,
wenn du mir nichts erzählst?“
„Du
guckst dir meine Sachen an, hinter meinem Rücken … und ich soll
dir was erzählen?“
Juri,
bist du eigentlich völlig bescheuert? Kapierst du wirklich nicht,
daß nur du hier das Problem bist?
Und
wieder läßt du sie für deine Unzulänglichkeiten leiden …
Ich
sehe die Enttäuschung über mein Mißtrauen in ihren Augen.
Und
was tue ich?
Lasse
sie einfach stehen.
*******
Ich
verdammtes Arschloch!
Ich
schäme mich, sie so behandelt zu haben.
Nicht
wie eine gleichberechtigte Partnerin.
Sondern
immer noch wie meine Assistentin, die sich aus meinem Privatleben
rauszuhalten hat.
Verstehst
du das unter einer Beziehung, Juri?
Zum
Vögeln, zum Spaßhaben ist sie gut genug?
Aber
wenn es darum geht, sie ernsthaft an deinem Leben teilhaben zu
lassen, kneifst du wieder, stößt sie wieder zurück?
Ich
habe plötzlich Angst, daß sich rein gar nichts verändert hat, daß
ich stehengeblieben bin, wieder mal paralysiert.
Herrgott,
ich will das nicht mehr!
Ziemlich
aufgewühlt komme ich zuhause an.
Und
so stehe ich dann vor dem Bett. Mit dem Koffer darunter. Und meiner
Vergangenheit darin.
Ich
ziehe ihn hervor, meine Hände zittern, als ich ihn öffne.
Ich
greife mir den Stapel Fotos.
Und
lasse mich damit auf dem Boden nieder.
Die
Erinnerungen an meine Eltern, an die Heimat …
Juri,
lass den Schmerz doch zu.
Du
hast doch inzwischen begriffen, daß du keine Schuld hast an dem, was
geschehen ist.
Du
darfst trauern.
Und
du mußt loslassen.
Loslassen
bedeutet doch nicht, vergessen.
Du
darfst sie weiter lieben, ihr Andenken ehren.
Aber
lass los!
Nur
so kannst du endlich mit dem Thema abschließen.
Und
Martha wird dir dabei helfen.
Sie
ist doch da, wenn du sie brauchst.
Mir
wird klar, wie ungerecht ich sie behandelt habe.
Sie
hat nicht neugierig herumgeschnüffelt.
Es
war ein Versehen, nicht böse gemeint.
Und
… wenn du es ernst meinst mit dieser Beziehung, dann mußt du
lernen, alles mit ihr zu teilen. Auch die unangenehmen, schmerzlichen
Dinge.
Eine
Partnerschaft ohne Vertrauen hat keine solide Grundlage.
Und
du willst doch für immer mit ihr zusammenbleiben.
Ziemlich
verlegen nehme ich die restlichen Fotos aus dem Koffer und stelle ihn
dann wieder oben auf die Kartons.
Als
hätte ich ihn nie aus falsch verstandenem Vertrauen unter’m Bett
versteckt.
Erneut
greife ich mir die Fotos, lege mich damit auf’s Bett.
Da
ist auch das von mir mit dem Drachen …
Ein
kleiner sorgloser, fröhlicher Junge, der sich auf’s
Drachensteigenlassen freut.
Ich
verstehe, daß Martha von diesem Anblick inspiriert wurde.
Und
finde es nicht mehr schlimm.
Ich
muß gestehen, daß ich selber gerne Fotos von ihr aus ihrer Kindheit
sehen würde.
Ich
gestehe allerdings auch, daß der Streifzug durch meine Vergangenheit
hart ist.
Und
ich merke, wie sehr ich Martha brauche.
Ihre
Kraft, ihren Glauben an das Gute.
Ihre
Zuversicht, ihre Lebensfreude.
Sie
ist mein Anker, mein Halt, wenn die Wogen des Lebens wieder mal hoch
gehen und ich zu kentern drohe.
Dann
wird sie mich wieder aufrichten.
Ich
merke, wie mich diese Gedanken ruhiger machen.
Bis
ich die Fotos betrachten kann, ohne daß mein Herz rast.
Sich
mir die Kehle zuschnürt.
Ich
bin nicht mehr allein mit dieser Last.
Ich
habe Martha.
*******
Ich
bin noch ganz in Gedanken versunken, als Martha nach Hause kommt.
Ihre
Stimme zittert, als sie sich bei mir entschuldigt.
„Es
tut mir leid, daß du das Gefühl hast, daß ich dein Vertrauen
mißbraucht hab. Das wollte ich nicht.“
Eigentlich
bräuchte sie nichts mehr sagen.
Weil
ich ihr längst nicht mehr böse bin.
Aber
der ängstliche Klang in ihrer Stimme macht mir klar, daß sie
befürchtet, mich zu verlieren.
„Hier
war ich sechs Jahre alt, glaub' ich. Das Haus da hinten … da haben
wir gewohnt. … Es hing bei uns in der Küche; meine Mutter hat es
sehr gemocht.“
Da
ich nun mal nicht gut mit Worten bin und bevor ich wieder was
Falsches sage, reiche ich ihr einfach das Foto.
Ich
hoffe, ich drücke damit aus, daß ich ihr vertraue und ihr diesen
Teil meines Lebens nicht mehr versperre.
Und
auch wenn es unbeholfen klingt, ergänze ich noch, daß es mir nichts
ausmacht, wenn sie an meine Sachen geht.
Weil
ich alles mit ihr teilen will.
Sie
setzt sich neben mich, ich sehe sie an.
Und
weiß, daß ich die einzig richtige Frau an meiner Seite habe.
„Das
ist kein Zufall, daß wir uns getroffen haben.“, sage ich
überzeugt.
Nein,
das Schicksal hat mir diese Frau geschickt, weil ich sie brauche.
„Großes
Glück, daß du da so hinterher warst. … Vielleicht hast du ja 'nen
Schlüssel.“
„Wofür?“
Ich
deute auf das Bild von mir mit dem roten Drachen.
„Ich
hab vergessen, wer er ist. Vielleicht kannst du mir helfen, da wieder
hin zu finden.“
Zu
dem kleinen unbeschwerten Jungen, der ich mal war.
Wir
lächeln uns an – da ist eine wunderbare Vertrautheit zwischen uns.
Sie
besitzt nicht nur den Schlüssel zu dieser Wohnung.
Sondern
auch den zu meiner Seele.
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Es
ist einfach nur wunderschön, morgens neben Martha aufzuwachen. Ein
Gefühl, das ich nicht mehr missen möchte.
Das
morgendliche Joggen hat Martha aufgegeben. Sie findet inzwischen mehr
Gefallen daran, sich von mir zärtlich verwöhnen zu lassen und sich
dann noch mal an mich zu kuscheln.
Wir
laufen jetzt meist nach der Arbeit eine Runde.
Der
Alltag in einer festen Beziehung hat so seine Stolperfallen für
mich, besonders seit Martha ganz bei mir eingezogen ist.
Ich
bin sehr glücklich, daß wir richtig als Paar zusammenleben, aber
einfach ist es nicht.
Für
mich sogar eine gewaltige Umstellung.
Ich
kann meine Nußschalen nicht mehr einfach auf den Boden werfen. Meine
Stiefel nicht mehr im Weg stehen lassen.
Sie
ist süß, wenn sie mit mir schimpft. Und eigentlich sehr geduldig
mit mir, obwohl ich bestimmt furchtbar anstrengend bin.
Martha
hat ein Foto von uns machen lassen. Dieses Foto und das mit mir und
meiner Mutter hängen in meiner kleinen Küche, die diesen Namen
eigentlich nicht verdient, weil es da nur einen Zweiplatten-Herd und
einen Wasserkocher gibt. Und einen kleinen Hängeschrank, an dem
Martha liebevoll die Fotos befestigt hat.
Gestern
stand hier irgend so ein Vogel auf der Matte, der mir Versicherungen
aufschwatzen wollte. Der hat geredet und geredet, während ich
dachte, daß mein Gesichtsausdruck eigentlich deutlich mein
Desinteresse kundtun würde. Nur so halb habe ich mitbekommen, daß
er eigentlich Handwerker ist.
Heute
aber bin ich froh, daß er mir seine Karte dagelassen hat. Denn das
Scheiß-Schloß hakt und ich komme nicht raus.
Also
rufe ich den Typ an, damit er mich aus meiner mißlichen Lage
befreit.
Das
schafft er auch schnell, meint allerdings, die Tür ginge nun
entweder nicht zu oder wenn sie zu sei, dann nicht mehr auf.
Das
geht ja mal gar nicht.
Martha
wird ja auch einmal alleine zuhause sein. Und ich möchte, daß sie
dann sicher ist vor unerwünschten Gästen.
Also
beauftrage ich den Typ, das Schloß so schnell wie möglich in
Ordnung zu bringen. Die Kohle wird er brauchen können, da er seinen
Vertreter-Job geschmissen hat.
Er
ist mit seinen Händen auch weitaus geschickter als mit seinem
Mundwerk.
So
wie ich, haha.
*******
Ich
bin mit Martha im No Limits, gemütlich was trinken.
Es
gefällt mir, so entspannt und ganz selbstverständlich mit ihr
auszugehen.
Doch
wir werden gestört.
Sie
bekommt einen Anruf und erzählt mir anschließend ganz begeistert
was von einem Song, einem Rapper und einem Hut, den sie für dessen
neues Video designen soll.
Ich
kenne weder den Song noch habe ich was mit Rappern am Hut, aber das
ist ja egal.
Hauptsache,
sie hat Erfolg und ist glücklich.
Sogar
daß unsere kleine private Feier heute Abend ausfällt, kann ich
verschmerzen.
Wir
wollten nämlich eigentlich die Tatsache ein wenig festlich begehen,
daß ich es endlich geschafft habe, sie ganz in mein Leben zu lassen.
Ohne Einschränkungen.
Aber
daß sie grade einfach abhaut ohne mich zu küssen, das gefällt mir gar
nicht.
*******
Mir
ist klar, daß Martha wohl die ganze Nacht durcharbeiten wird.
Sie
stellt hohe Ansprüche an sich selbst und will natürlich etwas
Besonderes und darüberhinaus erstklassige Arbeit abliefern.
Da
ich sie nur in ihrer Konzentration stören würde, entschließe ich
mich, ein wenig trainieren zu gehen.
Hole
meine Sporttasche von Zuhause und Martha eine anständige Stärkung –
Sahne-Curry und Schoko-Muffins.
Doch
als ich sie bei LCL treffe, meint sie enttäuscht, daß die Sache mit
dem Video für sie flach falle. Sie muß die Pelze für diese kleine
Zicke heute fertigstellen und die vertraglichen Pflichten für LCL
gehen natürlich vor.
Spontan
biete ich ihr an, die Pelze zu übernehmen, damit sie Zeit für diese
Mütze hat.
Sie
weigert sich erwartungsgemäß, aber wie meist schaffe ich es, sie zu
überzeugen.
„Diesen
Arsch rette ich gerne.“
Die
Stärkung brauche ich allerdings jetzt selber. Ich hab schon ewig
nichts mehr genäht.
*******
Ehrlich,
diese Pelze sind grauenvoll. Mir sind echte Pelze eh schon zuwider
aber dann noch in diesen kreischbunten Farben?
Martha
schaut vorbei.
Mir
ist klar, warum. Sie traut mir nicht.
Ich
bin ja nur der chaotische Designer.
Und
natürlich schaffe ich diese Näherei nicht annähernd in derselben
Zeit wie sie.
Aber
sie soll sich um ihren Hut kümmern und nicht um meine Näherei.
Also
schmeiße ich sie auf meine übliche charmante Art raus.
Und
natürlich nähe ich mir in die Pfoten und brülle aus Ärger über
meine Blödheit halb LCL zusammen.
Was
eine ausgesprochen dämliche Aktion war.
Denn
im Nu steht der halbe Laden um mich herum.
Und
natürlich ist es ausgerechnet Rebecca, die sofort sieht, daß ich
einen der bescheuerten Pelze vollgeblutet habe.
Scheiße!
Um
den Pelz ist es nicht schade, aber ich will nicht, daß Martha
meinetwegen Ärger bekommt.
Rebecca
ist mal wieder auf Hundertachtzig, mault mich und Martha an.
Mein
Einwand, daß Marthas Auftrag kreatives Neuland wäre und wir alle
was davon hätten, verhallt unverstanden.
Da
ich der Grund für den ganzen Ärger bin, verziehe ich mich. Zumal
Rebecca mir unmißverständlich nahelegt, mich vom Acker zu
machen.
*******
Als
ich später wiederkomme, sind die Pelze anprobiert und die Models
fertig für den Fotografen.
Martha
hat es tatsächlich geschafft, einen der beiden geforderten Hüte
zu machen.
Sie
wirft noch einen Blick auf den Hut, sagt was von 'einer Chance, die
nur einmal kommt' und ich spüre nur zu deutlich die Enttäuschung in
ihrer Stimme.
Ich
habe da eine Idee.
Und
schmuggle den Hut mit in die Fotosession.
*******
Ich
warte auf Martha, die noch kleine Änderungen an einem der Pelze
vornimmt.
Ich
frage sie nach dem Hut.
Sie
meint, sie würde ihn verwahren, vielleicht könne sie später einmal
verwenden.
Sie
überlegt, wo sie den Hut gelassen hat und als sie ihn nicht findet,
verdächtigt sie Jessica, ihn mitgenommen zu haben.
Ganz
beiläufig schiebe ich ihr ein Foto unter, das Jessica mit ihrem Hut
zeigt.
„Wenn
die reichen Russen den morgen kaufen, kriegst du viele Aufträge. So
läuft das.“
Doch
statt sich zu freuen, wird sie stinksauer.
Poltert
los, daß Rebecca doch vorhin schon so sauer gewesen sei und wenn sie
morgen den Hut in der Kollektion entdecken würde, dann würde sie
sie garantiert feuern.
Ich
weiß nicht, was ich sagen soll.
Ich
wollte ihr helfen und hab's mal wieder noch schlimmer gemacht als
vorher.
Weil
ich wieder mal impulsiv gehandelt habe ohne vorher nachzudenken.
Juri,
du Vollidiot!
Ich
hätte große Lust, meinen Kopf auf die Tischplatte zu schlagen, aber
eigentlich reicht mir mein durchlöcherter Finger schon.
4387
Ich
schaffe es einfach nicht, Martha davon zu überzeugen, daß ihr Hut
in der Pelzpräsentation eine gute Sache ist.
„Du
freust dich nicht.“, stelle ich ein wenig hilflos fest.
Nein,
das tut sie nicht.
„Du
hast 'nen Auftrag verloren und warst traurig.“
Sollte
sie nicht meine Motivation erkennen?
Ich
liebe sie doch und will nicht, daß sie traurig und enttäuscht ist.
„Ja,
und?“, meint sie nur.
Ja,
ich weiß, daß man auch Enttäuschungen wegstecken muß.
„So
ist deine Arbeit nicht umsonst.“
Vielleicht
hilft dieses Argument ja. Und tatsächlich wäre es schade um die
Mühe gewesen, die sie sich gegeben hat.
Was,
wenn Tanja oder Rebecca das rauskriegen würden?
„Wenn
die nicht total bescheuert sind, dann freuen die sich.“
Daran
glaubt Martha nicht.
Als
Nicole das Foto mit dem Hut sieht und sehr angetan davon ist, will
ich schon triumphieren.
Aber
selbst Nicoles Reaktion überzeugt Martha nicht.
Sie
meint, daß nicht jeder Mitarbeiter einfach eigene Sachen in die
Kollektion schmuggeln könne.
„Du
bist Designerin.“, sage ich und ich bin darauf anscheinend mehr
stolz als sie selbst.
„Ja,
aber für Accessoires. Und nichts weiter.“
Ja,
und? Das ist doch nicht weniger wert.
„Die
schmeißen mich raus!“
„Warum
hast du soviel Schiß?“
Ich
verstehe das wirklich nicht.
Sie
hat ihren Designerjob bei dem blonden Lahnstein-Drachen durchgesetzt.
Wer das schafft, braucht wegen so einer Sache wie der hier doch keine
Bange zu haben.
*******
Sie
läßt mich einfach stehen.
Ich
laufe ihr nach zum Aufzug.
„Bist
'n ganz schöner Brocken.“
Das
ist sie wirklich.
Sie
schweigt mich an, starrt stur auf die Fahrstuhltür.
„Mach
das nicht mit mir. Ich bin derjenige, der schweigt. Du bist
diejenige, die immer redet.“
Ich
versuche, sie aus der Reserve zu locken.
„Na
komm! Sei wütend. Schrei mich an. Zertrümmere Teller auf meinem
Kopf oder was auch immer! Und dann entschuldige ich mich bei dir und
wir gehen essen. Oder du kriegst 'nen Sahnecocktail und dann
vertragen wir uns wie immer.“
Doch
das funktioniert nicht.
Sie
meint, ich nehme sie nicht ernst.
Ich
sei wie eine Dampfwalze, ob mir das schon mal jemand gesagt hätte?
Ich
habe keine Ahnung, was sie meint.
Ich
will mich doch einfach nur wieder gut mit ihr verstehen.
Keinen
Streit, keine Disharmonie haben.
„Juri
Adam und seine Lebensweisheiten.“
Ich
würde erstens nur tun, worauf ich Bock hätte, zweitens, wenn jemand
was dagegen hätte, würde ich's erst recht machen und drittens seien
Regeln nur was für absolute Loser.
Mein
„Ja.“ zu diesem Vortrag ist natürlich die völlig falsche
Reaktion.
Aber
es geht noch weiter.
Das
ginge so nicht, weil es da draußen eine Milliarde anderer Menschen
gäbe und außerdem sie und mein „ich“ wäre nämlich jetzt ein
„wir.“
„Schön.“,
meine ich. Das mit dem „wir“ habe ich ihr ja erst noch
eintrichtern müssen.
„Klar
ist das schön. Aber für dich hat sich nichts geändert. Du machst
nach wie vor alles, worauf du Bock hast und fragst mich noch nicht
mal.“
„Martha
… ich möchte nur nicht, daß du etwas verpaßt, weil du zu
schüchtern bist.“
„Aber
selbst wenn schon. Dann ist das eben meine Sache. Ich leb mein Leben
so, wie ich will und du deins so, wie du willst. Verstanden?“
„Okay.“,
meine ich und obwohl ich in Beziehungsdingen immer noch unerfahren
bin, weiß ich genau, daß die Sache noch längst nicht erledigt ist.
Umso
mehr, als ich auf meine Frage, ob wir was essen gehen, keine Antwort
bekomme.
*******
Martha
ist immer noch sauer, als wir zuhause ankommen.
