Kapitel
1
Wir
sitzen am Flughafen und warten auf unseren Aufruf.
Martha
ist aufgeregt und quasselt ununterbrochen.
Nur
wenn ich sie küsse, hört sie damit auf.
Deshalb
küsse ich sie ziemlich oft.
Sie
hat aber auch nichts dagegen, sondern erwidert meine Küsse sehr
zärtlich und innig.
Als
wir dann im Flieger sitzen, beruhigt sie sich und schläft
schließlich an meine Schulter gelehnt ein.
Wenn
der Tag schon für mich nervenaufreibend war, wie muß es dann für
sie gewesen sein?
Ich
schließe die Augen und denke nach.
Viel
ist in den letzten Tagen passiert.
Eigentlich
passiert ständig etwas, seit ich Martha kennengelernt habe.
Sie
hat mein Leben total auf den Kopf gestellt.
Aber
auf sehr positive Weise.
Ich
bin verlobt!
Mancher,
der mich aus der Zeit vor Martha kennt, würde das schlicht nicht
glauben.
Aber
es fühlt sich gut und absolut richtig an.
Und
nun unser eigener Laden.
Ich
hätte nicht gedacht, daß meine Zeit in Düsseldorf so kurz bemessen
sein würde, aber es ist okay.
Wirklich
wohlgefühlt habe ich mich bei LCL nicht.
Dieser
ganze Intrigen-Scheiß hinter den Kulissen, die Machtspielchen, das
Familiengezänk … die sind doch alle total bekloppt da.
Es
ist gut, daß Martha und ich da weg sind.
Seit
Alexa Berg da ist, ist alles noch schlimmer geworden. Ich hab das
Gefühl, da braut sich richtig Unheil zusammen.
Dann
sind wir gelandet und nehmen uns ein Taxi.
Ich
bin sehr gespannt auf unsere kleine Wohnung, die direkt über dem
Laden liegt.
Keine
wirklich langen Arbeitswege.
Und
um’s Schneechaos im Winter müssen wir uns keinen Kopf machen.
Wir
werden immer warm und trocken zur Arbeit kommen.
Und
immer pünktlich öffnen.
Außer
wir vertrödeln uns unter der Dusche …
Und
wir haben eine Küche.
Das
eröffnet ganz neue Möglichkeiten.
Nicht
nur für’s Kochen.
Während
ich in Gedanken versunken bin, ruft Martha ihre Freundin an. Diese
wird gleich kommen, um uns die Schlüssel zu geben und uns alles zu
zeigen.
Wir
stehen vor dem Laden.
Das
Firmenschild fehlt noch.
Aber
wir haben wohl beide kein Problem, es vor unserem geistigen Auge dort
hängen zu sehen.
„Unser
Laden, Juri!“, strahlt Martha mich an.
Und
fällt mir um den Hals.
Ich
drücke sie glücklich an mich.
Martha
ist hibbelig und weiß nicht, ob sie zuerst den Laden oder die
Wohnung sehen möchte.
Und
da kommt ihre Freundin.
Die
beäugt mich neugierig; ich habe keine Ahnung, was Martha ihr von mir
erzählt hat.
„Denise
hat das Schild morgen fertig.“, erzählt sie. „Sie hat auch zwei
Jungs angeheuert, die es anbringen. Soll ja auch beleuchtet sein,
nicht?“
Martha
nickt.
Ich
hätte natürlich an sowas wie eine Beleuchtung nicht gedacht.
Gut,
daß ich Martha habe.
„Ja
und so schaut es also aus.“
Ja,
das gefällt mir.
Der
Ladenraum ist zu zwei Drittel gut vom Tageslicht ausgeleuchtet.
Ich
hab da schon ein paar Ideen, wie man das hintere Drittel gestalten
könnte.
Martha
sieht sich begeistert um.
Es
ist offensichtlich, daß auch sie in Gedanken schon am Gestalten ist.
Sicher
kann sie es kaum erwarten, loszuwuseln.
Aber
nicht mehr heute!
Hinter
dem eigentlichen Ladenraum gibt es eine Teeküche, die man aber auch
als Büro nutzen könnte, wenn man sich mit seinem Kram nicht allzu
sehr ausbreitet.
Doch,
der Laden ist wirklich fein.
Dann
geht es rauf in die Wohnung.
Fünfzig
Quadratmeter auf zwei Zimmer, Küche und Bad verteilt ist nicht viel,
aber ich denke, mehr brauchen wir beide nicht, um uns wohl zu fühlen.
Martha
scheint jedenfalls sehr zufrieden zu sein – ihrem Gesichtsausdruck
nach zu urteilen.
Mika,
Marthas Freundin überläßt uns ihre Wohnungseinrichtung.
Das
ist lieb, denn wir müssen ja vorrangig den Laden ans Laufen bringen.
Mika
meint ganz richtig, daß wir uns nach und nach so einrichten können,
wie wir es möchten.
Ich
bin da eh anspruchslos.
Ein
Bett und was, wo ich arbeiten kann.
Mir
ist klar, daß einer Frau das auf Dauer nicht genügen würde.
Nicht
mal Martha, die in meinem spärlich eingerichteten und chaotischen
Loft trotzdem glücklich war.
„Schön,
nicht?“, dreht sich meine Süße zu mir rum.
Ich
nicke und ziehe sie zu einem zärtlichen Kuß an mich.
Dann
verabschieden sich die beiden Freundinnen.
Und
Martha und ich sind allein.
„Was
machen wir zuerst? Ich denke, wir packen erstmal aus. Oder nein, wir
gehen runter und machen schon mal eine grobe Skizze, wie wir was
stellen wollen. Oder …“
Ich
drücke meine Lippen auf ihre und bremse sie so aus.
„Meine
Süße! Heute machen wir gar nichts mehr außer gemütlich essen
gehen, ein bisschen was für’s Frühstück morgen einkaufen … und
dann gehörst du mir.“
Ich
ziehe die Augenbrauen hoch und sehe sie eindringlich an.
Doch
sie lacht nur und küßt mich.
„Aber
nachher ganz schnell auspacken darf ich? Wenigstens die
Anziehsachen.“
Ich
verdrehe die Augen. Aber es ist wie mit der blöden Schneider-Puppe …
sie sieht mir in die Augen und ich kann ihr nicht widerstehen …
Sie
beeilt sich mir zuliebe und dann gehen wir los, gucken, wo wir lecker
essen können.
Ein
paar Blocks weiter sehen wir ein mexikanisches Restaurant.
Wir
blicken uns an und lachen beide los.
Keiner
von uns muß 'Weißt du noch …?' fragen, das liegt quasi in der
Luft.
Und
es ist sowas von klar, daß das unser Stammlokal werden wird.
Satt
und zufrieden und richtig gut gelaunt machen wir noch einen kleinen
Verdauungsspaziergang.
Sascha
ruft an, will wissen, ob wir gut angekommen sind.
Das
ist lieb; er freut sich, daß wir mit Laden und Wohnung so zufrieden
sind.
Und
dann sind wir daheim …
Der
Tag war aufregend, anstrengend und obwohl wir unsere Wohnung noch so
richtig einweihen müßten, ist uns nur noch nach Kuscheln.
Martha
läßt den Tag noch einmal Revue passieren, wird dann auf einmal ganz
still.
Und
ich begreife, daß ihr gerade bewußt wird, daß sie ihre Familie
nicht mehr so oft sehen wird, wie sie möchte.
Aber
hey, die fünfhundertfünfzig Kilometer, die ihr so weit, zu
weit weg schienen, sind gar nicht sooo weit. Nicht zu weit, um ihre
Familie regelmäßig zu besuchen.
Mir
fällt die Trennung leichter, ich habe niemanden zurückgelassen, der
mir wichtig wäre.
Doch,
einen Menschen schon … Sascha.
Aber
der Mensch, der mir am meisten bedeutet, der liegt neben mir.
Martha
scheint einen ähnlichen Gedanken zu haben, denn sie lächelt mich an
und mit einem zufriedenen Seufzer kuschelt sie sich enger an mich.
„Korolok.“,
flüstert sie.
So
fühle ich mich gerade auch … wie ein kleiner König.
Und
so schlafen wir an unserem ersten Abend in Berlin ein ...
Kapitel
2
Wir
haben ein kleines Dachfenster, durch das die Sonne morgens scheint.
Da
Hochsommer ist, tut sie das schon ziemlich früh.
Ich
denke, wir werden das Bett ein wenig umstellen.
Aber
nicht jetzt.
Martha
liegt mit dem Rücken zu mir und schläft noch friedlich.
Aber
sie wurde ja auch nicht von der Sonne an der Nase wachgekitzelt.
Ich
küsse zärtlich ihren Nacken, meine Hände finden von ganz allein
ihren Weg.
Sie
seufzt im Halbschlaf, kuschelt sich dichter an mich.
Ich
bin so verdammt glücklich.
Nachdem
wir unser neues Heim dann doch richtig schön eingeweiht haben,
frühstücken wir ganz dekadent im Bett.
Ich
scheine auf meine alten Tage noch romantisch zu werden, denn ich
hatte plötzlich die verrückte Idee, eine der Blumen aus dem Kasten
vor dem Fenster zu ziehen, mir zwischen die Zähne zu klemmen und nur
mit dem Frühstückstablett bekleidet vor Martha zu erscheinen.
Martha
prustet vor Lachen.
„Juri!“
„Waf
denn?“
Sie
lacht immer noch.
Ich
versuche, ein gekränktes Gesicht zu machen, was mir aber nicht ganz
gelingt, denn eigentlich finde ich es auch komisch.
„Du
bist echt süß.“, meint sie und sieht mich zärtlich an.
Schnell
ist das Tablett abgestellt, die Blume ausgespuckt und Martha geküßt.
Nach
dem Frühstück sind wir beide zappelig und wollen uns an die Arbeit
machen.
Martha
zeichnet einen Grundriß des Ladens und da hinein, was in etwa wo
hinkommen soll.
Sie
hängt sich ans Telefon und bestellt Stoffe, Wolle und einiges mehr.
Ich
muß mich anstrengen, mich auf meine eigene Arbeit zu konzentrieren,
denn Martha zuzusehen, wie sie emsig wuselt, ist eine Verlockung.
Sie
ist so süß, wenn sie unter Dampf steht.
Aber
sie vergißt mich nicht.
Wann
immer sie an mir vorbeikommt, küßt sie mich.
Und
strahlt.
Sonniger
kann es draußen gar nicht sein.
Gegen
Mittag kommen die Jungs, die unser Ladenschild anbringen sollen.
Das
Schild ist einfach toll geworden, finden wir alle.
Die
Anbringung ist der Beleuchtung wegen nicht ganz einfach, aber die
Jungs kriegen das hin.
Ich
mache sofort ein Foto von Martha vor unserem Laden mit dem tollen
neuen Schild.
Und
Martha bittet einen der Jungs, sie und mich vor dem Laden
festzuhalten.
Ich
lege den Arm um meine Süße und drücke sie fest an mich.
Sie
dreht mir ihr Gesicht zu und ich sehe, daß auch sie vor Glück
platzen könnte.
Es
ist natürlich nicht immer alles easy.
Später
am Tag ist der Strom weg.
Martha
ruft erstmal Mika an, die meint, das sei ihr auch hin und wieder
passiert; da sei wohl ein Wackelkontakt im Verteilerkasten oder so.
Unwillkürlich
muß ich an Sascha denken.
Den
könnten wir jetzt gut brauchen.
Obwohl
es bescheuert ist, rufe ich ihn an.
„Hey,
Alter, wie geht es euch?“
„Danke,
sehr gut. Uns ist nur der Strom ausgegangen.“
„Hä?“
„Hier
stimmt was mit dem Strom nicht.“
„Und
jetzt soll ich vorbeikommen und das in Ordnung bringen?“
„Könntest
du?“
„Du
bist doch verrückt!“
Darauf
sage ich lieber nichts.
„Ich
könnte ein paar Tage Urlaub nehmen. Ich wäre ohnehin gerne bei der
Einweihung dabei. Aber ich weiß nicht, wo ich die Kohle für die
Fahrt hernehmen soll.“
„Wenn
das deine einzige Sorge ist … mach das mit deinem Urlaub klar und
schwing deinen Arsch in den nächsten Flieger. Ich laß dir so ‚nen
Fluggutschein hinterlegen.“
„So
einen, wie du Martha gegeben hast?“
„Ja,
du Blödmann.“
Als
ich Martha von dem Gespräch erzähle, meint sie auch, ich wäre
verrückt.
„Aber
der beste, liebste, süßeste Verrückte, den es gibt.“
Damit
kann ich gut leben, denke ich.
Genüßlich
küßt sie mich.
Das
mit dem Gutschein erledige ich sofort; ich kenne mich ja.
Am
Nachmittag klappern wir diverse Läden ab, um dekorative
Kleiderständer, Schaufensterpuppen und sowas zu organisieren.
Wir
wollen unsere Kreationen ja nicht an die Wände tackern.
Das
ist alles gar nicht so einfach.
Ohne
Martha hätte ich entnervt aufgegeben.
Aber
sie bleibt trotz der Hitze cool.
Wir
holen uns was zu trinken, setzen uns in den Schatten eines Baumes und
ich ziehe mein Shirt aus. So ruhen wir eine Weile aus.
Ich
will mein Shirt nicht wieder anziehen, doch Martha meint, so
verlockend der Anblick meines trainierten Körpers ja wäre, ich
könne nicht oben ohne durch die Läden ziehen.
Widerwillig
vor mich hin knurrend ziehe ich mir das Shirt wieder über.
„Alter
Brummbär!“, meint sie zärtlich.
Am
frühen Abend ist das Nötigste besorgt und wir beschließen, es für
heute gut sein zu lassen.
Ich
will definitiv nichts mehr tun außer ausgiebig duschen, gemütlich
essen gehen und anschließend noch mal duschen, mit Martha zusammen.
Und was sich daraus so ergeben mag.
Ich
bin gerade bei Teil eins meines Programms, als es unten klingelt.
Martha
öffnet.
„Sascha!!!“
Der
alte Gauner! Ist er tatsächlich hier!
Ich
trockne mich dürftig ab, springe in Shorts und flitze runter, um ihn
zu drücken.
„Ey,
ist gut, ja? Bei der Hitze ist mir nicht so nach Kuscheln mit dir.“
„War
er bei dir auch so zickig?“, frage ich Martha.
„Och
…“, grinst sie.
„Aha!“
So ist das also.
„Hey,
der Laden sieht von außen schon mal richtig geil aus.“
„Danke.“
„Und
was habt ihr für ein Problem mit dem Strom?“
„Darum
kannst du dich morgen kümmern. Wir haben Hunger.“, sage ich.
„Okay.“,
meint Sascha grinsend. „Mit hungernden Künstlern ist nicht zu
spaßen.“
Wir
verbringen einen heiteren Abend beim Mexikaner und etlichen Tequilas.
Gut
gelaunt machen wir uns anschließend auf den kurzen Heimweg.
Sascha
hat seinen Schlafsack dabei und so kann er sich’s im Laden
gemütlich machen.
Als
Martha und ich am nächsten Morgen in den Laden runterkommen, ist
Sascha schon auf.
„Hör
mal, das ist kein Ding, ich müßte nur mal in ‚nen Baumarkt. Dann
habt ihr im Handumdrehen wieder Strom.“
Das
sollte sich einrichten lassen.
Wir
machen uns gleich auf den Weg, solange es noch nicht ganz so heiß
ist.
Wobei
man es in der U-Bahn echt gut aushalten kann.
Als
Sascha hat, was er braucht, schauen wir bei Denise vorbei.
Die
hat die Flyer für die Eröffnungsfeier fertig. Und es wird auch
Zeit, die zu verteilen.
Denise
ist ein Schatz; sie wird beim Verteilen helfen.
„Wir
können ja zwei und zwei gehen.“, schlägt Sascha vor.
Ich
sehe ihn an und kann mich des Verdachts nicht erwehren, daß Denise
ihm gefällt.
„Du
kümmerst dich erstmal schön um unser Strom-Problem, danach kannst
du soviel turteln, wie du willst.“
Ich
ducke mich rein vorsorglich und in der Tat tut Sascha so, als wollte
er mir eine reinhauen.
Denise
lacht nur und fragt, ob wir gemeinsam was essen wollen.
Essen
ist immer gut.
Seit
wir in Berlin sind, bin ich chronisch hungrig.
Nach
dem Essen fühle ich mich ziemlich träge. Es ist inzwischen auch
ziemlich heiß.
„Juri,
ich denke, auf Dauer sollte einer von uns mobil sein. Du hast doch
‚nen Führerschein, nicht?“
Martha
sieht mich fragend an und ich nicke.
„Hey,
ein Wagen mit eurem Logo drauf, das hätte schon was.“, meint
Sascha.
„Später
vielleicht mal, Sascha, das ist echt zu teuer.“, wendet Martha ein.
„Aber irgendwas Gebrauchtes, was noch zuverlässig ist ...“
„Ich
hör mich mal für euch um.“, verspricht Denise.
Ich
habe hier anscheinend nichts mehr zu sagen, denke ich mir und lehne
mich grinsend zurück.
„Sag
mal, Juri, hast du eigentlich schon dein Gewerbe angemeldet?“
„Was?
… Scheiße!“, fluche ich herzhaft, weil ich an sowas Profanes
natürlich nicht gedacht habe.
„Oh
nein!“, meint Martha schuldbewußt und scheint sich in ihre Zeit
als meine Assistentin zurückversetzt zu fühlen.
Denise
sieht auf die Uhr und meint: „Dann kümmern wir uns am besten
sofort darum. Wie schnell die das bearbeiten, weiß ich freilich
nicht. Komm!“
Sie
steht auf und sieht mich auffordernd an.
Seufzend
erhebe ich mich; das muß wohl sein.
„Sascha
und ich werden inzwischen auch nicht faul sein, nicht?“ Martha
winkt der Bedienung, daß sie zahlen möchte.
„Natürlich
nicht.“, meint Sascha und wirft Denise einen bedauernden Blick zu.
Die
ruft uns ein Taxi.
Ich
ziehe Martha kurz an mich und küsse sie zärtlich.
„Bis
später, mein Schatz.“, sagt sie liebevoll.
Denise
packt mich am Arm, das Taxi ist da.
Im
Taxi ist es angenehm, die Klimaanlage läuft.
„Da
ist euer Freund Sascha also mal eben aus Düsseldorf hergekommen, um
euch den Strom zu reparieren?“
„Na
ja, ich hab ihm den Flug bezahlt.“
„Trotzdem.
Das würde nicht jeder machen.“
Ich
nicke.
„Du
wüßtest nicht vielleicht einen Job für ihn?“, frage ich sie.
„Er
will hierbleiben?“
„Ja.
Er weiß es nur noch nicht.“
Denise
lacht. „Könnt ihr nicht selbst jemanden brauchen? Für
Büroangelegenheiten, Einkauf, Kundenbetreuung, Buchhaltung und so
weiter.“
Oh
je! Das klingt so, als könnte das Martha alleine kaum schaffen.
Eigentlich müßte ich ja auch … aber ich und Bürokram? Dann
könnten wir den Laden gleich wieder dicht machen.
„Ich
glaub, Sascha hat jetzt nicht so die Ahnung von Buchhaltung.“,
wende ich ein, obwohl mir die Idee gefällt, daß Sascha für und mit
uns arbeiten könnte.
„Das
läßt sich alles lernen. Ich bring ihm gern die Grundlagen bei.“
Ich
habe das Gefühl, daß Saschas Sympathie für Denise auf
Gegenseitigkeit beruht.
Zum
Glück ist Denise bei mir, denn ich hätte nicht die Geduld für
diesen Papierkram gehabt.
Ich
habe nicht die geringste Ahnung, wieviel Umsatz wir erwarten.
Die
Hitze läßt mich auch ein wenig gereizt werden.
Aber
Denise bleibt cool und regelt alles für mich.
Glücklicherweise
erwischen wir eine nette Dame, die uns verspricht, daß die Sache
spätestens übermorgen bearbeitet ist.
„Wie
schaut es eigentlich mit dem Catering für eure Eröffnungsfeier
aus?“, fragt Denise, als wir auf dem Heimweg sind.
Ich
fahre mir mit den Händen durch die Haare und verdrehe die Augen.
Was
mag da noch alles auf uns zu kommen?
Kapitel
3
Wieder
zurück, treffen wir Martha und Sascha beim Plaudern an.
„Soso.“,
mache ich anzüglich und versuche die beiden streng anzusehen.
Sascha
grinst nur.
Martha kommt auf mich zu und küßt mich zärtlich.
Und
da soll ich streng bleiben?
Ich
seufze nur genießerisch.
„Strom
läuft.“, höre ich Sascha sagen.
„Du
biff Sbifze!“, nuschle ich zurück, weil ich meine Lippen noch
nicht von Marthas lösen möchte.
Doch
das muß ich jetzt, weil Martha losprustet. „Juri!“
Was
denn?
„Danke,
Alter!“, wende ich mich Sascha zu und klopfe ihm anerkennend auf
die Schulter. „Was würden wir nur ohne dich machen?“
„Verzweifeln?“
„Was
würdest du davon halten, dich ganz hier niederzulassen?“
„Hm
…“
„Was
hm?“
„Strenggenommen
hält mich nicht viel in Düsseldorf. Okay, die Kumpels vom Boxclub …
Aber sicher nicht der Job. Und ganz sicher nicht die WG.“
„Ist
es nicht nett da? Dana ist doch da.“, meint Martha.
„Ja,
Dana ist okay. Doch, die mag ich leiden. Aber diese Bella und ihr
Andi nerven und ganz schlimm ist Jessica.“ Sascha verzieht
angewidert das Gesicht.
„Jessica?
Das blonde Model, Tanjas Assistentin? Ich hab mich immer schon
gefragt, wie die an diesen Job gekommen ist … hochgeschlafen kann
sie sich ja nicht haben.“ Ich muß grinsen.
„Die
hat versucht, sich an mich ranzumachen. Schiebt Frust, weil sie den
Weißkittel nicht haben kann und ich bin dann gut genug. Aber nicht
mit mir! Hab sie gefragt, ob sie es nicht war, die bei LCL alle vor
mir gewarnt hat, ich sei ein Krimineller und sie sollten bloß alle
auf ihre Sachen aufpassen. Das hab ich nämlich nicht vergessen. Und
so notgeil bin ich nicht.“
Ich
nicke ihm anerkennend zu.
