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Samstag, 24. August 2013

Inside - Unser Neuanfang in Berlin, Teil 3

Kapitel 28


Martha und ich duschen kurz warm und kuscheln uns dann ein.
„Du warst wieder echt tapfer.“, lobt Martha mich.
„War nicht so schlimm.“
War es wirklich nicht.
„Martha?“

„Ja?“

„Willst du … willst du auch mal … Kinder haben?“

„Hm. … Kinder? … Ich mag Kinder. Hab ja schon ein Patenkind … und Maxi ist sooo süß. … Hm ja, so ein Kind ist schon was ganz Wundervolles. Aber auch eine riesige Verantwortung. Ich mein … man muß immer für das Kind da sein. Und das nicht nur, solange es klein ist. Eltern, das bleibt man sein Leben lang. Das … also, ich denke … ja, irgendwann schon. Und klar, nicht erst mit fünfzig. Aber auch nicht … übermorgen.“

Ich merke, auch Martha hat ein Kind noch nicht in unsere unmittelbare Lebensplanung eingerechnet.

Und ich freue mich, daß ich sie da richtig eingeschätzt habe.

„Und du? Sei mir bitte nicht böse, aber ich kann mir nicht so recht vorstellen, daß du schon über Kinder nachdenkst.“

„… Emilio hat mich drauf angesprochen. Also, schon an Weihnachten in Düsseldorf. … Ich … hab ihm gesagt, daß ich … noch zu sehr mit mir selbst zu tun habe. Klar, du willst wissen, was ich bei dem Gedanken fühle …“

Ich horche in mich.

Ein Kind mit Martha … ich versuche, mir das vorzustellen.

Martha mit so einem hilflosen kleinen Wesen auf dem Arm, glücklich lächelnd.

Wie sie es sachte wiegt, leise mit ihm spricht.

Und dieses kleine Wesen würde mein Kind sein, ein Teil von mir …

Für einen kurzen Augenblick wird mir ganz warm.

„Ist ein schönes Gefühl.“, gestehe ich offen.

Sie sieht mich an, im spärlichen Licht kann ich ihr glückliches Strahlen nur erahnen.

„So ein kleiner Juri …“, meint sie zärtlich und kuschelt sich dichter an mich. „Irgendwann …“

Ja, irgendwann …

Ich hatte vermutet, ich würde nicht besonders gut schlafen nach all diesen schwerverdaulichen Themen, aber ich habe lange und gut geschlafen und kann mich nicht entsinnen, irgendetwas Beunruhigendes geträumt zu haben.
Martha ist schon auf, ich höre sie im Bad.
Ich springe aus dem Bett und flitze rüber, vielleicht ist sie noch naß vom Duschen ...
„Juri!“, seufzt sie zufrieden, als ich meine Arme um sie lege. „Gut geschlafen, mein Schatz?“
„Mhhh.“, brumme ich und drücke sie an mich.
„Juri, so gern ich mich jetzt von dir verwöhnen lassen würde … und umgekehrt … ich will auf keinen Fall, daß irgendwer mit knurrendem Magen da hockt, während wir uns noch im Bett wälzen.“
Auf sowas war ich vorbereitet.
Trotzdem seufze ich gespielt enttäuscht.
„Armer Juri!“, lacht sie, aber küßt mich sehr, sehr innig.
Damit bin ich zufrieden.
Während sie sich anzieht, dusche ich auch.
Als ich in unsere Küche komme, hockt Emilio mit einer Tasse Kaffee am Tisch und Martha telefoniert.
„Ihr seid schon unterwegs? Prima, denn bis gleich.“
„Sascha?“
„Ja, er und Denise sind gleich hier und bringen Brötchen, Croissants und so mit.“
Als Martha anfängt, den Tisch zu decken, will Emilio aufspringen, doch Martha schubst ihn auf seinen Stuhl zurück und sieht mich an.
Seufzend räume ich Milch und alles, was Martha mir nennt, vom Kühlschrank auf den Tisch.
„Wir machen auf dem Tisch ein Buffet. Essen tun wir im Wohnzimmer.“, erklärt Martha.
„Hm ja, wenn meine Prinzessin das Sofa geräumt hat.“, meint Emilio und verdreht die Augen.
Doch als Sascha und Denise kommen und Thomas, Ricardo und Dana mitbringen, hören wir Kim ins Bad schlurfen.
Emilio richtet schnell das Sofa wieder her.
„Wer soll denn das alles essen?“, lacht Thomas, als er den Küchentisch sieht.
„Na, wir!“, grinst Sascha. „Also ich hab richtig Hunger.“
„Dann lang zu.“, ermuntert ihn Martha und schnuppert an dem Osterzopf mit Zuckerguß und Mandeln.
Bald sitzen wir wieder gemütlich zusammen.
Ich mache mich über Saschas Rührei her.
Für Süßes bin ich nicht so.
Martha dagegen kann dem Osterzopf nicht lange widerstehen.
Und ich ihr nicht, die sie wieder quirlig und mit roten Backen umherwuselt und unseren Besuch sichtlich genießt.
Als sie an mir vorbei kommt, lächelt sie mich glücklich an und ich ziehe sie kurz auf meinen Schoß.
Eine Strähne hat sich aus ihrem Zopf gelöst, ich streiche sie sanft zurück und für einen Augenblick bin ich ganz allein mit ihr. Ich nehme die anderen nicht mehr wahr.
„Ihr seid soooo süß!“, höre ich auf einmal Kims Stimme.
Ich löse meine Lippen von Marthas und sehe hoch.
„Hm?“
„Du hast Martha gerade gefühlte fünf Minuten am Stück geküßt.“, lacht sie.
Echt? Wenn ich nur wüßte, wie ich das hingekriegt habe, ich würd’s gleich nochmal machen.
Ich sehe Martha in die Augen, sie zwinkert und lächelt, flüstert mir „Ich liebe dich so sehr!“ ins Ohr.
„Ich dich auch.“, flüstere ich zurück und drücke sie noch einmal an mich.
Wie glücklich sie mich macht …
Nach dem Frühstück fahren wir raus in den Grunewald für einen ausgiebigen Spaziergang.
Martha und ich gehen Hand in Hand daher.
Und das ist so schön.
Ich stelle fest, daß mir die Beziehung mit Martha inzwischen wirklich selbstverständlich geworden ist.
Mit einer Frau zusammenleben, den Alltag mit ihr teilen … mit Martha fühlt sich das alles wirklich normal an.
Sie macht es möglich.
In nicht allzu ferner Zukunft werden wir heiraten.
Hey, wir haben schon die Kleidungsfrage geklärt. Normaler geht es wohl kaum.
Und jetzt haben wir sogar über möglichen Nachwuchs geredet.
Ich spüre, daß Martha mir zu der Kraft verhilft, alles anpacken zu können.
Durch kleine Krisen und Tiefs werde ich mich nicht mehr aus der Bahn werfen lassen.
Bei der Therapie nicht ungeduldig sein. Na ja, zumindest werde ich das versuchen.
Dann ist der Abschied da.
Martha fällt das wieder nicht leicht. Sie drückt und knuddelt alle immer wieder.
Ich muß gestehen, daß selbst mich die gut gemeinten Wünsche nicht kalt lassen.
„Alles Gute für die Therapie. Du packst das! Laß von dir hören, ja?“ Emilio zwinkert mir zu, dann umarmen wir uns kurz.
„Daß ihr ja rechtzeitig genug wegen eurer Hochzeit Bescheid gebt! Damit ich mich in Ruhe um ein Kleid und Schuhe und so kümmern kann.“, ermahnt Kim Martha.
„Typisch Kim.“, höre ich Dana sagen.
Und dann sind sie weg.
Wir vier sehen uns an.
„Und nun?“, fragt Sascha.
„Ich möchte arbeiten.“
Martha sieht mich an. Ich lächle ihr zu, sie lächelt zurück. Sie hat begriffen, daß ich keine Unruhe vertreiben muß.
Tatsächlich bin ich nach der Faulenzerei wirklich einfach nur voller Tatendrang.
Martha räumt mit Hilfe von Sascha und Denise die Küche auf, während ich mich schon an die Arbeit mache. Dann ziehen sich unsere Freunde zurück und auch Martha arbeitet nun eifrig.
Ich bin konzentriert und schnell füllen Linien, Formen, Farben meinen Skizzenblock.
Martha kommt an mir vorbei, haucht mir wortlos einen Kuß in den Nacken und widmet sich wieder ihrer Arbeit.
Ich liebe das.
Das stille Verstehen, das harmonische Miteinander.
Wenn ich mal herzhaft fluche, grinst Martha nur. Wirft mir eine Kußhand zu.
Dann muß ich lächeln und was immer mich eben noch geärgert hat, ist wurscht.
Am späten Nachmittag werde ich unruhig und frage mich verwundert, wieso.
Bis mir einfällt, daß ich morgen das nächste Gespräch mit Frau Sonnabend habe.
Klar macht mich das ein wenig nervös.
Da ich mit dem, was ich heute geschafft habe, zufrieden bin, lasse ich es gut sein und entscheide mich für ein wenig Bewegung an der frischen Luft.
Ich gestehe Martha offen meine Unruhe. Sie nickt verständnisvoll.
„Kann ich mitkommen oder willst du lieber allein sein?“
„Nein, komm mit.“
Hand in Hand spazieren wir los, nachdem Martha noch schnell unsere Kamera geholt hat.
„Du hast echt schon ziemliche Fortschritte gemacht. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich noch rätseln müssen, was mit dir ist. Und nun … sagst du es ganz offen.“
„Durch das Zusammenleben mit dir lerne ich täglich dazu.“
Und ich merke ja, wie gut es mir tut, nicht mehr alles mit mir selbst abzumachen.
Ich denke an das Gespräch morgen.
Ich werde reden.
Sie wird zuhören.
Und plötzlich begreife ich, daß der Weg das Ziel ist.
Auch die Therapeutin hat keine Patentlösung, die alle meine Probleme auf einmal abstellt.
Aber reden, alles rauslassen, Gefühle sortieren …und irgendwann … werde ich merken, daß es vorbei ist, daß ich es geschafft habe.
Brauche ich dazu eine Therapeutin? Warum nicht mit Martha reden?
Weil sie genug Abstand hat. Weil sie Menschen wie mich kennt, Erfahrung hat.
Meine Gedanken in eine andere Richtung bringen kann.
Nein, ich bin nicht mehr so drauf, daß ich meine, ohne fremde Hilfe klarzukommen.
Ich werde mir helfen lassen.
Das ist keine Schande.
Die Nervosität ist weg.
Martha und ich finden überall Ideen für unsere Arbeit.
Sie flitzt mit der Kamera hin und her, sprudelt raus, was ihr durch den Kopf geht und nimmt mich mit ihrer unwiderstehlichen Art wieder ganz gefangen.
Ich merke, daß ich sie schon seit ein paar Minuten einfach nur verträumt ansehe.
Bis auch Martha es merkt.
„Alles okay?“, lächelt sie mich an.
„Oh ja.“, sage ich, ziehe sie an mich und küsse sie zärtlich.
In der Nacht schlafe ich recht ruhig.
Arbeite wie üblich eine Weile.
Vielleicht nicht ganz so konzentriert wie sonst.
Aber ich schlafe danach sogar nochmal ein.
Dann ist es soweit.
Martha geht wieder mit.
Frau Sonnabend begrüßt uns freundlich.
Ich sehe sie erwartungsvoll an. Ich habe keine Ahnung, ob ich einfach reden soll oder ob sie Fragen hat.
Doch da beginnt sie schon.
„Was erwarten Sie sich von einer Therapie? Was möchten Sie am Ende erreicht haben? Was soll sich ändern?“
Ich überlege eine Weile.
„Daß meine Eltern tot sind, daß sie gewaltsam ums Leben gekommen sind … das kann ich nicht ändern. Aber ich will, daß das … keine Last mehr ist. Ich will an sie denken können, ohne … ohne daß sich in mir alles zusammenzieht. Vor allem aber will ich den Haß loswerden, der … der dazu geführt hat, daß ich beinahe meinen besten Freund … erschossen hätte. Ich will, daß Vergangenes endlich wirklich vergangen ist. … Ich … ich … bin irgendwie immer noch … gefangen. Ich kann das alles nicht richtig loslassen.“
Sie nickt, macht sich ein paar Notizen. Und fordert mich dann auf, etwas über meine Eltern, über meine Kindheit zu erzählen.
Das fällt mir zuerst schwer. Abgesehen von meinen Gefühlen für Martha gibt es für mich kaum ein emotionaleres Thema als dieses.
Aber Martha nimmt meine Hand in ihre und dann erzähle ich.
Alles, woran ich mich erinnere.
Und stelle fest, daß ich eine ganze Menge schöne Erinnerungen in mir trage.
Nicht nur schmerzliche.
Ich merke, daß ich lächle.
Martha und die Therapeutin tun es auch.
Am Ende des Gesprächs bin ich überrascht, daß es sich für mich wie eine entspannte Plauderstunde unter Freunden angefühlt hat.
Und es hat richtig gut getan.
Frau Sonnabend fragt mich, ob wir eine Therapie beginnen wollen.
„Haben wir das nicht schon?“, frage ich erstaunt.
Sie lächelt.
„Hat es sich so angefühlt?“
„Ja. … Nein. … Ich dachte … . Doch, ja, ich möchte diese Therapie.“
Sie fragt mich, ob die Sache mit Sascha unter uns bleiben soll.
Ja, auf jeden Fall, antworte ich.
Dann würde sie meiner Krankenversicherung nicht die Notwendigkeit einer Therapie klar machen können, da ich ja voll arbeitsfähig wäre. Hieße, ich müsse selber zahlen.
Ach, nur darum geht es? Das soll kein Problem sein.
Ich werde bis auf Weiteres nun immer freitags zu ihr gehen.
Das heißt, Martha und ich.
Denn sie will diesen Weg mit mir gemeinsam gehen.



Kapitel 29


Wieder zurück, sieht mich Sascha prüfend an.
Ich lächle, er lächelt auch.
„Tut dir gut, hm?“
Ich nicke.
„Kannst stolz auf dich sein.“
Das glaube ich zwar nicht, aber es ist nett, daß er das sagt.
„Wir, äh … ich hab nur aus meiner … Kindheit erzählt. … Mehr war nicht.“
„Ist doch okay so. Ich denke, sie weiß, wenn sie Druck macht, machst du wieder zu. Das muß freiwillig kommen. Du mußt bereit dazu sein. Und ich finde, da kommt von dir schon ‚ne Menge, wenn ich so überlege, wie du früher drauf warst. Warst immer kurz davor, mir eine reinzuhauen, wenn ich die Vergangenheit und den Krieg angesprochen hab.“
Das waren halt immer noch offene Wunden.
Sie fangen jetzt erst an, abzuheilen.
Spontan entscheide ich mich zu einer freiwilligen Hausaufgabe.
An diesem Abend sitze ich mit Martha, Sascha und Denise vor dem Koffer.
Ich zeige ihnen all die Fotos und teile die Erinnerungen, die mit den Bildern verbunden sind.
Hie und da muß ich schlucken.
Aber auch lachen.
Und meine Freunde lachen mit mir, wenn ich von dem Unfug erzähle, den ich als Kind verzapft habe.
Sascha geht und holt die wenigen Fotos, die er besitzt.
Eines davon zeigt seine Eltern.
Ich betrachte den Mann auf dem Foto und spüre, wie ich erstarre.
Der Mörder meiner Eltern.
So sieht er aus.
Wie ein liebender Familienvater.
Nicht wie das Monster, das meine Eltern erschossen hat.
Sascha beobachtet mich aufmerksam.
Martha hat meine Hand genommen. Auch sie horcht auf mich, auf meine Reaktion.
Immer noch betrachte ich das Bild.
Der alte Haß … oder verfalle ich nur aus Gewohnheit in alte Verhaltensmuster?
Etwas drängt sich in mein Bewußtsein.
Ein Badezimmer. Zwei Männer, deren Vergangenheit miteinander verflochten ist.
Verzeihen, aber nicht vergessen.
Ich habe Sascha geschworen, daß es verziehen ist. Verziehen, was sein Vater tat.
Ich kann nicht vergessen, was geschehen ist.
Aber es ist verziehen.
Ich blicke auf das Bild und fühle keinen Haß mehr auf den Mann, den es zeigt.
Nur ein gewisses Unbehagen und den Wunsch, das Bild wegzulegen.
Martha scheint das zu spüren, denn sie zieht es mir sanft aus der Hand.
„Alles okay?“, fragt Sascha.
„Ja. … Ich glaube … ich habe … mir selbst nicht ganz … über den Weg getraut.“

Als Martha und ich allein sind, gestehe ich ihr, daß ich mir wirklich noch nicht ganz vertraue.
„Weißt du, ich … ich kann nur schwer glauben, daß diese … diese symbolische Handlung damals … im Bad der WG … wo Dana wohnt …“
„Ah, als du dich mit Sascha da eingeschlossen hast.“
„Ja. Also daß das … ich hab das wegen Sascha gemacht. Weil’s ihm mit dem Gedanken, daß sein Vater ein … ein Mörder ist, so verdammt dreckig ging. Ich hab … ihm geschworen, daß ich verzeihe, was passiert ist. Aber … hab ich damit denn wirklich … den alten Haß überwunden? … Martha, ich hab Angst, daß da tief in mir noch etwas schlummert, das ich nicht bemerke und eines Tages …“
„Juri! Genau dafür gehst du doch zur Therapie. Beim nächsten Mal sprichst du das nochmal an, okay? Und vielleicht … nimmst du diesmal Sascha mit.“

An diesem Abend brauche ich lange, um einzuschlafen. Martha spürt meine Unruhe und streichelt sanft meinen Nacken, bis ich dann doch wegdöse.

Als ich einige Stunden später aufwache, ist die Unruhe verflogen.
Ich setze mich an meine Entwürfe – die Modehäuser, die meine Martha-Modelle verkaufen, haben nach Neuem gefragt.
Es widerstrebt mir immer noch, daß meine Mode im Dutzend über die Ladentheke geht, aber ich kann es während der Arbeit ausblenden und bin letztlich zufrieden mit dem, was ich geschafft habe.
Auch Martha gefällt, was ich diese Nacht zustandegebracht habe. Beim Frühstück sieht sie sich meine Entwürfe an und gemeinsam arbeiten wir an Feinheiten.
Zwischendurch schmiegt sich Martha an mich und flüstert mir ins Ohr „Wir sind ein tolles Team.“
Das stimmt. Waren wir immer schon. Der Einzelgänger Juri Adam hatte von Anfang an ein offenes Ohr für den kreativen Input der Martha Wolf.
Ich sehe Martha an und muß lächeln bei dem Gedanken, wie sehr sie mich beeinflußt, beeindruckt …
„Hab ich was Komisches gesagt?“, fragt Martha.
„Was? … Nein. … Ich … ich muß dich küssen.“
Martha lacht und läßt es sich gern gefallen, daß ich sie zu einem langen, zärtlichen Kuß an mich ziehe.

Später sind wir draußen unterwegs. Ich brauche Bewegung.
Wie immer haben wir die Kamera dabei, um uns keine Inspiration entgehen zu lassen.
Mich fasziniert ein alter verrosteter Hydrant mit altmodischem Pumpenschwengel.
Martha zieht es eher zu dem farbenfrohen Mosaik, das in der Einfahrt zu einem Hinterhof eingelassen ist.
Wir hocken uns auf eine Bank und bringen beide unsere Ideen zu Papier.
Dann fängt es überraschend an zu regnen. Auch Wind kommt auf, es wird ziemlich frisch.
Ich bin dafür, rasch nach Hause zu laufen. Die Bewegung hält uns warm, meine ich.
Martha möchte aber lieber irgendwo einkehren und was Warmes trinken.
Habe ich auch nichts dagegen.
Dummerweise findet sich aber in näherer Umgebung nichts, das heißt, wir kommen schon an einem Café vorbei. Aber das hat heute Ruhetag.
Bis wir endlich ein trockenes, warmes Plätzchen in einem anderen Café gefunden haben, sind wir ziemlich durchweicht.
Die gute Laune verdirbt uns das freilich nicht.
„Gut, daß wir unsere Skizzen nicht mit Wasserfarbe machen.“, kichert Martha und besieht sich ihre ebenfalls ziemlich durchweichten Blätter.
Meine sehen wohl auch nicht besser aus. Aber ich habe die Ideen eh im Kopf. Und da hat’s nicht reingeregnet.
Daß wir naß und durchgefroren nach Hause kommen, hat auch sein Gutes … Martha und ich wärmen uns mit einem ausgiebigen gemeinsamen Bad auf.
Meine Süße entspannt sich so schön, daß sie an mich gelehnt wegdöst.

Zwei Tage später kann sie mir ihr „guten Morgen, mein Schatz“ nur noch entgegenkrächzen.
Beim Frühstück niest sie in ihren Kaffee.
„Wären wir doch besser gleich nach Hause gelaufen, hm?“, meine ich.
„Meinst du, das muntert mich jetzt auf?“
„Ich denke, du gehst besser wieder ins Bett.“
„So krank bin ich nun auch wieder nicht.“, krächzt sie.
„So kann ich dich nicht auf unsere Kunden loslassen.“
„Warum denn *hatschi* nicht?“
„Darum?“
„Hör mal …“
„Keine Widerrede. Du kurierst den Mist vernünftig aus. Und wenn ich dich ans Bett binden muß.“
„Das könnte dir so gefallen.“, grummelt sie.
„Klar gefällt mir das.“, grinse ich sie frech an.

Martha ist eine furchtbare Patientin.
Sie schimpft wie ein Rohrspatz, daß sie im Bett bleiben muß.
Das nutzlose Herumliegen paßt ihr gar nicht.
Es ist verdammt schwierig, sie dazu zu bringen, sich in ihr Schicksal zu fügen.
Aber ich bin erbarmungslos und erstaunlicherweise hört sie auf mich.
Zwar nur unter Protest, aber sie bleibt tatsächlich brav im Bett.
Und ich hatte mir vorgestellt, ich könnte sie mal so richtig verwöhnen.
„Zum Betüddeln taugst du nicht.“, mault sie mich an.
„Hey, Süße.“, sage ich so zärtlich, wie ich kann und streiche ihr die Haare aus der verschwitzten Stirn.
„Sorry, ich will dich eigentlich nicht so anmaulen. Du bist wirklich lieb.“, entschuldigt sie sich.
„Du, ich bin auch ziemlich mies drauf, wenn ich mal krank bin. Wahrscheinlich noch mieser.“
Sie muß grinsen. „Glaub ich dir sofort.“
„Aber ich würd’s genießen, von dir umsorgt zu werden.“
Sie zieht skeptisch die Augenbrauen hoch.
„Doch, ehrlich. Und nun sei eine brave Martha und laß dich von mir gesundpflegen.“
Sie sieht sich suchend um.
„Suchst du nach was, was du mir an den Kopf werfen kannst?“, lache ich.
„Hau ab, du blöder Kerl!“
„Ach, Martha, du gönnst mir auch gar nichts. Ich hatte mir das so schön vorgestellt. Du wehrlos im Bett …“
„RAUS!!!“
Lachend flüchte ich, höre noch, wie etwas gegen die Tür rumst. Wahrscheinlich einer von Marthas Hausschuhen.
Als ich später nach ihr sehe, schläft sie.
Am Nachmittag scheint sie ein wenig Temperatur zu haben.
Finchen, die ihr Hühnersuppe gekocht hat, rät vorsorglich zu Wadenwickeln.
Die mache ich ihr auch.
Inzwischen mault Martha auch nicht mehr.
„Du bist so lieb.“, sagt sie leise.
Ich küsse sie zärtlich auf die Stirn.
Bald ist sie wieder eingeschlafen.
Und ich gehe wieder runter in den Laden. Ich bin echt dankbar, daß Sascha mich vertritt, wenn ich nach Martha sehe. Es wäre nicht gut für’s Geschäft, die Leute vor verschlossener Tür stehen zu lassen.
Martha braucht zwar keine rund-um-die-Uhr-Betreuung, aber ich sehe doch ziemlich oft nach ihr.

Am nächsten Tag hat Martha anscheinend das Schlimmste schon überstanden.
Aufstehen lasse ich sie aber noch nicht.
Sie protestiert leicht, fügt sich aber schnell.
Und weil sie so brav ist, erlaube ich ihr, im Bett an ihren Entwürfen zu arbeiten.
„Ich werd‘ vom Nichtstun sonst noch bekloppt.“
Und das kann ich sehr gut verstehen.
Da Samstag ist, machen wir den Laden um eins zu.
Ich fahre mit Sascha einkaufen, was wir so brauchen, während Denise sich um so Sachen wie Kasse abrechnen und sowas kümmert.
Und dann freue ich mich auf den Nachmittag mit Martha.
Die hat inzwischen brav gegessen, was Finchen ihr gekocht hat und deshalb kriegt sie jetzt auch ihre Lieblings-Schoko-Muffins.
„Juri, du bist ein Schatz!“, meint sie und greift sich eins der klebrigen Dinger.
Ich ziehe mich aus, springe schnell unter die Dusche und krieche dann zufrieden zu Martha unter die Decke.
Die leckt sich die Finger ab und kuschelt sich dann ebenso zufrieden an mich.
„Das nächste Mal bist du dran?“
„Mit Muffins-Essen?“
„Mit Kranksein und von mir betüddelt werden.“
„Stell ich mir schön vor.“
„Heuchler. Rumnörgeln wirst du. Hast selbst gesagt, daß du noch mieser drauf wärst wie ich.“
„War ich bis jetzt auch immer. Aber da hatte ich dich auch noch nicht.“
„Ich glaub trotzdem nicht, daß dir das Kranksein soviel Spaß machen wird.“
„Na ja, du als meine Krankenschwester …“, grinse ich.
„Ob du noch Spaß an Doktorspielchen hast, wenn du dich so richtig scheiße fühlst …“
„So scheiße kann ich mich gar nicht fühlen, wenn du bei mir bist.“
Martha sagt nichts mehr, seufzt aber zufrieden und eine Weile später ist sie eingeschlafen.
Ich döse auch weg, bin aber eher wieder wach als Martha.
Eine Weile bleibe ich noch so mit ihr liegen, genieße die Ruhe.
Doch dann werde ich zappelig.
Um Martha nicht zu stören, die sich gesundschlafen soll, schleiche ich mich leise davon.
Ich entscheide mich, von meinen neuen Entwürfen ein paar Schnitte zur Probe anzufertigen.
Unten im Laden treffe ich Sascha.
„Was machst denn du noch hier?“, frage ich.
„Josie meint, mit der Nähmaschine stimmt was nicht. Was mit dem Fußpedal. Wollt ich mir mal angucken. Und du? Hat der Krankenpfleger Pause?“
„Martha schläft tief und fest und das soll sie auch.“
„Ist das Beste, was man bei sowas machen kann. …Willst du arbeiten?“
„Ja, hatte ich eigentlich vor.“
„Aber?“
„Bisschen Training außer der Reihe wär nicht schlecht. Mal wieder so richtig ins Schwitzen kommen.“
„Können wir ja machen. Bin hier gleich fertig, Problemchen ist schon behoben. Hol schon mal deine Sachen.“
„Wo ist eigentlich Denise?“
„Die hat ‚nen größeren Auftrag und macht heute bis abends durch.“
„Na, dann vermißt sie dich ja nicht, wenn du jetzt mit mir trainieren gehst.“
Ich hole meine Sporttasche, denke daran, Martha einen Zettel hinzulegen, wo ich bin und kurz darauf sind Sascha und ich im Club.
Während wir uns warmmachen, erzähle ich Sascha von meinem Gespräch mit Martha … über meine Angst, daß da noch etwas Unberechenbares in mir ist.
Auch Sascha meint, deswegen ginge ich doch zur Therapie.
„Martha meint, daß du vielleicht das nächste Mal mitgehen könntest.“
„Klar, mach ich, kein Thema.“
Ich hatte es eigentlich nicht anders erwartet, freue mich aber trotzdem, daß er nicht eine Sekunde gezögert hat, bevor er zustimmte.
Er ist ein echter Freund.