„Vielleicht
hätte ich dich fragen sollen.“
„Ja.“
„Sorry.“
Doch
damit ist es nicht getan.
Das
habe ich jetzt davon, daß Martha mir gegenüber so selbstbewußt
geworden ist.
Ich
sage ihr, daß die Pelze ohne den Hut gar nix seien.
Martha
jedoch meint, daß Tanja und Rebecca das so verstehen würden, als
wollte sie kostenlos Werbung für sich machen.
Und
die gegenseitige künstlerische Befruchtung, die ich in der Sache
sehe, hält sie für einen Vertrauensbruch.
Ich
raufe mir die Haare und weiß langsam nicht mehr, was ich sagen soll.
„Wie
willst du jemals Erfolg haben, wenn du dich nicht traust?“
„Und
was traust du dich hier bitte?“, fährt sie mich an.
Sie
sei diejenige, die den Ärger bekäme, die vielleicht sogar ihren Job
verlieren würde.
Ich
meine, wenn sie ein Problem mit Rebecca bekäme, dann solle sie sie
zu mir schicken.
Das
war auch wieder die falsche Antwort.
Ich
hätte schon genug angerichtet.
Sie
würde gleich morgen selbst zu Rebecca gehen und ihr alles sagen.
Unser
schöner, harmonischer Abend ist gelaufen.
Kürzlich
erst die Disharmonie, weil ich so überempfindlich auf die Sache mit
dem Koffer reagiert habe.
Und
kaum ist alles wieder in Ordnung zwischen uns beiden …
Martha
bleibt verstimmt und so gehen wir auch zu Bett.
Sie
dreht mir den Rücken zu.
Ich
bin frustriert und habe keine Ahnung, was ich machen soll.
Ich
spiele kurz mit dem Gedanken, zu versuchen, ihre Laune durch ein paar
kleine Zärtlichkeiten aufzubessern, aber ich traue mich nicht.
Ich
will ihr nicht schon wieder meinen Willen aufzwingen.
Im
Zweifelsfall mache ich es damit nur noch schlimmer und das könnte
ich nicht ertragen.
Es
ist so schon schlimm genug, ohne sie in meinen Armen einzuschlafen.
*******
Als
ich aufwache, ist Martha schon weg.
Ich
habe anscheinend im Schlaf wieder meine Zuversicht zurückgewonnen.
In
jeder Beziehung gibt es mal Streit.
Okay,
bei uns ein wenig öfter.
Aber
wir müssen uns eben erst zusammenraufen.
Und
ich bin sicher ein Härtefall.
Aber
wir lieben uns.
Das
kann eine Meinungsverschiedenheit nicht zerstören.
Guter
Hoffnung mache ich mich auf den Weg zu LCL.
Martha
hat anscheinend gerade ihre Besprechung mit Rebecca, denn sie ist
nicht an ihrem Platz.
Erstaunlich
geduldig warte ich.
Und
dann kommt sie.
Diesmal
drehe ich ihr den Rücken zu.
Sie
sagt mir, daß der Hut bei Rebecca sehr gut angekommen sei.
„Also
… es lohnt sich manchmal wirklich, was zu riskieren. Und ich bin
manchmal eine hysterische Kuh.“
Mich
reitet ein Teufelchen und so bleibe ich über's ganze Gesicht
grinsend mit dem Rücken zu ihr stehen, meine nur „Hm. Einsicht ist
der erste Weg zur Besserung.“
„Ja,
aber das nächste Mal sag mir bitte Bescheid wenigstens.“
„Ah!
Falscher Text.“
„Was?“
Ich
grinse immer noch und pfeife jetzt auch noch vielsagend vor mich hin.
„Okay,
du hattest Recht in allem und danke, daß du mir meinen Arsch
gerettet hast. Gut so?“
Es
ist genau wie damals, als ich sie wieder zu meiner Assistentin machen
wollte und sie mir so lange stur in die Augen schaute, bis ich mich
für den Mist, den ich verzapft hatte, entschuldigte.
Umgekehrt
funktioniert das also auch.
Langsam
drehe ich mich zu ihr rum.
Aber
weil Frauen immer das letzte Wort haben müssen, kommt kaum, daß sie
sich entschuldigt hat, ein „Aber mach das bitte nie wieder! Ich
mein, es gibt bestimmt Leute, die finden das total toll, ins kalte
Wasser geschubst zu werden. Aber ich nicht, ich krieg da
Schnappatmung und mag überhaupt nicht so gern ...“
Weiter
kommt sie nicht, denn ich nehme ihr Gesicht in meine Hände und küsse
sie zärtlich.
„Mutig
sein. Verstanden?“
Sie
schaut mich an und meint „Nee. Erklär noch mal.“
Wieder
küsse ich sie, nachdrücklicher und leidenschaftlicher als eben.
Wieder
schüttelt sie den Kopf.
Und
da macht es 'klick' bei mir.
Du
kleines Luder!, denke ich, drücke sie auf den Tisch hinunter und
sorge dafür, daß sie nur noch japsen kann …
4388
Da
Marthas Hut nun mal in der Pelz-Präsentation gelandet ist, ist
Martha heute auch dabei, als diese Berg-Zicke ihre Show abzieht.
Martha
zuliebe finde ich mich ebenfalls kurz ein, aber ich ertrage dieses Weib
einfach nicht.
Ich
sage Martha, daß ich lieber ein wenig arbeite; diese Alexa könne eh
nichts und küsse meine Süße zärtlich, bevor ich mich verpisse.
Als
ich später wieder runter komme, ist die Veranstaltung immer noch im
Gange.
Ich
trinke einen Schluck Sekt; Martha möchte nicht.
Dafür
hat sie aber gar nichts dagegen, daß wir im Hintergrund ein paar
leidenschaftliche Zärtlichkeiten austauschen.
4389
Lange
halte ich es wieder nicht aus. Wie diese Alexa sich produziert, kotzt
mich so dermaßen an.
Martha
klagt mir ihr Leid; dieses Miststück hat sie wegen der Sache
mit dem Hut ganz schön zusammengefaltet.
Leider
ist Martha in dieser Hinsicht nicht so drauf wie ich, daß sie das
einfach an sich abprallen läßt.
Andererseits
liebe ich sie dafür, daß ihr eben nichts einfach so am Arsch
vorbeigeht.
Wenn
dem so wäre, hätte sie sich nie so um mich bemüht. Sich für meine
Probleme interessiert, obwohl ich es ihr so schwer gemacht habe.
Ich
verdanke ihr soviel …
*******
Ich
bin schon nach Hause; es war ja nicht abzusehen, wann diese
Veranstaltung endlich zuende sein würde.
Als
Martha eine Weile später auch nach Hause kommt, ist sie ganz aus dem
Häuschen.
Jubelnd
fällt sie mir um den Hals und erzählt mir ganz begeistert, daß die
Berg, statt sie in den Boden zu stampfen, eine komplette Kollektion
ihrer Accessoires für die Pelze gefordert hat. Weil ihr Hut die
Russinnen so begeistert hätte.
Sie
hatte wirklich befürchtet, ihren Job zu verlieren.
Ich
freue mich sehr für sie, beglückwünsche sie und drücke sie fest
an mich.
Voll
unter Dampf wuselt sie anschließend durch das Loft, meint, sie hätte
durch die Pelznäherei viel Zeit verloren und müsse sich jetzt echt
ranhalten.
Sie
beugt sich über ihre Tasche und präsentiert mir dabei ihr süßes
Hinterteil.
In
mir kribbelt es sehnsüchtig.
Ich
will sie.
Jetzt.
Leise
trete ich hinter sie und ziehe ihr ganz langsam den Reißverschluß
ihres Kleides runter.
Ich
merke so rein gar nichts mehr davon, daß Martha sofort an die Arbeit
gehen wollte.
Sie
ist wie Wachs in meinen Händen.
Als
auch ihre Dessous zu Boden geraschelt sind, drehe ich sie zu mir
herum und wir küssen uns leidenschaftlich.
Langsam
und genüßlich zieht sie mich aus, verwöhnt mich mit ihren süßen
Lippen, ihrer weichen Zunge.
Ich
lehne mich gegen den Stützpfeiler, der, wenn er sprechen könnte,
schon so einiges zu erzählen hätte und lasse meine Süße machen.
Ich
bin gerne dominant, genieße es aber auch, mich meiner Partnerin ganz
hinzugeben.
Und
ich liebe es, daß Martha beim Sex so herrlich locker und
unverkrampft ist.
Anders
als so manches meiner Models, die auch beim Vögeln eine gute Figur
machen wollten und sich oft gar nicht richtig fallenlassen konnten.
Was
mich nicht unbedingt angemacht hat.
Martha
kennt keine Hemmungen, keine falsche Scheu und deshalb ist der Sex
mit ihr so herrlich.
Ich
hebe sie hoch und während sie ihre Beine um mich schlingt, gleite
ich sanft in sie hinein.
Sie
saugt sich an meinem Hals fest und stöhnt genußvoll.
Wir
sollten das öfter so machen, es macht nicht nur Spaß, es ist auch
ein gutes Training für meine Oberschenkelmuskeln.
Ich
trage sie rüber zum Bett, lasse sie sacht darauf nieder und versenke
mich wieder tief in ihr.
Sie
preßt sich an mich, packt mich so derbe bei den Haaren, daß ich
leise zische.
Aber
ihre Lust macht mich so an!
Als
wir uns schließlich nach einem heftigen gemeinsamen Höhepunkt laut
schnaufend voneinander lösen, meint sie: „Das war schön.“
Oh
ja, das war es!
Ich
würde gerne noch einfach eine Weile so liegenbleiben, mit ihr in
meinen Armen.
Aber
Martha fühlt sich durch die kleine Vögelei zwischendurch offenbar
inspiriert und fragt mich, ob wir arbeiten wollen.
Da
packt es auch mich und wir springen gleichzeitig genauso voll
motiviert aus dem Bett wie wir uns eben noch darin gewälzt haben.
Und
es ist einfach großartig!
Wir
arbeiten beide getrennt und doch gemeinsam.
Die
Luft im Loft schwirrt vor Kreativität; es knistert geradezu.
Wir
sind produktiv und haben nebenbei einen Riesenspaß.
Glücklich
und beschwingt küsse ich sie und arbeite weiter.
Das
Leben kann herrlich sein!
*******
Später
bei LCL will ich kurz nach ihr sehen.
Sie
erzählt mir, daß die Berg alle ihre Entwürfe gekauft hätte.
Das
freut mich. Nicht, daß ich der kleinen Pelzzicke Sachkenntnis
zutrauen würde. Aber geldgierig ist sie und mit Marthas Sachen kann
man Geld machen.
Aber
etwas stimmt nicht, das merke ich Martha an.
Und
dann sehe ich, daß die Labels, die sie an ihren Sachen anbringen
will, nicht ihre sind.
Martha
versucht so zu tun, als ob ihr das nichts ausmachen würde, aber ich
merke genau, wie enttäuscht sie ist.
„Das
ist dein geistiges Eigentum!“, sage ich.
Niemand
darf sich das einfach so aneignen.
„Das
ist nicht so wild.“, bemüht sie sich, diese Dreistigkeit
herunterzuspielen.
„Das
ist deine Kreativität, das bist du!“, meine ich umso
engagierter.
Als
sie nicht auf meinen Einwand reagiert, daß unter dem LCL-Logo ihr
Name als Designerin zu stehen hätte, marschiere ich entschlossen zur
Tür.
Sie
will mich aufhalten, doch ich mache ihr klar: „Entweder ich geh
dahin oder du!“
So
geht es jedenfalls nicht! Sowas darf man sich einfach nicht gefallen
lassen.
Ich
würde dieses kleine Miststück von Berg mit Vergnügen zur Schnecke
machen, freue mich aber, daß Martha selbstbewußt genug ist, die
Sache selbst in die Hand zu nehmen.
4390
Da
ist Martha! Ich bin gespannt, wie ihr Gespräch mit Alexa war.
Doch
sie läuft einfach an mir vorbei.
Ich
rudere noch mit den Armen, um sie auf mich aufmerksam zu machen, doch
sie scheint mich gar nicht wahrzunehmen.
Mit
versteinertem Gesichtsausdruck geht sie wie mechanisch aufgezogen zu
ihrem Platz.
Ich
verstelle ihr den Weg, sie schreckt richtig hoch.
Wie
es gewesen sei, will ich wissen.
Sie
sagt erst gar nichts.
Und
auf mein Nachbohren meint sie, sie hätte das nicht gewollt.
Was,
Martha?
„Ich
habe gekündigt.“, meint sie tonlos.
*******
Ich
biete Martha Schokolade an.
Das
hilft ihr sonst immer.
Doch
sie lehnt ab.
Sie
meint, sie hätte einfach nur das gleiche Recht haben wollen wie alle
anderen.
„Du
hast für dein Recht gekämpft.“, pflichte ich ihr bei.
Ich
massiere ihr sanft die Schultern.
Alexa
habe sie ausgelacht und einfach stehenlassen und dann sei ihr das mit
der Kündigung rausgerutscht.
„Richtig
so.“, meine ich. Sie darf sich sowas nicht gefallen lassen. Lieber
erhobenen Hauptes gehen, als sich von so einer wie der Berg
unterbuttern lassen.
Und
sie meint, daß Alexa sie absichtlich provoziert, ihr eine Falle
gestellt habe.
Damit
könnte sie Recht haben, das ist dem kleinen Miststück zuzutrauen.
Ob
ich auch mal was dazu sagen würde?
Sie
hätte grad ihren Job verloren, weil sie ihren vorlauten Schnabel
nicht hätte halten können.
„Weißt
du, wieviele Jobs ich schon verloren habe, weil ich meine Meinung
gesagt habe?“
Sie
sei aber nicht ich.
Sie
hätte sich aus ihrem Provinznest in diesen Weltklassekonzern
hochgearbeitet, von der simplen Näherin zu einer
Accessoire-Designerin und in zwei Sekunden hätte sie sich das alles
kaputtgemacht.
Ich
nehme sie bei den Händen und ziehe sie auf meinen Schoß.
Sie
würde einen anderen Job finden, meine ich.
Doch
sie will diesen, genau diesen, für den sie so hart gekämpft hätte.
Martha
soll nicht denken, daß ich ihr Dilemma nicht ernst nehme, nur weil
ich selbst in der gleichen Situation … sagen wir … gelassener
reagieren würde.
*******
Martha
erklärt mir, daß sie nicht gewollt habe, daß sie plötzlich ohne
Job und ohne Geld dastehe.
Sie
wolle mir nicht auf der Tasche liegen.
„Jetzt
mach dir doch keine Sorgen um Geld.“, versuche ich sie zu
beruhigen. „Was wichtig ist, sind die Ideen.“
Als
ob ich jemals von ihr denken würde, sie wolle mich finanziell
ausnutzen.
Ich
verstehe, daß sie unabhängig sein will. Das würde mir ganz genauso
gehen.
Aber
daß man sich in einer Notlage unterstützt, ist doch wohl
selbstverständlich.
Sie
könne eine Bank ausrauben und Geiseln nehmen, sagt sie.
Das
hatte ich mit 'Ideen' eigentlich nicht gemeint.
„Wer
wird niedergeschlagen und steht immer wieder auf?“
„Ich.“
Genau,
Süße!
„Mach
dich selbstständig.“, rate ich ihr und meine das ernst.
Doch
das will sie nicht.
Weil
ihr erster Versuch auch schiefgegangen sei.
Weil
ich selber nicht daran geglaubt hätte, daß sie es schafft, als ich
ihre Sachen aufkaufte.
Das
stimmt nicht, Martha!
Sie
brauche Sicherheit.
Ob
ich das verstehen würde?
„Nein!“
Ich
versuche ihr klarzumachen, daß die paar Tage Selbstständigkeit
nicht aussagekräftig sind und daß sie es noch geschafft hätte.
„Du
bist der kreative Typ!“
„Es
ist lieb, daß du das so siehst.“
Aber
sie will sich nicht selbstständig machen. Das sei nicht sie.
*******
Ich
komme die Treppe runter und sehe Martha unten stehen, wie sie
wehmütig ihre Wackelblume in der Hand hält.
Ihr
Job hier bei LCL bedeutet ihr wirklich viel. Sie ist unglücklich.
Das
tut mir weh.
Und
ich sehe mich gefordert, etwas zu tun.
Ich
zücke mein Handy und spreche Sebastian von Lahnstein auf die
Mailbox, daß wir reden müßten.
*******
Ich
treffe Martha draußen und gestehe, daß ich ihr vorhin nicht richtig
zugehört hätte. Also, daß ich nicht verstanden hätte, um was es
ihr geht.
Vielleicht
sei sie ja noch nicht reif für die Selbstständigkeit und wolle noch
ein paar Jahre in der Firma bleiben.
Das
könne man sich leider nicht aussuchen, meint sie.
Ich
sage ihr, daß ich ein Gespräch mit Sebastian für sie arrangiert
habe.
Sie
schaut mich an, sagt nur „Ja.“ und verschwindet durch die Tür
nach innen.
Ich
bin zuversichtlich, daß sie ihren geliebten Job behalten darf,
drücke ihr aber selbstverständlich die Daumen.
*******
Doch
ein wenig ungeduldig warte ich draußen.
Es
dauert gar nicht so lange, bis sie wieder rauskommt, was ich als
gutes Zeichen werte.
Doch
dann sagt sie zu meiner Verblüffung, daß sie gar nicht mit
Sebastian geredet habe.
„Das
war deine einzige Chance!“ Ich verstehe sie grad wirklich nicht.
Und
dann meint sie „Ich hör dir zu.“
Ich
verstehe die Anspielung, Martha, aber was meinst du bitte damit?
Sie
meint, ich hätte vielleicht Recht gehabt, daß sie noch nicht bereit
sei für die Selbstständigkeit.
„Aaaber
… vielleicht auch nicht.“
Ähm,
umgekehrt, oder wie, Süße? Im Sinne von doch bereit?
Sie
erklärt mir, sie hätte in den letzten Monaten soviel geschafft, was
sie sich eigentlich gar nicht zugetraut hätte.
Sie
läßt sich auf eine Bank fallen und meint:
„Ich
mach mich selbstständig. Weil ich an mich glaube.“
Sie
schließt die Augen und reckt ihr Gesicht der Sonne entgegen.
Wie
sie da so sitzt, selbstbewußt, strahlend, glücklich … ist sie so
wunderschön, daß mir ganz heiß vor Freude darüber wird, daß sie
zu mir gehört.
Und
ich bin so verdammt stolz auf sie!
4392
Heute
bin ich alleine joggen. Und es ist einfach herrlich, nach Hause zu
kommen und Martha ist da.