„Ja,
nee, Jessica ist nicht die Allerhellste, das muß ich zugeben. Und
sie kann manchmal auch ganz schön fies sein. Und ich fürchte auch,
wenn sie einen … Besseren … du weißt schon … findet,
läßt sie dich fallen. Und das hättest du echt nicht verdient.“
Da
muß ich Martha Recht geben.
„Ich
würde es übrigens auch toll finden, wenn du nach Berlin ziehen
würdest. Weil … irgendwie gehörst du zu uns. … Wir haben … na
ja, einiges zusammen durchgemacht.“
Wieder
muß ich Martha Recht geben.
„Na
ja, irgendwer muß sich ja um die alltäglichen Problemchen kümmern,
während ihr Künstler in höheren Sphären schwebt.“
„Ey!“
Martha funkelt ihn gespielt böse an. Das steht ihr so gut … hach,
ich könnt‘ sie schon wieder …
„Wenn
ihr mir ‚ne Bude und ‚nen Job besorgt … viel zu regeln hab ich
nicht in Düsseldorf. Den Hausmeister-Job schmeißen, mich von den
Jungs verabschieden und mein Bündel schnüren … sagt mir Bescheid,
ja?“
„Ich
hör mich mal um. Was kannst du denn so anbieten?“, will Denise
wissen.
„Kann
ich dir gern beim Abendessen erzählen.“
„Okay.“
Hm.
Denise scheint tatsächlich Gefallen an Sascha zu finden.
Dann
beginnt Martha eine Liste anzulegen, was alles noch zu tun ist.
Schon
nach wenigen Minuten schwirrt mir der Kopf.
Sascha
will sich mit Denise um’s Catering kümmern.
„Machst
du deine Ras…dingsbums?“, fragt Martha.
„Ražnjići.“
Sascha lacht.
Als
Denise fragend schaut, erklärt Martha: „Sascha macht saugeile
Balkanspieße.“
Ich
kann nicht anders, ich muß sie küssen.
Sie
lacht und erwidert meinen Kuß so zärtlich, so innig, daß ich sie
gar nicht mehr loslassen möchte.
„Du
legst deine Süße aber nicht gleich hier auf dem Tapeziertisch
flach?“ Sascha grinst sich einen.
„Ja
nee, das würde der ja gar nicht aushalten.“, grinse ich zurück
und lasse Martha mit Bedauern los.
„Ich
schlage vor, wir verteilen eine Runde Flyer und währenddessen können
wir uns überlegen, was wir an Essen und Trinken anbieten, okay?“
Sascha
nickt und die beiden verabschieden sich.
Martha
und ich sehen uns an und lachen.
„Die
sind ja süß zusammen.“, meint sie.
Martha
würde den Innenraum gerne in den Farben unseres Logos streichen,
also in pink und mint und ich bringe es nicht über mich, nein zu
sagen, obwohl die Farbe eine Stange Geld kosten wird.
Ich
würde ja gerne einwenden, daß die Farbe nicht bis zur Eröffnung
getrocknet ist, aber bei den Temperaturen …
Nein,
ich habe absolut keine überzeugenden Gegenargumente.
Martha
ruft also Sascha an.
„Hättest
du dir das nicht früher überlegen können – wir waren doch vorhin
im Baumarkt. Also gut …“ Ich höre deutlich Saschas Stoßseufzer.
Ich
sehe Martha zu, wie sie über ihrer Skizze des Innenraums sitzt und
in Gedanken die Einrichtung hin und her schiebt.
Ich
werde heute Nacht arbeiten, es ist eh zu heiß zum Schlafen.
Während
ich also Martha beobachte und überlege, ob sie sich wohl kurz von
mir vernaschen lassen würde, klingelt mein Handy.
Es
ist Mosch!
Was
will der alte Schleimer?
„Ah,
mein Lieber, was höre ich da für Sachen? Sie arbeiten nicht mehr
für LCL?“
„Nein,
ich werde mit M….. mit meiner Verlobten in Berlin einen eigenen
Laden führen.“
„Darf
ich fragen … ihre Verlobte … das ist nicht zufällig ihre frühere
Assistentin? Die ebenso charmante wie talentierte junge Designerin?“
Wie
der schleimt! Mir wird gleich schlecht.
„Ja,
das ist sie.“, sage ich nüchtern.
„Ich
wußte es! Ich hab es gleich gemerkt!“
Gar
nichts hast du, du Idiot!
„Hören
Sie, ich bin nach wie vor an Ihrer beider Arbeit interessiert. Ob ich
nach Düsseldorf fliege oder nach Berlin, das ist einerlei. Bleiben
wir im Geschäft, Herr Adam?“
„Ich
arbeite nicht mehr als Juri Adam. … Ich, äh, bin vorzeitig aus
meinem Vertrag und …“
„Ich
verstehe. Ihren Namen zu behalten, war offenbar nicht oberste
Priorität.“
„Nein.“
„Und
haben Sie schon einen neuen Namen für ihr Label?“
„Ich
nenne mich ‚Korolok‘.“
„Das
hat einen guten Klang. Ich nehme an, dieser Name hat persönliche
Bedeutung für Sie.“
Der
Typ ist nicht so blöd, wie ich dachte.
„Wir
werden am Samstag offiziell eröffnen.“, weiche ich aus.
„Dann
lassen Sie mir doch bitte umgehend eine Einladung zukommen.“
„In
Ordnung.“
Als
ich Martha erzähle, daß es so aussieht, als hätten wir Mosch LCL
abgeworben, ist sie ganz aus dem Häuschen.
„Obwohl
… das paßt schon. Weil … Mosch und die Berg, das paßt nicht.
Die wären nicht miteinander klargekommen.“
„Aber
du wickelst Mosch um den kleinen Finger, nicht?“
„Soll
ich nicht? Hey, wenn Mosch bei uns einkauft, das spricht sich rum.
Das wäre eine klasse Starthilfe.“
Das
sehe sogar ich ein.
Und
dem kleinen Miststück von Berg gönne ich diese Schlappe.
Martha
ist in ihrem Element und läßt Mosch gleich eine Einladung zukommen.
Ihre
Freundin Mika hat ihr ganzes Büroequipment inclusive Computer
dagelassen.
„Ich
leg uns mal eben schnell eine eigene Mailadresse mit dem Namen
unseres Ladens an. … Aber über kurz oder lang brauchen wir
unbedingt eine eigene Webseite. Ich werd‘ Denise mal fragen, ob sie
jemanden kennt. Und …“
Ich
habe mich von hinten an sie rangeschlichen und küsse sanft ihren
Nacken.
Sie
verstummt sofort, seufzt nur noch „Juri …“
Eine
Weile später gehen wir entspannt wieder an die Arbeit.
Martha
pusselt am Computer rum, trägt da alles Mögliche in Listen ein.
Ich
lasse sie machen, von sowas versteht sie viel mehr als ich.
Bald
sind auch Sascha und Denise wieder da.
Mit
den Farben.
„Oh,
wie schön!“, freut Martha sich. Sie würde anscheinend am liebsten
sofort losklecksen.
Und
mein Kopfkino präsentiert mir dazu ein paar nette Bilder.
Wir
könnten nachts pinseln. Nacktpinseln …
Schluß
jetzt, Juri!
Ich
bemühe mich, wieder einigermaßen nüchtern zu denken.
„Ihr
könnt oben bei uns duschen, wenn ihr mögt. Ihr seht ein wenig …“
„… durchweicht
aus? Kein Wunder bei dem Wetter.“, lacht Denise. „Danke, das
Angebot nehme zumindest ich gern an.“
Denise
kennt in der Tat jemanden, der uns eine eigene Homepage basteln kann.
Zwar ist der erst in zwei Wochen abkömmlich, aber so sehr eilt das
nicht.
Und
Martha motiviert uns alle mit ihrer Begeisterung und guten Laune so
sehr, daß wir tatsächlich noch mit Streichen anfangen.
Nein,
nicht anfangen … wir vier streichen den Ladenraum bis Mitternacht
fertig.
Und
haben richtig Spaß dabei.
Martha
hat die Idee, daß sie und ich hie und da Skizzen unserer Arbeit an
die Wände zeichnen könnten.
Ich
weiß, was ihr vorschwebt, aber ich kann keine feinen Linien mit ‚nem
Pinsel ziehen.
Denise
meinte, ich solle einen Kohlestift nehmen. Sie würde die Linien dann
mit Klarlack übersprühen, damit keine Feuchtigkeit sie verwischen
läßt.
Ich
will ihr mal glauben, daß das funktioniert.
Zwischendurch
lassen wir uns vom Mexikaner Essen kommen.
Und
während wir hungrig futtern, erzählt Martha unter Kichern von ihrem
und meinem ersten Besuch beim Mexikaner in Düsseldorf.
Als
wir fertig sind, muß ich zugeben, daß der Laden nun richtig geil
aussieht. Die stilisierten Entwürfe an der Wand machen sich wirklich
gut.
Es
ist immer wieder eine gute Entscheidung, auf meine Süße zu hören.
Kapitel
4
Zum
Schlafen ist es echt zu heiß.
Martha
und ich wechseln ab mit ein wenig arbeiten und kalt duschen.
Um
fünf Uhr morgens schleichen wir uns leise raus – Sascha
schnurchelt vor sich hin – und machen einen Spaziergang durch die
jetzt angenehme Luft.
In
einem kleinen Stückchen Park setzen wir uns auf eine Bank.
Martha
lehnt sich an mich, ich küsse sie zärtlich auf die Stirn und bin
glücklich.
Wieder
zurück, legen wir uns nach einer weiteren kalten Dusche auf’s Bett
und schlafen fast bis Mittag.
Bis
Sascha uns weckt.
„Hey,
wacht ihr auch mal auf?“
„Moment!“,
knurre ich und werfe die Decke über Martha. „Komm rein.“
„Taufrisch,
was?“, grinst er.
„Wir
haben bis in der Früh gearbeitet … war doch eh zu heiß zum
Schlafen.“
Martha
räkelt sich und blinzelt mich an.
„Mhhh,
wiespätisdenn?“
„Kurz
vor zwölf.“, antwortet Sascha an meiner Stelle.
„Ach
je!“
„Hey,
wir sind um nach sechs erst ins Bett.“
„Also,
ich hab Stehtische und Sonnenschirme für die Einweihung organisiert.
Das mit den Getränken geht auch klar. Denise hat angerufen; tagsüber
kann sie leider nicht, aber heute Abend. Sie hat übrigens Anzeigen
in den Lokalblättchen geschaltet, wegen der Eröffnung.“
Unsere
Freunde sind Gold wert.
Und
ich hoffe, sie wissen, wie sehr ich zu schätzen weiß, was sie für
uns tun, auch wenn ich es nicht so zeigen kann.
„Sascha,
du bist ein Schatz!“ Martha wirft ihm eine Kußhand zu.
„Ich
weiß.“, grinst er. „Ich mach dann mal Frühstück, nich?“
Kurz
darauf sitzen wir in unserer kleinen, gemütlichen Küche und lassen
es uns gutgehen.
Sascha
und Martha grübeln, was wir an Futter anbieten wollen. Denise wird
Salate machen, Sascha seine Spieße.
„Wir
brauchen einen Kühlwagen, das kriegen wir nicht alles in eurem
Kühlschrank unter.“, meint Sascha.
Ich
seufze ergeben. Diese Feier entwickelt sich langsam zu einer Hydra –
überall wachsen ihr neue Köpfe in Form von Sachen, die noch gemacht
werden müssen.
Zum
Glück habe ich bei LCL gut verdient und sparsam gelebt. Leisten
können wir es uns.
„Juri,
ich hab nachgedacht … wir können kreieren, designen, Einzelstücke
selber anfertigen. Aber wir können beim besten Willen nicht selber
produzieren. Neben einer Person, die sich um Einkauf, Buchhaltung und
das alles kümmert, brauchen wir auf jeden Fall eine Näherin.“
Ich
grummele leise vor mich hin. „Ja, du hast Recht. Wir können nicht
alles alleine schaffen. Nicht, wenn wir von unserem Laden leben
wollen.“
„Und
eigentlich brauchen wir auch jemanden für die Vermarktung, für die
Öffentlichkeitsarbeit und …“
„Wär
das nicht was für dich? Du kannst Mosch um den Finger wickeln –
das schaffst du sicher auch bei allen anderen.“
Meine
Süße wird doch tatsächlich rot.
„Ich
mein das ernst. Ich brauch das gar nicht erst zu versuchen, mit
meinem Holzhammer-Charme vergraul ich doch alle.“
„Das
stimmt.“, meint sie trocken und ich muß lachen.
„Okay,
ich mach das … also, ich mein, ich werd’s versuchen … das ist
ja alles … na ja …“
„Du
willst, daß ich dich küsse, nicht?“
„Was?
Nein. Das … doch, ich meine … schon. Aber …“
Ich
kann nicht mehr an mich halten; sie ist einfach zu süß.
Sie
will protestieren, aber es dauert höchstens zwei Sekunden, bis sie
seufzend die Augen schließt und meinen Kuß zärtlich erwidert.
„Und
was wird jetzt mit mir?“, fragt Sascha, nachdem wir uns voneinander
gelöst haben.
„Du
kannst soviel stammeln, wie du willst, ich küß dich nicht.“
Sascha
sieht mich an, als würde er gerne mit etwas Hartem nach mir werfen.
„Oh,
ich denke, wir haben eine Menge für dich zu tun. Du könntest zum
Beispiel unsere zukünftigen Berliner Kunden beliefern, das Material
besorgen, das wir für unsere Modelle brauchen und ja, vielleicht
wäre ja der Ladenverkauf was für dich?“
„Ich
weiß nicht, ob ich dafür seriös genug …“
„Ey,
wir sind anders, klar? Das ist hier nicht LCL. Wir haben „bad boys“
in unserem Logo. Und so’n zwielichtig aussehender, bärtiger,
tätowierter Typ bedient doch wohl voll das Klischee, oder?“
Sascha
muß lachen.
„Aber
wir machen das alles offiziell, nicht? Ich meine, wir stellen Sascha
richtig mit Vertrag und so ein.“, wirft Martha ein.
„Natürlich.“,
meine ich.
„Ich
hab keine Ahnung, wie so ein Arbeitsvertrag aussehen muß … ich ….“
„Maaartha!
Tief einatmen …“, unterbreche ich sie.
„Ich
mach mir schon wieder zuviele Gedanken, nicht?“, meint sie
kleinlaut, aber schon wesentlich ruhiger.
„Mhhhh.“,
mache ich und küsse sie sanft auf die Stirn.
„Ich
frage Denise. Die kennt soviele Leute … ist eh alles immer nur eine
Sache der richtigen Kontakte.“ Sascha bleibt wie immer cool.
Den
ganzen Nachmittag über arbeiten Martha und ich an unseren
Kollektionen.
Martha,
mein Goldstück, hat letzte Nacht meine ganzen Schnittmuster
gefertigt und während sie nun an ihren Accessoires arbeitet,
schneide ich die Stoffe in Form.
Dann
wechselt sie an die Nähmaschine und näht meine geschnitten
Stoffbahnen zu Kleidern und ich bastle mit Perlen, Knöpfen und
anderem Kleinzeug an ihren Wollsachen herum.
Dieser
Fisselskram nervt mich, aber es muß sein. An der Nähmaschine bin
ich auch nicht viel besser.
Ich
denke darüber nach, wer sich hier alles nützlich macht, sich für
uns engagiert … und werde zunehmend frustrierter, als ich merke,
daß ich anscheinend zu nichts anderem als meinem Designerkram tauge.
Ja,
ein wenig handwerkliches Geschick habe ich. Aber nichts, was uns
nutzen würde. Keine Ahnung von Computern, von Buchhaltung, von
Vermarktung. Zu unsozialisiert für den Kundenkontakt.
Der
typisch abgehobene Künstler, der in seiner eigenen Dimension lebt
und alles Normale, Weltliche von anderen machen läßt.
Martha
telefoniert.
„Ja,
hi! … Uns geht’s großartig. … Doch, läuft alles prima. Sascha
ist ‚ne große Hilfe. … Ja, hat er erzählt. Und ich find’s
gut, er hat was Bess… … ja, ich weiß, sie ist Maxis Mutter, aber
erst ihn überall als Kriminellen anprangern und dann mit ihm in die
Kiste … ach, hast du … ? Find ich klasse. … Ist es bei euch
auch so heiß? Wir verschmachten hier fast. … Okay, dann
telefonieren wir morgen oder so nochmal. Ja, mach ich. Tschüß. …
Ganz liebe Grüße von Dana!“
„Danke.“,
rufe ich ihr zu.
Ich
komme von meinen trüben Gedanken über meine Nutzlosigkeit nicht
mehr los.
Martha
merkt nichts und ich sage auch nichts.
Am
Abend kommt Denise und nun arbeiten wir alle gemeinsam an den
Kollektionen.
Sie
können sich sehen lassen.
Denise
und Martha placieren sie wirkungsvoll im Laden.
Die
rechte Seite in Mint ist meine. Die überwiegend dunklen Modelle
heben sich gut ab.
Links
ist alles pink und das paßt super zu Marthas Stricksachen und
sonstigen Accessoires, die ja alle etwas verspielt daherkommen.
Und
beides zusammen – ihrs und meins – ist ein toller Kontrast.
Das
finden auch Denise und Sascha.
Denise
macht ein paar Fotos vom fertig hergerichteten Laden. Die sollen
später auf unsere eigene Homepage.
„Tja,
übermorgen ist es soweit. Und wir haben eigentlich alles fertig. Der
Laden ist bereit, für Essen und Trinken gesorgt. Ach ja, ein Freund
von mir hat ‚nen Kumpel, der Fotograf für eins der Lokalblättchen
ist. Der will ‚ne kleine Reportage machen.“
Meine
durch den Anblick unseres fertigen Ladens kurzzeitig aufgebesserte
Laune verfliegt wieder.
Was
ist nur mit mir los? Warum laß ich mich so runterziehen?
Als
Martha und ich allein sind, wird es noch schlimmer.
Ich
ziehe mich immer mehr zurück.
Und
will das eigentlich gar nicht.
Daß
ich nicht mit ihr schlafen will, wundert sie zum Glück nicht.
Es
ist heiß und es war ein anstrengender Tag.
Durchaus
glaubwürdig, daß man da mal keine Lust auf Sex hat.
Sie
kuschelt sich sachte an mich, flüstert mir „Schlaf gut. Ich liebe
dich.“ ins Ohr.
Und
ich schaffe es nicht mal, mir ein ‚Ich dich auch.‘ abzuringen, so
mies drauf bin ich inzwischen.
Hoffentlich
ist das morgen vorbei.
Aber
wann erledigen sich Probleme schon im Schlaf?
Und
so wache ich anderentags immer noch verstimmt auf.
Mir
ist klar, ich muß darüber reden.
Ich
blicke meine Süße an; sie schläft noch friedlich.
Sanft
streichle ich ihren Nacken.
Sie
räkelt sich wohlig, haucht „Juri …“ und kuschelt sich an mich.
Zärtlich
wandern ihre Finger über meine Brust, über den Bauch …
Und
dann wundert sie sich, warum sich bei mir nichts tut. Das kennt sie
nicht von mir.
Bei
ihr funktioniere ich immer.
„Hey,
was ist denn los?“, fragt sie sanft und küßt mich zärtlich auf
die Nasenspitze.
„Ach,
eigentlich ist es albern.“, meine ich und ärgere mich über mich
selbst.
„Was
dich so runterzieht, kann so albern aber nicht sein.“
Ich
schnaube durch die Nase.
„Also,
raus damit!“
Sie
blickt mir geradewegs in die Augen und ich weiß, sie wird jetzt
nicht mehr locker lassen.
„Ach,
Scheiße, ich fühle mich so nutzlos!“, platzt es aus mir raus.
„Nutzlos?
Ja, wieso das denn?“
„Na,
weil ich hier nichts Sinnvolles beitrage. Ich bin eigentlich komplett
überflüssig.“
Ich
weiß, daß ich jetzt übertreibe, aber der ganze Frust von gestern
kommt gerade wieder hoch.
Martha
ist bestürzt, das sehe ich.
„Wie
kommst du denn darauf? Du hilfst doch an allen Ecken und Enden, hast
mitgestrichen, dich um meine Accessoires gekümmert …“
„Und
das war auch schon alles! Sascha ist weit vielseitiger als ich. Und
Denise mit ihrer Ahnung von Computern und ihren Kontakten …
ausgefallene Klamotten designen, das kann ich. Und sonst nix.“
Ich
glaub, ich hab ‚ne kleine Identitätskrise.
„Juri
…“, beginnt Martha sanft, „ … mach es dir doch selbst nicht
so schwer. Mir reicht es völlig, wenn du ein genialer Designer und
ein hingebungsvoller Liebhaber bist.“
Jetzt
muß ich grinsen, obwohl ich eigentlich nicht will.
„Denk
nicht, ich würde dich nicht ernst nehmen. Aber daß du keine Ahnung
vom Stromreparieren und von der Buchhaltung hast, ist wirklich keine
Katastrophe.“
„Vielleicht
sollte ich mich mit Sascha zusammentun. Von ihm kann ich mir sicher
das eine oder andere abgucken.“, meine ich hoffnungsvoll.
„Ja,
unsere zwei Mädchen für alles.“ Martha grinst mich an.
„Frech
werden, ja?“
Ich
kniee mich blitzschnell über sie und kitzle sie durch.
Sie
quiekt und strampelt und meine miese Laune schwindet.
Als
sie nur noch japsen kann, küsse ich sie lange.
Sie
schmiegt sich an mich, liebkost meinen Nacken und nun hab ich doch
Appetit auf sie …
Als
wir eine Weile später zusammen unter der Dusche stehen, meint sie:
„Du und Sascha, ihr solltet euch hier sowas wie den Box-Club
suchen.“
Das
ist eine gute Idee.
Für
mich eine eher unübliche Verhaltensweise – aber ich mache beim
Frühstück gleich Nägel mit Köpfen.
Und
beichte Sascha von meinem Dilemma.
Der
kringelt sich erstmal vor Lachen.
„Also,
das hätt‘ ich echt nicht gedacht, daß dir sowas mal passieren
würde. Normal leidest du nicht unbedingt unter
Minderwertigkeitskomplexen.“
„Ich
fühl mich nicht minderwertig, nur nicht sehr nützlich, was unseren
Laden angeht. Ich will einfach mehr beitragen.“
„Volkshochschulkurs
in Buchhaltung?“ Sascha hat Mühe, vor Lachen nicht loszuprusten.
