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Samstag, 24. August 2013

Inside - Unser Neuanfang in Berlin, Teil 1

 
Kapitel 1

Wir sitzen am Flughafen und warten auf unseren Aufruf.
Martha ist aufgeregt und quasselt ununterbrochen.
Nur wenn ich sie küsse, hört sie damit auf.
Deshalb küsse ich sie ziemlich oft.
Sie hat aber auch nichts dagegen, sondern erwidert meine Küsse sehr zärtlich und innig.
Als wir dann im Flieger sitzen, beruhigt sie sich und schläft schließlich an meine Schulter gelehnt ein.
Wenn der Tag schon für mich nervenaufreibend war, wie muß es dann für sie gewesen sein?
Ich schließe die Augen und denke nach.
Viel ist in den letzten Tagen passiert.
Eigentlich passiert ständig etwas, seit ich Martha kennengelernt habe.
Sie hat mein Leben total auf den Kopf gestellt.
Aber auf sehr positive Weise.
Ich bin verlobt!
Mancher, der mich aus der Zeit vor Martha kennt, würde das schlicht nicht glauben.
Aber es fühlt sich gut und absolut richtig an.
Und nun unser eigener Laden.
Ich hätte nicht gedacht, daß meine Zeit in Düsseldorf so kurz bemessen sein würde, aber es ist okay.
Wirklich wohlgefühlt habe ich mich bei LCL nicht.
Dieser ganze Intrigen-Scheiß hinter den Kulissen, die Machtspielchen, das Familiengezänk … die sind doch alle total bekloppt da.
Es ist gut, daß Martha und ich da weg sind.
Seit Alexa Berg da ist, ist alles noch schlimmer geworden. Ich hab das Gefühl, da braut sich richtig Unheil zusammen.

Dann sind wir gelandet und nehmen uns ein Taxi.
Ich bin sehr gespannt auf unsere kleine Wohnung, die direkt über dem Laden liegt.
Keine wirklich langen Arbeitswege.
Und um’s Schneechaos im Winter müssen wir uns keinen Kopf machen.
Wir werden immer warm und trocken zur Arbeit kommen.
Und immer pünktlich öffnen.
Außer wir vertrödeln uns unter der Dusche …
Und wir haben eine Küche.
Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten.
Nicht nur für’s Kochen.
Während ich in Gedanken versunken bin, ruft Martha ihre Freundin an. Diese wird gleich kommen, um uns die Schlüssel zu geben und uns alles zu zeigen.

Wir stehen vor dem Laden.
Das Firmenschild fehlt noch.
Aber wir haben wohl beide kein Problem, es vor unserem geistigen Auge dort hängen zu sehen.
Unser Laden, Juri!“, strahlt Martha mich an.
Und fällt mir um den Hals.
Ich drücke sie glücklich an mich.
Martha ist hibbelig und weiß nicht, ob sie zuerst den Laden oder die Wohnung sehen möchte.
Und da kommt ihre Freundin.
Die beäugt mich neugierig; ich habe keine Ahnung, was Martha ihr von mir erzählt hat.
Denise hat das Schild morgen fertig.“, erzählt sie. „Sie hat auch zwei Jungs angeheuert, die es anbringen. Soll ja auch beleuchtet sein, nicht?“
Martha nickt.
Ich hätte natürlich an sowas wie eine Beleuchtung nicht gedacht.
Gut, daß ich Martha habe.
Ja und so schaut es also aus.“
Ja, das gefällt mir.
Der Ladenraum ist zu zwei Drittel gut vom Tageslicht ausgeleuchtet.
Ich hab da schon ein paar Ideen, wie man das hintere Drittel gestalten könnte.
Martha sieht sich begeistert um.
Es ist offensichtlich, daß auch sie in Gedanken schon am Gestalten ist.
Sicher kann sie es kaum erwarten, loszuwuseln.
Aber nicht mehr heute!
Hinter dem eigentlichen Ladenraum gibt es eine Teeküche, die man aber auch als Büro nutzen könnte, wenn man sich mit seinem Kram nicht allzu sehr ausbreitet.
Doch, der Laden ist wirklich fein.

Dann geht es rauf in die Wohnung.
Fünfzig Quadratmeter auf zwei Zimmer, Küche und Bad verteilt ist nicht viel, aber ich denke, mehr brauchen wir beide nicht, um uns wohl zu fühlen.
Martha scheint jedenfalls sehr zufrieden zu sein – ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen.
Mika, Marthas Freundin überläßt uns ihre Wohnungseinrichtung.
Das ist lieb, denn wir müssen ja vorrangig den Laden ans Laufen bringen.
Mika meint ganz richtig, daß wir uns nach und nach so einrichten können, wie wir es möchten.
Ich bin da eh anspruchslos.
Ein Bett und was, wo ich arbeiten kann.
Mir ist klar, daß einer Frau das auf Dauer nicht genügen würde.
Nicht mal Martha, die in meinem spärlich eingerichteten und chaotischen Loft trotzdem glücklich war.
Schön, nicht?“, dreht sich meine Süße zu mir rum.
Ich nicke und ziehe sie zu einem zärtlichen Kuß an mich.

Dann verabschieden sich die beiden Freundinnen.
Und Martha und ich sind allein.
Was machen wir zuerst? Ich denke, wir packen erstmal aus. Oder nein, wir gehen runter und machen schon mal eine grobe Skizze, wie wir was stellen wollen. Oder …“
Ich drücke meine Lippen auf ihre und bremse sie so aus.
Meine Süße! Heute machen wir gar nichts mehr außer gemütlich essen gehen, ein bisschen was für’s Frühstück morgen einkaufen … und dann gehörst du mir.“
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und sehe sie eindringlich an.
Doch sie lacht nur und küßt mich.
Aber nachher ganz schnell auspacken darf ich? Wenigstens die Anziehsachen.“
Ich verdrehe die Augen. Aber es ist wie mit der blöden Schneider-Puppe … sie sieht mir in die Augen und ich kann ihr nicht widerstehen …

Sie beeilt sich mir zuliebe und dann gehen wir los, gucken, wo wir lecker essen können.
Ein paar Blocks weiter sehen wir ein mexikanisches Restaurant.
Wir blicken uns an und lachen beide los.
Keiner von uns muß 'Weißt du noch …?' fragen, das liegt quasi in der Luft.
Und es ist sowas von klar, daß das unser Stammlokal werden wird.

Satt und zufrieden und richtig gut gelaunt machen wir noch einen kleinen Verdauungsspaziergang.
Sascha ruft an, will wissen, ob wir gut angekommen sind.
Das ist lieb; er freut sich, daß wir mit Laden und Wohnung so zufrieden sind.
Und dann sind wir daheim …

Der Tag war aufregend, anstrengend und obwohl wir unsere Wohnung noch so richtig einweihen müßten, ist uns nur noch nach Kuscheln.
Martha läßt den Tag noch einmal Revue passieren, wird dann auf einmal ganz still.
Und ich begreife, daß ihr gerade bewußt wird, daß sie ihre Familie nicht mehr so oft sehen wird, wie sie möchte.
Aber hey, die fünfhundertfünfzig Kilometer, die ihr so weit, zu weit weg schienen, sind gar nicht sooo weit. Nicht zu weit, um ihre Familie regelmäßig zu besuchen.
Mir fällt die Trennung leichter, ich habe niemanden zurückgelassen, der mir wichtig wäre.
Doch, einen Menschen schon … Sascha.
Aber der Mensch, der mir am meisten bedeutet, der liegt neben mir.
Martha scheint einen ähnlichen Gedanken zu haben, denn sie lächelt mich an und mit einem zufriedenen Seufzer kuschelt sie sich enger an mich.
Korolok.“, flüstert sie.
So fühle ich mich gerade auch … wie ein kleiner König.
Und so schlafen wir an unserem ersten Abend in Berlin ein ...

Kapitel 2

Wir haben ein kleines Dachfenster, durch das die Sonne morgens scheint.
Da Hochsommer ist, tut sie das schon ziemlich früh.
Ich denke, wir werden das Bett ein wenig umstellen.
Aber nicht jetzt.
Martha liegt mit dem Rücken zu mir und schläft noch friedlich.
Aber sie wurde ja auch nicht von der Sonne an der Nase wachgekitzelt.
Ich küsse zärtlich ihren Nacken, meine Hände finden von ganz allein ihren Weg.
Sie seufzt im Halbschlaf, kuschelt sich dichter an mich.
Ich bin so verdammt glücklich.

Nachdem wir unser neues Heim dann doch richtig schön eingeweiht haben, frühstücken wir ganz dekadent im Bett.
Ich scheine auf meine alten Tage noch romantisch zu werden, denn ich hatte plötzlich die verrückte Idee, eine der Blumen aus dem Kasten vor dem Fenster zu ziehen, mir zwischen die Zähne zu klemmen und nur mit dem Frühstückstablett bekleidet vor Martha zu erscheinen.
Martha prustet vor Lachen.
Juri!“
Waf denn?“
Sie lacht immer noch.
Ich versuche, ein gekränktes Gesicht zu machen, was mir aber nicht ganz gelingt, denn eigentlich finde ich es auch komisch.
Du bist echt süß.“, meint sie und sieht mich zärtlich an.
Schnell ist das Tablett abgestellt, die Blume ausgespuckt und Martha geküßt.

Nach dem Frühstück sind wir beide zappelig und wollen uns an die Arbeit machen.
Martha zeichnet einen Grundriß des Ladens und da hinein, was in etwa wo hinkommen soll.
Sie hängt sich ans Telefon und bestellt Stoffe, Wolle und einiges mehr.
Ich muß mich anstrengen, mich auf meine eigene Arbeit zu konzentrieren, denn Martha zuzusehen, wie sie emsig wuselt, ist eine Verlockung.
Sie ist so süß, wenn sie unter Dampf steht.
Aber sie vergißt mich nicht.
Wann immer sie an mir vorbeikommt, küßt sie mich.
Und strahlt.
Sonniger kann es draußen gar nicht sein.

Gegen Mittag kommen die Jungs, die unser Ladenschild anbringen sollen.
Das Schild ist einfach toll geworden, finden wir alle.
Die Anbringung ist der Beleuchtung wegen nicht ganz einfach, aber die Jungs kriegen das hin.
Ich mache sofort ein Foto von Martha vor unserem Laden mit dem tollen neuen Schild.
Und Martha bittet einen der Jungs, sie und mich vor dem Laden festzuhalten.
Ich lege den Arm um meine Süße und drücke sie fest an mich.
Sie dreht mir ihr Gesicht zu und ich sehe, daß auch sie vor Glück platzen könnte.

Es ist natürlich nicht immer alles easy.
Später am Tag ist der Strom weg.
Martha ruft erstmal Mika an, die meint, das sei ihr auch hin und wieder passiert; da sei wohl ein Wackelkontakt im Verteilerkasten oder so.
Unwillkürlich muß ich an Sascha denken.
Den könnten wir jetzt gut brauchen.
Obwohl es bescheuert ist, rufe ich ihn an.
Hey, Alter, wie geht es euch?“
Danke, sehr gut. Uns ist nur der Strom ausgegangen.“
Hä?“
Hier stimmt was mit dem Strom nicht.“
Und jetzt soll ich vorbeikommen und das in Ordnung bringen?“
Könntest du?“
Du bist doch verrückt!“
Darauf sage ich lieber nichts.
Ich könnte ein paar Tage Urlaub nehmen. Ich wäre ohnehin gerne bei der Einweihung dabei. Aber ich weiß nicht, wo ich die Kohle für die Fahrt hernehmen soll.“
Wenn das deine einzige Sorge ist … mach das mit deinem Urlaub klar und schwing deinen Arsch in den nächsten Flieger. Ich laß dir so ‚nen Fluggutschein hinterlegen.“
So einen, wie du Martha gegeben hast?“
Ja, du Blödmann.“
Als ich Martha von dem Gespräch erzähle, meint sie auch, ich wäre verrückt.
Aber der beste, liebste, süßeste Verrückte, den es gibt.“
Damit kann ich gut leben, denke ich.
Genüßlich küßt sie mich.
Das mit dem Gutschein erledige ich sofort; ich kenne mich ja.

Am Nachmittag klappern wir diverse Läden ab, um dekorative Kleiderständer, Schaufensterpuppen und sowas zu organisieren.
Wir wollen unsere Kreationen ja nicht an die Wände tackern.
Das ist alles gar nicht so einfach.
Ohne Martha hätte ich entnervt aufgegeben.
Aber sie bleibt trotz der Hitze cool.
Wir holen uns was zu trinken, setzen uns in den Schatten eines Baumes und ich ziehe mein Shirt aus. So ruhen wir eine Weile aus.
Ich will mein Shirt nicht wieder anziehen, doch Martha meint, so verlockend der Anblick meines trainierten Körpers ja wäre, ich könne nicht oben ohne durch die Läden ziehen.
Widerwillig vor mich hin knurrend ziehe ich mir das Shirt wieder über.
Alter Brummbär!“, meint sie zärtlich.

Am frühen Abend ist das Nötigste besorgt und wir beschließen, es für heute gut sein zu lassen.
Ich will definitiv nichts mehr tun außer ausgiebig duschen, gemütlich essen gehen und anschließend noch mal duschen, mit Martha zusammen. Und was sich daraus so ergeben mag.
Ich bin gerade bei Teil eins meines Programms, als es unten klingelt.
Martha öffnet.
Sascha!!!“
Der alte Gauner! Ist er tatsächlich hier!
Ich trockne mich dürftig ab, springe in Shorts und flitze runter, um ihn zu drücken.
Ey, ist gut, ja? Bei der Hitze ist mir nicht so nach Kuscheln mit dir.“
War er bei dir auch so zickig?“, frage ich Martha.
Och …“, grinst sie.
Aha!“ So ist das also.
Hey, der Laden sieht von außen schon mal richtig geil aus.“
Danke.“
Und was habt ihr für ein Problem mit dem Strom?“
Darum kannst du dich morgen kümmern. Wir haben Hunger.“, sage ich.
Okay.“, meint Sascha grinsend. „Mit hungernden Künstlern ist nicht zu spaßen.“

Wir verbringen einen heiteren Abend beim Mexikaner und etlichen Tequilas.
Gut gelaunt machen wir uns anschließend auf den kurzen Heimweg.
Sascha hat seinen Schlafsack dabei und so kann er sich’s im Laden gemütlich machen.

Als Martha und ich am nächsten Morgen in den Laden runterkommen, ist Sascha schon auf.
Hör mal, das ist kein Ding, ich müßte nur mal in ‚nen Baumarkt. Dann habt ihr im Handumdrehen wieder Strom.“
Das sollte sich einrichten lassen.
Wir machen uns gleich auf den Weg, solange es noch nicht ganz so heiß ist.
Wobei man es in der U-Bahn echt gut aushalten kann.
Als Sascha hat, was er braucht, schauen wir bei Denise vorbei.
Die hat die Flyer für die Eröffnungsfeier fertig. Und es wird auch Zeit, die zu verteilen.
Denise ist ein Schatz; sie wird beim Verteilen helfen.
Wir können ja zwei und zwei gehen.“, schlägt Sascha vor.
Ich sehe ihn an und kann mich des Verdachts nicht erwehren, daß Denise ihm gefällt.
Du kümmerst dich erstmal schön um unser Strom-Problem, danach kannst du soviel turteln, wie du willst.“
Ich ducke mich rein vorsorglich und in der Tat tut Sascha so, als wollte er mir eine reinhauen.
Denise lacht nur und fragt, ob wir gemeinsam was essen wollen.
Essen ist immer gut.
Seit wir in Berlin sind, bin ich chronisch hungrig.

Nach dem Essen fühle ich mich ziemlich träge. Es ist inzwischen auch ziemlich heiß.
Juri, ich denke, auf Dauer sollte einer von uns mobil sein. Du hast doch ‚nen Führerschein, nicht?“
Martha sieht mich fragend an und ich nicke.
Hey, ein Wagen mit eurem Logo drauf, das hätte schon was.“, meint Sascha.
Später vielleicht mal, Sascha, das ist echt zu teuer.“, wendet Martha ein. „Aber irgendwas Gebrauchtes, was noch zuverlässig ist ...“
Ich hör mich mal für euch um.“, verspricht Denise.
Ich habe hier anscheinend nichts mehr zu sagen, denke ich mir und lehne mich grinsend zurück.
Sag mal, Juri, hast du eigentlich schon dein Gewerbe angemeldet?“
Was? … Scheiße!“, fluche ich herzhaft, weil ich an sowas Profanes natürlich nicht gedacht habe.
Oh nein!“, meint Martha schuldbewußt und scheint sich in ihre Zeit als meine Assistentin zurückversetzt zu fühlen.
Denise sieht auf die Uhr und meint: „Dann kümmern wir uns am besten sofort darum. Wie schnell die das bearbeiten, weiß ich freilich nicht. Komm!“
Sie steht auf und sieht mich auffordernd an.
Seufzend erhebe ich mich; das muß wohl sein.
Sascha und ich werden inzwischen auch nicht faul sein, nicht?“ Martha winkt der Bedienung, daß sie zahlen möchte.
Natürlich nicht.“, meint Sascha und wirft Denise einen bedauernden Blick zu.
Die ruft uns ein Taxi.
Ich ziehe Martha kurz an mich und küsse sie zärtlich.
Bis später, mein Schatz.“, sagt sie liebevoll.
Denise packt mich am Arm, das Taxi ist da.

Im Taxi ist es angenehm, die Klimaanlage läuft.
Da ist euer Freund Sascha also mal eben aus Düsseldorf hergekommen, um euch den Strom zu reparieren?“
Na ja, ich hab ihm den Flug bezahlt.“
Trotzdem. Das würde nicht jeder machen.“
Ich nicke.
Du wüßtest nicht vielleicht einen Job für ihn?“, frage ich sie.
Er will hierbleiben?“
Ja. Er weiß es nur noch nicht.“
Denise lacht. „Könnt ihr nicht selbst jemanden brauchen? Für Büroangelegenheiten, Einkauf, Kundenbetreuung, Buchhaltung und so weiter.“
Oh je! Das klingt so, als könnte das Martha alleine kaum schaffen. Eigentlich müßte ich ja auch … aber ich und Bürokram? Dann könnten wir den Laden gleich wieder dicht machen.
Ich glaub, Sascha hat jetzt nicht so die Ahnung von Buchhaltung.“, wende ich ein, obwohl mir die Idee gefällt, daß Sascha für und mit uns arbeiten könnte.
Das läßt sich alles lernen. Ich bring ihm gern die Grundlagen bei.“
Ich habe das Gefühl, daß Saschas Sympathie für Denise auf Gegenseitigkeit beruht.

Zum Glück ist Denise bei mir, denn ich hätte nicht die Geduld für diesen Papierkram gehabt.
Ich habe nicht die geringste Ahnung, wieviel Umsatz wir erwarten.
Die Hitze läßt mich auch ein wenig gereizt werden.
Aber Denise bleibt cool und regelt alles für mich.
Glücklicherweise erwischen wir eine nette Dame, die uns verspricht, daß die Sache spätestens übermorgen bearbeitet ist.
Wie schaut es eigentlich mit dem Catering für eure Eröffnungsfeier aus?“, fragt Denise, als wir auf dem Heimweg sind.
Ich fahre mir mit den Händen durch die Haare und verdrehe die Augen.
Was mag da noch alles auf uns zu kommen?

Kapitel 3

Wieder zurück, treffen wir Martha und Sascha beim Plaudern an.
Soso.“, mache ich anzüglich und versuche die beiden streng anzusehen.
Sascha grinst nur.
Martha kommt auf mich zu und küßt mich zärtlich.
Und da soll ich streng bleiben?
Ich seufze nur genießerisch.
Strom läuft.“, höre ich Sascha sagen.
Du biff Sbifze!“, nuschle ich zurück, weil ich meine Lippen noch nicht von Marthas lösen möchte.
Doch das muß ich jetzt, weil Martha losprustet. „Juri!“
Was denn?
Danke, Alter!“, wende ich mich Sascha zu und klopfe ihm anerkennend auf die Schulter. „Was würden wir nur ohne dich machen?“
Verzweifeln?“
Was würdest du davon halten, dich ganz hier niederzulassen?“
Hm …“
Was hm?“
Strenggenommen hält mich nicht viel in Düsseldorf. Okay, die Kumpels vom Boxclub … Aber sicher nicht der Job. Und ganz sicher nicht die WG.“
Ist es nicht nett da? Dana ist doch da.“, meint Martha.
Ja, Dana ist okay. Doch, die mag ich leiden. Aber diese Bella und ihr Andi nerven und ganz schlimm ist Jessica.“ Sascha verzieht angewidert das Gesicht.
Jessica? Das blonde Model, Tanjas Assistentin? Ich hab mich immer schon gefragt, wie die an diesen Job gekommen ist … hochgeschlafen kann sie sich ja nicht haben.“ Ich muß grinsen.
Die hat versucht, sich an mich ranzumachen. Schiebt Frust, weil sie den Weißkittel nicht haben kann und ich bin dann gut genug. Aber nicht mit mir! Hab sie gefragt, ob sie es nicht war, die bei LCL alle vor mir gewarnt hat, ich sei ein Krimineller und sie sollten bloß alle auf ihre Sachen aufpassen. Das hab ich nämlich nicht vergessen. Und so notgeil bin ich nicht.“
Ich nicke ihm anerkennend zu.
Ja, nee, Jessica ist nicht die Allerhellste, das muß ich zugeben. Und sie kann manchmal auch ganz schön fies sein. Und ich fürchte auch, wenn sie einen … Besseren … du weißt schon … findet, läßt sie dich fallen. Und das hättest du echt nicht verdient.“
Da muß ich Martha Recht geben.
Ich würde es übrigens auch toll finden, wenn du nach Berlin ziehen würdest. Weil … irgendwie gehörst du zu uns. … Wir haben … na ja, einiges zusammen durchgemacht.“
Wieder muß ich Martha Recht geben.
Na ja, irgendwer muß sich ja um die alltäglichen Problemchen kümmern, während ihr Künstler in höheren Sphären schwebt.“
Ey!“ Martha funkelt ihn gespielt böse an. Das steht ihr so gut … hach, ich könnt‘ sie schon wieder …
Wenn ihr mir ‚ne Bude und ‚nen Job besorgt … viel zu regeln hab ich nicht in Düsseldorf. Den Hausmeister-Job schmeißen, mich von den Jungs verabschieden und mein Bündel schnüren … sagt mir Bescheid, ja?“
Ich hör mich mal um. Was kannst du denn so anbieten?“, will Denise wissen.
Kann ich dir gern beim Abendessen erzählen.“
Okay.“
Hm. Denise scheint tatsächlich Gefallen an Sascha zu finden.

Dann beginnt Martha eine Liste anzulegen, was alles noch zu tun ist.
Schon nach wenigen Minuten schwirrt mir der Kopf.
Sascha will sich mit Denise um’s Catering kümmern.
Machst du deine Ras…dingsbums?“, fragt Martha.
Ražnjići.“ Sascha lacht.
Als Denise fragend schaut, erklärt Martha: „Sascha macht saugeile Balkanspieße.“
Ich kann nicht anders, ich muß sie küssen.
Sie lacht und erwidert meinen Kuß so zärtlich, so innig, daß ich sie gar nicht mehr loslassen möchte.
Du legst deine Süße aber nicht gleich hier auf dem Tapeziertisch flach?“ Sascha grinst sich einen.
Ja nee, das würde der ja gar nicht aushalten.“, grinse ich zurück und lasse Martha mit Bedauern los.
Ich schlage vor, wir verteilen eine Runde Flyer und währenddessen können wir uns überlegen, was wir an Essen und Trinken anbieten, okay?“
Sascha nickt und die beiden verabschieden sich.
Martha und ich sehen uns an und lachen.
Die sind ja süß zusammen.“, meint sie.

Martha würde den Innenraum gerne in den Farben unseres Logos streichen, also in pink und mint und ich bringe es nicht über mich, nein zu sagen, obwohl die Farbe eine Stange Geld kosten wird.
Ich würde ja gerne einwenden, daß die Farbe nicht bis zur Eröffnung getrocknet ist, aber bei den Temperaturen …
Nein, ich habe absolut keine überzeugenden Gegenargumente.
Martha ruft also Sascha an.
Hättest du dir das nicht früher überlegen können – wir waren doch vorhin im Baumarkt. Also gut …“ Ich höre deutlich Saschas Stoßseufzer.