Sie
erfüllt meine an sich trostlose Bude mit Leben, mit Wärme.
Das
tut mir so gut.
Während
ich an der Tür noch einige Dehnübungen mache, lausche ich ihrer
fröhlichen Stimme; sie telefoniert gerade.
Als
das Gespräch beendet ist, erzählt sie mir von einer Freundin, die
ihr Ladengeschäft aufgibt, weil sie mit ihrem Freund nach London
zieht.
Und
sie könne den Laden übernehmen.
Doch
sie zögert.
Ich
frage sie, ob die Miete zu hoch ist.
Nein,
keineswegs.
Falsche
Gegend?
Nein,
das wohl auch nicht.
„Ja,
was is?“, werde ich ungeduldig.
Martha,
lass dir doch nicht die Würmer einzeln aus der Nase ziehen!
Der
Laden sei in Berlin.
„Gut.“,
sage ich und sehe sie auffordernd an.
Ich
freue mich riesig; das ist eine tolle Chance für ihre
Selbstständigkeit.
*******
Als
ich aus der Dusche komme, sitzt Martha ziemlich unentschlossen und
nicht besonders glücklich auf dem Bett.
„Wann
wolltest du denn los?“, frage ich sie.
„Wohin?“
Wohin?
„Berlin.“
„Warum?“
Manchmal
verstehe ich Martha einfach nicht.
„Du
mußt dir den Laden doch angucken.“
Sie
meint, das sei 'ne Nummer zu groß für sie.
Ich
verstehe sie falsch und frage nach der Größe des Ladens.
Doch
das hat sie nicht gemeint.
Sie
meint, sie hätte noch nie eine eigene Kollektion auf die Beine
gestellt. Und dann auch noch in Berlin.
Ihr
fehlt mal wieder die nötige Portion Zuversicht.
Das
sei verrückt.
Ich
frage sie, ob ihre Freundin, die den Laden abgibt, verrückt sei.
Nein,
die sei ganz normal.
„Aha!“,
meine ich.
Es
ist also verrückt, sich in Berlin selbstständig zu machen, aber
nicht verrückt, dasselbe in London zu tun.
Leider
begreift Martha nicht, worauf ich mit meinem „Aha!“ hinaus will.
„Berlin
ist der perfekte Ort für deinen Plan.“
„Aber
… was ist mit uns?“
Okay,
damit kommen wir dem Grund für ihr Zögern wohl näher.
„Ach,
Berlin ist doch nicht in Bangladesh.“, versuche ich sie zu
beruhigen.
Und
will sie zärtlich küssen.
Doch
sie weicht aus.
Ach,
Martha! Ich weiß, du hast gesagt, nicht mal ein Meter Trennung geht,
aber das hält unsere Beziehung schon aus.
Wir
lieben uns.
„Ich
fliege jedes Wochenende nach Berlin, wir treffen uns, ziehen
um die Häuser ...“
Ich
dachte, es sei für sie selbstverständlich, daß wir uns jedes
Wochenende sehen würden. Anders würde ich das doch selbst nicht
aushalten.
In
welchem Stadtteil der Laden eigentlich sei, will ich wissen.
In
Neukölln.
Na,
perfekt! Neukölln ist DAS Viertel für Mode in Berlin. Da gibt es
reichlich Kundschaft.
Ich
versuche, meine Begeisterung auf Martha zu übertragen.
„Natürlich
schaffst du das!“
Sie
schaut immer noch skeptisch, aber ich denke, mein Glauben an sie hat
sie doch überzeugt.
Und
diesmal weicht sie nicht aus, als ich sie küssen will ...
*******
Martha
ist unterwegs. Sie will ihren Freunden die Neuigkeit mitteilen.
Ich
bin ein bisschen müde und mache es mir im Sessel gemütlich.
Dann
muß ich eingedöst sein.
Ein
bekannter Traum.
Der
Schrank.
Ich
sehe mich selbst, wie ich durch einen Spalt zwischen den Schranktüren
spähe.
Und
die Leichen meiner Eltern erblicke, ohne in dem Moment wirklich zu
begreifen, daß sie tot sind.
Ich
sehe schwere Stiefel; die eines der Mörder …
Verstört
ziehe ich mich wieder tief in den Schrank zurück.
Und
schrecke hoch, stelle fest, daß ich nur geträumt habe.
Noch
heftig atmend reibe ich mir die Stirn, um wieder klar zu werden.
Stehe
auf und versuche, den Alp abzuschütteln.
Es
ist erschreckend, wie dieser Traum mich immer wieder total aus der
Fassung bringt.
Plötzlich
geht die Tür auf.
Ganz
von selbst.
Hat
Martha sie vorhin nicht richtig zugemacht?
Repariert
ist sie ja.
Noch
ein wenig durcheinander von dem Traum und mit einem Gefühl im Magen,
das ich nicht erklären kann, bewege ich mich langsam auf die Tür
zu.
Irgendwas
stimmt nicht.
Draußen
liegt Martha.
Reglos.
Tot.
Neben
ihr ihr Strickzeug.
Mein
Herz setzt für einen Moment aus, das Blut weicht mir aus dem
Gesicht.
NEIN
!!!
Nein,
das darf nicht …
Sie
darf nicht …
In
dem Moment, wo ich meine, zusammenzubrechen, bewegt Martha ihren
Kopf.
Verstört
und verängstigt schlage ich die Tür zu.
Und
finde mich im nächsten Augenblick in meinem Sessel wieder.
Ich
begreife nicht, was passiert ist.
Gerade
war ich doch noch …
In
heller Panik rase ich zur Tür, schreie „MARTHA!“ und reiße die
Tür auf.
Starre
voller Angst auf die Stelle, wo eben noch Martha tot gelegen hat.
Doch
die Stelle ist leer.
*******
Ich
bin verstört.
Muß
mich setzen.
Was
war das gerade?
Ein
Alptraum im Alptraum?
Doch
es ist eigentlich unwichtig.
Viel
wichtiger ist, was dieser Traum mir gerade sagt.
Ich
habe panische Angst, Martha zu verlieren.
Das
ist sonnenklar.
Um
das zu erkennen, brauche ich keine Traumdeutung.
Ich
kann sie nicht einfach so nach Berlin gehen lassen.
Es
würde mich wahnsinnig machen.
Ich
würde keine ruhige Minute mehr haben, kein Auge mehr zumachen
können.
In
meinem verzweifelten Wunsch, sie festzuhalten, sie nie mehr
loszulassen, reift ein Gedanke in mir ...
Ich
bin noch völlig in Gedanken versunken, als Martha nach Hause kommt.
Sie
ist wieder fröhlich und gut gelaunt.
Fragt
mich, ob alles okay ist, als sie mich wie erstarrt im Sessel sitzen
sieht.
Ich
sehe sie an und sehe sie gleichzeitig tot auf dem Boden liegen.
„Ja
ja.“, antworte ich auf ihre Frage.
Ich
kann ihr unmöglich die Wahrheit sagen.
Ich
habe solche Angst, sie zu verlieren.
Es
passiert genau das, weswegen ich nie jemanden an mich ranlassen
wollte.
Nie
wieder wollte ich solche Verlustängste haben …
Martha
hat keine Ahnung, was mit mir los ist.
„Ich
bin hier. Man kann mich küssen, umarmen. … Das wird nicht mehr so
leicht werden.“
„Wir
beide haben soviel zu arbeiten, wir werden keine Zeit haben, uns zu
vermissen.“
Nee,
Juri, du wirst sie nicht vermissen. Du wirst Panik schieben.
„Das
glaubst du ja wohl selber nicht.“
Martha
weiß, wie sehr ich sie liebe und begehre. Klar, daß sie mir den
Spruch nicht abkauft.
„Wann
fährst du?“
„Morgen.“
„Gut.“
Gut
geheuchelt.
„Ja,
ich dachte, daß ich mir den Laden so schnell wie möglich anschaue.
Aber wenn ich mir vorstelle, daß ich dann … in einer anderen Stadt
bin, könnt' ich glatt losheulen.“
Sie
sagt wie immer offen, wie ihr zumute ist.
Ich
sage Martha, daß wir das feiern sollten. Also ihren Neuanfang in
Berlin. Mit all ihren Freunden.
Sie
ist erstaunt und hält das nicht für notwendig.
Doch
ich hänge mich sofort an ihr Telefon und trommle die Leute zusammen.
Ich
brauche Leute um mich herum; das wird mich hoffentlich von meinen
Ängsten ablenken ...
*******
Sascha
hilft mir, die Kisten mit den Getränken ins No Limits zu tragen.
Nicht, daß dort Mangel an Alkoholischem herrschen würde.
Aber
die Feier soll serbisch angehaucht sein und da brauchen wir doch ein
wenig mehr Sljivovic als gewöhnlich vorrätig.
Sascha
ist wie immer penetrant neugierig und wundert sich, warum ich mit
Martha nicht lieber allein sein möchte.
Und
er kauft mir nicht ab, daß ich das mit Marthas Weggang nach Berlin
so locker nehme.
*******
Ich
stoße mit Sascha an.
„Martha
denkt bestimmt, du bist froh, daß sie geht.“, meint er.
Ich
starre erst auf die Theke und dann ihn an.
„Na,
ist doch vollkommen klar – erst hattest du die ganze Zeit Schiß,
sie an dich ranzulassen ...“
Ich
lasse ihn nicht ausreden, ziehe ihn zu mir her, damit niemand sonst
mich hört und sage:
„Ich
hatte einen unguten Traum. Martha lag auf dem Boden. Tot.“
„Okay,
du hast Schiß vor 'ner Trennung. Das mit deinen Eltern ist was
komplett Anderes, da war Krieg.“, meint er eindringlich zu mir und
ich verstehe, daß er mich beruhigen will. Daß ich nicht befürchten
muß, Martha ebenso zu verlieren.
Aber
seine gut gemeinten und sicher wahren Worte können mir meine Angst
nicht nehmen.
„Menschen
sterben auch ohne Krieg.“
„Du
kannst Martha nicht vor allen Gefahren beschützen. Mann, genieß es,
solange sie da ist und … und zeig ihr, was du fühlst.“
Ja,
da hat er Recht.
Ich
sollte Martha zeigen, was ich fühle.
Was
ich will.
Nämlich
sie.
Für
immer.
Ich
sehe auf den Ring an meinem linken Ringfinger.
Es
ist der Ehering meines Vaters.
Ich
fasse einen Entschluß.
Es
ist der einzig Richtige.
*******
Ich
seile mich kurz von der Party ab, denn ich muß etwas organisieren.
Und
finde einen Stehgeiger, der spielen kann, was mir vorschwebt.
Als
ich diesen vor Martha bugsiere, ist sie sichtlich erstaunt; sie kann
sich keinen Reim auf mein Verhalten machen.
Sicher
auch nicht darauf, daß sie allein an der Bar sitzt, während ich
scheinbar ausgelassen tanze.
Aber
den Mut, den ich gleich brauche, muß ich mir erst antrinken und
antanzen.
Doch
dann hole ich sie mir und ziehe sie mit auf die Tanzfläche.
Wir
tanzen so ausgelassen wie damals in der Balkan-Disco.
Das
gefällt ihr, sie lacht und strahlt.
Überhaupt
sieht sie wunderschön aus in ihrem luftigen Sommerkleid, geradezu
bezaubernd.
Es
ist ein herrliches Kleid, weiß mit schwarzer Stickerei,
schulterfrei. Dazu trägt sie hohe schwarze Pumps mit Schnallen, die
schöne schlanke Beine machen.
Nicht
nur ich sehe sie bewundernd an.
Und
es muß Schicksal sein, daß sie ausgerechnet heute ein Kleid trägt,
das wie gemacht ist, um …
Wir
tanzen um Martha herum und feiern sie.
Dann
kommt Sascha wie verabredet mit zwei Gläsern Sljivovic für Martha
und mich.
„Mach
mir nach!“, sage ich und wir kreuzen unsere Arme wie beim
Brüderschaft trinken.
Ich
zerschmettere mein leeres Glas auf dem Boden und sie tut es mir nach.
„Angazovanje!“,
rufe ich laut.
Natürlich
hat Martha keine Ahnung, daß dies das serbische Wort für
„Verlobung“ ist und ist deswegen völlig arglos.
Sascha
allerdings versteht, das sehe ich an seinem Blick.
Und
wieder tanzen wir ausgelassen … ich bin total aufgedreht.
Aber
noch habe ich erst den halben Weg geschafft.
Ich
muß es Martha noch sagen.
Ich
küsse sie genußvoll und bin willens, es jetzt zu tun.
*******
„Weißt
du, was das vorhin war?“
„Wir
haben Brüderschaft getrunken, oder?“
Sie
kann sich das Gläserschmeißen und meinen serbischen Ausruf nicht
erklären.
„Hör
mal zu: Mein ganzes Leben hatte ich Angst davor, daß mir jemand zu
nahe kommt. Dann ist plötzlich so 'ne Martha gekommen und ist mir
viel zu nahe gekommen. Ich hab sie versucht loszuwerden, aber sie ließ
sich nicht abschütteln.“
Ich
ziehe sie näher zu mir, nehme ihre Hände in meine.
„Weißt
du … du hast mir beigebracht, was es heißt, glücklich zu sein.
Das da vorhin, das war ein alter serbischer Brauch.“
„Und
der bedeutet?“
Ich
nehme ihren Kopf in meine Hände.
„Wir
haben uns miteinander verlobt.“
„Was?
Das meinst du jetzt gar nicht ernst, oder?“, lacht sie ungläubig.
Oh
doch, meine Süße, und wie!
Sie
schaut mich an und meint verblüfft: „Juri, bist das wirklich du?“
Sie
glaubt mir nicht?
„Ich
mein', du hast große Angst, dich zu binden und jetzt willst du auf
einmal alles und das für immer … und mich ...“
Ja,
Süße. Dich. Und für immer.
Zu
wissen, daß du für immer zu mir gehörst, wird mir die Sicherheit
geben, die ich brauche.
Damit
ich nie wieder sehen muß, was ich heute gesehen habe.
Aber
Martha ist nicht nur mein Notanker, an dem ich mich festhalten kann,
bis meine Probleme eines Tages hoffentlich der Vergangenheit
angehören werden.
Nein,
der Gedanke, daß sie meine Frau wird, daß wir heiraten, ist
tatsächlich ein wunderschöner, freudiger Gedanke, bei dem mir warm
um’s Herz wird.
Und
so sehe ich sie zärtlich-lächelnd an und frage schlicht: „Willst
du?“.
„Ja.
Ja. Ich will.“, sagt sie und strahlt mich an.
Mein
Herz tut einen freudigen Hüpfer.
Ich
nehme ihren Kopf wieder in meine Hände und küsse sie.
Ziehe
sie anschließend auf die Tanzfläche, wo wir in einem langen,
innigen Kuß versinken.
Die
anderen um uns herum nehmen wir nicht mehr wahr.
Es
gibt nur noch uns.
Und
das für immer.
4393
Ich
weiß nicht, wie lange wir uns einfach nur geküßt und in den Armen
gehalten haben.
Es
war wundervoll.
Es
hat sich sooo gut angefühlt.
So
absolut einzig richtig.
Dann
hat Martha das Bedürfnis, ihr Glück zu teilen.
Ich
bin gerne einverstanden – ich bin gefühlsmäßig auf einem
grandiosen Höhenflug, weil es mich beinahe überwältigt, daß
Martha so glücklich über meinen Antrag ist.
Unsere
Gäste sind erstaunt, scheinen sich aber zu freuen.
Ich
fange Saschas Blick auf, habe kurz den Eindruck, daß er nicht
glücklich darüber ist.
Aber
dann lächelt er und nickt zustimmend und ich weiß, auch er findet
es richtig.
Und
ich kriege das glückselige Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht.
Wieder
tanzen wir.
Und
wieder und wieder muß ich meine zukünftige Frau küssen.
*******
Martha
steht bei Dana und Ricardo, dem Arzt.
Ich
bitte die beiden, auf uns zu trinken.
Danach
ziehe ich Martha wieder auf die Tanzfläche, lege mir ihre Arme um
den Hals und drücke sie fest an mich.
Ich
bin so unsagbar glücklich.
Und
gerade deshalb verstehe ich nicht, warum ich just jetzt wieder das
Bild von Martha vor Augen habe, wie sie tot vor meiner Tür liegt.
Oder
vielleicht gerade, weil sie mir nun noch näher ist?
Die
Gute merkt sofort, daß etwas mit mir nicht stimmt.
Ich
schiebe meine komische Stimmung auf die Musik, die sei zu traurig.
Doch
sie ahnt, was mit mir ist, denn sie meint, es sei doch noch gar nicht
sicher, daß sie nach Berlin ginge. Vielleicht gefiele ihr der Laden
ja gar nicht.
Ganz
plötzlich kann ich all die Leute um uns herum nicht mehr ertragen.
„Weißt
du, ich würde gerne die letzte Zeit, die wir miteinander haben, mit
dir alleine verbringen. … Gehen wir?“
Sie
strahlt mich an und nickt.
Vielleicht
hilft mir ihre Zärtlichkeit aus dieser trüben Stimmung.
Und
so schleichen wir uns von unserer eigenen Feier.
Vermissen
wird man uns kaum.
*******
Tatsächlich
vertreibt der Gedanke an traute Zweisamkeit mit meiner Süßen die
schrecklichen Bilder aus meinem Kopf.
Vor
Glück übermütig trage ich sie das letzte Stück Weg.
Sie
wehrt sich, quiekt und verlangt lachend, daß ich sie runter lasse.
„NIEMAAALS!“
Sie
meint, das mache man eigentlich erst nach der Hochzeit so.
„Ich
werde dich jeden Tag meines Lebens auf Händen tragen!“, deklamiere
ich.
Sie
quiekt noch lauter und ich muß mich anstrengen, meine ernste Haltung
zu bewahren.
„Und
zwar ins Bett!“, füge ich hinzu, während ich sie schwungvoll
darauf werfe.
Ich
kniee mich gleich über sie, lasse ihr keine Chance zu entkommen.
Sie
scheint allerdings nicht die geringste Lust zu einem Fluchtversuch zu
haben.
Genüßlich
und leidenschaftlich erwidert sie meinen Kuß.
„Ich
liebe dich, Juri Adam.“, meint sie offensichtlich sehr glücklich.
Ich
dich auch, meine Süße!
Und
wir haben wunderbaren Sex voller Lust, Liebe und Zärtlichkeit …
Martha
schläft entspannt und friedlich, während mich die schrecklichen
Bilder wieder einholen.
Ich
liege wach, beobachte meine Süße im Schlaf und beneide sie um das
Glück, so unbelastet, so unbeschwert zu sein.