„Ja,
nee, das ist wohl nix für mich. Ich möchte lieber was mit meinen
Händen machen. Oder was, wo ich mich bei bewegen kann. Und raus
kann.“
„Dann
solltest du an deinen Umgangsformen arbeiten und den Kundenkontakt
übernehmen.“
„Du
kannst ja morgen schon mal bei Mosch üben.“, meint Martha und
grinst mich an.
„Tolle
Idee!“ Ich denke, meinem Gesichtsausdruck ist anzusehen, wie
begeistert ich bin.
Aber
irgendwas muß ich machen, sonst ist der Frust sicher schnell wieder
da.
„Wie
wär’s denn, wenn du erstmal die Einkäufe übernimmst? Ich mein,
du weißt, wieviel wir von was brauchen. Du kannst die Angebote
einholen, die Bestellungen klarmachen und so weiter. Ich weiß, das
ist bissi Büroarbeit, aber nicht viel. Und wenn alles gut läuft,
was ich hoffe, werden wir sicher bald die ersten Modenschauen
beschicken und um die Orga kannst du dich kümmern.“
Ach
je! Da hab ich mir ja was eingebrockt.
„Und
Sascha – du und Juri, wollt ihr nicht schauen, ob ihr hier irgendwo
sowas wie den Boxclub findet?“
Stimmt,
da war ja noch was!
„Hab
schon.“, meint Sascha. „Als ich Denise erzählt hab, daß das
einzige, was mir fehlen wird, meine Kumpels aus dem Club wären,
meinte sie gleich, ich solle mir hier was Ähnliches suchen. Keine
Ahnung, ob’s ne sentimentale Welle war oder so, aber ich hab mal
mit ihr im Internet geguckt … in Berlin gibt es viele von uns …“
Er
sieht mich leicht unsicher an.
Mir
ist klar, wen er mit ‚uns‘ meint …
Aber
auch, wenn ich meine Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet habe,
kann ich dran denken, ohne innerlich aufzuschreien.
Und
es ist okay, wenn Sascha und ich uns einen Club suchen, in dem
unseresgleichen verkehrt.
Am
Vormittag bin ich draußen unterwegs, Ideen sammeln.
Martha
sitzt am PC und wird noch ein wenig Ordnung machen, hat sie gesagt.
Sascha
holt mit Denise‘ Auto den Kühlwagen und die Verköstigung ab.
Ich
werde da nicht gebraucht. Aber heute bleibe ich locker und mache mir
keinen Kopf über meine scheinbare Nutzlosigkeit. Es findet sich
schon alles.
Und
weil ich gut drauf bin, ist die Welt um mich voller Inspirationen.
Am
späten Nachmittag ist dann wirklich nichts mehr zu tun.
Wir
beschließen, den Rest des Tages gemeinsam zu genießen, setzen uns
beim Mexikaner auf die schattige Terrasse und lassen es uns gutgehen.
Wir
sind alle sehr gespannt, wie es morgen wird.
Wir
haben keine Ahnung, wieviel Interessierte kommen werden.
Martha
hat schon rote Bäckchen vor Aufregung.
Sie
ist so süß!
Wir
halten Händchen, küssen uns gelegentlich zärtlich und sind einfach
glücklich.
Aber
nicht nur wir.
Auch
Sascha und Denise sehen sich auf eine Weise in die Augen, die keinen
Zweifel daran läßt, daß sie sich nähergekommen sind.
Und
so wundern wir uns nicht, als Sascha nicht mit uns nach Hause kommt.
„Wir
sehen uns morgen früh.“, meint er und zwinkert uns zu.
Denise
lächelt nur, nimmt ihn bei der Hand und zieht ihn sanft zu ihrem
Wagen.
„Das
gefällt mir.“, meint Martha.
Ja,
mir auch.
Kapitel
5
Da
es morgen ein langer und anstrengender Tag werden wird, liegen Martha
und ich heute früh im Bett.
Und
das ist sogar schön, denn es gibt ein kräftiges Gewitter und durch
das kleine Fenster in der Dachschräge weht jetzt eine frische, kühle
Brise.
Wir
kuscheln uns zusammen und schlafen über dem Rauschen des Windes und
dem langsam verklingenden Donnergrollen bald ein.
Am
nächsten Morgen sind wir zeitig auf.
Ich
bin sonst eher nicht der Typ, dem man freudige Aufregung anmerkt,
aber heute ist die Eröffnung unseres, Marthas und meines Ladens und
ja … ich bin ein wenig zappelig.
Natürlich
bei weitem nicht so wie Martha, die wie ein Aufzieh-Mäuschen hin-
und herhuscht, dabei fast ununterbrochen redet. Außer sie schluckt
grade einen Bissen ihres Frühstücksbrötchens runter.
Ab
und zu ziehe ich sie kurz an mich, aber ich habe Verständnis dafür,
daß sie heute nicht die Ruhe hat, sich immer wieder genüßlich von
mir küssen zu lassen.
Dann
kommen Denise und Sascha.
Die
beiden sehen etwas müde aus, sind aber strahlend-guter Laune.
Ich
werfe Sascha einen anzüglichen Blick zu, aber der grinst nur frech
zurück.
Die
beiden hatten anscheinend richtig Spaß.
Gemeinsam
bauen wir die Stehtische und Sonnenschirme draußen auf, Martha und
Denise dekorieren alles hübsch; Denise hat noch Blumen besorgt.
Während
wir aufbauen, fragen immer mal Passanten nach, was es denn hier heute
gäbe und wann es losginge. Obwohl das eigentlich nicht zu übersehen
ist, denn in der jetzt nicht mehr zugeklebten Schaufensterscheibe
hängt das Schild, das auf die Eröffnung hinweist, in einer Größe,
daß es selbst einem Blinden auffallen müßte.
Aber
egal – Hauptsache, die Leute kommen nachher zu uns.
Unser
Ladennachbar rechter Hand kommt vorbei und meint, er würde später
mal reinschauen. Er hat ein Schuhgeschäft.
Es
ist bald elf und wir vertilgen gerade die Reste des Frühstücks, als
wir sehr bekannte Gesichter erblicken.
„Kim!
Emilio!“, ruft Martha und rennt den beiden schon entgegen,
Wir
anderen folgen gemächlicher und ich sehe lächelnd zu, wie meine
Süße den beiden um den Hals fällt.
„Was
macht ihr denn hier?“, fragt sie.
„Na,
was wohl?“, grinst Emilio.
Auch
Sascha und ich begrüßen die beiden und ich stelle Denise vor.
Das
ist echt eine nette Überraschung. Ich freue mich für Martha, denn
natürlich kommen die beiden hauptsächlich ihretwegen.
Martha
führt die beiden schnell durch den Laden. Ihr aufgeregtes
Geschnatter hören wir bis nach draußen.
„Martha.“,
sage ich und grinse.
„Martha.“,
grinst Sascha zurück.
Niemand
will sie anders haben.
Um
zehn vor elf stehen schon einige Leute in der Nähe des Ladens.
„Kommen
Sie ruhig näher; wir haben es nicht so genau mit der Uhrzeit.“,
meint Denise einladend zu dem kleinen Grüppchen.
Ob
zehn vor elf oder elf ist auch wirklich egal.
Martha
und ich gehen rein und postieren uns bei unseren Kollektionen, um
diese vorzustellen und Fragen zu beantworten.
Wenige
Minuten später ist auch der Typ von dem Lokalblättchen da.
Eigentlich
ist dieser Rummel und daß ich in der Mitte stehe und einem Reporter
Fragen beantworte, ein Alptraum für mich.
Ich
hatte bisher jeden Gedanken daran verdrängt.
Normal
würde ich mich jetzt heimlich verpissen. Selbst auf der
LCL-Fashionshow, wo ich der Star war, hatte ich mich schleunigst
verkrümelt.
Aber
heute muß ich mich zusammenreißen.
Und
wann immer es schlimm wird, sehe ich hinüber zu Martha, die vor
Eifer rote Backen hat und unermüdlich ihre Accessoires präsentiert,
Kombinationsmöglichkeiten erklärt und überhaupt redet, redet,
redet. Und glücklich dabei ist.
Immer
wieder wirft sie mir einen liebevollen Blick oder eine Kußhand zu –
sie weiß, daß ich solchen Trubel nicht abkann.
Als
der Reporter weg ist, dem ich sehr geduldig und nicht mal ganz ohne
Begeisterung – unser eigener Laden! - seine Fragen beantwortet
habe, kommt Martha zu mir, küßt mich zärtlich und meint: „Du
bist großartig!“ Und nach dem nächsten Kuß „Halt durch!“
Für
Kim und Emilio haben wir kaum Zeit. Aber die beiden nehmen es
gelassen und ziehen los, sich ein bisschen was von Berlin ansehen.
Auch
Sascha und Denise bekommen wir nur im Vorbeiflug zu sehen. Sie sind
immer wieder zum Kühlwagen im Hinterhof unterwegs, um Nachschub an
Getränken zu holen.
Saschas
Spieße gehen weg wie nix, erzählt mir Denise in einer kurzen Pause.
„Draußen steppt der Bär.“
War
es nicht das, was wir uns gewünscht haben?
Aber
es wird nicht nur gegessen und getrunken.
Der
Besitzer des Schuhladens kommt vorbei, besieht sich Marthas und meine
Sachen sehr genau und fragt, ob er Fotos machen darf. Er möchte nach
Möglichkeit sein Angebot an Schuhen auf unsere Mode abstimmen. Er
ist der Meinung, unsere Sachen würden sich ausgezeichnet verkaufen
und mit passendem Schuhwerk dazu könnte er von unserer Nachbarschaft
ja nur profitieren.
„Na
und wir auch.“, meint Martha.
Eine
schlechte Sache wäre das wirklich nicht.
Es
muß gegen eins sein, als es gerade ein paar Minuten etwas ruhiger
ist und ich deshalb kurz die Augen schließe.
„Mein
lieber Herr Adam!“
Ach
je, Mosch!
Den
hatte ich bis jetzt erfolgreich verdrängt.
Ich
bin so höflich, meine Augen zu öffnen und mich von der Wand zu
lösen, an die ich mich gelehnt habe.
„Immer
noch so unbeteiligt im Hintergrund, als ob Sie Ihr Erfolg gar nichts
anginge, nicht? Aber geschicktes Understatement kommt ja immer gut
an.“
Idiot!
Ich war einfach nur müde.
Laut
sage ich: „Meine Mode spricht für sich. Was soll ich da noch viel
sagen?“
„In
der Tat, in der Tat … Mein Lieber, ich bin begeistert von Ihrem
Laden; diese Kontraste ...“
Er
verdreht tatsächlich begeistert die Augen.
„Ich
war ja schon immer der Meinung, daß Ihre Mode und die bezaubernden
Accessoires Ihrer … ehemaligen Assistentin wunderbar harmonieren.
Sie sind einfach wie geschaffen füreinander.“
Martha
und ich sind füreinander geschaffen. Aber das sage ich nicht. Ich
nicke nur.
„Kommen
Sie, begleiten Sie mich zu Ihrer charmanten Partnerin.“
Ich
kann wohl nicht anders.
Martha
hat natürlich kein Problem mit Mosch, auch wenn sie leicht
angewidert das Gesicht verzieht, als er sie auf die Wangen busselt.
Aber
sonst kommen die beiden klar.
Martha
fragt ihn sogar unverblümt, ob er keinen Ärger mit LCL befürchte,
wenn er bei uns einkaufe. Immerhin sei Alexa Berg über Juris
Entscheidung, seine Ideen unter einem anderen Namen rauszubringen,
alles andere als begeistert gewesen.
„Meine
Teure … wollen Sie meine ehrliche Meinung hören? Wenn statt einer
Tanja von Lahnstein jetzt dieses Wohlstandsgör mit den indiskutablen
Manieren das Sagen bei LCL hat, geht der Laden eh bald den Bach
runter.“
Ich
drehe mich rasch um und tue so, als ob ich husten muß, um mein
Prusten zu kaschieren.
Mosch
hat ja Recht, aber solche Worte habe ich von ihm noch nicht gehört.
Martha
verhält sich absolut professionell und zieht sich mit Mosch in ein
ruhiges Eckchen zurück, um mit ihm seine Order zu besprechen.
Denn
er möchte tatsächlich kaufen.
„Ihr
neuer Markenname 'Korolok' klingt irgendwie … spannend. Der wird
sich rasch rumsprechen, glauben Sie mir, mein Guter.“
Als
ich kurz darauf mit einer Potsdamer Einkäuferin erfolgreich
verhandle und es sogar schaffe, eine Bestellung aufzunehmen, die
Gnade vor Marthas kritischen Augen finden dürfte, bin ich sehr mit
mir zufrieden.
Bin
wohl doch nicht zu unsozialisiert für den Kundenkontakt.
Und
meine komischen Minderwertigkeitsgefühle gestern waren hoffentlich
nur eine Laune.
Am
späten Nachmittag ist bei uns allen ziemlich die Luft raus.
Kim
und Emilio sind wieder da und lösen Denise und Sascha eine Weile
draußen ab.
Seufzend
gesellen sie sich zu uns. Aber strahlen tun sie beide.
„Ist
doch super bis jetzt, hm?“, grinst mich Sascha an.
„Ja
ja, wenn die alle jetzt auch noch was kaufen kommen.“, meint
Martha.
„Wir
sind jedenfalls eine Menge Flyer losgeworden.“ Denise ist
optimistisch.
„Ich
hab ein paar in den Spießchen versteckt.“, meint Sascha mit
regungsloser Miene.
Denise
blickt ihn verblüfft an und dann wird ihr klar, daß er versucht,
uns hochzunehmen.
Sie
streckt ihm die Zunge raus und sofort zieht er sie an sich, um sie zu
küssen.
Hätte
ich auch gemacht, denke ich.
Martha
geht kurz raus zu Kim und Emilio. Sie hat ein schlechtes Gewissen,
unseren Besuch so allein zu lassen. Denise und Sascha holen noch ein
paar Getränke.
Und
ich lehne mich wieder an die Wand, schließe die Augen und denke, daß
das heute ein richtig guter Tag ist.
„Juri
Adam, bist du das wirklich?“ Wieder höre ich eine bekannte Stimme.
Ich
klappe die Lider hoch. „Gloria?“
Ich
weiß ja, daß sie in Berlin lebt, aber Berlin ist groß …
„Ich
hatte ja keine Ahnung, daß das dein Laden ist, als ich von
der Eröffnung hörte. … Wie geht es dir?“
„Bestens.
Und dir?“
„Ich
kann mich nicht beklagen. Aber sag – war LCL nichts mehr für dich?
Du warst da doch gut etabliert mit deiner Linie.“
„Das
hatte eher persönliche Gründe.“
„Ah
ja. Und nun bist du wieder selbstständig? Na, das ist eh mehr dein
Ding, finde ich. … Was ist eigentlich aus der Kleinen geworden …
du weißt schon … die, in die du dich verliebt hattest.“
Ich
muß grinsen und bin auf die folgende Reaktion sehr gespannt.
„Mit
der 'Kleinen' bin ich seit einiger Zeit fest zusammen.“
Und
tatsächlich – Gloria taumelt drei Schritte rückwärts, schlägt
sich die Hand auf den Mund. „Nein?!“
„Doch.“,
nicke ich lächelnd.
„Du
verarschst mich wirklich nicht?“
„Im
Gegenteil. Ich habe Martha auch schon einen Antrag gemacht und sie
hat ja gesagt.“
Ich
wundere mich selbst über meine Mitteilungsfreudigkeit in privaten
Dingen, aber ich bin wohl einfach zu stolz und glücklich, um wie
üblich alles Private ungesagt zu lassen.
„Du
… du … willst … heiraten?“
„Ja.“
Wieder lächle ich.
„Unglaublich.“,
haucht sie.
„Du
hast die Situation damals exakt erfaßt. Ich hatte Angst vor meinen
eigenen Gefühlen, Panik vor den Konsequenzen einer festen Beziehung.
Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich das überwunden hatte und
meine arme Martha hat sehr gelitten ...“ Die letzten Worte sage ich
nur noch leise; Bilder von Tränen, Verzweiflung und tiefer
Enttäuschung steigen kurz in mir hoch.
„Aber
anscheinend gibt es ja ein Happy-End.“, lächelt sie.
„Zuende
ist hier noch lange nichts. Der Laden hier war eigentlich für Martha
gedacht. Ich sollte in Düsseldorf bleiben und hätte sie am
Wochenende hier besucht. Doch schnell wurde mir klar, daß ich
einfach nicht fünf Tage die Woche von ihr getrennt sein möchte. Ich
wäre nicht glücklich dabei gewesen. Und so habe ich kurzfristig
entschieden, mit hierher zu ziehen.“
„Und
laß mich raten – LCL hat dir Streß gemacht mit dem Vertrag.“
Gloria war noch nie ein Dummchen.
„Exakt.
Aber ich hab mir einen neuen Namen zugelegt und nun können sie mich
alle mal.“
„Hätte
ich von dir auch nicht anders erwartet. … Was heißt 'Korolok'?“
„Kleiner
König.“
„Hat
es eine bestimmte Bewandtnis damit?“
„Ja.
Aber das ist sehr persönlich und soll es auch bleiben.“ Ich sage
das ganz freundlich und Gloria nickt verständnisvoll.
„Wo
ist deine Süße eigentlich?“
„Draußen.
Du mußt versehentlich an ihr vorbeigelaufen sein.“
Wir
gehen gemeinsam hinaus.
Mit
Ladenschluß der umliegenden Geschäfte läßt auch bei uns der
Andrang spürbar nach.
Martha
steht bei Kim, die sich an Emilio gelehnt hat.
Ich
küsse sie sanft auf die Schulter.
„Juri.“,
seufzt sie zufrieden und dreht sich zu mir rum.
„Woher
weißt du, daß ich es bin?“, necke ich sie. „Erinnerst du dich
noch an Gloria?“
„Äh
ja … warte … auf dem Grillfest im Boxclub, nicht?“
„Ja.“
„Ach
je.“ Martha verdreht die Augen.
„Ja,
es ist viel passiert an diesem Tag.“, lache ich.
„In
der Tat.“
„Immerhin
habt ihr beide zusammengefunden. Ich habe Juri damals zwar auf den
Kopf zugesagt, daß er sich in dich verknallt hat, aber ich hätte
nie geglaubt, daß er Ernst macht. Eher, daß er fluchtartig die
Stadt verläßt.“
„Nö,
er wollte bleiben. Aber mich wollte er wegschicken.“
Martha sieht mich gespielt böse an und ich mache ein schuldbewußtes
Gesicht.
„Ja,
auch das paßt. Aber ich freu mich für euch! Und wenn ich euch beide
so zusammen anschaue – ihr seid ein hübsches Paar.“
„Danke.“
Meine Süße wird rot und ich muß sie zärtlich küssen.
„Wie
schaut es aus – habt ihr schon Models unter Vertrag?“
„Ach
herrje! Daß einem aber auch immer noch was unterkommt, was man
vergessen hat.“ Martha seufzt tief. „Nein, haben wir nicht. Das
mit dem Laden hier ging alles so schnell. Und wir sind ja keine
Profis auf dem Gebiet.“
„Hier
ist die Karte von meiner Model-Agentur. Wenn der Laden brummt, was
ich euch wünsche, dann könnt ihr immer noch eigene Models
einstellen. … Und wenn die erste Schau ist, dann denkt an mich,
ja?“ Gloria zwinkert Martha zu.
„Du
würdest für uns laufen?“
„Sehr
gerne sogar.“, lacht sie.
„Das
wäre ja … „, Martha lacht mir zu, fuchtelt mit den Armen
„meeeegaaaa!“
Gloria
schaut erstmal etwas fassungslos, als Martha und ich beide
losprusten, aber wir klären sie rasch auf, was es damit auf sich
hat.
Und
dann haben wir es hinter uns.
Alle
Gäste haben den Heimweg angetreten, Kim und Emilio sind abgereist.
Wir
räumen die Stehtische, Sonnenschirme und alles andere in den Hof,
stoßen mit Gloria noch auf die erfolgreiche Eröffnung an und dann
wollen wir nur noch unter die kühle Dusche und uns langmachen.
Martha
knuddelt Denise und Sascha zum Abschied. „Danke für alles. Ohne
euch hätten wir das nicht mal ansatzweise gestemmt.“
„Wozu
sind Freunde denn da?“, meint Sascha.
Ich
glaube, ich hab schon fest geschlafen, bevor mein Kopf das Kissen
berührte.
Kapitel
6
Es
ist gegen neun am nächsten Morgen, als Martha und ich unter der
Dusche stehen, uns einfach aneinanderschmiegen und glücklich sind.
Von
unten hören wir Geräusche. Sicher sind das Denise und Sascha.
„Die
haben bestimmt Brötchen mitgebracht.“, murmelt Martha entspannt an
meiner Schulter.
Ich
streichle zärtlich ihren Nacken. „Wollen wir runtergehen?“,
flüstere ich ihr ins Ohr.
„Ja,
schon …“
„Aber?“,
flüstere ich immer noch sanft und weiß, daß ich es ihr schwer
mache.
„Mein
Magen knurrt so.“
Ach
je! Entschuldigt sie sich jetzt echt, daß sie lieber frühstücken
als sich von mir verführen lassen möchte? Sie ist so süß!!!
Ich
küsse sie zärtlich und meine dann: „Dann komm. Bin ich halt das
Leckerchen für zwischendurch.“
„An
dir könnte ich immer naschen.“
Nun
lebt sie doch gefährlich.
Als
wir die Treppe runtergehen, weht uns schon Kaffeeduft entgegen.
Und
…
„Eier
und Speck!“, rufe ich und knutsche Sascha, der am Herd steht, auf
beide Wangen. „Du bist ein Schatz!“
„Sag
mal, Martha“, beginnt Sascha zu schimpfen und schiebt mich weg.
„hast du deinen Mann heute Morgen vernachlässigt, oder was? Der
ist mir ‚n bisschen zu anhänglich.“
„Martha
hat Hunger und ihr Magen geht vor.“, erkläre ich.
Martha
wird vor Verlegenheit rot. „Ich hab aber doch …“ Weiter kommt
sie nicht. Ich kann ihr einfach nicht widerstehen, wenn sie so
süß-verlegen ist.
Und
sie mir nicht, wenn ich sie küsse.
Sascha
dreht sich rum, die duftende Pfanne in der Hand. „Viel besser.“,
meint er grinsend.