Ich sehe Martha zu, wie sie über ihrer Skizze des Innenraums sitzt und in Gedanken die Einrichtung hin und her schiebt.
Ich werde heute Nacht arbeiten, es ist eh zu heiß zum Schlafen.
Während ich also Martha beobachte und überlege, ob sie sich wohl kurz von mir vernaschen lassen würde, klingelt mein Handy.
Es ist Mosch!
Was will der alte Schleimer?
Ah, mein Lieber, was höre ich da für Sachen? Sie arbeiten nicht mehr für LCL?“
Nein, ich werde mit M….. mit meiner Verlobten in Berlin einen eigenen Laden führen.“
Darf ich fragen … ihre Verlobte … das ist nicht zufällig ihre frühere Assistentin? Die ebenso charmante wie talentierte junge Designerin?“
Wie der schleimt! Mir wird gleich schlecht.
Ja, das ist sie.“, sage ich nüchtern.
Ich wußte es! Ich hab es gleich gemerkt!“
Gar nichts hast du, du Idiot!
Hören Sie, ich bin nach wie vor an Ihrer beider Arbeit interessiert. Ob ich nach Düsseldorf fliege oder nach Berlin, das ist einerlei. Bleiben wir im Geschäft, Herr Adam?“
Ich arbeite nicht mehr als Juri Adam. … Ich, äh, bin vorzeitig aus meinem Vertrag und …“
Ich verstehe. Ihren Namen zu behalten, war offenbar nicht oberste Priorität.“
Nein.“
Und haben Sie schon einen neuen Namen für ihr Label?“
Ich nenne mich ‚Korolok‘.“
Das hat einen guten Klang. Ich nehme an, dieser Name hat persönliche Bedeutung für Sie.“
Der Typ ist nicht so blöd, wie ich dachte.
Wir werden am Samstag offiziell eröffnen.“, weiche ich aus.
Dann lassen Sie mir doch bitte umgehend eine Einladung zukommen.“
In Ordnung.“

Als ich Martha erzähle, daß es so aussieht, als hätten wir Mosch LCL abgeworben, ist sie ganz aus dem Häuschen.
Obwohl … das paßt schon. Weil … Mosch und die Berg, das paßt nicht. Die wären nicht miteinander klargekommen.“
Aber du wickelst Mosch um den kleinen Finger, nicht?“
Soll ich nicht? Hey, wenn Mosch bei uns einkauft, das spricht sich rum. Das wäre eine klasse Starthilfe.“
Das sehe sogar ich ein.
Und dem kleinen Miststück von Berg gönne ich diese Schlappe.
Martha ist in ihrem Element und läßt Mosch gleich eine Einladung zukommen.
Ihre Freundin Mika hat ihr ganzes Büroequipment inclusive Computer dagelassen.
Ich leg uns mal eben schnell eine eigene Mailadresse mit dem Namen unseres Ladens an. … Aber über kurz oder lang brauchen wir unbedingt eine eigene Webseite. Ich werd‘ Denise mal fragen, ob sie jemanden kennt. Und …“
Ich habe mich von hinten an sie rangeschlichen und küsse sanft ihren Nacken.
Sie verstummt sofort, seufzt nur noch „Juri …“

Eine Weile später gehen wir entspannt wieder an die Arbeit.
Martha pusselt am Computer rum, trägt da alles Mögliche in Listen ein.
Ich lasse sie machen, von sowas versteht sie viel mehr als ich.
Bald sind auch Sascha und Denise wieder da.
Mit den Farben.
Oh, wie schön!“, freut Martha sich. Sie würde anscheinend am liebsten sofort losklecksen.
Und mein Kopfkino präsentiert mir dazu ein paar nette Bilder.
Wir könnten nachts pinseln. Nacktpinseln …
Schluß jetzt, Juri!
Ich bemühe mich, wieder einigermaßen nüchtern zu denken.
Ihr könnt oben bei uns duschen, wenn ihr mögt. Ihr seht ein wenig …“
„… durchweicht aus? Kein Wunder bei dem Wetter.“, lacht Denise. „Danke, das Angebot nehme zumindest ich gern an.“

Denise kennt in der Tat jemanden, der uns eine eigene Homepage basteln kann. Zwar ist der erst in zwei Wochen abkömmlich, aber so sehr eilt das nicht.
Und Martha motiviert uns alle mit ihrer Begeisterung und guten Laune so sehr, daß wir tatsächlich noch mit Streichen anfangen.
Nein, nicht anfangen … wir vier streichen den Ladenraum bis Mitternacht fertig.
Und haben richtig Spaß dabei.
Martha hat die Idee, daß sie und ich hie und da Skizzen unserer Arbeit an die Wände zeichnen könnten.
Ich weiß, was ihr vorschwebt, aber ich kann keine feinen Linien mit ‚nem Pinsel ziehen.
Denise meinte, ich solle einen Kohlestift nehmen. Sie würde die Linien dann mit Klarlack übersprühen, damit keine Feuchtigkeit sie verwischen läßt.
Ich will ihr mal glauben, daß das funktioniert.
Zwischendurch lassen wir uns vom Mexikaner Essen kommen.
Und während wir hungrig futtern, erzählt Martha unter Kichern von ihrem und meinem ersten Besuch beim Mexikaner in Düsseldorf.
Als wir fertig sind, muß ich zugeben, daß der Laden nun richtig geil aussieht. Die stilisierten Entwürfe an der Wand machen sich wirklich gut.
Es ist immer wieder eine gute Entscheidung, auf meine Süße zu hören.

Kapitel 4

Zum Schlafen ist es echt zu heiß.
Martha und ich wechseln ab mit ein wenig arbeiten und kalt duschen.
Um fünf Uhr morgens schleichen wir uns leise raus – Sascha schnurchelt vor sich hin – und machen einen Spaziergang durch die jetzt angenehme Luft.
In einem kleinen Stückchen Park setzen wir uns auf eine Bank.
Martha lehnt sich an mich, ich küsse sie zärtlich auf die Stirn und bin glücklich.
Wieder zurück, legen wir uns nach einer weiteren kalten Dusche auf’s Bett und schlafen fast bis Mittag.

Bis Sascha uns weckt.
Hey, wacht ihr auch mal auf?“
Moment!“, knurre ich und werfe die Decke über Martha. „Komm rein.“
Taufrisch, was?“, grinst er.
Wir haben bis in der Früh gearbeitet … war doch eh zu heiß zum Schlafen.“
Martha räkelt sich und blinzelt mich an.
Mhhh, wiespätisdenn?“
Kurz vor zwölf.“, antwortet Sascha an meiner Stelle.
Ach je!“
Hey, wir sind um nach sechs erst ins Bett.“
Also, ich hab Stehtische und Sonnenschirme für die Einweihung organisiert. Das mit den Getränken geht auch klar. Denise hat angerufen; tagsüber kann sie leider nicht, aber heute Abend. Sie hat übrigens Anzeigen in den Lokalblättchen geschaltet, wegen der Eröffnung.“
Unsere Freunde sind Gold wert.
Und ich hoffe, sie wissen, wie sehr ich zu schätzen weiß, was sie für uns tun, auch wenn ich es nicht so zeigen kann.
Sascha, du bist ein Schatz!“ Martha wirft ihm eine Kußhand zu.
Ich weiß.“, grinst er. „Ich mach dann mal Frühstück, nich?“

Kurz darauf sitzen wir in unserer kleinen, gemütlichen Küche und lassen es uns gutgehen.
Sascha und Martha grübeln, was wir an Futter anbieten wollen. Denise wird Salate machen, Sascha seine Spieße.
Wir brauchen einen Kühlwagen, das kriegen wir nicht alles in eurem Kühlschrank unter.“, meint Sascha.
Ich seufze ergeben. Diese Feier entwickelt sich langsam zu einer Hydra – überall wachsen ihr neue Köpfe in Form von Sachen, die noch gemacht werden müssen.
Zum Glück habe ich bei LCL gut verdient und sparsam gelebt. Leisten können wir es uns.
Juri, ich hab nachgedacht … wir können kreieren, designen, Einzelstücke selber anfertigen. Aber wir können beim besten Willen nicht selber produzieren. Neben einer Person, die sich um Einkauf, Buchhaltung und das alles kümmert, brauchen wir auf jeden Fall eine Näherin.“
Ich grummele leise vor mich hin. „Ja, du hast Recht. Wir können nicht alles alleine schaffen. Nicht, wenn wir von unserem Laden leben wollen.“
Und eigentlich brauchen wir auch jemanden für die Vermarktung, für die Öffentlichkeitsarbeit und …“
Wär das nicht was für dich? Du kannst Mosch um den Finger wickeln – das schaffst du sicher auch bei allen anderen.“
Meine Süße wird doch tatsächlich rot.
Ich mein das ernst. Ich brauch das gar nicht erst zu versuchen, mit meinem Holzhammer-Charme vergraul ich doch alle.“
Das stimmt.“, meint sie trocken und ich muß lachen.
Okay, ich mach das … also, ich mein, ich werd’s versuchen … das ist ja alles … na ja …“
Du willst, daß ich dich küsse, nicht?“
Was? Nein. Das … doch, ich meine … schon. Aber …“
Ich kann nicht mehr an mich halten; sie ist einfach zu süß.
Sie will protestieren, aber es dauert höchstens zwei Sekunden, bis sie seufzend die Augen schließt und meinen Kuß zärtlich erwidert.
Und was wird jetzt mit mir?“, fragt Sascha, nachdem wir uns voneinander gelöst haben.
Du kannst soviel stammeln, wie du willst, ich küß dich nicht.“
Sascha sieht mich an, als würde er gerne mit etwas Hartem nach mir werfen.
Oh, ich denke, wir haben eine Menge für dich zu tun. Du könntest zum Beispiel unsere zukünftigen Berliner Kunden beliefern, das Material besorgen, das wir für unsere Modelle brauchen und ja, vielleicht wäre ja der Ladenverkauf was für dich?“
Ich weiß nicht, ob ich dafür seriös genug …“
Ey, wir sind anders, klar? Das ist hier nicht LCL. Wir haben „bad boys“ in unserem Logo. Und so’n zwielichtig aussehender, bärtiger, tätowierter Typ bedient doch wohl voll das Klischee, oder?“
Sascha muß lachen.
Aber wir machen das alles offiziell, nicht? Ich meine, wir stellen Sascha richtig mit Vertrag und so ein.“, wirft Martha ein.
Natürlich.“, meine ich.
Ich hab keine Ahnung, wie so ein Arbeitsvertrag aussehen muß … ich ….“
Maaartha! Tief einatmen …“, unterbreche ich sie.
Ich mach mir schon wieder zuviele Gedanken, nicht?“, meint sie kleinlaut, aber schon wesentlich ruhiger.
Mhhhh.“, mache ich und küsse sie sanft auf die Stirn.
Ich frage Denise. Die kennt soviele Leute … ist eh alles immer nur eine Sache der richtigen Kontakte.“ Sascha bleibt wie immer cool.

Den ganzen Nachmittag über arbeiten Martha und ich an unseren Kollektionen.
Martha, mein Goldstück, hat letzte Nacht meine ganzen Schnittmuster gefertigt und während sie nun an ihren Accessoires arbeitet, schneide ich die Stoffe in Form.
Dann wechselt sie an die Nähmaschine und näht meine geschnitten Stoffbahnen zu Kleidern und ich bastle mit Perlen, Knöpfen und anderem Kleinzeug an ihren Wollsachen herum.
Dieser Fisselskram nervt mich, aber es muß sein. An der Nähmaschine bin ich auch nicht viel besser.
Ich denke darüber nach, wer sich hier alles nützlich macht, sich für uns engagiert … und werde zunehmend frustrierter, als ich merke, daß ich anscheinend zu nichts anderem als meinem Designerkram tauge.
Ja, ein wenig handwerkliches Geschick habe ich. Aber nichts, was uns nutzen würde. Keine Ahnung von Computern, von Buchhaltung, von Vermarktung. Zu unsozialisiert für den Kundenkontakt.
Der typisch abgehobene Künstler, der in seiner eigenen Dimension lebt und alles Normale, Weltliche von anderen machen läßt.
Martha telefoniert.
Ja, hi! … Uns geht’s großartig. … Doch, läuft alles prima. Sascha ist ‚ne große Hilfe. … Ja, hat er erzählt. Und ich find’s gut, er hat was Bess… … ja, ich weiß, sie ist Maxis Mutter, aber erst ihn überall als Kriminellen anprangern und dann mit ihm in die Kiste … ach, hast du … ? Find ich klasse. … Ist es bei euch auch so heiß? Wir verschmachten hier fast. … Okay, dann telefonieren wir morgen oder so nochmal. Ja, mach ich. Tschüß. … Ganz liebe Grüße von Dana!“
Danke.“, rufe ich ihr zu.
Ich komme von meinen trüben Gedanken über meine Nutzlosigkeit nicht mehr los.
Martha merkt nichts und ich sage auch nichts.

Am Abend kommt Denise und nun arbeiten wir alle gemeinsam an den Kollektionen.
Sie können sich sehen lassen.
Denise und Martha placieren sie wirkungsvoll im Laden.
Die rechte Seite in Mint ist meine. Die überwiegend dunklen Modelle heben sich gut ab.
Links ist alles pink und das paßt super zu Marthas Stricksachen und sonstigen Accessoires, die ja alle etwas verspielt daherkommen.
Und beides zusammen – ihrs und meins – ist ein toller Kontrast.
Das finden auch Denise und Sascha.
Denise macht ein paar Fotos vom fertig hergerichteten Laden. Die sollen später auf unsere eigene Homepage.
Tja, übermorgen ist es soweit. Und wir haben eigentlich alles fertig. Der Laden ist bereit, für Essen und Trinken gesorgt. Ach ja, ein Freund von mir hat ‚nen Kumpel, der Fotograf für eins der Lokalblättchen ist. Der will ‚ne kleine Reportage machen.“
Meine durch den Anblick unseres fertigen Ladens kurzzeitig aufgebesserte Laune verfliegt wieder.
Was ist nur mit mir los? Warum laß ich mich so runterziehen?

Als Martha und ich allein sind, wird es noch schlimmer.
Ich ziehe mich immer mehr zurück.
Und will das eigentlich gar nicht.
Daß ich nicht mit ihr schlafen will, wundert sie zum Glück nicht.
Es ist heiß und es war ein anstrengender Tag.
Durchaus glaubwürdig, daß man da mal keine Lust auf Sex hat.
Sie kuschelt sich sachte an mich, flüstert mir „Schlaf gut. Ich liebe dich.“ ins Ohr.
Und ich schaffe es nicht mal, mir ein ‚Ich dich auch.‘ abzuringen, so mies drauf bin ich inzwischen.
Hoffentlich ist das morgen vorbei.
Aber wann erledigen sich Probleme schon im Schlaf?

Und so wache ich anderentags immer noch verstimmt auf.
Mir ist klar, ich muß darüber reden.
Ich blicke meine Süße an; sie schläft noch friedlich.
Sanft streichle ich ihren Nacken.
Sie räkelt sich wohlig, haucht „Juri …“ und kuschelt sich an mich.
Zärtlich wandern ihre Finger über meine Brust, über den Bauch …
Und dann wundert sie sich, warum sich bei mir nichts tut. Das kennt sie nicht von mir.
Bei ihr funktioniere ich immer.
Hey, was ist denn los?“, fragt sie sanft und küßt mich zärtlich auf die Nasenspitze.
Ach, eigentlich ist es albern.“, meine ich und ärgere mich über mich selbst.
Was dich so runterzieht, kann so albern aber nicht sein.“
Ich schnaube durch die Nase.
Also, raus damit!“
Sie blickt mir geradewegs in die Augen und ich weiß, sie wird jetzt nicht mehr locker lassen.
Ach, Scheiße, ich fühle mich so nutzlos!“, platzt es aus mir raus.
Nutzlos? Ja, wieso das denn?“
Na, weil ich hier nichts Sinnvolles beitrage. Ich bin eigentlich komplett überflüssig.“
Ich weiß, daß ich jetzt übertreibe, aber der ganze Frust von gestern kommt gerade wieder hoch.
Martha ist bestürzt, das sehe ich.
Wie kommst du denn darauf? Du hilfst doch an allen Ecken und Enden, hast mitgestrichen, dich um meine Accessoires gekümmert …“
Und das war auch schon alles! Sascha ist weit vielseitiger als ich. Und Denise mit ihrer Ahnung von Computern und ihren Kontakten … ausgefallene Klamotten designen, das kann ich. Und sonst nix.“
Ich glaub, ich hab ‚ne kleine Identitätskrise.
Juri …“, beginnt Martha sanft, „ … mach es dir doch selbst nicht so schwer. Mir reicht es völlig, wenn du ein genialer Designer und ein hingebungsvoller Liebhaber bist.“
Jetzt muß ich grinsen, obwohl ich eigentlich nicht will.
Denk nicht, ich würde dich nicht ernst nehmen. Aber daß du keine Ahnung vom Stromreparieren und von der Buchhaltung hast, ist wirklich keine Katastrophe.“
Vielleicht sollte ich mich mit Sascha zusammentun. Von ihm kann ich mir sicher das eine oder andere abgucken.“, meine ich hoffnungsvoll.
Ja, unsere zwei Mädchen für alles.“ Martha grinst mich an.
Frech werden, ja?“
Ich kniee mich blitzschnell über sie und kitzle sie durch.
Sie quiekt und strampelt und meine miese Laune schwindet.
Als sie nur noch japsen kann, küsse ich sie lange.
Sie schmiegt sich an mich, liebkost meinen Nacken und nun hab ich doch Appetit auf sie …

Als wir eine Weile später zusammen unter der Dusche stehen, meint sie: „Du und Sascha, ihr solltet euch hier sowas wie den Box-Club suchen.“
Das ist eine gute Idee.

Für mich eine eher unübliche Verhaltensweise – aber ich mache beim Frühstück gleich Nägel mit Köpfen.
Und beichte Sascha von meinem Dilemma.
Der kringelt sich erstmal vor Lachen.
Also, das hätt‘ ich echt nicht gedacht, daß dir sowas mal passieren würde. Normal leidest du nicht unbedingt unter Minderwertigkeitskomplexen.“
Ich fühl mich nicht minderwertig, nur nicht sehr nützlich, was unseren Laden angeht. Ich will einfach mehr beitragen.“
Volkshochschulkurs in Buchhaltung?“ Sascha hat Mühe, vor Lachen nicht loszuprusten.
Ja, nee, das ist wohl nix für mich. Ich möchte lieber was mit meinen Händen machen. Oder was, wo ich mich bei bewegen kann. Und raus kann.“
Dann solltest du an deinen Umgangsformen arbeiten und den Kundenkontakt übernehmen.“
Du kannst ja morgen schon mal bei Mosch üben.“, meint Martha und grinst mich an.
Tolle Idee!“ Ich denke, meinem Gesichtsausdruck ist anzusehen, wie begeistert ich bin.
Aber irgendwas muß ich machen, sonst ist der Frust sicher schnell wieder da.
Wie wär’s denn, wenn du erstmal die Einkäufe übernimmst? Ich mein, du weißt, wieviel wir von was brauchen. Du kannst die Angebote einholen, die Bestellungen klarmachen und so weiter. Ich weiß, das ist bissi Büroarbeit, aber nicht viel. Und wenn alles gut läuft, was ich hoffe, werden wir sicher bald die ersten Modenschauen beschicken und um die Orga kannst du dich kümmern.“
Ach je! Da hab ich mir ja was eingebrockt.
Und Sascha – du und Juri, wollt ihr nicht schauen, ob ihr hier irgendwo sowas wie den Boxclub findet?“
Stimmt, da war ja noch was!
Hab schon.“, meint Sascha. „Als ich Denise erzählt hab, daß das einzige, was mir fehlen wird, meine Kumpels aus dem Club wären, meinte sie gleich, ich solle mir hier was Ähnliches suchen. Keine Ahnung, ob’s ne sentimentale Welle war oder so, aber ich hab mal mit ihr im Internet geguckt … in Berlin gibt es viele von uns …“
Er sieht mich leicht unsicher an.
Mir ist klar, wen er mit ‚uns‘ meint …
Aber auch, wenn ich meine Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet habe, kann ich dran denken, ohne innerlich aufzuschreien.
Und es ist okay, wenn Sascha und ich uns einen Club suchen, in dem unseresgleichen verkehrt.

Am Vormittag bin ich draußen unterwegs, Ideen sammeln.
Martha sitzt am PC und wird noch ein wenig Ordnung machen, hat sie gesagt.
Sascha holt mit Denise‘ Auto den Kühlwagen und die Verköstigung ab.
Ich werde da nicht gebraucht. Aber heute bleibe ich locker und mache mir keinen Kopf über meine scheinbare Nutzlosigkeit. Es findet sich schon alles.
Und weil ich gut drauf bin, ist die Welt um mich voller Inspirationen.

Am späten Nachmittag ist dann wirklich nichts mehr zu tun.
Wir beschließen, den Rest des Tages gemeinsam zu genießen, setzen uns beim Mexikaner auf die schattige Terrasse und lassen es uns gutgehen.
Wir sind alle sehr gespannt, wie es morgen wird.
Wir haben keine Ahnung, wieviel Interessierte kommen werden.
Martha hat schon rote Bäckchen vor Aufregung.
Sie ist so süß!
Wir halten Händchen, küssen uns gelegentlich zärtlich und sind einfach glücklich.
Aber nicht nur wir.
Auch Sascha und Denise sehen sich auf eine Weise in die Augen, die keinen Zweifel daran läßt, daß sie sich nähergekommen sind.
Und so wundern wir uns nicht, als Sascha nicht mit uns nach Hause kommt.
Wir sehen uns morgen früh.“, meint er und zwinkert uns zu.
Denise lächelt nur, nimmt ihn bei der Hand und zieht ihn sanft zu ihrem Wagen.
Das gefällt mir.“, meint Martha.
Ja, mir auch.

Kapitel 5

Da es morgen ein langer und anstrengender Tag werden wird, liegen Martha und ich heute früh im Bett.
Und das ist sogar schön, denn es gibt ein kräftiges Gewitter und durch das kleine Fenster in der Dachschräge weht jetzt eine frische, kühle Brise.
Wir kuscheln uns zusammen und schlafen über dem Rauschen des Windes und dem langsam verklingenden Donnergrollen bald ein.

Am nächsten Morgen sind wir zeitig auf.
Ich bin sonst eher nicht der Typ, dem man freudige Aufregung anmerkt, aber heute ist die Eröffnung unseres, Marthas und meines Ladens und ja … ich bin ein wenig zappelig.
Natürlich bei weitem nicht so wie Martha, die wie ein Aufzieh-Mäuschen hin- und herhuscht, dabei fast ununterbrochen redet. Außer sie schluckt grade einen Bissen ihres Frühstücksbrötchens runter.
Ab und zu ziehe ich sie kurz an mich, aber ich habe Verständnis dafür, daß sie heute nicht die Ruhe hat, sich immer wieder genüßlich von mir küssen zu lassen.
Dann kommen Denise und Sascha.
Die beiden sehen etwas müde aus, sind aber strahlend-guter Laune.
Ich werfe Sascha einen anzüglichen Blick zu, aber der grinst nur frech zurück.
Die beiden hatten anscheinend richtig Spaß.
Gemeinsam bauen wir die Stehtische und Sonnenschirme draußen auf, Martha und Denise dekorieren alles hübsch; Denise hat noch Blumen besorgt.
Während wir aufbauen, fragen immer mal Passanten nach, was es denn hier heute gäbe und wann es losginge. Obwohl das eigentlich nicht zu übersehen ist, denn in der jetzt nicht mehr zugeklebten Schaufensterscheibe hängt das Schild, das auf die Eröffnung hinweist, in einer Größe, daß es selbst einem Blinden auffallen müßte.
Aber egal – Hauptsache, die Leute kommen nachher zu uns.
Unser Ladennachbar rechter Hand kommt vorbei und meint, er würde später mal reinschauen. Er hat ein Schuhgeschäft.

Es ist bald elf und wir vertilgen gerade die Reste des Frühstücks, als wir sehr bekannte Gesichter erblicken.
Kim! Emilio!“, ruft Martha und rennt den beiden schon entgegen,
Wir anderen folgen gemächlicher und ich sehe lächelnd zu, wie meine Süße den beiden um den Hals fällt.
Was macht ihr denn hier?“, fragt sie.
Na, was wohl?“, grinst Emilio.
Auch Sascha und ich begrüßen die beiden und ich stelle Denise vor.
Das ist echt eine nette Überraschung. Ich freue mich für Martha, denn natürlich kommen die beiden hauptsächlich ihretwegen.
Martha führt die beiden schnell durch den Laden. Ihr aufgeregtes Geschnatter hören wir bis nach draußen.
Martha.“, sage ich und grinse.
Martha.“, grinst Sascha zurück.
Niemand will sie anders haben.

Um zehn vor elf stehen schon einige Leute in der Nähe des Ladens.
Kommen Sie ruhig näher; wir haben es nicht so genau mit der Uhrzeit.“, meint Denise einladend zu dem kleinen Grüppchen.
Ob zehn vor elf oder elf ist auch wirklich egal.
Martha und ich gehen rein und postieren uns bei unseren Kollektionen, um diese vorzustellen und Fragen zu beantworten.
Wenige Minuten später ist auch der Typ von dem Lokalblättchen da.
Eigentlich ist dieser Rummel und daß ich in der Mitte stehe und einem Reporter Fragen beantworte, ein Alptraum für mich.
Ich hatte bisher jeden Gedanken daran verdrängt.
Normal würde ich mich jetzt heimlich verpissen. Selbst auf der LCL-Fashionshow, wo ich der Star war, hatte ich mich schleunigst verkrümelt.
Aber heute muß ich mich zusammenreißen.
Und wann immer es schlimm wird, sehe ich hinüber zu Martha, die vor Eifer rote Backen hat und unermüdlich ihre Accessoires präsentiert, Kombinationsmöglichkeiten erklärt und überhaupt redet, redet, redet. Und glücklich dabei ist.
Immer wieder wirft sie mir einen liebevollen Blick oder eine Kußhand zu – sie weiß, daß ich solchen Trubel nicht abkann.
Als der Reporter weg ist, dem ich sehr geduldig und nicht mal ganz ohne Begeisterung – unser eigener Laden! - seine Fragen beantwortet habe, kommt Martha zu mir, küßt mich zärtlich und meint: „Du bist großartig!“ Und nach dem nächsten Kuß „Halt durch!“
Für Kim und Emilio haben wir kaum Zeit. Aber die beiden nehmen es gelassen und ziehen los, sich ein bisschen was von Berlin ansehen.
Auch Sascha und Denise bekommen wir nur im Vorbeiflug zu sehen. Sie sind immer wieder zum Kühlwagen im Hinterhof unterwegs, um Nachschub an Getränken zu holen.
Saschas Spieße gehen weg wie nix, erzählt mir Denise in einer kurzen Pause. „Draußen steppt der Bär.“
War es nicht das, was wir uns gewünscht haben?

Aber es wird nicht nur gegessen und getrunken.
Der Besitzer des Schuhladens kommt vorbei, besieht sich Marthas und meine Sachen sehr genau und fragt, ob er Fotos machen darf. Er möchte nach Möglichkeit sein Angebot an Schuhen auf unsere Mode abstimmen. Er ist der Meinung, unsere Sachen würden sich ausgezeichnet verkaufen und mit passendem Schuhwerk dazu könnte er von unserer Nachbarschaft ja nur profitieren.
Na und wir auch.“, meint Martha.
Eine schlechte Sache wäre das wirklich nicht.

Es muß gegen eins sein, als es gerade ein paar Minuten etwas ruhiger ist und ich deshalb kurz die Augen schließe.
Mein lieber Herr Adam!“
Ach je, Mosch!
Den hatte ich bis jetzt erfolgreich verdrängt.
Ich bin so höflich, meine Augen zu öffnen und mich von der Wand zu lösen, an die ich mich gelehnt habe.
Immer noch so unbeteiligt im Hintergrund, als ob Sie Ihr Erfolg gar nichts anginge, nicht? Aber geschicktes Understatement kommt ja immer gut an.“
Idiot! Ich war einfach nur müde.
Laut sage ich: „Meine Mode spricht für sich. Was soll ich da noch viel sagen?“
In der Tat, in der Tat … Mein Lieber, ich bin begeistert von Ihrem Laden; diese Kontraste ...“
Er verdreht tatsächlich begeistert die Augen.
Ich war ja schon immer der Meinung, daß Ihre Mode und die bezaubernden Accessoires Ihrer … ehemaligen Assistentin wunderbar harmonieren. Sie sind einfach wie geschaffen füreinander.“
Martha und ich sind füreinander geschaffen. Aber das sage ich nicht. Ich nicke nur.
Kommen Sie, begleiten Sie mich zu Ihrer charmanten Partnerin.“
Ich kann wohl nicht anders.
Martha hat natürlich kein Problem mit Mosch, auch wenn sie leicht angewidert das Gesicht verzieht, als er sie auf die Wangen busselt.
Aber sonst kommen die beiden klar.
Martha fragt ihn sogar unverblümt, ob er keinen Ärger mit LCL befürchte, wenn er bei uns einkaufe. Immerhin sei Alexa Berg über Juris Entscheidung, seine Ideen unter einem anderen Namen rauszubringen, alles andere als begeistert gewesen.
Meine Teure … wollen Sie meine ehrliche Meinung hören? Wenn statt einer Tanja von Lahnstein jetzt dieses Wohlstandsgör mit den indiskutablen Manieren das Sagen bei LCL hat, geht der Laden eh bald den Bach runter.“
Ich drehe mich rasch um und tue so, als ob ich husten muß, um mein Prusten zu kaschieren.
Mosch hat ja Recht, aber solche Worte habe ich von ihm noch nicht gehört.
Martha verhält sich absolut professionell und zieht sich mit Mosch in ein ruhiges Eckchen zurück, um mit ihm seine Order zu besprechen.
Denn er möchte tatsächlich kaufen.
Ihr neuer Markenname 'Korolok' klingt irgendwie … spannend. Der wird sich rasch rumsprechen, glauben Sie mir, mein Guter.“
Als ich kurz darauf mit einer Potsdamer Einkäuferin erfolgreich verhandle und es sogar schaffe, eine Bestellung aufzunehmen, die Gnade vor Marthas kritischen Augen finden dürfte, bin ich sehr mit mir zufrieden.
Bin wohl doch nicht zu unsozialisiert für den Kundenkontakt.
Und meine komischen Minderwertigkeitsgefühle gestern waren hoffentlich nur eine Laune.