Wenn
ich nur die Fesseln meiner Vergangenheit abwerfen könnte …
Ich
liege da, gequält von der Angst, sie verlieren zu können.
Weil
ich ohne sie wieder in das finstere Loch zurückstürzen würde, das
mein Leben vor ihr war.
Einsam
und kalt.
Ich
brauche sie so sehr.
Ihre
Liebe, ihre Wärme, ihre Zuversicht.
Der
Gedanke, daß sie nicht mehr da sein könnte, daß sie mich hilflos
zurückläßt, ist schrecklich ...
*******
Als
die Sonne heraufsteigt und ihr goldenes Licht durch das Oberlicht
über der Tür wirft, habe ich keine Minute geschlafen.
Martha
wacht auf und wundert sich.
Hockt
sich neben mich auf die Stufen, auf denen ich erstarrt bin und sieht
mich fragend an.
„Ich
hab Angst.“
„Wovor?“
„Dich
zu verlieren.“
Und
ich habe den Mut, ihr von meinem schrecklichen Traum zu erzählen.
Daß
ich sie habe tot da liegen sehen.
Sie
versucht mich zu beruhigen. Daß das nicht heißen müsse, daß es
wirklich passiert.
Es
hätte höchstens was damit zu tun, daß ich Verlustängste habe.
„Nein.“,
sage ich.
Sie
lächelt und meint, doch das sei es, ich würde sie eben jetzt schon
vermissen.
Ich
drehe den Kopf weg.
„Hey,
red mit mir, sonst kann ich dir nicht helfen.“
Sie
hat ja Recht.
„Seitdem
meine Eltern ermordet wurden, hatte ich immer Verlustängste. Ich
wollte dich nicht an mich ranlassen und jetzt kann … ich dich nicht
gehen lassen.“
Ihr
fröhliches Lächeln ist Traurigkeit gewichen. Und Betroffenheit.
Sie
wiederholt, daß das nicht passieren müsse. „Wir bleiben zusammen,
das ist doch ganz klar. Wir stehen das zusammen durch, wirklich.“
Sie
streicht mir zärtlich durch's Haar.
Diese
liebe, tröstende Geste nimmt etwas von der klammen Kälte in mir.
„Glaub
mir … so schnell wirst du mich nicht los.“
Das
ist Marthas einzigartige Art, das Leben immer mit Humor zu nehmen …
*******
Ich
versuche, mich zu erklären.
Was
in diesem Traum geschieht.
Daß
ich wieder und wieder das brutale Hämmern der kroatischen Milizen an
unsere Tür höre.
Auch
während ich Martha davon erzähle, werden wieder Bilder aus der
Vergangenheit in mir lebendig.
Ich
sehe Vaters Hand, die sich im Todeskampf an der Erkennungsmarke
seines Mörders festkrallt.
Dieses
Bild hat sich mir unauslöschbar eingeprägt.
Ich
höre Schüsse, sehe die leblosen Körper.
„Meine
Eltern waren gleich tot. Ich habe meinen Vater an der Tür liegen
sehen. … Er hatte was in der Hand. Diese Erkennungsmarke.“
Ich
zeige Martha das angelaufene Stück Blech.
Sage
ihr, daß mein Vater dieses Ding seinem Mörder vom Hals gerissen
haben muß.
„Mein
Leben lang will ich den schon finden. Der Gedanke daran hat mich
überhaupt am Leben gehalten.“
Der
Gedanke an Vergeltung für seine Bluttat.
Ich
weiß nicht, ob Martha nun schockiert ist.
Sie
fragt mich, ob ich ihn gefunden hätte.
Ich
sage ihr, daß da keine Chance besteht. Die Täter hätten ihre
Spuren gut verwischt und den Mantel des Schweigens und Vergessens
über ihre Untaten gebreitet.
Martha
sagt, daß sie es versteht. Daß ich diesen Menschen finden möchte.
Sie verstünde auch das Gefühl von Rache.
„Aber
… ich glaube, daß du damit abschließen solltest.“
Ich
höre ihr aufmerksam zu. Alles was sie sagt, ist wert, darüber
nachzudenken.
„Denn
egal, was du tust … es ändert nichts an der Tatsache.“
Daß
meine Eltern tot sind? Nein, daran würde sich nichts ändern.
Aber
der Wunsch nach Vergeltung sitzt so lange und so tief in mir, daß
ich ihn nicht einfach so abschütteln kann.
Martha
beugt sich über meinen Koffer, will wohl die Marke wieder
hineinlegen.
Da
bemerkt sie, daß der Koffer einen doppelten Boden hat.
Es
hat keinen Sinn und wäre auch nicht richtig, ihr zu verheimlichen,
was sich darunter verbirgt.
Und
so klappe ich ihn hoch, daß sie die Pistole darunter sehen kann.
Einer
der Schüsse, von denen meine Eltern niedergestreckt wurden, hallt
mir laut in den Ohren …
*******
Mir
ist klar, daß Martha das nicht so im Raum stehen lassen wird.
Ich
habe ihr die Waffe gezeigt, bin aber nicht willens darüber zu reden.
Es
ist auch müßig, denn ich werde den Mörder nie finden.
Martha
gibt mir außerdem zu bedenken, daß dieser schon längst tot sein
könnte.
Ja,
das wäre möglich. Ich ertappe mich dabei, ihm einen möglichst
schmerzlichen Abgang zu wünschen, während ich mich anziehe, denn
ich will raus an die Luft, mich bewegen.
„Gestern
Abend hast du mir gesagt, wie glücklich du bist … mit mir. Ich
dachte … da kannst du die Vergangenheit endlich ruhen lassen.“
Nichts
lieber als das, Martha. Was glaubst du wohl, wie gerne ich das alles
hinter mir lassen würde? Es ist eine quälende Last.
„Du
mußt es wenigstens versuchen.“, redet sie mir zu. Lehnt sich von
hinten an mich, legt die Arme um mich.
Das
tue ich doch, Martha. Indem ich mir dir zusammen bin. Aber das ist
nicht so einfach.
Sie
deutet auf die kyrillischen Buchstaben, die sich von meinem Hals
runter bis zu meiner rechten Hand ziehen und möchte wissen, was sie
bedeuten.
„Schwer
zu erklären. Sowas wie … 'Niemals verzeihen. Niemals vergessen.'“
Das
habe ich mir damals eintätowieren lassen, als ich mir schwor,
Vergeltung zu üben, den Mord an meinen Eltern zu rächen.
„Ich
glaub nicht, daß das der richtige Weg ist.“, meint Martha.
Ich
weiß, daß eine solche Denkweise ihr fremd ist.
„Ich
hatte die Waffe jahrelang nicht mehr in der Hand.“, sage ich.
„Aber
… würdest du sie benutzen?“
Ich
verstehe, daß dies für Martha sehr wichtig ist.
„Ich
suche ihn gar nicht.“, antworte ich und weiß, daß das keine
Antwort auf ihre Frage ist.
„Würdest
du die Waffe wirklich benutzen?“, fragt sie nun sehr viel
eindringlicher.
„Juri,
du bist kein Mörder! Wirf diese Waffe weg! Und auch diese Marke.“
Ich
weiß, daß es nicht richtig ist, sie ohne ein weiteres Wort einfach
stehenzulassen, aber ich muß raus.
Raus
an die Luft und nachdenken.
*******
Als
ich wieder nach Hause komme, ist Martha nicht da. Sie brauchte
wahrscheinlich auch frische Luft.
Mir
hat die Bewegung geholfen.
Ich
fühle mich imstande, in Ruhe nachzudenken.
Ich
weiß, was den Haß und die Rachegefühle haben hochkochen lassen.
Martha
tot … ich weiß, daß ich keine Ruhe hätte, bis der gefunden ist,
der ihr etwas angetan hat.
Das
war es. Der Gedanke, daß irgendjemand mir Martha gewaltsam nehmen
könnte, hat das ausgelöst.
Ich
nehme die Waffe in die Hand und betrachte sie.
Soviel
Unheil kann man damit anrichten.
So
eine Waffe hat meine Eltern getötet.
Ich
denke an Martha und was wohl gerade in ihr vorgeht.
Was
sie denkt.
Ganz
sicher will sie keinen Mann, der sich niederen Rachegelüsten
hingibt.
Ich
habe geschworen, meine Eltern zu rächen, als ich fünfzehn war.
Seitdem
ist eine lange Zeit vergangen.
Und
ich habe mich verändert, seit Martha in mein Leben getreten ist.
Kann
… sollte ich mich ihr zuliebe von dem Schwur lösen?
Ist
dieser Schwur mir wichtiger als sie?
Sie
hat mich gebeten, es wenigstens zu versuchen.
Die
Vergangenheit hinter mir zu lassen.
Sie
hat es verdient, sie ist es wert, daß ich mich ernsthaft bemühe.
Und
so wickle ich Waffe und Marke in ein Tuch.
*******
Damit
Martha sieht, daß es mir ernst ist, rufe ich sie an. Sie soll runter
zum Rhein kommen.
Dort
warte ich auf sie.
Sie
ist aufgeregt und außer Atem, als sie kommt.
Was
los ist, möchte sie wissen.
„Danke.“,
sage ich.
Sie
sieht mich fragend an.
„Dieses
Kapitel ist für mich jetzt zuende. Ich will nach vorne schauen. Mit
dir.“
Und
das meine ich wirklich so, wie ich es sage.
Die
Vergangenheit ist vergangen.
Martha
ist meine Zukunft.
Sie
lächelt mich glücklich an; ich weiß, daß sie stolz auf mich ist.
In
hohem Bogen werfe ich das Tuch samt Inhalt in die Fluten des Stroms.
Sie
lächelt immer noch so glücklich, als ich mich ihr wieder zuwende.
„So
und jetzt setz' ich dich in den Zug nach Berlin. Mach dir keine
Sorgen um mich.“
*******
Irgendwie
zieht es mich zurück ans Rheinufer, nachdem ich Martha zum Zug
gebracht habe.
Immerhin
habe ich einen Teil meiner Vergangenheit in diesem Fluß versenkt.
Während
ich nachdenklich am Ufer entlang spaziere, holt Kim mich ein.
Fragt,
ob Martha schon in Berlin sei.
Und
meint, wir wären gestern Abend ja ziemlich schnell weg gewesen.
An
ihrem dreckigen Lachen erkenne ich, daß sie mein Schweigen richtig
deutet.
Ich
bedanke mich für ihr Kommen, worauf sie meint, es wäre eine tolle
Party gewesen und es hätte sehr gut getan, einfach mal alles zu
vergessen …
Einige
Meter weiter entdecke ich etwas im Kies ... das halbe Stück der
Erkennungsmarke.
Es muß aus dem Tuch gerutscht sein, als ich zum Wurf ausgeholt habe.
Es muß aus dem Tuch gerutscht sein, als ich zum Wurf ausgeholt habe.
Kim fällt auf, daß es nur eine halbe Marke ist.
„Die
andere Hälfte hat der Mörder meines Vaters.“
Vergessen?
…
*******
Die
Erkenntnis, daß ich meine Vergangenheit doch nicht einfach dadurch
abhaken kann, indem ich einen Teil davon auf dem Grund des Rheins
versenke, erschreckt mich sehr.
Ich
habe Martha nichts vorgemacht; ich will das nicht mehr!
Aber
kann ich das?
In
mir drin wüten Emotionen, die mir Angst machen, weil sie
unkontrollierbar scheinen.
Ich
beginne zu begreifen, daß der bloße Wille allein nicht reicht.
Aber
was soll ich tun?
So
tun, als ob nichts wäre?
Ich
werde dem Mörder eh nie begegnen – es würde sich doch eigentlich
nichts ändern im Vergleich zu früher …
Ich
bringe es nicht fertig, das halbe Stück Marke in den Fluß zu der
Waffe zu werfen.
Und
auch das gibt mir wieder zu denken.
Was
ist so schwer daran, ein Stück Blech ins Wasser zu schmeißen …
außer man will das gar nicht?
Will
ich diese Rache noch?
Das
ist eine Frage, mit der ich mich sehr intensiv auseinandersetzen
sollte.
Ich
bin nicht mehr allein. Ich lebe in einer festen Beziehung.
Alles,
was ich für mich entscheide, hat auch Konsequenzen für Martha.
4394
Ich
versuche zu arbeiten, aber ich schaffe es nicht, mich zu
konzentrieren.
Ich
bin sauer auf mich selbst, daß meine Gedanken immer wieder
abschweifen.
Wütend
schubse ich alles vom Tisch, was darauf liegt – halb angefangene
Entwürfe, Stoffe, einfach alles.
Und
klatsche die Erkennungsmarke auf den Tisch.
Es
hat keinen Sinn, es zu verdrängen.
Ich
muß mir eingestehen, daß es mich mehr beschäftigt, als ich will.
Niemals
verzeihen. Niemals vergessen.
Das
hat sich mir eingeprägt wie mit einem Brandzeichen eingebrannt.
Es
hat keinen Sinn, es zu leugnen.
Aber
es macht mich verdammt noch mal wütend.
Mein
Blick fällt zu Boden, da liegt etwas.
Ein
kleines Kärtchen mit einem aufgeklebten Herz und Marthas
Handschrift. Ich vermisse dich jetzt schon, steht darauf.
Meine
Gesichtszüge entspannen sich sofort; ich merke, wie ich glücklich
lächle.
Meine
Martha!
Sascha
taucht auf.
Fragt,
ob Martha schon weg wäre.
Und
will wissen, ob mit mir alles okay ist.
Klar
merkt er, daß was nicht stimmt. Da hat er blöderweise eine Antenne
für.
Ob
ich klar käme.
„Klar
komm' ich klar.“
Er
meint, wenn mir die Decke auf den Kopf fallen sollte, dann sollte ich
doch mal wieder mit zum Training kommen. Wäre schon eine Weile her.
Da
hat er Recht. Aber in der letzten Zeit waren immer andere Dinge
wichtiger.
Martha
allen voran.
Zu
arbeiten hat keinen Sinn.
Ich
greife mir meine Jacke und haue ab.
Vielleicht
nehme ich Saschas Angebot mit dem Training noch an.
*******
Doch
meine düsteren, rachsüchtigen Gedanken lassen mich zuhause noch
weniger los als bei LCL.
Es
ist sicher unklug, immer wieder die Marke hervorzuziehen.
Jedes
Mal klingen mir wieder die Worte im Ohr – niemals verzeihen,
niemals vergessen.
Das
ist schon wie ein Fluch, der mich in seinem Bann hat.
Nein,
das ist nicht gut!
Ich
öffne den Koffer und mein Blick fällt auf das kleine Flugzeug, mit
dem ich als Kind so gern gespielt habe.
Ich
reise in Gedanken zurück in heile, glückliche Kindertage.
Sehe
Mutter vor mir, die leise lächelt, als ihr Sohnemann wieder
Flugkapitän spielt.
Mir
zärtlich über den Kopf streichelt.
Doch
dann drängen sich andere Bilder vor mein Auge.
Ein
schwerer Stiefel, der das geliebte Spielzeug zertritt.
Schüsse.
Die
mein Leben zerstören, indem sie mir alles nehmen, was mir lieb und
teuer ist.
Ich
lege das Flugzeug zurück und schlage den Kofferdeckel zu.
Ich
fühle mich meinem Trauma mehr denn je hilflos ausgeliefert.
Martha,
ich brauche dich!
Ich
greife zum Telefon und rufe sie an.
Es
tut mir gut, ihre Stimme zu hören.
Sie
sitzt noch im Zug.
Und
meint fürsorglich, daß sie sofort zurückkommen würde, wenn ich
sie brauchen sollte.
Doch
das will ich nicht.
Es
darf nicht immer nur um mich und meine Probleme gehen.
Der
Laden in Berlin bedeutet ihr viel.
Darauf
soll sie sich konzentrieren.
Sie
fragt mich, was ich heute noch so mache.
Ich
sage ihr, daß ich vielleicht mit Sascha boxen gehe.
Ob
ich mit ihm reden wolle, fragt sie.
Mir
ist klar, warum sie mich das fragt.
Ich
antworte „Ich weiß noch nicht. Vielleicht.“
„Wenn
einer dich verstehen kann, dann er.“
Dann
reißt leider die Verbindung ab.
Gerne
hätte ich einfach noch weiter ihrer lieben Stimme gelauscht, die mir
so gut tut.
*******
Ich
habe das Telefon schon in der Hand und Saschas Nummer aufgerufen.
Doch
ich kann mich nicht überwinden, ihn anzurufen.
Aber
allein mit mir selbst kommen sie wieder … die dunklen Erinnerungen.
Ich
lehne mich an meinen Sandsack und höre sie wieder.
Die
Schüsse.
Die
Tritte der schweren Stiefel.
Wieder
sehe ich die toten Körper meiner Eltern.
Nein,
es tut mir ganz und gar nicht gut, mit diesen Erinnerungen allein zu
sein, die jetzt, wo Martha nicht da ist, viel präsenter sind als
zuvor.
Darum
rufe ich Sascha doch an.
Ich
muß hier raus.
Beim
Training werde ich vielleicht eine Weile von meinen destruktiven
Gedanken verschont.
Abgesehen
davon, daß ich ein wenig von den Aggressionen in mir ablassen kann.
Und
vielleicht kann ich mich ja wirklich überwinden, mit ihm über meine
Vergangenheit zu reden ...
*******
Sascha
fragt mich schon wieder, ob alles okay ist.
Er
scheint zu spüren, daß mir Marthas Abwesenheit echt zu schaffen
macht.
Daß
ich sie brauche, weil ohne sie alles zusammenbricht.
Ich
bin aber nicht willens, mein Seelenleben vor ihm auszubreiten.
Stattdessen
frage ich ihn, ob er oft an Zagreb denkt.
„Ja,
klar.“, meint er.
Dann
fordert er mich auf, endlich mit dem Training anzufangen.
Er
ist ein ernster, aber fairer Gegner, wenn er mich nicht gerade
gewaltsam davon abhalten will, mich an Martha ranzumachen.
Und
das Training tut mir echt gut.
Sich
körperlich abzureagieren ist nie verkehrt, wenn das Innenleben aus
dem Gleichgewicht geraten ist.
Und
wir haben sogar Spaß.
*******
Ich
gestehe, ich war doch nicht so ganz bei der Sache.
Sascha
hat mich ein paarmal eiskalt erwischt.
Ich
reibe mir die schmerzenden Rippen, während wir bei Emilio am
Burrito-Wagen stehen und was essen.
Sascha
zieht mich mit meiner Unachtsamkeit auf, gibt mir aber die
Gelegenheit zur Revanche.
Ich
stimme zu, daß wir uns morgen wieder im Club treffen.
Dann
verabschiedet er sich.