Denise
hat inzwischen den Tisch gedeckt und so sitzen wir wenige Augenblicke
später gemütlich drumherum und lassen es uns gutgehen.
„Das
war gestern doch ein richtig erfolgreicher Tag, nicht?“, meint
Martha. „Ich meine, Mosch hat vom Fleck weg Juris und meine neue
Kollektionen gekauft, ohne daß die überhaupt fertig sind. Dann die
Potsdamer Einkäuferin, der Schuhladen-Besitzer. Und zwei oder drei,
ich weiß es nicht mehr genau, Inhaber von Boutiquen hier aus Berlin,
die sich auch kurzfristig melden wollen. Ich will gleich mal …“
Und
da ist sie auch schon aufgestanden.
Ich
fasse sie sanft am Arm und ziehe sie zu mir auf den Schoß.
„Martha!
Es ist Sonntag und noch keine zehn Uhr. Mach mal langsam.“
„Entschuldigung.
Ich …“
„Martha!“
„Schon
gut.“, seufzt sie und will sich erheben.
Aber
ich lasse sie nicht los. Ich küsse zärtlich ihren Nacken, bis sie
sich entspannt und zufrieden an mich lehnt.
„Hört
mal, ihr zwei, Sascha muß morgen erstmal wieder zurück nach
Düsseldorf. Wir wär’s, wenn wir später zum Wannsee fahren und
uns da ein paar schöne Stunden machen, nachdem wir hier aufgeräumt
haben?“ Denise blickt uns fragend an.
„Ich
weiß nicht … ich glaub‘, Juri ist nicht so der Typ für’s
Strandleben und ich hab’s auch nicht gern, wenn’s so überfüllt
ist. Und bei dem Wetter …“ Martha klingt skeptisch.
„Was
meinst du, wieviele Frauen dich glühend beneiden werden, wenn Juri
sein Shirt auszieht und in Badehose rumläuft.“, lacht Denise.
Und
als Sascha losprustet, bin ich sicher, daß meine Süße ein ziemlich
verdutztes Gesicht macht.
„Nee,
also … also, ja … ich meine, doch … äh … also, daß einige
Frauen … na ja, Juri … begehrlich anschauen würden. Logisch,
oder? Ich meine, er ist doch einfach verboten sexy … sooo heiß …“
Sascha
kann sich vor Lachen nicht mehr halten.
„So
so.“, mache ich.
Martha
dreht sich halb zu mir rum.
„Ja,
nu …“
„Ich
bin also verboten heiß, ja?“ Ich weiß, daß ich dreist grinse,
aber ich mag Martha einfach noch ein wenig aufstacheln.
„Jetzt
tue bloß nicht so, als wüßtest du nicht genau … boah, du frecher
Kerl!“, schimpft sie halb ärgerlich, halb zärtlich und küßt
mich sofort danach so, daß mir die Luft wegbleibt.
Aufgeräumt
ist eigentlich schnell. Sascha packt die geliehenen Stehtische und
Sonnenschirme in den Kühlwagen; morgen wird er alles zurückgeben.
Die
Mädels putzen den Ladenraum.
„Sag
mal, Denise … du weißt hoffentlich ein Plätzchen am Wannsee, wo
wir eher unter uns sind?“, frage ich.
„Mal
nicht so schüchtern, Alter! Guckt dir schon keiner was weg.“,
lacht Sascha.
Ich
schnappe mir einen nassen Schwamm und bewerfe ihn damit. Aber er
duckt sich, immer noch lachend und der Schwamm klatscht nur an die
Wand.
„Keine
Sorge.“, meint Denise und zwinkert mir zu.
Gut.
Ich habe Lust auf ein paar schöne Stunden mit Martha und unseren
Freunden, aber nicht auf Radiogedudel, schimpfende Mütter, plärrende
Kinder und was sonst noch so nervt an einem überfüllten Strand.
Und
so lassen wir uns kurz nach Mittag an einer ziemlich unberührten
Stelle des Sees nieder.
„Darf
man hier überhaupt baden? Das …“
„Martha!“
Ich ziehe streng die Augenbrauen hoch.
„Aber
…“
„Martha!“
Ich ziehe Schuhe, Shirt und Jeans aus und lasse Luft an meinen
Körper.
Martha
sollte das auch tun, es ist sehr angenehm.
„Ausziehen
und hersetzen.“ Ich deute neben mich auf die Decke, auf die ich
mich jetzt setze.
„Also
…“, will sie sich empören.
Blitzschnell
packe ich sie am Arm, ziehe sie zu mir runter und da liegt sie nun,
während ich ihr sanft die Haare aus der Stirn streiche.
„Juri,
du bist unmöglich!“, schimpft sie und versucht halbherzig, sich
freizustrampeln.
Meine
Hände schieben ihre Bluse nach oben; sie könnte weg, wenn sie
wollte, ich halte sie nicht mehr fest. Aber sie will offenbar gar
nicht mehr weg.
Sie
richtet sich halb auf und läßt sich von mir die Bluse abstreifen.
„Süß.“,
meine ich, als ihr Badeanzug zum Vorschein kommt. Maraschino mit weiß
abgesetzten Rändern und ebensolcher Stickerei.
„Steht
dir gut.“, hauche ich ihr ins Ohr.
„Ja,
aber der bleibt an.“, meint sie.
„Schade.“,
grinse ich.
Vom
Wasser her hören wir es quieken. Denise und Sascha haben Spaß.
„Ich
hoffe, Sascha ist bald wieder da.“, seufzt Martha.
„Hey,
keine trüben Gedanken jetzt, hm?“
„Nein.
… Nein. … Ich hab mich nur schon total daran gewöhnt, ihn bei
uns zu haben. Und mit Denise zusammen zu sehen. Das ist alles so, als
soll es so.“
„Soll
es auch. So wie wir.“ Ich küsse sie zärtlich. „Komm.“
Sie
läßt sich von mir hochziehen, entledigt sich schnell ihres Rocks
und ihrer Schuhe und dann gehen auch wir ins Wasser.
Martha
unter viel Gequieke und Gepruste, denn der See ist kalt.
Ich
will sie mir greifen, aber sie entwischt mir lachend.
Und
dann ist sie auch schon wieder draußen.
„Hast
du schon genug?“
„Ja,
äh, ich geh gleich noch mal rein, bestimmt.“
Sie
hockt sich ans Ufer, streicht sich die nassen Haare aus dem Gesicht
und sieht uns zu.
Sascha
fordert mich zu einem Wettschwimmen auf; am Ufer entlang aufwärts
bis zu einer Weide.
Und
der Bursche gewinnt doch glatt.
„Du
bist träge geworden, Alter.“, lacht er mich aus. „Dir geht’s
mit Martha viel zu gut.“
Was
soll das denn heißen?
„Also
im Profil kriegst du ‚nen Bauch.“, meint er, als wir am Ufer
abwärts zurück zu unseren Mädels gehen.
„Mir
egal.“, knurre ich.
„Was
ist dir egal?“, fragt Martha, die mir entgegenkommt.
„Daß
ich ‚nen Bauch kriege.“
„Wo
denn?“, fragt sie und streichelt mir zärtlich über eben jenen.
Das
sollte sie besser nicht machen. Sonst muß ich gleich wieder ins
kalte Wasser.
„Also
die kleine Rundung hier würd‘ ich echt nicht Bauch nennen.
Abgesehen davon … ich lieb dich auch mit Bäuchlein.“
„Also
auch, wenn ich nicht mehr so verboten heiß aussehen sollte?“,
grinse ich.
„Natürlich,
du Spinner.“ Sie küßt mich zärtlich.
Wir
verbringen einen schönen Nachmittag am See.
Und
verabschieden Sascha später nur ungern.
„Hey,
ich bin ganz flott wieder da.“, tröstet er Martha, die ihn fest
umarmt.
Denise
wird ihn zum Flughafen bringen.
„Du
kommst doch anschließend noch zu uns?“, fragt Martha unsere
Freundin.
„Dann
vermißt sie ihn vielleicht nicht so doll.“, meint sie leise zu
mir.
Das
ist wieder meine Martha.
„Und?
Ist das mit dir und Sascha was Ernstes?“, frage ich Denise
neugierig, als wir drei am Abend im Hinterhof sitzen.
Martha
arbeitet an ihren Accessoires und auch ich habe meinen Skizzenblock
dabei.
„Also
wenn du es als ernst ansehen würdest, daß er nach seiner Rückkehr
bei mir einziehen wird … dann ja.“, meint sie.
„Also
bei uns war das ziemlich Ernst, als Martha zu mir gezogen ist.“
„Ja,
der Anblick meiner Koffer hat dich ziemlich geschockt, ich erinnere
mich.“, lacht Martha.
„Ich
war eben noch nie vorher in so einer Situation. Meine
One-night-stands hatten immer leichtes Gepäck.“
„Tja,
selbst schuld.“, kichert meine Süße.
„Was?
Daß ich mich ernsthaft in dich verliebt habe? Nee nee, da konnte ich
gar nix für. Du hast mich reingelegt.“
„Waaaaaas?
Ich hab was?“, empört sich Martha.
„Sicher.
Du warst viel zu lieb und verständnisvoll zu mir. Wie soll ich mich
gegen sowas wehren können?“
Jetzt
merkt Martha, daß ich nur scherze. „Ich weiß. Ich hätte dir
öfter mal vor’s Schienbein treten sollen oder sowas.“
„Das
hätte mich erst recht gereizt.“, sage ich und verziehe keine Miene
dabei.
„JURI!!!“
„Ja,
meine Süße?“
Sie
lehnt sich zu mir rüber und küßt mich lang und innig.
Und
Denise lacht. Wir haben sie also aufheitern können.
Diese
Nacht gewittert es wieder und während Martha schläft, arbeite ich.
Es
ist schön, neben ihr auf dem Boden zu sitzen, dem Regenprasseln zu
lauschen … ich komme gut voran und stelle zwei weitere Entwürfe
für die von Mosch georderte Kollektion fertig.
Als
ich aufwache, bin ich allein. Ich merke, daß ich mich schon sehr
daran gewöhnt habe, daß Martha morgens neben mir liegt. Und daß
ich das nicht mehr missen möchte.
Ich
stehe auf und gehe in die Küche hinüber.
„Du
läßt mich alleine aufwachen?“, frage ich und küsse Marthas
Nacken.
„Enfuldigung,
iff hatte Hunger.“, mümmelt sie, legt sofort ihre Arme um meinen
Hals und schmiegt sich an mich.
„Komm
noch ein bisschen kuscheln.“, flüstere ich ihr ins Ohr.
„Wir
müssen bald den Laden aufmachen.“
„Nur
noch ein bisschen.“
Sie
ist nicht schwer zu überreden.
Und
ich bin auch einsichtig, als sie nach einer halben Stunde unruhig
wird.
Wir
duschen zusammen und mit einer Tasse Kaffee in der Hand gehen wir
runter.
Daß
die Leute uns gleich den Laden einrennen, hatten wir nicht erwartet
und so ist der erste normale offene Tag auch eher geruhsam.
Dafür
haben wir Zeit, an unseren Kollektionen zu arbeiten.
Eine
Dame ist ganz begeistert von Marthas Accessoires und besonders davon,
daß es sich um Unikate handelt. Sie kauft ein Dutzend davon für
ihre Tochter und verspricht, daß wir sie wiedersehen werden.
Martha
strahlt. Und ich freue mich für sie.
Ich
sitze eine Weile am Computer.
Mosch
hat eine Mail geschickt. Im Oktober sei eine Fashion-Show in München,
die würden wir doch beschicken?
Ich
rufe bei Glorias Model-Agentur an und frage nach, ob sie und eine
Kollegin zu dem Termin verfügbar seien. Und habe Glück; die
Wochenenden davor und danach wäre es nicht gegangen.
„Hättest
du nicht auch ein männliches Model buchen sollen?“, fragt Martha.
„Ich
hatte an Sascha gedacht.“
„Echt
jetzt?“
„Warum
nicht? Vom Typ her paßt er zu meinen Modellen und er ist doch eh
unser Mädchen für alles.“
Martha
lacht. „Ich bin ja echt auf sein Gesicht gespannt, wenn du ihm das
sagst.“
Ich
auch.
Abends
kommt Denise und bringt ihren Bekannten mit, der uns eine
Internetpräsenz basteln soll. Heute ist er da, um uns ein
Buchhaltungsprogramm zu installieren und schon mal zu klären, wie
wir uns unsere Homepage so vorstellen.
Dieses
Feld überlasse ich bereitwillig den Mädels und arbeite dafür als
Häkelliesel, denn Martha hat der Potsdamer Einkäuferin zugesagt,
binnen einer Woche liefern zu können.
Ich
stelle fest, daß diese Arbeit entspannend und nervig zugleich ist.
Daß
Martha nur wenig an meiner Arbeit zu bemängeln hat, freut mich. Ich
bin wohl doch ganz brauchbar.
„Also
das mit der Buchhaltung sollte ich mit Denise‘ Hilfe hinkriegen.
Wir sind ja kein Riesenunternehmen. Ach, Mist … ich hab doch heute
gleich die Anzeigen aufgeben wollen … daß wir eine Näherin suchen
… na, das kann ich ja jetzt noch schnell machen.“
Denise
erzählt, daß Sascha bei LCL gekündigt hat, was da anscheinend
niemand wirklich interessierte.
„Die
haben nicht mal auf Einhaltung der Kündigungsfrist bestanden. Er
brauchte nur die Schlüssel abgeben und konnte gehen. Er hat denen
freilich den Lohn für diesen Monat auf den Tisch gelegt, weil der ja
grade erst angefangen hat. Sonst hätten sie ihn wahrscheinlich doch
nicht gleich gehen lassen.“
„Kein
Problem. Er kann ja gleich hier anfangen.“, meine ich gelassen.
„Ich
hab mir schon so Muster-Arbeitsverträge aus dem Netz gezogen. Und
morgen Nachmittag bin ich beim Finanzamt und erkundige mich, wie ich
ihn korrekt da melde und so.“ Martha glüht wieder vor Eifer. „Wann
kommt er zurück?“
„Er
wollte sich eigentlich heute Abend noch in den Zug setzen; ich warte
auf seinen Anruf.“
Aber
es ist Marthas Telefon, das klingelt.
„Dana
… hey, wie geht es dir? … Oh, großartig! … Das war ein voller
Erfolg, wir sind sehr zufrieden. … Ja, schade, daß ihr nicht da
wart. … Was, grade weg? … Ja, wir erwarten ihn ungeduldig. …
Ja, es ist toll, daß er mit uns … Was? … Red mal langsam, das
ist doch eigentlich mein Part, zuviel und zu schnell zu reden …
Juri? … Wir sind in jeder Hinsicht ein tolles Team. … Doch, sehr
glücklich … könnte nicht schöner sein. … Ja, das hoffe ich
auch, ihr fehlt uns! … Grüß bitte alle ganz lieb.“
Martha
schnieft ein wenig, als sie ihr Telefon beiseite legt. Ich denke,
wenn hier alles gut organisiert ist, werden wir wohl mal für ein
Wochenende nach Düsseldorf reisen.
Kapitel
7
Als
Martha und ich am nächsten Morgen unter der Dusche stehen –
zusammen zu duschen ist ein kleines, liebgewonnenes Ritual geworden -
hören wir von unten Geräusche.
Da
außer Sascha niemand einen Schlüssel zum Laden hat, sind wir nicht
besorgt.
Und
ja, er und Denise haben Frühstück mitgebracht.
Martha
fliegt Sascha um den Hals. „Das ist einfach toll, daß du jetzt zu
uns gehörst!“ Sie küßt ihn auf beide Wangen und kann sich vor
Freude kaum beruhigen.
Ich
freue mich auch sehr, wenn ich es auch nicht so überschwänglich
zeige wie meine Süße.
„Und
du wirst echt nichts vermissen?“, erkundigt sie sich.
„Aus
Düsseldorf? Was denn bitte? Ich sag euch, die Stimmung bei LCL ist
sowas von beschissen. Diese kleine blonde Giftspritze …“
„Alexa?“
„Ja,
die. Die macht da echt jeden nieder. Die hat ‚nen richtig perversen
Spaß dran, andere zu erniedrigen. Nee, ich bin froh, daß ich da weg
bin. Mit euch beiden war’s okay. Wir haben zusammengehalten. Aber
ohne euch … nö. Und außerdem …“ Er wirft Denise einen
verliebten Blick zu.
Martha
sieht erst ihn an, dann mich. Und lächelt glücklich.
„Wie
war’s denn gestern so? An eurem ersten normalen Ladentag?“, will
Sascha wissen.
„Sehr
ruhig. Aber das haben wir auch nicht anders erwartet. Aber wir mußten
eh an unseren Kollektionen arbeiten.“
„Und
was kann ich tun? Nur Kaffeekochen ist ein bisschen wenig, nicht?“
„Juri
hat da so eine Idee …“
Sascha
sieht mich ein wenig mißtrauisch an.
„Ich
dachte mir, du könntest für uns modeln. Ich brauche wenigstens ein
männliches Model. Und warum eins mieten, wenn wir dich haben.“
„Ich?
Modeln?“ Sascha rutscht vor Lachen fast vom Stuhl.
„Ich
finde das gar nicht schlecht. Du hast doch ‚ne geile Figur.“
Sascha
und ich blicken gleichzeitig zu Martha, die ein wenig rot wird und
dann lachen wir alle gemeinsam.
„Oh,
danke.“, meint Sascha anschließend, steht kurz auf und verneigt
sich vor Martha.
„Laß
das, du Blödmann.“, wehrt sie ab.
„Mal
im Ernst – du hast schon die richtige Statur für den Laufsteg. Und
deine Tattoos sind kein Hindernis; zu meinem Stil passen sie. Mußt
du nur noch lernen, wie man richtig läuft.“
„Ja,
wie so ‚ne Schwuchtel.“, lacht Sascha. „Im Ernst, Alter … die
laufen alle, als hätten sie ‚nen Stock im Arsch. Das sieht so
unnatürlich aus. Würdest du freiwillig so durch die Gegend laufen?“
„Niemals.“
„Dachte
ich mir.“, grinst Sascha.
„Hey,
Tristan von Lahnstein hat das hingekriegt, da schaffst du das auch.
Und du brauchst nicht schwuchtelig rummarschieren, einfach nur
männlich-selbstbewußt. Das kriegst du doch hin, oder?“
„Ich
denke schon. Aber nur damit ihr’s wißt – ich mach für Kohle
noch lang nicht alles.“
Wir
lachen alle.
„Also
geht das klar? Im Oktober ist nämlich ‚ne Fashion-Show in
München.“
Sascha
verdreht die Augen, nickt aber.
„Wie
gefällt dir das denn – Sascha als Model auf dem Laufsteg?“,
fragt Martha Denise.
„Hm
…“
Die
beiden Mädels sind schnell ins Gespräch vertieft.
„Das
mit dir und Denise ist richtig Ernst, was?“, frage ich Sascha.
„Sie
ist ‚ne tolle Frau. Eine, mit der man was auf die Beine stellen
kann. Und trotzdem sensibel. Und sie hat ‚nen tollen Humor. Ich
find’s echt wichtig, daß man gemeinsam lachen kann.“
„Ich
freu mich für dich. Und ‚ne Hübsche ist sie ja auch.“
„Ja,
nicht so ein Hungerhaken wie all diese Models. Ich steh nunmal auf
weiche, frauliche Rundungen. Du bist ja auch auf den Geschmack
gekommen.“, grinst er mich an.
„Martha
ist richtig für mich, so wie sie ist.“
Tatsächlich
habe ich nie bewußt darüber nachgedacht, daß Martha das eine oder
andere Pfund mehr drauf hat als die Models, die ich früher im Bett
hatte. Es hat einfach keine Rolle gespielt.
Es
fühlt sich einfach wundervoll an, Martha in meinen Armen zu halten.
Sie ist warm, weich, anschmiegsam.
Ich
möchte nichts an ihr anders haben.
„Also
nicht, daß du jetzt denkst, ich hätte Zweifel daran, daß Martha
dich echt anmacht … aber sie ist eben doch ein ganz anderer Typ
Frau als das, was du früher so abgeschleppt hast.“
„Ich
weiß. Aber die hatten alle nicht Marthas Ausstrahlung.“
Ich
sehe zu ihr hinüber, wie sie sich angeregt mit Denise unterhält und
finde sie so bezaubernd, so süß, so unwiderstehlich … ich weiß,
ich bin heftig verliebt und dieses Gefühl und alles, was dazu
gehört, ist immer noch neu und ungewohnt für mich. Aber ich habe
gelernt, es zu genießen. Doch, es ist schön, verliebt zu sein.
„Alter,
es ist gleich neun, ihr müßt den Laden aufmachen. Keine Zeit, deine
Süße jetzt zu vernaschen.“
Ich
muß meine Gefühle ziemlich offen im Gesicht getragen haben.
Denise
verabschiedet sich kurz darauf, sie muß in ihr Atelier.
Martha
und ich besprechen mit Sascha seinen Arbeitsvertrag und sind uns bald
einig. Martha hat den Vertrag am PC schnell fertig, druckt ihn aus
und Sascha marschiert los, um damit ein Konto zu eröffnen.
Wir
haben dank Martha schon ein Firmenkonto. Es ist unglaublich, an was
sie alles denkt.
Ohne
sie wäre ich komplett aufgeschmissen. Und bei all dem schafft sie es
auch noch, kreativ zu sein.
Als
Sascha wieder da ist, stecke ich ihm ein bisschen was zu. Zur
Überbrückung, bis sein Lohn auf dem Konto ist.
Er
wehrt ab.
„Ich
glaub kaum, daß es dir recht ist, Denise auf der Tasche zu liegen,
auch wenn sie dich sicher gern unterstützt.“
Er
sagt nichts, nimmt das Geld dann aber doch.
Der
Bursche hat seinen Stolz, das mag ich.
Dann
setzt er sich an den PC und stöbert nach Gebrauchtwagen. Wir
brauchen wirklich ein Fahrzeug, um Kunden aufsuchen zu können.
Als
Martha und ich an diesem Abend im Bett liegen, merke ich, daß etwas
nicht stimmt.
Ich
bin nicht sehr erfahren im Gefühlsleben von Frauen, ihren Stimmungen
und so weiter. Aber so langsam merke ich Martha an, wenn irgendetwas
anders ist. Auch wenn sie es mich nicht merken lassen will.
„Was
ist los?“, frage ich sanft und drücke sie an mich.