Am späten Nachmittag ist bei uns allen ziemlich die Luft raus.
Kim und Emilio sind wieder da und lösen Denise und Sascha eine Weile draußen ab.
Seufzend gesellen sie sich zu uns. Aber strahlen tun sie beide.
Ist doch super bis jetzt, hm?“, grinst mich Sascha an.
Ja ja, wenn die alle jetzt auch noch was kaufen kommen.“, meint Martha.
Wir sind jedenfalls eine Menge Flyer losgeworden.“ Denise ist optimistisch.
Ich hab ein paar in den Spießchen versteckt.“, meint Sascha mit regungsloser Miene.
Denise blickt ihn verblüfft an und dann wird ihr klar, daß er versucht, uns hochzunehmen.
Sie streckt ihm die Zunge raus und sofort zieht er sie an sich, um sie zu küssen.
Hätte ich auch gemacht, denke ich.

Martha geht kurz raus zu Kim und Emilio. Sie hat ein schlechtes Gewissen, unseren Besuch so allein zu lassen. Denise und Sascha holen noch ein paar Getränke.
Und ich lehne mich wieder an die Wand, schließe die Augen und denke, daß das heute ein richtig guter Tag ist.
Juri Adam, bist du das wirklich?“ Wieder höre ich eine bekannte Stimme.
Ich klappe die Lider hoch. „Gloria?“
Ich weiß ja, daß sie in Berlin lebt, aber Berlin ist groß …
Ich hatte ja keine Ahnung, daß das dein Laden ist, als ich von der Eröffnung hörte. … Wie geht es dir?“
Bestens. Und dir?“
Ich kann mich nicht beklagen. Aber sag – war LCL nichts mehr für dich? Du warst da doch gut etabliert mit deiner Linie.“
Das hatte eher persönliche Gründe.“
Ah ja. Und nun bist du wieder selbstständig? Na, das ist eh mehr dein Ding, finde ich. … Was ist eigentlich aus der Kleinen geworden … du weißt schon … die, in die du dich verliebt hattest.“
Ich muß grinsen und bin auf die folgende Reaktion sehr gespannt.
Mit der 'Kleinen' bin ich seit einiger Zeit fest zusammen.“
Und tatsächlich – Gloria taumelt drei Schritte rückwärts, schlägt sich die Hand auf den Mund. „Nein?!“
Doch.“, nicke ich lächelnd.
Du verarschst mich wirklich nicht?“
Im Gegenteil. Ich habe Martha auch schon einen Antrag gemacht und sie hat ja gesagt.“
Ich wundere mich selbst über meine Mitteilungsfreudigkeit in privaten Dingen, aber ich bin wohl einfach zu stolz und glücklich, um wie üblich alles Private ungesagt zu lassen.
Du … du … willst … heiraten?“
Ja.“ Wieder lächle ich.
Unglaublich.“, haucht sie.
Du hast die Situation damals exakt erfaßt. Ich hatte Angst vor meinen eigenen Gefühlen, Panik vor den Konsequenzen einer festen Beziehung. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich das überwunden hatte und meine arme Martha hat sehr gelitten ...“ Die letzten Worte sage ich nur noch leise; Bilder von Tränen, Verzweiflung und tiefer Enttäuschung steigen kurz in mir hoch.
Aber anscheinend gibt es ja ein Happy-End.“, lächelt sie.
Zuende ist hier noch lange nichts. Der Laden hier war eigentlich für Martha gedacht. Ich sollte in Düsseldorf bleiben und hätte sie am Wochenende hier besucht. Doch schnell wurde mir klar, daß ich einfach nicht fünf Tage die Woche von ihr getrennt sein möchte. Ich wäre nicht glücklich dabei gewesen. Und so habe ich kurzfristig entschieden, mit hierher zu ziehen.“
Und laß mich raten – LCL hat dir Streß gemacht mit dem Vertrag.“ Gloria war noch nie ein Dummchen.
Exakt. Aber ich hab mir einen neuen Namen zugelegt und nun können sie mich alle mal.“
Hätte ich von dir auch nicht anders erwartet. … Was heißt 'Korolok'?“
Kleiner König.“
Hat es eine bestimmte Bewandtnis damit?“
Ja. Aber das ist sehr persönlich und soll es auch bleiben.“ Ich sage das ganz freundlich und Gloria nickt verständnisvoll.
Wo ist deine Süße eigentlich?“
Draußen. Du mußt versehentlich an ihr vorbeigelaufen sein.“
Wir gehen gemeinsam hinaus.
Mit Ladenschluß der umliegenden Geschäfte läßt auch bei uns der Andrang spürbar nach.
Martha steht bei Kim, die sich an Emilio gelehnt hat.
Ich küsse sie sanft auf die Schulter.
Juri.“, seufzt sie zufrieden und dreht sich zu mir rum.
Woher weißt du, daß ich es bin?“, necke ich sie. „Erinnerst du dich noch an Gloria?“
Äh ja … warte … auf dem Grillfest im Boxclub, nicht?“
Ja.“
Ach je.“ Martha verdreht die Augen.
Ja, es ist viel passiert an diesem Tag.“, lache ich.
In der Tat.“
Immerhin habt ihr beide zusammengefunden. Ich habe Juri damals zwar auf den Kopf zugesagt, daß er sich in dich verknallt hat, aber ich hätte nie geglaubt, daß er Ernst macht. Eher, daß er fluchtartig die Stadt verläßt.“
Nö, er wollte bleiben. Aber mich wollte er wegschicken.“ Martha sieht mich gespielt böse an und ich mache ein schuldbewußtes Gesicht.
Ja, auch das paßt. Aber ich freu mich für euch! Und wenn ich euch beide so zusammen anschaue – ihr seid ein hübsches Paar.“
Danke.“ Meine Süße wird rot und ich muß sie zärtlich küssen.
Wie schaut es aus – habt ihr schon Models unter Vertrag?“
Ach herrje! Daß einem aber auch immer noch was unterkommt, was man vergessen hat.“ Martha seufzt tief. „Nein, haben wir nicht. Das mit dem Laden hier ging alles so schnell. Und wir sind ja keine Profis auf dem Gebiet.“
Hier ist die Karte von meiner Model-Agentur. Wenn der Laden brummt, was ich euch wünsche, dann könnt ihr immer noch eigene Models einstellen. … Und wenn die erste Schau ist, dann denkt an mich, ja?“ Gloria zwinkert Martha zu.
Du würdest für uns laufen?“
Sehr gerne sogar.“, lacht sie.
Das wäre ja … „, Martha lacht mir zu, fuchtelt mit den Armen „meeeegaaaa!“
Gloria schaut erstmal etwas fassungslos, als Martha und ich beide losprusten, aber wir klären sie rasch auf, was es damit auf sich hat.

Und dann haben wir es hinter uns.
Alle Gäste haben den Heimweg angetreten, Kim und Emilio sind abgereist.
Wir räumen die Stehtische, Sonnenschirme und alles andere in den Hof, stoßen mit Gloria noch auf die erfolgreiche Eröffnung an und dann wollen wir nur noch unter die kühle Dusche und uns langmachen.
Martha knuddelt Denise und Sascha zum Abschied. „Danke für alles. Ohne euch hätten wir das nicht mal ansatzweise gestemmt.“
Wozu sind Freunde denn da?“, meint Sascha.
Ich glaube, ich hab schon fest geschlafen, bevor mein Kopf das Kissen berührte.

Kapitel 6

Es ist gegen neun am nächsten Morgen, als Martha und ich unter der Dusche stehen, uns einfach aneinanderschmiegen und glücklich sind.
Von unten hören wir Geräusche. Sicher sind das Denise und Sascha.
Die haben bestimmt Brötchen mitgebracht.“, murmelt Martha entspannt an meiner Schulter.
Ich streichle zärtlich ihren Nacken. „Wollen wir runtergehen?“, flüstere ich ihr ins Ohr.
Ja, schon …“
Aber?“, flüstere ich immer noch sanft und weiß, daß ich es ihr schwer mache.
Mein Magen knurrt so.“
Ach je! Entschuldigt sie sich jetzt echt, daß sie lieber frühstücken als sich von mir verführen lassen möchte? Sie ist so süß!!!
Ich küsse sie zärtlich und meine dann: „Dann komm. Bin ich halt das Leckerchen für zwischendurch.“
An dir könnte ich immer naschen.“
Nun lebt sie doch gefährlich.

Als wir die Treppe runtergehen, weht uns schon Kaffeeduft entgegen.
Und …
Eier und Speck!“, rufe ich und knutsche Sascha, der am Herd steht, auf beide Wangen. „Du bist ein Schatz!“
Sag mal, Martha“, beginnt Sascha zu schimpfen und schiebt mich weg. „hast du deinen Mann heute Morgen vernachlässigt, oder was? Der ist mir ‚n bisschen zu anhänglich.“
Martha hat Hunger und ihr Magen geht vor.“, erkläre ich.
Martha wird vor Verlegenheit rot. „Ich hab aber doch …“ Weiter kommt sie nicht. Ich kann ihr einfach nicht widerstehen, wenn sie so süß-verlegen ist.
Und sie mir nicht, wenn ich sie küsse.
Sascha dreht sich rum, die duftende Pfanne in der Hand. „Viel besser.“, meint er grinsend.
Denise hat inzwischen den Tisch gedeckt und so sitzen wir wenige Augenblicke später gemütlich drumherum und lassen es uns gutgehen.
Das war gestern doch ein richtig erfolgreicher Tag, nicht?“, meint Martha. „Ich meine, Mosch hat vom Fleck weg Juris und meine neue Kollektionen gekauft, ohne daß die überhaupt fertig sind. Dann die Potsdamer Einkäuferin, der Schuhladen-Besitzer. Und zwei oder drei, ich weiß es nicht mehr genau, Inhaber von Boutiquen hier aus Berlin, die sich auch kurzfristig melden wollen. Ich will gleich mal …“
Und da ist sie auch schon aufgestanden.
Ich fasse sie sanft am Arm und ziehe sie zu mir auf den Schoß.
Martha! Es ist Sonntag und noch keine zehn Uhr. Mach mal langsam.“
Entschuldigung. Ich …“
Martha!“
Schon gut.“, seufzt sie und will sich erheben.
Aber ich lasse sie nicht los. Ich küsse zärtlich ihren Nacken, bis sie sich entspannt und zufrieden an mich lehnt.
Hört mal, ihr zwei, Sascha muß morgen erstmal wieder zurück nach Düsseldorf. Wir wär’s, wenn wir später zum Wannsee fahren und uns da ein paar schöne Stunden machen, nachdem wir hier aufgeräumt haben?“ Denise blickt uns fragend an.
Ich weiß nicht … ich glaub‘, Juri ist nicht so der Typ für’s Strandleben und ich hab’s auch nicht gern, wenn’s so überfüllt ist. Und bei dem Wetter …“ Martha klingt skeptisch.
Was meinst du, wieviele Frauen dich glühend beneiden werden, wenn Juri sein Shirt auszieht und in Badehose rumläuft.“, lacht Denise.
Und als Sascha losprustet, bin ich sicher, daß meine Süße ein ziemlich verdutztes Gesicht macht.
Nee, also … also, ja … ich meine, doch … äh … also, daß einige Frauen … na ja, Juri … begehrlich anschauen würden. Logisch, oder? Ich meine, er ist doch einfach verboten sexy … sooo heiß …“
Sascha kann sich vor Lachen nicht mehr halten.
So so.“, mache ich.
Martha dreht sich halb zu mir rum.
Ja, nu …“
Ich bin also verboten heiß, ja?“ Ich weiß, daß ich dreist grinse, aber ich mag Martha einfach noch ein wenig aufstacheln.
Jetzt tue bloß nicht so, als wüßtest du nicht genau … boah, du frecher Kerl!“, schimpft sie halb ärgerlich, halb zärtlich und küßt mich sofort danach so, daß mir die Luft wegbleibt.

Aufgeräumt ist eigentlich schnell. Sascha packt die geliehenen Stehtische und Sonnenschirme in den Kühlwagen; morgen wird er alles zurückgeben.
Die Mädels putzen den Ladenraum.
Sag mal, Denise … du weißt hoffentlich ein Plätzchen am Wannsee, wo wir eher unter uns sind?“, frage ich.
Mal nicht so schüchtern, Alter! Guckt dir schon keiner was weg.“, lacht Sascha.
Ich schnappe mir einen nassen Schwamm und bewerfe ihn damit. Aber er duckt sich, immer noch lachend und der Schwamm klatscht nur an die Wand.
Keine Sorge.“, meint Denise und zwinkert mir zu.
Gut. Ich habe Lust auf ein paar schöne Stunden mit Martha und unseren Freunden, aber nicht auf Radiogedudel, schimpfende Mütter, plärrende Kinder und was sonst noch so nervt an einem überfüllten Strand.

Und so lassen wir uns kurz nach Mittag an einer ziemlich unberührten Stelle des Sees nieder.
Darf man hier überhaupt baden? Das …“
Martha!“ Ich ziehe streng die Augenbrauen hoch.
Aber …“
Martha!“ Ich ziehe Schuhe, Shirt und Jeans aus und lasse Luft an meinen Körper.
Martha sollte das auch tun, es ist sehr angenehm.
Ausziehen und hersetzen.“ Ich deute neben mich auf die Decke, auf die ich mich jetzt setze.
Also …“, will sie sich empören.
Blitzschnell packe ich sie am Arm, ziehe sie zu mir runter und da liegt sie nun, während ich ihr sanft die Haare aus der Stirn streiche.
Juri, du bist unmöglich!“, schimpft sie und versucht halbherzig, sich freizustrampeln.
Meine Hände schieben ihre Bluse nach oben; sie könnte weg, wenn sie wollte, ich halte sie nicht mehr fest. Aber sie will offenbar gar nicht mehr weg.
Sie richtet sich halb auf und läßt sich von mir die Bluse abstreifen.
Süß.“, meine ich, als ihr Badeanzug zum Vorschein kommt. Maraschino mit weiß abgesetzten Rändern und ebensolcher Stickerei.
Steht dir gut.“, hauche ich ihr ins Ohr.
Ja, aber der bleibt an.“, meint sie.
Schade.“, grinse ich.
Vom Wasser her hören wir es quieken. Denise und Sascha haben Spaß.
Ich hoffe, Sascha ist bald wieder da.“, seufzt Martha.
Hey, keine trüben Gedanken jetzt, hm?“
Nein. … Nein. … Ich hab mich nur schon total daran gewöhnt, ihn bei uns zu haben. Und mit Denise zusammen zu sehen. Das ist alles so, als soll es so.“
Soll es auch. So wie wir.“ Ich küsse sie zärtlich. „Komm.“
Sie läßt sich von mir hochziehen, entledigt sich schnell ihres Rocks und ihrer Schuhe und dann gehen auch wir ins Wasser.
Martha unter viel Gequieke und Gepruste, denn der See ist kalt.

Ich will sie mir greifen, aber sie entwischt mir lachend.
Und dann ist sie auch schon wieder draußen.
Hast du schon genug?“
Ja, äh, ich geh gleich noch mal rein, bestimmt.“
Sie hockt sich ans Ufer, streicht sich die nassen Haare aus dem Gesicht und sieht uns zu.
Sascha fordert mich zu einem Wettschwimmen auf; am Ufer entlang aufwärts bis zu einer Weide.
Und der Bursche gewinnt doch glatt.
Du bist träge geworden, Alter.“, lacht er mich aus. „Dir geht’s mit Martha viel zu gut.“
Was soll das denn heißen?
Also im Profil kriegst du ‚nen Bauch.“, meint er, als wir am Ufer abwärts zurück zu unseren Mädels gehen.
Mir egal.“, knurre ich.
Was ist dir egal?“, fragt Martha, die mir entgegenkommt.
Daß ich ‚nen Bauch kriege.“
Wo denn?“, fragt sie und streichelt mir zärtlich über eben jenen.
Das sollte sie besser nicht machen. Sonst muß ich gleich wieder ins kalte Wasser.
Also die kleine Rundung hier würd‘ ich echt nicht Bauch nennen. Abgesehen davon … ich lieb dich auch mit Bäuchlein.“
Also auch, wenn ich nicht mehr so verboten heiß aussehen sollte?“, grinse ich.
Natürlich, du Spinner.“ Sie küßt mich zärtlich.

Wir verbringen einen schönen Nachmittag am See.
Und verabschieden Sascha später nur ungern.
Hey, ich bin ganz flott wieder da.“, tröstet er Martha, die ihn fest umarmt.
Denise wird ihn zum Flughafen bringen.
Du kommst doch anschließend noch zu uns?“, fragt Martha unsere Freundin.
Dann vermißt sie ihn vielleicht nicht so doll.“, meint sie leise zu mir.
Das ist wieder meine Martha.

Und? Ist das mit dir und Sascha was Ernstes?“, frage ich Denise neugierig, als wir drei am Abend im Hinterhof sitzen.
Martha arbeitet an ihren Accessoires und auch ich habe meinen Skizzenblock dabei.
Also wenn du es als ernst ansehen würdest, daß er nach seiner Rückkehr bei mir einziehen wird … dann ja.“, meint sie.
Also bei uns war das ziemlich Ernst, als Martha zu mir gezogen ist.“
Ja, der Anblick meiner Koffer hat dich ziemlich geschockt, ich erinnere mich.“, lacht Martha.
Ich war eben noch nie vorher in so einer Situation. Meine One-night-stands hatten immer leichtes Gepäck.“
Tja, selbst schuld.“, kichert meine Süße.
Was? Daß ich mich ernsthaft in dich verliebt habe? Nee nee, da konnte ich gar nix für. Du hast mich reingelegt.“
Waaaaaas? Ich hab was?“, empört sich Martha.
Sicher. Du warst viel zu lieb und verständnisvoll zu mir. Wie soll ich mich gegen sowas wehren können?“
Jetzt merkt Martha, daß ich nur scherze. „Ich weiß. Ich hätte dir öfter mal vor’s Schienbein treten sollen oder sowas.“
Das hätte mich erst recht gereizt.“, sage ich und verziehe keine Miene dabei.
JURI!!!“
Ja, meine Süße?“
Sie lehnt sich zu mir rüber und küßt mich lang und innig.
Und Denise lacht. Wir haben sie also aufheitern können.

Diese Nacht gewittert es wieder und während Martha schläft, arbeite ich.
Es ist schön, neben ihr auf dem Boden zu sitzen, dem Regenprasseln zu lauschen … ich komme gut voran und stelle zwei weitere Entwürfe für die von Mosch georderte Kollektion fertig.

Als ich aufwache, bin ich allein. Ich merke, daß ich mich schon sehr daran gewöhnt habe, daß Martha morgens neben mir liegt. Und daß ich das nicht mehr missen möchte.
Ich stehe auf und gehe in die Küche hinüber.
Du läßt mich alleine aufwachen?“, frage ich und küsse Marthas Nacken.
Enfuldigung, iff hatte Hunger.“, mümmelt sie, legt sofort ihre Arme um meinen Hals und schmiegt sich an mich.
Komm noch ein bisschen kuscheln.“, flüstere ich ihr ins Ohr.
Wir müssen bald den Laden aufmachen.“
Nur noch ein bisschen.“
Sie ist nicht schwer zu überreden.
Und ich bin auch einsichtig, als sie nach einer halben Stunde unruhig wird.
Wir duschen zusammen und mit einer Tasse Kaffee in der Hand gehen wir runter.

Daß die Leute uns gleich den Laden einrennen, hatten wir nicht erwartet und so ist der erste normale offene Tag auch eher geruhsam.
Dafür haben wir Zeit, an unseren Kollektionen zu arbeiten.
Eine Dame ist ganz begeistert von Marthas Accessoires und besonders davon, daß es sich um Unikate handelt. Sie kauft ein Dutzend davon für ihre Tochter und verspricht, daß wir sie wiedersehen werden.
Martha strahlt. Und ich freue mich für sie.
Ich sitze eine Weile am Computer.
Mosch hat eine Mail geschickt. Im Oktober sei eine Fashion-Show in München, die würden wir doch beschicken?
Ich rufe bei Glorias Model-Agentur an und frage nach, ob sie und eine Kollegin zu dem Termin verfügbar seien. Und habe Glück; die Wochenenden davor und danach wäre es nicht gegangen.
Hättest du nicht auch ein männliches Model buchen sollen?“, fragt Martha.
Ich hatte an Sascha gedacht.“
Echt jetzt?“
Warum nicht? Vom Typ her paßt er zu meinen Modellen und er ist doch eh unser Mädchen für alles.“
Martha lacht. „Ich bin ja echt auf sein Gesicht gespannt, wenn du ihm das sagst.“
Ich auch.

Abends kommt Denise und bringt ihren Bekannten mit, der uns eine Internetpräsenz basteln soll. Heute ist er da, um uns ein Buchhaltungsprogramm zu installieren und schon mal zu klären, wie wir uns unsere Homepage so vorstellen.
Dieses Feld überlasse ich bereitwillig den Mädels und arbeite dafür als Häkelliesel, denn Martha hat der Potsdamer Einkäuferin zugesagt, binnen einer Woche liefern zu können.
Ich stelle fest, daß diese Arbeit entspannend und nervig zugleich ist.
Daß Martha nur wenig an meiner Arbeit zu bemängeln hat, freut mich. Ich bin wohl doch ganz brauchbar.
Also das mit der Buchhaltung sollte ich mit Denise‘ Hilfe hinkriegen. Wir sind ja kein Riesenunternehmen. Ach, Mist … ich hab doch heute gleich die Anzeigen aufgeben wollen … daß wir eine Näherin suchen … na, das kann ich ja jetzt noch schnell machen.“
Denise erzählt, daß Sascha bei LCL gekündigt hat, was da anscheinend niemand wirklich interessierte.
Die haben nicht mal auf Einhaltung der Kündigungsfrist bestanden. Er brauchte nur die Schlüssel abgeben und konnte gehen. Er hat denen freilich den Lohn für diesen Monat auf den Tisch gelegt, weil der ja grade erst angefangen hat. Sonst hätten sie ihn wahrscheinlich doch nicht gleich gehen lassen.“
Kein Problem. Er kann ja gleich hier anfangen.“, meine ich gelassen.
Ich hab mir schon so Muster-Arbeitsverträge aus dem Netz gezogen. Und morgen Nachmittag bin ich beim Finanzamt und erkundige mich, wie ich ihn korrekt da melde und so.“ Martha glüht wieder vor Eifer. „Wann kommt er zurück?“
Er wollte sich eigentlich heute Abend noch in den Zug setzen; ich warte auf seinen Anruf.“
Aber es ist Marthas Telefon, das klingelt.
Dana … hey, wie geht es dir? … Oh, großartig! … Das war ein voller Erfolg, wir sind sehr zufrieden. … Ja, schade, daß ihr nicht da wart. … Was, grade weg? … Ja, wir erwarten ihn ungeduldig. … Ja, es ist toll, daß er mit uns … Was? … Red mal langsam, das ist doch eigentlich mein Part, zuviel und zu schnell zu reden … Juri? … Wir sind in jeder Hinsicht ein tolles Team. … Doch, sehr glücklich … könnte nicht schöner sein. … Ja, das hoffe ich auch, ihr fehlt uns! … Grüß bitte alle ganz lieb.“
Martha schnieft ein wenig, als sie ihr Telefon beiseite legt. Ich denke, wenn hier alles gut organisiert ist, werden wir wohl mal für ein Wochenende nach Düsseldorf reisen.