Wieder zurück, finde ich Martha in der Küche vor.
„Hey, was soll das denn? Marsch zurück ins Bett mit dir!“, schimpfe ich.
„Ich hab mir nur ‚nen Tee gemacht. Mein Krankenpfleger war ja nicht da.“
„Da haste es.“, kichert Sascha.
„Ehrlich, Juri, du mutierst zur Glucke.“, beschwert sich Martha. „Guck, ich bin warm eingewickelt, hab meine warmen Hausschuhe an und ich gehe auch gleich wieder ins Bett. Okay?“
„Bin ich wirklich so schlimm?“
„Nein. Ich glaub, ich wär schlimmer.“, kichert sie.
„Hör mal, Sascha ist allein, Denise muß arbeiten. Und du bist auf der Couch ebenso gut untergebracht wie im Bett. Wollen wir drei uns ‚nen gemütlichen Abend machen?“
„Tolle Idee!“, meint Martha begeistert.
Sascha macht schnell ein paar Schnittchen zurecht und dann sitzen wir auch schon gut gelaunt im Wohnzimmer.
Martha freut sich, als sie hört, daß Sascha mich zur Therapie begleiten will. Dann legt sie die Füße hoch, den Kopf in meinen Schoß und macht die Augen zu.
Sascha lächelt mir zu, ich lächle zurück.

Den Sonntag über pflegt sich Martha noch. Nachmittags machen wir einen schönen Spaziergang, nur wir beide.
Auch den Abend haben wir für uns; Sascha und Denise sind ins Kino.
Und am Montagmorgen ist Martha wieder gesund und munter.

Die Woche geht schnell vorüber.
Vor allem Martha hat gut zu tun. Der Schuhladen-Inhaber von nebenan würde gerne eine Reihe von Schuh-Handtaschen-Kombinationen rausbringen und Martha soll die Taschen entwerfen. Sie war sich erst unsicher, ob ihr verspielter Stil denn seinen Vorstellungen entspräche, aber es sieht so aus, als ob es genau das ist, was er will.
„Der Mann ist risikofreudig, das gefällt mir.“,meine ich.
„Die Marktforschung hielte ihn eher für plemplem.“,kichert Martha.
„Die hat er aber anscheinend nicht gefragt. Zu seinem Glück, finde ich. Deine Taschen werden der Knaller sein.“
„Abwarten. Das nächste kreative Loch kommt bestimmt.“
„Da hol ich dich schon wieder raus.“ Ich ziehe sie an mich und küsse sie lange. Als sich eine Hand von mir unter ihre Bluse schiebt und ich gerade das herrliche Gefühl ihrer weichen, warmen Haut genießen will, entwindet sie sich mir.
„Sorry, mein Schatz, aber ich muß jetzt echt arbeiten.“
Ich seufze absichtlich laut.
„Soll ich dich jetzt bemitleiden?“, lacht sie mich aus. „Nimm ‚ne kalte Dusche.“
„Das ist nicht dasselbe.“
„Heute Abend, Schatz. Warum machst du nicht zur Abwechslung mal was Romantisches für mich? Du könntest mal kochen und wir essen dann bei Kerzenlicht.“
„Ich? Kochen? Und wer renoviert dann die Küche?“
An der Art, wie Martha mich angrinst, merke ich, sie hat mich verarscht.
Ich strecke ihr die Zunge raus und mache mich aus dem Staub.
Eigentlich müßte ich ja auch arbeiten, aber wenn Zeit für ein Schäferstündchen gewesen wäre, dann ist auch Zeit zum Kochen.
Ich fühle mich herausgefordert. Und werde Martha überraschen.
Sascha wird eingeweiht. Er muß mir meine Süße nämlich aus der Wohnung fernhalten, bis ich fertig bin. Ich hoffe, das dauert nicht so lange.
Djuvec soll es geben, serbische Reispfanne.
Ich weiß nicht, warum mir plötzlich dieser Gedanke kam.
Obwohl meine Therapie kaum begonnen hat, scheint sie einiges in Gang zu setzen.
Ich muß schon schlucken, als ich beim Gemüsehändler vor der Petersilie stehe.
Und ich höre Mutter, wie sie halb-ärgerlich, halb-belustigt mit mir schimpft.
Aber ich merke, daß ich lächle, als ich mir einen Topf mit dem Grünzeug greife.
Meine Mutter hätte sicher nicht gewußt, ob sie lachen oder weinen soll, wenn sie mich beim Kochen gesehen hätte.
Aber ich setze nichts in Brand, es geht nicht mal was zu Bruch. Und erstaunlicherweise schmeckt das, was sich da zum Schluß in der Pfanne befindet.
Es schmeckt nach Heimat.
Ich rufe Sascha an, daß er Martha jetzt losbinden kann.
Er lacht nur und meint, sie sei so in ihre Arbeit vertieft, daß sie gar nix mitbekommen hätte. Aber er würde sie mir jetzt raufschicken.
Ich zünde Kerzen an und finde, daß das alles doch recht hübsch und romantisch aussieht. Sicher hätte Martha es besser hingekriegt. Aber für einen Juri Adam ist dieses Ergebnis schon eine Leistung.
Dann ist Martha da. Und tatsächlich sprachlos. Das will bei ihr was heißen.
„Juri …“, haucht sie nur.
Ich sehe sie erwartungsvoll an.
Sie kommt auf mich zu, lehnt sich an mich und meint: „Das wäre nicht nötig gewesen. Aber …“
„Es war erst als Spaß gedacht. Aber dann …“ Ich weiß nicht, wie ich ausdrücken soll, was in mir vorgegangen ist und noch vorgeht. Irgendwie habe ich so eine Ahnung, als ob ich dabei bin, mich unbewußt selbst zu therapieren.
Martha sieht mir in die Augen und ich habe das Gefühl, sie denkt das auch.
„Das hat deine Mutter immer gekocht, hm? Die Reispfanne.“
„Ja. … Bitte!“, fordere ich sie auf, Platz zu nehmen.
Ich schenke Martha und mir ein Glas Wein ein.
Dann essen wir.
Das heißt, ich zögere noch einen Augenblick.
„Alles okay?“, fragt Martha.
„Ja. Ich weiß nur nicht, ob ich die Petersilie rauspicken oder doch mitessen soll.“
„Wieso hast du sie reingetan, wenn du sie doch nicht magst?“
„Weil sie da reingehört. Sie gehört dazu.“
„Dann iß sie mit.“
„Ich mag sie aber immer noch nicht.“
„Juri, wenn das deine einzigen Sorgen sind.“, lacht sie.
„Mutter würde mich sicher auch auslachen, wenn sie mich jetzt sehen könnte, was?“
„Bestimmt.“
„Okay, nur für sie.“, kündige ich tapfer an und schlucke die Petersilie mit hinunter.
Doch, ganz bestimmt würde Mutter lachen, wenn sie mich jetzt so sähe.
Seit damals habe ich kein Djuvec mehr angerührt, weil es schmerzhafte Erinnerungen geweckt hätte.
Und heute, jetzt, muß ich lächeln. Ich fühle mich meiner Mutter gerade sehr nah.
Und ich weiß, sie würde lächeln, als ich jetzt, nach dem ersten Bissen, doch die Petersilie aus dem Reis picke.















Kapitel 30










 „Ich muß sagen … das bewegt mich echt, daß du ... ausgerechnet dieses Essen für mich gekocht hast … ich meine …“
„Martha, du mußt nichts sagen. Ich weiß auch so, was du grad denkst. Ich … das … das kam aus dem Bauch heraus. Ich wollte dir einfach ein romantisches Essen bieten, weil du das weder von mir erwartest noch mir zugetraut hast.“
„Also, so ist das nicht …“

„Martha! Das weiß ich. Du hast mich veralbert, ich wollte es dir zeigen. So. Und dann … ist das einfach so passiert. Ohne daß ich da lang drüber nachgegrübelt hätte. Ich hab die Zutaten gekauft und …“
„Ich finde es einfach sehr berührend. Das bedeutet mir viel mehr als so ein normales romantisches Candlelight Dinner. Das hier … das gibt mir wieder das Gefühl, daß du mich wo reingelassen hast, wo noch nie jemand rein durfte.“
So in etwa ist es auch. Nicht ganz so, weil … Martha schon lange überall hin darf.
Aber sie stürmt eben nicht durch alle Türen, auch wenn die unverschlossen sind, sondern wartet, bis ich sie ihr öffne, sie einlade, reinzukommen.
Und damit fühle ich mich unheimlich wohl.

Als wir später zusammengekuschelt im Bett liegen, wird mir plötzlich etwas bewußt.
„Du, Martha? Ich hab dir Fotos aus meiner Kindheit gezeigt … aber du mir noch gar keine von dir.“
„Stimmt. Willst du … ich meine, jetzt?“
„Ja, bitte.“
Martha tapst barfuß zu einer Kommode und zieht ein Fotoalbum daraus hervor.
„Die meisten hat Mama zuhause, ich frag sie, ob sie mir die schicken kann. Oder besser, wir fahren bald mal wieder hin.“
Dann schlägt sie das Album auf und ich darf Martha kennenlernen, wie sie als kleines Kind war.
Natürlich muß sie die Bilder kommentieren und schnell schäumt ihr Temperament wieder über. Sie erzählt und lacht und erzählt und lacht.
Ich lache mit, weil sie einfach wundervoll humorig erzählt. Aber oft sehe ich sie einfach verliebt von der Seite an.
Und irgendwann zwischendurch nehme ich ihr Gesicht in meine Hände, küsse sie zärtlich. „Ich liebe dich.“
Irgendwas muß in meinem Blick gelegen haben, denn sie ist sichtlich berührt und ihre Augen schimmern leicht feucht.
„Ich dich auch.“ Ihre Stimme klingt nach einem Kloß im Hals, dann wendet sie sich wieder den Bildern zu.
Und ich lege wieder meinen Arm um sie, meinen Kopf auf ihre Schulter und lasse mich weiter mitnehmen auf der Reise in Marthas Kindheit.
Und das ist eine schöne Reise. Ich habe das Gefühl, Martha gerade noch besser kennenzulernen, ihr noch näher zu kommen.
Wenn ich diese Bilder der glücklichen kleinen Martha sehe, dann weiß ich, warum sie mit soviel Optimismus und Glauben an das Gute durch’s Leben geht.
Sie war übrigens ein sehr süßes Kind.

Dann ist es Freitag und mein nächster Besuch bei Frau Sonnabend steht bevor.
Ich frage Sascha nochmal, ob es okay für ihn ist, wenn er mitgeht.
„Hey, klar, Alter. Ich mach alles, was dir irgendwie weiterhilft. Ich weiß doch, wie das ist, so ‚nen Scheiß im Gepäck zu haben.“
Martha legt mir die Arme um den Hals, flüstert mir ins Ohr, daß sie stolz auf mich ist und verabschiedet mich dann mit einem Klaps auf meinen Hintern, was mich wohl aufmuntern soll.
Wirkt tatsächlich.
Und ich glaube, sie hat Sascha zugetuschelt, daß er auf mich aufpassen soll.

Frau Sonnabend sieht Sascha neugierig an.
„Tag. Mein Name ist Sascha Vukovic. Bin ein guter Freund von Juri.“
Die beiden schütteln sich die Hände.
Frau Sonnabend sieht mich an.
Der Freund?“
Ich nicke nur.
Ja, der Freund.
„Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie ihn heute mit dabei haben möchten?“
Es fällt mir nicht leicht, darauf zu antworten. Schon gar nicht in flüssigen Sätzen.
„Letzte Woche … nach unserer … Sitzung hier … haben wir abends … zusammengesessen. Martha, Sascha, seine Freundin und ich. Ich … mir war … ich hatte … hatte das Bedürfnis, das mit der Therapie selbst noch … etwas zu vertiefen. Ich … ich weiß nicht … wie ich … das ausdrücken soll …“
„Keine Sorge, ich denke, noch kann ich folgen.“
„Ich … hab … meinen Koffer rausgeholt. Da sind meine … Erinnerungen drin. … An Jugoslawien. Meine Heimat. Meine Familie. Meine … meine Kindheit. Wir … wir haben die … Fotos angesehen. Und ich … habe erzählt. Das … das hat gutgetan. Wir haben gelacht. Auch ich. Und dann … hat Sascha …“
Ich sehe zu ihm rüber, er nickt und zwinkernd mir ebenso aufmunternd wie beruhigend zu.
„Sascha hat uns auch … Fotos gezeigt. Von seiner Familie. … Von seinem Vater. … Der …“
Nun kann ich doch nicht weiter. Aber bevor ich auch nur ansatzweise Panik verspüre, fällt mir ein, daß ich erstens freiwillig hier bin, also gehen könnte. Und zweitens – daß Frau Sonnabend nichts von mir verlangt, wozu ich nicht bereit bin. Und ich erinnere mich, daß ich aufstehen und umhergehen darf, wenn ich unruhig werde.
Und ich fühle mich nicht als Weichei, als ich genau das jetzt tue. Ich gehe ein paarmal im Zimmer auf und ab und stelle mich dann ans Fenster.
„Machen Sie das ruhig ganz auf. Das hilft mitunter.“, höre ich meine Therapeutin.
Ich probiere es und wirklich … tief die frische Luft einzuatmen, tut sehr gut.
Dann fühle ich Saschas Hand auf meiner Schulter.
„Alles okay? … Laß dir Zeit.“
Ich nicke ihm zu.
Dann drehe ich mich um, bleibe aber am Fenster stehen.
„Dieses Foto … von seinem Vater … er hat …“
Ich sehe Sascha an und merke, wie schwer es mir fällt, in seiner Gegenwart vor Frau Sonnabend davon zu erzählen, was sein Vater, den er geliebt hat, getan hat.
Ich glaube, Sascha deutet meinen stummen Hilferuf richtig.
„Wenn ich darf …?“, wendet er sich am meine Therapeutin.
Sie nickt.
„Mein Vater … er war bei der kroatischen Bürgermiliz. Und er hat … Juris Eltern erschossen.“
Auch Sascha fällt es nicht leicht, über die Sache zu reden.
Frau Sonnabend nickt wieder nur.
Und ich überwinde mich, rede weiter.
„Als ich … als ich sein Foto sah … ich war so überrascht. Ich meine … der Mörder hat in meinem Kopf … anders … ausgesehen. Nicht so. Nicht so … liebevoll lächelnd … zusammen mit … seiner Familie.“
„Es hat sie erstaunt, daß das Monster, als das Sie den Mörder gesehen haben, auch eine andere Seite hatte.“, meint sie.
„Ja. … Sascha hat von ihm erzählt. Er … er war … ein liebevoller Vater. Gar nicht der skrupellose, brutale Unmensch.“
„Wissen Sie, so ein Krieg kann die Menschen verändern. Manche nur vorübergehend. Aber die Allerwenigsten kommen psychisch unbeschadet aus so einem Alptraum heraus. … Der Mann, der ihre Eltern erschossen hat … der war möglicherweise nicht mehr der Mann auf dem Foto.“
„Mein Vater hatte viele Einsätze mit der Miliz. Er kam eigentlich immer ganz normal nach Hause. Aber … ich denke, er hat uns nur schonen wollen. Was sollte er Frau und Sohn von all dem erzählen? Ich glaub, Mutter hätt’s auch nicht hören wollen. Sie war nur froh, daß er heil wieder da war. Und ich auch. … Aber … ich erinnere mich jetzt … als er das letzte Mal vor seinem Tod nach Hause kam … war er doch ein wenig anders. Stiller. Er hat oft am Kamin gesessen und ins Feuer gestarrt. Ich dachte damals, er ist müde und ihm ist kalt. Hab mir weiter nichts dabei gedacht. Jetzt … meine ich, er hat immer dran denken müssen … an all diesen Irrsinn, die Zerstörung, die Brutalität … er war auch nicht mehr so fröhlich. … Es ist nur ‚ne Vermutung, ich kann’s nicht beweisen, aber ich denke, er hatte schwer daran zu knabbern, was er gemacht hat.“
Mein erster Impuls ist, Sascha zu sagen, das sei ja auch das Mindeste. Aber der Gedanke ist nach wenigen Sekunden verflogen.
„Wie geht es Ihnen damit?“
Ich antworte nicht gleich, weil ich erst über Saschas Worte nachdenken muß.
Es stimmt, in meinen Augen war Saschas Vater bislang ein eiskalter Mörder, einer, der ohne Skrupel und vielleicht sogar mit perversem Spaß daran Menschen tötete.
Aber was, wenn Sascha richtig vermutet und er von seinem Gewissen gequält wurde? Wenn er sich selbst dafür gehaßt hat, unmenschlichen Befehlen nachzukommen, statt sie zu verweigern?
Ich kann und will nicht versuchen, mich in ihn hineinzuversetzen, aber unwillkürlich habe ich mich selbst vor den Augen, wie ich die Waffe auf Sascha richte. Ich mach’s wie dein Vater, habe ich zu ihm gesagt. Und Martha hat zu mir gesagt, ich sei keinen Deut besser, wenn ich abdrücken würde.
Ruckartig drehe ich mich zu Sascha um.
„Hätte ich es getan? Hätte ich es wirklich getan?“ Ich merke, daß ich ziemlich verzweifelt klinge.
Auch ich spüre mein Gewissen, jetzt, wo ich mich sehe, mit der Knarre in der Hand, bereit, einen Menschen zu erschießen. Und ich habe es nicht mal getan.
Sascha muß sich erst fassen. Zwar sehe ich, daß er schnell geschaltet hat und weiß, was ich meine.
„Bin mir nicht mehr so sicher. Ich weiß, ich hab damals gesagt, du hättest es getan. Aber … nein, ich weiß es wirklich nicht. Du hast komplett neben dir gestanden, du warst so blind vor Rache, warst nicht mehr du selbst. Kann sein, du hättest es nicht gekonnt, auch wenn Martha nicht gekommen wäre. Kann sein, daß sich dein Gewissen noch gemeldet hätte. Ich weiß es echt nicht, Alter.“
Ich drehe mich wieder zum Fenster.
Wenn Saschas Vater wirklich sein Gewissen spürte, wie furchtbar muß das für ihn gewesen sein, wo es mich schon so quält, der ich nur einen Menschen mit dem Tod bedroht habe?
„Glauben Sie, daß Sie jetzt immer noch Haß empfinden können für seinen Vater, nachdem Sie zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß er sehr unter seinen Taten gelitten hat?“
Die Frau ist gut.
Die Antwort fällt mir nicht leicht.
Der Haß war jahrelang da. Verborgen, aber er war da. Weil ich das so wollte. Ich wollte hassen.
Aber das will ich nicht mehr, wirklich nicht.
Der Haß hat mich erfüllt, weil ich keine Liebe mehr kannte.
Das ist jetzt anders.
Und so schüttele ich auf die Frage entschieden den Kopf.
„Tja, Sie haben das bestmögliche, um Ihren Haß zu überwinden, schon selbst getan, ganz ohne meine Hilfe … nämlich, den … Mörder … von einer anderen Seite kennenzulernen.“
Frau Sonnabend hat sich in ihrem Stuhl zurückgelehnt und sieht mich zufrieden an.
„Ich … hab mich gesehen … mit der Waffe in der Hand … und … und mich gefragt … nein, anders … scheiße, das ist … schwer zu erklären. … Ich … war immer überzeugt, ich sei anders wie er, besser wie er. Ich habe nur die Unterschiede gesehen. Nie drüber nachgedacht, daß es auch Gemeinsamkeiten geben könnte.“
Frau Sonnabend nickt.
„Was Sascha gesagt hat … daß er mit der Zeit immer stiller wurde, nicht mehr gelacht hat. … Ja, ich glaube, er hat darunter gelitten, was er getan hat. Ich hab ein so verdammt schlechtes Gewissen, weil ich meinen … besten Freund erschießen wollte. Wie muß er sich gefühlt haben …?“
Sascha steht auf, kommt zu mir rüber und drückt mich an sich.
„Danke, Alter.“ Seine Stimme klingt leicht gepreßt. Mir wird klar, was meine Worte für ihn bedeuten müssen.
Als Sascha seine Fassung zurückgewonnen hat, setzen wir uns beide wieder hin.
Ich bin auf einmal ganz ruhig.
Ich frage Sascha, ob wir von der Sache mit der Tätowierung und dem Verzeihen, aber nicht vergessen erzählen wollen.
Er nickt. Und ergreift selbst das Wort.
„Juri hat gemerkt, wie scheiße es mir damit ging, meinen Vater für ‚nen Mörder halten zu müssen. Ich wollte nicht reden, hab ihm gesagt, er soll abhauen und mich in Ruhe lassen. Aber er war stur und ist mir nach, hat einfach nicht lockergelassen. Wir haben dann doch geredet.“
„Sascha ging es echt dreckig. Ich hatte diese … diese Tätowierung auf meinem Arm. Niemals verzeihen, niemals vergessen. Mir wurde plötzlich klar, wie schlimm das für Sascha sein mußte. Und daß überhaupt sowas wie Krieg und Haß nie endet, wenn man nicht verzeiht. Es … war nicht leicht für mich, Sascha zu sagen, daß ich seinem Vater verzeihe. Aber ich wollte es. Nicht, weil er mir auch verziehen hat. Nicht, um quitt mit ihm zu werden. Nein, weil er mein Freund ist. Und um das mit der Verzeihung zu bekräftigen … haben wir die Tätowierung geändert … in Verzeihen, aber nicht vergessen.“
„Hat mir echt gut getan.“ Sascha und ich sehen uns an. Und lächeln.
Frau Sonnabend lächelt auch, als sie uns entläßt. Eigentlich hat sie heute gleich zwei Patienten therapiert.

Am nächsten Tag mache ich einen Termin in einem Tattoo-Shop. Es wird Zeit, das provisorische Gekritzel ordentlich stechen zu lassen.
Und ich habe mich entschieden, die Formulierung noch etwas zu verfeinern.
Nicht vergessen, aber verzeihen.
Das ist zwar aufwändiger, aber mir gefällt es so besser.

 

Kapitel 31



Bei Martha laufen die Tränen, als wir zusammensitzen und Sascha und ich … also hauptsächlich Sascha … von dem Treffen mit Frau Sonnabend erzählen.

„Ach, ihr beide!“, schnuffelt sie, putzt sich die Nase und drückt uns beide ganz lange.

Es ist offensichtlich, wie sehr sie sich freut, wie glücklich sie über diese Entwicklung ist.

Ich bin auch glücklich, weil ich das Gefühl habe, auf einem guten Weg zu sein.


Auch sonst läuft im Moment alles prima.

Das Geschäft geht gut, wir haben nach wie vor keine Probleme, unsere Kollektionen loszuwerden. Im Gegenteil – Marthas Accessoires sind immer gefragter und ihre Dessous ebenso.

Ich kann auch nicht klagen.

Ich habe gelernt, daß ein paar Kompromisse einfach sein müssen; Martha ist mir da eine große Hilfe, weil sie mich jedes Mal erfolgreich runterholt, wenn der alte Juri mal wieder querschießen will. Aber das kommt immer seltener vor.