„Ach,
nichts.“
„Das
Nichts kenne ich. Raus damit!“
„ … Ich
… ich frag mich, ob wir das alles wirklich schaffen. Ich hatte
keine Ahnung, was so ein eigener Laden alles mit sich bringt. Ich
mein, wir haben schon so viel erledigt, aber mindestens so viel ist
immer noch zu tun und und und … ich … ich hab einfach Angst, daß
wir das nicht packen.“
„Hey,
Süße, du machst dir zu viele Sorgen. Bis jetzt läuft doch alles
rund. Und wenn’s Probleme gibt, werden wir die eins nach dem
anderen in Ruhe angehen.“
Ich
wundere mich über mich selbst.
Normal
bin ich der Typ, der Probleme lieber aussitzt, wartet, daß sie sich
von selbst erledigen.
„Oder
machst du dir meinetwegen Sorgen? Daß ich dich vielleicht
hängenlasse?“
„Quatsch.“
„Weißt
du, was ich glaube? Nach all der Anspannung mit dem Umzug und der
Eröffnung und was alles so zu tun war … ich meine, du warst die
ganze Zeit auf Hochtouren, voller Eifer. Und jetzt ist einfach ein
bisschen die Luft raus, du bist müde. Das ist alles. Paß auf,
nächste Woche haben wir unsere Kollektionen fertig und dann fahren
wir am Wochenende nach Düsseldorf und besuchen deine Familie. Was
meinst du?“
„Können
wir uns das leisten? Ich mein nicht finanziell, sondern den Laden
zumachen, obwohl wir grad erst eröffnet haben?“
„Hey,
ich denke, Sascha und Denise werden uns am Samstag gern vertreten,
wenn wir sie lieb fragen. Es ist doch eh noch kaum was los. Sollten
Einkäufer kommen, können sie die Kontaktdaten notieren.“
„Hm
…“
„Sag’s
ehrlich, wenn du lieber hier bleiben willst. Wenn du in Düsseldorf
nur rumquengelst und andauernd Sascha anrufst, um zu fragen, ob alles
in Ordnung ist, wird das kaum sehr entspannend sein.“
„Ich
quengele nicht!“, empört sie sich.
„Ich
mein ja nur.“
„Nein,
das ist okay. Du hast Recht. Es ist nicht viel los, Sascha und Denise
schaffen das schon. Und ja, ich geb’s zu, ich hab so ‚ne Art
Heimweh; ich vermisse Dana und die anderen.“
„Gut,
dann machen wir das.“
Zwei
Tage später haben wir eine neue Mitarbeiterin unter Vertrag. Eine
junge Frau namens Josephine – wir sollen sie Josie nennen – ist
jetzt offiziell unsere Näherin. Sie hat zwei Kinder und kann die
Kohle gut brauchen. Sie ist lustig und hat ganz entzückt
gequietscht, als sie Marthas Accessoires gesehen hat.
Martha
meint, sie paßt zu uns.
Und
am Wochenende haben wir auch unseren Firmenwagen. Einen betagten
Mercedes-Kombi, den Sascha uns nahegelegt hat. Wir haben uns da ganz
auf ihn verlassen, da weder Martha noch ich Ahnung von Autos haben.
Noch
ist er ohne Logo, aber das kommt noch.
Sascha
meint, wenn wir Lust hätten, sollten wir mit dem Wagen nach
Düsseldorf fahren, denn das gute Stück müßte mal auf der Bahn
freigefahren werden.
Ich
habe nichts dagegen. Könnte nett sein, so mit Martha on Tour …
zwischendurch irgendwo auf einem stillen Parkplatz ein kleines
Nümmerchen …
Nun
sind wir schon bald zwei Wochen in Berlin.
„Manchmal
habe ich das Gefühl, wir sind schon eine Ewigkeit hier und dann
kommt es mir vor, als wären wir gestern erst angekommen. Geht’s
dir auch so?“, fragt Martha mich.
„Ich
weiß nur, daß ich dich schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr
geküßt habe.“, sage ich und ziehe sie an mich.
„Klar.“
Martha verzieht das Gesicht.
„Was
denn? … Ist dir das so wichtig, ob mir die zwei Wochen hier nun
lang oder kurz vorkommen?“
„Ja
nee … du machst du über sowas anscheinend nie Gedanken, hm?“
„Find
ich irgendwie Zeitverschwendung, wenn ich stattdessen an dich denken
kann und was ich alles so mit dir anstellen könnte.“
„Männer!
Ihr seid doch alle gleich.“
„Und?
Wollt ihr uns anders haben?“
Martha
schweigt.
Ich
ziehe die Augenbrauen hoch.
„Na
ja … manchmal schon. … Aber jetzt nicht.“, ergänzt sie, nimmt
meinen Kopf in ihre Hände und küßt mich sehr innig.
Na
also, geht doch.
Anderes
geht auch.
Unsere
Homepage ist fertig.
Sieht
schnieke aus, findet Martha. Sie studiert täglich die
Zugriffszahlen.
Natürlich
hat sie Dana und Kim und wem sonst noch alles sofort den Link
geschickt.
Nebenher
oder eher hauptsächlich bereiten wir uns auf den Fashion-Day in
München vor.
Die
Kollektionen, die wir dort zeigen wollen, hat Mosch ja ungesehen
gekauft.
Martha
und ich wollen aber gerne bis dahin noch das eine oder andere neue
Stück kreieren.
Nun
muß Sascha ran.
Wir
üben erstmal allein mit ihm. Später wollen wir ihn uns zusammen mit
Gloria und ihrer Kollegin Isabell ansehen.
„Alter,
ich sag dir, wenn du lachst, hau ich dir eine rein.“, macht Sascha
mir gegenüber gleich klar, was Sache ist.
Ich
würde jetzt gerne erst recht lachen, aber strenggenommen gibt er mir
keinen Anlaß dazu.
Er
macht sich gut als Model. Er hat eine gute Figur und die Ausstrahlung
stimmt.
Ein
Kerl muß auch nicht über den Laufsteg stelzen, sondern eben
Männlichkeit und Selbstbewußtsein ausstrahlen und das kann Sascha.
„Soll
ich noch ein bisschen mit dem Arsch wackeln?“, fragt Sascha, als
ich ihn bitte, noch mal kehrtzumachen.
„Was
machen Sie eigentlich da unten? Eine private Modenschau?“, ruft es
aus einem Fenster von der anderen Seite des Hinterhofes herunter.
„Ja,
sowas in der Art.“, ruft Sascha hinauf. „Wollen Sie mitmachen?“
„Ich
bin dreiundsiebzig. Wenn das egal ist?“
„Jeder
fängt mal an.“
Ich
zeige Sascha einen Vogel.
Martha
grinst nur.
Und
ich setze mich fast auf den Hosenboden, als keine zehn Minuten später
eine ältere Dame auf uns zugewackelt kommt.
„Sie
sind neu hier, nicht? Ich bin die Frau Krause von gegenüber. Aber
wenn ihr wollt, können wir uns duzen und ihr nennt mich Oma
Finchen.“
Martha
schüttelt der Dame begeistert die Hand; kein Zweifel, daß Oma
Finchen Marthas Herz sofort gewonnen hat.
„Mein
Mann … also mein Freund …“, Martha wirft mir einen kurzen
Seitenblick zu.
„Wir
sind verlobt.“, sage ich schnell.
„Na
ja, also wir beide haben den Laden hier gepachtet. Wir sind
Modedesigner.“
„Mode
macht ihr? Was denn für welche? Irgendsowas Ausgeflipptes,
Verrücktes?“
„Ja,
äh, also meine Sachen sind schon etwas … unkonventionell.“, sage
ich.
„Kann
ich mir das mal ansehen oder darf man das nicht?“
„Natürlich
dürfen Sie.“, meint Martha.
„Willste
mich nicht Oma Finchen nennen, Mädchen? Das tun hier alle.“
„Doch,
gerne.“
Martha
führt Oma Finchen in den Laden und Sascha und ich marschieren
grinsend hinterher.
Dann
zeige ich ihr ein paar meiner Modelle.
„Sag
mal, Jungchen, sitzt das nicht ein bisschen knapp?“, fragt sie und
dreht ein Mini-Kleid mit gewagtem Ausschnitt in den Händen.
„Das
soll so.“
„Frech.
Gefällt mir. Ist aber nix für den täglichen Supermarktbesuch,
oder?“
„Nein,
eher nicht.“
So
langsam gefällt mir Oma Finchen.
„Würd
Ihnen vielleicht sogar passen.“, meint Sascha.
Junge,
du bist aber mutig, denke ich.
„Früher
hätte ich das mal probiert und meinen Josef damit angemacht. Aber
der ist ja schon sechs Jahre tot.“
Wir
lachen alle – die Frau ist goldrichtig.
„Hört
mal, wenn ihr mal Hilfe braucht ... Ich bin noch ganz rüstig und
packe gerne mit an. So jungen Leuten wie euch muß man unter die Arme
greifen, euch wird’s ja nicht leicht gemacht. Na, uns Alten auch
nicht, aber was soll’s?“
Oma
Finchen erweist sich schnell als unser guter Hausgeist.
Sie
taucht immer auf, wenn man sie brauchen kann.
Hilft
knurrenden Mägen ab, wenn wir über der Arbeit das Essen vergessen
haben, bringt die Nähmaschine wieder ans Laufen, bevor Josie
verzweifeln kann – Martha hätte das wohl auch geschafft, aber die
war gerade nicht da – und schreckt auch nicht davor zurück, mir
kreative Ratschläge zu geben.
Ich
weiß nicht, ob ich lachen oder sauer sein soll, aber als ich Marthas
Blick auffange, wird mir schnell klar, daß Oma Finchen es nur gut
meint.
Martha
meint, jede Anregung sei wert, mal drüber nachzudenken, auch wenn
man sie hinterher als untauglich verwerfen würde.
Ungewollt
schleicht sich ein Bild in meinen Kopf … Oma Finchens Name auf
meiner Kollektion. Vor Schreck zucke ich zusammen.
Tatsächlich
hat Finchen aber sogar Recht, was den Tüll angeht …
Und
dann ist es soweit – Martha hat sich überzeugt, daß sie nichts
vergessen hat, daß alle über alles Bescheid wissen.
„Und
du rufst an, wenn irgendwas sein sollte …“
„Ja,
Martha. Entspann dich; was soll schon passieren, Oma Finchen ist doch
da.“ Sascha kann sich das Grinsen nicht verkneifen.
Martha
will etwas erwidern, aber ich zwinkere Sascha zu und der drückt sie
einfach fest und schiebt sie dann mit sanfter Gewalt in meine Arme.
„Ab mit dir!“
Ein
wenig zögernd steigt sie ins Auto und ich lasse schnell den Motor an
und fahre los, bevor sie mir wieder rausspringt.
Martha
verrenkt sich zwar den Hals, bis sie Sascha und Denise nicht mehr
sehen kann, aber dann scheint doch die Vorfreude auf ihre Familie zu
siegen.
Tapfer
ertrage ich ihr munteres Geplapper, denn während ich fahre, kann ich
sie nicht ständig küssen.
Und
nach etwa einer halben Stunde Autobahnfahrt wird sie ruhig, lehnt
sich entspannt zurück und streichelt zärtlich meinen Nacken.
„Ich
liebe dich, Juri.“
„Ich
dich auch.“
Kapitel
8
Eigentlich
ist es eine schöne Fahrt.
Martha
sieht mich immer wieder liebevoll-zärtlich an und ihr wiederholtes
„Ich freu mich so!“ nervt mich nicht; das gehört einfach zu ihr.
Ich
wiederum freue mich, daß sie glücklich ist.
Insgeheim
habe ich doch hie und da Angst, den Anforderungen einer Beziehung
nicht gewachsen zu sein, sie nicht glücklich zu machen.
Daß
sie mich doch eines Tages fallen läßt.
Ich
bin schwierig. Ich bin anstrengend.
Ich
muß noch soviel lernen, was Gefühls- und Beziehungsdinge angeht.
Wird
sie wirklich auf lange Sicht soviel Geduld mit mir haben?
Andererseits
hatte sie die bisher auch.
Auch
als Chef war ich nicht einfach.
„Du
… ehm …“
„Ja?“
„Du
sagst mir doch, wenn ich irgendwas falsch mache, oder? Ich meine, was
unsere Beziehung angeht …“
„Juri,
machst du dir Sorgen? Das mußt du nicht. Mit unserer Beziehung
stimmt alles und du machst mich sehr glücklich.“
Sie
sagt das so überzeugt, daß ich wirklich nicht daran zweifeln kann.
„Ich
meine nur, daß du nicht warten sollst, bis ich selber merke, daß
irgendwas nicht stimmt. Ich bin einfach zu … unerfahren, um … du
weißt schon …“
„Ich
denke schon, daß ich begriffen habe, was du meinst. Du brauchst
immer konkrete Bedien-Hinweise.“, kichert sie.
„So
hab ich das nicht … doch, stimmt schon.“, brumme ich. Und dann
muß ich auch lachen.
„Juri,
mal im Ernst – wenn du irgendwas falsch machen solltest, dann weiß
ich doch, daß du das nicht absichtlich machst. Und dann reden wir
ganz in Ruhe drüber. Du glaubst doch nicht, daß ich einfach nichts
sage, den Frust in mich reinfresse, um dir dann irgendwann zu sagen,
daß ich die Schnauze voll von dir habe?“
Doch,
das waren so in etwa meine Gedanken.
Martha
deutet mein Schweigen richtig.
„Warum
sollte ich tatenlos zusehen, wie die Beziehung mit dem Mann, den ich
über alles liebe, den Bach runtergeht?“
Ja,
das würde irgendwie keinen Sinn machen.
„Umgekehrt
gilt das aber auch. Also das mit dem offen reden. Ich mein, also,
wenn ich dich nerve, wenn ich dich ungerecht behandle oder was auch
immer, dann mach die Klappe auf und sag was. Okay?“
Ich
nicke.
„Weißt
du, wir haben beide ziemlich gelitten, bis wir endlich
zusammengekommen sind. Ich meine … unsere Beziehung … die hat was
gekostet … und deshalb … sollte sie uns beiden wert sein, daß
wir sie nicht vernachlässigen.“
Ich
verstehe nicht ganz, was sie meint, nicke aber trotzdem nochmal.
„Eine
Beziehung läuft nicht von selbst, man muß an ihr arbeiten, sich
immer wieder bemühen.“
Oh
je. Hier fehlen wohl wieder die konkreten Bedien-Hinweise.
„Wie
macht man das? Reden?“
„Angeblich
ist Langeweile der schlimmste Beziehungs-Killer. Aber in einer
Beziehung mit dir dürfte es kaum je langweilig werden, also stehen
unsere Karten eh schon mal gut. Und ich bin absolut treu und hab auch
kein Interesse, irgendwelche anderen Kerle anzuflirten. Wie das da so
mit dir ist, weiß ich nicht. Nicht, daß du doch irgendwann wieder
Appetit auf ein knackiges Model hast.“
Das
befürchtet sie aber jetzt nicht ernsthaft?
Ich
überlege eine Weile, bevor ich antworte.
„Ich
sehe dich nicht so, wie ich die Models gesehen habe. Ich weiß nicht,
ob das so ist, weil ich dich liebe … sieht man Menschen dann
anders? … Jedenfalls bist du für mich eine wunderschöne Frau, die
mich unheimlich anmacht. So wie ich dich sehe – da kann kein Model
mitziehen.“
Martha
wird rot. „Danke.“, flüstert sie.
Scheinbar
habe ich das richtige gesagt. Ganz so dumm stelle ich mich wohl doch
nicht an, was Beziehungsdinge angeht.
Interessanterweise
bietet das Leben mit Martha jeden Tag solche kleinen Erkenntnisse für
mich.
Und
ich habe das Gefühl, früher mit geschlossenen Augen durch’s Leben
gelatscht zu sein.
Dann
kommen wir allgemein ins Plaudern, fragen uns, ob Alexa vielleicht
vor Wut geplatzt ist, was zu schön wäre.
„Ich
fänd’s ja gut, wenn Rebecca jetzt mal zum Zuge kommen würde. Ich
mein, die ist gut genug, um LCL alleine zu vertreten …“
„Rebecca
hat das Problem, daß sie es immer allen Recht machen will und sich
daran beinahe aufreibt. Sicher ist sie gut genug, um alleine was auf
die Beine zu stellen. Sie sollte besser ihr eigenes Ding machen so
wie wir. Und die Kohle dafür hat sie doch.“
„Ich
wette, man setzt ihr ganz schnell wieder so einen angesagten
Jung-Designer mit großer Klappe vor die Nase und sie darf wieder nur
die zweite Geige spielen.“
Ich
ziehe die Augenbrauen hoch und sehe sie ernst an, kann mir aber das
Grinsen kaum verkneifen.
Sie
sieht mich erschrocken an. „Entschuldigung ... ich …“
„Schon
gut. Ich weiß, wie du’s gemeint hast. Sie sollte sich das nicht
gefallen lassen.“
„Nee,
echt nicht. … Wie weit noch?“
„Noch
knapp dreihundert Kilometer.“
Martha
seufzt. Klar kann sie es kaum erwarten, endlich da zu sein und Dana
zu knuddeln und alles an Neuigkeiten rauszusprudeln.
Und
ich freue mich irgendwie darauf, sie dabei zu beobachten.
Aber
bis dahin genieße ich die Fahrt.
Mit
der Parkplatznummer wird es freilich nichts. Zu hell, zu belebt.
Vielleicht kann ich Martha dazu bewegen, daß wir nachts zurückfahren
…
Und
dann sind wir da.
Als
wir durch uns bekannte Straßen Düsseldorfs fahren, reckt Martha den
Kopf aus dem Fenster, um sich alles genau anzusehen.
Dann
wendet sie sich zu mir.
„Ist
schon komisch. Düsseldorf ist ja gar nicht meine Heimat … und ich
bin ja noch keine drei Wochen weg von hier … aber … hier … in
Düsseldorf … da ist sooo viel passiert. Ich meine … in der Zeit
… da hat sich mein ganzes Leben umgekrempelt. Ich bin von der
kleinen Näherin zur Design-Assistentin aufgestiegen. Bin
Accessoire-Designerin geworden. Hab mich selbstständig gemacht. …
Ja und du … wir beide … ich kann noch gar nicht fassen, was alles
in der kurzen Zeit passiert ist. Und jetzt in Berlin schon wieder …
kaum da und …“
„Martha!“
„Was?“
„Wir
sind da.“
„Oh
… ja … das ging jetzt aber schnell.“
Ich
grinse nur.
Keine
Minute später stehen wir vor der Haustür. Martha will klingeln,
doch dann fällt ihr ein, daß sie noch die Schlüssel hat.
„Eigentlich
ist das ja dreist, oder? Ich mein, ich wohn ja nicht mehr hier. Und
dann so unangemeldet hier reinplatzen … ich hätte doch besser
vorher anrufen sollen.“
„Martha!
Nun mach dir nicht so viele Gedanken.“
„Ja.
Du hast Recht. Ich würd mich auch nicht beschweren, wenn meine
Familie plötzlich bei uns auftauchen würde.“
Ich
mich schon. Dann könnte ich Martha nicht mehr vernaschen, wo ich
will. Und das kann überall sein.
An
der Wohnungstür klingelt sie dann aber doch.
Es
öffnet eine unbekannte Frau, die ein Baby auf dem Arm hat.
„Ja?“,
fragt sie freundlich.
„Entschuldigung.
Ich bin Martha. Martha Wolf. Ich wollte meine Familie besuchen, so
ganz spontan …“
„Martha!
Ja, schade, daß wir uns vor deiner Abreise nicht mehr kennengelernt
haben, gehört habe ich schon viel von dir. – Ich bin übrigens
Biggi, ich helfe den Wolfs mit dem Haushalt und dem Kleinen.“
„Hat
Thomas sich doch überwunden, sich helfen zu lassen?“
„Ja,
der alte Sturkopf lenkt hie und da ein. – Kommt rein.“
„Das
ist übrigens Juri Adam, mein …“
„Verlobter.“,
ergänze ich grinsend.
„Ja.“,
bestätigt Martha und lächelt mich dabei so süß an, daß ich sie
einfach küssen muß.
Biggi
grinst nun auch.
„Setzt
euch. Habt ihr Hunger?“
„Oh,
machen Sie sich bitte keine Umstände.“
„Das
sind keine Umstände, es ist nämlich schon fertig und du läßt das
Siezen, okay?“
Martha
wird ein wenig rot, nickt aber.
„Seid
ihr mit der Bahn gekommen?“, fragt Biggi.
„Nein,
mit dem Auto. Wir haben uns gerade einen Firmenwagen zugelegt.
Gebraucht natürlich.“
„Ui,
das riecht aber gut … „ ruft es von der Tür her. Und dann
„Martha!!!“
Meine
Süße springt auf und flitzt Kim entgegen, während ich mich etwas
langsamer erhebe und Emilio begrüße, während die beiden Mädels
sich drücken und knuddeln.
„Juri,
altes Haus, was macht ihr denn hier? Schon die Schnauze voll von
Berlin?“
„Martha
hat euch so sehr vermißt, da dachten wir, kommen wir einfach mal
vorbei.“
„Klasse.
Mal eben so in den Flieger …“
„Oder
in den eigenen Firmenwagen.“
„Was?“
Ich
nicke nur.
„Coole
Aktion.“
Wir
tauschen und ich begrüße Kim, während sich Martha und Emilio
stürmisch umarmen.
„Warum
habt ihr nicht vorher angerufen? Mann, wir müssen doch ‚ne Party
schmeißen!“ Kim sieht uns vorwurfsvoll an.
„Weil
sie uns überraschen wollten, vielleicht?“ Emilio verdreht die
Augen.
„Weiß
denn wenigstens Dana Bescheid?“
Martha
schüttelt verlegen den Kopf.
„Rufst
du sie an oder soll ich?“
„Ich
mach das schon."
Eine
Weile später ist Dana da und die beiden Cousinen drücken sich, als
hätten sie sich Jahre nicht gesehen.
Dann
kommt Marthas Onkel nach Hause. „Martha! Na, das ist ja ‚ne
Überraschung! Und? Schon genug von der Hauptstadt? Oder wird er hier
frech?“ Damit blickt er zu mir.
„Nein.
Alles bestens. Wir fühlen uns wohl, kommen prima klar und Juri …“
Sie
sieht mich an und es kommt einfach nichts anderes in Frage, als sie
an mich zu ziehen und zärtlich zu küssen.