Kapitel 7

Als Martha und ich am nächsten Morgen unter der Dusche stehen – zusammen zu duschen ist ein kleines, liebgewonnenes Ritual geworden - hören wir von unten Geräusche.
Da außer Sascha niemand einen Schlüssel zum Laden hat, sind wir nicht besorgt.
Und ja, er und Denise haben Frühstück mitgebracht.
Martha fliegt Sascha um den Hals. „Das ist einfach toll, daß du jetzt zu uns gehörst!“ Sie küßt ihn auf beide Wangen und kann sich vor Freude kaum beruhigen.
Ich freue mich auch sehr, wenn ich es auch nicht so überschwänglich zeige wie meine Süße.
Und du wirst echt nichts vermissen?“, erkundigt sie sich.
Aus Düsseldorf? Was denn bitte? Ich sag euch, die Stimmung bei LCL ist sowas von beschissen. Diese kleine blonde Giftspritze …“
Alexa?“
Ja, die. Die macht da echt jeden nieder. Die hat ‚nen richtig perversen Spaß dran, andere zu erniedrigen. Nee, ich bin froh, daß ich da weg bin. Mit euch beiden war’s okay. Wir haben zusammengehalten. Aber ohne euch … nö. Und außerdem …“ Er wirft Denise einen verliebten Blick zu.
Martha sieht erst ihn an, dann mich. Und lächelt glücklich.
Wie war’s denn gestern so? An eurem ersten normalen Ladentag?“, will Sascha wissen.
Sehr ruhig. Aber das haben wir auch nicht anders erwartet. Aber wir mußten eh an unseren Kollektionen arbeiten.“
Und was kann ich tun? Nur Kaffeekochen ist ein bisschen wenig, nicht?“
Juri hat da so eine Idee …“
Sascha sieht mich ein wenig mißtrauisch an.
Ich dachte mir, du könntest für uns modeln. Ich brauche wenigstens ein männliches Model. Und warum eins mieten, wenn wir dich haben.“
Ich? Modeln?“ Sascha rutscht vor Lachen fast vom Stuhl.
Ich finde das gar nicht schlecht. Du hast doch ‚ne geile Figur.“
Sascha und ich blicken gleichzeitig zu Martha, die ein wenig rot wird und dann lachen wir alle gemeinsam.
Oh, danke.“, meint Sascha anschließend, steht kurz auf und verneigt sich vor Martha.
Laß das, du Blödmann.“, wehrt sie ab.
Mal im Ernst – du hast schon die richtige Statur für den Laufsteg. Und deine Tattoos sind kein Hindernis; zu meinem Stil passen sie. Mußt du nur noch lernen, wie man richtig läuft.“
Ja, wie so ‚ne Schwuchtel.“, lacht Sascha. „Im Ernst, Alter … die laufen alle, als hätten sie ‚nen Stock im Arsch. Das sieht so unnatürlich aus. Würdest du freiwillig so durch die Gegend laufen?“
Niemals.“
Dachte ich mir.“, grinst Sascha.
Hey, Tristan von Lahnstein hat das hingekriegt, da schaffst du das auch. Und du brauchst nicht schwuchtelig rummarschieren, einfach nur männlich-selbstbewußt. Das kriegst du doch hin, oder?“
Ich denke schon. Aber nur damit ihr’s wißt – ich mach für Kohle noch lang nicht alles.“
Wir lachen alle.
Also geht das klar? Im Oktober ist nämlich ‚ne Fashion-Show in München.“
Sascha verdreht die Augen, nickt aber.
Wie gefällt dir das denn – Sascha als Model auf dem Laufsteg?“, fragt Martha Denise.
Hm …“
Die beiden Mädels sind schnell ins Gespräch vertieft.
Das mit dir und Denise ist richtig Ernst, was?“, frage ich Sascha.
Sie ist ‚ne tolle Frau. Eine, mit der man was auf die Beine stellen kann. Und trotzdem sensibel. Und sie hat ‚nen tollen Humor. Ich find’s echt wichtig, daß man gemeinsam lachen kann.“
Ich freu mich für dich. Und ‚ne Hübsche ist sie ja auch.“
Ja, nicht so ein Hungerhaken wie all diese Models. Ich steh nunmal auf weiche, frauliche Rundungen. Du bist ja auch auf den Geschmack gekommen.“, grinst er mich an.
Martha ist richtig für mich, so wie sie ist.“
Tatsächlich habe ich nie bewußt darüber nachgedacht, daß Martha das eine oder andere Pfund mehr drauf hat als die Models, die ich früher im Bett hatte. Es hat einfach keine Rolle gespielt.
Es fühlt sich einfach wundervoll an, Martha in meinen Armen zu halten. Sie ist warm, weich, anschmiegsam.
Ich möchte nichts an ihr anders haben.
Also nicht, daß du jetzt denkst, ich hätte Zweifel daran, daß Martha dich echt anmacht … aber sie ist eben doch ein ganz anderer Typ Frau als das, was du früher so abgeschleppt hast.“
Ich weiß. Aber die hatten alle nicht Marthas Ausstrahlung.“
Ich sehe zu ihr hinüber, wie sie sich angeregt mit Denise unterhält und finde sie so bezaubernd, so süß, so unwiderstehlich … ich weiß, ich bin heftig verliebt und dieses Gefühl und alles, was dazu gehört, ist immer noch neu und ungewohnt für mich. Aber ich habe gelernt, es zu genießen. Doch, es ist schön, verliebt zu sein.
Alter, es ist gleich neun, ihr müßt den Laden aufmachen. Keine Zeit, deine Süße jetzt zu vernaschen.“
Ich muß meine Gefühle ziemlich offen im Gesicht getragen haben.
Denise verabschiedet sich kurz darauf, sie muß in ihr Atelier.
Martha und ich besprechen mit Sascha seinen Arbeitsvertrag und sind uns bald einig. Martha hat den Vertrag am PC schnell fertig, druckt ihn aus und Sascha marschiert los, um damit ein Konto zu eröffnen.
Wir haben dank Martha schon ein Firmenkonto. Es ist unglaublich, an was sie alles denkt.
Ohne sie wäre ich komplett aufgeschmissen. Und bei all dem schafft sie es auch noch, kreativ zu sein.

Als Sascha wieder da ist, stecke ich ihm ein bisschen was zu. Zur Überbrückung, bis sein Lohn auf dem Konto ist.
Er wehrt ab.
Ich glaub kaum, daß es dir recht ist, Denise auf der Tasche zu liegen, auch wenn sie dich sicher gern unterstützt.“
Er sagt nichts, nimmt das Geld dann aber doch.
Der Bursche hat seinen Stolz, das mag ich.
Dann setzt er sich an den PC und stöbert nach Gebrauchtwagen. Wir brauchen wirklich ein Fahrzeug, um Kunden aufsuchen zu können.

Als Martha und ich an diesem Abend im Bett liegen, merke ich, daß etwas nicht stimmt.
Ich bin nicht sehr erfahren im Gefühlsleben von Frauen, ihren Stimmungen und so weiter. Aber so langsam merke ich Martha an, wenn irgendetwas anders ist. Auch wenn sie es mich nicht merken lassen will.
Was ist los?“, frage ich sanft und drücke sie an mich.
Ach, nichts.“
Das Nichts kenne ich. Raus damit!“
„ … Ich … ich frag mich, ob wir das alles wirklich schaffen. Ich hatte keine Ahnung, was so ein eigener Laden alles mit sich bringt. Ich mein, wir haben schon so viel erledigt, aber mindestens so viel ist immer noch zu tun und und und … ich … ich hab einfach Angst, daß wir das nicht packen.“
Hey, Süße, du machst dir zu viele Sorgen. Bis jetzt läuft doch alles rund. Und wenn’s Probleme gibt, werden wir die eins nach dem anderen in Ruhe angehen.“
Ich wundere mich über mich selbst.
Normal bin ich der Typ, der Probleme lieber aussitzt, wartet, daß sie sich von selbst erledigen.
Oder machst du dir meinetwegen Sorgen? Daß ich dich vielleicht hängenlasse?“
Quatsch.“
Weißt du, was ich glaube? Nach all der Anspannung mit dem Umzug und der Eröffnung und was alles so zu tun war … ich meine, du warst die ganze Zeit auf Hochtouren, voller Eifer. Und jetzt ist einfach ein bisschen die Luft raus, du bist müde. Das ist alles. Paß auf, nächste Woche haben wir unsere Kollektionen fertig und dann fahren wir am Wochenende nach Düsseldorf und besuchen deine Familie. Was meinst du?“
Können wir uns das leisten? Ich mein nicht finanziell, sondern den Laden zumachen, obwohl wir grad erst eröffnet haben?“
Hey, ich denke, Sascha und Denise werden uns am Samstag gern vertreten, wenn wir sie lieb fragen. Es ist doch eh noch kaum was los. Sollten Einkäufer kommen, können sie die Kontaktdaten notieren.“
Hm …“
Sag’s ehrlich, wenn du lieber hier bleiben willst. Wenn du in Düsseldorf nur rumquengelst und andauernd Sascha anrufst, um zu fragen, ob alles in Ordnung ist, wird das kaum sehr entspannend sein.“
Ich quengele nicht!“, empört sie sich.
Ich mein ja nur.“
Nein, das ist okay. Du hast Recht. Es ist nicht viel los, Sascha und Denise schaffen das schon. Und ja, ich geb’s zu, ich hab so ‚ne Art Heimweh; ich vermisse Dana und die anderen.“
Gut, dann machen wir das.“

Zwei Tage später haben wir eine neue Mitarbeiterin unter Vertrag. Eine junge Frau namens Josephine – wir sollen sie Josie nennen – ist jetzt offiziell unsere Näherin. Sie hat zwei Kinder und kann die Kohle gut brauchen. Sie ist lustig und hat ganz entzückt gequietscht, als sie Marthas Accessoires gesehen hat.
Martha meint, sie paßt zu uns.

Und am Wochenende haben wir auch unseren Firmenwagen. Einen betagten Mercedes-Kombi, den Sascha uns nahegelegt hat. Wir haben uns da ganz auf ihn verlassen, da weder Martha noch ich Ahnung von Autos haben.
Noch ist er ohne Logo, aber das kommt noch.
Sascha meint, wenn wir Lust hätten, sollten wir mit dem Wagen nach Düsseldorf fahren, denn das gute Stück müßte mal auf der Bahn freigefahren werden.
Ich habe nichts dagegen. Könnte nett sein, so mit Martha on Tour … zwischendurch irgendwo auf einem stillen Parkplatz ein kleines Nümmerchen …

Nun sind wir schon bald zwei Wochen in Berlin.
Manchmal habe ich das Gefühl, wir sind schon eine Ewigkeit hier und dann kommt es mir vor, als wären wir gestern erst angekommen. Geht’s dir auch so?“, fragt Martha mich.
Ich weiß nur, daß ich dich schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr geküßt habe.“, sage ich und ziehe sie an mich.
Klar.“ Martha verzieht das Gesicht.
Was denn? … Ist dir das so wichtig, ob mir die zwei Wochen hier nun lang oder kurz vorkommen?“
Ja nee … du machst du über sowas anscheinend nie Gedanken, hm?“
Find ich irgendwie Zeitverschwendung, wenn ich stattdessen an dich denken kann und was ich alles so mit dir anstellen könnte.“
Männer! Ihr seid doch alle gleich.“
Und? Wollt ihr uns anders haben?“
Martha schweigt.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch.
Na ja … manchmal schon. … Aber jetzt nicht.“, ergänzt sie, nimmt meinen Kopf in ihre Hände und küßt mich sehr innig.
Na also, geht doch.

Anderes geht auch.
Unsere Homepage ist fertig.
Sieht schnieke aus, findet Martha. Sie studiert täglich die Zugriffszahlen.
Natürlich hat sie Dana und Kim und wem sonst noch alles sofort den Link geschickt.
Nebenher oder eher hauptsächlich bereiten wir uns auf den Fashion-Day in München vor.
Die Kollektionen, die wir dort zeigen wollen, hat Mosch ja ungesehen gekauft.
Martha und ich wollen aber gerne bis dahin noch das eine oder andere neue Stück kreieren.

Nun muß Sascha ran.
Wir üben erstmal allein mit ihm. Später wollen wir ihn uns zusammen mit Gloria und ihrer Kollegin Isabell ansehen.
Alter, ich sag dir, wenn du lachst, hau ich dir eine rein.“, macht Sascha mir gegenüber gleich klar, was Sache ist.
Ich würde jetzt gerne erst recht lachen, aber strenggenommen gibt er mir keinen Anlaß dazu.
Er macht sich gut als Model. Er hat eine gute Figur und die Ausstrahlung stimmt.
Ein Kerl muß auch nicht über den Laufsteg stelzen, sondern eben Männlichkeit und Selbstbewußtsein ausstrahlen und das kann Sascha.
Soll ich noch ein bisschen mit dem Arsch wackeln?“, fragt Sascha, als ich ihn bitte, noch mal kehrtzumachen.
Was machen Sie eigentlich da unten? Eine private Modenschau?“, ruft es aus einem Fenster von der anderen Seite des Hinterhofes herunter.
Ja, sowas in der Art.“, ruft Sascha hinauf. „Wollen Sie mitmachen?“
Ich bin dreiundsiebzig. Wenn das egal ist?“
Jeder fängt mal an.“
Ich zeige Sascha einen Vogel.
Martha grinst nur.
Und ich setze mich fast auf den Hosenboden, als keine zehn Minuten später eine ältere Dame auf uns zugewackelt kommt.
Sie sind neu hier, nicht? Ich bin die Frau Krause von gegenüber. Aber wenn ihr wollt, können wir uns duzen und ihr nennt mich Oma Finchen.“
Martha schüttelt der Dame begeistert die Hand; kein Zweifel, daß Oma Finchen Marthas Herz sofort gewonnen hat.
Mein Mann … also mein Freund …“, Martha wirft mir einen kurzen Seitenblick zu.
Wir sind verlobt.“, sage ich schnell.
Na ja, also wir beide haben den Laden hier gepachtet. Wir sind Modedesigner.“
Mode macht ihr? Was denn für welche? Irgendsowas Ausgeflipptes, Verrücktes?“
Ja, äh, also meine Sachen sind schon etwas … unkonventionell.“, sage ich.
Kann ich mir das mal ansehen oder darf man das nicht?“
Natürlich dürfen Sie.“, meint Martha.
Willste mich nicht Oma Finchen nennen, Mädchen? Das tun hier alle.“
Doch, gerne.“
Martha führt Oma Finchen in den Laden und Sascha und ich marschieren grinsend hinterher.
Dann zeige ich ihr ein paar meiner Modelle.
Sag mal, Jungchen, sitzt das nicht ein bisschen knapp?“, fragt sie und dreht ein Mini-Kleid mit gewagtem Ausschnitt in den Händen.
Das soll so.“
Frech. Gefällt mir. Ist aber nix für den täglichen Supermarktbesuch, oder?“
Nein, eher nicht.“
So langsam gefällt mir Oma Finchen.
Würd Ihnen vielleicht sogar passen.“, meint Sascha.
Junge, du bist aber mutig, denke ich.
Früher hätte ich das mal probiert und meinen Josef damit angemacht. Aber der ist ja schon sechs Jahre tot.“
Wir lachen alle – die Frau ist goldrichtig.
Hört mal, wenn ihr mal Hilfe braucht ... Ich bin noch ganz rüstig und packe gerne mit an. So jungen Leuten wie euch muß man unter die Arme greifen, euch wird’s ja nicht leicht gemacht. Na, uns Alten auch nicht, aber was soll’s?“

Oma Finchen erweist sich schnell als unser guter Hausgeist.
Sie taucht immer auf, wenn man sie brauchen kann.
Hilft knurrenden Mägen ab, wenn wir über der Arbeit das Essen vergessen haben, bringt die Nähmaschine wieder ans Laufen, bevor Josie verzweifeln kann – Martha hätte das wohl auch geschafft, aber die war gerade nicht da – und schreckt auch nicht davor zurück, mir kreative Ratschläge zu geben.
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder sauer sein soll, aber als ich Marthas Blick auffange, wird mir schnell klar, daß Oma Finchen es nur gut meint.
Martha meint, jede Anregung sei wert, mal drüber nachzudenken, auch wenn man sie hinterher als untauglich verwerfen würde.
Ungewollt schleicht sich ein Bild in meinen Kopf … Oma Finchens Name auf meiner Kollektion. Vor Schreck zucke ich zusammen.
Tatsächlich hat Finchen aber sogar Recht, was den Tüll angeht …

Und dann ist es soweit – Martha hat sich überzeugt, daß sie nichts vergessen hat, daß alle über alles Bescheid wissen.
Und du rufst an, wenn irgendwas sein sollte …“
Ja, Martha. Entspann dich; was soll schon passieren, Oma Finchen ist doch da.“ Sascha kann sich das Grinsen nicht verkneifen.
Martha will etwas erwidern, aber ich zwinkere Sascha zu und der drückt sie einfach fest und schiebt sie dann mit sanfter Gewalt in meine Arme. „Ab mit dir!“
Ein wenig zögernd steigt sie ins Auto und ich lasse schnell den Motor an und fahre los, bevor sie mir wieder rausspringt.
Martha verrenkt sich zwar den Hals, bis sie Sascha und Denise nicht mehr sehen kann, aber dann scheint doch die Vorfreude auf ihre Familie zu siegen.
Tapfer ertrage ich ihr munteres Geplapper, denn während ich fahre, kann ich sie nicht ständig küssen.
Und nach etwa einer halben Stunde Autobahnfahrt wird sie ruhig, lehnt sich entspannt zurück und streichelt zärtlich meinen Nacken.
Ich liebe dich, Juri.“
Ich dich auch.“

Kapitel 8

Eigentlich ist es eine schöne Fahrt.
Martha sieht mich immer wieder liebevoll-zärtlich an und ihr wiederholtes „Ich freu mich so!“ nervt mich nicht; das gehört einfach zu ihr.
Ich wiederum freue mich, daß sie glücklich ist.
Insgeheim habe ich doch hie und da Angst, den Anforderungen einer Beziehung nicht gewachsen zu sein, sie nicht glücklich zu machen.
Daß sie mich doch eines Tages fallen läßt.
Ich bin schwierig. Ich bin anstrengend.
Ich muß noch soviel lernen, was Gefühls- und Beziehungsdinge angeht.
Wird sie wirklich auf lange Sicht soviel Geduld mit mir haben?
Andererseits hatte sie die bisher auch.
Auch als Chef war ich nicht einfach.
Du … ehm …“
Ja?“
Du sagst mir doch, wenn ich irgendwas falsch mache, oder? Ich meine, was unsere Beziehung angeht …“
Juri, machst du dir Sorgen? Das mußt du nicht. Mit unserer Beziehung stimmt alles und du machst mich sehr glücklich.“
Sie sagt das so überzeugt, daß ich wirklich nicht daran zweifeln kann.
Ich meine nur, daß du nicht warten sollst, bis ich selber merke, daß irgendwas nicht stimmt. Ich bin einfach zu … unerfahren, um … du weißt schon …“
Ich denke schon, daß ich begriffen habe, was du meinst. Du brauchst immer konkrete Bedien-Hinweise.“, kichert sie.
So hab ich das nicht … doch, stimmt schon.“, brumme ich. Und dann muß ich auch lachen.
Juri, mal im Ernst – wenn du irgendwas falsch machen solltest, dann weiß ich doch, daß du das nicht absichtlich machst. Und dann reden wir ganz in Ruhe drüber. Du glaubst doch nicht, daß ich einfach nichts sage, den Frust in mich reinfresse, um dir dann irgendwann zu sagen, daß ich die Schnauze voll von dir habe?“
Doch, das waren so in etwa meine Gedanken.
Martha deutet mein Schweigen richtig.
Warum sollte ich tatenlos zusehen, wie die Beziehung mit dem Mann, den ich über alles liebe, den Bach runtergeht?“
Ja, das würde irgendwie keinen Sinn machen.
Umgekehrt gilt das aber auch. Also das mit dem offen reden. Ich mein, also, wenn ich dich nerve, wenn ich dich ungerecht behandle oder was auch immer, dann mach die Klappe auf und sag was. Okay?“
Ich nicke.
Weißt du, wir haben beide ziemlich gelitten, bis wir endlich zusammengekommen sind. Ich meine … unsere Beziehung … die hat was gekostet … und deshalb … sollte sie uns beiden wert sein, daß wir sie nicht vernachlässigen.“
Ich verstehe nicht ganz, was sie meint, nicke aber trotzdem nochmal.
Eine Beziehung läuft nicht von selbst, man muß an ihr arbeiten, sich immer wieder bemühen.“
Oh je. Hier fehlen wohl wieder die konkreten Bedien-Hinweise.
Wie macht man das? Reden?“
Angeblich ist Langeweile der schlimmste Beziehungs-Killer. Aber in einer Beziehung mit dir dürfte es kaum je langweilig werden, also stehen unsere Karten eh schon mal gut. Und ich bin absolut treu und hab auch kein Interesse, irgendwelche anderen Kerle anzuflirten. Wie das da so mit dir ist, weiß ich nicht. Nicht, daß du doch irgendwann wieder Appetit auf ein knackiges Model hast.“
Das befürchtet sie aber jetzt nicht ernsthaft?
Ich überlege eine Weile, bevor ich antworte.
Ich sehe dich nicht so, wie ich die Models gesehen habe. Ich weiß nicht, ob das so ist, weil ich dich liebe … sieht man Menschen dann anders? … Jedenfalls bist du für mich eine wunderschöne Frau, die mich unheimlich anmacht. So wie ich dich sehe – da kann kein Model mitziehen.“
Martha wird rot. „Danke.“, flüstert sie.
Scheinbar habe ich das richtige gesagt. Ganz so dumm stelle ich mich wohl doch nicht an, was Beziehungsdinge angeht.
Interessanterweise bietet das Leben mit Martha jeden Tag solche kleinen Erkenntnisse für mich.
Und ich habe das Gefühl, früher mit geschlossenen Augen durch’s Leben gelatscht zu sein.

Dann kommen wir allgemein ins Plaudern, fragen uns, ob Alexa vielleicht vor Wut geplatzt ist, was zu schön wäre.
Ich fänd’s ja gut, wenn Rebecca jetzt mal zum Zuge kommen würde. Ich mein, die ist gut genug, um LCL alleine zu vertreten …“
Rebecca hat das Problem, daß sie es immer allen Recht machen will und sich daran beinahe aufreibt. Sicher ist sie gut genug, um alleine was auf die Beine zu stellen. Sie sollte besser ihr eigenes Ding machen so wie wir. Und die Kohle dafür hat sie doch.“
Ich wette, man setzt ihr ganz schnell wieder so einen angesagten Jung-Designer mit großer Klappe vor die Nase und sie darf wieder nur die zweite Geige spielen.“
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und sehe sie ernst an, kann mir aber das Grinsen kaum verkneifen.
Sie sieht mich erschrocken an. „Entschuldigung ... ich …“
Schon gut. Ich weiß, wie du’s gemeint hast. Sie sollte sich das nicht gefallen lassen.“
Nee, echt nicht. … Wie weit noch?“
Noch knapp dreihundert Kilometer.“
Martha seufzt. Klar kann sie es kaum erwarten, endlich da zu sein und Dana zu knuddeln und alles an Neuigkeiten rauszusprudeln.
Und ich freue mich irgendwie darauf, sie dabei zu beobachten.
Aber bis dahin genieße ich die Fahrt.
Mit der Parkplatznummer wird es freilich nichts. Zu hell, zu belebt. Vielleicht kann ich Martha dazu bewegen, daß wir nachts zurückfahren …

Und dann sind wir da.
Als wir durch uns bekannte Straßen Düsseldorfs fahren, reckt Martha den Kopf aus dem Fenster, um sich alles genau anzusehen.
Dann wendet sie sich zu mir.
Ist schon komisch. Düsseldorf ist ja gar nicht meine Heimat … und ich bin ja noch keine drei Wochen weg von hier … aber … hier … in Düsseldorf … da ist sooo viel passiert. Ich meine … in der Zeit … da hat sich mein ganzes Leben umgekrempelt. Ich bin von der kleinen Näherin zur Design-Assistentin aufgestiegen. Bin Accessoire-Designerin geworden. Hab mich selbstständig gemacht. … Ja und du … wir beide … ich kann noch gar nicht fassen, was alles in der kurzen Zeit passiert ist. Und jetzt in Berlin schon wieder … kaum da und …“
Martha!“
Was?“
Wir sind da.“
Oh … ja … das ging jetzt aber schnell.“
Ich grinse nur.
Keine Minute später stehen wir vor der Haustür. Martha will klingeln, doch dann fällt ihr ein, daß sie noch die Schlüssel hat.
Eigentlich ist das ja dreist, oder? Ich mein, ich wohn ja nicht mehr hier. Und dann so unangemeldet hier reinplatzen … ich hätte doch besser vorher anrufen sollen.“
Martha! Nun mach dir nicht so viele Gedanken.“
Ja. Du hast Recht. Ich würd mich auch nicht beschweren, wenn meine Familie plötzlich bei uns auftauchen würde.“
Ich mich schon. Dann könnte ich Martha nicht mehr vernaschen, wo ich will. Und das kann überall sein.
An der Wohnungstür klingelt sie dann aber doch.
Es öffnet eine unbekannte Frau, die ein Baby auf dem Arm hat.
Ja?“, fragt sie freundlich.
Entschuldigung. Ich bin Martha. Martha Wolf. Ich wollte meine Familie besuchen, so ganz spontan …“
Martha! Ja, schade, daß wir uns vor deiner Abreise nicht mehr kennengelernt haben, gehört habe ich schon viel von dir. – Ich bin übrigens Biggi, ich helfe den Wolfs mit dem Haushalt und dem Kleinen.“
Hat Thomas sich doch überwunden, sich helfen zu lassen?“
Ja, der alte Sturkopf lenkt hie und da ein. – Kommt rein.“
Das ist übrigens Juri Adam, mein …“
Verlobter.“, ergänze ich grinsend.
Ja.“, bestätigt Martha und lächelt mich dabei so süß an, daß ich sie einfach küssen muß.
Biggi grinst nun auch.
Setzt euch. Habt ihr Hunger?“
Oh, machen Sie sich bitte keine Umstände.“
Das sind keine Umstände, es ist nämlich schon fertig und du läßt das Siezen, okay?“
Martha wird ein wenig rot, nickt aber.
Seid ihr mit der Bahn gekommen?“, fragt Biggi.
Nein, mit dem Auto. Wir haben uns gerade einen Firmenwagen zugelegt. Gebraucht natürlich.“
Ui, das riecht aber gut … „ ruft es von der Tür her. Und dann „Martha!!!“
Meine Süße springt auf und flitzt Kim entgegen, während ich mich etwas langsamer erhebe und Emilio begrüße, während die beiden Mädels sich drücken und knuddeln.
Juri, altes Haus, was macht ihr denn hier? Schon die Schnauze voll von Berlin?“
Martha hat euch so sehr vermißt, da dachten wir, kommen wir einfach mal vorbei.“
Klasse. Mal eben so in den Flieger …“
Oder in den eigenen Firmenwagen.“
Was?“
Ich nicke nur.
Coole Aktion.“
Wir tauschen und ich begrüße Kim, während sich Martha und Emilio stürmisch umarmen.
Warum habt ihr nicht vorher angerufen? Mann, wir müssen doch ‚ne Party schmeißen!“ Kim sieht uns vorwurfsvoll an.
Weil sie uns überraschen wollten, vielleicht?“ Emilio verdreht die Augen.
Weiß denn wenigstens Dana Bescheid?“
Martha schüttelt verlegen den Kopf.
Rufst du sie an oder soll ich?“
Ich mach das schon."


Eine Weile später ist Dana da und die beiden Cousinen drücken sich, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen.
Dann kommt Marthas Onkel nach Hause. „Martha! Na, das ist ja ‚ne Überraschung! Und? Schon genug von der Hauptstadt? Oder wird er hier frech?“ Damit blickt er zu mir.
Nein. Alles bestens. Wir fühlen uns wohl, kommen prima klar und Juri …“
Sie sieht mich an und es kommt einfach nichts anderes in Frage, als sie an mich zu ziehen und zärtlich zu küssen.
Scheint so, als müßte dein Zahnarzt sich an anderen seine Brötchen verdienen.“, meint Dana und knufft mich in die Seite.
Und dein Modedesigner hat keine linken Hände, was die praktische Arbeit in so ‚nem Laden angeht?“, fragt Marthas Onkel und grinst mich frech an.
Doch. Deswegen haben sie ja schon Sascha nach Berlin gelockt.“, lacht Dana.
Den mußten wir nicht locken, der kam nur zu gern.“, verteidigt Martha uns. „Und gerade hütet er zusammen mit seiner neuen Freundin unseren Laden. … Sascha gehört einfach zu uns.“, ergänzt Martha leise.
Ich fange ihren Blick auf. Ja, Sascha gehört zu uns, aber was uns verbindet, das geht nur uns was an.