In
dem unguten Gefühl, daß mich meine finsteren Gedanken wieder
einholen, wenn ich alleine bin, halte ich ihn auf.
Und
lade ihn auf ein Bier ein.
Er
ist erstaunt, sagt aber zu.
Ich
will mit ihm reden.
Er
hat Ähnliches durchgemacht wie ich.
Ich
habe mich Martha gegenüber geöffnet.
Ich
kann das auch bei ihm versuchen.
Er
wird mich vielleicht sogar besser verstehen können als Martha.
*******
Sascha
merkt gleich, daß ich ihn nicht einfach zu einem Bier und einer
belanglosen Plauderei eingeladen habe.
Und
so fordert er mich schon bald auf, zu reden.
„Meine
Vergangenheit. Ich muß mich mal richtig mit meiner Vergangenheit
beschäftigen.“
Ich
gestehe ihm, daß ich einfach nicht über den Krieg reden kann.
„Kenn
ich.“, sagt er.
Ich
frage ihn, wie er das gemacht hätte. Seinen Frieden zu finden.
Denn
diesen Frieden brauche ich sehr.
Er
meint, er hätte viel mit einem Sozialarbeiter geredet, als er nach
Deutschland kam. Das hätte ihm gut getan.
Woran
ich mich erinnern könne, will er wissen.
„An
die Mörsergranaten. … Und es war kalt.“
Ich
spüre die Kälte beinahe körperlich. Auf dem Balkan herrscht ein
strengerer Winter als hier.
„Hat
man dich auch zum Holzklauen geschickt?“, fragt er.
„Was,
dich auch?“
Uns
verbindet tatsächlich mehr, als ich dachte.
„Die
Leute haben ihre eigenen Möbel verheizt, weil es nichts anderes gab.
Und dann haben sie uns Kinder losgeschickt, um Bäume in der
Nachbarschaft zu klauen.“, erzähle ich. „Gab richtige
Schlägereien um die Bäume.“
„Ja.
Und Kinder schlägt man nicht.“, nennt Sascha den Grund, warum wir
die Bäume klauen mußten.
Warum
ich mit niemandem darüber geredet hätte, fragt Sascha nach einer
Pause.
Ich
hätte halt nicht so einen Sozialarbeiter wie er gehabt.
Über
sowas kann man nicht mit jedem x-beliebigen Menschen reden.
Und
ich habe seit damals niemanden mehr an mich rangelassen.
„Aber
jetzt habe ich ja Martha und dich.“
Ich
schaffe es, Sascha zuzulächeln.
Es
tut mir wirklich gut, mit ihm zu reden.
Beim
Gedanken an Martha fällt mir ein, daß sie mich anrufen wollte,
sobald sie in Berlin angekommen ist.
Ich
wühle in meinen Taschen, habe aber offensichtlich mein Handy
vergessen.
Sascha
bietet mir seins an.
Aber
ich lehne dankend ab; Martha wüßte ja, daß wir beisammen sind.
Weil es nämlich ihre Idee gewesen sei, daß ich mit ihm reden soll.
„Ich
weiß zwar nicht wieso, aber diese Frau liebt dich.“
Ich
weiß es ja auch nicht, warum sie sich freiwillig mit so einem
chaotischen, komplizierten Typen rumschlägt.
„Kannst
dich echt glücklich schätzen mit ihr.“, fügt er hinzu und
lächelt mich vielsagend an.
Ich
weiß. Und glaub mir, das tue ich.
„Ja.
Jede andere hätte mich längst verlassen.“
Ich
trinke mir mit Sljivovic ein wenig Mut an.
„Meine
Eltern … sind gestorben.“
Meine
Zunge ist schwer wie Blei und das liegt nicht an dem bisschen
Alkohol.
„Und
wie?“
„Kroatische
Bürgermiliz. Bei uns zuhause.“
Wieder
sehe ich die grausame Szene vor mir.
„Und
du?“, hallt Saschas Stimme wie aus der Ferne an mein Ohr.
„Ich
war zuhause.“
Sascha
fährt sich durch die Haare und das „phhh“, das er von sich gibt,
macht mir klar, daß er sehr wohl nachfühlen kann, was ich
durchgemacht habe.
„Hast
dir den ganzen Scheiß angeguckt?“, fragt er.
Ja.
Alles. Alles habe ich gesehen.
Viel
mehr als ich sehen wollte.
Als
jemand je sehen sollte.
Ich
starre eine Weile in den Pool im No Limits und fordere Sascha dann
auf, von seinen Eltern zu erzählen.
Sein
Vater sei bei der Miliz gewesen.
Er
hätte viele Einsätze gehabt und sei immer wieder nach Hause
gekommen, sodaß Sascha dachte, sein Vater sei unverwundbar.
Ja,
als Kind denkt man immer, die Eltern wären bis in alle Ewigkeit für
einen da.
„Bis
zu dem einen Tag.“
An
Saschas Stimme und daß er verstummt, merke ich, was nun kommt.
„Wie
ist es passiert?“
„'Ne
Handgranate hat ihn erwischt.“
Trotz
der saloppen Ausdrucksweise spüre ich, daß Sascha das zwar
verarbeitet haben mag, aber seinen Vater ebenso vermißt wie ich
meinen.
„Alles,
was unser Nachbar noch nach Hause bringen konnte, war diese Marke.
Ich trag sie jeden Tag bei mir.“
Es
spricht für ihn, daß er diese Erinnerung an seinen Vater stets bei
sich hat.
Er
reicht mir das kleine Stück Blech und steht auf, um uns noch was zu
trinken zu holen.
Bewegt
von unserem Gespräch betrachte ich die Marke näher.
Sie
kommt mir so vertraut vor.
Während
schemenhaft Bilder durch meinen Kopf rasen, hole ich die Marke aus
meiner Tasche; jene, die mein Vater seinem Mörder abgerissen hat.
Ich
halte sie aneinander – sie passen perfekt zusammen.
Ich
blicke zu Sascha hinüber, der an der Theke steht.
Und
plötzlich lodert heiß der Haß in mir auf.
Stärker
als jedes andere Gefühl stehe ich innerlich in Flammen.
Niemals
verzeihen, niemals vergessen.
Ich
sehe nicht Sascha.
Ich
sehe den Mörder meines Vaters.
Und
ich will Vergeltung.
Es
ist nichts verziehen und nichts vergessen ...
Ein
Teil von mir weiß, daß gerade etwas gewaltig schief läuft.
Aber
dieser Teil wird kontrolliert von dem weitaus größeren, der zu
keinem rationellen Denken mehr fähig ist.
Haß
ist ein ebenso starkes Gefühl wie die Liebe.
Und
er kann genauso zerstörerisch sein wie sie.
Der
Vulkan bricht aus und glühende Lava bricht sich Bahn.
Der
Vulkan bin ich.
Über
zwanzig Jahre schlummerte er.
Um
jetzt mit Wucht alles herauszuschleudern.
Wie
ein Korken, der dem Druck unter ihm nachgibt.
Nur
viel, viel stärker.
Eine
Stimme tief in mir sagt mir, daß ich im Begriff bin, den größten
Fehler meines Lebens zu machen.
Aber
ich bin nicht imstande, auf sie zu hören.
Ich
will Rache.
Vielleicht
nur aus der Verzweiflung heraus, daß dann alles ein Ende hat.
Der
Schmerz, den ich fühle.
Daß
endlich endet, was an diesem einen Tag vor langer Zeit begann.
Äußerlich
völlig ruhig, beginne ich damit, die Ausführung meiner Rache zu
planen …
4395
Wie
mechanisch aufgezogen gehe ich nach oben zur Theke.
Auf
seltsame Weise ist alles um mich herum wie ausgeblendet; die
Menschen, die Geräusche …
Je
stärker der Haß in mir wütet, desto ruhiger werde ich nach außen.
Dann
stehe ich neben ihm.
Was
er sagt, höre ich nicht.
Ich
lege die Marke vor ihm auf die Theke.
Blechernes
Zeugnis einer grausamen, unnötigen Bluttat.
Ich
habe das Gefühl, daß die tätowierten Buchstaben auf meinem Arm mir
gerade noch einmal eingestochen werden.
Er
wundert sich über mein Verhalten, sieht mich verständnislos an.
Er
sollte es wissen.
Und
wenn er es nicht weiß, werde ich dafür sorgen, daß er sich
erinnert.
Niemals
verzeihen, niemals vergessen.
Wortlos
gehe ich.
*******
Dann
bin ich zuhause.
Blicke
auf die Marke und sehe wieder die Bilder vor mir.
Meinen
Vater, wie er seinem Mörder die Marke abreißt.
Die
leblosen Körper von ihm und meiner Mutter.
Aber
diesmal will ich sie sehen.
Jedes
einzelne Detail.
Ich
versuche nicht wie sonst, die Bilder abzuschütteln.
Und
diesmal sehe ich auch ihn, sein Gesicht …
Und
er ist hier …
All
die Jahre des Hoffens, ihm einmal zu begegnen … und nun geschieht,
auf was ich letztlich nicht mehr zu hoffen wagte.
Daß
ich meine Rache ausüben darf.
Meinen
Schwur einlösen …
*******
Ich
habe über den Club meine Kontakte spielen lassen.
Treffe
meinen Mann am Rheinufer.
Geld
und Waffe wechseln den Besitzer.
Dann
melde ich mich bei ihm.
Wenn
er kein feiges Arschloch ist, stellt er sich mir.
Und
trägt die Konsequenzen für sein Handeln.
Der
Vulkan brodelt, aber ich bin äußerlich immer noch völlig ruhig.
Der
Gedanke, meinen Racheschwur bald einlösen zu können, erfüllt mich
mit tiefer Befriedigung.
Es
ist, als ob die Erlösung für jahrelange Qual naht.
Ich
weiß, ich werde mich befreit fühlen.
*******
Er
ist hier.
E
ist tatsächlich gekommen.
Ich
höre ihn, als er telefoniert.
Er
ist arglos, er hat keine Ahnung, was ihn erwartet.
Daß
er gleich bezahlen wird.
Bezahlen
für den sinnlosen Tod meiner Eltern.
Langsam
und leise nähere ich mich ihm.
Und
dann stehe ich vor ihm.
Von
Angesicht zu Angesicht.
Es
soll nicht schnell gehen.
Er
soll vorher begreifen, warum er bezahlen soll.
Er
soll die Todesangst spüren, die meine Eltern gefühlt haben.
Ohne
Vorwarnung schlage ich ihn nieder.
*******
Als
er wieder zu sich kommt, ist er an einen Stuhl gefesselt.
Ich
trete dicht vor ihn.
Er
verlangt, daß ich ihn losmache.
Ich
greife nach der Kette um seinen Hals und reiße ihm die Marke runter.
Halte
ihm seine und meine Hälfte unter die Augen.
„Was
ist das?“, herrsche ich ihn an, obwohl ich es weiß.
Aber
er soll es mir sagen.
„Die
Erkennungsmarke meines Vaters.“
Ja,
du Bastard.
Deines
Vaters.
Ob
Vater oder Sohn, es macht keinen Unterschied für mich.
Wenn
ich ihm ins Gesicht sehe, ist es, als würde ich den Mörder selber
anblicken.
„Woher
hast du die?“, fragt er aufgebracht.
„Es
war so ein schöner Tag.“, sage ich ganz ruhig.
Ein
schöner Tag, der zum schlimmsten meines Lebens wurde.
Ich
erzähle ihm, wie die Männer unser Haus stürmten.
„Er
hat sie einfach so erschossen.“
„Das
war nicht mein Vater!“
Oh
doch!
„Ich
weiß nicht, wie lange ich in dem Schrank gesessen habe. Vielleicht
ein paar Stunden. Als ich rausgeklettert bin, da lag mein Vater auf
dem Boden. Und das hier hatte er in der Hand.“
Mit
diesen Worten werfe ich das Beweisstück der Gräueltat hinter ihm
auf den Boden.
„Das
kann nicht sein, Juri! Das kann nicht sein!“, jammert er und will
nicht erkennen, zu was sein Vater fähig war.
„Zwanzig
Jahre. Zwanzig Jahre habe ich darauf gewartet.“
Endlich
den Mord an meinen Eltern rächen zu können.
„Dein
Vater hat meine Familie ausgelöscht.“
„Es
war Krieg! Was kann ich dafür?“
„Du
bist ein Vukovic.“
An
deinen Händen klebt das Blut meiner Eltern ganz so, als ob du selbst
sie erschossen hättest.
Ich
packe ihn mit den Händen hart am Hals.
„Komm
runter, Alter und mach mich los!“, zischt er.
Ich
bin ganz ruhig, Junge.
Ruhiger
als je zuvor.
Weil
ich endlich erfüllen kann, was ich mir selbst geschworen habe.
„Juri,
schau mich an! Ich war das nicht! Der Krieg ist vorbei!“
„Nicht
für mich.“
Noch
nicht. Aber bald.
Ich
trete hinter ihn, ziehe ihm den Kopf an den Haaren nach hinten und
präsentiere ihm meinen Unterarm.
„Niemals
verzeihen, niemals vergessen.“
„Ich
weiß, daß deine Eltern tot sind. Meine auch. Und tausend andere
Menschen auch! Es war Krieg!“
Das
ist keine Entschuldigung.
„Du
wirst dafür bezahlen.“
„Ich
bin nicht mein Vater!“
Auch
das ist für mich keine Entschuldigung, sondern nur der feige
Versuch, die eigene Haut zu retten.
„Was
willst du jetzt machen? Mich umbringen?“
Ja,
winsele um dein Leben.
Nicht
mal die Chance hatten meine Eltern.
„Juri,
du kennst mich doch.“
„Ich
mach's wie dein Vater.“
Ich
knall dich einfach ab.
Ich
richte die Knarre auf ihn.
„Juri,
wir sind doch Freunde.“
Das
zählt in einem dreckigen Krieg nichts mehr.
„Ich
mach's wie dein Vater.“, wiederhole ich und lache ihm unbarmherzig
ins Gesicht.
„Leg
diese verdammte Waffe weg, Juri! Noch ist nichts passiert.“
Nein,
noch nicht.
Du
darfst ruhig noch einen kleinen Augenblick Todesangst kosten.
„Es
ist schon viel zu viel passiert.“, lasse ich ihm keinen Zweifel,
was sein Schicksal angeht.
„Juri,
bitte!“, fleht er mich an.
Ich
koste diesen Moment aus.
„NEIN!!!“,
dringt eine mir sehr vertraute Stimme in mein Bewußtsein.
Und
irgendetwas passiert mit mir.
Ich
weiß nicht, was es ist.
Aber
es ist diese Stimme, die nicht nur an mein Ohr dringt, sondern ganz
tief in mein Inneres …
4396
Martha!
Was
zum Geier tut sie hier?
Warum
ist sie nicht in Berlin?
„Juri,
was tust du hier?“
Was
ich tun muß.
„Sein
Vater hat meine Familie ausgelöscht!“, erkläre ich ihr zornig.
„Juri,
leg bitte die Waffe weg.“, höre ich ihre flehende, eindringliche
Stimme.
Das
hier geht sie nichts an.
Und
ich will nicht, daß sie es sieht.
Ihre
Worte mögen unverstanden am Haß, an der Rache abprallen.
Aber
das Entsetzen und die Angst in ihrer Stimme dringen tief in mich ein.
In
mir arbeitet es.
Kräfte
streiten miteinander.
Der
Haß, die Rache haben die Oberhand.
„Die
Erkennungsmarke ist der Beweis! Er hat sie die ganze Zeit um den Hals
gehabt!“, spricht der Haß aus mir. „Ich hab's nicht mal
gemerkt.“
Sie
klettert durch die Seile und kommt auf mich zu.
Wieder
sage ich ihr, daß sie sich raushalten soll.
Verdammt,
warum mußte sie jetzt hier auftauchen?
Doch
eine leise Stimme in mir ist froh, daß sie hier ist.
Der
Haß und die Rache bemühen sich, diese Stimme zu übertönen.
„Martha!
Hau ab!“
Es
ist fast, als ob die destruktiven Kräfte in mir Martha als eine
Bedrohung für die Ausführung meiner Rache ansehen.
Immer
noch habe ich die Waffe in der ausgestreckten Hand.
Ich
will meine Rache vollenden.
Ich
muß sie vollenden.
Aber
ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich es noch kann.
Ich
schwitze.
Längst
schon bin ich auch äußerlich nicht mehr ruhig.
„Gib
mir die Waffe.“, sagt sie und blickt mir gerade in die Augen.
„Hau
ab!“, brülle ich.
Ein
Teil von mir bekommt Panik.
Panik
davor, daß der andere Teil ihr etwas antun könnte.
*******
„Was
machst du hier?“, fragt sie und kommt auf mich zu.
Ich
merke, wie ich vor ihr zurückweiche.
„Ich
hab gesagt 'Geh weg!'.“
„Das
geht nicht. Ich bleib genau hier. Weil … ich will mir nicht mein
ganzes Leben lang vorwerfen, daß ich nichts getan hätte.“
Ich
schlucke schwer.
Die
Situation überfordert mich.
So
war es nicht geplant.
„Zwanzig
Jahre ...“
„Ich
weiß.“, unterbricht sie mich.
„Aber
wenn du hier rumballerst … dann bist du ein Mörder.“
Nein,
ich übe Rache. Das ist etwas anderes.
„Du
bist gerade dabei, Sascha umzubringen. Willst du das?“
„Hör
auf.“, sage ich.
Sie
versteht mich nicht.
Das
kann sie auch nicht.
Martha
stellt sich genau zwischen Sascha und mich.
Ein
Teil von mir begreift, daß die Waffe in meiner Hand nun auf Martha
gerichtet ist.
Doch
der Haß und die Rache sind immer noch stärker als alles andere.
Diese
Gefühle kann man nicht einfach so abschütteln.
„Warum
machst du das?“, frage ich.
Ich
verstehe nicht, warum sie nicht beiseite geht.
Ich
will sie nicht verletzen.
Auf
keinen Fall.
„Weil
ich dich liebe.“, antwortet sie.
Die
leise Stimme in mir sagt mir, warum.
Weil
sie mich vor mir selbst schützen will, der ich gerade dabei bin,
mein eigenes Leben zu zerstören.
Doch
der Haß und die Rache behaupten das Gegenteil.
Sie
sind es doch, die mich am Leben gehalten haben.
Meinem
Leben einen Sinn gaben.
„Und
weil ich glaube, daß es mehr wert ist als Rache.“, fährt sie
fort.
„Aber
wenn es dir so wichtig ist … los!“
Und
sie breitet die Arme vor mir aus.
Nach
wie vor streiten die Kräfte in meinem Inneren.
Haß
gegen Liebe.
Rache
gegen Vernunft.