Außerdem übernimmt Martha freiwillig schwierige Kunden. Wie zum Beispiel Mosch. Ich weiß nicht, wie sie es macht, aber die beiden kommen klar, obwohl Martha seine schleimige Art ebenso widerlich findet wie ich.
Überhaupt sind wir, also wir alle, ein wirklich tolles Team.
Wir haben so ein verdammtes Glück, gleich die richtigen Menschen gefunden zu haben, die zu uns passen und auf die wir uns verlassen können. Josie, Janine, Finchen … und natürlich Sascha und Denise, die wir uns überhaupt nicht mehr wegdenken können.
Manchmal denke ich immer noch, das alles läuft zu glatt, das kann nicht mehr lange so gut gehen. Wenn ich Martha davon erzähle, nennt sie mich liebevoll eine alte Unke und sie hat wohl Recht.
Dabei ist sie eher der Typ, der plant und vorsorgt und an die Zukunft denkt. Aber eben, ohne sich groß Sorgen über ungelegte Eier zu machen.
Ein ungelegtes Ei ist da zum Beispiel, ob meine befristete Aufenthaltserlaub vielleicht eine Chance hat, in eine unbefristete umgewandelt zu werden.
Ich hasse solche Behördengänge, habe immer das Gefühl, da zu Kreuze kriechen zu müssen.
Ich weiß, ich muß mich zusammenreißen, darf meinen Unmut nicht zeigen, aber leicht ist das nicht.
Nun sitze ich also in einem Büro im Ausländeramt und bemühe mich um Gleichmut.
Denise begleitet mich, sie ist die Richtige für solche Angelegenheiten.
Sie fragt gleich, wie es mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis aussehe.
Unser Gegenüber macht dazu erstmal nur „Hm, hm.“
Und fragt dann nach meiner Vorstrafe.
„Körperverletzung, ja?“
„Ja. Eine Frau wurde bedrängt und ich bin dazwischengegangen. … Ehm, etwas heftiger, ja. Aber ich konnte nicht einfach zusehen, wie …“
„Mhh. Leider spielt ihre Motivation da keine Rolle – Fakt ist einfach nur Ihre Vorstrafe wegen Körperverletzung. Und wurden Sie letztes Jahr nicht wieder verhaftet – wieder wegen Körperverletzung?“
„Das Verfahren wurde eingestellt, weil man mich ungerechtfertigt beschuldigt hatte.“
„Hm.
„Das kann man ja wohl kaum zu seinen Ungunsten in den Akten vermerken, oder?“, fragt Denise.
„Nein, nein, natürlich nicht.“, beteuert der Mensch. Klingen tut es ein wenig anders.
„Sie haben keinen, ehm, festen Arbeitsvertrag mehr?“
„Nein, ich habe mich selbstständig gemacht.“
Eine ganze Weile blättert der Mitarbeiter in den Akten hin und her, macht immer wieder „hm, hm“, was alles und nichts bedeuten kann, aber ich habe das Gefühl, je mehr und länger er hmt, desto ungünstiger ist das für mich.
„Hören Sie“, meint er nach einer gefühlten Ewigkeit, „ich würde Ihnen gerne etwas anderes sagen, aber ich fürchte, im Moment sehen Ihre Chancen auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis nicht allzu gut aus. Natürlich werde ich den Antrag so einreichen, aber ich denke, es wird wieder auf eine Befristung hinauslaufen. Allerdings denke ich, daß ich angesichts Ihrer Geschäftsgründung darauf hinwirken kann, daß die Befristung mindestens fünf Jahre umfaßt. Es dauert ja eine gewisse Zeit, bis so ein Laden läuft.“
„Hm,“ brumme nun ich, „wissen Sie, ich möchte heiraten. Und ich habe überhaupt keinen Bock darauf, daß mir wegen dieser … Befristung … unterstellt wird, ich würde eine Scheinehe führen und man in meinem Privatleben und dem meiner Frau rumschnüffelt.“
Der Beamte macht ein verständnisvolles Gesicht. „Ja, das kann ich gut verstehen. Das ist auch sicher nicht schön. Darf ich fragen, wie lange Sie schon zusammen sind?“
Ich überlege kurz. „Ein knappes Jahr.“
Wieder hmt der Mensch, das macht mich noch wahnsinnig.
„Es tut mir wirklich leid, ich wünschte, ich könnte ihnen was anderes sagen. Ich wiederhole, es wird wohl wieder nur befristete Erlaubnis geben und wenn Sie wirklich heiraten wollen, werden Sie wohl auch um eine Überprüfung ihrer Beziehung nicht drumherum kommen. Aber lassen Sie sich davon bitte nicht entmutigen.
„Familie und Freunde der beiden können jederzeit und ohne zu zögern bestätigen, daß die beiden sich lieben und als Paar zusammenleben.“, schaltet Denise sich ein.
„Na, dann haben Sie außer den Unannehmlichkeiten der Überprüfung ja nichts zu befürchten.“
Ich brumme nur als Antwort.
„Hey!“, meint Denise, als wir auf dem Heimweg sind. „Soooo schlecht finde ich das jetzt nicht. Und nach den fünf Jahren und natürlich eurer Hochzeit wird die Erlaubnis dann sicher in eine unbefristete umgewandelt. Ganz bestimmt.“
Auch Martha versucht, mich dazu zu bringen, das Ganze positiv zu sehen.
„Auf unseren Alltag wirkt sich das doch gar nicht aus, ob deine Erlaubnis nun befristet oder unbefristet ist. Und wenn sie dich nach all den Jahren trotz deiner Vorstrafe nicht rausgeschmissen haben, warum sollten sie es in fünf Jahren tun? Und was unsere künftige … Scheinehe angeht … diese lächerliche Überprüfung überstehen wir auch. Sollen Sie halt bei uns rumschnüffeln, wenn es sie anmacht.“ Martha macht eine wegwerfende Handbewegung.
Es gefällt mir, daß sie das so locker sieht. Und so bemühe ich mich auch um etwas mehr Lässigkeit.
Als etwa drei Wochen später Post von der Ausländerbehörde kommt, bin ich auch recht entspannt und nehme mir vor, meine neue befristete Aufenthaltserlaubnis ganz ruhig zu meinen Unterlagen zu nehmen.
Ich bin auch schon dabei, den Wisch wieder zusammenzufalten, als ich noch einmal genauer draufsehe.
Da steht Niederlassungserlaubnis. Was ist das nun wieder? Und das Wort befristet sehe ich nicht.
Ich reiche Denise den Brief weiter und nach einigen Augenblicken fängt sie an zu strahlen.
Und dann erklärt sie mir, daß meine Vorstrafe inzwischen so lange her ist, daß sie aus dem Strafregister entfernt wurde und daher nicht mehr von Belang ist. Alle weiteren Voraussetzungen für einen unbefristeten Aufenthalt würde ich erfüllen. Ich müsse allerdings nachweisen, daß ich mindestens sechzig Monatsbeiträge in eine Rentenkasse eingezahlt hätte.
„Hab ich aber doch nicht.“, schnaufe ich ungehalten. Das soll mir jetzt einen Strich durch die Rechnung machen? Das darf doch nicht wahr sein!
„Reg dich nicht auf, das klären wir.“, meint sie besänftigend und greift zum Handy.
„Hey!“ Martha setzt sich auf meinen Schoß, legt mir die Arme um den Hals und küßt mich sanft.
Ich seufze ergeben und warte ab.
Und siehe da, Denise meint, diese Beiträge könne ich auch in einem einzahlen.
„Und das ist ja wohl hoffentlich kein Problem, oder?“
Ich schüttele den Kopf. Ist es nicht.
„Gut, daß wir sparsam leben und du immer noch was auf der hohen Kante hast aus deiner Zeit bei LCL.“, meint Martha.
Sie kümmert sich wie immer um solche Dinge, bei denen ich leider zu schnell die Nerven verliere. Und wieder bewundere ich sie dafür, beides zu können – kreativ zu sein und so Buchhaltungs- und Behördenzeugs auf die Reihe zu kriegen.
Wenige Tage später ist es amtlich und Denise erklärt mir, daß ich mit dieser nun unbefristeten Aufenthaltserlaubnis auch eine Einbürgerung beantragen kann.
„Was hab ich davon?“
Denise zählt mir einige Punkte auf, die mir aber alle nicht wichtig erscheinen. Freie Berufswahl … ich hab meinen Traumberuf schon. Ich könne Beamter werden … okay, hier hat selbst Denise nach ein paar Sekunden vor Lachen geprustet.
Dann wird sie wieder ernst und meint: „Also, wenn das mit dem Nachwuchs mal akut werden sollte, kannst du ja noch mal drüber nachdenken. Im Moment, da gebe ich dir Recht, hast du keine verwertbaren Vorteile davon, es sei denn, es liegt dir was dran, unbedingt die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen.“
„Früher hätte mich das Wahlrecht gelockt. Aber heutzutage vergeht einem die Lust an der Politik völlig, da ist doch einer wie der andere nur an seinem persönlichen Vorteil interessiert.“
Ich will hier einfach nur leben und arbeiten, mehr nicht. Und mit dem neuen Wisch können sie mich nicht mehr rausschmeißen, wenn sie keinen Bock mehr auf mich haben. Das reicht mir.
Martha hat Denise aufmerksam zugehört und findet das mit der Einbürgerung im Moment auch überflüssig.
„Andererseits … ich mein, das mit dem Wahlrecht … ist generell nicht gut, wenn man nicht wählt … weil …“
„Ich weiß … davon profitieren die Randgruppen.“
„Mußt gar nicht genervt die Augen verdrehen. Ich sag ja gar nicht, daß du dich wegen dem Wahlrecht einbürgern lassen sollst. Ich denk nur, mancher Mensch wäre froh, wenn er die Freiheit hätte zu entscheiden, ob er wählen möchte oder nicht.“
Ich weiß, ich rolle wieder mit den Augen, aber Martha hat manchmal so eine Art … und ich weiß dann nie, wie ich ihre Argumente entkräften soll. Und diesmal, glaube ich, hilft küssen auch nicht weiter.
„Juri, im Ernst. Zwanzig Jahre war das alles kein Thema, weil du mit deiner befristeten Erlaubnis eh nicht durftest. Ich erwarte gar nicht, daß du … eigentlich hoffe ich nur, daß du mal drüber nachdenkst.“
Das ist nicht zuviel verlangt, wenn ich ehrlich bin.
Nun küsse ich sie doch. Nicht zum vom Thema abzulenken oder gut Wetter zu machen. Mir ist einfach danach.
„Hey, nun könnt ihr heiraten, ohne daß anschließend jemand in eurem Privatleben rumschnüffelt.“, höre ich Sascha.
Ich löse meine Lippen von Marthas und wir sehen uns an.
Martha strahlt. Und ich glaube, ich auch.
Unser Laden läuft.
Das mit meiner Therapie sieht gut aus.
Ich habe eine unbefristete Erlaubnis, in Deutschland zu bleiben.
Irgendwie habe ich das Gefühl, wieder einen Wendepunkt in meinem Leben erreicht zu haben.
Keinen im negativen Sinne, oh nein!
Einen Wendepunkt in ein ganz normales Leben.
Kann sein, ich bin bald ein Mann mit einem guten Job, mit einer wunderbaren Ehefrau, treuen, verläßlichen Freunden … wenn es nicht wirklich stimmen würde, daß ich mich durch Martha weiterentwickelt habe, würde mir genau dieses Normale jetzt Angst machen.
Weil es vor einiger Zeit noch ebenso undenkbar wie unmöglich gewesen wäre.
Als ich Martha von diesen Gedanken erzähle, kichert sie und meint: „Keine Angst, Juri … du wirst niemals spießig oder auch nur zu normal werden. Du wirst immer Juri bleiben. Guck dich an! Innen drin hat sich eine Menge getan. Aber du trägst immer noch diese Shirts und diese Schuhe, ziehst die Lederjacke nur zum Duschen und Pimpern aus …“
Ich schnaube empört.
„Sorry, der mußte sein.“, lacht Martha. „Nein, du bist trotz aller Veränderungen immer noch, was dich und deine Mode ausmacht. Und mehr Änderung will ich auch gar nicht.“ Die letzten Worte sagt sie so unheimlich zärtlich, daß es mir unter die Haut geht. Wir küssen uns lange.
An diesem Abend hocke ich unten im Laden auf dem Boden und bin ein wenig in Gedanken.
Demnächst findet in München wieder eine Fashion-Show statt und Martha und ich sind uns einig, daß wir dabei sind. Aber dafür braucht es neue Ideen.
Ein paar hab ich schon.
Ich beobachte das Sonnenlicht, das, langsam schwächer werdend, über die Zeichnungen an der Wand zieht.
Da maunzt es neben mir. Carlo.
Er reibt seinen Kopf an mir und hopst dann im Zickzack über meine Beine. Mir ist klar, er will spielen.
Hatte ich nicht eben … ah, da ist er doch, der Laser-Pointer, den Martha gekauft hat.
Mich amüsiert es immer wieder, wie geil so ein Katzentier darauf ist, einen Lichtfleck zu jagen. Martha hat mich ausgelacht und gemeint, ich verstünde ja echt nichts von Katzen und das sei doch einfach Instinkt, normaler Jagdtrieb.
Ja nee, schon klar, ich hab da einfach nicht den Zusammenhang gesehen.
Inzwischen haben wir beide Spaß an der Sache, der Kater und ich.
Heute passiert allerdings was Dummes. Und gleichzeitig Inspirierendes.
Carlo muß in feuchter Erde rumgelatscht sein. Jedenfalls hinterläßt er dunkle Tapsen im unteren Bereich der Wand. Die werde ich abwaschen müssen, sonst krieg ich Ärger mit Martha.
Aber da, wo der Kater versucht hat, an der Wand hochzulaufen und wieder runtergerutscht ist … die Krallenspuren … das bringt mich auf eine Idee. Ich sehe von Tatzen zerfetzten Stoff und … ich muß das zu Papier bringen!
Ich schnappe mir meinen Skizzenblock und nehme es hin, daß Carlo beleidigt ist, weil ich nicht mehr mit ihm spiele. Ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, zieht er ab. Springt elegant auf die Fensterbank des Sprossenfensters zum Hof. Und putzt sich die Pfoten sauber!
"Na, das hättest du ja mal eher machen können.", brumme ich vor mich hin.
Nach einer Weile kommt Martha zu mir.
„Hattet ihr Streit, du und Carlo?“, fragt sie kichernd, als sie sieht, wie ich, den Laser-Pointer noch in der Hand, zu dem Kater rüber starre.
Ich bin ein wenig schuldbewußt, weil ich Carlos Pfotenabdrücke noch nicht beseitigt habe.
„Ach, er hatte nur wenig Verständnis dafür, daß ich auf einmal arbeiten wollte, statt ihn die Wand rauf und runter zu scheuchen.“
„Ah ja.“
„Und sorry … für … für das da.“ Dabei deute ich zur Wand gegenüber.
„Was? …Ach so, das da. Ja, sowas kann passieren.“, lacht sie.
„Ich wasch das ab, versprochen.“
„Okay. Gibt übrigens gleich Abendessen. Denise kocht grad ‚ne Kleinigkeit. Und … ich fahre morgen nach Dresden. Da öffnet eine neue Boutiquen-Kette und die Besitzerin ist an meinen Accessoires interessiert.“
„Hey, gut!“ Ich freue mich sehr für meine Süße.
„Dann kann ich allerdings nicht mit zu deiner Therapie gehen. Morgen ist Frau Sonnabend doch aus ihrem Urlaub wieder da, nicht?“
Stimmt. Die war für drei Wochen in Urlaub. War aber ganz okay so, um das alles ein wenig sacken zu lassen. Da waren Martha, Sascha und ich uns einig.
„Sascha hat gesagt, er geht wieder mit, wenn du möchtest.“
Das ist lieb von ihm, aber ich denke, ich werde mal versuchen, wie ich alleine mit der Situation klarkomme.
Beim Essen spricht er mich auch gleich drauf an.
„Hat Martha dir gesagt? Daß ich mitkomme, wenn du willst?“
Ich nicke. „Ist lieb von dir, aber ich versuch’s mal allein. Ich denke, ich pack das.“
„Denk ich auch. Hast das Schlimmste wohl schon hinter dir.“, meint er.
Am nächsten Tag bringe ich Martha zum Zug, wünsche ihr viel Erfolg.
Sie küßt mich zärtlich und bleibt, die Arme um meinen Hals gelegt, an mich geschmiegt stehen, bis der Zug da ist.
„Halt die Ohren steif, mein Schatz! Ich liebe dich!“
„Ich dich auch.“
Ich sehe dem Zug hinterher, bis er meinem Gesichtsfeld entschwindet.
Ist schon ein komisches Gefühl, daß Martha weg ist. Das letzte – und einzige – Mal endete beinahe in einer Katastrophe.
Eine leichte Unruhe beschleicht mich, aber ich bin fest entschlossen, mich nicht verrückt zu machen. Erstens ist seitdem viel mit mir passiert. Zweitens bin ich nicht allein. Sascha und Denise sind da.
Dann ist es Zeit für meine Therapie.
„Wie geht es Ihnen nach der dreiwöchigen Pause?“, fragt Frau Sonnabend.
Mir ist klar, mit einem ‚gut‘ wird sie nichts anfangen können.
„Ich denke, es war ganz gut, daß das … alles … ein wenig … sacken konnte. Also, das, was ich bei unserer letzten Sitzung … was ich gedacht und gefühlt habe … in die Richtung bin ich noch nie gegangen. Ich hab den Mörder … meiner … Eltern … immer gehaßt. Bestenfalls verachtet. Aber nie versucht, die Dinge … aus seiner Sicht zu sehen.“
„Ein Wechsel der Perspektive ist immer gut. Es ist nur sehr schwer, aus eingefahrenen Denk- und Verhaltensweisen rauskommen.“
Ich nicke. „Ich weiß. Deswegen ist es mir ja so schwer gefallen, meine Gefühle für Martha zuzulassen. Weil ich mehr als nur geübt im Verdrängen solcher Gefühle war.“
Nun ist es Frau Sonnabend, die zustimmend nickt.
„Meinen Sie, ich habe den alten Haß überwunden?“
„Das kann ich Ihnen nicht konkret beantworten. Aber der Versuch, nachzuempfinden, wie es dem Mörder ihrer Eltern gegangen sein könnte … das könnte ein Zeichen sein, daß der Haß, wenn er doch noch versteckt irgendwo schlummern sollte, nie mehr solche Kontrolle über Sie bekommen wird. Horchen Sie beständig in sich, nehmen Sie Ihre Emotionen bewußt wahr, unterdrücken Sie sie nicht. Was nicht heißt, daß Sie ihnen blind nachgeben sollen.“
Ich denke, ich weiß, was sie meint.
„Aber mal eine ganz andere Sache, eine wichtige. … Ich glaube, Sie haben nie um ihre Eltern getrauert, nicht wahr? Also, ich meine, haben Sie deren Tod als persönlichen Verlust akzeptiert und verarbeitet, um loslassen zu können?“
„Die Antwort kennen Sie doch.“, meine ich ein wenig ungeduldig.
Sie weiß doch, daß ich nie wirklich losgelassen habe, daß ich irgendwie immer noch in der Vergangenheit verhaftet bin, auch wenn ich das inzwischen nicht mehr will.
„Haben Sie eine Ahnung, wie Sie loslassen können?“
Ich schüttele den Kopf.
„Sie müssen den Schmerz zulassen. Sich damit auseinandersetzen. Stehen Sie ganz bewußt dazu, wie sehr Sie Ihre Eltern geliebt haben, wie sehr sie Ihnen fehlen. Lassen Sie den Schmerz und den Kummer raus. … Haben Sie schon mal das Grab Ihrer Eltern besucht?“
Ich schüttele wieder den Kopf.
„Dann wäre das eine Überlegung wert. Dort können Sie in einem stillen Zwiegespräch Ihren Eltern alles sagen, über den Schmerz sprechen. Wenn Sie bewußt und aktiv trauern, werden Sie anschließend loslassen können. Sie werden Ihre Eltern genauso lieben wie zuvor. Aber der Schmerz wird weg sein. Sie werden sich nicht mehr hilflos zurückgelassen fühlen mit Ihren Emotionen.“
Das klingt gut. Ich sollte darüber nachdenken.



Kapitel 32


Ich tue mehr … ich rede mit Martha darüber, als sie aus Dresden zurück ist.
„Weißt du noch, damals, nach deiner Panikattacke …. wo du das erste Mal über deine Vergangenheit geredet hast … da hab ich dich gefragt, ob du nochmal da warst. In deiner Heimatstadt, da, wo du gewohnt hast.“
Ich erinnere mich und nicke.
Martha meinte damals, niemand könne seine Vergangenheit einfach so zurücklassen.
Ich bin nicht darauf eingegangen, obwohl sie so Recht hatte.
„Vielleicht … wenn du … wenn du das Grab deiner Eltern besuchen würdest … vielleicht könntest du … na ja … dort Abschied nehmen … von deiner Vergangenheit …“
Ja, vielleicht kann ich das.
Wieder nicke ich.
„Damals … war ich einfach noch nicht so weit. Nicht mal soweit, auch nur drüber nachzudenken.“
Diesmal ist es Martha, die zustimmend nickt.
„Aber jetzt … ja, ich denke, ich könnte das tun. Meine Heimat besuchen …“
„Zagreb, die schönste Stadt der Welt … hast du mal gesagt.“
„Hab ich?“
„Ja. Das war … na ja, nachdem du mich rausgeworfen hast, weil ich dir in den Boxclub nachgelaufen bin. Da hab ich dich mal im No Limits getroffen. Ich glaub, du warst nicht mehr ganz nüchtern. Dir war so ein Anstecker runtergefallen und da hast du das gesagt.“
Ich erinnere mich dunkel. Der Anstecker vom Boksacki Club Zagreb …
„Wie bist du eigentlich zum Boxen gekommen?“
„Mein Vater hat geboxt. Er hat mich oft mitgenommen. Mich hat die Atmosphäre im Boxclub fasziniert. Dort herrschte ein rauher Ton, aber man war fair zueinander. Und nach dem Training hockte man zusammen, trank sich ein Bier und fachsimpelte über die Boxstars. Benes und Mavrovic … das waren die Helden meiner Kindheit … Boxer, die über die Landesgrenzen hinweg bekannt waren. Ich habe es geliebt, zuzuhören, wenn mein Vater und seine Kumpel von den Kämpfen erzählten.“
„Meinst du, du würdest noch etwas wiedererkennen? Es ist ja ganz schön viel Zeit vergangen?“
Ich seufze leise. „Ich fürchte, da sieht nichts mehr so aus wie früher.“
„Möchtest du denn … trotzdem hin?“
„Ja. … Nicht jetzt, nicht sofort. Ich denke, ich brauch noch etwas Zeit. Und du und Sascha, ihr müßt mitkommen. Allein … ist das … zu hart.“
„Natürlich kommen wir mit. Also ich auf jeden Fall. Und Sascha bestimmt auch.“

 Marthas Geschäftsreise nach Dresden war übrigens sehr erfolgreich. Ihre nächste Kollektion ist komplett verkauft und die Inhaberin der Boutiquen-Kette ist nun auch an Marthas Dessous interessiert.
„Nun muß ich mich aber ranhalten mit meinen Entwürfen. Immerhin hab ich was verkauft, was größtenteils noch nicht existiert. Und dann die Fashion-Show in München. Wenn Mosch da ist … und der wird da sein … kauft der mich ja wahrscheinlich auch wieder leer. … Ich sag dir was – Erfolg ist ganz schön anstrengend. Aber ich müßte schön bescheuert sein, wenn ich mich beklagen würde.“ Sie lacht und zeigt sich selbst ‚nen Vogel.
Ich küsse sie zärtlich und meine: „Du machst das schon.“
Was mich angeht, ich darf auch nicht schludern. Ich brauche ebenfalls eine komplette Kollektion für München. Aber dank Carlo hab ich ja schon eine Idee für eine neue Linie.

Zur nächsten Therapie-Sitzung gehe ich wieder alleine.
Martha bietet mir ihre Begleitung an, freut sich aber sehr, daß ich es mir alleine zutraue.
„Weißt du, beim letzten Mal, als ich da vor der Praxis stand … da war mir für einen kurzen Moment etwas mulmig. Aber ich hab dieses Gefühl abgeschüttelt … und dann war es gar nicht so schlimm. Ich habe gar nicht weiter drüber nachgedacht, daß ich alleine bin. Und irgendwie war ich das auch nicht. Ich hab deine Stimme im Ohr gehabt. Du hast mir Mut zugesprochen.“
Martha lächelt mich glücklich an.
„Weißt du … in Dresden, als ich vor dem Büro der Boutiquen-Besitzerin stand … da hatte ich auch deine Stimme im Ohr, die mir sagte ‚mutig sein‘. Hat prima geklappt.“
Das höre ich nun wieder sehr gerne.

Die Therapie ist zu einem ‚Der Weg ist das Ziel‘ geworden.
Ich erzähle Frau Sonnabend, daß ich mich mit Martha darüber unterhalten habe, meine Heimat und vor allem das Grab meiner Eltern aufzusuchen.
Auch wenn ich noch nicht sagen kann, wann ich das tun werde, findet sie das großartig.
Sie erzählt mir dann, daß sie als junge Frau ihre Mutter verloren hat und das aktive Trauern als sehr tröstend empfunden habe.
„Ich hab schon ein wenig Schiß vor dieser Reise. Sich dorthin zu begeben … das ist schon was anderes, als … nur darüber … zu reden …“
„Diese Angst können Sie sich ruhig zugestehen. Wichtig ist ja nur, daß Sie Ihre Gefühle nicht mehr verdrängen und das tun Sie nicht. Und Sie werden ja nicht alleine sein. Sie dürfen sich sowohl physisch als auch psychisch an ihrer Frau und an ihrem Freund festhalten.“
Für die nächste Sitzung soll ich Martha mitbringen. Mir ist klar, das hat was zu bedeuten, aber Frau Sonnabend sagt nichts weiter dazu und ich frage nicht nach. Mir ist klar, ich muß Vertrauen zu ihr haben. Eigentlich habe ich das auch, denn bisher fühle ich mich mit der Art, wie sie mich therapiert, sehr wohl.

Das nächste, wo ich nicht allein hin gehe, ist allerdings der Tattoo-Shop. Sascha begleitet mich. Dieses Tattoo hat eine wirklich wichtige symbolische Bedeutung für uns beide, deshalb soll er dabei sein.
Ivo, der Besitzer, boxt auch im Club, daher kennen wir uns.
Als er hört, daß Sascha mit dabei sein soll, lacht er sich halb schlapp.
„Soll er dir Händchen halten, wie? Ich dachte, ‚n Kerl, der so boxt wie du, hält mehr aus.“
„Tja, so eine zarte Designer-Seele …“, stichelt Sascha.
„Euch ist klar, daß ich euch das im Club heimzahle, nicht?“, sage ich, während ich Jacke und Shirt ausziehe.
Wir lachen alle, Ivo köpft ein paar Biere und legt dann los.
„Also, wenn ihr an dem Tattoo nicht selber rumgestümpert hättet und du dir mal vorher überlegt hättest, was genau da stehen soll, dann wär das jetzt ein Klacks. Ein paar Schriftzeichen von eurem Gekritzel werd‘ ich hinkriegen, andere lassen sich nicht überdecken, die muß ich erst weglasern. Also daß das heute fertig wird, kannste dir abschminken.“
Ich zucke mit den Schultern. Dann ist das halt so.
Es war damals aber wichtig und konnte nicht warten.
Sascha sieht mich etwas schuldbewußt an, aber ein Blick von mir und er weiß, es ist egal, wenn die Neugestaltung des Tattoos jetzt etwas umständlicher wird.
Abgesehen davon haben wir Spaß. Ivo hat in seinem Studio schon die dollsten Dinger erlebt und echt schräge Vögel bedient. Was der uns für Stories erzählt …

Und dann ist wieder Freitag und ich betrete mit Martha Frau Sonnabends Praxis.
„Sagen Sie, Sie fertigen doch Accessoires aus Wolle, so als Hingucker für Jacken, Pullis und so weiter, nicht?“, wendet sich meine Therapeutin an Martha.
„Ehm, ja.“ Martha ist ein wenig irritiert.
„Schauen Sie, ich hab mich selbst dran versucht, sowas in der Art hinzukriegen, aber irgendwas mache ich falsch.“
Frau Sonnabend zieht eine Tasche unter ihrem Tisch hervor und holt Wolle heraus ... und Stricknadeln …
„Schauen Sie, hier …“
Ich sehe, wie Martha sich neben sie hockt, ihr die Sachen abnimmt und irgendwas erklärt.
Dann höre ich das Geräusch der klackernden Nadeln.
Ein Teil von mir will wegrennen, der andere ist wie paralysiert.
Aber ich weiß, ich bin in der Praxis meiner Therapeutin.
Mein Herz klopft heftig und ich schwitze.
Ich erinnere mich an diese Panikattacke und wie hilflos ich ihr ausgeliefert war.
Aber heute ist es anders.
Und ich spüre, daß Frau Sonnabend mich unter den Augenlidern hinweg sehr genau beobachtet.
„Ich denke, für heute … ist es genug.“, höre ich mich sagen. Wieviel Zeit inzwischen vergangen ist, weiß ich nicht.
Martha dreht sich zu mir um, sieht mich erstaunt an … und läßt dann entsetzt das Strickzeug fallen.
„Alles gut.“, beruhige ich sie. „Ich bin okay.“
Frau Sonnabend reicht mir ein Glas Wasser und lächelt mir aufmunternd zu.
„Das war … schon heftig.“, gestehe ich.
„Sie haben doch immer noch Angst davor, daß etwas in Ihnen schlummert und durch Anreize von außen plötzlich unkontrolliert hervorbricht. - Hatten Sie grad das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, in Panik zu geraten?“
„Für einen Moment, ja. Aber ich glaube … ich … ich denke, das war nur … aufgrund der Erinnerung … an … an diese Panikattacke damals. Heute … ich wußte, ich bin hier, in dieser Praxis. Ich hatte … nicht das Gefühl … nein, ich hatte keinen Flashback. Damals habe ich Bilder aus meiner Vergangenheit gesehen. Aber eben nicht. … Es … war … es hat mir schon … Angst gemacht. Aber ich … war nicht mehr so … hilflos.“
„Und was nehmen Sie aus dieser Erfahrung nun mit nach Hause?“
„Ich weiß nicht. Was könnte, sollte ich denn mitnehmen?“
„Nun, vielleicht, daß Ihnen solche Situationen keine Angst mehr machen müssen. Sie dürfen ja unangenehm sein, sie dürfen den Wunsch auslösen, sie zu beenden. Es wäre zuviel verlangt, daß Sie das Strickgeräusch als angenehm empfinden und darüber einschlafen.“
Das wäre aber schön, denke ich spontan. Ich sehe Martha, wie sie am Fußende unseres Betts sitzt und strickt …
„Aber daran könnte ich arbeiten, nicht? Sie haben in unserem ersten Gespräch gesagt, man arbeite heute nicht mehr mit Desensibilisierung, haben es heute aber doch getan.“
„Ja. Weil, wie ich eben sagte, Ihre größte Angst ist, daß bestimmte Schlüsselreize Sie unberechenbar werden lassen.“
„Aber … hätte das nicht böse ausgehen können?“, fragt Martha besorgt.
„Frau Sonnabend hatte mich scharf im Blick und hätte sofort abgebrochen, wenn es schlimm geworden wäre.“, sage ich. „Außerdem … ich wußte, ich kann einfach sagen, wenn es mir zuviel wird.“

„Also, ich weiß ja nicht … hätte sie das nicht vorher mit dir absprechen müssen? Sie kann dich doch nicht einfach mit sowas überfallen!“, meint Martha noch ziemlich aufgeregt, als wir auf dem Heimweg sind.
„Dann hätten wir aber nicht gewußt, wie ich unvermutet auf dieses Geräusch reagiere. Und das ist es ja eben … eine ganz normale Situation, man rechnet mit nichts Bösem und dann peng, ein bestimmtes Geräusch und mich katapultiert‘s gradewegs in die Vergangenheit. Jetzt wissen wir, es ist nicht mehr so schlimm wie damals. Es ist nicht ganz weg, aber ich bin sicher, ich muß mich einfach nur desenblisi … Mist, jetzt hab ich ‚nen Knoten in der Zunge.“
„Ganz ehrlich … ich finde, das alles geht zu schnell. Also nicht, daß ich dir nicht wünschen würde, daß du dein Trauma schnell los wirst und das alles endlich hinter dir lassen kannst. … Aber … du gehst erst ein paar Wochen zur Therapie … und dein Trauma schleppst du seit zwanzig Jahren mit dir rum … ach, ich weiß nicht, aber ich hab einfach ein komisches Gefühl, daß die paar Gespräche dich so schnell von deinem Problem befreit haben sollen. Nein, sag nix, mir ist schon klar, sowas ist was ganz Individuelles und was bei dem einen ewig dauert, geht bei dem anderen vielleicht ganz schnell … aber …“
„Du denkst, wenn das alles so ist, dann hätten wir uns die Therapie schenken können und einfach so ein bisschen reden, ja?“
„Ja, nee, so hab ich das nicht gemeint.“
„Meine liebe Martha! Ich glaube, du vergißt, daß jeder einzelne Tag mit dir ein Stück Therapie für mich ist. Seit unserer ersten Begegnung veränderst du mein Leben. Verändere ich mich. Zum Positiven. Ich lerne jeden Tag mit dir etwas dazu. Mir ist das nicht immer sofort bewußt, aber es ist so. Das Leben mit dir, die Freundschaft mit Sascha und die Therapie … das alles zusammen ist es.“
„Hm …“
Ich sehe Martha tief in die Augen. Ihre Skepsis, ihre Besorgnis weicht einem Lächeln.
„Ja, wahrscheinlich hast du Recht.“
„Mexikaner? Ich hab Hunger!“
Während des Essens meine ich zu Martha: „Hör mal, ich möchte, daß du ab jetzt mit dem Stricken keine Rücksicht mehr auf mich nimmst. Mach das, wo und wann du willst. Wenn es mir zuviel wird, kann ich ja weggehen. Aber ich will, daß dieses Geräusch wieder was Normales für mich ist.“
Und ich es vielleicht sogar irgendwann wieder positiv empfinden kann …