Dann tischt Biggi uns auf und wir lassen es uns schmecken. Ich zumindest bin nach der ungewohnten Autobahnfahrt mächtig hungrig.
Martha ist in ihrem Element. Munter erzählt sie von der Eröffnung, von Denise, von unserem Wagen, von Gloria und Josie und und und. Ihre Wangen glühen vor Eifer.
Ich lausche meist nur und freue mich, daß sie glücklich ist.
Ein wenig unterhalte ich mich mit Thomas.
Als Martha auf Oma Finchen und unser neues Model Sascha kommt, bricht die ganze Runde in Lachen aus. Wie Martha beide nachahmt, ist aber auch wirklich sehr komisch.
Oma Finchen … das ist echt der Knaller!“, japst Kim und hält sich den Bauch vor Lachen. „Du mußt mir unbedingt ein Foto von ihr mailen.“
Ja, aber bitte nicht in Juris Fummeln.“, stöhnt Emilio.
Fummeln? Also ehrlich!“, empört sich Martha.
Ist ja gut … ich will diese Oma jedenfalls so angezogen sehen, wie sich das für eine Oma gehört.“
Boah, Emilio, du bist ja so ein Spießer! Ich find’s total cool, daß die noch so locker drauf ist.“, kichert Kim.

Später leisten uns noch Rebecca und Marlene Gesellschaft, die nicht eher aus der Firma weg konnten.
Martha gesellt sich gleich zu Rebecca und fragt, wie es bei LCL so läuft.
Derweil kommt Kim zu mir.
Du, danke für die Karte. Die mit der Madonna, du weißt schon.“
Ach ja.
Du weißt, daß du nicht schuld bist an dem, was passiert ist?“, frage ich vorsichtig.
Jaaaaaa …“
Es klingt nicht sehr überzeugt.
Ja, schon … aber … wenn ich …“
Nein, Kim! Du darfst dir nicht die Schuld geben. Ich hab mir zwanzig Jahre lang die Schuld am Tod meiner Eltern gegeben und das … hat mich kaputt gemacht.“
Ich merke, daß ich die letzten Worte nur noch leise, fast flüsternd gesagt habe.
Kim sieht mich erstaunt an.
Meine Eltern wurden … erschossen. … Im Krieg. Ich hab es beobachtet. … Und nichts gemacht. … Ewig lang hab ich mir Vorwürfe gemacht, daß … daß ich was hätte tun müssen.“
Aber warst du da nicht noch ein Kind?“
Ich war fünfzehn.“
Was hättest du denn machen sollen gegen bewaffnete Soldaten? Die hätten dich doch auch …“
Ja, sie hätten mich genauso erschossen wie meine Eltern. Saschas Vater und seine Waffengefährten.
Trotzdem hab ich mir die Schuld gegeben … es nicht … wenigstens versucht zu haben. … Bei dem Versuch zu sterben … das wäre mir gerecht erschienen. … Ich war der Meinung, daß ich nicht das Recht hatte zu überleben. … Und das hat ein emotionales Wrack aus mir gemacht. … Ich will nicht, daß es dir genauso ergeht. Daß du dich ein Leben lang für etwas haßt, für was du nichts kannst. Unglücklich bist. Und die Menschen, die dich lieben, ebenso unglücklich machst.“
Ich sehe sie eindringlich an. Und staune über mich selbst. Ich weiß, ich habe immer wieder tief Luft holen müssen, neuen Mut fassen, weiterzusprechen. Aber ich habe es geschafft.
Es war schwer genug, gegenüber Martha und Emilio darüber zu reden. Bei Kim ist es noch viel schwerer. Aber es muß sein!
Aber …“
Du weißt, wie sehr Martha meinetwegen gelitten hat. Und sie hat es immer noch nicht leicht mit mir. Weil ich erst wieder lernen muß, Gefühle zuzulassen, Gefühle zu zeigen … andere Gefühle als den Selbsthaß.“
Sie nickt. „Ja … ja, wahrscheinlich hast du Recht. Martha hat mir sowas Ähnliches auch schon gesagt. … Ich werd‘ drüber nachdenken.“
Das ist gut. Mehr will ich gar nicht.

Kapitel 9

Zwischendurch wird mir der Trubel fast zuviel. Martha merkt das.
Entschuldigt uns bitte für eine Weile, ja?“, meint sie, nimmt meine Hand und bedeutet mir, ihr zu folgen.
Könnt ihr nicht mal eine Stunde voneinander lassen?“, kichert Kim.
Erleichtert seufzend sinke ich in Marthas Zimmer auf ihr Bett.
Hardcore, meine ganze Family auf einmal zu ertragen, was?“, lächelt Martha mich an.
Die sind … ziemlich … lebhaft.“, grinse ich schief und schließe die Augen.
Martha kuschelt sich an mich.
Lieb, daß du das für mich durchstehst.“
Ganz so schlimm ist es auch wieder nicht. Ich bin es nur nicht gewohnt. Du weißt ja, daß ich es nie lange unter Menschen aushalte.“
Deswegen wollte ich dir jetzt eine wohlverdiente Pause gönnen.“
Und die tut gut.
Wir liegen einfach nur da. Ich entspanne mich und bin wohl auch für eine Viertelstunde oder so eingeschlafen.
Als ich wieder aufwache, sehe ich direkt in Marthas Augen. „Na, mein Schatz, ausgeschlafen?“, fragt sie zärtlich.
Ich drücke ihr einen Kuß auf die Stirn.
Ich find’s gut, daß du mit Kim geredet hast. Ich hab ja mit ihr … als ich ihr die Karte gegeben habe. Aber … ich glaube nicht, daß ich die richtigen Worte gefunden habe. Du … du hast es erlebt, du weißt, wie … wie sich das anfühlt, wenn man …“
Ich ziehe sie an mich und drücke sie fest.
Wenn du nicht schon … vorgearbeitet hättest, wäre sie vielleicht nie von sich aus auf mich zugekommen.“
Und ob ich aus eigenem Antrieb dieses schmerzliche Thema angesprochen hätte, bin ich mir nicht so sicher.

Als wir wieder ins Wohnzimmer hinübergehen, empfangen uns anzügliche Blicke und ein „War’s schön?“ von Kim.
Was ihr gleich denkt! Juri brauchte einfach nur ‚ne halbe Stunde Ruhe von eurem Geschnatter.“, lacht Martha.
Also ehrlich …“ Kim tut entrüstet.
Hey, Juri ist nun mal eher ein Einzelgänger. Laßt ihn doch. Wir hatten doch auch ohne die beiden Spaß.“, lacht Dana.
Ich weiß, es war unhöflich …“, versuche ich mich zu entschuldigen.
Du mußt dich nicht rechtfertigen. Ist doch okay, wenn du dich für eine Weile zurückziehst. Und ich weiß, wie schwer meine Weiber im Rudel zu ertragen sind.“, meint Thomas.
Papa!!!“ Marlene verschränkt beleidigt die Arme vor der Brust.

Es gibt Kaffee, der mich wieder munter macht. Dann machen wir einen ausgiebigen Spaziergang durch die frische Luft.
Später unterhalte ich mich eine Weile mit Rebecca, die mir irgendwie gefrustet erscheint.
Ich glaube, sie sieht bei LCL nicht mehr viele Möglichkeiten, sich kreativ zu verwirklichen. Anscheinend wird sie von allen Seiten ausgebremst; man traut ihr zu wenig zu.
Ich sage, was ich denke: „Mach dich selbstständig.“ Aber dazu scheint ihr … noch … der Mut zu fehlen.

Abends ist nur noch eine kleine Runde übrig. Rebecca und Marlene haben sich verabschiedet. Kim und Emilio haben Kinokarten, die sie nicht verfallen lassen wollen. Das heißt, Kim wollte schon bleiben, aber wir haben sie rauskomplimentiert. Wir sehen uns ja morgen noch.
Außer Thomas und Biggi ist jetzt nur noch Dana da.
Eigentlich hätte ich mich ja mal bei LCL blicken lassen sollen. Weil … na ja, um Nicole zu besuchen … und Jessica.“
Mal ehrlich … diese Nicole ist doch nur ein fieses Lästermaul.“, meint Dana.
Hast du vergessen, daß sie es war, die rumgetratscht hat, du hättest dich hochgeschlafen?“, werfe ich ein.
Ja, schon … aber …“
Ja ja, du bist nicht nachtragend und überhaupt viel zu lieb.“ Ich muß sie küssen, ich kann nicht anders. „Du bist hier, um deine Familie zu besuchen und sie gehört eindeutig nicht dazu.“
Da muß ich Juri Recht geben. Wir sind schon so viele und wenn da jetzt noch zwei dazukommen, bleibt nicht mehr genug Martha für uns. Ganz besonders nicht für mich. Komm her, Cousinchen!“ Und Dana knuddelt und herzt Martha so heftig, daß sie sie fast vom Sofa schubst.

Habt ihr eigentlich schon Hochzeitspläne? Ach, vermutlich seid ihr über dem Eröffnungsstreß noch gar nicht dazu gekommen, darüber nachzudenken.“ Dana sieht uns gespannt an.
Das ist auch nicht soooo eilig.“, wehrt Martha ab.
Hauptsache, ich werd‘ deine Trauzeugin, egal wann.“
Klar, das ist doch Ehrensache. Und Sascha wird deiner, nicht?“, wendet sich Martha an mich.
Ja … ja, sicher.“, meine ich. „Erstmal muß der Laden einigermaßen rund laufen. Und dann …“
Was?“, fragt Dana.
Ich hab mir selbst etwas versprochen …“
Dana sieht mich ebenso verwirrt wie neugierig an, aber als ich nicht fortfahre, meint sie: „Hör mal, wenn du nicht darüber reden magst, das ist okay.“
Nein, ist schon gut. Es ist … ich hab mir vorgenommen, Martha erst zu heiraten … wenn … wenn ich … eine Therapie gemacht habe.“ Ich merke selbst, daß ich verlegen zu Boden starre. Ich sehe mich selbst wieder, wie ich eine geladene Waffe auf Martha richte und weiß, daß das mit der Therapie sein muß.
Eine Therapie?“, fragt Dana erstaunt.
Ja. … Wegen meiner Vergangenheit. Es muß sein. Ich muß das endlich hinter mir lassen.“
Ich sehe Martha an und wir sind uns einig, daß das, was mit Sascha vorgefallen ist, auch künftig unter uns bleibt.
Ich will nur nicht … ich will nicht … daß man mich … mit diesem … Psychopharmazeugs vollstopft!“
Also eine Klinik, wo man dich einfach nur mit sowas ruhigstellt, statt dir zu helfen, kommt ja überhaupt nicht in Frage!“, engagiert sich Martha leidenschaftlich. „Das würde ich niemals zulassen.“
Ich sehe sie im Geiste vor mir, wie sie mutig einem Pfleger mit einer Spritze in der Hand gegenübertritt, um mich zu schützen und spüre einen Kloß im Hals. Meine Martha!
Ich versteh‘ euch absolut. Mit diesem Zeug ist nicht zu spaßen. Wenn ihr wollt, kann ich Ricardo mal fragen, ob er eine Klinik oder einen speziellen Therapeuten empfehlen kann. Ist zwar nicht sein Fachgebiet, aber …“
Das wäre super!“
Ich nicke nur. Obwohl ich selbst mit dem Thema angefangen habe, ist mir jetzt unbehaglich zumute. Ich habe zwar nicht vor, die Sache unnötig lang aufzuschieben, bin andererseits aber froh, daß es noch nicht sofort soweit ist.
Immerhin renne ich nicht mehr weg.

Marthas Bett ist klein und ich schlafe unruhig. Ich hoffe, ich störe sie nicht allzu sehr. Ganz zu schweigen davon, daß sie versehentlich meinen Ellbogen abbekommt.
Mitten in der Nacht jagt mich ein unangenehmer Alptraum hoch.
Seit ich begriffen habe, daß ich nichts am Tod meiner Eltern hätte ändern können, träume ich nicht mehr jede Nacht vom Schrank.
Nein, es ist etwas anderes.
Ich glaube, ich habe mich in einer Gummizelle gesehen.
Ich schätze, das rührt von dem Gespräch am Abend her. Über die Therapie.
Hey, was ist los?“, fragt Martha besorgt, als sie mich sitzen sieht, wie ich auf das Fenster starre, zu dem blaß der Mond hinein scheint.
Hast du schlecht geträumt?“
Ich nicke. „Ich schätze, ich hab Schiß … vor der Therapie.“ Ich versuche ein Grinsen, aber im Halbdunkel kann Martha das nur erahnen.
Hey, ich geb dich nur in die allerbesten Hände. Und ich werde darüber wachen, daß die nichts mit dir machen, was wir nicht wollen. Ich laß dich nicht damit allein.“
Ihre Worte tun mir so unglaublich gut.
Sanft drückt sie mich zurück in die Kissen, schmiegt sich eng an mich.
Ihre warme Nähe beruhigt, entspannt mich bald.
Ich bin ihr so dankbar.
Und das muß ich ihr gar nicht sagen.
Ich weiß, daß sie das weiß.
Den Rest der Nacht schlafe ich ganz ruhig, geborgen in ihren Armen …

Hey, alles okay?“, fragt Martha am nächsten Morgen, als ich mich gähnend recke.
Mhhh.“
Schön, ich hab nämlich soooo Hunger. Und Biggi hat bestimmt schon das Frühstück fertig.“
Marthas knurrenden Magen nehme ich immer absolut ernst.
Und so ziehe ich sie nur zu einem langen zärtlichen Kuß an mich und schubse sie dann sanft aus dem Bett.
Mein Magen knurrt übrigens auch.
Na, aus dem Bett gefallen? Ist doch noch früh.“, begrüßt uns Biggi.
Der Kaffee duftet wunderbar.
Ich glaub, mein Magen hat unbewußt auf das Tellerklappern reagiert und mich geweckt.“, lacht Martha.
Ah ja.“, grinst Biggi. „Rührei?“
Ja, gern, aber …“
Nein, es macht keine Umstände.“
Ich hab selber einen Anflug von schlechtem Gewissen, daß wir uns hier durchschmarotzen und auch noch bedienen lassen.
Dann spülen wir aber nachher.“, bestimmt Martha. Na, ob sie damit durchkommt?
Doch sie setzt sich durch.
Sie spült und ich trockne ab; Biggi räumt ein.
Ich bin an sowas inzwischen ein wenig gewöhnt. Das Zusammenleben mit Martha zivilisiert mich. Früher habe ich ab und zu mal meine Kaffeetasse ausgespült. Mehr nicht.
Das geht mit Martha nicht. Sie ist eine Frau und mag es ein wenig ordentlicher. Da muß ich mich anpassen. Abgesehen davon arbeitet Martha genauso viel im Laden wie ich – was für ein Arschloch wäre ich denn, wenn ich nach der Arbeit das Nichtstun pflegen würde, während sie in der Küche steht oder die Wohnung putzt? Ich bin sicher meilenweit von einem guten Hausmann entfernt, aber ich tue was.
Und Martha schickt mich oft genug zum Joggen, weil ich manchmal doch eher hinderlich als nützlich bin. Aber für sie zählt der gute Wille und der Einsatz und beides ist da.
Bei den Wolfs geht aber alles gut; ich blamiere mich nicht.

Am späten Vormittag bin ich mit Martha und Dana auf dem Weg zum Friedhof. Martha möchte Viktorias Grab besuchen, bevor wir fahren. Wer weiß, wann wir das nächste Mal hier sein werden?
Sie drückt meine Hand ganz fest, als wir vor der Grabstätte stehen. Sie weiß sehr gut, wie mir zumute ist.
Aber ich denke wieder an Goethe. Was man im Herzen trägt …
Und ihr helfen seine Worte auch.

Und dann heißt es Abschied nehmen. Martha drückt sie alle heftig.
Ich werde ermahnt, auch weiterhin gut auf sie aufzupassen.
Das werde ich.
Martha winkt und winkt und ist dann lange Zeit ganz still.
Ich sage nichts, drücke nur ihre Hand.

Kapitel 10

Es war schön, sie alle wiederzusehen. … Berlin ist toll und wir haben Sascha und Denise und jetzt auch noch Oma Finchen …“
Aber es ist nicht deine Familie, hm?“
Ja. … Nein. … Ach, das ist doof, ich will irgendwie beides haben und das geht halt nicht. Ich sollte mich nicht so anstellen. So weit weg ist Düsseldorf nicht. Mama und Papa habe ich viel länger nicht gesehen …“ Martha starrt eine ganze Weile zum Fenster raus.
Sie haben dich nie … in Düsseldorf besucht, nicht?“
Nein, leider. Und ich muß gestehen, daß du mich so derart wuschig gemacht hast, daß ich meist nur an sie gedacht habe, wenn es mir mal wieder dreckig ging und ich am liebsten abgehauen wäre. Warum denkt man so selten an seine Eltern, wenn es einem gut geht, wenn man glücklich ist?“
Ich will darauf nicht antworten.
Sorry, ich trampele gerade wie ein Maulesel querbeet durch deine Gefühle.“, meint Martha schuldbewußt.
Schon gut. Ich denke, ich weiß, warum … also, warum man seine … Eltern mehr vermißt, wenn es einem … nicht gut geht. Weil sie dann immer für einen da waren.“
Ja. Ein paar tröstende Worte, eine Umarmung …“
Oder ein Klaps auf den Allerwertesten.“ Mir gelingt ein Lächeln.
Magst du sie nicht mal einladen, dich in Berlin zu besuchen?“
Sie sind so gar keine Großstadtmenschen. Aber ich glaube, sie möchten dich schon gerne kennenlernen.“
Was wissen sie … denn … über mich?“
Mir wird ein wenig flau. Wenn Martha ihnen geschrieben hat, wie sie meinetwegen gelitten hat …
Keine Sorge. Meinen Liebeskummer und all den Frust habe ich nur bei Dana und Sascha abgeladen, meine Eltern wissen nichts darüber. Sie wissen nur, daß ich jetzt fest mit meinem ehemaligen Chef zusammen bin und daß wir eben gemeinsam diesen Laden hier haben. … Ich meine … sie waren so weit weg, sie hätten mir eh nicht mit meinem Kummer helfen können. Und ich wär mir auch … na ja, ziemlich unreif vorgekommen, wenn ich meinen Eltern vorgeheult hätte, daß mein attraktiver Chef mich nicht will.“ Martha grinst ein wenig schief.
Und wie der dich will, seit er endlich kapiert hat, was gut für ihn ist.“ Ich drücke ihr schnell einen Kuß auf die Stirn.
Wir beide … manchmal glaube ich es immer noch nicht so ganz …“ Martha lehnt sich entspannt zurück und lächelt glücklich.
Aber doch, sie müssen mal kommen. Sie sollen dich nicht erst zu unserer Hochzeit kennenlernen.“
Ich nicke nur.

Wir unterhalten uns eine Weile über LCL und wie es da weitergeht und ich erzähle von Rebeccas Frust.
Martha findet es schade, daß unser Laden ihr keine Möglichkeit bietet, ihr eigenes Ding zu machen. „Wir müssen uns selbst erst mal etablieren, die Leute müssen unseren Stil wiedererkennen.“
Da hat sie Recht. Wenn 'Korolok' erstmal bekanntes Markenzeichen ist und Marthas und meine Sachen ihren Markt gefunden haben, dann können wir über neue Linien, Stile und dergleichen nachdenken. Aber soweit sind wir noch nicht.

Am frühen Abend erreichen wir Berlin.
Mal schauen, ob unser Laden noch steht.“, grinse ich.
Wir waren keine zwei Tage weg, was soll da passiert sein?“, lacht Martha.
Von außen sieht er jedenfalls heil aus.
Und weil Martha uns telefonisch angekündigt hat, stehen Sascha und Denise schon vor der Tür, kaum daß ich den Wagen geparkt habe.
Wir werden stürmisch begrüßt.
Martha bringt nur schnell unsere paar Sachen rauf in die Wohnung, dann geht’s ab zu unserem Stamm-Mexikaner.
Martha erzählt sofort los und ist schnell mit Sascha in einer angeregten Unterhaltung, während Denise und ich meist lächelnd zuhören.
Ich war ja dabei und Denise kennt all die Leute nicht, über die sich Martha und Sascha so munter unterhalten.
Aber das ist mir recht. Ich bin von der Fahrt ein wenig müde und widme mich lieber dem Essen.
Als Sascha und Denise dann erzählen, wie es ihnen so ergangen ist, höre ich aber aufmerksam zu.
Sie haben einige von Marthas Accessoires verkauft.
Josie war da und hat fleißig genäht.
Ach ja, eins von deinen Einzelstücken haben wir auch verkauft.“, meint Sascha zu mir. „So eine gertenschlanke Schwarzhaarige hat sich sofort verliebt, als sie das Teil gesehen hat. Dieses silbergraue Dings …“
Ah, das wo Finchen den Tüll bemeckert hat. Der war ihr zuviel und ich hab ihn ein wenig … zurechtgestutzt. Scheint so, als hätte ich gut daran getan, ihrer Meinung zu folgen. Okay, nicht exakt; das fehlte noch, daß Oma Finchen hier kreativer Kopf wird und ich nur noch ihr Assistent …
Weißt du, etwas fehlt hier aber …“ Sascha kneift die Augen halb zu und sieht mich mit schiefgelegtem Kopf an. „Schlag mich nicht, aber ich finde, wenn du mit einer Frau mit so einer tollen weiblichen Figur zusammen bist … dann sollte ein Teil deiner Fummel auch für solche Frauen tragbar sein.“
Da hat er mich erwischt. Das ist mir fast ein wenig peinlich.
Martha versucht, mich zu verteidigen.
Juri muß sich doch an dem orientieren, was der Markt will, wenn seine Mode erfolgreich sein soll. Und keiner will an mir so Sachen sehen, wie Juri sie designt.“
Schwachsinn!“, fährt es mir raus. „Ich hab mich nie darum geschert, was andere wollen. Ich hab nur immer nur gemacht, wo ich auch dahinter stehe. Und scheiße ja, Sascha hat Recht. Es ist keine Frage der Figur, ob eine Frau sich sexy und aufregend kleiden kann. Ich könnte sehr wohl Klamotten für Frauen wie Martha designen, die … die …“
Ja, was eigentlich? Die Marthas wahre Werte widerspiegeln? Ich sehe mich plötzlich vor einer neuen Herausforderung.
Sascha sieht mich neugierig an. Denise ernsthaft interessiert. Und Martha ein wenig unbehaglich; ich glaube, sie denkt, ich würde mich irgendwie in die Ecke gedrängt fühlen.
Ich muß da in Ruhe drüber nachdenken. Sowas läßt sich nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Und …“
Und wir haben ja auch noch eine Menge anderes zu tun. Die Kollektionen für Mosch müssen noch mal eingehend überprüft werden, ob alles damit okay ist, dann ist es jetzt nicht mehr lang bis zu unserer Präsentation in München und …“
Martha! Schnauf mal durch! Das ist ja alles richtig, was du sagst. Aber ich will nicht stillstehen. Ich will mich weiterentwickeln. Und Sascha hat mir grade klargemacht, daß es immer wieder was Neues gibt.“
Martha lächelt und entspannt sich, als sie merkt, daß ich keineswegs genervt bin.
Was macht dein Model-Training?“, frage ich Sascha.
Kam ein bisschen zu kurz, sorry.“
Macht nichts. Ich rufe Gloria an, sie soll die Tage mal mit ihrer Kollegin vorbeikommen, damit ich euch zusammen laufen sehe. Erst wenn ich weiß, wie ihr zusammen wirkt, kann ich mir überlegen, in welcher Reihenfolge ihr mit welchen Modellen laufen sollt.“
Ist da soviel zu beachten?“, fragt Denise überrascht.
Martha läßt mich gar nicht zu Wort kommen, sondern erklärt temperamentvoll jedes Detail, auf das es auf dem Laufsteg ankommt.
Ich finde sie wieder so unwiderstehlich süß und denke, es wird Zeit, daß wir nach Hause gehen und ungestört sind …

Ich hätte nie gedacht, daß ich wirklich mal ein normales Leben in einer normalen Beziehung leben würde und so normale Sachen tun, wie andere sie tun.
Sicher, meine Beziehung mit Martha ist etwas Besonderes und wird es auch immer bleiben.
Und trotzdem … ist unser Alltag tatsächlich ganz normal.
Ich habe an diesem Abend gemeinsam mit Martha geduscht, wir haben uns dabei einfach nur zärtlich geküßt, uns eine Weile unter dem warmen Wasser aneinandergeschmiegt.
Dann haben wir uns im Bett zusammengekuschelt, noch eine Weile leise miteinander den Tag Revue passieren lassen und sind dann eingeschlafen.
Ich wäre durchaus nicht zu müde für Sex gewesen. Aber ich war wunschlos glücklich damit, sie einfach in meinen Armen zu halten.
Ich muß nicht täglich auf’s Neue mit ihr schlafen, nur um mir zu beweisen, daß sie zu mir gehört.
Ich fühle mich sicher in unserer Beziehung.
Was auch nicht heißen soll, daß unser Sexleben schon einschläft. Keineswegs. Dazu macht Martha mir viel zu oft klar, daß sie mich will.
Aber ich glaube, ich wollte mir wirklich anfangs damit beweisen, daß sie zu mir gehört. Irgendwie meine Besitzansprüche sichern oder sowas. Sie von mir abhängig machen, damit sie mich nicht verläßt.
Dieses Bedürfnis habe ich nicht mehr.
Daß Martha mir am folgenden Morgen deutlich zeigt, was sie will, kann ich unbeschwert genießen.

So langsam entwickelt sich alles.
Einen chaotischen, unorganisierten Touch hat es noch, aber Martha meint lachend, ganz ohne Chaos hätte das alles nicht meine persönliche Note.
Aber größtenteils läuft es.
Unsere neuen Kollektionen sind unterwegs zu Mosch. Martha und ich haben nur noch kleine Details geändert. Wir sind zufrieden; meine Modelle und ihre Accessoires harmonieren unserer Meinung nach gut. Und Mosch mailt, daß er sehr zufrieden ist und überzeugt, daß die Kombis ein Renner werden.
Der Verkaufspreis füllt unser Firmenkonto auf und die Ladenmiete, der Lohn für unsere fleißigen Mäuschen sowie die neuen Stoffkäufe sind kein Problem.
Unangenehm ist der ganze Behördenkram und die Buchhaltung. Zum Glück nimmt uns Denise da viel ab. Martha hat nämlich eigentlich nicht genug Zeit dafür.
Sie betreut unsere Webseite, die Kundenkontakte und braucht ja auch Zeit, um kreativ zu arbeiten.
Ich habe mir vorgenommen, gut auf sie zu achten, damit mir nicht entgeht, wenn sie sich übernehmen sollte.
Das Model-Training mit Sascha, Gloria und Isabell läuft gut. Die drei verstehen sich; den Mädels gefallen Saschas freche Sprüche und er ist cool genug, um mit ihren kleinen, nicht bös gemeinten Sticheleien locker umzugehen.
Bald habe ich einen Plan für die Präsentation auf dem Fashion-Day und bin guter Dinge, daß die drei in meinen Modellen gut rüberkommen werden.
Sascha macht sich richtig gut, nicht? Er bewegt sich locker-lässig und mit einer gewissen männlichen Würde.“
Ich sehe Martha von der Seite an. Eine innere Stimme sagt mir, daß sie ein bisschen zu sehr für Sascha schwärmt, während ein anderer Teil mir einen Klaps auf den Hinterkopf gibt und mir sagt, daß ich spinne.
Diese Würde hätt‘ ich ihm gar nicht zugetraut.“, meine ich trocken.
Martha lacht mich an und ich lache mit.
Was ich sagen will … er nimmt das ernster, als ich dachte.“
Hey, er weiß doch, was für uns beide davon abhängt.“
Stimmt. Sascha macht das nicht, weil er es für eine nette Abwechslung hält.
Ihr redet über mich, stimmt’s?“ Sascha sieht uns streng an.
Ich ziehe die Brauen hoch, Martha grinst. Ich muß auch grinsen. Und Sascha streckt uns die Zunge raus.
Alles in Ordnung.