Wer
gewinnen wird, weiß ich nicht.
Es
ist ein erbitterter Kampf.
In
dem ich auf merkwürdige Art und Weise nur Zuschauer bin.
Ich
habe das Gefühl, neben mir zu stehen und kann nicht fassen, daß ich
eine geladene Waffe auf Martha richte.
Auf
die Frau, die ich liebe.
Auf
die Frau, die ich heiraten will.
Mit
der ich den Rest meines Lebens verbringen will.
„Zieh
durch! Knall mich ab! Es ist Krieg, oder?“
Ja,
es ist Krieg.
Aber
du bist doch nicht der Feind!
„Ich
bin der Kollateralschaden. Aber dann bist du keinen Deut besser als
die Menschen, die du so sehr haßt.“
Ich
will Rache.
Ich
kann nicht vergessen und verzeihen.
Aber
ich kann Martha kein Leid zufügen.
Ich
will ihr nichts Böses antun.
Der
Schweiß rinnt mir die Stirn herunter, während das Negative in mir
gegen Martha ankämpft.
Widerwillig
bemerke ich ihre Tränen.
Juri,
du verdammter Idiot!, versucht die Stimme der Vernunft zu mir
durchzudringen.
Du
fügst ihr bereits Leid zu, indem du immer noch hier stehst, mit der
Waffe in der Hand.
„Ich
weiß, du bist nicht so. Der Mann, den ich liebe, ist nicht so.“
Daß
sie angesichts dieser Situation noch an das Gute in mir glauben kann,
rührt etwas in mir an.
„Du
bist nicht so. Hab ich Recht?“
Ich
weiß nicht, ob ich darauf mit Ja antworten kann.
Doch
langsam sinkt mein Arm nach unten.
Langsam
läßt meine Hand die Waffe fallen.
Langsam
drehe ich mich um.
Ich
höre, wie Martha hastig Sascha von seinen Fesseln befreit.
In
mir toben immer noch wilde Emotionen.
Aber
unter den Haß, die Rache, die Liebe haben sich nun auch Scham und
Schuldgefühle gemischt …
Martha
kommt zu mir.
„Es
ist vorbei.“
Ist
es das?
„Komm,
wir gehen jetzt nach Hause.“
Ich
nicke nur.
*******
Wortlos
gehen wir nach Hause.
Wortlos
hocke ich mich auf's Bett, sie sich mir auf einen Stuhl gegenüber.
Sie
sieht mich an.
Ich
spüre, daß auch in ihr die Emotionen toben.
Entsetzen,
Angst. Vielleicht auch Abscheu.
„Guck
mich nicht so an.“
„Wie
guck ich denn?“
„So,
als hätt' ich mich da reingesteigert.
Die
Stimme der Vernunft in mir weiß, daß es genau so ist.
„Hast
du doch auch ein bisschen, oder? … Du … wolltest einen Menschen
töten, der bei dem Mord an deinen Eltern nicht mal dabei war.“
Spielt
das wirklich keine Rolle für mich?
„Seines
Vaters Blut ist auch sein Blut.“, versuche ich mich zu
rechtfertigen.
„Aber
Sascha kann nichts dafür! Und außerdem … ist es Vergangenheit.“
„Vergangenheit?“,
frage ich.
Die
Vergangenheit ist meine Gegenwart.
„Ich
seh das jeden Tag.“
Immer
wieder auf's Neue.
Wie
meine Eltern sterben.
Das
kann, das darf niemals vergangen sein.
Vergessen
werden.
„Okay.“,
sagt Martha und steht auf. „Ich versteh das. Die Wut. Daß da ein
Trauma ist, das dich quält. Aber … es ist eine ganz andere Sache,
daß man einen Menschen töten will, der nichts anderes verbrochen
hat, als der Sohn eines Mörders zu sein. Das geht nicht. … Ich muß
eine Sache wissen ...“
„Was?“,
frage ich, obwohl ich es weiß.
„Wenn
… ich nicht da gewesen wäre … hättest du Sascha umgebracht?“
Ich
weiß es nicht. Ich denke ja.
Ich
sehe sie an und sage nichts.
Mir
ist klar, wie sie mein Schweigen deuten wird.
Aber
die Konsequenzen muß ich wohl tragen.
Wortlos
verläßt Martha die Wohnung.
Läßt
mich allein.
Aber
ich denke, das ist gut so.
Ich
habe nachzudenken.
Es
ist nämlich noch lange nichts vorbei …
*******
Obwohl
ich mich wie erschlagen fühle, vibrieren meine Nerven.
Rastlos
laufe ich auf und ab.
Um
runterzukommen, gieße ich mir ein großes Glas Sljivovic ein.
Mein
Blick fällt auf die Tätowierung auf meinem Unterarm.
Niemals
vergessen, niemals verzeihen!, hallen die Worte in meinem Kopf.
Dieser
Schwur ist ein Fluch!
Ein
böser Fluch, der mich innerlich zerfrißt.
Wie
ein bösartiges Geschwür, das lange unentdeckt bleibt, bis es
schließlich tötet.
Die
Erkenntnis, daß ich nicht imstande bin, dagegen anzukämpfen, macht
mich fertig.
Klirrend
bricht das leere Glas in meiner Hand.
Doch
der Schmerz, den die scharfen Splitter verursachen, ist nichts gegen
die Qual in meinem Inneren …
*******
Ich
gehe duschen, bediene mich noch einmal am Sljivovic und lege mich ins
Bett.
Nicht
um zu schlafen.
Ich
weiß, daß ich das nicht kann.
Aber
wenn schon der Geist unruhig ist, kann wenigstens der Körper ruhen.
Ich
bemühe mich nicht, abzuschalten.
Ich
weiß, daß es falsch wäre, wieder alles zu verdrängen.
Nun
rächt sich, daß ich mir immer eingeredet habe, klarzukommen.
Ich
denke an Martha und daß ich möglicherweise die Chance auf ein
glückliches Leben mit ihr verspielt habe.
Auf
ihre Frage, ob ich Sascha getötet hätte, habe ich nichts gesagt.
Sie
kann nicht anders, als das als ein Ja zu deuten.
Und
wird mich kaum noch so lieben können wie zuvor.
Ich
hasse mich wieder mal selbst.
Martha
kommt nach Hause.
Sie
legt sich neben mich auf's Bett.
Ich
stelle mich schlafend, weil ich nicht willens bin, mit ihr zu reden.
Nicht,
bevor ich mit mir im Reinen bin.
Eine
Entscheidung getroffen habe.
Ich
spüre ihre Fingerspitzen auf meiner Haut; sie ist unsicher.
Vielleicht
hat sie auch Angst.
Wenn
ich eines ganz sicher nicht wollte, dann sie unglücklich machen.
Und
das habe ich.
Sie
dreht sich weg.
Ich
fühlte mich so selbstgerecht, als ich meine Rache plante.
Aber
ich denke, Martha hat Recht.
Hätte
ich Sascha getötet, hätte ich mich mit seinem Vater auf dieselbe
Stufe gestellt.
Das
ist es ganz sicher nicht, was ich will.
Aber
es wäre so gewesen, das kann ich nicht leugnen.
Auch
wenn dasselbe Blut in ihm fließt – Sascha kann nichts für die
Taten seines Vaters.
Und
nein, er ist auch nicht wie er.
Das
sollte ich mir eindringlich klar machen.
Es
ist falsch, meinen Haß auf ihn zu projizieren, nur weil das
eigentliche Ziel meiner Rache nicht mehr greifbar ist.
Saschas
Vater hat seine Strafe bekommen, indem er an der Granate krepiert
ist.
Ich
muß nicht Richter spielen.
Nur,
daß die Vergangenheit vergangen ist … das gilt nicht für mich.
Ich
drehe mich leise rum, sehe zu Martha und hoffe, sie schläft.
Ich
bin mir nicht sicher, ob sie bei mir ist, weil sie bei mir sein will
oder weil sie meint, sie muß, um mich vor weiteren Dummheiten zu
bewahren.
Stunden
vergehen über meinen quälenden Grübeleien.
Ich
bin gleichzeitig Ankläger und Angeklagter.
Der
eine macht dem anderen schwere Vorwürfe, daß er es so weit hat
kommen lassen.
Ich
habe mir immer eingeredet, daß meine Rache nie jemand anderen als
den Schuldigen treffen würde.
Und
nun muß ich erkennen, wieviele Unschuldige dabei unter die Räder
kommen.
Sascha.
Martha.
Sascha,
der eigentlich ein guter Freund ist.
Der
geholfen hat, daß Martha und ich zusammen gekommen sind.
Martha,
die Frau, die mich so liebt, wie ich bin.
Beide
waren sie immer für mich da, wenn ich sie gebraucht habe.
Und
was tue ich ihnen da an?
Juri,
zerstöre meinetwegen dein eigenes Leben.
Aber
nicht ihres!
Dazu
hast du kein Recht!
Hat
Martha gar nichts an dir verändert?
Hattest
du nicht mal das Gefühl, daß sie einen besseren Menschen aus dir
macht?
Wo
ist dieses Gefühl hin?
Ausgelöscht
durch ein kleines, verrostetes Stück Blech?
Ich
fühle mich beschissen.
Scham
und Reue treiben mir die Tränen in die Augen.
Und
ich habe keine Ahnung, wie ich an den einzigen Menschen, die mir
etwas bedeuten, wiedergutmachen soll, was ich angerichtet habe.
Als
der Morgen graut, bin ich auf.
Ich
muß raus an die frische Luft.
Und
dann will ich mit Sascha reden.
Solange
diese Sache zwischen uns steht, werde ich auch mit Martha nicht ins
Reine kommen.
Sie
schläft noch und ich lasse sie schlafen.
Ich
habe ihr gestern mehr zugesetzt, als ihr gut tut.
*******
Ich
laufe eine große Runde.
Schweren
Herzens betrete ich anschließend LCL, wo ich hoffentlich Sascha
treffen werde.
Ich
muß es hinter mich bringen.
Was
ich machen soll, wenn er nicht mit mir reden will, weiß ich nicht.
Ich
sehe ihn bei Martha stehen.
„Hast
du kurz Zeit? Laß uns reden.“
Er
sieht mich kurz an und meint dann „Okay.“
Er
ist verdammt cool. Läßt sich auf einen Schwatz mit dem Kerl ein,
der ihm gestern noch eine Kugel in den Leib jagen wollte.
Wir
gehen runter zum Rhein.
„Weißt
du, was Martha mich gestern gefragt hat?“
„Was?“
„Ob
ich wirklich geschossen hätte. Wenn sie nicht dagewesen wäre.“
„Hättest
du.“, sagt er nüchtern. „Du hättest geschossen.“
Ich
fürchte, er hat Recht.
„Glück
für mich.“, meint er.
„Für
mich auch.“
„Sie
liebt dich.“
„Ja.“
Ich
glaube, wir verstehen beide nicht, wieso.
„Ich
weiß nicht, was ich mir dabei gedacht hab.“
Mir
ist bewußt, wie hohl das klingt.
Als
ob ich darauf pochen könnte, ein bisschen neben der Spur gewesen zu
sein.
Ich
bin zu weit gegangen.
Viel
zu weit.
„Es
tut mir leid.“
„Hör
auf, Mann.“
Ich
verstehe, daß ihm ein 'tut mir leid' nicht reicht.
„Nein,
ich mein's ernst. Es tut mir leid, was ich da gemacht hab.“
Ich
wünschte, ich könnte besser mit Worten umgehen.
Aber
die Scham und die Schuldgefühle schnüren mir fast die Kehle zu.
Er
wendet sich mir zu und ich hoffe, daß wenigstens meine Augen eine
deutliche Sprache sprechen.
Bange
Sekunden vergehen, die sich mir zur Ewigkeit dehnen.
Dann
deutet er mit einer einladenden Bewegung seiner Arme an, daß er
bereit ist, zu verzeihen.
Und
ich zögere keine Sekunde und nehme dankbar an.
Drücke
ihn erleichtert an mich.
Vielleicht
kann er nicht vergessen. Aber verzeihen.
Er
beweist mir, daß es möglich ist.
Als
wir uns aus der versöhnenden Umarmung lösen, fällt unser Blick auf
Martha, die uns aus einiger Entfernung beobachtet.
Sascha
klopft mir aufmunternd auf die Schulter und drückt so aus, daß er
mir für das Folgende viel Glück wünscht.
Mir
schlägt das Herz bis in den Hals, als Martha sich mir nähert.
Ich
wage es nicht, sie anzusehen.
„Ich
hab dir Angst gemacht.“
„Eine
Scheißangst, ja.“
Glaub
mir, das hab ich nie gewollt!
„Danke.
Ohne dich … ich kann dir nicht versprechen, daß von einem auf den
anderen Tag alles … daß nichts mehr da ist. … Und wenn du mich
verlassen willst, dann kann ich das verstehen.“
Sehr
gut sogar.
Obwohl
ich innerlich bitte und flehe, daß sie es nicht tut.
Aber
das sage ich nicht.
Sie
soll frei entscheiden. Was sie sich selber zumuten will.
Ich
sehe sie an.
Und
sie mich.
Ich
sehe Schmerz in ihren Augen.
Es
ist so hart für sie, mich zu lieben.
Und
dann …
„Ich
will dich nicht verlassen. Ganz im Gegenteil.
Sie
lächelt und weint gleichzeitig.
Mir
steht auch das Wasser in den Augen.
Unbeschreiblich
erleichtert lehne ich meine Stirn an ihre und kann mein Glück kaum
fassen.
Allerdings,
so meint sie, müßten wir noch was loswerden. Und zieht die Waffe
aus ihrer Tasche, die beinahe mehr als nur ein Leben zerstört hätte.
Sie
will, daß ich sie ins Wasser werfe.
Und
ich tue es ohne zu zögern und im vollen Bewußtsein, daß dies
endgültig ein Schlußstrich unter das 'niemals vergessen, niemals
verzeihen' sein muß.
Ich
werde mich in Therapie begeben, damit sich nie wieder wiederholt, was
gestern passiert ist.
Doch
erst einmal ziehe ich Martha in meine Arme.
Was
habe ich ihre Nähe, ihre Wärme vermißt …
4400
Martha
begleitet mich zu LCL.
Wir
gehen ganz gemütlich zu Fuß; das Wetter ist schön.
Wir
haben uns ein paar Tage der Entspannung gegönnt, die wir beide auch
sehr nötig hatten.
Wir
mußten erstmal wieder zur Ruhe kommen; das Geschehen hat uns beide
ziemlich mitgenommen.
Ich
frage Martha, wann ihr Zug morgen geht.
„Nachmittags.
Also haben wir heut den ganzen Tag und den Abend. Ich dachte, ich
koch uns was Schönes und dann … feiern wir Abschied.“
Das
Wort Abschied höre ich nicht gern.
Ich
freue mich für Martha – ein eigener Laden in Berlin, das ist
wirklich großartig.
Aber
ich spüre immer deutlicher, wie es mir zusetzt, daß sie bald weit
weg von mir sein wird.
Ich
habe keine Angst, daß unsere Beziehung an der Entfernung zerbricht.
Aber
ich habe Angst vor dem Alleinsein.
Ich
brauche sie.
Jetzt
mehr als je zuvor.
Ihr
gegenüber versuche ich, mir nichts anmerken zu lassen.
Ich
will nicht, daß sie bleibt, nur weil ich allein nicht klarkomme.
Sie
ist offen zu mir und äußert ihre Bedenken, mich gerade jetzt allein
zu lassen.
Ich
versuche ihr klarzumachen, daß sie sich meinetwegen keine Sorgen
machen muß.
Das,
was passiert ist, wird sich nicht wiederholen.
Doch
sie bleibt beunruhigt.
Ich
nehme ihr Gesicht in meine Hände und küsse sie zärtlich.
„Keine
Angst.“
Das
muß ich gerade sagen.
*******
Ich
versuche, mich durch arbeiten von Marthas immer näher rückenden
Abreise abzulenken.
Dabei
sollte ich die Zeit doch nutzen und sie mit ihr verbringen.
Genau
das sagt mir Sascha auch.
Als
er eindringlich meint, ich solle doch den Abschied mit ihr feiern,
verliere ich kurz die Beherrschung.
Denn
Sascha führt mir meine Angst vor dem Alleinsein deutlich vor Augen.
Und
er deutet auch meinen Temperamentsausbruch gleich richtig.
„Es
fällt dir also doch nicht so leicht, daß sie geht.“
„Am
liebsten würde ich gerne mitgehen.“
„Und
warum machst du das nicht?“
Darüber
habe ich auch schon nachgedacht.
Und
jetzt, wo Sascha es ausspricht, verstehe ich gar nicht mehr, warum
ich so lange darüber nachdenken mußte.
Ich
will mich nicht von ihr trennen.
Aber
das muß ich auch nicht.
Ich
werde auch in Berlin wieder akzeptable Arbeit finden.
Unangenehm
ist, daß Martha meinen Ausbruch mitbekommen hat. Zwar hat sie nichts
gehört, aber gesehen, wie ich scheinbar drohend dicht vor Sascha
stand.
Fragt
uns, ob alles klar bei uns ist.
Sascha
grinst sie an und bejaht.
Ich
hoffe, sie glaubt uns, daß alles in Ordnung ist.
Vor
allem aber soll sie erstmal nicht wissen, daß ich mit nach Berlin
gehe.
Damit
will ich sie überraschen.
*******
Während
ich Sascha klarmache, daß ich Martha überraschen will, mache ich
mir einen Kaffee.
„Du
wirst mir fehlen.“, meint er auf einmal.
Das
hätte ich jetzt nicht gedacht.
Aber
ich fürchte, ich habe seine Freundschaft bisher auch nicht sehr zu
schätzen gewußt.
Geschweige
denn, sie erwidert.
Er
meint, er hätte außer mir niemanden, mit dem er über den
Kriegs-Scheiß reden könne.
„Aber
was red ich? Du hast es ja einfacher.“
Wie
bitte?
„Einfacher?
Meine Eltern wurden vor meinen eigenen Augen erschossen.“
Sascha
packt mich heftig an der Schulter und meint: „Also deine Eltern
waren gute Menschen. Sei stolz auf sie. Aber mein Vater … mein
Vater war ein Mörder. Verstehst du das?“
Ich
brauche nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu begreifen, was los
ist.
Und
wie beschissen es Sascha geht, obwohl auch er sich nichts anmerken
ließ.
Er
läßt mich los und dreht sich weg.
„Wo
willst du hin?“
„Ich
hau ab.“
„Bleib
hier!“
„Nein!“
„Bleib
hier!“
„Mann,
laß mich in Ruhe!“
„Warte!“
Er
haut ab und ich hinterher.
Den
lasse ich in diesem Zustand nicht allein.