„Scheint
so, als müßte dein Zahnarzt sich an anderen seine Brötchen
verdienen.“, meint Dana und knufft mich in die Seite.
„Und
dein Modedesigner hat keine linken Hände, was die praktische Arbeit
in so ‚nem Laden angeht?“, fragt Marthas Onkel und grinst mich
frech an.
„Doch.
Deswegen haben sie ja schon Sascha nach Berlin gelockt.“, lacht
Dana.
„Den
mußten wir nicht locken, der kam nur zu gern.“, verteidigt Martha
uns. „Und gerade hütet er zusammen mit seiner neuen Freundin
unseren Laden. … Sascha gehört einfach zu uns.“, ergänzt Martha
leise.
Ich
fange ihren Blick auf. Ja, Sascha gehört zu uns, aber was uns
verbindet, das geht nur uns was an.
Dann
tischt Biggi uns auf und wir lassen es uns schmecken. Ich zumindest
bin nach der ungewohnten Autobahnfahrt mächtig hungrig.
Martha
ist in ihrem Element. Munter erzählt sie von der Eröffnung, von
Denise, von unserem Wagen, von Gloria und Josie und und und. Ihre
Wangen glühen vor Eifer.
Ich
lausche meist nur und freue mich, daß sie glücklich ist.
Ein
wenig unterhalte ich mich mit Thomas.
Als
Martha auf Oma Finchen und unser neues Model Sascha kommt, bricht die
ganze Runde in Lachen aus. Wie Martha beide nachahmt, ist aber auch
wirklich sehr komisch.
„Oma
Finchen … das ist echt der Knaller!“, japst Kim und hält sich
den Bauch vor Lachen. „Du mußt mir unbedingt ein Foto von ihr
mailen.“
„Ja,
aber bitte nicht in Juris Fummeln.“, stöhnt Emilio.
„Fummeln?
Also ehrlich!“, empört sich Martha.
„Ist
ja gut … ich will diese Oma jedenfalls so angezogen sehen, wie sich
das für eine Oma gehört.“
„Boah,
Emilio, du bist ja so ein Spießer! Ich find’s total cool, daß die
noch so locker drauf ist.“, kichert Kim.
Später
leisten uns noch Rebecca und Marlene Gesellschaft, die nicht eher aus
der Firma weg konnten.
Martha
gesellt sich gleich zu Rebecca und fragt, wie es bei LCL so läuft.
Derweil
kommt Kim zu mir.
„Du,
danke für die Karte. Die mit der Madonna, du weißt schon.“
Ach
ja.
„Du
weißt, daß du nicht schuld bist an dem, was passiert ist?“, frage
ich vorsichtig.
„Jaaaaaa
…“
Es
klingt nicht sehr überzeugt.
„Ja,
schon … aber … wenn ich …“
„Nein,
Kim! Du darfst dir nicht die Schuld geben. Ich hab mir zwanzig Jahre
lang die Schuld am Tod meiner Eltern gegeben und das … hat mich
kaputt gemacht.“
Ich
merke, daß ich die letzten Worte nur noch leise, fast flüsternd
gesagt habe.
Kim
sieht mich erstaunt an.
„Meine
Eltern wurden … erschossen. … Im Krieg. Ich hab es beobachtet. …
Und nichts gemacht. … Ewig lang hab ich mir Vorwürfe gemacht, daß
… daß ich was hätte tun müssen.“
„Aber
warst du da nicht noch ein Kind?“
„Ich
war fünfzehn.“
„Was
hättest du denn machen sollen gegen bewaffnete Soldaten? Die hätten
dich doch auch …“
Ja,
sie hätten mich genauso erschossen wie meine Eltern. Saschas Vater
und seine Waffengefährten.
„Trotzdem
hab ich mir die Schuld gegeben … es nicht … wenigstens versucht
zu haben. … Bei dem Versuch zu sterben … das wäre mir gerecht
erschienen. … Ich war der Meinung, daß ich nicht das Recht hatte
zu überleben. … Und das hat ein emotionales Wrack aus mir gemacht.
… Ich will nicht, daß es dir genauso ergeht. Daß du dich ein
Leben lang für etwas haßt, für was du nichts kannst. Unglücklich
bist. Und die Menschen, die dich lieben, ebenso unglücklich machst.“
Ich
sehe sie eindringlich an. Und staune über mich selbst. Ich weiß,
ich habe immer wieder tief Luft holen müssen, neuen Mut fassen,
weiterzusprechen. Aber ich habe es geschafft.
Es
war schwer genug, gegenüber Martha und Emilio darüber zu reden. Bei
Kim ist es noch viel schwerer. Aber es muß sein!
„Aber
…“
„Du
weißt, wie sehr Martha meinetwegen gelitten hat. Und sie hat es
immer noch nicht leicht mit mir. Weil ich erst wieder lernen muß,
Gefühle zuzulassen, Gefühle zu zeigen … andere Gefühle als den
Selbsthaß.“
Sie
nickt. „Ja … ja, wahrscheinlich hast du Recht. Martha hat mir
sowas Ähnliches auch schon gesagt. … Ich werd‘ drüber
nachdenken.“
Das
ist gut. Mehr will ich gar nicht.
Kapitel
9
Zwischendurch
wird mir der Trubel fast zuviel. Martha merkt das.
„Entschuldigt
uns bitte für eine Weile, ja?“, meint sie, nimmt meine Hand und
bedeutet mir, ihr zu folgen.
„Könnt
ihr nicht mal eine Stunde voneinander lassen?“, kichert Kim.
Erleichtert
seufzend sinke ich in Marthas Zimmer auf ihr Bett.
„Hardcore,
meine ganze Family auf einmal zu ertragen, was?“, lächelt Martha
mich an.
„Die
sind … ziemlich … lebhaft.“, grinse ich schief und schließe
die Augen.
Martha
kuschelt sich an mich.
„Lieb,
daß du das für mich durchstehst.“
„Ganz
so schlimm ist es auch wieder nicht. Ich bin es nur nicht gewohnt. Du
weißt ja, daß ich es nie lange unter Menschen aushalte.“
„Deswegen
wollte ich dir jetzt eine wohlverdiente Pause gönnen.“
Und
die tut gut.
Wir
liegen einfach nur da. Ich entspanne mich und bin wohl auch für eine
Viertelstunde oder so eingeschlafen.
Als
ich wieder aufwache, sehe ich direkt in Marthas Augen. „Na, mein
Schatz, ausgeschlafen?“, fragt sie zärtlich.
Ich
drücke ihr einen Kuß auf die Stirn.
„Ich
find’s gut, daß du mit Kim geredet hast. Ich hab ja mit ihr …
als ich ihr die Karte gegeben habe. Aber … ich glaube nicht, daß
ich die richtigen Worte gefunden habe. Du … du hast es erlebt, du
weißt, wie … wie sich das anfühlt, wenn man …“
Ich
ziehe sie an mich und drücke sie fest.
„Wenn
du nicht schon … vorgearbeitet hättest, wäre sie vielleicht nie
von sich aus auf mich zugekommen.“
Und
ob ich aus eigenem Antrieb dieses schmerzliche Thema angesprochen
hätte, bin ich mir nicht so sicher.
Als
wir wieder ins Wohnzimmer hinübergehen, empfangen uns anzügliche
Blicke und ein „War’s schön?“ von Kim.
„Was
ihr gleich denkt! Juri brauchte einfach nur ‚ne halbe Stunde Ruhe
von eurem Geschnatter.“, lacht Martha.
„Also
ehrlich …“ Kim tut entrüstet.
„Hey,
Juri ist nun mal eher ein Einzelgänger. Laßt ihn doch. Wir hatten
doch auch ohne die beiden Spaß.“, lacht Dana.
„Ich
weiß, es war unhöflich …“, versuche ich mich zu entschuldigen.
„Du
mußt dich nicht rechtfertigen. Ist doch okay, wenn du dich für eine
Weile zurückziehst. Und ich weiß, wie schwer meine Weiber im Rudel
zu ertragen sind.“, meint Thomas.
„Papa!!!“
Marlene verschränkt beleidigt die Arme vor der Brust.
Es
gibt Kaffee, der mich wieder munter macht. Dann machen wir einen
ausgiebigen Spaziergang durch die frische Luft.
Später
unterhalte ich mich eine Weile mit Rebecca, die mir irgendwie
gefrustet erscheint.
Ich
glaube, sie sieht bei LCL nicht mehr viele Möglichkeiten, sich
kreativ zu verwirklichen. Anscheinend wird sie von allen Seiten
ausgebremst; man traut ihr zu wenig zu.
Ich
sage, was ich denke: „Mach dich selbstständig.“ Aber dazu
scheint ihr … noch … der Mut zu fehlen.
Abends
ist nur noch eine kleine Runde übrig. Rebecca und Marlene haben sich
verabschiedet. Kim und Emilio haben Kinokarten, die sie nicht
verfallen lassen wollen. Das heißt, Kim wollte schon bleiben, aber
wir haben sie rauskomplimentiert. Wir sehen uns ja morgen noch.
Außer
Thomas und Biggi ist jetzt nur noch Dana da.
„Eigentlich
hätte ich mich ja mal bei LCL blicken lassen sollen. Weil … na ja,
um Nicole zu besuchen … und Jessica.“
„Mal
ehrlich … diese Nicole ist doch nur ein fieses Lästermaul.“,
meint Dana.
„Hast
du vergessen, daß sie es war, die rumgetratscht hat, du hättest
dich hochgeschlafen?“, werfe ich ein.
„Ja,
schon … aber …“
„Ja
ja, du bist nicht nachtragend und überhaupt viel zu lieb.“ Ich muß
sie küssen, ich kann nicht anders. „Du bist hier, um deine Familie
zu besuchen und sie gehört eindeutig nicht dazu.“
„Da
muß ich Juri Recht geben. Wir sind schon so viele und wenn da jetzt
noch zwei dazukommen, bleibt nicht mehr genug Martha für uns. Ganz
besonders nicht für mich. Komm her, Cousinchen!“ Und Dana knuddelt
und herzt Martha so heftig, daß sie sie fast vom Sofa schubst.
„Habt
ihr eigentlich schon Hochzeitspläne? Ach, vermutlich seid ihr über
dem Eröffnungsstreß noch gar nicht dazu gekommen, darüber
nachzudenken.“ Dana sieht uns gespannt an.
„Das
ist auch nicht soooo eilig.“, wehrt Martha ab.
„Hauptsache,
ich werd‘ deine Trauzeugin, egal wann.“
„Klar,
das ist doch Ehrensache. Und Sascha wird deiner, nicht?“, wendet
sich Martha an mich.
„Ja
… ja, sicher.“, meine ich. „Erstmal muß der Laden einigermaßen
rund laufen. Und dann …“
„Was?“,
fragt Dana.
„Ich
hab mir selbst etwas versprochen …“
Dana
sieht mich ebenso verwirrt wie neugierig an, aber als ich nicht
fortfahre, meint sie: „Hör mal, wenn du nicht darüber reden
magst, das ist okay.“
„Nein,
ist schon gut. Es ist … ich hab mir vorgenommen, Martha erst zu
heiraten … wenn … wenn ich … eine Therapie gemacht habe.“ Ich
merke selbst, daß ich verlegen zu Boden starre. Ich sehe mich selbst
wieder, wie ich eine geladene Waffe auf Martha richte und weiß, daß
das mit der Therapie sein muß.
„Eine
Therapie?“, fragt Dana erstaunt.
„Ja.
… Wegen meiner Vergangenheit. Es muß sein. Ich muß das endlich
hinter mir lassen.“
Ich
sehe Martha an und wir sind uns einig, daß das, was mit Sascha
vorgefallen ist, auch künftig unter uns bleibt.
„Ich
will nur nicht … ich will nicht … daß man mich … mit diesem …
Psychopharmazeugs vollstopft!“
„Also
eine Klinik, wo man dich einfach nur mit sowas ruhigstellt, statt dir
zu helfen, kommt ja überhaupt nicht in Frage!“, engagiert sich
Martha leidenschaftlich. „Das würde ich niemals zulassen.“
Ich
sehe sie im Geiste vor mir, wie sie mutig einem Pfleger mit einer
Spritze in der Hand gegenübertritt, um mich zu schützen und spüre
einen Kloß im Hals. Meine Martha!
„Ich
versteh‘ euch absolut. Mit diesem Zeug ist nicht zu spaßen. Wenn
ihr wollt, kann ich Ricardo mal fragen, ob er eine Klinik oder einen
speziellen Therapeuten empfehlen kann. Ist zwar nicht sein
Fachgebiet, aber …“
„Das
wäre super!“
Ich
nicke nur. Obwohl ich selbst mit dem Thema angefangen habe, ist mir
jetzt unbehaglich zumute. Ich habe zwar nicht vor, die Sache unnötig
lang aufzuschieben, bin andererseits aber froh, daß es noch nicht
sofort soweit ist.
Immerhin
renne ich nicht mehr weg.
Marthas
Bett ist klein und ich schlafe unruhig. Ich hoffe, ich störe sie
nicht allzu sehr. Ganz zu schweigen davon, daß sie versehentlich
meinen Ellbogen abbekommt.
Mitten
in der Nacht jagt mich ein unangenehmer Alptraum hoch.
Seit
ich begriffen habe, daß ich nichts am Tod meiner Eltern hätte
ändern können, träume ich nicht mehr jede Nacht vom Schrank.
Nein,
es ist etwas anderes.
Ich
glaube, ich habe mich in einer Gummizelle gesehen.
Ich
schätze, das rührt von dem Gespräch am Abend her. Über die
Therapie.
„Hey,
was ist los?“, fragt Martha besorgt, als sie mich sitzen sieht, wie
ich auf das Fenster starre, zu dem blaß der Mond hinein scheint.
„Hast
du schlecht geträumt?“
Ich
nicke. „Ich schätze, ich hab Schiß … vor der Therapie.“ Ich
versuche ein Grinsen, aber im Halbdunkel kann Martha das nur erahnen.
„Hey,
ich geb dich nur in die allerbesten Hände. Und ich werde darüber
wachen, daß die nichts mit dir machen, was wir nicht wollen. Ich laß
dich nicht damit allein.“
Ihre
Worte tun mir so unglaublich gut.
Sanft
drückt sie mich zurück in die Kissen, schmiegt sich eng an mich.
Ihre
warme Nähe beruhigt, entspannt mich bald.
Ich
bin ihr so dankbar.
Und
das muß ich ihr gar nicht sagen.
Ich
weiß, daß sie das weiß.
Den
Rest der Nacht schlafe ich ganz ruhig, geborgen in ihren Armen …
„Hey,
alles okay?“, fragt Martha am nächsten Morgen, als ich mich
gähnend recke.
„Mhhh.“
„Schön,
ich hab nämlich soooo Hunger. Und Biggi hat bestimmt schon das
Frühstück fertig.“
Marthas
knurrenden Magen nehme ich immer absolut ernst.
Und
so ziehe ich sie nur zu einem langen zärtlichen Kuß an mich und
schubse sie dann sanft aus dem Bett.
Mein
Magen knurrt übrigens auch.
„Na,
aus dem Bett gefallen? Ist doch noch früh.“, begrüßt uns Biggi.
Der
Kaffee duftet wunderbar.
„Ich
glaub, mein Magen hat unbewußt auf das Tellerklappern reagiert und
mich geweckt.“, lacht Martha.
„Ah
ja.“, grinst Biggi. „Rührei?“
„Ja,
gern, aber …“
„Nein,
es macht keine Umstände.“
Ich
hab selber einen Anflug von schlechtem Gewissen, daß wir uns hier
durchschmarotzen und auch noch bedienen lassen.
„Dann
spülen wir aber nachher.“, bestimmt Martha. Na, ob sie damit
durchkommt?
Doch
sie setzt sich durch.
Sie
spült und ich trockne ab; Biggi räumt ein.
Ich
bin an sowas inzwischen ein wenig gewöhnt. Das Zusammenleben mit
Martha zivilisiert mich. Früher habe ich ab und zu mal meine
Kaffeetasse ausgespült. Mehr nicht.
Das
geht mit Martha nicht. Sie ist eine Frau und mag es ein wenig
ordentlicher. Da muß ich mich anpassen. Abgesehen davon arbeitet
Martha genauso viel im Laden wie ich – was für ein Arschloch wäre
ich denn, wenn ich nach der Arbeit das Nichtstun pflegen würde,
während sie in der Küche steht oder die Wohnung putzt? Ich bin
sicher meilenweit von einem guten Hausmann entfernt, aber ich tue
was.
Und
Martha schickt mich oft genug zum Joggen, weil ich manchmal doch eher
hinderlich als nützlich bin. Aber für sie zählt der gute Wille und
der Einsatz und beides ist da.
Bei
den Wolfs geht aber alles gut; ich blamiere mich nicht.
Am
späten Vormittag bin ich mit Martha und Dana auf dem Weg zum
Friedhof. Martha möchte Viktorias Grab besuchen, bevor wir fahren.
Wer weiß, wann wir das nächste Mal hier sein werden?
Sie
drückt meine Hand ganz fest, als wir vor der Grabstätte stehen. Sie
weiß sehr gut, wie mir zumute ist.
Aber
ich denke wieder an Goethe. Was man im Herzen trägt …
Und
ihr helfen seine Worte auch.
Und
dann heißt es Abschied nehmen. Martha drückt sie alle heftig.
Ich
werde ermahnt, auch weiterhin gut auf sie aufzupassen.
Das
werde ich.
Martha
winkt und winkt und ist dann lange Zeit ganz still.
Ich
sage nichts, drücke nur ihre Hand.
Kapitel
10
„Es
war schön, sie alle wiederzusehen. … Berlin ist toll und wir haben
Sascha und Denise und jetzt auch noch Oma Finchen …“
„Aber
es ist nicht deine Familie, hm?“
„Ja.
… Nein. … Ach, das ist doof, ich will irgendwie beides haben und
das geht halt nicht. Ich sollte mich nicht so anstellen. So weit weg
ist Düsseldorf nicht. Mama und Papa habe ich viel länger nicht
gesehen …“ Martha starrt eine ganze Weile zum Fenster raus.
„Sie
haben dich nie … in Düsseldorf besucht, nicht?“
„Nein,
leider. Und ich muß gestehen, daß du mich so derart wuschig gemacht
hast, daß ich meist nur an sie gedacht habe, wenn es mir mal wieder
dreckig ging und ich am liebsten abgehauen wäre. Warum denkt man so
selten an seine Eltern, wenn es einem gut geht, wenn man glücklich
ist?“
Ich
will darauf nicht antworten.
„Sorry,
ich trampele gerade wie ein Maulesel querbeet durch deine Gefühle.“,
meint Martha schuldbewußt.
„Schon
gut. Ich denke, ich weiß, warum … also, warum man seine … Eltern
mehr vermißt, wenn es einem … nicht gut geht. Weil sie dann immer
für einen da waren.“
„Ja.
Ein paar tröstende Worte, eine Umarmung …“
„Oder
ein Klaps auf den Allerwertesten.“ Mir gelingt ein Lächeln.
„Magst
du sie nicht mal einladen, dich in Berlin zu besuchen?“
„Sie
sind so gar keine Großstadtmenschen. Aber ich glaube, sie möchten
dich schon gerne kennenlernen.“
„Was
wissen sie … denn … über mich?“
Mir
wird ein wenig flau. Wenn Martha ihnen geschrieben hat, wie sie
meinetwegen gelitten hat …
„Keine
Sorge. Meinen Liebeskummer und all den Frust habe ich nur bei Dana
und Sascha abgeladen, meine Eltern wissen nichts darüber. Sie wissen
nur, daß ich jetzt fest mit meinem ehemaligen Chef zusammen bin und
daß wir eben gemeinsam diesen Laden hier haben. … Ich meine …
sie waren so weit weg, sie hätten mir eh nicht mit meinem Kummer
helfen können. Und ich wär mir auch … na ja, ziemlich unreif
vorgekommen, wenn ich meinen Eltern vorgeheult hätte, daß mein
attraktiver Chef mich nicht will.“ Martha grinst ein wenig schief.
„Und
wie der dich will, seit er endlich kapiert hat, was gut für ihn
ist.“ Ich drücke ihr schnell einen Kuß auf die Stirn.
„Wir
beide … manchmal glaube ich es immer noch nicht so ganz …“
Martha lehnt sich entspannt zurück und lächelt glücklich.
„Aber
doch, sie müssen mal kommen. Sie sollen dich nicht erst zu unserer
Hochzeit kennenlernen.“
Ich
nicke nur.
Wir
unterhalten uns eine Weile über LCL und wie es da weitergeht und ich
erzähle von Rebeccas Frust.
Martha
findet es schade, daß unser Laden ihr keine Möglichkeit bietet, ihr
eigenes Ding zu machen. „Wir müssen uns selbst erst mal
etablieren, die Leute müssen unseren Stil wiedererkennen.“
Da
hat sie Recht. Wenn 'Korolok' erstmal bekanntes Markenzeichen ist
und Marthas und meine Sachen ihren Markt gefunden haben, dann können
wir über neue Linien, Stile und dergleichen nachdenken. Aber soweit
sind wir noch nicht.
Am
frühen Abend erreichen wir Berlin.
„Mal
schauen, ob unser Laden noch steht.“, grinse ich.
„Wir
waren keine zwei Tage weg, was soll da passiert sein?“, lacht
Martha.
Von
außen sieht er jedenfalls heil aus.
Und
weil Martha uns telefonisch angekündigt hat, stehen Sascha und
Denise schon vor der Tür, kaum daß ich den Wagen geparkt habe.
Wir
werden stürmisch begrüßt.
Martha
bringt nur schnell unsere paar Sachen rauf in die Wohnung, dann
geht’s ab zu unserem Stamm-Mexikaner.
Martha
erzählt sofort los und ist schnell mit Sascha in einer angeregten
Unterhaltung, während Denise und ich meist lächelnd zuhören.
Ich
war ja dabei und Denise kennt all die Leute nicht, über die sich
Martha und Sascha so munter unterhalten.
Aber
das ist mir recht. Ich bin von der Fahrt ein wenig müde und widme
mich lieber dem Essen.
Als
Sascha und Denise dann erzählen, wie es ihnen so ergangen ist, höre
ich aber aufmerksam zu.
Sie
haben einige von Marthas Accessoires verkauft.
Josie
war da und hat fleißig genäht.