Ich bemühe mich um einen einigermaßen geregelten Tagesablauf.
Nachts rumgeistern, den halben Tag verpennen und dann mittags erst in den Laden … undenkbar.
Daß ich nachts am besten arbeiten kann, daran kann ich nicht ohne Weiteres was ändern. Ich hab da nun mal meine kreativste Phase.
Martha weiß und versteht das. Also muß alles andere drumherum dem angepaßt werden.
Heißt, wir gehen zeitig schlafen, um vor meiner Arbeitsphase schon genügend geruht zu haben.
Denn danach schlafen wir nicht mehr so tief und fest wie vorher. Die Zeit nach meiner Kreativphase wird zu unserer Kuschel- und Schmusezeit. Und ist sehr schön und entspannend.
Jedenfalls starten wir so gutgelaunt und motiviert in den Tag.
Vor dem Frühstück laufen wir eine Runde durch die frische Luft, das tut uns beiden gut.
Gefrühstückt wird zusammen mit Sascha und Denise, die immer schon vor der Ladenöffnung da sind. Dieses gemeinsame Frühstück wird bald zu einer lieben Gewohnheit, die wir nicht mehr missen möchten, zumal wir bei der Gelegenheit immer in Ruhe besprechen, was anliegt.
Und ich lerne, daß ein gleichmäßiger Tagesablauf überhaupt nicht langweilig sein muß.
Abgesehen davon passiert sowieso immer irgendwas, was den Ablauf durcheinander bringt. Ganz zu schweigen von Oma Finchen, die immer für eine Überraschung gut ist.
Martha hat ihre kreative und wuselige Phase am frühen Nachmittag und ich liebe es, sie dann zu beobachten. Deshalb kümmere ich mich in der Zeit um den Laden, stecke mit Josie Stoffe zum Nähen ab … so bin ich in der Nähe und kann mich an Marthas Arbeitseifer erfreuen, ohne sie zu nerven.
Abends sitzen wir vier locker abwechselnd beim Mexikaner oder in unserem Hinterhof, auch Josie kommt ab und zu mit. Dann quatschen wir noch mal den Tag durch. Wenn wir im Hof sind, ist fast immer auch Finchen dabei.
Die Sonntage gehören Martha und mir allein. Ich habe Gefallen an entspannenden Spaziergängen gefunden.
Abgesehen davon bieten unsere Streifzüge durch Berlin und das Umland uns mannigfaltige Inspirationen für unsere Arbeit. Wir sind nie ohne Kamera und Skizzenblock unterwegs.
Auspowern tue ich mich genug. Ich gehe regelmäßig mit Sascha zum Boxen.
Er hat einen Club aufgetan, in dem sich noch mehr Gestrandete aus dem ehemaligen Jugoslawien tummeln.
Wir reden nicht über unsere Vergangenheit, aber es liegt eine Art gemeinsames Verständnis in der Luft und wer reden will, wird ganz sicher jemanden finden, der zuhört.
Ich wüßte nicht, warum ich mich einem von ihnen anvertrauen sollte, dafür hab ich ja Sascha.
Aber ich fühle mich wohl in diesem Club. Weil man mich zu verstehen scheint, ohne mich schief anzugucken oder auszuquetschen.
Das alles klingt so rosig, nicht? Harmonisch, keine Probleme.
Ganz so ist es nicht.
Es läuft nicht immer alles rund.
Ich bin immer noch ein ungeduldiger, mitunter unbeherrschter Kerl, der flucht und Sachen durch die Gegend schmeißt, wenn etwas nicht so wird, wie ich will.
Und Martha zuckt immer noch regelmäßig bei meinen Ausbrüchen zusammen.
Aber dann sieht sie mich an, lächelt mir aufmunternd zu.
Und ich entspanne mich, lächle zurück, sammle zusammen, was ich in der Gegend rumgepfeffert habe und fange noch mal neu an.
Mit Martha ist mein Leben anders geworden. Vor allem viel schöner.

Kapitel 11

Die nächsten Nächte bin ich sehr aktiv. Mir geht Saschas Bemerkung, warum ich bitteschön nichts für Frauen wie Martha designe, nicht mehr aus dem Kopf. Und so sitze ich jede Nacht an neuen Entwürfen.
Ich brauche nur Martha anzusehen, wie sie da liegt, selig schlummernd, das süße Gesicht mit einem Lächeln, weil sie so glücklich mit mir ist … und ein Blatt nach dem anderen füllt sich mit Linien, Formen, Farben …
Ich bin wie berauscht, habe gefühlte tausend Ideen und kann es kaum erwarten, all das, was durch meinen Kopf schwirrt, in die Tat umzusetzen.
Dabei bin ich super gut gelaunt und fühle mich, als könnte ich Bäume ausreißen.
Martha hat mich am nächsten Morgen nur kurz verwundert angeschaut, dann gelächelt und mich zärtlich geküßt. Sie wußte sofort Bescheid.
Sascha und Denise haben mein glückliches Gesicht ganz falsch gedeutet, uns vielsagend angegrinst.
Ich habe Sascha auf beide Wangen geküßt. „Alter, was los mit dir? Wenn du noch nicht satt bist, dann verkrümel dich mit deiner Süßen doch noch mal nach oben.“, meinte er grinsend.
Was? … Nein … Mir ist durch deine Bemerkung gestern was aufgegangen …“
Was für ‚ne Bemerkung?“
Warum ich keine Klamotten für Frauen wie Martha designe.“
Und das machst du jetzt? Und bist deshalb so gut drauf? … Hey, freut mich, wenn ich da was ins Rollen gebracht habe.“

Das hat er wirklich.
Martha muß mich gelegentlich ausbremsen, weil es auch noch anderes zu tun gibt.
Meine „normale“ Kollektion wird sicher gut laufen, aber wenn es nach mir ginge, würde ich meine neuen Entwürfe gleich mit über den Laufsteg schicken.
Aber das geht nicht. Aus mehreren Gründen.
Josie näht schon auf Hochtouren, aber die Aufträge unserer Kunden haben Vorrang.
Mir, der ich nur das kreative Zeug im Kopf habe und mich nur mit Mühe in den ganzen Geschäftskram reinfinden kann, fällt das schwer, aber ich sehe ein, daß das so sein muß, wenn unser Laden uns ernähren soll.
Was ich möchte, kann sich nur wer erlauben, der finanziell abgesichert ist.
Und Martha hat mich ausdrücklich davor gewarnt, meine Geldreserven aus LCL-Zeiten allzusehr zu erschöpfen.
Auch das sehe ich ein. Man weiß nie, was kommt.
Also habe ich seufzend akzeptiert, daß eine zweite Näherin erst drin ist, wenn nach dem Fashion-Day neue Aufträge reinkommen.
Aber ich bin so motiviert, daß ich mich sonntags selbst an die Nähmaschine setze, um nach und nach meine Entwürfe in die Tat umzusetzen.
Und meine Begeisterung läßt mich locker hinnehmen, daß wir die neue Stofflieferung zurückschicken müssen, weil sie einen Webfehler hat und der Wagen zur Reparatur muß.

Du kreierst nun also auch Mode für Frauen mit normaler Figur und nicht nur für so ausgehungerte Bohnenstangen, wo man von hinten nicht weiß, ob’s ‚ne Frau oder ‚n Kerl ist? Deine Sachen haben ja Pfiff, aber die sind alle ‚n paar Nummern zu klein.“
Finchen hält nie mit ihrer Meinung hinter’m Berg.
Jetzt fehlt nur noch eine eigene Serie für so immerjunge Feger wie dich, Finchen, was?“
Bring sie nicht auf dumme Ideen.“, knurre ich leise.
Sascha und Finchen machen sich neuerdings einen Spaß draus, mich hochnehmen zu wollen.
Leute, sorgt dafür, daß der Laden brummt, dann können wir alles machen.“, knurre ich etwas lauter und sehe Finchen vor mir, wie sie eine Schar Näherinnen befehligt, um Mode für Seniorinnen zu machen und weiß nicht, ob ich mir wünschen soll, daß unser Laden so gut läuft.

Martha ist natürlich neugierig auf meine Entwürfe und ich schwanke hin und her zwischen dem Bedürfnis, alles erstmal vor ihr geheim zu halten oder ihr stolz zu präsentieren.
Weil … was ich für sie kreiere, ist schon ein wenig anders als das, was sie sonst so trägt.
Sie hat mit ihren kurzen, engen Röcken ihre Figur zwar nie versteckt, aber …
Meine Entwürfe zeigen sie auch in knöchellangen Kleidern, figurbetont und sehr sexy, wie ich finde.
Eines davon zeigt viel Rücken, ein tolles Decolleté und würde durch den seitlichen Schlitz ab Kniehöhe auch Marthas schöne Beine zeigen.
Ich habe mich für ein kräftiges, leuchtendes Aquamarin entschieden, das sicher toll zu Marthas braunen Augen aussehen wird.
Josie hilft mir beim Nähen und ich bringe Martha dazu, uns machen zu lassen, bis wir fertig sind.
Der Spitzeneinsatz am Beinschlitz hätte mir den Verstand geraubt. Aber Josie hat’s drauf und kriegt das problemlos hin.
Außerdem hat Josie ein paar entscheidende Tips für mich, Marthas rundliche Figur vorteilhaft zur Geltung zu bringen.
Ich habe zwar schon kapiert, daß ich den Schnitt für Martha anders planen muß als für meine bisherigen Models. Aber mit Josies Hilfe bekomme ich bald ein Auge dafür und fummele mich ein.
Sascha will linsen, aber er darf nicht, weil er die Klappe nicht halten kann.
Und dann ist es soweit, Martha probiert das Kleid.
Mir verschlägt es den Atem.
Sie sieht einfach umwerfend aus.
Sie hat sich die Haare hochgesteckt, Schuhe mit hohem Absatz an …
Sascha fallen auch fast die Augen aus dem Kopf.
Na also, geht doch.“, meint Finchen trocken. „Genug Stoff und heiß sieht’s trotzdem aus. Mädel, du bist bildschön.“
Da hat sie absolut Recht.
Und? Wann sehen wir dich auf dem Laufsteg?“, fragt Sascha, als er seine Sprache wiedergefunden hat.
Was? Bist du irre? Ich model doch nicht!“ Martha zeigt ihm ‚nen Vogel.
Obwohl Martha wirklich traumhaft schön aussieht, ist auch mir klar, daß der Laufsteg nichts für sie ist. Nicht, weil sie zu ungeschickt dafür wäre.
Das Kleid tragen, toll darin aussehen, ist eins. Aber auf dem Steg muß man sich produzieren, wie ein Pfau, der sein Rad auffächert. Und das wäre nicht Martha.
Aber wenn diese neue Serie von mir produktionsreif ist, werden wir schon geeignete Models finden.
Noch sind wir nicht soweit.
Allerdings hat Denise Feuer gefangen und sitzt am Wochenende am Layout für diese mögliche neue Linie von mir, wie sie auf unserer Webseite präsentiert werden könnte.
Martha weigert sich zwar, für Fotos zu posieren, aber Denise wird sich davon sicher nicht aufhalten lassen. Sie hat schon Gloria angesprochen, ob die nicht geeignete Models aus ihrer Agentur wüßte.
Das Ganze hat eine Eigendynamik entwickelt und Sascha grinst sich einen, weil er dran schuld ist.

Ich frage Martha, ob ihr das Kleid wirklich gefällt und sie es tragen würde und sie meint, ich hätte es tatsächlich geschafft, daß das Kleid sexy und trotzdem angenehm zu tragen sei und sie sich nicht wie eine Preßwurst fühle, die gleich platzt.
Ihre Änderungswünsche sind minimal.
Und tragen würde sie es auch, als Abendkleid bei passender Gelegenheit.
Ich freue mich sehr, küsse sie lang und innig.
Und von nun arbeiten wir gemeinsam an meiner neuen Linie.
Von mir kommt das gewagte Design, das Provokante und von ihr die verspielten Elemente.
Martha ist überzeugt, daß zumindest Mosch begeistert sein wird.
Ich bin mir da nicht so sicher. Die Kombi an sich würde ihm schon gefallen. Aber ich weiß, mit welchem Typ Frauen er sich umgibt und die haben eine andere Konfektionsgröße. Ob er da also drauf abfährt?
Aber er ist vorrangig Geschäftsmann und weiß, was ankommt.“
Da hat Martha allerdings Recht.

Martha und ich sind in einer hitzigen Diskussion.
Ich hab grad ganz bestimmte Vorstellungen und reagiere stur, als Martha mit Einwänden kommt.
Das ist meine Linie, das sind meine Ideen.“
Ja, aber für Frauen wie mich. Also kann ich ja wohl was dazu sagen.“
Aber du redest wie Mosch. Dies paßt dir nicht und jenes soll geändert werden.“
Ja, und?“
Dann ist es aber deine Linie und nicht mehr meine.“
Boah, wie bist du denn heute drauf?“
Ich setze an, um Martha anzuschreien, nehme mich aber zusammen.
Was? Wolltest du mich grad zusammenfalten?“, blitzt Martha mich an. Sie hat es genau gemerkt.
Ich … ach, Scheiße!“ Plötzlich muß ich lachen, finde mich selbst albern, wie ich mich verhalte und ziehe Martha zu mir heran, um sie zärtlich zu küssen.
Kleiner Rückfall in schlechte Angewohnheiten.“, murmele ich ihr ins Ohr, während ich mit einer Hand ihren Nacken streichle und sie mit der anderen fest an mich drücke.
Schon okay.“, murmelt sie zurück, seufzt leise und schmiegt sich ihrerseits fest an mich.
Als wir uns wieder der Arbeit widmen, finden wir auch bald einen Kompromiß, der uns beide zufriedenstellt.
Ich glaube, es war ein wenig verletzter Stolz.“, meine ich später zu Martha, als wir beim Essen in der Küche sitzen.
Was?“
Ich … will wohl gerne selbst alles … perfekt für dich machen. Ich meine …“ Ich fahre mir durch die Haare, als ob ich dort die richtigen Worte finden würde. „Ich dachte, ich kenne dich … gut genug, um zu wissen … und daß es dann doch nicht richtig ist ...“
Martha scheint mein Gestammel zu verstehen. „Hey, geht dir das wirklich so nahe, daß du nicht immer hundertprozentig meinen Geschmack triffst?“
Doch, irgendwie schon.
Du weißt doch, wie wir Frauen sind. Ändern ständig unsere Meinung. Du bist also völlig unschuldig.“
Stimmt auch wieder.“, grinse ich frech.

Während bei uns wieder Harmonie herrscht, brodelt es woanders.
Isabell, Glorias Kollegin, hat sich was gezerrt und fällt aus. Der Ersatz Ramona und Sascha kommen nicht gerade gut miteinander aus. Ramona ist ziemlich herablassend zu ihm. Sie kommt aus gutem Hause, hat reichlich Kohle und ist wahrscheinlich nur aus eitler Langeweile Model geworden.
Ich weiß nicht, was ihr euch dabei gedacht habt, sowas zu engagieren.“ Ramona schickt einen besonders herablassenden Blick zu Sascha.
Der versucht, ruhig zu bleiben.
Sascha macht seine Sache gut. Er ist kein Profi, aber er kriegt das hin. Und er paßt zu meinem Stil.“, sage ich ruhig, obwohl mir Ramonas arrogante Art auch gegen den Strich geht. Aber die Zeit wird langsam eng.
Ramona wirft mir einen Blick zu, der irgendwie nach „der hat auch nicht mehr alle Tassen im Schrank“ aussieht.
Martha, die neben mir steht, raunt mir zu: „Kein Zweifel, daß sie von deinem Urteilsvermögen nicht allzu viel hält.“
Wieso das denn?“
Wahrscheinlich, weil du mit mir zusammen bist. Ein Top-Designer und sowas wie mich an seiner Seite …“
Ich will aufbrausen, aber Martha kichert nur. Ich merke, es ist ihr wurscht, was Ramona denkt.
Wir küssen uns demonstrativ lang und innig.
Kurz darauf haben sich Ramona und Sascha schon wieder in der Wolle. Gloria versucht zu vermitteln.
Ich verstehe nicht, wie du mit dem klarkommst!“, keift Ramona. „Der Typ ist echt das letzte. Merkt nicht, daß er sich mit seiner Unfähigkeit total zum Affen macht und glotzt mir ständig in den Ausschnitt.“
Als ob’s da was Besonderes zu sehen gäbe.“, ätzt Sascha zurück.
Du bist doch nur deshalb Model geworden … um an sowas wie mich ranzukommen.“
Sascha täuscht einen Brechreiz vor.
Ramona, was soll das?“ fragt Gloria entsetzt. „Sascha macht seine Sache doch wirklich gut. Er ist höflich und hilfsbereit und ich hab noch nicht beobachtet, daß er dir was weggekuckt hat.“
Klar sagst du nichts gegen ihn. Warst ja mit seinem Kumpel in der Kiste. Und mit ihm selbst wahrscheinlich auch schon.“
Hm, bin der Kumpel ich? Wahrscheinlich. Ich verstehe erstens nicht, was dieser Kindergarten soll und zweitens reißt mir gleich der Geduldsfaden.
Du wirst extrem unsachlich, Ramona. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Und du wirfst Sascha Unprofessionalität vor und benimmst dich selber total unprofessionell. Wenn dir der Job hier nicht paßt, dann sag’s der Agentur und laß dich woanders hin vermitteln.“, sagt Gloria, was Sache ist.
Ramona schluckt kurz und ich denke schon, sie hat’s kapiert und die Arbeit kann weitergehen.
Aber sie holt nur Luft und keift weiter: „Ich unprofessionell? Guck dich doch mal um! Wir modeln im Hinterhof unter freiem Himmel, wo ständig diese Oma rumwackelt und dumm rumkichert. Der Top-Designer läßt eine Frau auf die Kunden los, die besser bei Woolworth die Übergrößen sortieren sollte und …“
Hey …“, machen Sascha und Gloria gleichzeitig, aber weiter kommen sie nicht.
Ich stehe schon vor Ramona. „Raus.“
Sie sieht mich trotzig an.
RAUS!!!“
Mit eingeschnappter Miene verschwindet sie Richtung Umkleidekabinen und ist wenige Minuten später zur Ladentür raus.
Juri …“, beginnt Martha beschwichtigend.
Alles okay.“, meine ich ruhig. „Gloria, bemühst du dich bitte um Ersatz? Danke. Zur Not nehmen wir Finchen.“
Martha sieht mich verdutzt an. Ich glaube, sie wundert sich über meinen raschen Stimmungswandel. Aber ich sehe keinen Grund, mich weiter aufzuregen, wo dieses arrogante Weib doch schon verschwunden ist.
Und du nimmst dir das auch nicht weiter zu Herzen, mh?“, mahne ich sie.
Iwo. Was interessiert mich das unqualifizierte Geschwätz dieser Schnepfe?“ Martha macht eine wegwischende Handbewegung.
Wir lernen eine Menge voneinander, Martha und ich. Ich mehr Gelassenheit und Kontrolle über meine Gefühle. Und Martha mehr Selbstsicherheit und ein dickeres Fell.

Kapitel 12

Einen Ersatz für Ramona zu finden, erweist sich als nicht so einfach. Die Agentur bemüht sich nach Kräften, uns zufriedenzustellen. Sie entschuldigen sich auch für das unprofessionelle Verhalten ihres Models. „Sie wissen ja, wie das ist – wenn ich so wenig essen würde, wäre ich auch schlecht gelaunt und reizbar.“, scherzt die Dame am Telefon. Ich hab zwar absolut kein Verständnis dafür, wenn meine Frau beleidigt wird, aber so für sich genommen finde ich die Bemerkung auch ganz witzig. Ich habe ja selber die Erfahrung gemacht, daß es echt preisgünstig ist, so ein Model zum Essen einzuladen.
Zwischenzeitlich versucht Sascha Denise zu überreden, aber die lacht ihn nur aus.
Hey, das ist nicht so schwer, versuch’s doch mal.“
Nicht so schwer? Du läßt wieder die Schultern hängen.“, kritisiere ich.
Ja ja, Meister.“, grinst Sascha mich an, bemüht sich aber um Haltung.
Denise grinst auch. „Verpaß dem ruhig mal ‚nen kleinen Dämpfer, sonst hebt er noch ab.“
Ich mach doch ‚ne steile Karriere – vom Hausmeister zum Top-Model. … Ehrlich, Leute? Auf Dauer wär das nichts für mich. So rumzustolzieren ist nicht mein Ding. Es ist ganz witzig, das mal zu machen, aber …“
Ich verstehe ihn absolut. Mich würde erst gar keiner auf den Laufsteg kriegen.
Dabei hast du echt Talent.“, meine ich.
Mag sein. Ich bin aber trotzdem ganz zufrieden, daß das nicht mein Haupt-Job ist. Wenn ich Denise nicht hätte, könnte ich den Model-Job ja wenigstens nutzen, um mir ein paar nette Dates an Land zu ziehen …“
Du kannst flirten, soviel du willst, aber packst du eine an …“ Denise funkelt ihn an und es ist nicht zu übersehen, daß Sascha sich davon angemacht fühlt.
Du weißt genau, daß ich kein bisschen auf diese halben Portionen stehe.“
Die beiden vertiefen sich in einen innigen Kuß.
Der Ersatz für Ramona heißt Karin. Sie hat noch nicht viel Erfahrung, aber Gloria steht ihr als Vollprofi zur Seite. Mit Sascha versteht sie sich gut und so hoffe ich, daß nun alles glatt geht.
Der Fashion-Day ist in zwei Wochen.

Martha bittet mich darum, ihr doch ein paar nette Sachen für den Alltag zu designen, die sie auch im Geschäft tragen kann.
Ich würde gerne Sachen von dir tragen, aber für den Alltag ist so extravagantes Zeug einfach nichts. Das darf ja gerne ein bisschen Pfiff haben, aber ich will nicht, daß die Kunden den Eindruck haben …“
„ … daß du sie verführen willst?“ Ich sehe ihr tief in die Augen und ziehe sie dicht an mich.
Genau.“, meint sie und macht sich lachend wieder von mir los.
Hey!“, meine ich enttäuscht. Sie hat mich nicht mal geküßt. Oder sich küssen lassen.
Alter, im Ernst: Mit den Sachen, in die du mich steckst, würd‘ ich auch nicht auf der Straße rumlaufen.“, lacht Sascha.
Was willste denn damit sagen? Daß du dich damit lächerlich machst, oder wie?“
Jungs, kein Streit!“, mahnt Martha.
Ich will mich gar nicht streiten.
Ich will einfach nicht begafft werden. Und mit den Klamotten wird man halt angeglotzt wie ein bunter Hund.“
Auffallen muß doch nichts Negatives sein.“, meine ich ruhig. „Meine Sachen haben alle eine Aussage. Wozu soll die gut sein, wenn sie keiner bemerkt?“
Alter, was du mit deinen Klamotten sagen willst … dazu brauchen normale Typen auf der Straße aber erstmal ‚ne Übersetzung, um das zu verstehen.“
Wer’s nicht kapiert, dem kann ich auch nicht helfen.“ Ich zucke mit den Schultern.
Aber kannst du deine Aussage nicht ein klein wenig dezenter anbringen?“, fragt Martha sanft.
Wie denn? Wie das Kleingedruckte auf ‚ner Pillenschachtel oder was?“
Ach, Juri!“ Martha nimmt meinen Kopf in ihre Hände und küßt mich zärtlich. Endlich, denke ich.
Ich werd‘ drüber nachdenken.“, verspreche ich.

Tatsächlich grüble ich diese Nacht lange darüber nach.
Eigentlich sagen meine Entwürfe für Martha schon genug aus – daß sich nämlich eine Frau mit ihrer Figur wahrlich nicht verstecken muß. Es ist unnötig, sie noch mit irgendwelchen Extravaganzen in Szene zu setzen.
Aber es fällt mir schwer, schlicht zu denken. Immer schon war meine Mode anders. Ich wollte nie machen, was alle machen.
Ein erster neuer Entwurf sieht aus wie aus Rebeccas Hand.
Das bin nicht ich.
Immer mehr Entwürfe entstehen und mit jedem werde ich frustrierter.
Weil ich es nicht schaffe, Marthas Wunsch nach tragbarer Alltagskleidung und meinen eigenen Stil unter einen Hut zu bringen.
Entweder es ist juri-like und zu ausgefallen, als daß Martha es tragen würde oder aber ich erkenne mich selbst nicht mehr in meinen Entwürfen.
Als der Morgen anbricht, bin ich tierisch gefrustet.
Ich versuche gar nicht erst, das vor Martha zu verbergen.
Wenn ich eins gelernt habe, dann, daß eine Beziehung gerade dafür da ist, daß man unangenehme Dinge nicht mehr mit sich allein abmachen muß.
Und tatsächlich habe ich mich bisher auch immer ein Stück besser gefühlt, wenn ich mit Martha geredet habe.
Ich sehe ihr also in die Augen, wundere mich nicht darüber, daß sie mich besorgt ansieht, weil sie natürlich sofort merkt, daß was nicht stimmt … und schütte mich aus, erkläre mein Dilemma.
Martha schweigt danach eine ganze Weile; ich sehe, sie denkt nach.
Juri … vielleicht mußt du, müssen wir das einfach so akzeptieren. Du bist ein eigenwilliger Typ und der Alltag, das Normale ist einfach nicht dein Ding. Ich hätte das bedenken müssen, bevor ich dich gefragt habe, ob du mir nicht was ganz Normales, Hübsches machen kannst. Es kann nicht gutgehen, wenn du dich verbiegst, deine Mode zurechtbiegst. Das will ich auch gar nicht. Du bist was Besonderes. Und deine besonderen Modelle trage ich dann eben nur zu besonderen Anlässen. … Also … zwing dich nicht zu etwas, was nicht du bist.“
Ich seufze tief, fühle mich auf so wunderbare Weise verstanden.
Ich küsse sie lange und innig und will dann aus dem Bett springen, all die Entwürfe wegwerfen, die mein wahres Ich verleugnen und dafür wieder den guten, alten Juri zu Papier bringen.
Aber Martha zieht mich zurück ins Bett. Anscheinend möchte sie auch den wahren, echten Juri erleben …

Ich fluche dezent vor mich hin.
Nicht, daß ich mir die Selbstständigkeit einfach vorgestellt hätte. Ich bin ja schon mal für mich allein herumgekrebselt.
Aber manchmal nervt dieser ganze Kleinscheiß einfach.
Daß ich Martha brav die Quittungen gebe für alles, was ich so für’s Geschäft kaufe, daran habe ich mich inzwischen gewöhnt.
Aber früher bei LCL, da habe ich einfach gesagt, was ich will, was ich brauche und hab’s bekommen.
Nun heißt es rechnen, schauen, ob man’s irgendwo günstiger bekommen kann.
Martha ist auch manchmal genervt, steckt das alles aber gelassener weg.
Sie ist aber auch nicht so ahnungslos wie ich. Ich hatte zum Beispiel keine Ahnung, wie sauteuer solche Schutzüberzüge für die Modelle sind.
Zum Glück hat Sascha günstig einen Kleinbus organisiert, damit meine Modelle in ihren sauteuren Schutzüberzügen hängen können.
Sascha fragt grinsend, was nicht knittern darf – meine Modelle oder die teuren Überzüge. Ich wäre ihm fast ins Gesicht gesprungen.