Daß ich wirklich einen echten Fortschritt erzielt habe, merke ich daran, daß ich das Strickgeräusch kaum wahrnehme, wenn ich sehr auf meine Arbeit konzentriert bin. Das war damals anders. Da war das Geräusch unnatürlich laut. Fast als ob die Nadeln in meinem Kopf klackern würden. Ohne es zu wollen, war ich voll darauf fixiert. Jetzt nehme ich es nur bewußt wahr, wenn ich nicht davon abgelenkt werde.
Und ich versuche mich darauf zu konditionieren, das Geräusch mit angenehmen Dingen zu verbinden … Marthas Gesichtsausdruck zum Beispiel. Konzentriert und doch gelassen, lächelnd oder während des Strickens munter plaudernd.
Ich lasse mir dabei Zeit, setze mich nicht unter Druck. Ja, manchmal werde ich noch ungeduldig, wenn ich bemerke, wie ich bei dem Geräusch doch wieder leicht zu zittern anfange. Aber ich kapiere, das ist auch tagesformabhängig. Hatte ich Streß, bin ich da empfindlicher als an einem Tag, wo alles gut läuft.
Und so geht es voran …

Voran geht es auch mit unseren Kollektionen.
Und Sascha muß wieder ins Training, der faule Sack. Irgendwie meine ich, der Junge ist moppelig geworden.
„Sag mal, Josie, sind Saschas Maße eigentlich noch die gleichen wie beim letzten Mal?“, frage ich deshalb.
„Nee, der ist ein bisschen breiter geworden. Also so drei Zentimeter mehr müssen beim Zuschnitt also schon sein.“
„Ehm, Sascha?“
„Ja, Meister?“
„Sieh mal zu, daß du den Speck wieder von den Hüften kriegst.“
„Was für’n Speck?“
„Josie hat mir deine neuen Maße gesteckt.“
„Alte Petze!“
Josie streckt ihm die Zunge raus.
„Das ist kein Speck, das sind Muckis.“
„Ja ja. Keine faulen Ausreden. Bis zum Fashion-Day mußt du in Topform sein.“
„Bin ich. Frag Denise.“
„Es interessiert mich nicht, wie lange du im Bett durchhältst, ohne schlapp zu machen. – Heute nach Feierabend, ab in den Club, trainieren.“
„Und du? Faulenzen mit Martha?“
„Nö. Ich komm mit und sehe zu, daß du auch richtig ins Schwitzen kommst.“
„Wollen wir doch erstmal sehen, wer von uns beiden mehr schwitzt.“
Martha und Josie kichern schon die ganze Zeit verhalten, aber jetzt prusten sie los: „Kerle!“
Dann sind wir im Club und ziehen uns um.
Ich pieke Sascha in die Seite. „Denise verwöhnt dich eindeutig zu sehr mit ihrem guten Essen.“
„Und das da?“, fragt Sascha und piekt mich in den Bauch.
„Martha mag das. Und ich bin kein Model.“
„Ach, so ist das?“, lacht Sascha.
Das Training tut uns gut – nicht, daß Sascha wirklich zu fett wäre, ist er nicht, aber Spaß muß sein – und wie meist hinterher setzen wir uns noch ein Weilchen zum Mexikaner rein. Sascha ruft Denise an und sie und Martha sind kurz darauf auch da.
Und wir verbringen ein vergnügliches Stündchen zusammen.
 Der Fashion-Day in München ist anstrengend, aber auch erfolgreich.
Sascha läuft wieder mit Gloria und Karin zusammen. Letztere hat viel dazu gelernt und ist kein bisschen mehr unsicher.
Sascha findet das Rumgestelze immer noch albern und kann seine dummen Witze nicht lassen. Aber ich nehm’s ihm nicht krumm, ich kann ihn ja verstehen.
Niemand würde mich dazu bringen, vor Publikum so zu posen und rumzuwackeln. Wobei ich zugeben muß, daß sowas bei Mädels schon weit weniger lächerlich aussieht als bei Kerlen.
Martha nötigt mich wieder dazu, unseren Models zuzusehen.
„Cat-Look auf dem Cat-Walk.“, kichert sie über meine Carlo-inspirierten Modelle.
Mosch verzieht diesmal ein wenig sein Gesicht; ich scheine nicht seinen Geschmack getroffen zu haben und als Martha ihm erzählt, wie ich auf die Idee gekommen bin, scheint er nicht zu wissen, ob er lachen oder weinen soll. Aber er meint offenbar, daß sich diese komische Idee gut verkaufen lassen wird, denn nach kurzem Zögern habe ich den Auftrag in der Tasche.
Und kann mir das Grinsen nicht verkneifen.
Auch bei Martha schlägt Mosch zu, bevor es jemand anders tun kann.
Und so fahren wir müde, aber sehr zufrieden wieder nach Hause.


Kapitel 33




Als wir nach unserer Rückkehr zusammensitzen, stellen wir mehr oder weniger gleichzeitig fest, daß es mal Zeit für eine Pause ist. Seit Monaten hat keiner von uns richtig frei gehabt. Und so beschließen wir, den Laden für eine Woche zu schließen.
Sascha und Denise wollen ihre Eltern besuchen.
Und Martha würde ihre auch gerne wiedersehen.
Ich habe nichts dagegen.
Martha kümmert sich um alles, checkt etwaige Termine und so weiter.
Um Carlo wird sich Finchen kümmern; die beiden sind ja eh dicke Freunde. Finchen wird auch sonst nach dem Rechten sehen.
„Ich paß schon auf alles auf, fahrt ihr mal!“, meint sie gelassen.
Die Woche über sind wir noch fleißig und sehen zu, daß Mosch flott bedient wird. Josie und Janine nähen auf Hochtouren.
Am Freitag gehe ich wie gewohnt zu meiner Therapie. Seit dem Tag, wo Frau Sonnabend mich mit der Strick-Sache konfrontiert hat, war ich immer allein da.
Frau Sonnabend freut sich sehr darüber, daß ich mich auch außerhalb der Therapie-Stunden mit mir selbst auseinandersetze … vor allem aber darüber, daß ich mich bemühe, das Strick-Geräusch mit etwas Positivem zu verknüpfen.
Ansonsten buddeln wir in meiner Vergangenheit. Holen Schönes und weniger Schönes nach oben.
Ich entdecke die Liebe zu meinen Eltern neu. Bisher war diese Liebe durch den Schmerz des Verlusts repräsentiert. Frau Sonnabend hilft mir, weiter an dem zu arbeiten, was ich mit Martha schon begonnen hatte … die schönen Erinnerungen in den Vordergrund zu rücken. Dieser Teil der Therapie gerät mehr wie eine Plauderstunde und ich empfinde Frau Sonnabend in diesen Momenten auch mehr wie eine vertraute Freundin denn wie eine Therapeutin.
Und dann ist Feierabend an diesem Freitag – Martha schließt den Laden und wir setzen uns alle gemütlich zusammen. Sascha hat den Grill aufgebaut, die Abende sind inzwischen warm genug, um draußen zu sitzen.
Josie und Janine freuen sich auch auf den Urlaub. Josie wird allerdings drei Wochen weg sein, beinahe hat sie deswegen ein schlechtes Gewissen.
„So ein Quatsch.“, sage ich und Martha redet ihr den Unfug schnell wieder aus. Der Urlaub steht ihr zu und sie hat ihn mehr als verdient.

Martha hatte vorgeschlagen, mit dem Zug nach Neuenkirchen zu fahren, weil das doch für mich sicher erholsamer wäre.
Aber ich habe abgelehnt. Ich mag es, mit Martha im Auto unterwegs zu sein. Wenn sie sich müde geschnattert hat und sich in ihrem Sitz zusammenrollt … das entspannt mich mehr als das Rattern eines Zuges. So richtig Zeit und Geld würden wir auch nicht sparen. Und so ist Martha mit der Autofahrt doch gerne einverstanden.
„Und so sind wir immerhin allein. In so ‚nem Zug weiß man natürlich nie, wer sich noch mit dazu setzt. … Hach, ich freu mich so!“
Meine süße Martha! Ich sehe sie von der Seite an; noch ist sie aufgeregt und hibbelig und deshalb glühen ihre Wangen.
Ich würde sie gerne küssen, aber obwohl es noch früh an diesem Samstag ist, sind die Straßen schon ganz schön voll.
Außerdem … hatten wir heute Morgen ja schon ein herrlich genußvolles Stündchen voller Zärtlichkeit und Leidenschaft. Die Erinnerung daran sollte mich darüber hinweg trösten, Martha jetzt nicht küssen zu können.
Da unterbricht sie mich in meinen schönen Gedanken. „Mama und Papa freuen sich auch riesig, mir dieses Jahr wieder persönlich zum Geburtstag gratulieren zu können.“
Vor Schreck verschalte ich mich, das Getriebe knirscht vorwurfsvoll.
Marthas Geburtstag! Scheiße!
Wie konnte ich den vergessen?
Mir bricht ein wenig der Schweiß aus.
Zum Glück merkt Martha nichts. Sie plaudert weiter. „Letztes Jahr konnten wir ja nur telefonieren. Also, nicht, daß ich mir jetzt ‚ne Party wünschen würde oder so. Ich brauch auch keine großen Geschenke. Aber zum Geburtstag in den Arm genommen werden ist schon schön.“
Keine großen Geschenke … das heißt, kleine aber schon? Marthas Eltern haben sicher was für sie.
Und ich? Ihr eigener Freund hat gar nichts.
Blitzschnell erinnere ich mich daran, daß sie mir zum Geburtstag auch nichts geschenkt hatte … bis auf einen unvergeßlichen Morgen …
Ob ich ihr auch etwas in dieser Richtung ‚schenken‘ sollte?
Sie einfach richtig ausgiebig verwöhnen?
Vielleicht doch mal was Romantisches?
Toll, daß ich von Romantik soviel Ahnung habe wie ein Nilpferd vom Seiltanzen. Unbemerkt von Martha verdrehe ich die Augen.
Dann sind wir auf der Autobahn, Martha wird ruhig und ich schiebe die Gedanken an ihren Geburtstag erstmal beiseite und entspanne mich.

Auf halber Strecke machen wir kurz Halt, ich muß pinkeln und Martha nutzt die Gelegenheit, sich ein wenig zu strecken und die Beine zu vertreten. Und ich nutze die Gelegenheit, sie zu küssen. Sie läßt sich das aber nur zu gern gefallen, legt mir die Arme um den Hals und schmiegt sich an mich.
So stehen wir ganz lange da, die Sonne wärmt uns … und ich bin einfach nur glücklich.
Martha ist es auch, so wie sie lächelt, als wir wieder einsteigen.

Kurz vor dem Ziel kündigt Martha uns telefonisch an. Und dann sind wir da.
Peter und Gisela warten vor dem Haus.
Ich finde es wieder sehr süß, wie Martha auf ihre Eltern zuflitzt und ihnen stürmisch um den Hals fällt.
Unwillkürlich muß ich an meine Eltern denken … aber es sind keine trüben Gedanken. Nein, ich denke, Martha hätte ihnen gefallen.
Jedenfalls hätten sie sie genauso herzlich begrüßt, wie es Marthas Eltern jetzt mit mir tun.
Peter drückt mich so fest, daß ich das Gefühl habe, meine Knochen knirschen zu hören. Und Gisela busselt mich auf beide Wangen.
Beide strahlen sie und beteuern mehrfach, wie schön es sei, daß wir hier eine Woche Urlaub machen wollen.
„Das habt ihr euch auch mal verdient; ihr seid immer nur am Arbeiten.“, meint Gisela leicht vorwurfsvoll.
„Ach, Mama, du tust ja so, als bestünde unser Leben nur aus Arbeit. Wir haben auch viel Spaß.“
Gisela wirft mir einen kurzen Blick zu, grinst und meint dann: „Ja, das kann ich mir denken. … Aber ihr müßt auch mal raus, was anderes sehen. Und euch richtig erholen. … Marthamaus, ich kenn dich … wenn du zuhause bist, dann läßt dich die Arbeit nie los, ein Gedanke und du hockst wieder über deinem Strickzeug, deinen Skizzen und so weiter.“
„Wenn sie eine Idee hat, dann muß sie raus. Das ist einfach so, ist bei mir nicht anders.“, verteidige ich Martha.
Gisela sieht mich an, als wolle sie sagen, daß wir Kreativen alle nicht ganz dicht sind.
Aber dann lächelt sie, streicht Martha über den Kopf und sagt: „Nun aber erstmal rein mit euch!“
Wir laden unsere Sachen in Marthas Zimmer ab.
„In einer halben Stunde können wir essen. Ich dachte mir, wir könnten draußen essen, auf der Terrasse, es ist ja so schön.“, tönt Giselas Stimme aus der Küche.
„Also, ich würd‘ gern kurz duschen.“, meint Martha, nachdem sie ihre Sachen in den Kleiderschrank geräumt hat.
Ich stelle mich hinter sie, hauche ihr in den Nacken und frage: „Darf ich mitduschen?“
„Ja, also …“
„Wie, du zögerst?“ Ich ziehe gespielt beleidigt die Brauen hoch.
„Na ja … ich meine … ich dusche gern mit dir … also sonst … ach, Juri!!! Ich weiß genau, was du vorhast!“
„So? Weißt du das?“, grinse ich sie frech an.
„Juri! Am helllichten Tag im Badezimmer meiner Eltern. Kurz vor dem Essen.“
„Na und? Darf man hier nur nach dem Essen im Dunklen duschen?“
„Ich hab jetzt gar nicht das Duschen gemeint.“
„Was denn sonst?“
„Komm, du stellst dich doch absichtlich dumm.“
„Du willst mir also unterstellen, daß ich nichts anderes im Kopf habe, als dich unter der Dusche zu vernaschen?“
„Willst du es etwa abstreiten?“
„Eigentlich wollte ich dich nur ganz zärtlich einseifen und ….“
„Ja ja, als ob du dich zurückhalten könntest, wenn alles so schön feucht und rutschig ist.“
„Martha!“, pruste ich los. Manchmal läßt sie Sprüche raus, die hau’n mich weg.
„Ehrenwort, ich wollte wirklich einfach nur deine warme Haut spüren und ein Weilchen so mit dir unter dem Wasserstrahl stehen.“
„Echt jetzt?“
„Ja, wirklich.“
„Sorry. Ich meine, nicht daß ich … also unter anderen Umständen … was dagegen gehabt hätte, wenn du …“
„Schhhhht.“ Ich nehme ihren Kopf in meine Hände und küsse sie zärtlich.
Und das gemeinsame Duschen ist wirklich schön.

Dann sitzen wir draußen auf der Terrasse beim Essen.
Während ich es mir schmecken lasse, beobachte ich Martha, die zu erzählen anfängt, kaum daß sie sich gesetzt hat.
Sie redet und lacht und gestikuliert … macht mit ihrem Strahlen der Sonne Konkurrenz.
Peter beobachtet sie auch. Dann sieht er mich an, grinst, zuckt mit den Schultern. “Martha.“
„Martha.“, grinse ich zurück.
Martha berichtet von Finchen und Carlo, aber natürlich auch von Sascha und Denise und wie unser Laden so läuft.
„Magst du von deiner Therapie berichten, Juri?“, fragt sie mich dann. Sie fragt es leise, sanft; mir ist klar, ich soll mich nicht bedrängt fühlen.
Daß ich meine Therapie in Angriff genommen habe, hatte Martha ihren Eltern irgendwann mal am Telefon gesagt.
„Na ja, da gibt es nicht viel zu erzählen.“
„Du mußt auch nicht dein Inneres vor uns ausbreiten.“, meint Peter.
„Wir arbeiten halt meine Vergangenheit auf. Ich erzähle alles, was mir einfällt und dann sprechen wir darüber, was es für mich bedeutet, wie es sich auf mein Leben auswirkt. Wir haben auch … es gibt da was … wenn ich ... wenn ich Stricknadeln höre …“
„Juri, du mußt nicht …“ Martha legt mir ihre Hand auf den Arm.
„Ich weiß. … Mutter hatte gestrickt, als … es passierte. Und … das Geräusch … das Geräusch der klackernden Nadeln … das hat sich … mir ins Bewußtsein … eingebrannt … zusammen mit den Bildern … meiner toten Eltern. … Und wenn ich das höre … das Klackern …“
„Das hat schon mal so eine Panikattacke bei ihm ausgelöst. Ich war dabei, das war schlimm. Und jetzt … jetzt arbeiten wir daran, daß Juri dieses Geräusch … mit etwas Positivem verbindet. Und nicht mehr die schrecklichen Bilder dabei sieht.“
„Und das funktioniert?“, fragt Gisela.
„Nicht von heut auf morgen. Aber ich mache Fortschritte.“
„So eine richtige Panikattacke bekommt er nicht mehr. Manchmal fängt er noch an zu zittern. Aber es wird wirklich immer besser. Anfangs war mir ja mulmig, als er mich aufforderte, extra in seiner Nähe zu stricken. Aber es hilft wirklich.“
„Dann dürft ihr ja hoffen, daß er die Sache bald ausgestanden hat.“ Peter sieht uns fragend an.
„Ja … Ja, ich denke schon. … Meine Therapeutin meint, es … sei wichtig, daß ich Trauer zulasse. Um anschließend loslassen zu können.“
„Hm. Klingt vernünftig. Man muß Abschied nehmen können. Das Leben geht ja weiter.“
„Und die schönen Erinnerungen behältst du doch.“ Gisela tätschelt mir den Arm.
Ich nicke. Ich habe ja gemerkt, daß es gar nicht wenige schöne Erinnerungen sind, die ich an meine Eltern, meine Kindheit habe.

Nach dem Essen werden wir zum Faulenzen auf der Terrasse genötigt, während Gisela und Peter den Spülkram erledigen. Helfen verboten.
Ich habe nicht unbedingt etwas dagegen, denn der volle Bauch und die Sonne lassen mich faul werden.
Martha holt eine Decke, breitet sie auf dem Stück Wiese vor der Terrasse aus und dann legen wir uns in die Sonne.
Ich ziehe Schuhe, Socken und mein Shirt aus, frage Martha, ob sie sich nicht auch was Luftigeres anziehen möchte.
„Bin zu faul, rein zu gehen.“, murmelt sie schläfrig und kuschelt sich an mich.
Und wir dösen auch tatsächlich beide ein.
Wach werden wir, als Peter hinter uns einen Sonnenschirm in den Boden rammt.
„Ihr holt euch ja ‚nen Sonnenbrand.“, meint er.
Meine Haut ist da nicht so empfindlich, aber Marthas linke Schulter ist tatsächlich ein bisschen rot.
„Tja, man muß sich schon mal umdrehen, um sich gleichmäßig zu grillen.“, kichert sie und geht rein, um Sonnenmilch oder sowas zu holen.
Gisela hat Kaffee gemacht. Ich bestehe darauf, ihr ein wenig zur Hand zu gehen.
„Ehm, Juri … also … wär vielleicht besser, du … äh, ziehst dein Shirt wieder an.“, meint Martha leise zu mir, als sie wieder raus kommt.
Aber Gisela hat sie doch gehört. „Also, mich stört’s nicht. Kann sich doch sehen lassen, dein Juri.“
„Mama!“ Martha verdreht halb belustigt, halb verzweifelt die Augen.
Ich muß grinsen, weil mich das an unseren ersten Besuch bei Marthas Eltern erinnert.
Ich schnappe mir mein Shirt und gehe rein, um mal zu pinkeln.
Als ich wieder rauskomme – anständig in mein Shirt gehüllt – bekomme ich mit, wie sich Martha mit ihren Eltern über das Thema Hochzeit unterhält.
„Juri hat gesagt, er will mich nicht heiraten, bevor er nicht erfolgreich eine Therapie gemacht hat. Aber das heißt doch nicht, daß wir nach der Therapie sofort heiraten müssen.“
„Ich hab doch nur gefragt …“
„Nur weil du wild auf die Hochzeit und das alles bist, werd‘ ich Juri nicht bedrängen. Wir leben als Paar glücklich zusammen. So ein amtlicher Wisch ist nicht das Wichtigste.“
„Ihm scheint es schon wichtig zu sein, sonst hätte er dir nicht schon so früh einen Antrag gemacht.“, wendet Gisela ein.
„Da hatte er Panik, Verlassensängste, weil ich nach Berlin wollte. Er wollte mich einfach nur fest an sich binden.“
„Du meinst, er will gar nicht mehr … ?“
„Doch. Doch, er will mich immer noch heiraten. Er meint das schon ernst.“
„Aber?“
„Er wird schon auf mich zukommen, wenn er meint, daß jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Immerhin hat er jetzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, wir müssen also nicht befürchten, daß uns eine Scheinehe vorgeworfen wird.“
„Das ist ja schön, das ist doch eine gute Nachricht.“
Ich trete hinaus auf die Terrasse und lasse mir nicht anmerken, daß ich das ganze Gespräch über die Hochzeit mitbekommen habe.
Nachdenklich setze ich mich dazu, lasse mir Kaffee einschenken.
Martha wird schon Recht haben, es waren damals Verlustängste, als ich ihr so plötzlich einen Heiratsantrag gemacht habe.
Aber den habe ich nie bereut und würde ihn jederzeit wiederholen. Ich will Martha heiraten.
Es wird nie mehr eine andere Frau für mich geben.
Da ist das mit dem Heiraten doch ganz logisch und nachvollziehbar.
Sicher brauchen wir keinen Trauschein, um glücklich miteinander zu sein.
Aber schön wird es doch sein, ganz offiziell zusammenzugehören.
Und noch zu warten, macht irgendwie keinen Sinn. Worauf auch?
Wenn ich die Therapie hinter mir habe, werden wir heiraten.
Martha und Gisela sehen mich an. Ich habe gar nicht bemerkt, daß ihr Gespräch verstummt ist, als ich dazukam.
Gisela sieht so aus, als würde sie das Thema gerne noch weiter verfolgen, während es für Martha erledigt scheint.
Und nun bin ich es, die das Thema aufgreift, sehr zu Marthas Erstaunen. Was mich irgendwie amüsiert.
„Hast du dir inzwischen mal überlegt, ob wir nun in Berlin oder Düsseldorf heiraten wollen?“, frage ich also.
Martha sieht mich mit großen Augen an.
Gisela dagegen lächelt. „Wer da jetzt wohl wen bedrängt …“
„Ja, also … weiß nicht. Und du? Was wäre dir lieber?“
„Du hast, als Kim dich Ostern drauf angesprochen hat, gesagt, Berlin wäre unsere Zukunft. Und das stimmt. Und unsere Zukunft als Ehepaar sollten wir dann auch in Berlin starten, hm?“
„Jaaa ….“
„Und feiern können wir ja in Düsseldorf.“
Wieder sieht Martha mich mit großen Augen an. Und dann fängt sie an zu strahlen.
„Ja, das ist es!!! So können auch die dabei sein, die nicht weit reisen können oder wollen – entweder bei der Trauung oder bei der Feier … Juri, du bist genial!“
Ich komme mir gar nicht so genial vor, aber es gefällt mir, daß Martha mich nun sehr stürmisch küßt.

Nach dem Kaffee machen Martha und ich einen Spaziergang durch Neuenkirchen.
Am Brunnen im Stadtkern hocken wir uns hin, lassen die Beine ins kühle Wasser baumeln.
Martha lehnt sich an mich. „Ist schon schön, so ein bisschen Urlaub machen. Auch wenn’s nur bei meinen Eltern ist.“
„Wärst du lieber richtig verreist, ans Meer oder so?“
„Was? Ach, nee, nicht unbedingt. Auf keinen Fall wohin, wo’s voll ist, wo es von Touristen nur so wimmelt. … Mit so ‚nem Camper würd‘ ich gern mal unterwegs sein. Und Europa würd‘ mir absolut reichen, da gibt’s viele schöne Flecken. Und dann einfach anhalten, wo es einem gefällt und weiterfahren, wenn’s langsam langweilig wird.“
Das könnte mir auch gefallen.
„Bestimmt kämen wir mit tausend Ideen für die Arbeit wieder nach Hause.“, meint Martha.
Das könnte gut sein.

Am Abend sitzen wir wieder auf der Terrasse, bis es langsam zu kühl wird. Martha kuschelt sich an mich, dann fällt ihr etwas ein.
„Mama, wo hast du die restlichen Fotos von mir? Also die Kinderfotos?“
Gisela springt gleich auf. Und ich erkenne gewisse Ähnlichkeiten mit Martha.
Auch meine Süße springt auf und folgt ihrer Mutter ins Haus.
Ich nutze die Gelegenheit und spreche Peter auf Marthas Geburtstag an.
„Ich hab den total vergessen. Es gab bisher einfach noch nie jemanden, an dessen Geburtstag ich hätte denken müssen.“
Peinlich berührt fahre ich mir durch die Haare.
„Da mach dich mal nicht verrückt. So gut müßtest du unsere Martha doch inzwischen kennen, daß sie sich aus Materiellem nicht viel macht. Sei an ihrem Geburtstag lieb zu ihr, unternehmt was Schönes zusammen … wie wär’s mit der Sommerrodelbahn? Als Kind hatte Martha da einen Riesenspaß dran.“
„Ja, das klingt gut. Aber trotzdem hätte ich gerne irgendwas für sie, eine Kleinigkeit. Was … Romantisches oder so.“
Irgendwie klingt das Wort ‚romantisch‘ komisch, wenn ich es ausspreche. Also nicht komisch-komisch, wie Martha sagen würde. Sondern seltsam.
„Sprich mal mit Gisela darüber, vielleicht hat die eine Idee.“
Ich nicke und seufze tief. Ich krieg nicht mal sowas wie das Besorgen eines Geburtstagsgeschenks für meine Freundin alleine hin.
Aber Gisela hat später wirklich einen Tipp für mich. Sie meint, Martha würde sich über ein Schmuckstück von mir sehr freuen. Wie es denn mit einem schönen Ring wäre? Oder eine Kette mit einem Medaillon, Herzchen oder sowas?
„Da könnte sie später ein Foto von euch von eurer Hochzeit reintun.“
Das klingt gut, das gefällt mir.
„Krieg ich sowas hier?“
„Die Straße runter ist so ein Laden, die alles Mögliche an Schmuck und Zierrat haben. Da ist die Chance am größten, daß du fündig wirst.“
Nun braucht es nur noch eine Gelegenheit, von Martha unbemerkt da hinzukommen …




Kapitel 34


Wir sind der Kühle wegen umgezogen ins Wohnzimmer.
Martha will mir grade die Fotos zeigen, die sie mit ihrer Mutter rausgesucht hat, als ihr Handy klingelt.
Es ist Sascha, der mitteilt, er und Denise seien gut angekommen und wissen will, ob bei uns auch alles okay ist. Martha kommt ein wenig ins Erzählen, wir grinsen nur und Gisela setzt sich mit den Fotos zu mir.
Sie hat viele lustige Geschichten für mich, die ich begierig in mich aufnehme.
Martha versucht, zu lauschen, während sie mit Sascha spricht und einiges bekommt sie auch mit, denn hin und wieder hören wir ein leicht empörtes „Mama!“.
Aber Gisela erzählt echt nichts, was Martha peinlich sein müßte. Ihre Tollpatschigkeit ist mir ja nicht fremd.
Martha sieht das ein bisschen anders, würgt schließlich Sascha ab und zieht ihrer Mutter die Fotos aus der Hand.
Ich wiederum ziehe Martha auf meinen Schoß, streiche ihr die Haare über dem Ohr zurück und küsse ihre warme Schulter.
„Du, deine Mutter hat nur süße, niedliche Sachen über dich erzählt.“
„Ja ja. Wie Mütter so sind.“ Sie verdreht die Augen.
„Wart mal ab, bis du ein Kind hast, von dem du Fotos zeigen kannst. Dann bist du auch nicht anders.“, meint Gisela.
„Wollt ihr eigentlich Kinder haben?“, fragt Marthas Vater.
„Peter!“
„Was denn? Die beiden wollen heiraten. Ist doch möglich, daß sie auch schon mal über Nachwuchs nachgedacht haben.“
„Ja, aber so direkt danach fragen …“
„Hast du vorhin weniger direkt gefragt, wann die beiden endlich heiraten?“
„Ja … schon …“, druckst Gisela verlegen heraus.
Martha und ich sehen uns an und müssen grinsen.
„Also, nur damit ihr Ruhe gebt: Juri und ich haben schon darüber gesprochen, aber es ist uns beiden noch zu früh. Heißt, ihr müßt euch mit dem Großelternwerden noch ein bisschen gedulden.“
Marthas Eltern seufzen beide, nicken aber verständnisvoll.
Und Gisela meint: „Kinder sind auch nichts, was man sich unüberlegt anschaffen sollte.“
Martha sieht mich an und da ist so viel Zärtlichkeit in ihrem Blick … ich glaube, sie denkt gerade daran … also, ein Kind von mir zu bekommen … und mir, mir wird ganz warm bei ihrem Blick.
Ich lehne meine Stirn an ihre und schließe die Augen.