Martha
will mich aufhalten, fragt, was los ist.
„Männersache!“
Ich
habe grad wirklich keine Zeit für lange Erklärungen.
Ich
brauche eine Weile, um ihn einzuholen.
Er
ist auf dem Weg zu der WG, in der auch Marthas Cousine Dana wohnt.
Dort
hat er seit ein paar Tagen Unterschlupf gefunden.
Er
mag mir nicht zuhören, meint, ich würde nicht verstehen.
Doch
das tue ich sehr gut.
Es
ist eine schreckliche Erkenntnis.
Er
stürmt die Treppe hoch, ich hinterher.
Auch
als er sich im Vorbeigehen eine Flasche Sljivovic schnappt und damit
ins Bad marschiert, bin ich ihm auf den Fersen.
So
leicht wird man mich nicht los.
Er
schaltet das Radio ein; mir ist klar, er will den Kopf zumachen und
nicht mehr grübeln.
Das
kenne ich nur zu gut.
Aber
ich habe endlich begriffen, daß man sich mit der Verdrängungstaktik
nur selbst schadet.
Früher
oder später kommt alles wieder hoch.
Also
lasse ich ihn nur so lange in Ruhe, bis er soviel Alkohol intus hat,
daß er sich stumm auf den Wannenrand hockt.
Ich
versuche, in ihn zu dringen, ihm klarzumachen, daß ich ihm die Taten
seines Vaters nicht nachtrage.
Er
packt mich, schüttelt mich und fragt: „Und wieviele andere, Juri?
Wieviele?“
Mir
ist klar, was er meint.
Wir
werden aber nicht erfahren, wieviele Menschenleben sein Vater auf dem
Gewissen hat.
Und
Sascha sollte es auch besser nicht wissen.
Sein
Blick fällt auf meine Tätowierung, deren Bedeutung er nun kennt.
Und
mir ist klar, wie quälend dieses „nicht verzeihen“ für ihn sein
muß.
Haß
und Krieg … sowas wird nie enden, wenn man nicht verzeihen kann.
Ich
begreife, daß außer mir niemand da ist, der Sascha helfen kann.
Weil
ich der einzige bin, der diese Verzeihung geben kann.
Ich
muß mir erst noch etwas Mut antrinken für diesen Schritt.
Ich
will es tun. Für Sascha. Weil er ein guter Freund ist.
Dem
ich helfen muß. Dem ich helfen will. Und dem ich helfen kann.
Ich
stehe auf, greife mir eine Rasierklinge und reiche sie Sascha.
Der
starrt mich verständnislos an.
„Soll
ich mich rasieren, Alter? Wie hättest du's denn gern?“
Ich
halte ihm meinen Unterarm vor die Nase und sage: „Mach da ein
'Verzeihen, aber nicht vergessen' draus.“
Vergessen
kann und will ich nicht, was geschehen ist.
Aber
verzeihen kann ich.
Er
starrt mich immer noch verdutzt an, aber dann dämmert es ihm, worauf
ich hinaus will.
„Das
meinst du wirklich ernst?“
„Ja.
Es wird Zeit, daß endlich Schluß ist mit dem Krieg, mit dem Haß.
Es wird Zeit, daß wir beide unseren Frieden finden.“
Ich
habe ein wenig Sorge, daß er es vermasselt, weil er schon ziemlich
einen im Kahn hat.
Ich
allerdings auch.
Aber
ihm ist die Bedeutung des Augenblicks bewußt und er reißt sich
zusammen.
Da
wir keine Farbe haben und ich keine Lust, mit den Schminksachen der
Ladies herumzuexperimentieren, bleibt es beim bloßen Einritzen. Aber
es geht ja um die symbolische Handlung. Ich werde mir das später mal
vernünftig stechen lassen.
Sascha
ist nicht gerade zärtlich mit mir und ich werde etwas laut.
Auch,
als Sascha mir anschließend vom Sljivovic über sein Gekritzel
gießt.
Was
seine Mitbewohner denken könnten, ist uns egal.
Als
Sascha fertig ist, stoßen wir an. Trinken auf unsere Freundschaft,
die jetzt unbelastet ist.
Gerade
will ich raus, um uns Nachschub zu holen, denn die Flasche ist leer,
als ich fast Martha in die Arme stolpere.
Sie
ist ziemlich bleich und sieht erschrocken aus.
Ich
bin durch den vielen Sljivo übermütig und außerdem freue ich mich,
sie so unerwartet hier zu sehen.
Deshalb
kann ich nicht anders, als sie zärtlich zu küssen.
Sie
bemerkt das Blut und will sofort wissen, wo Sascha ist.
Denkt
sie wirklich, ich hätte ihn hier im Badezimmer abgemurkst?
Kann
doch bei fremden Leuten nich so'ne Sauerei veranstalten.
Martha
und die anderen wollen wissen, was wir getrieben haben.
Sascha
erklärt, daß er mich tätowiert hat.
Das
ist zwar bissi übertrieben, aber egal.
Mit
vom Sljivo nicht mehr ganz gehorsamer Zunge erkläre ich Martha die
neue Bedeutung meiner Tätowierung.
„Wir
haben nämlich was verstanden. Der Krieg ist erst vorbei, wenn man
sich gegenseitig verzeiht. Verstehst du? … Und, was denkst du?“
„Ich
find's wunderbar.“, lächelt sie uns glücklich an.
Und
küßt mich.
Das
fühlt sich so herrlich an, daß ich sie zu einem zweiten Kuß an
mich ziehe.
*******
Das
nächste, was passiert, ist, daß es dunkel ist und ich Stimmen höre.
Die
Stimmen kommen mir bekannt vor.
Eine
gehört Martha.
Die
andere Sascha.
Nebulös
dringt in mein Hirn, daß er sich wundert, was er hier macht.
Wo
bin ich, wo sind wir überhaupt?
Es
riecht vertraut.
Ich
glaube, wir sind bei uns zuhause.
Und
dunkel ist es, weil ich den Kopf unter der Decke habe.
Ich
glaube, da lasse ich ihn vorerst auch.
Martha
versucht, sich zu erinnern.
„Balkan-Party.“
Stimmt.
Wir hatten wenig Lust, den anderen WGlern groß was zu erklären und
fanden, weil die Sache nur uns drei was angeht, daß auch nur wir
drei unseren Neuanfang feiern sollten.
Das
isses nämlich, was passiert ist.
Ein
Neuanfang.
Sind
dann im No Limits eingekehrt.
„Wir
haben Sljivovic getrunken.“, stellt Sascha fest.
Yep.
Reichlich. Ich glaub, mir läuft er noch aus den Ohren.
„Ja.
Zuviel. Und dann hast du dich geweigert, nach Hause zu gehen.“
„Hab
ich das?“
„Du
wolltest deinen alten Kumpel Juri nicht alleine lassen. Uns blieb
nichts anderes übrig, als dich mitzunehmen.“
Stimmt.
Sascha war ausgesprochen anhänglich. Ich dachte schon, sein Arm
würde an meiner Schulter festwachsen.
Ich
bin erleichtert, festzustellen, daß ich meine Hose noch anhabe.
Denn
in dem Moment, wo wir das No Limits verließen, ist wohl mein Film
abgerissen.
Langsam
wühle ich mich unter der Decke hervor und setze mich auf.
Verdammt,
ist das hell hier.
Und
die Scheiß-Vögel da draußen machen einen Höllenlärm.
Ich
drehe mich erst zu Sascha um, der mir zugrinst.
Dann
zu Martha, die winkt und auch grinst.
Sehe
ich so komisch aus?
Sascha
macht Anstalten, aufzustehen.
Dabei
bemerke ich, daß er sich mein Kissen gekrallt hat.
Schnell
stopfe ich es mir in den Rücken, eine zweite Chance darauf bekommt
er nicht.
„Ich
mach uns dann mal Kaffee und hau ein paar Eier in die Pfanne.“,
meint er und steigt aus dem Bett. „Hast du Eier, Alter?“
„Eier?
Was für Eier? Ich hab nicht mal 'ne Küche.“
Jedenfalls
keine, die man so nennen kann.
„Ehm,
Sascha, ich würd' mich eigentlich ganz gern noch von Juri
verabschieden. Also ...“
Marthas
Tonfall und wie sie sich an mich kuschelt, lassen keinen Zweifel
daran, auf welche Weise sie sich von mir verabschieden möchte.
„Wieso
verabschieden? Alter, hast du es ihr ...“
„Sascha!“
Mann,
halt die Klappe! Das soll doch 'ne Überraschung werden, schon
vergessen?
„Bitte!“
Ich sehe ihn warnend an.
Glücklicherweise
hat der Sljivo noch genügend Hirnzellen übriggelassen, daß er
kapiert.
Und
Martha hat zum Glück nicht gemerkt, daß er sich beinahe verplappert
hätte und hält ihn einfach noch für ziemlich verpeilt.
Vor
sich hin grummelnd zieht Sascha Richtung Tür davon. Die dann auch
hinter ihm zuklappt.
Ein
klein wenig fühle ich mich schuldig, daß wir ihm so deutlich das
Gefühl geben, gerade sehr unerwünscht zu sein und er ohne Kaffee
und ‚ne kurze Dusche abhauen muß.
Aber
Marthas warmer Körper an meinem und ihr zärtlicher Blick lassen
mein schlechtes Gewissen schnell verschwinden.
„Du
… weißt du was? Ich würde wahnsinnig gerne zum Abschied mit dir
duschen.“, sage ich zu meiner Süßen.
Es
ist nicht das erste Mal, daß wir gemeinsam duschen, das tun wir oft.
Und
es ist auch nicht das erste Mal, daß wir unter der Dusche Sex haben.
Trotzdem
ist es diesmal was Besonderes.
Und
besonders schön auch.
Ich
habe nur keine Ahnung, wie ich noch einen halben Tag lang vor Martha
geheim halten soll, daß ich mit ihr nach Berlin gehe …
4401
Als
wir gut gelaunt aus der Dusche kommen, legt sich Martha einladend
auf's Bett und erwartet offenbar mehr.
Ich
bedauere es sehr, nicht darauf eingehen zu können; der Anblick ihres
nur in ein Handtuch gewickelten Körpers ist verführerisch.
Und
ihr Blick noch mehr.
Dummerweise
muß ich für meine geplante Überraschung noch einiges erledigen.
Wobei ich Martha natürlich absolut nicht gebrauchen kann.
Ich
weiß, daß es so gut wie unmöglich ist, aus der Nummer raus zu
kommen, ohne sie vor den Kopf zu stoßen.
Und
natürlich ist sie sehr erstaunt, als ich ihr sage, daß ich arbeiten
will.
Sie
meint, sie hätte gehofft, wir würden im No Limits frühstücken,
uns mit Dana treffen und dann eben die restlichen Stunden gemeinsam
verbringen.
Sie
schmiegt sich von hinten an mich, legt mir ihre warmen Hände auf die
Brust.
Ich
seufze innerlich tief auf und täte nichts lieber, als mich wieder an
sie zu kuscheln.
Ich
müsse halt noch was erledigen, meine ich.
Ich
hätte es mit den Arbeitszeiten sonst doch auch nicht so genau
genommen, meint sie prompt.
Stimmt,
erst recht, wenn sie nur mit einem Handtuch bekleidet vor mir stehen
würde.
Ich
versuche mich auf die Pelz-Tussi rauszureden, aber mir ist klar, daß
Martha mich kaum verstehen kann.
„Bleib
doch hier. Schlaf noch ein bisschen.“, schlage ich ihr vor.
„Ich
komm mit zu LCL. Ist ja eigentlich auch egal, wo ich den letzten Tag
mit dir verbringe. Hauptsache, wir sind zusammen.“
Mist,
das hat mir gerade noch gefehlt!
*******
Bei
LCL ist es noch schlimmer.
Ich
muß so tun, als ob ich wirklich arbeiten will und bin mit den
Gedanken doch ganz woanders.
Daß
Martha wehmütig wird, ihren alten Arbeitsplatz betrachtet und sich
an unsere erste Begegnung erinnert und wie das alles mit uns
angefangen hat, macht es nicht besser.
Obwohl
ich mich ihr gegenüber wie der letzte Arsch verhalte, lacht sie
immer noch fröhlich und ist gut gelaunt.
Ich
will sie frühstücken schicken, schlage ihr vor, sich mit Dana zu
treffen, aber da meint sie, sie müsse noch unbedingt eine Sache
erledigen.
Was,
will sie mir nicht verraten, aber ich würde mich freuen.
Im
Moment würde ich mich freuen, wenn sie endlich gehen würde, sodaß
ich mich kümmern kann.
Da
ich nicht darauf vertraue, daß sie lange wegbleibt, rufe ich
sicherheitshalber Dana an.
Als
ich ihr erkläre, daß ich mit Martha nach Berlin gehen will, ist sie
vor Freude ganz aus dem Häuschen.
Und
sofort bereit, mir bei meiner Überraschung für Martha zu helfen.
Schnell
rufe ich auch Sascha an und frage ihn, ob der Kurier mit dem Paket
schon da war.
Ursprünglich
hatte ich vorgehabt, mich in Berlin wieder bei einem der Modehäuser
als Designer anheuern zu lassen. Bis Sascha fragte, warum ich mich
nicht mit Martha zusammentun würde. Es wäre doch schön, wenn wir
den Laden gemeinsam führen würden.
Ich
war sofort Feuer und Flamme für diese Idee.
Gemeinsam
haben Sascha und ich den Laden 'Good girls, bad boys' getauft.
Ich
habe eine Grafikdesignerin in Berlin gefunden, die sich den Laden
angesehen und ein Ladenschild entworfen hat.
Und
eine Fotomontage von Marthas, nein, unserem Laden mit dem geplanten
Ladenschild befindet sich auf Leinwand gedruckt jetzt drüben im
Lagerraum, durch Packpapier vor neugierigen Blicken geschützt.
Ich
freue mich riesig darauf, Martha damit zu überraschen.
Hoffentlich
klappt alles.
Soviele
Leute reißen sich ein Bein aus, um alles Nötige in Windeseile zu
deichseln.
Ich
warte noch auf Denise' Rückmeldung, ob wir uns am Wochenende treffen
können, um die Einzelheiten abzuklären. Ich hoffe, sie findet
schnell noch eine Firma, die das Schild bis nächste Woche Samstag
herstellen kann.
Da
würde ich nämlich gerne mit Martha zusammen unseren Laden eröffnen.
Wenn
ich mir was in den Kopf gesetzt habe ...
Viel
zu schnell ist Martha wieder da.
Und
erzählt mir munter, sie hätte meine Flüge.
Ich
weiß erst nicht, was sie meint, bis sie mich darüber aufklärt, daß
es meine Flüge nach Berlin sind, um sie dort nächste Woche zu
besuchen.
Langsam
bekomme ich ein schlechtes Gewissen, denn Martha ist nun nicht mehr
so fröhlich, als ich so kurz angebunden bin und ihr auch noch sage,
daß ich nicht weiß, ob ich nächste Woche Zeit habe.
Das
muß sie verletzen, aber mir Idiot ist nichts Besseres eingefallen.
Warum
habe ich nicht zum Schein zugestimmt; die Flüge hätte man später
canceln können.
Noch
blöder wird es, als Sascha dann auftaucht, mit dem zum Glück gut
verpackten Bild unter'm Arm.
Er
ist schlagfertiger als ich, aber Marthas Unverständnis über mein
Verhalten wächst.
Glücklicherweise
taucht jetzt Dana auf und flunkert ihr vor, sie müsse unbedingt
heute noch mit ihr Dessous kaufen, denn morgen sei sie ja weg.
Ich
merke, daß Martha das alles sehr seltsam vorkommt, aber Danas
eindringliche Bitte kann sie nicht abschlagen.
Sie
ruft mir ein „Bis später!“ zu.
„Okay.“,
meine ich nur und nicke.
Wieder
fühle ich mich wie ein absolutes Arschloch.
Rasch
entschlossen laufe ich zu ihr hinüber, als sie mit Dana vor dem
Aufzug steht und küsse sie sehr zärtlich.
Immerhin
lächelt sie nun wieder.
Sascha
meint, bevor sie mich abschießt, solle ich Martha lieber sagen, was
Sache ist.
„Ich
sag ihr überhaupt nichts.“, antworte ich stur.
Irgendwie
habe ich mich in meine Idee, Martha zu überraschen, ziemlich
reingesteigert.
Aber
nachdem ich nun schon so weit gekommen bin, wäre es jammerschade,
aufzugeben.
*******
Dana
ruft an und meint, wir hätten ein Problem.
Martha
will Berlin sausen lassen und hier bleiben.
Ich
bin gerührt, daß Martha meinetwegen bleiben will, weil sie meint,
sie müsse einfach da sein, wenn ich sie brauchen sollte. Sie meint,
ich würde sie vermissen, würde ihr das aber nicht zeigen wollen, um
ihr nicht im Weg zu stehen.
Sie
ist bereit, alles aufzugeben, auf alles zu verzichten, was ihr
wichtig ist … mir zuliebe.
Ich
habe einen Kloß im Hals und würde sie jetzt gerne fest in meine
Arme schließen.
Aber
ich bemühe mich, nüchtern zu denken.
Daß
Martha Berlin absagen will, ist eine mittlere Katastrophe für mein
Vorhaben.
Die
meisten Telefonate habe ich erledigt, als Martha wieder auftaucht und
mir freudestrahlend erklärt, sie hätte die Lösung für unser
Problem.
Was
für ein Problem?
Ich
wolle nicht, daß sie nach Berlin geht und das hätte sie jetzt
verstanden.
Und
deshalb würde sie bleiben.
Sie
hätte eine Maklerin gefunden, die für sie den perfekten Laden für
ihre Accessoires finden würde.
Das
alles würde ein Stange Geld kosten, aber Hauptsache wäre, daß wir
zusammen sind.
Ich
bin einerseits wirklich gerührt, daß sie sich so um mich sorgt,
aber sie wird mir noch meine schöne Überraschung kaputtmachen.
Meine
Einwände, der eine Laden sei nicht zentral genug, der andere zu
teuer und daß sie überhaupt schon den perfekten Laden in Berlin
hätte, wischt sie weg.
„Aber
ich will keine egoistische Freundin sein, der die Karriere wichtiger
ist, als ihr eigener Freund. Ich will nicht, daß du Verlustängste
hast.“
So
langsam liegen meine Nerven blank.
Ich
brülle meine Anspannung raus, obwohl ich weiß, daß Martha sich
meinen Ausbruch nicht deuten kann.
„Ich
habe keine Verlustängste, okay? Hab ich nicht! Martha, du denkst
zuviel! Halt doch mal deine Füße still! Beruhig dich!“
„Also
hast du kein Problem mit einer Fernbeziehung?“
Doch.