Drei Tage vor unserer Abreise – Gloria und Karin werden fliegen, damit sie frisch und ausgeruht sind, Sascha und ich werden uns beim Busfahren abwechseln, Martha kommt natürlich mit, während Denise die Stellung im Laden hält – ruft Dana an.
Allerdings nicht, um mit Martha zu plaudern.
Nein, Ricardo, der Arzt, will mit mir über meine Therapie reden.
Er rät mir ab, mich gleich in einer Klinik anzumelden, da ich ja anscheinend fähig sei, meinen Alltag auf normale Art und Weise zu meistern.
Ja, wenn ich nicht grade meinen besten Freund abknallen will, läuft es ganz gut.
Sarkasmus beiseite – es stimmt schon, ich sitze nicht als zitterndes Häufchen Elend rum, unfähig, das Haus zu verlassen.
Außer jemand strickt Topflappen oder sowas.
Ich sage Ricardo ganz offen, daß ich Schiß habe, die Kontrolle zu verlieren, wenn mich unverhofft wieder irgendwas an meine Vergangenheit erinnert.
Ich hätte schon einmal beinahe einen schweren, unverzeihlichen Fehler begangen. Und es darf einfach nie wieder passieren, daß ich mit meinem unverarbeiteten Trauma andere gefährde.“
Es scheint, als ob der Ernst meiner Worte bei Ricardo ankommt.
Er nennt mir eine Kollegin hier in Berlin, die auf Trauma-Patienten spezialisiert ist; mit ihr solle ich reden und die würde mir dann schon sagen, welche Therapieform für mich geeignet ist.
Nicht für Wochen in eine Klinik zu müssen … der Gedanke ist angenehm. Ich bin bereit dazu, aber wenn das nicht nötig ist, soll mir das sehr recht sein.
Aber nun geht es erstmal auf die Münchner Fashion-Show.
Die erste Modenschau, die ich – und Martha natürlich – nicht im Namen eines großen Modekonzerns beschicke, sondern wo wir uns selbst präsentieren.

Die Fahrt ist lang, der Bus alt und laut. Aber immerhin hält er durch.
Eigentlich sollte wenigstens Martha ein wenig schlafen, aber sie ist zu hibbelig.
Als Sascha mich beim Fahren ablöst, kuschle ich mich mit Martha auf der Rückbank zusammen und bringe sie dazu, wenigstens für eine Weile Augen und Schnabel geschlossen zu halten. Sie schmiegt sich an mich und ich spüre, wie sie sich entspannt. Das ist so schön.
Wir sind nachts gefahren, so sind wir gut durchgekommen. Wir beschließen, erstmal gut zu essen und dann bis nachmittags zu schlafen.
Nicht, ohne uns vorher zu versichern, daß mit Gloria und Karin alles in Ordnung ist. Aber die beiden sind schon da, wohlauf und guter Dinge.
Wir verabreden uns für drei Uhr in Moschs Modehaus für Fitting und Probe.
Mosch selbst hat auch schon angerufen; er ginge davon aus, daß Martha und ich uns der Presse für einige Fragen stellen würden.
Martha sagt gleich zu und meint, als sie mein wenig begeistertes Gesicht sieht: „Früher hast du das Rebecca oder Tanja überlassen können, das geht jetzt nicht mehr. Und überhaupt … bist du nicht stolz auf Korolok, willst du nicht zeigen, daß du sowas wie LCL nicht brauchst?“
Sie hat ja Recht. Für einen Moment wünsche ich mir einen eigenen Pressesprecher. Nee, ‚ne Sprecherin. Und finde mich dann selbst albern.

Martha hat uns dasselbe Hotel gebucht, in dem wir damals logiert haben.
Als wir feststellen, daß man uns gerade jenes Zimmer gegeben hat … sehen wir uns an und prusten los.
Wir stellen nur rasch unsere Sachen ab und dann ziehe ich Martha auf’s Bett, beuge mich über sie.
Weißt du noch?“, frage ich und grinse vielsagend.
Daß ich fast ‚nen Herzstillstand hatte, als ich nichts Böses ahnend aus dem Bad kam und du da halbnackt gelegen hast? Klar weiß ich das noch!“
Du warst in deiner Verlegenheit soooo süß!“
Und du warst ja soooo rücksichtsvoll und hast mich gaaar nicht mit meiner Verliebtheit aufgezogen.“, schimpft sie und piekt mich in die Rippen.
Sorry, Süße, aber ich konnte nicht widerstehen. Du hast dich so niedlich empört.“
Du hast mich ‚Luder‘ genannt und mir unterstellt, ich wollte über dich herfallen.“
Hättest du das denn nicht gerne gemacht?“, frage ich lachend und hindere sie erstmal am Antworten, indem ich sie zärtlich küsse.
Das spielt doch gar keine Rolle.“, schimpft sie anschließend weiter. „Fakt ist, du wußtest genau, daß ich in dich verliebt bin und hast es mir extra schwer gemacht.“
Sorry. Ich wollte dich nur aus der Reserve locken, dich nicht in Bedrängnis bringen. War nicht böse gemeint.“
Weiß ich doch. Aber der Knaller war echt, wie du das mit deiner Unterhose sagtest und …“
„ … du vor Schreck fast aus dem Bett gefallen bist.“, lache ich.
Ich weiß heute noch nicht, wie ich es geschafft habe, doch noch einzuschlafen. Und natürlich …“
Was?“
Ach, das war sooo peinlich!“
Was denn?“ Sie macht mich tierisch neugierig.
Na ja … ist ja deine Schuld, daß ich einen ziemlich erotischen Traum hatte. Und gerade als es am schönsten war, knall ich aus dem Bett und dir vor die Füße. Und du grinst mich an und fragst auch noch, ob ich ‚ne wilde Nacht gehabt hätte. Und ich fasel was von einem riesigen Schnittmusterbogen und hatte das saudumme Gefühl, daß du genau wußtest, was Sache war.“
Au weia!“
Wir lachen gemeinsam.
Ach Süße, du hattest es echt nicht leicht mit mir.“
Nee, echt nicht. Und dann hast du mich nicht mal frühstücken lassen.“
Stimmt. Aber ich hatte es eben so eilig, deine Ratschläge in die Tat umzusetzen.“
Hab ich dann später auch kapiert.“
Hast du eigentlich dein Sex-Bomb-Shirt mit?“
Klar.“, grinst sie.
Wir zelebrieren ein kleines Ritual und haben viel Spaß dabei.
Anschließend schlafen wir zusammengekuschelt, bis der Wecker klingelt.

Auch Sascha, Gloria und Karin sind pünktlich vor Ort.
Mosch schleimt sich gleich bei den Ladies ein, aber das kenne ich ja schon.
An Martha prallt das eh ab und Gloria ist zu sehr Profi, um sich von seinem Gesülze einlullen zu lassen.
Beim Fitting bin ich kurz davor, Sascha eine reinzuhauen, weil er ständig albern rumkichert.
Martha mahnt mich zur Ruhe und weist mich darauf hin, daß ich sicher so angespannt bin, weil es die erste große Präsentation unter meinem neuen Namen Korolok ist.
Da könnte sie Recht haben. Ich bin in der Tat nervös.
Und begreife, daß Sascha das wohl auch ist. Sein erster Auftritt vor Publikum und er weiß, was für mich auf dem Spiel steht.
Nun tut es mir leid, daß ich so aggressiv reagiert habe.
Sorry, Alter.“, meine ich zu ihm.
Schon gut, alles okay.“
Sonst klappt aber alles.
Bis Mosch kommt.
Und Martha fragt, ob ich schon neue Ideen in petto hätte.
Frei heraus erzählt sie ihm von meiner neuen Linie für „ganz normale Frauen“; sie ist ein wenig verlegen, weil sie es ja ist, die mich dazu inspiriert hat.
Mosch wendet sich gleich an mich.
Herr Adam, das ist … interessant.“
Junge, ich durchschau dich.
Ich bin sicher, das wird sich gut verkaufen lassen.“
Laß es raus, da kommt noch was.
Aber ich kann Ihnen nur raten, diese Sachen unter einem anderen Label und nicht unter ihrem eigenen Namen zu vermarkten.“
Nun kommen wir der Sache näher.
Das wäre einfach nicht gut … für den Ruf, den Sie haben.“
Mein Puls beschleunigt sich, Ärger kocht in mir hoch. Ich weiß genau, worauf er hinaus will.
Und niemand will sowas auf dem Laufsteg sehen.“
Sowas?“, frage ich betont.
Frauen mit solchen … Proportionen.“
Ihnen ist klar, daß sie gerade meine Frau und Geschäftspartnerin beleidigen?“, sage ich ruhig, während sich meine Fäuste ballen.
Dieses widerliche Arschloch!
Herr Adam, denken Sie doch realistisch! Es ist doch gar nichts dagegen einzuwenden, wenn sich … nennen wir es doch einfach beim Namen … molligere Frauen modisch kleiden. Aber sowas gehört nicht auf den Laufsteg und …“
Und warum soll ich diese Mode nicht unter meinem eigenen Namen rausbringen? Soll mir das etwa peinlich sein?“, frage ich bereits deutlich lauter als zuvor.
Ich rede von Ihren Kunden. Die Frauen, die auf Ihre extravaganten Modelle stehen, könnten sich von dem Umstand, daß Sie auch Mode für Mollige machen, vergraulen lassen.“
DAS IST MIR SCHEISSEGAL!“
Juri!!!“ Martha packt mich am Arm.
Herrgott, Adam, seien Sie doch nicht so uneinsichtig. Können Sie sich das wirklich erlauben, daß Ihnen ein ganzer Kundenstamm wegbricht?“
Ich bin kurz davor, alles hinzuschmeißen und abzuhauen. Aber ich sage mir selbst, daß ich mir damit keinen Gefallen tue. Und Martha auch nicht. Es ist unser Laden, unsere Existenz.
Ich nehme an, für Sie ist es schlicht ausgeschlossen, daß Sie Ihren Namen beschmutzen, indem Sie meine Kollektion für … Mollige einkaufen?“, meine ich, wieder ruhig, aber mit bissigem Unterton.
Nun …“
Herr Mosch, haben Sie überhaupt schon mal einige Entwürfe aus Juris neuer Kollektion gesehen? Sie möchten doch sicher wissen, worüber Sie reden?“
Ich bewundere Martha für ihre Ruhe und Gelassenheit, wo sie es doch ist, die hier runtergemacht wird.
Ich … äh … dann zeigen Sie doch mal her.“ Mosch ist sein Unwillen deutlich anzumerken.
Doch erhellt sich sein Gesicht, als er Marthas liebevoll gestaltete Präsentationsmappe durchblättert.
Wie ich sehe, bleiben Sie auch hier Ihrem Stil treu.“
Ich muß mich nicht verbiegen, um Mode für Frauen wie Martha zu designen.“
Von dem gescheiterten Versuch, Alltagstaugliches zu designen, erwähne ich nichts.
Hm … ich schlage vor, Sie bereiten eine Präsentation vor. Ich muß ein bisschen mehr sehen als nur diese Entwürfe.“
Wir wollen uns so bald wie möglich um passende Models bemühen.“, wirft Martha ein.
Meine Liebe! Sie wollen doch nicht …“
Ich stehe auf. „Das Gespräch ist beendet. Wir haben noch zu tun.“
Martha protestiert, als ich sie am Arm packe und energisch mit mir ziehe.
Hast du nicht gemerkt, daß der schon wieder drauf und dran war, dich zu beleidigen?“, frage ich aufgebracht.
Meinst du nicht, daß ich da drüberstehe? Ich habe nicht vorgehabt, mir von ihm was vorschreiben zu lassen. Natürlich nehmen wir die Models, die wir wollen und nicht solche, die Mosch anmachen. Wenn er nur auf Hungerhaken steht, ist das seine Sache. Er weiß ja nicht, was ihm da entgeht.“, grinst sie.
Ich sehe Martha an, sie lächelt mir zu, selbstbewußt und wunderschön.
Wir küssen uns lang und innig.

Kapitel 13

Bevor es mit der Show losgeht, müssen wir noch den lästigen Pressetermin hinter uns bringen.
Martha versucht mich aufzumuntern. Ich sehe die Notwendigkeit ja ein, aber das ändert nichts daran, daß ich absolut keinen Bock auf diese Ausfragerei habe. Und ich kann das schlecht Martha allein machen lassen, da es schließlich meine Sachen sind, die erstmals unter meinem neuen Namen präsentiert werden. Fair wäre es außerdem nicht, denn auch Martha reißt sich nicht um diesen Presserummel; sie steht nun mal nicht so gern im Mittelpunkt.
Mosch dagegen blüht vor den Kameras richtig auf und produziert sich wie ein Pfau. Mir wird schon vom Zuhören fast schlecht.
Mit schleimigen Worten kündigt er Martha und mich und unsere neuen Kollektionen an.
Ich weiß, ich trage eine steinerne Miene zur Schau. Meine Schutzwand, die mir hilft, das alles nicht so an mich ranzulassen.
Natürlich kommt die Frage auf, warum ich nicht mehr für LCL arbeite.
Seit da ein neuer Wind von Seiten der Geschäftsführung weht, stimmt die Harmonie einfach nicht mehr.“, antworte ich. Martha hat mir das eingeflüstert; sie wußte, daß diese Frage kommen würde.
Und warum ‚Korolok‘ und nicht weiter ‚Juri Adam‘?“
Wenn man schon neu anfängt, dann richtig.“ Sollen die sich doch selbst zusammenreimen, was es damit auf sich hat. Oder die Lahnsteins fragen.
Ich beantworte noch ein paar Fragen zum Stil meiner neuen Kollektion, dann ist Martha an der Reihe, die sich sehr souverän gibt. Ich beobachte sie; sie hat wieder rote Wangen vor Eifer und ich merke, daß ich anfange zu lächeln.
Und dann haben wir es hinter uns und können uns nun voll auf die Show konzentrieren, die gleich beginnen wird.
Mosch kündigt Marthas und meine Kollektion mit großen, schön tönenden Worten an; freilich nicht nur unsere, sondern jede, die im Rahmen der Show präsentiert wird.

Nun, wo es losgeht, werde auch ich wieder zum Profi. Zu einem chaotischen, aber immerhin. Und Martha ist ja da, perfekt wie immer.
Sie schminkt Sascha, der nicht mehr kichert, aber ziemlich bleich ist und schon mindestens drei Mal mit Denise telefoniert hat. Ich hoffe, er findet auf dem Laufsteg sein Selbstvertrauen wieder.
Bleib locker, Sascha. Stell dir vor, du bist bei uns im Hinterhof und Denise und Finchen sind die einzigen Zuschauer. Der Scheinwerfer wegen wirst du das Publikum eh kaum sehen, also denk einfach, da ist keiner.“ Martha ist im Ermutigen besser als ich; ich versuch das gar nicht erst.
Ich lege letzte Hand an das Modell, das er trägt und nicke ihm nur zu. Er versteht auch so, daß ich weiß, daß er sein Bestes geben wird.
Gloria ist die Ruhe selbst und hilft Karin, die auch ein wenig nervös ist, aber nicht so blaß wie Sascha.
Und dann geht es los! Das Rumgewackel auf dem Laufsteg hat mich nie wirklich interessiert und da ich außerdem ziemlich eigen bin, was den Sitz meiner Modelle angeht, ist mein Platz hinter dem Vorhang, wo ich penibel kontrolliere, ob alles so ist, wie ich es haben will.
Ich will da auch diesmal keine Ausnahme machen, aber Martha nötigt mich, durch einen Spalt im Vorhang zu schauen, wie Sascha sich macht. Der Schminke und des Scheinwerferlichtes sei Dank sieht man nichts von seiner Blässe und wie es scheint, hat er soviel Fassung bewahrt, zumindest zum Schein souverän und selbstbewußt über den Laufsteg zu stelzen.
Martha ist anscheinend ziemlich stolz auf unseren Freund, sie strahlt, stupst mich in die Seite und fragt immer wieder: „Ist er nicht klasse? Macht er das nicht prima?“ und so fort. Beinahe werde ich eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit, die er von ihr bekommt.
Sascha hat Schweißtropfen auf der Stirn, als er wieder nach hinten kommt, zum Kleiderwechsel.
Leute, das ist echt Horror! Hätt‘ ich nicht gedacht, daß es so anstrengend und nervenzerfetzend sein kann, auf so ‚nem Steg rumzueiern.“
Du hast das prima gemacht; kein Mensch würde glauben, daß du sowas zum ersten Mal machst.“
Ich räuspere mich aus Versehen zu laut und Martha schenkt mir einen mahnenden Blick.
Selbst Juri würde da oben nicht besser aussehen.“
Meine Augenbrauen wandern nach oben. Doch Martha läßt sich nicht einschüchtern.
Mal ehrlich – du würdest ein Gesicht machen wie drei Tage Regenwetter und die Leute im Nu vergraulen.“
Nun muß ich grinsen und Sascha auch.
Beim nächsten Walk ist er schon nicht mehr so nervös.

Und dann ist es überstanden. Unsere Models erhalten viel Applaus, Martha strahlt noch mehr und ich muß zugeben, daß auch ich ganz zufrieden mit unserem Erfolg bin.
Nach der Show gibt es die übliche Party, auf die ich wie immer wenig Lust habe. Es muß aber sein, da uns potentielle Einkäufer kontaktieren könnten. Zwar ist die hier gezeigte Kollektion schon an Mosch verkauft, aber Martha mahnt mich, daß ich ein wenig weiter voraus denken müsse.
Und tatsächlich knüpft sie ein paar interessante Kontakte. Mit Martha an meiner Seite ist das alles auch gar nicht so schlimm, da sie das Reden für mich übernimmt und ich nur hie und da etwas einwerfen muß und ansonsten nur nicken oder den Kopf schütteln.
Sascha verkrümelt sich bald, er ist fertig und will pennen. Nicht, ohne vorher noch ein ausgiebiges Gutenachtgespräch mit Denise zu führen, natürlich. Sie hat schon bei Martha angebimmelt, weil sie wissen wollte, wie es, äh, er war.
Gloria und Karin stürzen sich ins Partygetümmel und lassen es sich gutgehen. Haben sie auch verdient, meint Martha.
Ich erblicke Mosch, der mit einem Glas Champagner durch die Gegend schwänzelt und auf seine üblich-schmierige Art diverse Models anmacht. Es muß sein Einfluß in der Modewelt sein, daß die ihm nicht vor die Füße kotzen. Ich wüßte jedenfalls nicht, weshalb irgendeine Frau auf ihn abfahren sollte. Er ist keine Schönheit und …
Boah, Moschs Charme ist echt zum Abgewöhnen.“, meint Martha, die offenbar gerade ähnliche Gedanken hat. „Ich bin echt froh, daß ich nicht sein Typ bin.“, kichert sie.
Aber meiner.“, sage ich und ziehe sie dicht an mich, um sie zu küssen.
Als anzunehmen ist, daß alle interessierten Einkäufer uns ihre Aufwartung gemacht haben, verdünnisieren auch Martha und ich uns ins Hotel.
Marthas Sexbomb-Shirt läßt kurz erotische Gedanken bei mir aufkommen, aber eigentlich bin auch ich zu müde für was anderes als Kuscheln. Morgen früh, Süße, da bist du fällig, denke ich noch, dann bin ich weg …

Am nächsten Morgen lasse ich Martha nicht mal ganz wach werden, so viel Lust habe ich auf sie.
Ich streichle und küsse ihren Nacken und genieße es, wie sie wohlig meinen Namen seufzt.
Ich ziehe sie ganz fest an mich und als sie ihren süßen Arsch an meiner Morgenlatte reibt, ist es um meine vornehme Zurückhaltung geschehen. Das macht mich einfach zu sehr an.
Unwirsch vor mich hin brummend zwinge ich den Teil meines Hirns, der nicht nach unten gerutscht ist, dazu, mich nach Kondomen suchen zu lassen. Was sein muß, muß sein. Aber es ist einfach lästig, auf dem Weg ins Ziel aufgehalten zu werden.
Juri-Schatz, suchst du sowas hier?“, kichert Martha und reicht mir ein Gummi.
Mhh.“, brumme ich.
Als ob ich nicht gewußt hätte, was heute Morgen passiert.“, kichert sie weiter.
Irgendwie macht mich das noch mehr an.
Ich beuge mich über sie, drücke sie in die Kissen und sehe ihr tief in die Augen. „Du gehörst mir, du kleines süßes Luder!“ Meine Stimme klingt rauh; ich weiß, sie steht drauf, wenn ich vor Lust schon halb heiser bin.
Prompt werden ihre Augen zu kleinen Schlitzen und sie küßt mich in einer Weise, daß mir fast die Luft wegbleibt.
Und sie macht mich so heiß damit, daß ich ihr den Verstand aus dem Leib vögeln möchte. Und meinen gleich mit.
Aber ich versuche mich zu beherrschen, sonst ist der Spaß zu schnell vorbei. Mein Durchhaltevermögen läßt morgens eh zu wünschen übrig.
Aber Mann hat ja schließlich noch Hände und eine flinke Zunge.
Und so sind wir schließlich beide mehr als zufrieden mit dem Beginn dieses Tages. Zumal es noch eine kleine zärtliche Fortsetzung unter der warmen Dusche gibt.
Ich liebe diese Frau!

Sascha ist wieder fit und sitzt schon beim Frühstück. Mit Denise am Ohr.
Gloria und Karin halten wohl noch ihren Schönheitsschlaf. Aber ihr Rückflug geht ja auch erst gegen Mittag.
Wir dagegen wollen uns gleich auf die Heimreise machen.
Ah, noch mehr Frühaufsteher! Wie schön!“
War mein Frühstücksei nicht gut oder liegt es doch an Mosch, daß mir auf einmal schlecht ist?
Er küßt Martha die Hand; sie sieht mich kurz an und ich weiß, sie würde sich am liebsten die Hand mit der Serviette abputzen.
Und? Sind Sie mit Ihrem Erfolg zufrieden, Herr Adam?“
Da ich grade kaue, bin ich einer verbalen Antwort entbunden und nicke nur.
Und Sie … Herr …“, wendet er sich an Sascha.
Vukovic.“
Ah, Migrationshintergrund, wie Herr Adam, nicht?“
Du bewegst dich auf dünnem Eis, du Arsch!
Yep.“, meint Sascha kurzangebunden und frühstückt ruhig weiter.
Sie arbeiten noch nicht lange als Model, nicht?“
Er steht exclusiv bei uns unter Vertrag und wir sind sehr zufrieden mit ihm.“, schaltet Martha sich ein.
Na, was Sie anfassen, kann ja nur zu Gold werden, meine Gnädigste.“
Ich muß schnell meinen Bissen runterschlucken, sonst rutscht mir was raus und das würde nicht das Brötchen sein.
Aber ich fasse mich rasch und meine „Sascha paßt perfekt zu meinem Stil und er hat die richtige Ausstrahlung.“
Mosch zieht die Augenbrauen hoch, als ob er anderer Meinung sei, aber das ist uns wurscht.
In dem Augenblick tauchen zwei Models auf und wir sind nicht mehr interessant genug. Bevor er abschwirrt, meint er noch: „Denken Sie bitte an die Präsentation für … Sie wissen schon. Gute Heimreise!“ Wieder knutscht er Marthas Hand, aber dann sind wir endlich von ihm erlöst.
Laß uns schnell abhauen.“, meine ich.
Gute Idee.“ Martha und Sascha springen auch auf.
Schnell sind die Sachen in den Bus gepackt und ab geht’s nach Hause!

Kapitel 14

Die Fahrt über sind wir guter Laune.
Martha äfft Mosch in einer derart perfekt-widerlichen Art nach, daß Sascha sich den Bauch hält vor Lachen. Gut, daß ich fahre und nicht er. Aber lachen muß ich auch.
Ich weiß, es ist nicht nett, sich über einen wichtigen Geschäftspartner lustig zu machen.“, kichert Martha.
Aber der Typ fordert’s doch raus.“, meint Sascha.
Die beiden plaudern munter, während ich meinen Gedanken nachhänge.
Mosch will meine künftige Kollektion für normalfigürliche Frauen an den üblichen überschlanken Models sehen, Martha und ich wollen das aber nicht.
Ich bin so gar nicht der Typ für Kompromisse, bevor ich nachgebe, schmeiße ich lieber alles hin. Aber das wird Martha nicht zulassen. Und das ist auch gut so. Ich weiß ja, ich bin nun nicht mehr für mich allein verantwortlich. Was ich geschäftlich in den Sand setze, betrifft auch Martha.
Wie sehr sind wir auf Mosch angewiesen? Können wir es uns leisten, ihn zu übergehen?
Ich will nicht, daß wir von ihm und seiner Gunst abhängig sind, der Gedanke widerstrebt mir zutiefst.
Gut, daß Sascha eingepennt ist, so langsam krieg ich ‚nen steifen Hals vom Nachhintenquatschen.“, meint Martha leise.
Damit reißt sie mich aus meinen Gedanken.
Hättst dich doch nach hinten zu ihm setzen können.“
Och nö.“ Dabei legt sie ihre Hand sanft streichelnd auf meinen Oberschenkel.
Ich seufze zufrieden und weiß nicht, ob ich mir wünschen soll, daß sie es dabei beläßt.
Sie beugt sich kurz zu mir herüber, küßt mich auf die Wange und meint grinsend: „Hat nichts zu bedeuten.“
Ja ja.“, grinse ich zurück und hätte jetzt wirklich nicht übel Lust, sie wie damals auf die Motorhaube zu drücken und sie spüren zu lassen, wie sehr ich sie will. Allerdings wäre das mit der Motorhaube bei dem Bus hier schwierig.
Wieder seufze ich und spreche das Thema Mosch an.
Wir dürfen uns nicht von ihm abhängig machen.“, meint Martha bestimmt. „Ja, er hat Einfluß auf die Modewelt, aber er ist nicht ihr Nabel. … Wenn wir zurück sind, frage ich mal bei einigen Versandhausfirmen nach, wo die die Models für ihre Kataloge hernehmen. Wenn es keine Agentur gibt, die auch etwas fülligere Models vermitteln, dann casten wir eben selber welche!“
Ich liebe es, wenn Martha sich so temperamentvoll engagiert.