Vor dem Einschlafen wird nur noch gekuschelt.
Ich liebe es, daß wir eigentlich fast immer unsere Stimmungen teilen. Wenn Martha nicht nach Sex ist, fühle ich meist genauso. Und umgekehrt. Deswegen gibt es bei uns auch nie Frust im Bett. Weil es einfach paßt.
Am nächsten Morgen sind wir beide gut in Stimmung.
Martha muß mich sogar mahnen, nicht zu laut zu stöhnen, das Haus sei so hellhörig.
Eigentlich sind wir beide auch eher stille Genießer, aber manchmal hat man sich eben nicht so ganz unter Kontrolle.
Und Martha bringt mich heute fast um den Verstand.

Heute möchte sie mir ein bisschen was von der Gegend zeigen und so ziehen wir gleich nach dem Frühstück los.
Im Ort leihen wir uns Fahrräder und machen eine wirklich schöne Tour durch die Gegend.
Viel zu verändern scheint sich hier nicht, denn es scheint alles noch zu geben, was in Marthas Kindheit schon da war.
Der Tante-Emma-Laden, wo sie ihre Bonbons kaufte.
Der Handarbeits-Laden, wo sie immer ihre Wolle holte und mit der Besitzerin über ihre Träume sprach, mal schöne Kleider zu entwerfen.
Der Bauernhof, wo sie die Kälbchen füttern durfte.
Der Waldweiher, wo sie als Kind geplanscht hat.
Und vieles mehr.
Es ist eine Rundreise durch Marthas Kindheit.
Wie schon beim Schauen der Fotos fühle ich mich Martha so nah …
Am besagten Waldweiher machen wir Rast. Wir haben Badesachen und was zu essen mit.
Martha will alles hübsch ausbreiten, als ich sie an mich ziehe. Und ihr dann ganz langsam das Shirt aus.
„Schade, du hast deinen hübschen Badeanzug ja schon an.“
„Ja, meinst du, ich mach mich hier ganz nackig? Nee, mein Lieber, auch wenn das hier verlassen wirkt, aber …“
„Ich will auch gar nicht, daß dich jemand anderes außer mir nackt sieht.“
Das scheint sie gern zu hören, denn sie lächelt glücklich und küßt mich zärtlich.
Und zieht mir dann auch langsam und genüßlich das Shirt aus.
„Hör bloß nicht mit dem Boxen auf.“, murmelt sie leise, während sie mit ihren Händen sanft über meine Brust fährt.
Da muß ich lachen.
„Ja, Boxen macht ‚ne gute Figur, nicht?“
„Mmmh.“

Wir schwimmen eine ganze Weile und kommen erfrischt und sehr zufrieden aus dem Wasser. Allerdings auch ziemlich hungrig. Schön, daß Martha so reichlich eingepackt hat.
Als wir satt sind, legen wir uns im Schatten auf die mitgebrachte Decke.
Ohne die Sonne ist es sogar kühl genug zum Kuscheln.
Ich bin bald eingeschlafen.
Als ich aufwache, sitzt Martha am Wasser und läßt die Beine hineinbaumeln.
Ich greife mir das Sonnenschutzzeug, setze mich hinter sie und creme sie gründlich ein.
Dann will ich meine Beine auch ins Wasser hängen und mich im Gras ausstrecken.
Martha besteht aber darauf, mich auch einzucremen. „Wir sind noch ein Stück mit dem Rad unterwegs und so, wie ich dich kenne, ziehst du dein Shirt nicht wieder an.“
Sie kennt mich wirklich. Aber da es ja nicht wirklich unangenehm ist, von Martha eingecremt zu werden, habe ich nichts dagegen – im Gegenteil.
In der Sonne liegend, greift Martha das Thema Hochzeit wieder auf.
„Sorry für meine Eltern … daß sie so wegen unserer Hochzeit drängeln.“
„Ich fühle mich nicht gedrängelt. Und ich denke … es ist tatsächlich Zeit, das mal in Angriff zu nehmen.“
„Du willst jetzt wirklich Ernst machen?“
„Ja. Ich bin zufrieden mit meiner Therapie … ich meine, ich mache wirkliche, echte Fortschritte … darum ging’s mir – daß sich bei mir wirklich was tut, daß ich merke, wie sich in mir was verändert. Und das tut es. Ich wollte ja nur … warten, damit … wie soll ich das sagen? … Na ja, du keinen Mann heiratest, der so unberechenbar ist. Und ich habe nicht mehr das Gefühl, daß ich das bin. Und deshalb denke ich … muß ich nicht warten, bis meine Therapie ganz abgeschlossen ist. … Wir können heiraten … wenn du mich noch willst …“
Martha sieht mich an. Dann werden ihre Augen leicht feucht, sie fällt mir um den Hals und preßt ein „Und wie ich dich will!“ raus.
Ich drücke sie an mich, ganz lange.
Dann löst sie sich von mir, wischt sich die Augen und meint, meine Hand haltend: „Ja, dann … können wir uns ja daran machen, zu schauen, was wir alles für Papiere brauchen. Wenn wir wieder zuhause sind, erkundige ich mich gleich mal beim Standesamt. Ich weiß auch gar nicht, wie schnell sowas geht, ob man einen Wunschtermin haben kann oder so.“
Da hab ich auch keine Ahnung.
„Ich würd‘ ja gern so im Spätsommer heiraten. September oder so.“
Ich nicke nur.
Egal, was Martha für uns plant, es wird okay für mich sein.
Hauptsache, sie ist glücklich und zufrieden.
„Die Kleidungsfrage haben wir ja schon geklärt … im September solltest du ja noch ohne Jacke gehen können.“
Ich sehe, Martha geht schon ins Detail.
„Und was mein Kleid angeht …“
„Ich entwerfe dir eins, versprochen.“
Martha strahlt mich an. „Danke!“
Der Kuß, der folgt, ist auch ein deutliches Dankeschön.
„Ich freue mich, ehrlich gesagt, so sehr darauf, deine Frau zu werden … wie das klingt! … Aber verrückt ist das schon. Wer unsere Anfänge mitbekommen hat … und überhaupt, wer dich von früher kennt …“ Martha lacht.
Ich muß auch grinsen. Ja, es ist verrückt. Aber es ist auch gut und richtig so.
„Was ist mit Trauzeugen?“, fragt Martha.
„Braucht man sowas?“
„Ich glaub, nicht mehr. Aber man darf, wenn man will.“
„Wollen wir denn?“
„Sascha und Denise? Wenn sie wollen.“
„Kannst du dir vorstellen, daß sie nicht wollen?“
„Nein.“
„Gut. Also die beiden als unsere Trauzeugen.“
„Wollen wir unsere Namen behalten?“
„Was?“
„Na, wir müssen uns doch entscheiden, wie wir nach der Heirat heißen wollen.“
Ach je. „Und wir können einfach unsere Namen behalten?“
„Ja, das kann man. Also, ich meine, ich hab gar nichts dagegen, künftig Martha Adam zu heißen … aber wegen der Arbeit … also du solltest schon Juri Adam bleiben. Ich meine … ich … würd‘ gar nicht wollen, daß du anders heißt. Juri Adam soll Juri Adam bleiben. Und auch so heißen.“
„Also nicht Juri Wolf?“
„Nein, bloß nicht.“, lacht sie. „Zum Wolfsrudel gehörst du jetzt auch schon. Also zur Familie.“
„Ich möchte eigentlich auch, daß du einfach Martha Wolf bleibst.“
„Ja, dann … behalten wir unsere Namen?“
Ich nicke.
„Schön, da haben wir doch schon so einiges geklärt. Heiraten im September in Berlin, feiern anschließend in Düsseldorf, Trauzeugen, Kleidung und Namenswahl abgehakt. … Wo feiern wir denn in Düsseldorf? Kommt ja eigentlich nur das No Limits in Frage, oder?
Ich nicke wieder.
„Muß ja was sein, woran wir gemeinsame Erinnerungen haben. Und beim No Limits fallen mir da so einige Sachen ein.“
Mir auch.
Dort habe ich ihr gesagt, daß es mir Angst macht, daß sie weiß, wie ich denke. Daß ich sie aber trotzdem weiter um mich haben will.
Dort haben wir gemeinsam geschwänzt, ich sie als Streberin aufgezogen.
Dort habe ich das erste Mal gesehen, wie Sascha sie geküßt hat. Was unbewußt meine Angst geweckt hat, sie zu verlieren.
Und nicht zuletzt habe ich Martha dort meinen Antrag gemacht.
Irgendwie ist das No Limits Teil unserer Geschichte.
Deswegen ist es richtig, dort zu feiern.
„Kannst du das mit Tristan klären? Ihr hattet doch immer einen guten Draht zueinander?“
„Na ja, er ist ein bisschen verrückt, so wie ich.“, grinse ich. „Ich rufe ihn an. Aber ich fürchte, ohne einen konkreten Termin wird er mir keine Zusage machen können.“
„Stimmt. Wir brauchen erst den Termin für die Trauung, dann können wir uns das No Limits reservieren.
„Ich frag aber trotzdem schon mal, ob er nach Möglichkeit die Wochenenden im September für uns freihalten kann.“
„Das ist lieb.“ Martha küßt mich zärtlich.
„Aber um Einladungen oder so kümmerst du dich, ja? Das ist nicht so meins und ich weiß auch gar nicht genau, wen du dabei haben möchtest.“
„Keine Sorge, das mach ich. Gibt es irgendjemanden, den du gerne dabei hättest? Also abgesehen von Sascha und Denise? Was ist eigentlich mit deinem Onkel Branko?“
„Ich weiß nicht mal, ob er noch lebt. … Du weißt, ich hab … alles verdrängt, was irgendwie mit meiner Vergangenheit zu tun hatte. … Mir tut das jetzt … sehr leid … ich hab Onkel Branko geliebt. Und er war für mich da, als …“
Martha rückt dicht an mich ran, zieht meinen Kopf an ihre Schulter.
Stumme Tränen laufen mir über das Gesicht, aber ich bin nicht unglücklich.
Ich spüre, daß ich wieder einen Schritt weiter bin.
Martha küßt mir liebevoll die Tränen weg, ich muß lächeln.
Es gibt nichts, was ich mit Martha an meiner Seite nicht schaffen könnte.

Wir gehen noch einmal schwimmen, bevor wir uns auf den Weg machen. Martha grinst, als sie sieht, wie ich mein Shirt mit in ihren Korb stopfe. Sie cremt mich bereitwillig nochmal ein, damit ich mir auf der Heimfahrt keinen Sonnenbrand hole.
Als wir wieder in Neuenkirchen sind, halte ich nach dem Laden Ausschau … und entdecke ihn auch. Muß ich nun noch sehen, wie ich da heimlich hin komme …

„Ui, ihr habt aber gut Farbe bekommen.“, begrüßt uns Gisela. „Hattet ihr einen schönen Tag?“
„Sehr schön.“, strahlt Martha.
„Wollen wir draußen Kaffee trinken? Ich hab Erdbeerkuchen gebacken.“
Martha nickt nur und fängt gleich an, Teller nach draußen zu tragen.
Ich nutze die Gelegenheit.
„Ehm, Entschuldigung …“
„Juri! Kann ich was für dich tun, mein Junge?“
„Ich würde gerne mal zu dem Laden … aber so, daß Martha nichts mitkriegt.“
„Kein Problem, ich beschäftige sie eine Weile. Ich hoffe, du wirst fündig.“
Ich nicke und will losflitzen, als sie mir noch ihren Hausschlüssel zusteckt, damit ich mich auch wieder reinschleichen kann.
„Und, Juri? Nichts gegen deinen netten Anblick ... so oben ohne … aber wenn du hier nicht schief angeguckt werden willst …“ Sie zwinkert mir zu.
„Sorry, hab einfach nicht dran gedacht.“
Ich husche schnell in Marthas Zimmer und ziehe mir ein frisches Shirt über.

Drei Minuten später betrete ich den Kramladen. Ich sollte da nochmal mit Martha hin, der ist voller Inspirationen.
Um keine Zeit zu verlieren, frage ich die Verkäuferin nach einer Kette mit einem Medaillon.
„Sowas, wo man ein Foto reintun kann.“
Sie zeigt mir zwei in verschiedenen Größen. Das eine Medaillon ist lächerlich winzig. Auf dem Foto, was da reinpassen würde, würde man nichts erkennen können.
Aber das zweite ist okay. Es hat auch ein hübsches Relief um den Rand herum.
Und der Verschluß sieht einigermaßen stabil aus und ist nicht so fummelig aufzukriegen.
Kosten tut es nicht die Welt und sehr zufrieden betrete ich kurz darauf wieder das Wolf’sche Haus.
Leise unschuldig pfeifend verstecke ich mein Geschenk in meinem Rucksack und gehe dann hinaus auf die Terrasse.
„Wo warst du denn?“, fragt Martha lachend, nachdem ich sie geküßt habe.
Oh je, wo denn jetzt so schnell eine Ausrede hernehmen?
Aber Martha ist die Frage anscheinend nicht so wichtig.
Und mir wird klar, sie vertraut mir, sie vermutet keine Heimlichkeiten bei mir.
Ich sehe sie von der Seite an und fühle wieder einmal so deutlich, wie sehr ich sie liebe.

Wir verbringen den Rest des Nachmittags auf der Terrasse.
Martha zieht den Schatten vor. „Meine Haut ist ganz schön aufgeheizt, damit bleib ich besser aus der Sonne.“
Auch gut. Können wir kuscheln, denke ich.
Den Abend sind wir allein zuhause. Peter und Giselle sind zum Bowling. Sie haben uns gefragt, ob wir mit wollen, aber Martha hat nur meine großen Augen gesehen und lachend gesagt: „Ja, nee, das ist nix für uns.“
Und später zu mir: „Keine Sorge, sowas mußt du mit mir nie mitmachen. Nichts gegen gemeinsame Unternehmungen, aber ein Spießerleben mit Kegelabenden, Kleingärtnern oder gar Kaninchenzüchten … nee, nee, auf keinen Fall!“
So könnte ich sie mir auch nicht vorstellen, das ist ja absurd.
Aber der Abend hier allein ist schön. Martha kocht eine Kleinigkeit für uns, ich helfe ihr ein bisschen.
Und dann hocken wir uns sogar vor den Fernseher auf das Sofa.
Irgendwas bewußt ansehen tun wir aber nicht. Martha lehnt sich an mich und ist nach kurzer Zeit eingeschlafen.
Und ich fange an, die Sicherheit und Geborgenheit einer festen Beziehung zu genießen.
Normalität kann ganz angenehm sein.




Kapitel 35

Und dann ist er da, der vierundzwanzigste Juni – Marthas Geburtstag.
Ich bin schon früh wach und zum Glück zu aufgeregt, um wieder einzuschlafen. Denn das will ich auf keinen Fall.
So liege ich da und beobachte meine Süße, wie sie noch friedlich schlummert.
Kein Wort hat sie über ihren Geburtstag verloren. Und ich weiß nicht, ob und was sie sich von mir erhofft.
Aber ich hoffe, sie wird am Ende dieses Tages glücklich sein.
Irgendwann seufzt sie im Schlaf und ich weiß, gleich wird sie aufwachen.
Ich sehe in ihr liebes, süßes Gesicht und ja, da klappt sie die Augen auf.
Sie lächelt mich zufrieden an. Grad will sie mich wie üblich begrüßen, als ich ihr zuvorkomme.
„Guten Morgen, meine Süße!“
Ich beuge mich über sie.
„Alles Liebe und Gute zum Geburtstag!“
„Du weißt …?“
Weiter kommt sie nicht, denn ich küsse sie lang und innig.
Dann ziehe ich die bereitgelegten Tücher unter dem Bett hervor.
„Wenn du magst, dann revanchiere ich mich jetzt gerne für dein schönes Geburtstagsgeschenk.“
Scheiße, ich hab mir kein bisschen überlegt, was ich machen soll, wenn sie nicht will.
Für einen kurzen Moment bricht mir der Schweiß aus, dann aber höre ich Martha sagen: „Sehr gern sogar.“
„Ja, dann …“
Ich ziehe sie sanft hoch und dann ganz langsam ihr Shirt aus. Mehr trägt sie nicht bei der Wärme.
Vertrauensvoll läßt sie sich die Handgelenke an den Bettpfosten anbinden. Ich lasse die Tücher ganz locker, so wie sie es bei mir gemacht hat. So kann sie jederzeit da raus, wenn sie möchte.
„Schließ die Augen und genieße einfach.“, flüstere ich ihr zu.
Sie seufzt, läßt den Kopf tief ins Kissen sinken.
Und ich meine Hände, meine Lippen und meine Zunge spielen.
Vor allem letztere.
Martha mag das sehr.
Das Verwöhnen mit der Zunge hat seinen festen Platz in unserem Liebesspiel.
Ich liebe es auch, ich kann gar nicht genug davon bekommen.
Auch heute wird Martha wieder so feucht davon, daß ich mich schwer zurückhalten muß.
Sie drückt sich mir entgegen, will mehr.
Aber ich lasse sie zappeln. Gönne auch mir eine kleine Pause, um wieder etwas runterzukommen. Denn die Sache macht mich unheimlich an.
Ihr „Oh Juri!“, begleitet von einem tiefen, sehnsüchtigen Stöhnen macht es mir nicht grade leichter.
Ich will sie ja erlösen. Aber halt nicht so schnell. Dieses herrliche Lustgefühl verlangt danach, noch länger ausgekostet zu werden.
Ich weiß, Martha mag das auch. Sie läßt mich selber gerne zappeln, wenn sie mich mit ihrer Zunge, ihren süßen, weichen Lippen verwöhnt. Zappeln im wahrsten Sinne des Wortes, denn einmal habe ich in meiner Ekstase so mit den Beinen gezuckt, daß ich sie fast vom Bett gekickt hätte. Martha hat nur gelacht und es genossen, mich so fertigzumachen.
Nun habe ich sie soweit, daß sie kurz davor ist, mich um Erlösung zu bitten.
Und so schiebe ihr ein Kissen unter den Po.
„So komm ich herrlich tief in dich rein.“, sage ich und beuge mich über sie.
Der Blick, mit dem sie mich ansieht, läßt mich schon um meine Kontrolle fürchten.
Und obwohl ich quasi im Zeitlupentempo in sie eindringe, kann ich kaum noch an mich halten.
Das fühlt sich soooo gut an!
Martha legt ihre Beine um mich, zieht mich so noch tiefer in sich rein.
Sie befreit sich aus den Tüchern, vergräbt ihre Hände in meinen Haaren und drückt sich mir entgegen.
Und ich merke, wie ich in ihr noch härter werde. Was mir kaum möglich zu sein schien.
Ich bemühe mich, an irgendwas Unerotisches zu denken, sonst ist’s gleich vorbei mit meiner Selbstbeherrschung.
Martha mag kein schnelles, hektisches Stoßen und ich eigentlich auch nicht, weil ich mit langsamen Stößen viel tiefer reinkomme und auch intensiver spüre.
Weil das soviel lustvoller ist, habe ich aber eben auch mit meiner Kontrolle zu kämpfen.
Aber ich schaffe es, wieder ein wenig runterzukommen, gleichzeitig aber Martha mit jedem tiefen Stoß ein Stück näher an den Höhepunkt zu bringen.
Ich weiß, wann sie soweit ist. Sie wird dann immer ganz still, nur leises Seufzen ist dann noch von ihr zu hören. Und wenn sie den Point of no return erreicht, dann wird ihr Blick immer etwas verschleiert, nach innen gerichtet.
Als sie jetzt kommt, sich an mich preßt und ich die Kontraktionen in ihrem Inneren spüre, kann und will ich mich nicht mehr zurückhalten.
Und ich weiß, sie genießt es, zu spüren, wie ich in ihr komme.
Heiser stöhnend stoße ich noch zwei, drei Mal zu, dann komme ich auch und zwar ziemlich heftig.
Laut schnaufend lasse ich meinen Kopf neben ihrem auf’s Kissen sinken, drücke ihr erstmal nur einen flüchtigen Kuß auf’s Schlüsselbein. Für mehr reicht mein Atem noch nicht.
Ich spüre, wie Martha sich entspannt. Sanft streichelt sie meinen Nacken.
Ich hebe den Kopf, sehe sie an … „Ich liebe dich!“
Eine Entgegnung warte ich nicht ab, zu sehr mag ich sie jetzt küssen.
Dann liegen wir eng aneinander gekuschelt da, schmusen und streicheln uns zärtlich.
„Das war aber ein schönes Geburtstagsgeschenk.“, seufzt Martha glücklich und schlummert noch mal ein.
Ich lächle still vor mich hin, weiß ich doch, daß das noch nicht alles ist. Wenn es auch gerne der Höhepunkt des Tages sein darf.
Martha schläft nicht lange und als sie aufwacht, knurrt ihr Magen vernehmlich.
Ich springe sofort aus dem Bett.
„Du … bleibst liegen. Ich bin gleich wieder da.“
„Okay.“ Martha lacht. Wahrscheinlich fragt sie sich, was noch kommen mag.
Nun, ich zum Beispiel, mit einem schön und reichlich bepacktem Frühstückstablett. Mit allem, was Martha gerne mag.
„Och, Juri …!“
Ich stelle das Tablett vor ihr auf dem Bett ab, krieche vorsichtig zurück unter die Decke und sehe sie an.
„Du, das ist so süß von dir! Danke!“ Sie küßt mich zärtlich und wendet sich dann dem Tablett zu.
„Das ist wirklich … toll. Ich hab so Hunger und du … dankeschön auch für die schöne rote Rose!“
„Ich weiß, du magst keine Schnittblumen, weil es zum Tode verurteilte Pflanzen sind … aber ich dachte … du magst sie vielleicht trocknen?“
„Als Erinnerung … ja, sehr gern sogar.“
Dann lassen wir es uns schmecken.
Ich gönne mir den Spaß, Martha zu füttern.
Wir krümeln und kleckern ziemlich rum, aber wir lachen viel.
Und ich höre Martha gerne lachen.
„Boah, wir Krümelmonster! Aus der Bettdecke kann man jetzt glatt ein zweites Frühstück schütteln.“
Stimmt.
„Laß. Ich mach das später. Du hast heute Geburtstag.“
Es muß was in meinem Blick liegen, daß sie mich so fragend anschaut.
„Was denn noch? So langsam machst du mir Angst. Ist das noch mein Juri?“
„Doch, das ist noch dein Juri. Aber deinem Juri bedeutest du wahnsinnig viel. Nein, alles. … Hier!“ Ich bin aufgestanden und habe das kleine Döschen mit Kette und Medaillon aus meinem Rucksack geholt.
„Ich … äh, wollte gerne irgendwas haben, was ich … na ja, du weißt schon … was, was länger hält … ich mein, den Geburtstags-Sex hast du sicher bald vergessen …“
„Niemals!“, unterbricht mich Martha temperamentvoll. „Das war soooo schön!“ Martha küßt mich zärtlich.
Ich lasse mich aber nicht beirren und spreche weiter, wenn auch glücklich lächelnd: „… und das Geburtstagsfrühstück ist bald verdaut. Aber das hier …“
„Jetzt bin ich wirklich gespannt.“
Erwartungsvoll öffnet Martha das Döschen. Und holt die Kette raus.
Lange sagt sie gar nichts und ich bin schon ziemlich sicher, es gefällt ihr nicht.
Dann fällt sie mir um den Hals, haucht „Danke!“ in mein Ohr.
„Das ist … total schön.“ Sie schluckt tatsächlich einen Kloß im Hals hinunter.
Was nun mich beinahe verlegen macht.
„Es gefällt dir wirklich, ja?“
„Sehr sogar.“
„Ich dachte … nein, deine Mutter meinte, du möchtest vielleicht später ein Foto von uns beiden von unserer Hochzeit da reintun.“
„Ja, das werde ich, ganz sicher! … Magst du mir die Kette umlegen? Also, ich kann das selbst, aber …“
Ich habe durchaus verstanden, auch wenn ich ein Romantik-Analphabet bin.
Und es ist sogar ein schönes Gefühl, Martha sachte die Haare aus dem Nacken zu streichen und ihr dann die Kette umzulegen. Freilich kämpfe ich ein wenig mit dem winzigen Verschluß, aber Martha tröstet mich, indem sie meint, sie fluche dabei auch meist herzhaft vor sich hin.
Da muß ich grinsen. Und küsse dann zärtlich ihren Nacken.
Martha dreht sich zu mir, blickt auf das kleine Medaillon und bedankt sich noch einmal mit einem langen, zärtlichen Kuß bei mir.
Ich denke, ich kann zufrieden sein. Bis jetzt hab ich nix versemmelt.
Wir duschen zusammen. Küssen uns dabei glücklich, lachen uns glücklich an.
Dann ziehen wir uns an.
Marthas Eltern erwarten sie schon ungeduldig.
Sie lassen sich nicht anmerken, ob sie uns vorhin gehört haben. Aber sooo laut waren wir ja auch nicht.
Martha wird gedrückt und geküßt und sie genießt das sehr.
Ich beobachte diese Szene und freue mich für meine Süße.
Auch ihre Eltern haben eine Kleinigkeit für sie.
„Den Geburtstagskuchen gibt es heute Nachmittag, wenn ihr wieder da seid.“
„Äh … wo gehen wir denn hin?“, fragt Martha erstaunt.
„Nun … deine Mutter meinte, du magst die Sommerrodelbahn?“
„Da gehen wir hin? Wie geil!“ Martha springt auf und hüpft vor Freude im Kreis.
Dann fällt sie mir wieder um den Hals. „Du bist einfach der Beste! … Fahren wir gleich los?“
Ich nicke. Sie ist so süß, wenn sie so temperamentvoll ist, wer würde sie da bremsen wollen?
Kurz gebremst wird sie allerdings noch durch ihr Handy.
Es ist Dana, die ihrer Cousine zum Geburtstag gratulieren will. Martha ist freilich zu zappelig, um jetzt ein längeres Gespräch zu führen, aber wie ich mitbekomme, hat Dana dafür vollstes Verständnis und wünscht uns viel Spaß.
Eine halbe Stunde später sind wir an der Sommerrodelbahn. Sie ist eingebettet in eine sehr schöne Hügellandschaft, die Platz bietet für weiteren Freizeitspaß.
Eine Wildwasserbahn gibt’s da auch. Ob Martha wohl mit mir da drauf geht?
Meine Süße ist schon unterwegs zur Rodelbahn und schleift mich an der Hand mit sich.
Da ein normaler Wochentag ist, gibt es zum Glück keine langen Warteschlangen.
Nur ein paar Mütter mit ihrem Nachwuchs sind vor uns.
Martha wibbelt ungeduldig herum. „Das macht soooo Spaß! Ich hab das schon eeewig nicht mehr gemacht.“
Dann ist es soweit. Martha schnappt sich einen Rodelschlitten, setzt sich zurecht … und saust dann juchzend die Bahn hinunter.
Ich denke kurz, ich wäre lieber irgendwo an der Bahn stehengeblieben, um sie vorbeirauschen zu sehen.
Aber wie ich Martha kenne, ist das nicht ihre einzige Abfahrt gewesen.
Dann bin ich dran. Einige Kinder kichern, als ich mich auf den Schlitten pflanze.
Sehe ich so albern aus?
Egal.
Und dann sause auch ich zu Tal.
Martha erwartet mich unten, über’s ganze Gesicht strahlend.
„Nochmal?“
Ich nicke lachend.
Noch zwei Mal sausen wir die Bahn hinab.
Martha würde gerne noch öfter, aber es gibt ja hier noch mehr auszuprobieren.
„Aber nachher, bevor wir nach Hause fahren, rodeln wir nochmal.“, stellt sie klar.
Ich ziehe sie in meine Arme und küsse sie auf die Stirn. „Heute erfülle ich dir jeden Wunsch, meine Süße!“
„Dann wünsche ich mir zuerst, daß du mich richtig küßt … nicht nur so ein kleines Küßchen auf die Stirn wie gerade.“
Ich nehme ihr Gesicht in meine Hände und küsse sie so leidenschaftlich, wie ich kann.
Anscheinend krieg ich das gut hin, denn sie stöhnt leise und sehnsüchtig.
Und so lasse ich mir Zeit.
„War das gut so?“, frage ich, als ich meine Lippen von ihren löse.
„Wundervoll!“, seufzt sie.
Wir ziehen weiter durch diesen Freizeitpark.
Zwischendurch klingelt Marthas Handy wieder. Diesmal ist es Sascha, er und Denise wollen Martha gratulieren.
„Hey, das ist lieb von euch! Dankeschön! … Ja, wunderbar! … Oh, der Tag fing schon mit einer ganz besonderen Überraschung an. Aber das behalte ich lieber für mich. … Was? Oh, er war verdammt gut. … Eine silberne Kette mit einem Medaillon hat er mir geschenkt, ganz wunderschön. … Ja, und jetzt sind wir in einem Freizeitpark, sind gerade dreimal gesommerrodelt. … Was? Ja, schade, daß ihr nicht dabei seid. …Klar würde ich mit dir auch mal rodeln, Sascha! …Ach, ihr seid so lieb! … Ja, das wünsche ich euch auch!“
„Grüß die beiden von mir!“, rufe ich ihr zu.
„Liebe Grüße von Juri! … Ja, bis bald!“ Martha steckt ihr Handy wieder ein. „Ich soll dich auch ganz lieb von den beiden grüßen.“
„Danke.“
„Und? Was machen wir jetzt?“
„Was ist mit der Wildwasserbahn? Ist ja ziemlich heiß heute, da ist so eine kleine Dusche sicher ganz angenehm.“, meine ich.
„Ja und ich dann als Miss Wet-T-Shirt, ja?“
Ich sehe sie an … die leichte Bluse, die sie trägt, ist in der Tat leicht durchsichtig. Wenn die nass würde …“
„Mein lieber Juri, ich lese in dir wie in einem offenen Buch. Und du hast grad ‚ne ziemlich dreckige Phantasie.“
„Stimmt.“, grinse ich. „Kannst ja mein Shirt anziehen und deine Bluse so lange in die Tasche packen.“
„Du kommst auf Ideen!“, lacht sie.
„Nicht gut?“
„Ach egal, mein BH ist ja nicht durchsichtig. Gönnen wir uns den Spaß.“
Und Spaß macht das wirklich.
Martha hat allein schon Spaß, als ich mein Shirt ausziehe. Sie kann nicht leugnen, die Blicke der wenigen Frauen, die vor uns stehen, zu genießen.
Demonstrativ küßt sie mich, um die Besitzansprüche klar zu machen.
„Das gefällt dir, hm?“, flüstere ich ihr ins Ohr.
„Doch, schon.“, grinst sie frech.
Ich setze mich vor Martha, so wird sie vielleicht nicht so naß.
Trotzdem quiekt sie laut, als wir die erste Dusche kaltes Wasser abbekommen.
Ziemlich durchnäßt steigen wir nach der Wildwasserfahrt wieder aus.
Ich schüttele meinen Kopf, die Tropfen aus meinen Haaren fliegen weit durch die Gegend.
„Schade, daß ich das jetzt nicht filmen konnte. Du könntest echt Werbung für Duschgel oder Shampoo machen.“, grinst Martha. Leise fügt sie hinzu: „Du siehst wirklich einfach unheimlich sexy aus. Und ich genieße es, daß ich die einzige bin, die das darf.“ Bei diesen Worten streichelt sie meinen nackten Bauch und fährt mit ihrer Zunge kurz zärtlich über meine Brust.
„Bin ich eigentlich sehr naß geworden?“
„Weiß nicht. Wie sehr hat es dich denn erregt, mich so zu berühren?“
„Was? Ooooh, du rotzfrecher, eingebildeter …“
Weiter kommt sie nicht, denn ich habe sie ruckartig an mich gezogen und verhindere mit meinen Lippen, daß sie mich ausschimpfen kann.
Nach dem Kuß hat sie dazu scheinbar nicht mehr viel Lust.
„Ich hab heute Geburtstag. Also sei nicht so frech, okay?“ Das Grinsen kann sie sich dabei nicht verkneifen.
Wir essen und trinken an einem Imbiß eine Kleinigkeit, dann ziehen wir weiter.
Mich lockt eine große Kletterwand.
„Okay, wenn ich da mal hochturne?“, frage ich Martha.
„Paß aber bloß auf.“, mahnt sie mich.
Ich entdecke eine Schale mit Magnesiumpulver, was mir freilich nichts nutzen wird, wenn mir erst im oberen Drittel die Hände schwitzen. Trotzdem fahre ich da mal rein.
Und mache mich dann an den Aufstieg.
Muß mir echt gut überlegen, wo lang. Ein, zwei Mal hab ich meine Füße ungünstig gesetzt, kann mich aber aus der Situation retten.
Und dann bin ich oben. Ich setze mich rittlings auf die Wand und sehe zu Martha hinunter.
Sie versucht, zu lächeln, aber ich glaube, sie hat wirklich Angst, daß ich abstürze.
Deshalb klettere ich gleich wieder runter, so langsam wie möglich.
„Sorry, wenn ich Bangebüx dir den Spaß verdorben habe.“, entschuldigt sie sich.
„Hast du nicht. Aber ich kann das wirklich, hab das schon oft gemacht. Ich bin nicht leichtsinnig und Mutproben und sowas find ich bescheuert.“
Martha nickt.
Der Autoscooter ist wieder was für uns beide.
Martha findet schnell einen Riesenspaß daran, mich zu rammen.
„Hab ich dich!“, ruft sie jedesmal.
Dann sind wir beide doch ein wenig müde.
Wir gönnen uns ein Eis und legen uns dann in den Schatten eines Baumes.
„Juri? Dafür daß du sicher nicht den blassesten Schimmer davon hast, wie man einen Geburtstag gestaltet … dafür machst du das verdammt gut. Dieser Tag ist einfach traumhaft schön, ich wüßt‘ nicht, was ich mir noch wünschen sollte.“
Damit macht sie mich glatt verlegen.
„Ich freu mich, daß es dir gefällt.“
„Aber ich glaube, so langsam möchte ich nach Hause. Und den Rest des Tages ganz gemütlich mit dir und Mama und Papa verbringen.“
Dagegen ist nichts einzuwenden.
Vorher aber wird noch einmal gerodelt, bestimmt Martha.
Wieder in Neuenkirchen werden wir schon erwartet.
„Hattet ihr einen schönen Tag?“, fragt Gisela.
„Es war irre schön. Wir hatten soviel Spaß.“
„Kannst gleich ein bisschen erzählen. Aber kommt mal raus auf die Terrasse.“
Schnell ist der Tisch gedeckt.
Mir tut der Kaffee gut. Ich hab ja vor Aufregung nicht allzu viel geschlafen.
Aber der Tag heute war’s wert, jetzt müde zu sein.
„Hab dir Schwarzwälderkirschtorte gemacht, mein Schatz!“
„Mama!?!“
„Keine Sorge, es sind sogar extra viele Kirschen drin.“
Ich muß wohl ziemlich dumm aus der Wäsche geschaut haben, denn Martha kichert. Und erzählt mir dann von der berüchtigten Kirschtorte, die nur im Namen Kirschen hatte, sonst aber nicht. Und daß sie sich, als sie Richtung Düsseldorf aufbrach, geschworen habe, nie mehr Kirschtorte ohne Kirschen zu akzeptieren.
Martha berichtet also nun immer zwischen zwei Bissen von unserem Ausflug.
Ich genieße den Kaffee und meine Süße beim Erzählen zu beobachten.
Nach dem kleinen Kaffeekränzchen legen Martha und ich uns im schattigen Garten auf eine Decke.
Ich schlafe fast zwei Stunden tief und fest.
Martha lächelt mich zärtlich an, als ich wach werde. „Da war aber jemand müde.“
Der Abend erweist sich auch noch als sehr schön.
Peter baut den Grill auf und wir sitzen noch lange auf der Terrasse.
Als Martha und ich später im Bett liegen, flüstert mir Martha zu: „Danke für den wunderschönen Tag. Ich liebe dich!“
Nicht nur Martha ist in diesem Augenblick wunschlos glücklich.