„Ach
ja, eins von deinen Einzelstücken haben wir auch verkauft.“, meint
Sascha zu mir. „So eine gertenschlanke Schwarzhaarige hat sich
sofort verliebt, als sie das Teil gesehen hat. Dieses silbergraue
Dings …“
Ah,
das wo Finchen den Tüll bemeckert hat. Der war ihr zuviel und ich
hab ihn ein wenig … zurechtgestutzt. Scheint so, als hätte ich gut
daran getan, ihrer Meinung zu folgen. Okay, nicht exakt; das fehlte
noch, daß Oma Finchen hier kreativer Kopf wird und ich nur noch ihr
Assistent …
„Weißt
du, etwas fehlt hier aber …“ Sascha kneift die Augen halb zu und
sieht mich mit schiefgelegtem Kopf an. „Schlag mich nicht, aber ich
finde, wenn du mit einer Frau mit so einer tollen weiblichen Figur
zusammen bist … dann sollte ein Teil deiner Fummel auch für solche
Frauen tragbar sein.“
Da
hat er mich erwischt. Das ist mir fast ein wenig peinlich.
Martha
versucht, mich zu verteidigen.
„Juri
muß sich doch an dem orientieren, was der Markt will, wenn seine
Mode erfolgreich sein soll. Und keiner will an mir so Sachen sehen,
wie Juri sie designt.“
„Schwachsinn!“,
fährt es mir raus. „Ich hab mich nie darum geschert, was andere
wollen. Ich hab nur immer nur gemacht, wo ich auch dahinter stehe.
Und scheiße ja, Sascha hat Recht. Es ist keine Frage der Figur, ob
eine Frau sich sexy und aufregend kleiden kann. Ich könnte sehr wohl
Klamotten für Frauen wie Martha designen, die … die …“
Ja,
was eigentlich? Die Marthas wahre Werte widerspiegeln? Ich sehe mich
plötzlich vor einer neuen Herausforderung.
Sascha
sieht mich neugierig an. Denise ernsthaft interessiert. Und Martha
ein wenig unbehaglich; ich glaube, sie denkt, ich würde mich
irgendwie in die Ecke gedrängt fühlen.
„Ich
muß da in Ruhe drüber nachdenken. Sowas läßt sich nicht einfach
aus dem Ärmel schütteln. Und …“
„Und
wir haben ja auch noch eine Menge anderes zu tun. Die Kollektionen
für Mosch müssen noch mal eingehend überprüft werden, ob alles
damit okay ist, dann ist es jetzt nicht mehr lang bis zu unserer
Präsentation in München und …“
„Martha!
Schnauf mal durch! Das ist ja alles richtig, was du sagst. Aber ich
will nicht stillstehen. Ich will mich weiterentwickeln. Und Sascha
hat mir grade klargemacht, daß es immer wieder was Neues gibt.“
Martha
lächelt und entspannt sich, als sie merkt, daß ich keineswegs
genervt bin.
„Was
macht dein Model-Training?“, frage ich Sascha.
„Kam
ein bisschen zu kurz, sorry.“
„Macht
nichts. Ich rufe Gloria an, sie soll die Tage mal mit ihrer Kollegin
vorbeikommen, damit ich euch zusammen laufen sehe. Erst wenn ich
weiß, wie ihr zusammen wirkt, kann ich mir überlegen, in welcher
Reihenfolge ihr mit welchen Modellen laufen sollt.“
„Ist
da soviel zu beachten?“, fragt Denise überrascht.
Martha
läßt mich gar nicht zu Wort kommen, sondern erklärt
temperamentvoll jedes Detail, auf das es auf dem Laufsteg ankommt.
Ich
finde sie wieder so unwiderstehlich süß und denke, es wird Zeit,
daß wir nach Hause gehen und ungestört sind …
Ich
hätte nie gedacht, daß ich wirklich mal ein normales Leben in einer
normalen Beziehung leben würde und so normale Sachen tun, wie andere
sie tun.
Sicher,
meine Beziehung mit Martha ist etwas Besonderes und wird es auch
immer bleiben.
Und
trotzdem … ist unser Alltag tatsächlich ganz normal.
Ich
habe an diesem Abend gemeinsam mit Martha geduscht, wir haben uns
dabei einfach nur zärtlich geküßt, uns eine Weile unter dem warmen
Wasser aneinandergeschmiegt.
Dann
haben wir uns im Bett zusammengekuschelt, noch eine Weile leise
miteinander den Tag Revue passieren lassen und sind dann
eingeschlafen.
Ich
wäre durchaus nicht zu müde für Sex gewesen. Aber ich war
wunschlos glücklich damit, sie einfach in meinen Armen zu halten.
Ich
muß nicht täglich auf’s Neue mit ihr schlafen, nur um mir zu
beweisen, daß sie zu mir gehört.
Ich
fühle mich sicher in unserer Beziehung.
Was
auch nicht heißen soll, daß unser Sexleben schon einschläft.
Keineswegs. Dazu macht Martha mir viel zu oft klar, daß sie mich
will.
Aber
ich glaube, ich wollte mir wirklich anfangs damit beweisen, daß sie
zu mir gehört. Irgendwie meine Besitzansprüche sichern oder sowas.
Sie von mir abhängig machen, damit sie mich nicht verläßt.
Dieses
Bedürfnis habe ich nicht mehr.
Daß
Martha mir am folgenden Morgen deutlich zeigt, was sie will, kann ich
unbeschwert genießen.
So
langsam entwickelt sich alles.
Einen
chaotischen, unorganisierten Touch hat es noch, aber Martha meint
lachend, ganz ohne Chaos hätte das alles nicht meine persönliche
Note.
Aber
größtenteils läuft es.
Unsere
neuen Kollektionen sind unterwegs zu Mosch. Martha und ich haben nur
noch kleine Details geändert. Wir sind zufrieden; meine Modelle und
ihre Accessoires harmonieren unserer Meinung nach gut. Und Mosch
mailt, daß er sehr zufrieden ist und überzeugt, daß die Kombis ein
Renner werden.
Der
Verkaufspreis füllt unser Firmenkonto auf und die Ladenmiete, der
Lohn für unsere fleißigen Mäuschen sowie die neuen Stoffkäufe
sind kein Problem.
Unangenehm
ist der ganze Behördenkram und die Buchhaltung. Zum Glück nimmt uns
Denise da viel ab. Martha hat nämlich eigentlich nicht genug Zeit
dafür.
Sie
betreut unsere Webseite, die Kundenkontakte und braucht ja auch Zeit,
um kreativ zu arbeiten.
Ich
habe mir vorgenommen, gut auf sie zu achten, damit mir nicht entgeht,
wenn sie sich übernehmen sollte.
Das
Model-Training mit Sascha, Gloria und Isabell läuft gut. Die drei
verstehen sich; den Mädels gefallen Saschas freche Sprüche und er
ist cool genug, um mit ihren kleinen, nicht bös gemeinten
Sticheleien locker umzugehen.
Bald
habe ich einen Plan für die Präsentation auf dem Fashion-Day und
bin guter Dinge, daß die drei in meinen Modellen gut rüberkommen
werden.
„Sascha
macht sich richtig gut, nicht? Er bewegt sich locker-lässig und mit
einer gewissen männlichen Würde.“
Ich
sehe Martha von der Seite an. Eine innere Stimme sagt mir, daß sie
ein bisschen zu sehr für Sascha schwärmt, während ein anderer Teil
mir einen Klaps auf den Hinterkopf gibt und mir sagt, daß ich
spinne.
„Diese
Würde hätt‘ ich ihm gar nicht zugetraut.“, meine ich trocken.
Martha
lacht mich an und ich lache mit.
„Was
ich sagen will … er nimmt das ernster, als ich dachte.“
„Hey,
er weiß doch, was für uns beide davon abhängt.“
Stimmt.
Sascha macht das nicht, weil er es für eine nette Abwechslung hält.
„Ihr
redet über mich, stimmt’s?“ Sascha sieht uns streng an.
Ich
ziehe die Brauen hoch, Martha grinst. Ich muß auch grinsen. Und
Sascha streckt uns die Zunge raus.
Alles
in Ordnung.
Ich
bemühe mich um einen einigermaßen geregelten Tagesablauf.
Nachts
rumgeistern, den halben Tag verpennen und dann mittags erst in den
Laden … undenkbar.
Daß
ich nachts am besten arbeiten kann, daran kann ich nicht ohne
Weiteres was ändern. Ich hab da nun mal meine kreativste Phase.
Martha
weiß und versteht das. Also muß alles andere drumherum dem angepaßt
werden.
Heißt,
wir gehen zeitig schlafen, um vor meiner Arbeitsphase schon genügend
geruht zu haben.
Denn
danach schlafen wir nicht mehr so tief und fest wie vorher. Die Zeit
nach meiner Kreativphase wird zu unserer Kuschel- und Schmusezeit.
Und ist sehr schön und entspannend.
Jedenfalls
starten wir so gutgelaunt und motiviert in den Tag.
Vor
dem Frühstück laufen wir eine Runde durch die frische Luft, das tut
uns beiden gut.
Gefrühstückt
wird zusammen mit Sascha und Denise, die immer schon vor der
Ladenöffnung da sind. Dieses gemeinsame Frühstück wird bald zu
einer lieben Gewohnheit, die wir nicht mehr missen möchten, zumal
wir bei der Gelegenheit immer in Ruhe besprechen, was anliegt.
Und
ich lerne, daß ein gleichmäßiger Tagesablauf überhaupt nicht
langweilig sein muß.
Abgesehen
davon passiert sowieso immer irgendwas, was den Ablauf durcheinander
bringt. Ganz zu schweigen von Oma Finchen, die immer für eine
Überraschung gut ist.
Martha
hat ihre kreative und wuselige Phase am frühen Nachmittag und ich
liebe es, sie dann zu beobachten. Deshalb kümmere ich mich in der
Zeit um den Laden, stecke mit Josie Stoffe zum Nähen ab … so bin
ich in der Nähe und kann mich an Marthas Arbeitseifer erfreuen, ohne
sie zu nerven.
Abends
sitzen wir vier locker abwechselnd beim Mexikaner oder in unserem
Hinterhof, auch Josie kommt ab und zu mit. Dann quatschen wir noch
mal den Tag durch. Wenn wir im Hof sind, ist fast immer auch Finchen
dabei.
Die
Sonntage gehören Martha und mir allein. Ich habe Gefallen an
entspannenden Spaziergängen gefunden.
Abgesehen
davon bieten unsere Streifzüge durch Berlin und das Umland uns
mannigfaltige Inspirationen für unsere Arbeit. Wir sind nie ohne
Kamera und Skizzenblock unterwegs.
Auspowern
tue ich mich genug. Ich gehe regelmäßig mit Sascha zum Boxen.
Er
hat einen Club aufgetan, in dem sich noch mehr Gestrandete aus dem
ehemaligen Jugoslawien tummeln.
Wir
reden nicht über unsere Vergangenheit, aber es liegt eine Art
gemeinsames Verständnis in der Luft und wer reden will, wird ganz
sicher jemanden finden, der zuhört.
Ich
wüßte nicht, warum ich mich einem von ihnen anvertrauen sollte,
dafür hab ich ja Sascha.
Aber
ich fühle mich wohl in diesem Club. Weil man mich zu verstehen
scheint, ohne mich schief anzugucken oder auszuquetschen.
Das
alles klingt so rosig, nicht? Harmonisch, keine Probleme.
Ganz
so ist es nicht.
Es
läuft nicht immer alles rund.
Ich
bin immer noch ein ungeduldiger, mitunter unbeherrschter Kerl, der
flucht und Sachen durch die Gegend schmeißt, wenn etwas nicht so
wird, wie ich will.
Und
Martha zuckt immer noch regelmäßig bei meinen Ausbrüchen zusammen.
Aber
dann sieht sie mich an, lächelt mir aufmunternd zu.
Und
ich entspanne mich, lächle zurück, sammle zusammen, was ich in der
Gegend rumgepfeffert habe und fange noch mal neu an.
Mit
Martha ist mein Leben anders geworden. Vor allem viel schöner.
Kapitel
11
Die
nächsten Nächte bin ich sehr aktiv. Mir geht Saschas Bemerkung,
warum ich bitteschön nichts für Frauen wie Martha designe, nicht
mehr aus dem Kopf. Und so sitze ich jede Nacht an neuen Entwürfen.
Ich
brauche nur Martha anzusehen, wie sie da liegt, selig schlummernd,
das süße Gesicht mit einem Lächeln, weil sie so glücklich mit mir
ist … und ein Blatt nach dem anderen füllt sich mit Linien,
Formen, Farben …
Ich
bin wie berauscht, habe gefühlte tausend Ideen und kann es kaum
erwarten, all das, was durch meinen Kopf schwirrt, in die Tat
umzusetzen.
Dabei
bin ich super gut gelaunt und fühle mich, als könnte ich Bäume
ausreißen.
Martha
hat mich am nächsten Morgen nur kurz verwundert angeschaut, dann
gelächelt und mich zärtlich geküßt. Sie wußte sofort Bescheid.
Sascha
und Denise haben mein glückliches Gesicht ganz falsch gedeutet, uns
vielsagend angegrinst.
Ich
habe Sascha auf beide Wangen geküßt. „Alter, was los mit dir?
Wenn du noch nicht satt bist, dann verkrümel dich mit deiner Süßen
doch noch mal nach oben.“, meinte er grinsend.
„Was?
… Nein … Mir ist durch deine Bemerkung gestern was aufgegangen …“
„Was
für ‚ne Bemerkung?“
„Warum
ich keine Klamotten für Frauen wie Martha designe.“
„Und
das machst du jetzt? Und bist deshalb so gut drauf? … Hey, freut
mich, wenn ich da was ins Rollen gebracht habe.“
Das
hat er wirklich.
Martha
muß mich gelegentlich ausbremsen, weil es auch noch anderes zu tun
gibt.
Meine
„normale“ Kollektion wird sicher gut laufen, aber wenn es nach
mir ginge, würde ich meine neuen Entwürfe gleich mit über den
Laufsteg schicken.
Aber
das geht nicht. Aus mehreren Gründen.
Josie
näht schon auf Hochtouren, aber die Aufträge unserer Kunden haben
Vorrang.
Mir,
der ich nur das kreative Zeug im Kopf habe und mich nur mit Mühe in
den ganzen Geschäftskram reinfinden kann, fällt das schwer, aber
ich sehe ein, daß das so sein muß, wenn unser Laden uns ernähren
soll.
Was
ich möchte, kann sich nur wer erlauben, der finanziell abgesichert
ist.
Und
Martha hat mich ausdrücklich davor gewarnt, meine Geldreserven aus
LCL-Zeiten allzusehr zu erschöpfen.
Auch
das sehe ich ein. Man weiß nie, was kommt.
Also
habe ich seufzend akzeptiert, daß eine zweite Näherin erst drin
ist, wenn nach dem Fashion-Day neue Aufträge reinkommen.
Aber
ich bin so motiviert, daß ich mich sonntags selbst an die
Nähmaschine setze, um nach und nach meine Entwürfe in die Tat
umzusetzen.
Und
meine Begeisterung läßt mich locker hinnehmen, daß wir die neue
Stofflieferung zurückschicken müssen, weil sie einen Webfehler hat
und der Wagen zur Reparatur muß.
„Du
kreierst nun also auch Mode für Frauen mit normaler Figur und nicht
nur für so ausgehungerte Bohnenstangen, wo man von hinten nicht
weiß, ob’s ‚ne Frau oder ‚n Kerl ist? Deine Sachen haben ja
Pfiff, aber die sind alle ‚n paar Nummern zu klein.“
Finchen
hält nie mit ihrer Meinung hinter’m Berg.
„Jetzt
fehlt nur noch eine eigene Serie für so immerjunge Feger wie dich,
Finchen, was?“
„Bring
sie nicht auf dumme Ideen.“, knurre ich leise.
Sascha
und Finchen machen sich neuerdings einen Spaß draus, mich hochnehmen
zu wollen.
„Leute,
sorgt dafür, daß der Laden brummt, dann können wir alles machen.“,
knurre ich etwas lauter und sehe Finchen vor mir, wie sie eine Schar
Näherinnen befehligt, um Mode für Seniorinnen zu machen und weiß
nicht, ob ich mir wünschen soll, daß unser Laden so gut
läuft.
Martha
ist natürlich neugierig auf meine Entwürfe und ich schwanke hin und
her zwischen dem Bedürfnis, alles erstmal vor ihr geheim zu halten
oder ihr stolz zu präsentieren.
Weil
… was ich für sie kreiere, ist schon ein wenig anders als das, was
sie sonst so trägt.
Sie
hat mit ihren kurzen, engen Röcken ihre Figur zwar nie versteckt,
aber …
Meine
Entwürfe zeigen sie auch in knöchellangen Kleidern, figurbetont und
sehr sexy, wie ich finde.
Eines
davon zeigt viel Rücken, ein tolles Decolleté und würde durch den
seitlichen Schlitz ab Kniehöhe auch Marthas schöne Beine zeigen.
Ich
habe mich für ein kräftiges, leuchtendes Aquamarin entschieden, das
sicher toll zu Marthas braunen Augen aussehen wird.
Josie
hilft mir beim Nähen und ich bringe Martha dazu, uns machen zu
lassen, bis wir fertig sind.
Der
Spitzeneinsatz am Beinschlitz hätte mir den Verstand geraubt. Aber
Josie hat’s drauf und kriegt das problemlos hin.
Außerdem
hat Josie ein paar entscheidende Tips für mich, Marthas rundliche
Figur vorteilhaft zur Geltung zu bringen.
Ich
habe zwar schon kapiert, daß ich den Schnitt für Martha anders
planen muß als für meine bisherigen Models. Aber mit Josies Hilfe
bekomme ich bald ein Auge dafür und fummele mich ein.
Sascha
will linsen, aber er darf nicht, weil er die Klappe nicht halten
kann.
Und
dann ist es soweit, Martha probiert das Kleid.
Mir
verschlägt es den Atem.
Sie
sieht einfach umwerfend aus.
Sie
hat sich die Haare hochgesteckt, Schuhe mit hohem Absatz an …
Sascha
fallen auch fast die Augen aus dem Kopf.
„Na
also, geht doch.“, meint Finchen trocken. „Genug Stoff und heiß
sieht’s trotzdem aus. Mädel, du bist bildschön.“
Da
hat sie absolut Recht.
„Und?
Wann sehen wir dich auf dem Laufsteg?“, fragt Sascha, als er seine
Sprache wiedergefunden hat.
„Was?
Bist du irre? Ich model doch nicht!“ Martha zeigt ihm ‚nen Vogel.
Obwohl
Martha wirklich traumhaft schön aussieht, ist auch mir klar, daß
der Laufsteg nichts für sie ist. Nicht, weil sie zu ungeschickt
dafür wäre.
Das
Kleid tragen, toll darin aussehen, ist eins. Aber auf dem Steg muß
man sich produzieren, wie ein Pfau, der sein Rad auffächert. Und das
wäre nicht Martha.
Aber
wenn diese neue Serie von mir produktionsreif ist, werden wir schon
geeignete Models finden.
Noch
sind wir nicht soweit.
Allerdings
hat Denise Feuer gefangen und sitzt am Wochenende am Layout für
diese mögliche neue Linie von mir, wie sie auf unserer Webseite
präsentiert werden könnte.
Martha
weigert sich zwar, für Fotos zu posieren, aber Denise wird sich
davon sicher nicht aufhalten lassen. Sie hat schon Gloria
angesprochen, ob die nicht geeignete Models aus ihrer Agentur wüßte.
Das
Ganze hat eine Eigendynamik entwickelt und Sascha grinst sich einen,
weil er dran schuld ist.
Ich
frage Martha, ob ihr das Kleid wirklich gefällt und sie es tragen
würde und sie meint, ich hätte es tatsächlich geschafft, daß das
Kleid sexy und trotzdem angenehm zu tragen sei und sie sich nicht wie
eine Preßwurst fühle, die gleich platzt.
Ihre
Änderungswünsche sind minimal.
Und
tragen würde sie es auch, als Abendkleid bei passender Gelegenheit.
Ich
freue mich sehr, küsse sie lang und innig.
Und
von nun arbeiten wir gemeinsam an meiner neuen Linie.
Von
mir kommt das gewagte Design, das Provokante und von ihr die
verspielten Elemente.
Martha
ist überzeugt, daß zumindest Mosch begeistert sein wird.
Ich
bin mir da nicht so sicher. Die Kombi an sich würde ihm schon
gefallen. Aber ich weiß, mit welchem Typ Frauen er sich umgibt und
die haben eine andere Konfektionsgröße. Ob er da also drauf
abfährt?
„Aber
er ist vorrangig Geschäftsmann und weiß, was ankommt.“
Da
hat Martha allerdings Recht.
Martha
und ich sind in einer hitzigen Diskussion.
Ich
hab grad ganz bestimmte Vorstellungen und reagiere stur, als Martha
mit Einwänden kommt.
„Das
ist meine Linie, das sind meine Ideen.“
„Ja,
aber für Frauen wie mich. Also kann ich ja wohl was dazu sagen.“
„Aber
du redest wie Mosch. Dies paßt dir nicht und jenes soll geändert
werden.“
„Ja,
und?“
„Dann
ist es aber deine Linie und nicht mehr meine.“
„Boah,
wie bist du denn heute drauf?“
Ich
setze an, um Martha anzuschreien, nehme mich aber zusammen.
„Was?
Wolltest du mich grad zusammenfalten?“, blitzt Martha mich an. Sie
hat es genau gemerkt.
„Ich
… ach, Scheiße!“ Plötzlich muß ich lachen, finde mich selbst
albern, wie ich mich verhalte und ziehe Martha zu mir heran, um sie
zärtlich zu küssen.
„Kleiner
Rückfall in schlechte Angewohnheiten.“, murmele ich ihr ins Ohr,
während ich mit einer Hand ihren Nacken streichle und sie mit der
anderen fest an mich drücke.
„Schon
okay.“, murmelt sie zurück, seufzt leise und schmiegt sich
ihrerseits fest an mich.
Als
wir uns wieder der Arbeit widmen, finden wir auch bald einen
Kompromiß, der uns beide zufriedenstellt.
„Ich
glaube, es war ein wenig verletzter Stolz.“, meine ich später zu
Martha, als wir beim Essen in der Küche sitzen.