Und wie. Deswegen will ich ja mit nach Berlin.
Völlig
konträr zu meinen Gedanken, zu meinen Gefühlen sage ich: „Nein.“
*******
Martha
ist inzwischen durch mein Verhalten sichtlich beunruhigt und
aufgebracht und so langsam beginne ich mich zu fragen, ob meine
Überraschung rechtfertigt, ihr so zuzusetzen.
„Juri,
jetzt sag mir endlich, was ist los? Warum weißt du nicht, ob du mich
am nächsten Wochenende in Berlin besuchen kannst? Was ist zum Teufel
soviel wichtiger?“
Nicole
unterbricht uns, weil sie eine Frage hat und ich bin froh, Martha
eine Weile entkommen zu können, denn mein schlechtes Gewissen
wächst.
*******
Ursprünglich
hatte ich Martha meine Überraschung im No Limits präsentieren
wollen, aber ich begreife, daß ich ihr mein für sie unerklärliches
Verhalten nicht länger zumuten kann.
Die
Fotomontage ist eh hier bei LCL und Sascha holt schnell Sekt zum
Anstoßen.
Wir
sind kaum fertig mit den paar kleinen Vorbereitungen, als Martha auf
mich zustürmt, offenbar total wütend.
„Wer
ist Denise? Du hast nicht mal abwarten können, bis ich in Berlin
bin?“
Woher
zum Teufel weiß sie von Denise? Und was kann ich nicht abwarten?
Ich
vermute, sie hat meine Idee erraten. Ich verstehe nur nicht, warum
sie so sauer ist.
„Hm
ja, ich dachte, ich wollt's dir persönlich sagen.“
„Persönlich?
Das ist aber nett, daß du's nicht per Telefon oder SMS machst.“
Ich
verstehe nicht, was hier abgeht.
Und
daß Dana wild gestikulierend hinter Martha steht, hilft mir auch
nicht auf die Sprünge.
„Was?“
„Oder
per Fax, oder Email, was weiß ich!“
Sie
steigert sich richtig in ihre Aufregung hinein.
Ich
versuche sie dazu zu bringen, erst mal tief durchzuatmen.
Damit
sie mir in Ruhe zuhört.
„Ich
will nicht atmen!“
Ich
fasse sie bei der Hand und gehe mit ihr um meinen Arbeitstisch herum.
Lege
das Paket mit der Fotomontage darauf.
„Aufmachen.“
„Was
ist das?“
„Aufmachen.“,
wiederhole ich meine Aufforderung.
Wütend
gibt sie nach.
Und
hält einen Augenblick später die Leinwand in Händen.
Ich
habe es selbst noch nicht in groß gesehen, es sieht geil aus.
Martha
erkennt ihren Laden sofort.
Und
ist verwundert, daß er ein Namensschild hat.
Dana
erklärt Martha, daß Denise die Grafikdesignerin ist, die dieses
Schild entworfen hat.
Ich
lege meiner verdutzen Frau den Arm um die Schultern.
„Und
die kommt am Samstag auch zur Eröffnung unseres Ladens.“
„Unser
Laden?“
„Ja.
Ich zieh mit dir nach Berlin.“
„Ne.“
Martha
glaubt mir anscheinend nicht.
„Mmh.“
„Neee.“
Sie
zweifelt immer noch, aber in ihren Augen sehe ich aufkeimende
Hoffnung.
Ich
wiederhole mein „Mmh.“ und nicke, während ich ihr lächelnd tief
in die Augen sehe.
Und
in der nächsten Sekunde fällt sie mir überglücklich um den Hals.
Ich
strahle genauso wie sie und will sie gerade fest an mich ziehen, als
sie mich küßt.
So
innig, daß ich meine, vor Glück zu platzen.
4402
Meine
Süße knutscht mich in Grund und Boden.
Sie
ist vor Freude ganz aus dem Häuschen.
„Das
heißt, du kommst wirklich mit nach Berlin? Das glaub ich nicht. Du
mußt mich kneifen.
Dieser
Aufforderung komme ich gerne nach und Marthas süßer Arsch ist wie
geschaffen dazu.
Ich
war wohl deutlich genug, aber sie lacht.
Wir
sind beide einfach glücklich.
Auch
Dana freut sich mit uns, meint, da wir ja schon das Ladenschild
hätten, bräuchten wir ja nur noch die Regale einräumen.
Martha
redet sich in Begeisterung.
„Deine
Mode und meine Accessoires, auf den ersten Blick denkt man, das paßt
nicht, aber auf den zweiten Blick ist es perfekt.“
„Wie
wir.“, flüstere ich ihr ins Ohr.
Martha
kann nicht glauben, daß es heute schon losgehen soll.
Sie
fragt mich nach meinem Vertrag mit LCL.
„Die
werden dich nicht so einfach gehen lassen, nicht von heut auf
morgen.“
„Ich
regel das.“
*******
Ich
mache direkt einen Termin mit der Geschäftsführung klar.
Inzwischen
sind das Tristan von Lahnstein und diese Pelzschnepfe.
Ersterer
erzählt mir was von einseitiger Vertragsverlängerung seitens LCL
und so'n Zeug.
Ich
mache klar, daß ich mir in meinen Vertrag habe schreiben lassen, daß
ich gehen kann, wann ich will. Auch sofort.
Das
will er mir nicht glauben.
Und
das Huhn versucht mich einzuwickeln von wegen, die Zusammenarbeit sei
doch bisher so erfolgreich gewesen und dank LCL sei ich jetzt wer.
Ich
esse in Ruhe eine Banane und höre mir an, wie sie mich mit der
bescheuerten Pelzkollektion ködern will.
Dann
hab ich keinen Bock mehr auf das Gelaber.
„Ich
glaub, ich geh.“
*******
Martha
hilft mir, mein Zeug bei LCL einzupacken.
Sie
ist entsetzt, als ich jede Menge Entwürfe in den Müll werfe.
„Du
bist meine Inspiration.“, meine ich und küsse sie.
Sie
meint dann, wenn ich sie hier nicht bräuchte, dann würde sie
zuhause weitermachen, denn wir heute noch los wollten, müßten wir
uns beeilen.
Nun
ist sie es, die mich glücklich küßt.
Kaum
ist sie weg, taucht die Berg auf und meint, hier dürfe nichts
weggeschmissen werde, weil es alles geistiges Eigentum von LCL sei.
Ist
mir wurscht.
„Bitte.
Neue Ideen sind sowieso besser.“
Aber
auch die würden LCL gehören, meint sie.
„Was
wollt ihr von mir? Ich hab gekündigt.“
Nun
ist es Sebastian von und zu, der mich von der Seite anmacht.
Ich
hätte meinen Vertrag besser lesen sollen – Ansgar hätte sich
abgesichert.
Wenn
ich vorzeitig aus dem Vertrag aussteige, gehört mein Name und alles,
was darunter vermarktet wird, noch fünf Jahre LCL.
Diese
Höllenbrut von Lahnstein macht mich noch wahnsinnig.
So
eine Scheiße!
Die
Berg hat sichtlich Spaß daran, mich süffisant darauf hinzuweisen,
daß ich ohne meinen Namen ein Niemand bin.
Nicht
mit mir!
Ich
muß hier erstmal raus …
*******
Auf
dem Weg nach Hause zermartere ich mir den Kopf, aber es will mir
keine Lösung einfallen. Dieser Sebastian ist Anwalt; der weiß, wovon
er spricht und außerdem wird er seine Seite gut vertreten.
Nie
hätte ich gedacht, daß die mich so reinlegen würden.
Ich
weiß mir keinen Ausweg und das macht mich wahnsinnig.
In
diesem Zustand komme ich zuhause an.
Marthas
Onkel hilft ihr beim Packen.
Leider
muß ich Marthas Fröhlichkeit einen Dämpfer verpassen.
„Diese
undankbaren Arschlöcher!“
„Was
ist'n los?“
Ich
halte ihr den verdammten Vertrag hin.
„Du
gehst alleine nach Berlin.“
Es
fällt mir nicht leicht, das auszusprechen, aber hab ich eine andere
Wahl?
Ich
sehe in Marthas enttäuschtes Gesicht und könnte schreien!
*******
Martha
und ich sind draußen unterwegs; ich brauche Bewegung.
Martha
schaut dabei in den Vertrag.
Und
entdeckt unter anderem, was es mich kosten würde, wenn ich entgegen
des Vertrags meine Sachen unter meinem Namen vermarkte – eine
lächerliche Konventionalstrafe von einer Million Euro blüht mir
dann.
„Nach
allem, was ich für die gemacht habe, wollen die mir meinen Namen
nehmen, diese Schweine!“, brülle ich außer mir und schlage mit
meiner Jacke auf einen Betonpfeiler ein, den mein Wutausbruch
freilich wenig beeindruckt.
Ob
ich meinem Anwalt mal diesen Vertrag gezeigt hätte, will Martha
wissen.
„Was
für ein Anwalt?“
„Klar,
versteh ich ... und das Kleingedruckte magst du auch nicht.“
Ich
bin Designer, ich will mich kreativ beschäftigen und keine
Buchstaben dressieren.
Sicher,
jetzt rächt sich das.
„Aber
was ist denn jetzt?“, will Martha wissen.
„Bleib
ich eben hier. Aber die sollen nicht denken, daß ich denen ein
brauchbares Stück designen werde, nicht eins!“
„Aber
was willst du machen?“
„Was
ich machen will? Ich werde denen Hosen designen, bei denen das
Arschloch offen ist. Damit sie endlich mal sehen, wer sie sind. Ich
werde denen Tausendfüßlerkostüme designen, das werd' ich machen!“
„Das
Problem ist, wenn du das machst, wird das bestimmt ein Trend.“
Nun
muß ich trotz der beschissenen Situation lachen.
„Ich
schwör dir, die werden froh sein, wenn ich hier weg geh. Das schwör
ich dir!“
Niemand
versucht mich ungestraft von meiner Frau zu trennen.
Martha
meint enttäuscht, daß so aber nichts aus unserem gemeinsamen
Durchstarten in Berlin würde.
Ihre
Enttäuschung tut mir weh.
Ich
ziehe sie an mich und während meine Hände sie tröstend liebkosen,
ich ihr sage, daß schon alles wieder wird, spüre ich, wie sie sich
entspannt.
Wir
schaffen das!
*******
Ich
treffe mich mit Sascha im No Limits.
Beim
Sljivovic erzähle ich ihm von der ganzen Scheiße.
„Ich
versteh' immer noch nicht, wie die dich mit so 'nem billigen Trick
hier behalten können.“, meint er.
„Ich
kann ja gehen. Nur den Namen muß ich hier lassen.“
„Als
was willst du gehen? Angela Merkel?“
Sehr
witzig.
„Nein,
als Juri Adam kann ich gehen. Ich kann nur unter meinem Namen nicht
arbeiten. - Ich
mein, die nehmen dir deinen Namen weg, einem Mann!“
Ich
gieße uns nochmal nach.
„Du
weißt, das ist das Persönlichste überhaupt. Den hast du von deiner
Mama bekommen.“
Bei
der Erwähnung meiner Mutter reise ich blitzschnell in die
Vergangenheit.
Und
habe eine Idee!
Ich
trinke schnell aus.
„Du
siehst zwar nicht sehr intelligent aus, aber du bist ein Genie!“
Ich
muß Sascha einfach küssen für die geniale Eingebung, die er mir
beschert hat.
Dann
spurte ich los.
*******
Ziemlich
aufgeregt komme ich zuhause an.
Martha
kann sich mein Gewusel nicht erklären.
Und
erst recht nicht den Zettel, auf den ich ihr das Wort 'Korolok'
kritzle.
„So
hat mich meine Mutter immer genannt. Das heißt 'kleiner König'.“
„Echt
jetzt?“
Und
ich zeige ihr eines meiner Kinderfotos.
„Da
siehst du wirklich wie ein kleiner König aus, ganz stolz. Ein
kleiner König, der sein eigenes Reich hat, seine eigenen Regeln. So
warst du früher schon. Und so bist du heute noch.“
„Ich
hab das noch nie jemandem erzählt.“
„Das
versteh ich. Der Name erinnert dich an deine Mutter und auch daran,
wie sie gestorben ist.“
Martha
begreift natürlich nicht, warum ich ihr davon erzähle.
„Wie
deine Mutter dich genannt hat, das ist das Persönlichste, was du
haben kannst.“, versuche ich Martha die Bedeutung zu erklären.
„Und
weißt du, wer das gesagt hat?“
„Dalai
Lama?“
„Nein,
Unser Kroate.“
„Sascha?
Aber ich versteh' nicht, was du damit meinst.“
„Juri
Adam ist Geschichte. Ab heute bin ich wieder Korolok.“
Dieser
Name wird mich künftig nicht mehr an dunkle Zeiten erinnern.
Ich
mache aus ihm etwas Positives. Das Symbol für unseren Neuanfang in
Berlin.
„Und
was hat das mit LCL zu tun?“
„LCL
… diese Leute … die können ja meinen Namen haben, aber für die
arbeite ich nicht mehr. Okay, das wird vielleicht am Anfang ein
bisschen schwer, aber ich hab das schon mal geschafft. Die Leute
sehen mich. Ich fang neu an. Wir beide fangen neu an. In Berlin. So
wahr ich Korolok heiße.“
Da
begreift sie.
Und
fällt mir glücklich um den Hals.
*******
Ich
kann es kaum erwarten, denen bei LCL zu sagen, daß ihre
hinterfotzigen Vertragsklauseln mich nicht halten, sie sich meinen
Namen sonstwohin stecken und sie mich überhaupt am Arsch lecken
können.
Aber
ich habe Lust, mir mit denen noch ein Späßchen zu erlauben.
Denise
hatte auch schon Flyer für unsere Einweihung erstellt. Der Name
'Juri Adam' ist am Computer schnell durch 'Korolok' ersetzt.
Ich
nehme Martha mit in das Büro der Berg. Sie gehört schließlich an
meine Seite.
Das
arrogante Weibsstück ist überzeugt, mich am Haken zu haben.
Sie
irrt sich gewaltig.
Wortlos
reiche ich ihr die Einladung.
„Good
girls, bad boys ... Housewarming Party … powered by Korolok – was
soll das sein?“
„Das
… wird unser neuer Laden in Berlin.“ Genüßlich lasse ich mir
jedes Wort auf der Zunge zergehen, während ich meinen Arm um Martha
lege, um zu verdeutlichen, daß nichts uns trennen kann, schon gar
nicht sie.
Natürlich
begreift sie nichts und korrigiert mich.
Unverkennbar
macht sie sich über Martha lustig, aber das juckt mich nicht mehr.
Umso
weniger, als es Martha auch nicht juckt.
Die
grinst über's ganze Gesicht und kostet die Situation sichtlich aus.
„Also
… Juri Adam könnt ihr behalten. Der wird nichts mehr für euch
designen. … Korolok – so nenn' ich mich ab jetzt. Und so geh ich
nach Berlin.“
Ich
sehe Martha in die Augen und weiß, daß sie in diesem Moment genauso
glücklich ist wie ich.
Ich
genieße das wütende Gesicht der Berg, Marthas strahlende Genugtuung
und wie sich meine Süße bei mir unterhakt, als wir das Büro
zusammen verlassen.
*******
Nun
steht der Abschied bevor.
Ich
komme dazu, wie Martha und Dana sich umarmen.
Es
ist nicht leicht für meine Süße. Sie hat etliche Leute hier sehr
ins Herz geschlossen.
Lächelnd
wischt sie sich eine Träne weg.
Ich
lege den Arm um sie, als wir uns auf den Weg nach unten machen, um
LCL für immer zu verlassen.
Als
wir unten ankommen, ist das Foyer voll.
Sascha
erwartet uns am Fuß der Treppe.
„Ich
dachte, ich klingle euch die Meute zusammen, bevor ihr 'nen
serbischen Abgang macht.“
Ich
versuche, ihn böse anzusehen, aber der Drang, ihn zu drücken, ist
stärker. Und das tue ich mehrfach.
Er
wird mir fehlen; er ist wirklich ein guter Freund geworden.
Während
Martha sich von ihren früheren Kolleginnen verabschiedet, spricht
mich Sebastian an.
Ich
bin erstaunt, daß er nicht sauer ist, sondern mir sogar alles Gute
wünscht und meint, das mit dem neuen Namen sei keine schlechte Idee.
Nachdem
Rebecca sich herzlich von mir verabschiedet hat, wünscht mir auch
Tristan alles Gute.
Anscheinend
ist die Berg das einzig wirkliche Miststück hier.
Martha
und ich wenden uns zum Gehen.
Das
Foyer voller Menschen weckt Erinnerungen in mir.
„Soll
ich dich tragen?“, frage ich Martha.
„Ich
glaub, diesmal kann ich alleine laufen.“
Während
Sascha, der verrückte Hund, uns von oben mit Blütenblättern
berieselt, gehen wir zur Tür … und Martha hat noch einen würdigen
Abgang, in dem sie davor läuft. Das hat aber anscheinend niemand
gemerkt und wir beide grinsen uns nur einen.
*******
Dann
ist das Taxi da.
Der
Abschied von Marthas Familie fällt sogar mir nicht leicht.
„Dann
paß mir gut auf unsere Martha in Berlin auf.“, gibt Thomas mir mit
auf den Weg, als er sich von mir verabschiedet.
Und
ob ich das tun werde!
„Ich
bin ein vertrauenswürdiger Mensch.“
Dana
zieht es vor, mir zu drohen. „Wenn du Scheiß baust ...“
Nein,
ich habe nicht vergessen, daß ich dann einen guten Zahnarzt brauche.
Dann
küßt sie mich aber doch auf die Wange.
Auch
Kim und ich verabschieden uns herzlich.
Dann
dränge ich Martha zur Abfahrt; je länger sie sich verabschiedet,
desto härter ist es für sie, desto weniger möchte sie loslassen.
Ich
verstehe sie gut.
Und
dann sitzen wir im Taxi.
Thomas
reicht Martha noch ihre Schneiderpuppe rein.
Sehr
zu meinem Verdruß liegt die nun quer über uns.
„Ich
finde, drei Leute sind zuviel. - Anhalten!“
Das
Taxi hält und ich schmeiße das blöde Ding raus.
„Geht
doch.“, meine ich zufrieden.
Aber
ich hätte anschließend nicht Martha ansehen sollen.
Dieser
Blick …
Seufzend
steige ich aus und hole die blöde Puppe wieder rein.
„Geht
doch.“, meint nun Martha grinsend.
Na
warte!
Ich
schubse das lästige Teil in den Fußraum und greife mir meine Frau
für einen langen innigen Kuß …