Kapitel 36

Nach drei Tagen Erholung und faulenzen werde ich langsam unruhig. Und ich merke, Martha geht es genauso.
„Ist nicht so unser Ding, was? Gar nicht zu arbeiten?“
Ich schüttele den Kopf.
„Komm, Kamera und Blocks geschnappt und auf zur Ideenjagd.“
Das ist meine Martha – unproblematisch, praktisch veranlagt.
Und so streifen wir durch die Gegend und lassen uns inspirieren.
Wir suchen auch den Kramladen auf und besonders Martha findet hier eine Menge Anregungen für ihre Accessoires.
Irgendwie ist es für uns erholsamer, ein wenig zu arbeiten als zwangszufaulenzen. Hier und da eine kleine Skizze anzufertigen, ein paar Ideen festzuhalten, ist ja auch nicht wirklich stressig. Und so ist das eigentlich immer noch Urlaub, findet Martha.

Am Nachmittag sitzt Martha mit ihrer Mutter zusammen und redet mit ihr über die Hochzeit. Nebenbei notiert sie, wen sie einladen möchte.
Im Vorbeigehen werfe ich einen Blick auf die Liste.
Daß Thomas und ihre Cousinen sowie Emilio dabei sein müssen, war auch mir klar.
Rebecca, klar. Die beiden kamen immer gut miteinander aus.
Ein paar Kolleginnen aus der Näh- und Bügelabteilung, die ich nicht näher kenne.
„Jessica? Echt?“
„Juri, ich bin Maxis Patentante!“
„Ach ja, stimmt ja. Sorry. … Was ist mit der Pelzzicke, dieser Alexa Berg?“, grinse ich.
„Meine beste Freundin, sicher!“, spottet sie.
Dann legt sie den Stift nachdenklich an die Lippen und meint dann: „Elisabeth von Lahnstein und ihre Freundin Charlie!“
„Tristan.“, werfe ich ein. Martha notiert ihn.
„Und den rufe ich jetzt auch mal an.“, sage ich und fummele mein Handy aus der Hosentasche.
„Tristan von Lahnstein.“
„Hier ist Juri Adam.“
„Ach, der Herr Designer! Na, das ist mal ‚ne Überraschung! Wie geht’s denn so?“
„Kann nicht klagen. Hör mal … ich hab da ein Anliegen …“
„Ich lausche.“
„Du bist doch der Boß vom No Limits.“
„Yep.“
„Wie sieht’s da im September aus? Könnte man den Laden für ‚ne Feier mieten?“
„Im Prinzip schon. Wer will denn da was feiern?“
„Martha und ich werden heiraten.“
„Moment … Martha, das ist die rundliche Strickliesel, mit der du nach Berlin abgezischt bist?“
„Keine herablassenden Bemerkungen über Martha oder das hier hat sich gleich erledigt.“
„Schon gut, ich wollte weder dir noch ihr zu nahe treten. Ich meine nur, mich zu entsinnen, daß du früher auf ‚nen anderen Typ Frau standest.“
Ich erinnere mich leider dank Marthas Gedächtnisauffrischung nur zu gut an mein „Gespräch“ mit Tristan über Marthas Weiblichkeit. Und schäme mich jetzt noch dafür.
„Damals … war ich stockblind. Und ein Vollidiot noch dazu.“
„Na, wenn du das sagst. … Aber, hey, wenn du sie liebst, wenn sie die Richtige ist …“
„Ist sie.“
„Dann sind ein paar Pfunde mehr so scheißegal.“
Tristan ist in Ordnung.
„Also … wir wollen heiraten. In Berlin. Aber in Düsseldorf feiern. Mit Marthas Onkel und Cousinen, ihren Freunden. Und … mit dem No Limits verbinden Martha und ich so einige Erinnerungen.“
„Verstehe. Hast du ihr da nicht deinen Antrag gemacht?“
„Woher weißt du das denn?“
„Rebecca war dabei. Sie hat’s mir erzählt. … Wann soll die Feier denn steigen?“
„Wir haben noch keinen Termin für die Hochzeit. Ich, äh, wollte nur schon mal vorfühlen, ob sich das überhaupt einrichten läßt.“
„Hm ja, ich denke, das läßt sich machen. Aber dann erzählst du mir mal in aller Ruhe, wie ihr zwei eigentlich zusammengekommen seid. So ein bisschen neugierig bin ich ja jetzt doch. – Und ich bin doch eingeladen, oder?“
„Du hast mir meine Show gerettet. Ohne dich hätt‘ ich ohne männliches Model da gestanden. Klar bist du eingeladen.“
„Stimmt ja, ich bin ja mal für dich auf dem Steg rumgeeiert. Hattest du mich nicht in ein Kleid stecken wollen?“
„Hätt‘ dir sicher gut gestanden.“
„Okay, paß auf, sobald du ‚nen Termin hast, meld‘ dich, dann machen wir das klar.“
„Gut. Bis dann.“
Das lief doch gut.
„Hey, Tristan ist einverstanden. Wir brauchen nur Bescheid geben, wenn wir den Termin für unsere Trauung haben.“
„Das ist ja super!“, freut sich Martha.
„Die Sache nimmt Gestalt an, hm?“ Gisela lächelt ihre Tochter an.
„Ja. Und trotzdem werd‘ ich langsam zappelig. Es ist immer noch eine Menge zu tun. Und ich hab nicht mal ansatzweise eine Ahnung, was uns das alles kosten wird. Ich mein, allein das No Limits zu mieten, wird sicher nicht billig.“
„Meine liebe Tochter!“, schaltet sich Peter ein. „Wenn du dir gedacht hast, wir würden es uns nehmen lassen, unserer Tochter die Hochzeit auszurichten, dann bist du aber schief gewickelt.“
„Papa …“
„Keine Widerrede! Bezahlt ihr mal die Kosten für die Papiere, die ihr so braucht und den ganzen Behördenkrempel. Die Feier ist unsere Sache. Dieser Mensch da, dem das Lokal gehört, wo ihr feiern wollt, soll die Rechnung einfach an uns schicken.“
Ich denke, es ist besser, Martha läßt ihn, bevor er noch fuchsig wird. Auch wenn ich von sowas keine Ahnung habe, bin ich sicher, daß Brautväter bei diesem Thema sehr empfindlich sind.

Am vorletzten Tag unseres Besuchs machen wir einen Familienausflug. Von Neuenkirchen aus ist es nur ein Katzensprung nach Rheine und dort gibt es einen Naturzoo.
Martha hat mir schon begeistert davon erzählt, daß es da keine der schrecklichen und viel zu kleinen Gitterkäfige gibt.
Und in der Tat setzt man da mehr auf natürliche Barrieren wie Wassergräben, kombiniert mit Elektrozäunen.
Ich bin jetzt nicht so der Zoobegeisterte, aber die Tiere in diesem Zoo haben wirklich viel Platz, die Gehege sind schön gestaltet und auch landschaftlich ist dieser Zoo schön angelegt.
Hier kann man entspannen.
Martha entspannt zwar nur, wenn wir uns irgendwo hinsetzen und ich sie an mich ziehe. Aber sie ist nun mal ein Wirbelwind, wenn sie sich für etwas begeistert und so liebe ich sie ja.
Während sie interessiert die Informationstafeln zu den vielen Tierarten studiert, setze ich mich irgendwohin und öffne meinen Geist für etwaige Anregungen. Martha hat selbstverständlich einen Skizzenblock eingesteckt und ich habe mein Handy ja auch dabei, um schnell einen Schnappschuß von einem interessanten Türknauf oder Ähnlichem zu machen.
Gisela fragt mich zwischendurch, ob ich mich noch wohl fühle. Ich verstehe sie erst nicht richtig, begreife dann aber, daß sie wissen will, ob es mich nicht nach Hause, nach Berlin zieht.
Hm … es ist schön hier und ich mag Marthas Eltern wirklich sehr. Aber Gisela hat ein feines Gespür … so langsam sehne ich mich tatsächlich nach unserem eigenen Zuhause, nach Sascha und Denise, unserem Laden, nach Finchen und sogar nach unserem Katerchen.
Martha hat was mitbekommen und fragt leise: „Heimweh, mein Schatz?“
„Irgendwie schon, ja.“, gebe ich zu.
„Du? Ich auch. Ich mein, ich find’s wunderbar, mal nicht nur mit Mama und Papa zu telefonieren und überhaupt, daß ihr euch so gut versteht … aber … ja, ich hab auch bissi Heimweh.“
Freud und Leid liegen halt oft nahe beieinander. Wobei … sooo schlimm ist das ‚Leid‘ nicht.

Dann ist der letzte Tag da.
Gisela bekocht uns alle und wir genießen es, noch einmal bei schönstem Wetter auf der Terrasse zu sitzen.
Natürlich kommen wir irgendwann wieder auf das Thema Hochzeit zu sprechen.
Ich nehme an, daß Martha und ihre Eltern schon darüber geredet haben und das nur an mir vorbeigegangen ist … aber nun höre ich, daß Gisela und Peter sowohl bei der Trauung als auch bei der Feier dabei sein wollen.
„Da ist ja sicher nicht nur grünes Gemüse anwesend, nicht?“, lacht Peter.
„Quatsch! Elisabeth von Lahnstein ist älter als ihr und ihre Freundin Charlie auch nicht viel jünger. Ihr werdet euch also nicht wie Tattergreise fühlen müssen.“, lacht Martha mit.
"Beruhigend.“, kichert Gisela. „Ich … äh …“
„Ja?“ Martha sieht ihre Mutter an.
„Ach nee, nicht so wichtig.“
„Nun sag schon, Mama.“
Gisela wirft mir einen entschuldigenden Seitenblick zu. „Ich … find’s einfach bissi traurig, daß aus Juris Familie niemand … na ja, da sein wird … um sich mit und für ihn zu freuen.“
Martha sieht mich an, nimmt meine Hand in ihre.
Ich horche in mich und finde es auf eine Art auch sehr traurig, daß meine Eltern nicht dabei sein werden.
Wenn ich sehe, wie glücklich Marthas Eltern sind, wie sehr sie sich für sie freuen … dann bin ich sicher, daß meine Eltern alles dafür gegeben hätten, mich … auch so zu sehen.
Ich muß hart schlucken.
Aber dann sage ich gefaßt: „Ich … äh, will versuchen … meinen Onkel Branko zu finden. Ich …“
Martha drückt meine Hand. „Das ist sehr mutig von dir. Aber es … wäre auch … unheimlich schön … wenn jemand aus deiner Familie erfahren würde … daß du glücklich bist.“
Ja, das wäre es.

Der Abschied ist sehr herzlich.
Vor allem Gisela drückt mich, als wolle sie mich gar nicht mehr loslassen.
Natürlich versprechen Martha und ich, gut auf uns aufzupassen, uns bald wieder zu melden und sie und ihren Mann auf dem Laufenden zu halten, was die Hochzeitsplanungen angeht.
Und dann sind wir unterwegs.
Die Fahrt ist wie immer schön. Martha seufzt anfangs oft; mir ist klar, sie hätte ihre Eltern am liebsten eingepackt und mitgenommen.
„Aber diesmal wird es ja nicht so lange dauern, bis wir sie wiedersehen. Wenn das mit unserer Hochzeit im September klappen sollte.“
„Warum sollte es nicht?“, frage ich.
„Na ja, es könnten ja schon alle Termine vergeben sein. Nein, sag nichts, ich weiß, das ist eher unwahrscheinlich. Ich denke ja auch, es klappt. Aber …“
Ich würde sie jetzt gerne küssen, aber das geht leider nicht.
„Martha? Mach dir nicht so viele Gedanken.“
„Das sagst du so einfach.“
Ich streichle ihr kurz über den Kopf. Martha seufzt wieder, aber diesmal klingt es zufrieden.
Sie legt mir ihre warme Hand auf’s Bein und lehnt sich entspannt im Sitz zurück.
„Egal, was kommt, ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“
Und das ist ja das Wichtigste.

Als wir die Autobahn verlassen, wird Martha wieder munter. Und da ruft auch schon Sascha an.
„Ja, wir sind gleich da. … Gestern Abend schon? … Ach, ihr seid so lieb! … Ja, bis gleich!“
Und zu mir sagt sie: „Die beiden sind schon seit gestern Abend zurück. Und Denise hat für uns alle gekocht.“
Martha zappelt und wibbelt herum. Ich beobachte sie aus den Augenwinkeln und finde sie in ihrer freudigen Ungeduld wieder so süß, so unwiderstehlich …
Dann sind wir da und Martha fliegt förmlich auf Sascha und Denise zu.
Ich sehe zu, wie sie beiden nacheinander um den Hals fällt, während ich unsere Sachen aus dem Auto hole.
Sascha grinst mir zu, während Martha ihn erneut drückt und auf die Wangen küßt.
„Man könnt‘ ja meinen, wir hätten uns Jahre nicht gesehen.“, lacht er.
Während Martha und Sascha sich noch anstrahlen, werde ich von Denise umarmt.
„Also wenn ich mir deine Sonnenbräune so ansehe und wie entspannt du dreinschaust … muß euer Kurzurlaub ja wirklich schön gewesen sein.“
„War er. Eurer hoffentlich auch?“
„Oh ja! Aber nun kommt erstmal rein, wir können gleich essen. Und dann in Ruhe erzählen.“
Martha und in Ruhe erzählen? Ich muß unwillkürlich lachen, als ich sie vor mir sehe … mit roten Backen, mit den Armen gestikulierend …
Dann dürfen Sascha und ich uns auch endlich begrüßen.
„Heyyy, Alter, gut erholt siehst du aus! War schön, ja?“
„Sehr schön. Aber es ist auch schön, wieder zuhause zu sein.“ Mein Blick schweift rüber zu unserem Laden …
Finchen erscheint in der Tür und winkt. Sascha und Denise schnappen sich unsere Sachen und bringen sie rein, während Martha und ich unseren guten Hausgeist begrüßen. Zu unseren Füßen maunzt es; Carlo ist Finchen natürlich wie ein Schatten gefolgt und fordert jetzt unsere Aufmerksamkeit. Martha nimmt ihn auf den Arm und ich kraule ihn hinter den Ohren.

Dann sitzen wir alle im Hof und lassen es uns schmecken.
Während ich wie meist still genieße, muß Martha geschickt abwechseln mit Essen, Reden und Luftholen. Aber sie meistert diese schwierige Aufgabe perfekt.
Und ich freue mich, daß sie so begeistert von ihrem Geburtstag erzählt und wie glücklich ich sie gemacht hätte. Sie macht mich fast ein wenig verlegen; ich bin jedenfalls froh, mit Kauen beschäftigt zu sein. Wir sehen uns kurz in die Augen und ich merke, ich muß gar nichts sagen.
Natürlich zeigt Martha auch das Medaillon her und erwähnt die Rose.
Was meine erotische Geburtstagsüberraschung angeht, erwähnt Martha nur, ich hätte sie sehr zärtlich verwöhnt. Sie zwinkert mir kurz zu und ich antworte mit einem leisen Lächeln.
Sascha und Denise erzählen natürlich auch. Auch sie haben einen schönen Kurzurlaub gehabt.
„Denise‘ Mutter ist zwar immer noch froh, daß ich kein hauptberufliches Model bin, aber ich glaube, so langsam freundet sie sich mit dem Gedanken an, daß Denise ernsthaft mit mir zusammenbleiben will.“
„Hattet ihr denn Probleme?“, frage ich.
„Nein, nein. Ich bin nur eben … ein bisschen anders.“
„Nicht so der Prototyp von Schwiegermutters Liebling.“, kichert Martha.
„Nee, irgendwie nicht.“, lacht auch Sascha.
„Kannste mal sehen. Meine Mutter dagegen würde Juri selber heiraten, wenn sie könnte.“
Ich verschlucke mich vor Schreck an meinem Wasser und muß husten.
Alle sehen mich an und lachen.
"Ihr hättet Mama sehen müssen, wie sie Juri angesehen hat, wenn der mit nacktem Oberkörper rumlief.“
Das Lachen wird lauter.
Und ich weiß mir nicht anders zu helfen, als aufzustehen und Martha durch einen langen Kuß davon abzuhalten, weiterzureden.
Zum Glück ist das Thema danach abgehakt und ich hoffe inständig, daß Sascha mich nicht die nächsten Tage mit der Sache aufzieht. Zuzutrauen wär’s ihm.

Nach dem Essen und Erzählen widmen wir uns dem Geschäftlichen. Das heißt, ich hätte gerne noch bis morgen damit gewartet, aber Martha nicht.
Sascha und Denise haben schon die Post gesichtet und was an Mails so eingegangen ist.
Martha sortiert nun alles nach Wichtigkeit. Und bemerkt mein leises Seufzen.
„Ach, Juri! Ich will mir doch nur einen Überblick verschaffen und kurz überlegen, was morgen als erstes zu tun ist. Wir machen uns schon noch einen schönen Abend.“ Sie fährt mir zärtlich durch die Haare.
Und ich bin zufrieden. Ich kann ja froh sein, daß Martha sich kümmert. Wär’s allein mein Laden, wär der schon den Bach runter gegangen. Und über aller Arbeit hat Martha mich noch nie vernachlässigt.