Nach dem Mittagessen tausche ich mit Sascha und Martha und ich kuscheln uns auf der Rückbank zusammen.
Keine Schweinereien dahinten, bitte.“, mahnt Sascha, als Martha und ich in einem innigen Kuß versinken und meine Hände sanft streichelnd unter ihre Bluse wandern.
Seit wann bist du so prüde?“, frage ich, während ich Martha weiter zärtlich streichle.
Spinnst du? Ich hab nur keine Lust, daß ihr mir die Zähne lang macht, während ich noch Stunden warten muß …“
Bis du Denise endlich vernaschen darfst. Aaarmer Sascha!“, lacht Martha.
Wir haben schon mehr als die Hälfte der Strecke hinter uns. Die zweieinhalb Stunden wirst du auch noch überleben. Hättst ja heute Morgen noch Druck ablassen können.“, meine ich.
Hat nicht viel gebracht.“
Das ist Pech. Kannst es ja auf dem nächsten Lokus nochmal versuchen.“
Boah, Alter, auf so ‚nem siffigen Pissoir? So notgeil kann ich gar nicht sein.“
Denk an Mosch. Das bringt dich runter.“, schlage ich vor.
Martha prustet los. „Juri!!!“
Na, ist doch wahr. Sich diesen schleimigen Sack nackt vorzustellen ist besser als jede kalte Dusche.“
Alter, jetzt wirst du eklig.“ Sascha schüttelt sich.
Scheint aber doch was gebracht zu haben.“, meine ich.
Stimmt.“
Sascha ist wieder cool und Martha und ich können weiter kuscheln und ein bisschen zärtlich sein.

Zuhause angekommen werden wir schon ungeduldig erwartet.
Während Sascha und Denise sich leidenschaftlich und ausgiebig begrüßen, fragt Finchen: „Und? Habt ihr so richtig abgesahnt mit Juris heißen Fummeln?“
Finchen eben.
Oh, Juris Kollektion war ein voller Erfolg, die hätten wir noch locker mehrmals verkaufen können. Allerdings hielt Mosch – du weißt ja, wer das ist – wenig von Juris Idee, Mode für Frauen wie mich zu designen und die auch von Frauen wie mir präsentieren zu lassen.“, erzählt Martha sogleich.
Ach, der steht nur auf so spindeldürre Kleiderstangen, ja? Ihr laßt euch aber von so einem nicht reinreden, oder? Soweit kommt’s ja noch!“ Finchen tippt sich unmißverständlich mit dem Finger an die Stirn.
Ich muß grinsen, Martha auch.
Nein, nein, wir entscheiden natürlich selber, welche Models wir wollen. Es wäre nur unklug, Mosch absichtlich zu verärgern. Wir müssen da schon etwas diplomatisch vorgehen.“
Weil Sascha und Denise gerade fertig sind mit Knutschen und anfangen, den Bus auszuladen, entferne ich mich aus dieser Unterhaltung.
Juri Adam und Diplomatie ist ein Widerspruch in sich. Ich bin sicher, hinter meinem Rücken rollt Martha die Augen gen Himmel.

Finchen und Denise haben gekocht und so klingt der Tag sehr angenehm für uns aus.
Martha erzählt munter drauflos, unterstützt von Sascha, der tatsächlich rot wird, als Martha seinen Auftritt auf dem Laufsteg lobt.
Ich finde auch, das sah ganz professionell aus.“, meint Denise.
Woher …? Du hast mich doch gar nicht …“
Denise grinst. „Internet?“
Boah, echt? Ich bin im Internet zu sehen?“
Komm, ich zeig’s dir.“
Bis auf mich springen alle auf, sogar Finchen wackelt hinterher.
Ich widme mich lieber dem köstlichen Nudelauflauf; wenn gleich nichts mehr da ist, sind sie selbst schuld.
Martha findet meinen Appetit aber nachrangig. „Och, Juri, guck doch mal! Das ist immerhin dein bester Freund, der hier zu sehen ist.“
Ja, und? Ich hab ihn doch live gesehen.
Seufzend stehe ich auf und tue Martha zuliebe so, als würde mich Saschas Internetauftritt mehr interessieren als der Auflauf.
Machst dich echt nicht schlecht, Junge.“, lobt Finchen.
Daß du dir vor Lampenfieber fast in die Hose gepißt hast, sieht man auch fast gar nicht.“
Juri!!!“
Er hat ja Recht. Ich hatte echt total Schiß.“
Du hast das gut gemacht. Kein Anfänger hätte es besser machen können.“ Das muß nun auch mal gesagt werden.
Danke, Mann.“
Ich muß mich ja ein bisschen bei dir einschleimen, sonst machst du das doch nie wieder. Ich brauch dich aber.“
Keine Sorge, ich laß dich nicht hängen. Aber über die Kohle müssen wir noch mal reden.“, grinst Sascha.
Ich sehe ihn mit hochgezogenen Brauen an. „Mußt du mit Martha reden. Die kann dir sagen, ob wir uns so ‚nen Mega-Star wie dich leisten können.“
Wenn deine neue Moppel-Kollektion ein Renner wird, bestimmt.“
Meine was?“
Martha lacht nur. Das ist so typisch für sie - über sich selbst und ihre Figur Witze zu machen.
Trotzdem fangen Sascha und ich zeitgleich an, ihr zu widersprechen. „Du …“
Stop, Jungs! Das war Spaß! … Also der Moppel … nicht die Kollektion …“

Weil Finchen darauf besteht, den Abwasch alleine zu machen, unternehmen wir zwei Paare einen Verdauungsspaziergang in den nahen Park.
Denise und Sascha laufen eng aneinandergeschmiegt vor uns her.
Süß, die beiden, hm?“, meint Martha.
Du bist süß.“, hauche ich ihr ins Ohr.
Du auch.“
Ich, süß? Wenn sie meint. Ich bin alles, was sie will, Hauptsache, es macht sie an.
Als unsere Freunde stehenbleiben, um sich zu küssen, lasse ich mich ins Gras sinken und ziehe Martha zu mir runter.
Ey, das gibt Flecken auf meiner Bluse!“
Schhht.“ Ich lege ihr zwei Finger auf die Lippen, streichle zärtlich darüber.
Sie seufzt und ich bin sicher, die Flecken sind ihr jetzt sowas von egal …

Am nächsten Tag macht sich Martha engagiert an die Model-Suche, während ich draußen herumlaufe, mich bewege und inspirieren lasse.
Die neue Kollektion ist eine echte Herausforderung, weil mein bisheriger Stil nicht so recht zu Martha paßt.
Keinen Kompromiß kann und will ich bei meinen Stoffen eingehen, weil die Verwendung von erneuerbarem Material für mich eine zentrale Botschaft ist.
Und Juri Adam und Blümchen oder irgendwelcher romantischer Firlefanz – das geht einfach nicht.
Trotzdem aber muß diese Kollektion etwas Weiches, Verspieltes an sich haben, sonst paßt sie nicht zu Martha.
Die wenigen Entwürfe, die Mosch gesehen hat, waren schon richtig. Aber die dürfen ja keine Eintagsfliegen bleiben.
Ganz abgesehen davon, daß die Modelle einer Kollektion zwar jedes für sich einzigartig, aber insgesamt sozusagen aus einem Guß sein müssen.
Ich tue mich schwer damit und fluche herzhaft vor mich hin.
Aber irgendwann macht es klick und ich weiß, daß das Weiche, Verspielte einfach aus dem Schnitt kommen muß.
Anschmiegsamer Stoff, weiche Linien … und weil Martha trotz aller Sanftheit weiß, was sie will, müssen Akzente gesetzt werden, die zeigen, daß die Trägerin des Modells trotz … nein, gerade wegen ihrer Rundungen selbstbewußt ist.
Ich sitze unter einem Baum und skizziere zwei, drei grobe Entwürfe.
Und stelle fest, das ist es!
Die Linie steht.
Ich bin zuversichtlich, in der nächsten Zeit ebenso produktiv zu sein.
Vermutlich ist es Moschs Ablehnung, die mich antreibt. Ich würd’s dem alten Schleimer zu gerne zeigen …

Martha liebt ja knallige Farben, während ich immer noch zu Schwarz tendiere. Ich erinnere mich, daß Martha mal zu mir meinte, es würde meinen Entwürfen gut tun, wenn es nicht immer so düster in meinem Kopf wäre.
Nun, düster ist es da nicht mehr, seit ich mit Martha zusammen bin. Also muß es eher Gewohnheit sein, die mich immer noch zum Schwarzen hinzieht.
Und da kommen mir Farbverläufe in den Sinn. Wie damals bei dem Kleid für das Shooting von der Rotfeld.
Schwarz kombiniert mit kräftigen Farben!
Ich teste es und es gefällt mir. Und Martha auch.
Josie näht mir rasch zwei Exemplare.
Und ich sehe mir an, wie sie an Martha wirken.
Das ist einfach … Hammer!“, meint sie begeistert und ich freue mich riesig, daß sie ihr so gut gefallen.
Stark.“, meint auch Sascha. „Steht dir wahnsinnig gut.“
In der Tat wirkt Martha in diesen Modellen sehr fraulich und auf eine gewisse Weise auch provokant. Aber das so, daß es trotzdem zu Martha paßt.
Es könnte sogar Mosch gefallen, denn der Schnitt läßt Martha schlanker erscheinen. Mir wäre das nicht wichtig, Martha ist richtig so, wie sie ist.
Aber meine Süße macht mich darauf aufmerksam, daß neunundneunzig Prozent der potentiellen Kundinnen sehr wohl Wert darauf legen werden, durch die Kleider schlanker zu wirken.
Ende November sind wir soweit.
Martha hat eine kleine Agentur gefunden, die mollige Models vermittelt.
Josie und Martha haben gemeinsam genäht.
Denise verhilft uns zu einer netten Fotografin, die von meiner neuen Linie total begeistert ist und die Models in meinen Kleidern richtig gut in Szene setzt.
Es ist auch Denise, die die Präsentation gestaltet und das hat sie richtig gut drauf.
Martha hat ein diebisches Vergnügen daran, Mosch die Präsentation meiner neuen „Moppel-Linie“ zu schicken und sich sein dummes Gesicht vorzustellen.
Diplomatisch, ja?“, grinse ich.
Och …“, grinst Martha zurück.
Mosch ist aber nicht der einzige, dem wir die Präsentation zukommen lassen.
Martha hat mit diversen Modehäusern Kontakte geknüpft und da waren doch einige recht interessiert.
Als der letzte Monat des Jahres anbricht, sehen wir alle eigentlich ganz optimistisch in die Zukunft …

Kapitel 15

Mosch hält sich bedeckt, aber Martha weiß Bescheid, was in der Modeszene abgeht und deswegen kann er nicht vor uns geheim halten, daß meine letzte Kollektion sich in seinen Boutiquen sehr gut verkauft.
Mit dem, was er Martha und mir gezahlt hat, können wir eine zweite Näherin einstellen, die wir auch dringend brauchen. Josie vermittelt sie uns, sie heißt Janine.
Martha hat es tatsächlich geschafft, daß zwei Modehäuser in Berlin meine „Moppel-Kollektion“ verkaufen werden.
Da meine Modelle in verschiedenen Größen angeboten werden sollen, sitzen Martha, Josie und Janine mit Eifer an der Gradierung und den Schnittmustern.
Ich habe schlechte Laune.
Martha weiß genau, weswegen.
Mensch, Juri, ich weiß doch, daß deine Modelle für dich einzigartig sind und du nie Mode als Massenware machen wolltest. Aber wir können nicht nur von Mosch alleine leben. Und du willst doch von dem alten Schleimer auch nicht abhängig sein.“
Ich stehe mit verschränkten Armen und verschlossener Miene vor ihr.
Sie hat Recht. Ich weiß ja eigentlich, daß wir von dem Verkauf von Einzelstücken nicht existieren können. Zumal Mosch ein knallharter Geschäftsmann ist und seinen Profit gut im Auge hat. Was heißt, daß er mir für meine Modelle längst nicht soviel zahlt, wie er in seinen Edelboutiquen von den Kunden verlangt.
Aber der Gedanke, daß meine Modelle, in denen mein ganzes Herzblut steckt, nun als – wie Martha schon sagte – Massenware hergestellt werden, ist schwer zu ertragen.
Das geht mir gegen den Strich.“, maule ich lahm. Ich gucke Martha böse an und weiß doch, daß ich verloren habe.
Du mußt ja auch nicht vor Freude auf den Tischen tanzen. Aber sieh mal … eine Menge Frauen wie ich wären glücklich, so tolle Sachen tragen zu können, wie du sie designst. Diese Frauen gibt’s aber nicht alle in Einheitsgröße und –breite.“
Martha gestikuliert mit den Armen und redet mal wieder mit ganzem Körpereinsatz.
Ich merke, wie ich mich langsam aus meiner verkrampften Haltung löse.
Gefällt es dir denn gar nicht, daß eine Menge Frauen dank dir nicht mehr verschüchtert in Kartoffelsäcken herumhuschen müssen, sondern auf deine ganz besondere Art zeigen dürfen, daß sie trotz ein paar Kilos mehr schön sind?“
Doch, natürlich. Meine Mode soll ja etwas aussagen und das ist definitiv eine verdammt gute, eine wahre Aussage.
Aber …
Juri, die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering, daß man ein und demselben Kleid von dir in drei verschiedenen Größen gleichzeitig draußen begegnet.“
Martha … ich hab diese Modelle für dich geschaffen … sie sind besonders und einzigartig. So wie du.“, sage ich leise.
Martha legt mir die Arme um den Hals und küßt zärtlich mein Schlüsselbein.
Ich weiß.“, sagt sie ebenso leise. „Paß auf, ich suche mir zwei oder drei Favoriten raus und die bleiben Unikate. Aber mit den anderen machen wir noch mehr Frauen glücklich, ja?“
Ich kann ihr einfach nicht widerstehen. Ihren guten Argumenten ebensowenig wie ihrem warmen Körper, den sie an mich schmiegt.
Wenige Tage später erhalten die beiden Modehäuser die Schnittmuster und alles, was sie brauchen, um die Fertigung selbst zu übernehmen. Letztere würde unsere Kapazitäten übersteigen. Wir haben ja nur zwei Näherinnen.
Martha hat vereinbart, daß sie die Labels erst nach Abnahme durch uns bekommen. Sie will sich jedes einzelne Stück ansehen, ob es auch unserem Qualitätsanspruch genügt.
Zum Glück ist es noch etwas bis dahin, denn meine Modelle sollen in die Frühjahrskataloge.
Doch Martha hat auch so keine Langeweile. Sie ist sogar ziemlich beschäftigt.

Sonntag ist nämlich der erste Advent, wie sie mir strahlend verkündet.
Ich muß ein ziemlich verständnisloses Gesicht gemacht haben.
Juri, Advent! Vorweihnachtszeit!“ Sie strahlt immer noch.
Ich zucke mit den Schultern, weil ich nicht weiß, wieso ich dem besondere Bedeutung beimessen sollte.
Advent, okay. Ich habe gesehen, wie Martha in unserer Küche einen dieser bunten Kalender aufgehängt hat, hinter deren Türchen Schokolade ist. Aber nicht groß drauf geachtet.
Magst du kein Weihnachten?“, fragt sie und ich meine, in ihren Augen sowas wie Bedauern oder sogar Traurigkeit zu sehen.
Ich hab … mir nie … viel draus gemacht. … Das ist doch mehr was für Kinder.“
Och, Juri, das stimmt doch nicht! So ein Quatsch! Weihnachten ist für die Familie und …“ Sie verstummt. „Oh, sorry, ich wollte nicht …“
Schon gut.“
Eben für Menschen, die man liebt.“, fährt sie leise fort. „Es ist doch die kalte Jahreszeit. Man rückt zusammen, kuschelt schön und zeigt sich, daß man sich liebhat.“
Das gefällt mir. Aber dazu braucht man doch kein Weihnachten und diesen ganzen Zirkus.
Denk doch mal an die Kinder! Plätzchen backen, Strohsterne basten, Weihnachtslieder singen … das ist einfach eine Zeit, wo man sich mehr miteinander beschäftigt.“
Ja. Schön. Ich hätte auch nichts gegen eine kleine Winterpause, um mich Martha ausgiebig widmen zu können.
Und der Gedanke, sich mit ihr vor einem echten Kaminfeuer einzukuscheln, hat echt was.
Aber ich verstehe immer noch nicht, warum man dazu sowas wie Weihnachten braucht.
Martha scheint meine Gedanken zu lesen.
Es ist einfach diese ganze Stimmung. Daheim, in Neuenkirchen, hat Mama schon drei Wochen vor dem ersten Advent gebacken. Das ganze Haus hat geduftet. Überall standen Tannenzweige in Vasen, oh, ich mochte den harzigen Geruch so gerne! Ich mag diese amerikanische Art nicht, dieses maßlose Übertreiben, alles mit Weihnachtsdeko zuzupflastern. Das finde ich auch furchtbar. Genauso wie den ganzen Kommerz, die Geschäftemacherei. Ich finde auch selbstgemachte Geschenke viel schöner und persönlicher als alles Gekaufte. Und künstliche Weihnachtsbäume sind ganz schrecklich. Dann lieber kein Baum als ein Plastikbaum! … Aber …“ Sie verstummt. Sicher gebe ich ihr das Gefühl, daß sie mich langweilt oder gar nervt. Und das tut mir leid.
Dann zeig mir Weihnachten, so wie du es magst.“, sage ich leise.
Ehrlich? Ich … oh, Juri!“ Sie fällt mir um den Hals und ich drücke sie fest an mich. Und begreife, daß es wirklich oft nicht viel braucht, um einen Menschen glücklich zu machen.

Und so finde ich mich am nächsten Tag nach Ladenschluß mit Martha beim Einkauf für die Weihnachtsbäckerei wieder.
Ah, hier sind die Gewürze … hm, das duftet sogar aus den geschlossenen Verpackungen raus.“
Martha sieht süß aus, wenn sie ihre Nase kräuselt, um zu schnuppern.
Ich stehe hinter ihr, streiche ihr sanft die Haare aus dem Nacken und küsse sie dort ganz sachte.
Martha atmet tief ein und lehnt sich an mich. Sicher hat sie die Augen geschlossen.
Riech doch mal.“, meint sie.
An dir? Du riechst sehr appetitlich.“
Blödmann.“, sagt sie, aber es klingt sehr zärtlich.
Doch, das riecht schon sehr interessant. Würzig. Und das Süßliche, ist das Vanille?“
Ja, die schwarzen Stangen hier in den Plastikröhrchen.“
Nicht grad billig.“
Ich weiß. Aber halt geschmacklich viel besser als normaler Vanillezucker.“
Davon verstehe ich nichts. Aber der Duft der Gewürze – Zimt, Muskat, Koriander und wie sie alle heißen – inspiriert mich auf gewisse Weise. Ich sehe warme Brauntöne vor mir und weiche, samtige Stoffe …
Oh, Spekulatiusgewürz … Mama hat immer Mandelspekulatius gemacht …“
Auch Martha versinkt in Gedanken.
So, Haselnüsse, Mandeln … und deine geliebten Walnüsse.“ Sie küßt mich zärtlich auf die Nasenspitze, bevor sie auch die Nüsse im Einkaufswagen verstaut.

Wollen wir auch selber basteln? Also ein bisschen Deko?“
Ich sehe Martha entsetzt an.
Basteln? Ich kann meine Stoffe auf’s Board tackern und mich selbst an ‚nem Pelz festnähen … Martha, bitte! Ich mach ja alles für dich, auch Kekse mit dir backen. Aber auch noch basteln?“
Hm ja, ist vielleicht keine so gute Idee. Ich sollte auch besser ‚nen großen Bogen um so Sachen wie Kleber und so machen.“ Martha kichert leise vor sich hin.
Alsoooo … wenn du dich bei den Weihnachtsvorbereitungen einsauen solltest … ich ziehe dich gerne aus und mach dich wieder sauber.“, hauche ich ihr ins Ohr und lasse meine Hände an ihren Rücken hinabgleiten.
Daran hab ich nicht den geringsten Zweifel.“, lacht sie und macht sich von mir los.
Ich ziehe eine Schnute.
Hey, du kommst sicher heute noch auf deine Kosten.“
Ich bin ja sooo durchschaubar.
Aber Gestecke machen wir selbst!“
Also kaufen wir Tannenzweige, Kerzen und so Bänder, aus denen Martha Schleifen binden will.
Kunstschnee brauchen wir nicht, beim Backen bleibt bestimmt genug Puderzucker übrig.“
Willst du auch einen Baum?“, frage ich.
Ja, ein Christbaum wär schon schön …“ Marthas Augen glänzen und ich bin sicher, ihre Gedanken schweifen wieder nach Hause zu ihrer Familie …

Dann sind wir zuhause und packen unsere Einkäufe aus.
Martha bindet sich eine Schürze um und legt los.
Ich finde sie wieder mal so unwiderstehlich, wenn sie so voller Eifer ist und spüre sehr deutlich, wie verliebt ich in sie bin.
Sie hat ein altes Backbuch neben sich liegen, erklärt mir, was ich tun soll und wuselt vor sich hin murmelnd hin und her.
Ich stelle mich nicht gerade geschickt an, aber wir haben viel Spaß. Und obwohl eigentlich ständig was schiefgeht, was wohl meine Schuld ist, holt Martha bald schon die ersten Plätzchen aus dem Ofen.
Und die duften wirklich lecker.
Hey, die sind doch noch heiß!“
Das hab ich auch gerade gemerkt.
Wenn sie abgekühlt sind, kannst du sie verzieren. Ich mach schon mal den nächsten Teig fertig.“
Oh, fein, statt nur mit Mehl und Butter rumzuhantieren, läßt sie mich auch noch an flüssige Schokolade ran.
Du bist so ein Ferkel!“, höre ich auch schon bald. „Da ist ja mehr Schokolade auf dir als auf den Plätzchen.“
Mal kosten?“, flüstere ich ihr ins Ohr und ziehe sie dicht an mich.
Junge, du klebst!“, schimpft sie, küßt mich aber trotzdem zärtlich.
Ich habe eine Idee.
Haben wir noch so eine Schürze?“
Ja, da in der Schublade ist noch eine.“
Martha ist zu beschäftigt, um zu bemerken, daß ich kurz verschwinde.
Als ich wiederkomme, beugt sie sich gerade hinunter, um die nächsten Plätzchen aus dem Ofen zu holen.
Mein Gott, Juri!“ Fast wäre ihr das Blech aus den Händen gefallen.
Ich habe nur die Schürze an.
Ich dachte mir, das ist so praktischer. Ich sau mir nicht die Klamotten ein und neben dem Backofen ist mir eh ein bisschen zu warm.“
Ich sehe ihr tief in die Augen.
Was ist mit dir?“
Ich bin kein so’n Ferkel wie du.“, weicht sie aus.
Spielverderberin. … Du weißt nicht, was dir entgeht.“
Was denn? Daß wir uns im Plätzchenteig wälzen?“, kichert sie.
Zum Beispiel. Dich zu vernaschen bekäme eine ganz besondere Bedeutung.“
Juri, du bist unmöglich!“
Sieh mir in die Augen und sag mir, daß dich das nicht anmacht. … Siehste, kannste nich.“
Okay, ich zieh mich schnell um. Aber du läßt deine Pfoten vom Teig!“
Da Verbotenes mich erst recht anzieht, nasche ich trotzdem.
Dann lehne ich mich lasziv an den Küchentisch und warte auf Martha.

Man sagt ja, daß manche Weihnachtsgewürze aphrodisierende Wirkung hätten. Nicht, daß ich das bräuchte, schon gar nicht bei Martha.
Aber sie riecht so gut, so süß …
Doch, wir backen schon noch.
Aber Martha, ihre weiche, warme Haut nur von einer Schürze bedeckt … mhhhh …
Ich hebe sie hoch, setze sie auf den Tisch und dränge mich erwartungsvoll seufzend zwischen ihre Beine.
Und es gefällt ihr, wie ich mich genüßlich tief in ihr versenke, meine Hände sich in ihren Haaren vergraben …
Mir dagegen gefällt es, wie sie mich anschließend sanft gegen den Tisch drückt, mir mit einem Pinsel Schokolade auf den Bauch malt, um diese dann wieder ganz zärtlich zu entfernen.
Eigentlich ist es so, daß wir nun backen, um ein wenig zu verschnaufen und uns neue Anregungen zu holen.
Wir lachen viel, küssen uns immer wieder.
Wir lernen allerdings auch, was man besser nicht macht.
Zum Beispiel Schokolade in die feinen Härchen am Bauch kommen lassen. Autsch, das ziept ganz schön.
Martha lernt, daß es riskant sein kann, nur mit einer Schürze bekleidet nachzusehen, ob die Plätzchen fertig sind.
Dafür, daß meinetwegen die Backwaren zu gut durch sind, kassiere ich einen saftigen, nein, doch eher zärtlichen Klaps auf den nackten Hintern.
Strafe muß sein, Bursche.“
Also wenn du meinst, daß das jetzt eine Strafe war …“, murmele ich grinsend vor mich hin, wohl wissend, daß Martha an diesen erotischen Spielchen genauso viel Spaß hat wie ich.
Am Ende dieser Backorgie gleicht die Küche einem Schlachtfeld.
Martha betrachtet mich. „Du siehst aus wie ein übergroßer Lebkuchenmann. Da hast du Schokolade … und da … und sind das Mandeln da in deinen Haaren?“ Martha prustet vor Lachen.
Hast mich nicht gründlich genug saubergemacht. Mach nochmal. Und dann richtig.“
Nee, Schatz, wir zwei Schweinchen gehen jetzt in die Wanne.“
Auch gut.
Und so liegen wir bald darauf im warmen Wasser, Martha an mich gelehnt.
Nur ein duftender Kranz mit Kerzen erleuchtet das Bad.
Und ich denke, wir könnten zum zweiten Advent eigentlich wieder backen …