Am nächsten Tag hat uns dann der Alltag wieder.
Rechnungen bezahlen, Stoffe ordern, Kundenanfragen beantworten, Termine koordinieren … Martha hat keine Ruhe, bevor nicht alles erledigt ist und seine Ordnung hat.
Das mit dem Stoffe ordern kriege ich hin, aber an die Rechnungen wage ich mich erst gar nicht. Aber die Buchhaltung und so erledigt Martha am Nachmittag mit Denise zusammen.
Martha schafft es, mir mein schlechtes Gewissen zu nehmen und draußen im Hof sitzend gelingen mir ein paar wirklich gute Entwürfe.
Carlo reibt sich an meinen Beinen, springt mir elegant auf den Schoß und hindert mich eine Weile am Weiterarbeiten. Gedankenverloren kraule ich ihn, er schnurrt … und plötzlich kommt mir Marthas Hochzeitskleid in den Sinn, das ich zu designen ihr versprochen habe.
„Carlo, Martha braucht ein Kleid. Hast du vielleicht eine Idee?“
Der Kater sieht mich an, als ob ich nicht ganz dicht wäre. Sicher habe ich mir das nur eingebildet, aber es gibt mir schon zu denken, daß ich anfange, einen Kater um Rat in Design-Angelegenheiten zu fragen.
Egal.
Ich setze Carlo sanft zu Boden, kraule ihn noch einmal kurz und sage dann Martha und Denise Bescheid, daß ich ein bisschen Bewegung brauche.
Ich laufe eine große Runde und überlege dabei, wie Marthas Kleid aussehen soll. Als Hochzeitskleid muß es ja etwas Besonderes sein. Und trotzdem zu Martha passen.
Heißt, es muß was Verspieltes haben. Trotzdem wohl schon irgendwo auch elegant.
Nicht ganz einfach.
Vielleicht etwas im Stil des Abendkleids, das ich für Martha designt habe?
Ich ahne schon, daß mich diese Aufgabe Nerven kosten wird, weil mir nichts gut genug für meine zukünftige Frau sein wird …
Meine Frau … einen Moment lang kommt mir das sehr fremd vor … aber ich liebe Martha über alles und ich weiß, daß eine … Ehe … mit Martha mich nicht einengen wird. Martha ist … zu verrückt, also positiv-verrückt, um je spießig oder gar engstirnig zu werden. Es wird sich nichts für mich, für uns ändern. Außer daß wir auch vor dem Gesetz ein Paar sein werden.
Ein kleiner Teil in mir beginnt sich auf die Hochzeit zu freuen …







Kapitel 37

Am zweiten Tag nach unserer Rückkehr sitzen Martha und ich in einem kleinen Raum im Standesamt Neukölln und beantragen unsere Eheschließung, wie es so schön heißt.
Und sehr bald stelle ich fest, daß man nicht mal eben so heiratet.
Jedenfalls nicht, wenn man Juri Adam ist und aus Serbien kommt.
Und ich bereue es jetzt wirklich, nicht schon meine Einbürgerung beantragt zu haben.
Als … Deutscher … bräuchte ich wie Martha nur eine beglaubigte Abschrift aus dem Geburtsregister – da könnte ich über mein Konsulat drankommen - und eine aktuelle Meldebescheinigung. Das wäre selbst für mich kein Problem.
Aber als Ausländer brauche ich so ein Ehefähigkeitszeugnis.
Die Standesbeamtin erklärt mir sehr freundlich, daß das im Grunde genommen heißt, daß mein Heimatland nix dagegen hat, daß ich in Deutschland heirate.
Für EU-Bürger wäre auch das kein Problem. Aber Serbien ist nicht in der EU. Und gehört offenbar zu den Ländern, die es ihren im Ausland lebenden Leuten gerne schwer machen.
Jedenfalls – ich werde wohl auf jeden Fall zu meinem Konsulat und die um Hilfe bitten müssen.
Die freundliche Dame macht mir aber Mut und meint, es wäre viel komplizierter und langwieriger, wenn ich keine oder nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis hätte. Ich würde ja schon ‚ewig‘ in Deutschland leben und arbeiten.
„Kopf hoch, Sie schaffen das schon.“, sagt sie.
Einen Termin für die Trauung bekommen wir nicht, wir müssen erst alle Papiere beisammenhaben.
Augenrollend und mir durch die Haare fahrend stehe ich mit Martha vor dem Amtsgebäude.
„Hey, reg dich nicht auf. Wir kriegen das schon hin.“
Ich sehe sie an. Sie lächelt. Legt ihre Arme um mich.
Und sie so an mich geschmiegt spürend wird mir wieder klar, daß ich mit ihr an meiner Seite alles schaffe. Und so ein paar bürokratische Hürden nehme ich doch mit links.
Na ja, so in etwa.
In einem kleinen Café, wo wir uns stärken, stelle ich Martha eine Vollmacht aus, daß man ihr diese Bescheinigung aus dem Melderegister gibt.
„Dann brauchst du da nicht selber hin.“, nickt Martha zufrieden.
„Gut. Ich gehe stattdessen zum Konsulat, nicht?“
„Ja. Je früher, desto besser. Wir wissen ja nicht, wie lange die für sowas brauchen.“
So quäle ich mich in die nächste Amtsstube.
Die serbische Botschaft wirkt von außen nicht gerade einladend.
Wenigstens habe ich Glück und die haben gerade auf.
Und ich habe sogar noch mehr Glück, denn man sagt mir, die erforderlichen Unterlagen – also die Abschrift aus dem Geburtsregister in Zagreb als auch dieses Ehefähigkeitsdingens seien kein Problem und müßten innerhalb von zwei bis drei Wochen da sein.
Das ist doch schon mal was.
Ermutigt durch den Erfolg frage ich wegen Onkel Branko nach.
Doch sagt man mir, daß ich – um ihn zu finden – mich an die deutsche Botschaft in Zagreb wenden müsse.
Na gut.
Ich fahre erstmal nach Hause und berichte Martha, die ihre Unterlagen schon hat, von meinem Besuch in der serbischen Botschaft.
Nun, wo der Stein einmal rollt, bin auch ich motiviert.
Ich rufe tatsächlich nach dem Essen die deutsche Botschaft in Zagreb an.
Ich habe leider nur Onkel Brankos vollständigen Namen, sein Geburtsjahr und seine letzte, mir bekannte Adresse zu bieten.
Ich merke schon, die Erfolgsaussichten sind nicht so gut, aber ich will es wenigstens versuchen. Man empfiehlt mir noch den Suchdienst des DRK im Internet.

Frau Sonnabend freut sich sehr über mein Engagement. Und wünscht mir viel Erfolg bei der Suche.
„Ich bin sicher, es ist Ihnen klar, daß das auch eine schmerzliche Erfahrung sein kann, sollten Sie ihn finden.“
Ich nicke.
Onkel Branko war damals tief getroffen vom Tod meiner Eltern – seine Schwester und sein Schwager …
Ich war das einzige, was ihm geblieben war. Und ich bin abgehauen.
Habe mich nie mehr bei ihm gemeldet.
„Haben Sie Angst, daß er nichts mehr von Ihnen wissen will?“
„Ja. Ich … hätte mal … von mir hören lassen sollen. Und mich nach ihm erkundigen.“
„Ja, das wird ihm wehgetan haben. Aber er wird schnell merken, daß auch Sie gelitten haben. Und zwar sehr. Vielleicht braucht die Wiederannäherung etwas Zeit.“
„Egal, was draus wird … meine Eltern würden es sich wünschen, daß ich den Kontakt suche.“
„Davon bin ich überzeugt.“
„Und ich will es selbst. Ich habe … Onkel Branko geliebt.“
Ich muß schlucken. Mir fällt auf, daß das in letzter Zeit häufiger passiert. Aber es beunruhigt mich nicht. Ich kann endlich Gefühle zeigen. Und schäme mich nicht dafür.

Unser Leben ist wirklich alles andere als langweilig.
Martha und ich müssen uns um unsere Herbst-Kollektionen kümmern. Martha nimmt sowohl die Arbeit für ihre Accessoires als auch für die Dessous sehr ernst. Sie telefoniert oft mit Elisabeth oder deren Freundin, um sich mit ihnen abzustimmen. Das wäre nichts für mich, aber die drei Frauen, obwohl so unterschiedlich, verstehen sich und kommen geschäftlich bestens klar. Ich bewundere Martha dafür.
Sie sagt mir, ich mache sie so glücklich, das gäbe ihr einfach viel Elan.
Mich macht sie damit fast wieder verlegen. Daß ich sie so glücklich mache, muß sie mir durchaus noch ab und zu bewußt machen. Es ist noch keine Selbstverständlichkeit für mich, daß man es dauerhaft mit einem wie mir aushält.
Ich habe mit meiner eigenen Kollektion und dem Problem mit Marthas Hochzeitskleid genug zu tun … ich habe keine Ahnung, wie Martha neben ihrer Arbeit noch Tausend andere Dinge erledigen kann.
Okay, ich beteilige mich an der Arbeit im Haushalt, putzen kann ich, auch wenn’s mir keinen Spaß macht.
Ich kann auch die Kasse abrechnen, wenn’s sein muß. Ich mache schon, was ich kann. Aber trotzdem komme ich mir immer noch oft wie ein Trottel vor, der außer Klamottendesignen nichts auf die Reihe kriegt.
Es gibt aber auch Tage, an denen es mir Spaß macht, ich es sehr genieße, daß wir unseren Laden so schön schaukeln. Und auch stolz darauf bin. Auch wenn der größte Verdienst Martha zukommt. Und danach Sascha und Denise. Und Josie und Janine.
Egal. Wir sind ein Team. Jeder hilft jedem, wir können uns aufeinander verlassen.
Das ist ein schönes Gefühl.

Nach nicht ganz zwei Wochen habe ich meine Geburtsregisterbescheinigung aus Zagreb.
Der Wisch, daß ich hier heiraten darf, läßt noch weitere zwei Wochen auf sich warten.
Aber dann ist auch diese Hürde genommen.
Wieder sitzen wir im Standesamt Neukölln.
Die freundliche Standesbeamtin hat wieder Dienst und freut sich anscheinend wirklich, daß alles geklappt hat.
Es ist noch einiges auszufüllen, Fragen zu beantworten. Zum Beispiel die nach dem gemeinsamen Ehenamen.
Spontan entscheidet sich Martha dafür, meinen Namen anzunehmen und ‚Martha Wolf‘ nur noch als sogenannten Künstlernamen zu behalten.
Obwohl es mir nicht wichtig war, freue ich mich jetzt doch ein bisschen.
Martha sieht mich an. „Ich hab da … na ja … daran gedacht, daß wir … vielleicht … doch mal … ein Kind haben werden. Und da wäre es schon schöner, wenn das nach dir heißen würde, nicht? Und so Doppelnamen mag ich nicht.“
Daran hatte ich natürlich überhaupt nicht gedacht. Aber daß dadurch mein, unser Kind den Namen meiner Eltern, meines Vaters im Besonderen, weitertragen würde … ich schiebe diesen Gedanken resolut beiseite, denn ich muß schlucken und möchte vor der Beamtin doch gerne meine Fassung bewahren.
Und dann haben wir unseren Termin – am Freitag, den 27. September werden Martha und ich heiraten!
Vor der Tür umarmen wir uns heftig, ich hebe Martha hoch, drehe mich mit ihr im Kreis. Und sie strahlt mich so glücklich an …
Abends feiern wir beim Mexikaner. Mit Josie und Janine, mit Finchen und Martha hat auch Gloria und Karin eingeladen.
Gloria blickt mich lange an. Und meint dann: „Ich kann das noch nicht so recht fassen – Juri Adam und heiraten … das ist verrückt! Aber ich freu mich, ich gönne es dir. Und irgendwie … bist du trotzdem immer noch Juri Adam.“
Ich finde, das ist ein schönes Kompliment. Und lieb von einer Frau, die sich selbst mal Hoffnungen machte, daß sich zwischen ihr und mir was Ernstes entwickeln könnte.

In den nächsten Tagen wird es bei uns noch turbulenter als sonst.
Zum einen meldet sich die Inhaberin dieses Ladens aus Potsdam, die Marthas und meine Kollektionen vertreibt – also, das jedenfalls, was Mosch nicht für sich aufkauft. Sie hat Probleme mit der Familie und muß den Laden aufgeben. Ob wir den nicht übernehmen wollen?
Das stürzt uns alle in Grübeleien.
Und an diesem Abend kommt Sascha zu mir, als wir uns nach dem Training die Boxhandschuhe ausziehen.
„Kann ich mal mit dir reden?“
„Klar.“ Ich bin etwas verwundert, es kommt bei Sascha selten vor, daß er sich mal auskotzen muß. Und danach klingt es.
„Es ist was passiert.“
Der Bursche macht mich neugierig. Er klingt nicht richtig besorgt, aber ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.
Was soll dieses komisch-verzweifelte Lächeln?
„Denise und ich … im Urlaub …“
Junge, nu red‘ doch!
„Mir ist … ‚s Gummi geplatzt.“
Das hat er nur noch geflüstert.
„Was?“, frage ich, obwohl ich ihn trotz des Flüsterns genau verstanden habe.
Was ich sonst sagen soll, weiß ich nicht. Weil ich nämlich nicht weiß, ob das jetzt gut oder schlecht ist … also, was ihm passiert ist.
„Kann denn … kann denn was passiert sein? … Ich mein … hatte Denise grad ihre fruchtbaren Tage?“
„Mmmm. Hatte sie.“
„Und? Wollt ihr das Kind? Also, wenn Denise jetzt wirklich schwanger sein sollte?“
Sascha nickt. „Ich … ich … hab gesagt, wenn … also … daß es okay ist, wenn sie … na ja, es gibt da so einen Wirkstoff, die Pille danach …“
Ich nicke.
„Aber sie hat mich nur entsetzt angesehen. Und ich hab mich gleich entschuldigt und ihr gesagt, daß ich das selber nicht will, es aber halt akzeptieren würde … und sie meinte, es wär ein Unfall und keiner von uns könnte was dafür. Aber wenn es keine gesundheitlichen Bedenken gäbe … dann wolle sie das Kind haben.“
„Und du?“
„Weißt du … ich hab in den letzten Tagen oft an meine Tochter denken müssen. Als Sabine sie damals aus meinem Leben gerissen hat … das war furchtbar. Ich hab es akzeptiert, weil meine Lebensumstände nicht die besten waren. Aber der Schmerz blieb. Es ist … der Gedanke, daß ich … nochmal … Vater werden könnte … der holt das alles wieder hoch.“
„Hast du je wieder von deiner Tochter gehört?“
„Nein. Nie. Ich hab auch nicht versucht, Kontakt aufzunehmen. Sabine ist vielleicht verheiratet und meine Tochter lebt in einer richtigen Familie. Wenn sie … wenn sie eines Tages den Kontakt zu mir … also aus eigenem Antrieb …“
Sascha wischt sich die Augen; ich merke, das alles geht ihm sehr nah.
„Hast du Angst, daß dir sowas mit Denise … auch passieren könnte?“
„Was? Nein. …Nein, wirklich nicht. … Es ist nur … es kommt so plötzlich, so unerwartet. Ich weiß, so ist das Leben. Wir wollten ja ein Kind …“
„Aber?“
„Juri, ich bin einfach … durcheinander. Ich freue mich. Wirklich. Aber ich hab auch Schiß.“
Irgendwie meine ich, es ist angebracht, meinen Freund mal in den Arm zu nehmen.
Ich drücke ihn an mich. „Wirst ‚n guter Vater. Mach dir keine Sorgen.“
„Danke, Mann.“ Saschas Stimme klingt ziemlich brüchig.
„Wann wißt ihr es denn genau?“, frage ich, nachdem ich ihn wieder losgelassen habe.
„Morgen gehen wir zu ihrer Frauenärztin. So einen Schnelltest haben wir schon gemacht, der war positiv. Aber Denise will es genau wissen.“
„Also warten wir mit dem Gratulieren noch bis morgen?“
Er nickt. „Du scheinst dich echt zu freuen, was?“
„Mmhh. Tue ich. Weil ich merke, was es dir bedeutet.“
„Viel. Wahnsinnig viel.“

Als wir nach Hause kommen, sitzt Martha mit Denise im Wohnzimmer zusammen.
Martha sieht mich an und weiß Bescheid. „Du weißt es jetzt auch, hm?“
Ich nicke.
„Und? Wie findest du es?“
„Er freut sich beinahe mehr als ich.“, meint Sascha gerührt.
„Echt?“ Martha strahlt.
„Unser Sascha wird ein toller Vater.“, sage ich und meine das auch so.
„Da gibt es nicht den geringsten Zweifel.“ Martha ist aufgestanden und drückt Sascha an sich.
Ich setze mich zu Denise. Habe aber keine Ahnung, was ich sagen soll.
„Du freust dich wirklich, hm?“, fragt sie.
„Ja. Es wird Sascha glücklich machen. Er hat dann auch … wieder eine Familie.“
Denise nickt.

Am nächsten Tag sind Martha und ich beinahe so nervös und unruhig wie Denise und Sascha.
Martha ist jedesmal fast enttäuscht, wenn die Ladenglocke nur einen Kunden ankündigt.
Doch dann sind die beiden wieder da und so, wie sie strahlen …
Martha saust ihnen entgegen und drückt sie nacheinander.
Ich folge langsamer, drücke aber auch beide herzlich.
„Wollen wir das mit einem Essen beim Mexikaner feiern? Martha und ich laden euch ein!“
Und so sitzen wir am Abend beisammen und feiern unseren künftigen Nachwuchs. Auch Josie und Finchen sind mit dabei.
„Hach, was freu ich mich! Schön, mal wieder sowas Lüttes schaukeln zu können.“ Finchen strahlt und wir grinsen uns an.
„Also, ich finde, euer Baby wird in eine tolle Groß-Familie reingeboren.“, schwärmt Martha. „Sogar eine ganz liebe, tolle Omi hat es schon.“
„Und dein Zukünftiger wird ‚Onkel Juri‘.“, lacht Sascha.
Wenn er meint, mich damit schocken oder ärgern zu können, ist er schief gewickelt.
„Das … das wird ja dein erstes Kind sein. Hast du eigentlich … Angst … vor der Schwangerschaft und allem?“, fragt Martha.
„Nein, nicht wirklich. Das einzige, was mir Angst macht, ist, daß Sascha sich zu so einem überbesorgten Vater entwickeln könnte, der mich am liebsten in Watte packen möchte.“
Sascha linst zur Decke und pfeift unschuldig.
„Also, ich bin sicher, Sascha wird ein aufmerksamer Papa, der gut auf dich und das Kleine aufpassen wird. Und das soll ja wohl so. Außerdem … kennt er das alles ja schon. … Sorry, wenn ich jetzt …“ Martha legt Sascha ihre Hand auf die Schulter.
„Schon gut. Ich hab eh die letzten Tage oft an meine Tochter gedacht. Und was meine Sorge angeht … das ist mein Kind … klar werd‘ ich mir Sorgen machen … ob alles gut geht. Aber ganz bestimmt werd‘ ich Denise jetzt nicht rund um die Uhr beglucken. Und wenn ich mal über’s Ziel hinausschieße …“
„Dann brems ich dich; ich weiß ja, du meinst es nur gut.“
Denise küßt Sascha zärtlich.

Der baldige Nachwuchs in unserer „Familie“ bringt Martha auf die Idee, eine eigene Kollektion an Babykleidung zu entwerfen.
Sie fragt Denise, ob sie daran mitarbeiten möchte. Und die freut sich sehr.
Damit kommt das Gespräch auch wieder auf den Laden in Potsdam.
„Wär schon toll, da einen zweiten Laden zu haben.“, seufzt sie.
„Du, ich hab keine Ahnung, ob das machbar ist. Wer soll den vor Ort führen? Unser Personal – es sind ja mehr unsere Freunde - ist ausgelastet. Und das alles zu managen, wird das nicht ‚n bisschen viel?“
„Keine Sorge, ich werde ganz sicher nicht unüberlegt zusagen. Klar müssen wir das alles genau durchdenken und durchrechnen. Aber das laß mal meine und Denise‘ Sorge sein. Wir fragen ihren Bekannten, der sich mit sowas auskennt, um fachmännischen Rat.“
„Ich mach‘ mir keine Sorgen, daß du was überstürzt. Ich kenn dich doch. Im Gegensatz zu mir bist du übervorsichtig.“
Sie lacht nur, küßt mich auf die Nase und geht wieder an die Arbeit.

Unsere ‚normale‘ Arbeit, die mögliche Übernahme des Potsdamer Ladens, Denise‘ Schwangerschaft … Marthas und meine Hochzeit ist darüber fast in den Hintergrund gerückt. Bis mir plötzlich das Kleid einfällt und daß ich immer noch nicht weiß, wie es werden soll. Mich beschleicht leise Panik.
Martha fragt mich, ob ich Lust auf einen Spaziergang habe. Das Wetter ist traumhaft schön und frische Luft wird mir jetzt guttun.
Denn Marthas Kleid macht mich wirklich noch wahnsinnig. Zum möglichen Schnitt habe ich mehrere brauchbare Ideen, aber die Aussage fehlt komplett.
Wir spazieren Hand in Hand durch den Park und setzen uns nach einer Weile auf eine Bank.
„Ich finde die Farben im Herbst einfach wunderschön.“, sagt Martha. „Diese herrlichen satten Braun-, Rot- und Goldtöne …“
Martha hat Recht.
Aber nicht nur das. Wie ein elektrischer Schlag durchfährt es mich plötzlich – das ist es!!! Endlich, endlich habe ich Marthas Hochzeitskleid im Kopf!
Ich springe auf, fasse sie bei der Hand und ziehe sie mit mir.
„Hey, was ist denn?“, fragt sie erstaunt. „Du hast eine Idee, ja?“
„Ja.“
Zurück im Laden wühle ich in unseren Stoffen. Es ist nicht alles da, was ich brauche.
Ich stürme zu Josie und versuche, ihr zu erklären, was ich will, was ich haben muß.
Sie zieht eine Mappe mit Stoffmustern hervor. Es dauert eine Weile, bis ich entdecke, was es sein muß.
„Marthas Hochzeitskleid. Kein Wort, zu niemandem.“
Josie nickt verschwörerisch, hängt sich ans Telefon und bestellt, was ich will.
"Sascha! SASCHA!!!“
„Was ist denn, Alter?“
„Fahr los und hol den Stoff für Marthas Kleid!“
„Sagst du mir noch, wo und was? Wir haben schließlich mehrere Zulieferer.“
„Josie sagt dir alles. Ich muß …“
Ich bin wie im Rausch.
Im Groben sehe ich das Kleid vor mir, bin aber mit den Details unzufrieden.
Irgendwann steckt Martha den Kopf zur Tür der Teeküche rein, in der ich mich verschanzt habe.
„Raus.“
Martha lächelt mir zu und geht wieder. Sie weiß Bescheid.
Wunderbar warme Herbsttöne, sanft ineinanderfließend, von goldenem Sonnenlicht durchwirkt …
Dann ist Sascha mit den fehlenden Stoffen da.
Ich greife mir den Entwurf mit dem endgültigen Schnitt und eile zu Josie.
„Hast du Marthas Maße noch? Dann mach mir bitte hierfür ein Schnittmuster, ja?“
Josie nickt nur. Sicher hat sie anderes zu tun, ist aber so rücksichtsvoll, alles für mich stehen und liegen zu lassen.
Ich bin schon wieder weg.
Was mir noch Probleme macht, ist ein verspieltes Detail, das typisch Martha ist. Fast zeitgleich fallen mir ihre Häkel-Accessoires ein, die sie so gerne am Kragen trägt und ihr neuer Schlüsselanhänger, ein Berliner Bär.
So ein Bärchen wäre ein schönes Symbol für das Glück, das wir in Berlin gefunden haben.
Ich denke, ich hoffe, das wird ihr gefallen.
Wieder flitze ich zu Josie.
Und bitte sie erstmal um ihre Meinung.
Sie meint auch, das wäre das richtige. „Ich mein, das Kleid wird ja schon recht elegant. Da ist so’n Bärchen der passende Kontrast, der dem Ganzen den Martha-Touch gibt.“
Genau so hatte ich mir das gedacht.
„Nur – wie kommen wir jetzt an sowas? Also wenn ich das häkle, dann wird sicher kein Bär draus.“
Ich fahre mir durch die Haare. Das kann doch nicht sein, daß unsere Idee jetzt daran scheitert, daß wir so ‚nen Bär nicht hinbekommen.
„Kaufen?“, fragt Josie.
Ein Bär von der Stange? Ich schüttele den Kopf.
„Muß ich wohl selbst ran.“, seufze ich.
Und selbst mit Josies Hilfe raubt mir das fast den letzten Nerv. Zum Glück übernimmt sie das Annähen der Augen, denn ich bin kurz davor, dem Häkelviech den Hals umzudrehen.
Und dann ist es geschafft.
Der Stoff ist zugeschnitten und Josie näht ihn. Zuhause.
Martha merkt sicher, was im Busch ist, so wie sie mich immer ansieht.
Aber sie lächelt nur und sagt nichts.
Ich hoffe so sehr, daß ihr das Kleid gefällt.
Die Farbtöne passen wunderbar zu ihren Augen – ich sehe sie im Geiste vor mir und sie sieht einfach nur wunderschön aus.
Als Josie mit dem fertigen Kleid kommt, werde ich nervös.
Wir versichern uns, daß Martha nicht in der Nähe ist und gemeinsam überprüfen wir das gute Stück Zentimeter für Zentimeter.
Josie findet es perfekt und einfach wundervoll.
Ich eigentlich auch, aber …
„Hey, es wird ihr gefallen, mach dir keine Sorgen.“ Sie klopft mir aufmunternd auf die Schulter.
Ich kratze meinen Mut zusammen.
„Martha? Kommst du mal?“
„Was ist denn?“
Ich reiche ihr den Karton, in den Josie das Kleid rasch verpackt hat.
„Anprobieren.“
Martha sieht mich an. Dann den Karton. Öffnet ihn langsam. Und zieht das Kleid heraus.
Dann macht sie große Augen.
Gerade denke ich, scheiße, es gefällt ihr nicht, als sie das Kleid beiseitelegt und mir um den Hals fällt.
Sie sagt nichts, aber sie drückt sich fest an mich und ich spüre ihre weichen Lippen auf meiner Haut.
Dann löst sie sich ebenso wortlos von mir, nimmt das Kleid und verschwindet in einer der Umkleidekabinen.
Und nun steht sie vor mir.
Genauso habe ich sie im Geiste vor mir gesehen.
Da Martha in hohen Schuhen wirklich schöne Beine hat, habe ich das Kleid nur etwas mehr als knielang gemacht. Es ist ausgestellt und schwingt schön.
Bis zur Taille wird es vorne geknöpft, die Träger sind breit und kreuzen sich am Rücken.
Martha dreht sich vor mir und strahlt mich an.
„Das ist … traumhaft schön. Danke.“
Ich selbst weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich sehe sie nur an … vermutlich sehr verliebt.
Martha legt mir die Arme um den Hals und wir küssen uns zärtlich.
Als Martha hört, daß ich den Bär selbst verbrochen habe, ist sie sehr gerührt. Und ich glaube ihr, daß er ihr wirklich gefällt.

Kapitel 38


Ich bin wirklich erleichtert, daß ich das mit dem Kleid erfolgreich hinter mich gebracht habe.
Es war mir unheimlich wichtig.
Dafür quälen mich nun neue Dinge.
Bis zur Hochzeit sind es nur noch etwa vier Wochen. Tristan weiß längst Bescheid, das No Limits ist für uns reserviert.
Martha erzählt mir immer wieder irgendwelche Details, Dinge, die sie erledigt hat.
Aber mein Hirn ist zur Zeit wie ein Sieb, ich kann mir das alles nicht merken und überhaupt schwirrt mir der Kopf.
Ich vertraue mich Martha an.
„Hey, mach dir bloß keine Gedanken. Du kannst dich getrost aus dem Organisatorischen raushalten. Und überhaupt wird kein Zirkus um unsere Hochzeit gemacht. Gibt keinen Polterabend und so wie ich dich kenne, legst du keinen Wert auf einen Junggesellenabschied, hm?“
„Sowas, wo gesoffen wird und irgendwer ‚ne Stripperin bestellt hat? Nee, danke, verzichte gerne. Ich will den Abend vor unserer Hochzeit mit dir verbringen, gerne auch mit Sascha und Denise.“
„Siehste. Und es wird keine Brautjungfern geben, keine Sitz- oder Kleiderordnung bei der Feier, keine Reden und sowas. Nach der Trauung ein Schlückchen Sekt und ein kleines Häppchen und in Düsseldorf sollen uns unsere Freunde so feiern, wie sie mögen. Wenn sich alle wohlfühlen, wird das auch toll.“
Warum hab ich mir überhaupt Sorgen gemacht?
Ich entspanne mich. Was immer Martha macht, es wird auch für mich in Ordnung sein.
Wenig später ist es Martha, die leichte Panik schiebt.
„Verdammte Axt! Ich hab überhaupt nicht überlegt, wo Mama und Papa und Denise und Sascha in Düsseldorf unterkommen.“
Nun bin ich es, der Ruhe bewahrt.
„Ich denke, deine Eltern können sicher bei deinem Onkel Thomas nächtigen.“
„Und Denise und ich pennen in der WG, das ist sicher auch kein Problem.“, wirft Sascha ein, der zugehört hat. „Müßt nur noch ihr euch überlegen, wo ihr schlafen könnt. Zur Not einfach im No Limits. Ich glaube, diese Pool-Liegen sind ganz gemütlich.“
Das hätte sogar was, finde ich. Könnte doch romantisch sein.
Martha hat natürlich keine Ruhe, bis die Sache mit der Unterbringung geklärt ist und ruft deshalb gleich ihren Onkel an.
Wie ich mitbekomme, ist der ganz aus dem Häuschen, daß wir so bald schon heiraten, freut sich riesig auf den Besuch und wäre wohl ziemlich beleidigt gewesen, wenn Peter und Gisela statt zu ihm womöglich in ein Hotel gezogen wären.
„Er will gleich selbst mal mit Papa reden.“, erzählt Martha freudestrahlend.
Dann ruft sie bei Dana an und fragt, ob Sascha und Denise in der WG übernachten können. Was natürlich auch kein Problem ist. Begeistert erzählt sie, daß unsere Freunde ein Kind bekommen werden, dreht sich plötzlich erschrocken zu Sascha rum, der ihr jedoch lächelnd zunickt.
„Was hat sie denn?“, frage ich ihn.
„Ich glaub, sie war plötzlich unsicher, ob sie’s erzählen darf.“
„Na, ich denke doch.“
„Klar.“
„Wie geht’s dir denn inzwischen so damit? Also Vater zu werden.“
„Ist ‚n tolles Gefühl. Auch mit Denise und mir … weiß nicht, wie ich’s erklären soll. Wir haben uns von Anfang an super verstanden, das paßte einfach. Aber irgendwie … sehe ich Denise jetzt noch mal ganz anders … wahrscheinlich als die Mutter meines Kindes … jedenfalls – liebe ich sie jetzt fast noch mehr und … ach, es ist einfach unheimlich schön.“
Selbst ich merke, wie weich seine Stimme klingt, wenn er von Denise und dem Baby spricht.
Ich sehe rüber zu Martha, die immer noch mit Dana telefoniert … könnte ich sie noch mehr lieben, wenn sie mein Kind im Bauch trüge?
Dann fällt mir ein, daß ich Stoffel auch mal nach Denise selber fragen sollte.
„Ehm … und Denise? Geht’s ihr gut? Oder läßt sie sich nur nichts anmerken?“
Denise verhält sich nämlich so normal, daß ich oft vergesse, daß sie schwanger ist.
„Ja, es geht ihr prima. Bis jetzt bleibt sie auch von morgendlicher Übelkeit verschont. Wenn man sie gut kennt, merkt man aber schon was.“
„Ja?“
„Sie ist schon etwas empfindlicher, flippt schneller aus. Aber sie kommt genauso schnell wieder runter. Es ist zwar ihre erste Schwangerschaft, aber sie weiß, was da so alles passieren kann und war deshalb, na, auf diese Stimmungsschwankungen vorbereitet. Sie hat auch ab und zu Phasen, wo sie absolut ihre Ruhe braucht. Aber sie erklärt mir ihr Verhalten immer … nee, das läuft schon prima bei uns, trotz allem alles ganz harmonisch.“
Das freut mich für die beiden.
„Und die Schwangerschaft macht sie … äh, ziemlich liebeshungrig.“, grinst er.
„Ach ja?“, grinse ich zurück. „Na, dann sieh mal zu, daß du bei Kräften bleibst, ich brauch dich nämlich auch.“
„Für Liebesdienste? Och nö … hast die falsche Figur.“
Ich gebe ihm einen scherzhaften Klaps an den Hinterkopf, er lacht nur.
Zu meiner Therapie gehe ich inzwischen gerne. Die Gespräche mit Frau Sonnabend tun mir gut. Sie kann sich wirklich sehr gut in mich einfühlen und nach wie vor ist es trotz ernster Themen mehr eine Unterhaltung unter Freunden.
Sie freut sich sehr über meine baldige Hochzeit mit Martha.
Als ich ihr auch von Sascha erzähle und daß er Vater wird, macht sie das nachdenklich. Und dann fragt sie mich, wie es mit mir aussähe … ob ich auch Kinder wolle.
„In letzter Zeit … denke ich öfter darüber nach. Ich habe … auch schon mit Martha darüber geredet. Sie möchte gerne, aber nicht unbedingt jetzt schon. Und mir geht es ähnlich. Ich beginne mich mit dem Gedanken … anzufreunden. Bin aber noch unsicher … ob ich schon soweit bin.“
„Hören Sie ruhig auf Ihr Bauchgefühl. Wenn Sie sich der Vaterrolle noch nicht gewachsen fühlen, tun Sie sich keinen Gefallen, es trotzdem zu versuchen. … Aber wer weiß … wenn das Baby Ihrer Freunde auf der Welt ist … was sich da so bei Ihnen tut. Sie leben ja recht eng zusammen, nicht?“
Ich nicke nur. Noch kann ich mir mich selbst schwer vorstellen, mit einem Baby auf dem Arm, so ganz der liebende Papa … aber Frau Sonnabend hat Recht – was ich wirklich fühlen werde, weiß ich wohl erst, wenn es soweit ist.
„Es gibt da aber noch was … ein eigenes Kind könnte für Sie eine … schöne … Möglichkeit sein, etwas von Ihrer eigenen Kindheit nachzuholen, sie quasi noch einmal zu erleben. Und Sie werden sich natürlich auch gut an die Stelle Ihrer Eltern versetzen können … zum Beispiel die Freude nachempfinden, Ihrem Kind beim Spielen zuzusehen.“
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.
Aber so soll das sein mit meiner Therapie … Frau Sonnabend gibt mir Denkanstöße, ich befasse mich damit … und komme wieder einen Schritt weiter …

Die Hochzeit rückt nun in großen Schritten näher.
Martha ist – wenn sie nicht arbeitet – meist am telefonieren. Wir haben keine Einladungskarten gemacht, Martha hielt das für nicht nötig. Sie lädt lieber alle telefonisch ein. Daß sie dabei ins Reden kommt, ist ja klar. Wenn Sascha und ich in der Nähe sind, lächeln wir uns immer zu.
Auch Tristan bleibt nicht verschont. Eines Tages ruft er mich an, sagt, daß alles organisiert ist und wir uns keine Sorgen machen brauchen.
„Besonders deine Zukünftige nicht. Irgendwie hat sie was von so ‚nem Aufzieh-Mäuschen.“
„Was?“
„Ja, oder von ‚nem Duracell-Häschen. Sie wird anscheinend erst still, wenn jemand den Schlüssel auf ihrem Rücken wieder in Null-Stellung dreht.“
Da ich weiß, daß Tristan es nicht böse meint und er außerdem nicht ganz Unrecht hat, lache ich nur.

Später sind Martha und ich unterwegs, meinen Hochzeitsstaat einkaufen.
Als erstes suche ich mir eine schwarze Jeans aus. Eine gefällt Martha besonders gut.
„Die sitzt aber ziemlich eng.“, meine ich. Ich hab’s etwas weiter lieber, ist bequemer.
„Sieht aber verdammt gut aus.“, sagt Martha und fährt sich mit der Zunge über die Lippen.
„Ah ja.“, grinse ich. Und da ich mit dieser Hose nicht auf Ideenjagd gehen muß, nicke ich zustimmend.
Ein weißes Hemd und eine kurze schwarze Weste sind noch schneller eingekauft.
„Also, wenn die Verkäufer wüßten, daß du dich da grade für deine Hochzeit ausstaffiert hast …“, kichert Martha.
„Ich glaub, die würd’s nicht jucken, wenn ich in einem Kartoffelsack heiraten würde – Hauptsache, sie könnten den teuer verkaufen.“
„Ja, mag sein. Aber ich mag dein Outfit sehr.“
„Und das ist das Wichtigste für mich.“

„Ich würd‘ ja gerne bis zur Hochzeit noch ein bisschen abnehmen.“, meint Martha an diesem Abend zu mir.
„Warum denn? Du bist doch richtig so, wie du bist.“
„Ich will auch kein Strich in der Landschaft werden, nur ein bisschen …“
„Mach doch ein bisschen Kraftsport.“
„Was? Ich will doch nicht wie ‚ne Bodybuilderin aussehen!“ Sie zeigt mir ‚nen Vogel.
„Tust du nicht. Außer du schluckst diese Anabolika.“
Martha sieht mich zweifelnd an.
„Ehrlich.“
„Aber sind Muskeln nicht schwerer als … na ja, Speck?“
„Ist es nicht egal, was die Waage anzeigt, wenn du dich schlanker … und fitter fühlst?“
"Na ja …“
„Muskeln verbrauchen auch im Ruhezustand Energie. Heißt, wenn du mehr Muckis hast, verbrennst du schon Kalorien, wenn du nix tust.“
„Ach?“
„Mmm. Und wenn du jetzt meinst, dafür müßtest du stundenlang in der Muckibude schwitzen – brauchst du nicht. Für ‚n bisschen Muskelaufbau reichen schon drei Mal zehn Minuten die Woche. Und du brauchst auch kein teures Fitneß-Studio bezahlen, kannst einfach meine Hanteln nehmen.“
Martha sieht nicht so aus, als ob sie mir glaubt.
Später nimmt sie aber doch meine Hanteln in die Hand.
„Boah!“
„Martha! Hättest du gesagt, daß du es mal versuchen willst, hätt‘ ich vorher ‚n paar von den Scheiben runtergemacht.“
„Was?“
„Na, die Scheiben da an der Seite, das sind Kilogewichte. Sollst dich doch nicht mit meinen Gewichten abmühen.“
Ich glaube, Martha ist das etwas peinlich.
Ich ziehe sie an mich, küsse sie sanft. Und nehme dann soviel Gewicht von den Hanteln, bis es für Martha paßt.
„Immer noch ganz schön schwer.“, ächzt sie.
„Na ja, es muß so schwer sein, daß du es grade noch schaffst. Sonst werden die Muskeln nicht trainiert.“
„Wenn ich nicht an dir sehen würde, daß das funktioniert …“
„Hey, Süße … für mich mußt du das nicht machen, das weißt du. Ich liebe und will dich so, wie du bist. Aber du mußt dich in deinem eigenen Körper wohlfühlen. Und wenn’s ein oder zwei Pfund Speck weniger sein sollen …“
„Ich guck mal, wie konsequent ich bin. Aber so dreimal zehn Minuten sollten doch zu schaffen sein.“
„Wenn du erstmal ein paar mehr Muckis hast und die Übungen dir leichter fallen, dann macht’s auch Spaß, glaub mir.“
"Gut. Aber du guckst nicht zu, wenn ich … trainiere, klar?“
„Okay.“ Ich bemühe mich, nicht zu grinsen. „Ach so, noch was – maximal jeden zweiten Tag trainieren. Muskeln wachsen nämlich nur in der Ruhephase.“
"Ah, das ist gut.“, lacht Martha.
Ich gehe rüber ins Wohnzimmer und entspanne bei einem Glas Wein, während sich Martha mit den Hanteln abmüht. Zumindest denke ich, daß sie das tut.
Am nächsten Tag bemüht sie sich, vor mir zu verbergen, daß sie Muskelkater hat.
Was aber völlig normal ist.
Ich rate ihr, später ein schönes warmes Bad zu nehmen und massiere ihr sanft die schmerzenden Muskeln.
„Lieb, daß du mich nicht auslachst.“, meint sie.
„Warum sollte ich? Du tust was für deine Gesundheit und für ‚nen Muskelkater muß sich niemand schämen. Oder meinst du, ich hätte nie welchen gehabt?“
„Ich mach mir mal wieder zuviele Gedanken, nicht?“
„Ja.“

Der Muskelkater ist schnell vergessen, als Martha mal wieder mit Gräfin Elisabeth telefoniert.
Danach kommt sie aufgeregt zu mir.
„Du, ich hab denen von dem Potsdamer Laden erzählt und daß wir den übernehmen können, aber nicht wissen, ob wir das stemmen können. Und nun paß auf – Elisabeth und Charlie würden das gern tun. Also … nicht hierher ziehen. Aber die Geschäftsführung übernehmen, quasi den Laden von Düsseldorf aus führen. Die beiden würden gerne unsere Dessous da verkaufen lassen und sind auch sehr an den Babysachen interessiert. Sie halten das für ‚ne witzige Kombi. Das hätte den Vorteil, daß unsere Sachen weiter da verkauft würden, wir aber mit der Leitung und dem ganzen Steuerkram und so nix zu tun hätten. Was meinst du?“
„Klingt gut. Aber du weißt, daß ich nicht der Richtige bin, um sowas zu beurteilen.“
„Ja, weiß ich. Aber du weißt, daß ich sowas nie über deinen Kopf hinweg entscheiden würde. Und wenn du mir noch so vertraust.“
„Und ich weiß das zu schätzen, glaub mir.“
Sie strahlt mich glücklich an.
Diese Frau ist einfach wunderbar.
Und ich so ein Glückspilz.

Und schon sind es nur noch zwei Wochen bis zur Hochzeit.
Ich bin ganz ruhig, obwohl ich mich darauf freue, Martha zu heiraten.
Martha dagegen …
„Juri, wir haben ein Problem. Oh Gott, wie kann man nur so dämlich sein!“
Ich sehe sie besorgt an, sie wirkt völlig aufgelöst.
Und so springe ich auf, ziehe sie in meine Arme, streiche ihr beruhigend über den Kopf. „Was ist denn los?“
„Die Ringe!!!“
„Hm?“
„Unsere Trauringe! Wir … haben … keine! Schlichtweg vergessen. Mama hat mich heute danach gefragt, wer weiß, wann es mir eingefallen wäre. Gott, ist das peinlich!“
„Nun beruhige dich. Das regeln wir schon.“
„Ach, Juri, so schnell macht das doch keiner. Ich mein, es geht ja nicht nur um die Ringe selbst, da muß ja auch ‚ne Gravur rein.“
„Keine Panik. Auch das kriegen wir hin. … Sascha?“
„Ja, Meister?“
„Wir haben unsere Trauringe vergessen.“
„Ach du Scheiße!“
„Hältst du hier die Stellung?“
„Klar, Alter. Zieht los und viel Erfolg.“
Ich nehme meine verdutzte Martha bei der Hand und ziehe sie mit mir.
Unterwegs zur U-Bahn frage ich sie: „Hast du denn bestimmte Vorstellungen von unseren Ringen?“
„Na ja, einfach schlichte Goldringe, würde ich sagen.“
„Und die Gravur?“
„Also kein so’n kitschiger Spruch. Das paßt doch nicht zu uns, oder?“
„Nein, sicher nicht. Was ist mit ‚Martha und Juri“ und dann das Datum?“
Martha kichert. „Minimalistisch, aber gut. Halt auf das Wesentliche beschränkt.“
„Genau. Mehr brauchen wir doch nicht. Oder willst du sowas wie ‚In ewiger Liebe“ und so’n Schmus in deinem Ring?“
„Quatsch. Hab doch gesagt, nichts Kitschiges. Also nicht, daß ewige Liebe kitschig wäre. Aber als Gravur in ‚nem Ring dann irgendwie doch.“
„Und so eine einfache Gravur sollte jeder Juwelier in zwei Wochen hinkriegen.“
„Stimmt.“
Und genau so ist es.
Bei einem Juwelier in der Nähe des Ku’damms suchen wir uns schöne Goldringe aus, die fertig gravierten Stücke können wir in drei Tagen schon abholen.
„Siehste, Problem schon erledigt.“
„Wenn ich dich nicht hätte!“
„Dann hättest du all diese Probleme gar nicht.“, lache ich.
„Aber auch wesentlich weniger Spaß und Glück.“

Als die letzte Woche anbricht, kommt Martha nur noch nachts zur Ruhe.
Es ist zwar schön, daß sie sich – an mich gekuschelt – entspannen kann.
Tagsüber ist sie dafür umso unruhiger.
Ich glaube, ihre Checkliste legt sie gar nicht mehr aus der Hand.
Und dabei machen wir doch gar keinen großen Wirbel um das alles.
„Martha!“
„Durchatmen, ich weiß.“, lacht sie.
Immerhin hat sie gute Laune, trotz ihrer Unruhe.

Was die Reise nach Düsseldorf angeht, sind wir uns einig geworden, daß selber fahren diesmal nicht in Frage kommt, weil es zu lange dauern würde. Unsere Trauung ist um zehn Uhr vormittags. Wir würden kaum vor zwölf losfahren können. Und schon ziemlich müde in Düsseldorf ankommen.
Wir werden fliegen.
Allerdings nur Martha und ich. Sascha und Denise kommen mit dem Zug, ebenso wie Josie und Gloria. Janine kann leider nicht. Und Finchen hat lachend abgewinkt.
„Das ist nichts für mich. Ich bin gern bei eurer Trauung dabei, aber feiern tut ihr mal unter euch. Ich mach’s mir hier mit Carlo gemütlich.“ Wie zur Bestätigung schnurrt unser Familienkater genüßlich.
Marthas Eltern werden ebenfalls mit dem Zug anreisen. Im Gegensatz zu allen anderen Auswärtigen kommen sie jedoch einen Tag vor der Trauung zu uns, da sie dabei sein wollen, wenn Martha und ich uns das Ja-Wort geben. Martha hätte es auch kreuzunglücklich gemacht, ihre Eltern bei diesem besonderen Moment nicht dabei zu haben.
„Machst du dir noch Hoffnungen, von deinem Onkel zu hören?“, fragt Martha.
„Nein. Zumindest nicht rechtzeitig. Ich hab einfach zu spät den Mut gefunden, den Kontakt zu suchen.“
„Hey, wann immer du ihn findest, das wird immer noch der richtige Moment sein.“
Und sie findet immer die richtigen Worte.
Die letzten Tage versuchen wir alle gemeinsam, zu erledigen, was zu erledigen ist. Denn unser Laden wird von Donnerstag bis einschließlich Montag nächster Woche geschlossen sein. Donnerstag kommen Marthas Eltern, Freitag heiraten wir, kommen dann irgendwann am Wochenende aus Düsseldorf zurück und den Montag gönnen wir uns einfach noch, um alles sacken zu lassen.
Das heißt, Martha und ich kümmern uns um unsere Kollektionen, Sascha erledigt die Einkäufe, Denise bringt die Buchhaltung auf den neuesten Stand und Carlo überwacht das alles.
Und so ist der Donnerstag ganz schnell da.
Martha und ich holen Peter und Gisela vom Zug ab.
Nach der ausgiebigen Begrüßung fragt Gisela: „Und? Schon sehr aufgeregt?“
„Ich ab bloß Angst, trotz aller Vorsorge doch was Wichtiges vergessen zu haben.“, lacht Martha.
„Das einzig wirklich Wichtige steht neben dir.“, meint Peter und blickt von seiner Tochter zu mir.
„Stimmt.“ Martha legt einen Arm um mich und wir lächeln uns an.
„Wir sind schon so gespannt auf euren Laden.“ Gisela scheint mir ein wenig hibbelig und erinnert mich damit irgendwie an Martha.
„Ja, jetzt sind wir schon ein Jahr hier und ihr habt den bis jetzt nur auf Fotos gesehen. Das muß sich nun aber mal ändern. … Da! Da … Sascha und Denise warten echt vor dem Laden auf uns!“
Warum auch nicht? Die Sonne scheint, es ist angenehm warm …
Meine Martha springt mir vor Ungeduld fast aus dem fahrenden Auto.
Dann trippelt sie von einem Bein auf’s andere, während ihre Eltern langsam aussteigen.
Ich nicke zu Martha rüber und lache Sascha zu, der auch lacht.
Während ich das wenige Gepäck, das Marthas Eltern dabei haben, auslade, schleift sie die beiden rüber zu unseren Freunden.
„Ja, das sind Sascha und Denise, unsere besten Freunde. Die wir nicht mehr missen möchten und ohne die wir auch den Laden nicht schmeißen könnten. … Und das sind Peter und Gisela, meine Eltern.“
Sascha verbeugt sich leicht vor Gisela, „Madame!“ und gibt ihr einen Handkuß.
„Boah, das machst du bei mir nie.“, beklagt sich Denise.
Aber Gisela findet Saschas Show anscheinend ganz charmant.
„Kommt, ich zeig euch alles!“, will Martha gleich loslegen.
„Martha! Laß doch deine Eltern erstmal ankommen. Ich schlage vor, wir setzen uns auf die Terrasse, trinken einen Kaffee und DANN kannst du den beiden alles zeigen.“
Martha wird rot.
„Schon gut, Spatz. Wir wissen ja, wie stolz du auf das alles hier bist. Aber ein Kaffee wär wirklich nicht schlecht.“ Gisela streichelt Martha über die Wange.
„Draußen ist schon gedeckt.“, meint Denise.
So sitzen wir also draußen in der Sonne und plaudern … über die Hochzeit natürlich.
„Und ihr macht echt keinen Polterabend, keinen Junggesellenabschied?“, fragt Peter.
„Wir machen uns da nichts draus. Juri schon gar nicht.“
Ich nicke zur Bestätigung. Und füge dann hinzu: „Wenn man einen Tag vor der Hochzeit noch das Bedürfnis hat, seine Freiheit auszukosten, sollte man besser nicht heiraten.“
„Auch wieder wahr.“, meint Peter.
„Ich wüßte jedenfalls nicht, warum ich den heutigen Abend mit irgendwelchen Kumpels statt mit Martha verbringen sollte.“
„Ihr seht, Juri fehlt völlig das Verständnis für solche … Veranstaltungen.“, kichert Martha. „Und ehrlich: Ich bin froh drüber. Also nicht, daß ich Juri nicht vertrauen würde. Auf so einem … Junggesellenabschied würd‘ nix passieren, das weiß ich.“
„Und wenn man mir so ‚ne Stripperin nackt auf den Bauch binden würde – kein Interesse.“ Ich beuge mich zu Martha hinüber und küsse sie zärtlich.
Peter und Gisela strahlen. Und Peter meint: „Du bist goldrichtig und einen besseren Mann können wir uns für unsere Martha gar nicht wünschen.“
Ich glaube, jetzt werde ich ein bisschen rot.
Dann wendet sich Gisela an Denise. „Wie geht es dir? Martha hat erzählt …“
„… daß ich schwanger bin? Ich weiß. Gut geht es mir.“
„Wollt ihr denn auch heiraten? Und sorry, wenn wir zu neugierig sind.“
„Nein, nein, das ist schon okay.“
„Ehrlich gesagt, interessiert mich das jetzt auch.“, sage ich und sehe Sascha und Denise gespannt an.
„Na ja, bei all dem Trubel in den letzten Wochen … ja, wir werden heiraten. Wir wollen zusammenbleiben und eine richtige Familie werden. Aber wir werden uns um die Formalitäten und einen Termin erst kümmern, wenn’s hier wieder ein wenig ruhiger ist. Es eilt ja nicht. Aber auf jeden Fall heiraten wir, bevor das Baby da ist.“ Denise lacht und Sascha küßt sie zärtlich auf die Stirn.
„Wollt ihr mein Kleid sehen? Es ist … der absolute Traum!“, platzt Martha raus.
„Ja, sicher.“, nickt Gisela.
„Ich kann’s eben holen, ja?“
„Ja, lauf nur.“ Peter lacht, während Martha schon aufgesprungen ist und lossaust.
Wir sehen ihr nach. Dann sehe ich Sascha an und er mich, wie so oft in solchen Situationen.
„Ist euch unsere Martha echt nie zu anstrengend?“, will Gisela wissen.
Sascha, Denise und ich schütteln entschieden den Kopf.
„Du, ich glaube, die lieben sie gerade, weil sie so ist. Also Juri zumindest.“, meint Peter.
„Wenn sie nicht so wäre, wäre sie nicht Martha.“, sagt Sascha und trifft es damit exakt.
Dann ist Martha wieder da und präsentiert stolz und glücklich ihr Kleid.
„Und das hast du gemacht?“, fragt mich Gisela.
„Na ja, ich hab’s entworfen. Im Nähen bin ich nicht so gut.“
„Es ist wirklich wundervoll.“
„Danke.“
„Und den Bär hier, den hat Juri selbst gehäkelt. Und das war ein echtes Opfer, denn …“
„… das kann ich noch weniger als nähen.“
„Also viel besser hätte ich den auch nicht hingekriegt. Und es bedeutet mir so viel, daß du dir meinetwegen soviel Mühe gemacht hast.“
„Ich glaube, dein Juri würde noch ganz andere Dinge für dich machen.“, meint Gisela.
„Ja und bevor du vor Ungeduld noch platzt – dann zeig uns mal euren schönen Laden!“ Peter steht auf und bietet seiner Tochter den Arm.
Martha verschwindet mit ihren Eltern im Haus, Sascha, Denise und ich bleiben draußen sitzen.
„Also, bei Marthas Mama hast du echt ‚nen Stein im Brett.“, grinst Sascha. „Ich dacht‘ ja, Martha übertreibt, als sie erzählte, Gisela würde dich selber heiraten, wenn sie könnte. Aber jetzt glaub ich’s auch.“
„Halt die Klappe.“, brumme ich.
„Hey, es gibt Schlimmeres als ein gutes Verhältnis zu seiner Schwiegermutter.“, meint Denise. „Ich finde die beiden supersympathisch und es ist offensichtlich, daß sie dir ihre geliebte Tochter wirklich gerne zur Frau geben.“
Damit hat sie wohl Recht.
Ich und der perfekte Schwiegersohn? Das klingt verrückt.
Aber seit ich Martha kenne, steht mein Leben Kopf. Zum Glück.

Es dauert eine ganze Weile, bis die drei wiederkommen.
„Also, euer Laden ist wirklich toll. Und eine schöne Wohnung habt ihr auch. Kein Wunder, daß ihr euch hier wohlfühlt.“ Peter scheint ziemlich begeistert zu sein.
„Es ist einfach klasse, morgens nur die Treppe runter zu müssen und schon am Arbeitsplatz zu sein. Keine nassen Füße bei Regen.“, lacht Martha.
„Du kannst dich schnell umziehen, wenn du dich mal wieder bekleckert hast.“
„JURI!“ Martha sieht mich empört an.
Aber ich küsse sie sanft und als ich ihr anschließend in die Augen schaue, ist ihre – ohnehin nur gespielte – Empörung offenbar sehr zärtlichen Gefühlen gewichen. Sie seufzt leise und lehnt ihre Stirn an meine.
„Ja, da sind Sie ja!“
Ah, Finchen.
Peter und Gisela sehen sie an; durch Marthas Erzählungen wissen sie natürlich gleich, wen sie vor sich haben.
„Ich bin Finchen, so ein Art guter Hausgeist.“, lacht sie.
Sie und Marthas Eltern verstehen sich auf Anhieb.
Auch Carlo findet Peter und Gisela offenbar sympathisch, denn bald schon hat er sich auf Giselas Schoß eingerollt.
Da Marthas Eltern nicht wild drauf sind, Berlin zu erkunden, entscheiden wir, später bei unserem Mexikaner zu essen und es uns ansonsten hier gemütlich zu machen.

Der Besuch beim Mexikaner wird lustig.
Martha erzählt nämlich in allen Einzelheiten von unserem „Geschäftsessen“ damals in Düsseldorf.
Und ich kann nicht widerstehen und gestehe, daß es mir schon Spaß gemacht hat, Martha zu necken und mit der Sache mit Emilio aufzuziehen.
Sascha kannte auch noch nicht alle Details.
Marthas Eltern können jetzt gut verstehen, warum der hiesige Mexikaner zu unserem Stamm-Lokal wurde.
Anschließend machen wir es uns in unserem Wohnzimmer gemütlich und plaudern noch eine Weile.
Das heißt, ich sitze da, halte Martha im Arm und wir hören zu, wie sich Marthas Eltern angeregt mit Sascha und Denise unterhalten.
Dann verabschieden sich Gisela und Peter bis morgen; sie werden in unserem Bett übernachten, während Martha und ich uns einfach auf der Couch einkuscheln.
Ich liege noch wach, als Martha schon entspannt schläft und denke:
Morgen … morgen wird Martha meine Frau …
Mit diesem glücklichen Gedanken schlafe auch ich ein.