„Was?“
„Ich
… will wohl gerne selbst alles … perfekt für dich machen. Ich
meine …“ Ich fahre mir durch die Haare, als ob ich dort die
richtigen Worte finden würde. „Ich dachte, ich kenne dich … gut
genug, um zu wissen … und daß es dann doch nicht richtig ist ...“
Martha
scheint mein Gestammel zu verstehen. „Hey, geht dir das wirklich so
nahe, daß du nicht immer hundertprozentig meinen Geschmack triffst?“
Doch,
irgendwie schon.
„Du
weißt doch, wie wir Frauen sind. Ändern ständig unsere Meinung. Du
bist also völlig unschuldig.“
„Stimmt
auch wieder.“, grinse ich frech.
Während
bei uns wieder Harmonie herrscht, brodelt es woanders.
Isabell,
Glorias Kollegin, hat sich was gezerrt und fällt aus. Der Ersatz
Ramona und Sascha kommen nicht gerade gut miteinander aus. Ramona ist
ziemlich herablassend zu ihm. Sie kommt aus gutem Hause, hat
reichlich Kohle und ist wahrscheinlich nur aus eitler Langeweile
Model geworden.
„Ich
weiß nicht, was ihr euch dabei gedacht habt, sowas zu engagieren.“
Ramona schickt einen besonders herablassenden Blick zu Sascha.
Der
versucht, ruhig zu bleiben.
„Sascha
macht seine Sache gut. Er ist kein Profi, aber er kriegt das hin. Und
er paßt zu meinem Stil.“, sage ich ruhig, obwohl mir Ramonas
arrogante Art auch gegen den Strich geht. Aber die Zeit wird langsam
eng.
Ramona
wirft mir einen Blick zu, der irgendwie nach „der hat auch nicht
mehr alle Tassen im Schrank“ aussieht.
Martha,
die neben mir steht, raunt mir zu: „Kein Zweifel, daß sie von
deinem Urteilsvermögen nicht allzu viel hält.“
„Wieso
das denn?“
„Wahrscheinlich,
weil du mit mir zusammen bist. Ein Top-Designer und sowas wie mich an
seiner Seite …“
Ich
will aufbrausen, aber Martha kichert nur. Ich merke, es ist ihr
wurscht, was Ramona denkt.
Wir
küssen uns demonstrativ lang und innig.
Kurz
darauf haben sich Ramona und Sascha schon wieder in der Wolle. Gloria
versucht zu vermitteln.
„Ich
verstehe nicht, wie du mit dem klarkommst!“, keift Ramona. „Der
Typ ist echt das letzte. Merkt nicht, daß er sich mit seiner
Unfähigkeit total zum Affen macht und glotzt mir ständig in den
Ausschnitt.“
„Als
ob’s da was Besonderes zu sehen gäbe.“, ätzt Sascha zurück.
„Du
bist doch nur deshalb Model geworden … um an sowas wie mich
ranzukommen.“
Sascha
täuscht einen Brechreiz vor.
„Ramona,
was soll das?“ fragt Gloria entsetzt. „Sascha macht seine Sache
doch wirklich gut. Er ist höflich und hilfsbereit und ich hab noch
nicht beobachtet, daß er dir was weggekuckt hat.“
„Klar
sagst du nichts gegen ihn. Warst ja mit seinem Kumpel in der Kiste.
Und mit ihm selbst wahrscheinlich auch schon.“
Hm,
bin der Kumpel ich? Wahrscheinlich. Ich verstehe erstens nicht, was
dieser Kindergarten soll und zweitens reißt mir gleich der
Geduldsfaden.
„Du
wirst extrem unsachlich, Ramona. Das eine hat mit dem anderen
überhaupt nichts zu tun. Und du wirfst Sascha Unprofessionalität
vor und benimmst dich selber total unprofessionell. Wenn dir der Job
hier nicht paßt, dann sag’s der Agentur und laß dich woanders hin
vermitteln.“, sagt Gloria, was Sache ist.
Ramona
schluckt kurz und ich denke schon, sie hat’s kapiert und die Arbeit
kann weitergehen.
Aber
sie holt nur Luft und keift weiter: „Ich unprofessionell? Guck dich
doch mal um! Wir modeln im Hinterhof unter freiem Himmel, wo ständig
diese Oma rumwackelt und dumm rumkichert. Der Top-Designer läßt
eine Frau auf die Kunden los, die besser bei Woolworth die Übergrößen
sortieren sollte und …“
„Hey
…“, machen Sascha und Gloria gleichzeitig, aber weiter kommen sie
nicht.
Ich
stehe schon vor Ramona. „Raus.“
Sie
sieht mich trotzig an.
„RAUS!!!“
Mit
eingeschnappter Miene verschwindet sie Richtung Umkleidekabinen und
ist wenige Minuten später zur Ladentür raus.
„Juri
…“, beginnt Martha beschwichtigend.
„Alles
okay.“, meine ich ruhig. „Gloria, bemühst du dich bitte um
Ersatz? Danke. Zur Not nehmen wir Finchen.“
Martha
sieht mich verdutzt an. Ich glaube, sie wundert sich über meinen
raschen Stimmungswandel. Aber ich sehe keinen Grund, mich weiter
aufzuregen, wo dieses arrogante Weib doch schon verschwunden ist.
„Und
du nimmst dir das auch nicht weiter zu Herzen, mh?“, mahne ich sie.
„Iwo.
Was interessiert mich das unqualifizierte Geschwätz dieser
Schnepfe?“ Martha macht eine wegwischende Handbewegung.
Wir
lernen eine Menge voneinander, Martha und ich. Ich mehr Gelassenheit
und Kontrolle über meine Gefühle. Und Martha mehr Selbstsicherheit
und ein dickeres Fell.
Kapitel
12
Einen
Ersatz für Ramona zu finden, erweist sich als nicht so einfach. Die
Agentur bemüht sich nach Kräften, uns zufriedenzustellen. Sie
entschuldigen sich auch für das unprofessionelle Verhalten ihres
Models. „Sie wissen ja, wie das ist – wenn ich so wenig essen
würde, wäre ich auch schlecht gelaunt und reizbar.“, scherzt die
Dame am Telefon. Ich hab zwar absolut kein Verständnis dafür, wenn
meine Frau beleidigt wird, aber so für sich genommen finde ich die
Bemerkung auch ganz witzig. Ich habe ja selber die Erfahrung gemacht,
daß es echt preisgünstig ist, so ein Model zum Essen einzuladen.
Zwischenzeitlich
versucht Sascha Denise zu überreden, aber die lacht ihn nur aus.
„Hey,
das ist nicht so schwer, versuch’s doch mal.“
„Nicht
so schwer? Du läßt wieder die Schultern hängen.“, kritisiere
ich.
„Ja
ja, Meister.“, grinst Sascha mich an, bemüht sich aber um Haltung.
Denise
grinst auch. „Verpaß dem ruhig mal ‚nen kleinen Dämpfer, sonst
hebt er noch ab.“
„Ich
mach doch ‚ne steile Karriere – vom Hausmeister zum Top-Model. …
Ehrlich, Leute? Auf Dauer wär das nichts für mich. So
rumzustolzieren ist nicht mein Ding. Es ist ganz witzig, das mal zu
machen, aber …“
Ich
verstehe ihn absolut. Mich würde erst gar keiner auf den Laufsteg
kriegen.
„Dabei
hast du echt Talent.“, meine ich.
„Mag
sein. Ich bin aber trotzdem ganz zufrieden, daß das nicht mein
Haupt-Job ist. Wenn ich Denise nicht hätte, könnte ich den
Model-Job ja wenigstens nutzen, um mir ein paar nette Dates an Land
zu ziehen …“
„Du
kannst flirten, soviel du willst, aber packst du eine an …“
Denise funkelt ihn an und es ist nicht zu übersehen, daß Sascha
sich davon angemacht fühlt.
„Du
weißt genau, daß ich kein bisschen auf diese halben Portionen
stehe.“
Die
beiden vertiefen sich in einen innigen Kuß.
Der
Ersatz für Ramona heißt Karin. Sie hat noch nicht viel Erfahrung,
aber Gloria steht ihr als Vollprofi zur Seite. Mit Sascha versteht
sie sich gut und so hoffe ich, daß nun alles glatt geht.
Der
Fashion-Day ist in zwei Wochen.
Martha
bittet mich darum, ihr doch ein paar nette Sachen für den Alltag zu
designen, die sie auch im Geschäft tragen kann.
„Ich
würde gerne Sachen von dir tragen, aber für den Alltag ist so
extravagantes Zeug einfach nichts. Das darf ja gerne ein bisschen
Pfiff haben, aber ich will nicht, daß die Kunden den Eindruck haben
…“
„ … daß
du sie verführen willst?“ Ich sehe ihr tief in die Augen und ziehe
sie dicht an mich.
„Genau.“,
meint sie und macht sich lachend wieder von mir los.
„Hey!“,
meine ich enttäuscht. Sie hat mich nicht mal geküßt. Oder sich
küssen lassen.
„Alter,
im Ernst: Mit den Sachen, in die du mich steckst, würd‘ ich auch
nicht auf der Straße rumlaufen.“, lacht Sascha.
„Was
willste denn damit sagen? Daß du dich damit lächerlich machst, oder
wie?“
„Jungs,
kein Streit!“, mahnt Martha.
Ich
will mich gar nicht streiten.
„Ich
will einfach nicht begafft werden. Und mit den Klamotten wird man
halt angeglotzt wie ein bunter Hund.“
„Auffallen
muß doch nichts Negatives sein.“, meine ich ruhig. „Meine Sachen
haben alle eine Aussage. Wozu soll die gut sein, wenn sie keiner
bemerkt?“
„Alter,
was du mit deinen Klamotten sagen willst … dazu brauchen normale
Typen auf der Straße aber erstmal ‚ne Übersetzung, um das zu
verstehen.“
„Wer’s
nicht kapiert, dem kann ich auch nicht helfen.“ Ich zucke mit den
Schultern.
„Aber
kannst du deine Aussage nicht ein klein wenig dezenter anbringen?“,
fragt Martha sanft.
„Wie
denn? Wie das Kleingedruckte auf ‚ner Pillenschachtel oder was?“
„Ach,
Juri!“ Martha nimmt meinen Kopf in ihre Hände und küßt mich
zärtlich. Endlich, denke ich.
„Ich
werd‘ drüber nachdenken.“, verspreche ich.
Tatsächlich
grüble ich diese Nacht lange darüber nach.
Eigentlich
sagen meine Entwürfe für Martha schon genug aus – daß sich
nämlich eine Frau mit ihrer Figur wahrlich nicht verstecken muß. Es
ist unnötig, sie noch mit irgendwelchen Extravaganzen in Szene zu
setzen.
Aber
es fällt mir schwer, schlicht zu denken. Immer schon war meine Mode
anders. Ich wollte nie machen, was alle machen.
Ein
erster neuer Entwurf sieht aus wie aus Rebeccas Hand.
Das
bin nicht ich.
Immer
mehr Entwürfe entstehen und mit jedem werde ich frustrierter.
Weil
ich es nicht schaffe, Marthas Wunsch nach tragbarer Alltagskleidung
und meinen eigenen Stil unter einen Hut zu bringen.
Entweder
es ist juri-like und zu ausgefallen, als daß Martha es tragen würde
oder aber ich erkenne mich selbst nicht mehr in meinen Entwürfen.
Als
der Morgen anbricht, bin ich tierisch gefrustet.
Ich
versuche gar nicht erst, das vor Martha zu verbergen.
Wenn
ich eins gelernt habe, dann, daß eine Beziehung gerade dafür da
ist, daß man unangenehme Dinge nicht mehr mit sich allein abmachen
muß.
Und
tatsächlich habe ich mich bisher auch immer ein Stück besser
gefühlt, wenn ich mit Martha geredet habe.
Ich
sehe ihr also in die Augen, wundere mich nicht darüber, daß sie
mich besorgt ansieht, weil sie natürlich sofort merkt, daß was
nicht stimmt … und schütte mich aus, erkläre mein Dilemma.
Martha
schweigt danach eine ganze Weile; ich sehe, sie denkt nach.
„Juri
… vielleicht mußt du, müssen wir das einfach so akzeptieren. Du
bist ein eigenwilliger Typ und der Alltag, das Normale ist einfach
nicht dein Ding. Ich hätte das bedenken müssen, bevor ich dich
gefragt habe, ob du mir nicht was ganz Normales, Hübsches machen
kannst. Es kann nicht gutgehen, wenn du dich verbiegst, deine Mode
zurechtbiegst. Das will ich auch gar nicht. Du bist was Besonderes.
Und deine besonderen Modelle trage ich dann eben nur zu besonderen
Anlässen. … Also … zwing dich nicht zu etwas, was nicht du
bist.“
Ich
seufze tief, fühle mich auf so wunderbare Weise verstanden.
Ich
küsse sie lange und innig und will dann aus dem Bett springen, all
die Entwürfe wegwerfen, die mein wahres Ich verleugnen und dafür
wieder den guten, alten Juri zu Papier bringen.
Aber
Martha zieht mich zurück ins Bett. Anscheinend möchte sie auch den
wahren, echten Juri erleben …
Ich
fluche dezent vor mich hin.
Nicht,
daß ich mir die Selbstständigkeit einfach vorgestellt hätte. Ich
bin ja schon mal für mich allein herumgekrebselt.
Aber
manchmal nervt dieser ganze Kleinscheiß einfach.
Daß
ich Martha brav die Quittungen gebe für alles, was ich so für’s
Geschäft kaufe, daran habe ich mich inzwischen gewöhnt.
Aber
früher bei LCL, da habe ich einfach gesagt, was ich will, was ich
brauche und hab’s bekommen.
Nun
heißt es rechnen, schauen, ob man’s irgendwo günstiger bekommen
kann.
Martha
ist auch manchmal genervt, steckt das alles aber gelassener weg.
Sie
ist aber auch nicht so ahnungslos wie ich. Ich hatte zum Beispiel
keine Ahnung, wie sauteuer solche Schutzüberzüge für die Modelle
sind.
Zum
Glück hat Sascha günstig einen Kleinbus organisiert, damit meine
Modelle in ihren sauteuren Schutzüberzügen hängen können.
Sascha
fragt grinsend, was nicht knittern darf – meine Modelle oder die
teuren Überzüge. Ich wäre ihm fast ins Gesicht gesprungen.
Drei
Tage vor unserer Abreise – Gloria und Karin werden fliegen, damit
sie frisch und ausgeruht sind, Sascha und ich werden uns beim
Busfahren abwechseln, Martha kommt natürlich mit, während Denise
die Stellung im Laden hält – ruft Dana an.
Allerdings
nicht, um mit Martha zu plaudern.
Nein,
Ricardo, der Arzt, will mit mir über meine Therapie reden.
Er
rät mir ab, mich gleich in einer Klinik anzumelden, da ich ja
anscheinend fähig sei, meinen Alltag auf normale Art und Weise zu
meistern.
Ja,
wenn ich nicht grade meinen besten Freund abknallen will, läuft es
ganz gut.
Sarkasmus
beiseite – es stimmt schon, ich sitze nicht als zitterndes Häufchen
Elend rum, unfähig, das Haus zu verlassen.
Außer
jemand strickt Topflappen oder sowas.
Ich
sage Ricardo ganz offen, daß ich Schiß habe, die Kontrolle zu
verlieren, wenn mich unverhofft wieder irgendwas an meine
Vergangenheit erinnert.
„Ich
hätte schon einmal beinahe einen schweren, unverzeihlichen Fehler
begangen. Und es darf einfach nie wieder passieren, daß ich mit
meinem unverarbeiteten Trauma andere gefährde.“
Es
scheint, als ob der Ernst meiner Worte bei Ricardo ankommt.
Er
nennt mir eine Kollegin hier in Berlin, die auf Trauma-Patienten
spezialisiert ist; mit ihr solle ich reden und die würde mir dann
schon sagen, welche Therapieform für mich geeignet ist.
Nicht
für Wochen in eine Klinik zu müssen … der Gedanke ist angenehm.
Ich bin bereit dazu, aber wenn das nicht nötig ist, soll mir das
sehr recht sein.
Aber
nun geht es erstmal auf die Münchner Fashion-Show.
Die
erste Modenschau, die ich – und Martha natürlich – nicht im
Namen eines großen Modekonzerns beschicke, sondern wo wir uns selbst
präsentieren.
Die
Fahrt ist lang, der Bus alt und laut. Aber immerhin hält er durch.
Eigentlich
sollte wenigstens Martha ein wenig schlafen, aber sie ist zu
hibbelig.
Als
Sascha mich beim Fahren ablöst, kuschle ich mich mit Martha auf der
Rückbank zusammen und bringe sie dazu, wenigstens für eine Weile
Augen und Schnabel geschlossen zu halten. Sie schmiegt sich an mich
und ich spüre, wie sie sich entspannt. Das ist so schön.
Wir
sind nachts gefahren, so sind wir gut durchgekommen. Wir beschließen,
erstmal gut zu essen und dann bis nachmittags zu schlafen.
Nicht,
ohne uns vorher zu versichern, daß mit Gloria und Karin alles in
Ordnung ist. Aber die beiden sind schon da, wohlauf und guter Dinge.
Wir
verabreden uns für drei Uhr in Moschs Modehaus für Fitting und
Probe.
Mosch
selbst hat auch schon angerufen; er ginge davon aus, daß Martha und
ich uns der Presse für einige Fragen stellen würden.
Martha
sagt gleich zu und meint, als sie mein wenig begeistertes Gesicht
sieht: „Früher hast du das Rebecca oder Tanja überlassen können,
das geht jetzt nicht mehr. Und überhaupt … bist du nicht stolz auf
Korolok, willst du nicht zeigen, daß du sowas wie LCL nicht
brauchst?“
Sie
hat ja Recht. Für einen Moment wünsche ich mir einen eigenen
Pressesprecher. Nee, ‚ne Sprecherin. Und finde mich dann selbst
albern.
Martha
hat uns dasselbe Hotel gebucht, in dem wir damals logiert haben.
Als
wir feststellen, daß man uns gerade jenes Zimmer gegeben hat
… sehen wir uns an und prusten los.
Wir
stellen nur rasch unsere Sachen ab und dann ziehe ich Martha auf’s
Bett, beuge mich über sie.
„Weißt
du noch?“, frage ich und grinse vielsagend.
„Daß
ich fast ‚nen Herzstillstand hatte, als ich nichts Böses ahnend
aus dem Bad kam und du da halbnackt gelegen hast? Klar weiß ich das
noch!“
„Du
warst in deiner Verlegenheit soooo süß!“
„Und
du warst ja soooo rücksichtsvoll und hast mich gaaar nicht mit
meiner Verliebtheit aufgezogen.“, schimpft sie und piekt mich in
die Rippen.
„Sorry,
Süße, aber ich konnte nicht widerstehen. Du hast dich so niedlich
empört.“
„Du
hast mich ‚Luder‘ genannt und mir unterstellt, ich wollte über
dich herfallen.“
„Hättest
du das denn nicht gerne gemacht?“, frage ich lachend und hindere
sie erstmal am Antworten, indem ich sie zärtlich küsse.
„Das
spielt doch gar keine Rolle.“, schimpft sie anschließend weiter.
„Fakt ist, du wußtest genau, daß ich in dich verliebt bin und
hast es mir extra schwer gemacht.“
„Sorry.
Ich wollte dich nur aus der Reserve locken, dich nicht in Bedrängnis
bringen. War nicht böse gemeint.“
„Weiß
ich doch. Aber der Knaller war echt, wie du das mit deiner Unterhose
sagtest und …“
„ … du
vor Schreck fast aus dem Bett gefallen bist.“, lache ich.
„Ich
weiß heute noch nicht, wie ich es geschafft habe, doch noch
einzuschlafen. Und natürlich …“
„Was?“
„Ach,
das war sooo peinlich!“
„Was
denn?“ Sie macht mich tierisch neugierig.
„Na
ja … ist ja deine Schuld, daß ich einen ziemlich erotischen Traum
hatte. Und gerade als es am schönsten war, knall ich aus dem Bett
und dir vor die Füße. Und du grinst mich an und fragst auch noch,
ob ich ‚ne wilde Nacht gehabt hätte. Und ich fasel was von einem
riesigen Schnittmusterbogen und hatte das saudumme Gefühl, daß du
genau wußtest, was Sache war.“
„Au
weia!“
Wir
lachen gemeinsam.
„Ach
Süße, du hattest es echt nicht leicht mit mir.“
„Nee,
echt nicht. Und dann hast du mich nicht mal frühstücken lassen.“
„Stimmt.
Aber ich hatte es eben so eilig, deine Ratschläge in die Tat
umzusetzen.“
„Hab
ich dann später auch kapiert.“
„Hast
du eigentlich dein Sex-Bomb-Shirt mit?“
„Klar.“,
grinst sie.
Wir
zelebrieren ein kleines Ritual und haben viel Spaß dabei.
Anschließend
schlafen wir zusammengekuschelt, bis der Wecker klingelt.
Auch
Sascha, Gloria und Karin sind pünktlich vor Ort.
Mosch
schleimt sich gleich bei den Ladies ein, aber das kenne ich ja schon.
An
Martha prallt das eh ab und Gloria ist zu sehr Profi, um sich von
seinem Gesülze einlullen zu lassen.
Beim
Fitting bin ich kurz davor, Sascha eine reinzuhauen, weil er ständig
albern rumkichert.
Martha
mahnt mich zur Ruhe und weist mich darauf hin, daß ich sicher so
angespannt bin, weil es die erste große Präsentation unter meinem
neuen Namen Korolok ist.
Da
könnte sie Recht haben. Ich bin in der Tat nervös.
Und
begreife, daß Sascha das wohl auch ist. Sein erster Auftritt vor
Publikum und er weiß, was für mich auf dem Spiel steht.
Nun
tut es mir leid, daß ich so aggressiv reagiert habe.
„Sorry,
Alter.“, meine ich zu ihm.
„Schon
gut, alles okay.“
Sonst
klappt aber alles.
Bis
Mosch kommt.
Und
Martha fragt, ob ich schon neue Ideen in petto hätte.
Frei
heraus erzählt sie ihm von meiner neuen Linie für „ganz normale
Frauen“; sie ist ein wenig verlegen, weil sie es ja ist, die mich
dazu inspiriert hat.
Mosch
wendet sich gleich an mich.
„Herr
Adam, das ist … interessant.“
Junge,
ich durchschau dich.
„Ich
bin sicher, das wird sich gut verkaufen lassen.“
Laß
es raus, da kommt noch was.
„Aber
ich kann Ihnen nur raten, diese Sachen unter einem anderen Label und
nicht unter ihrem eigenen Namen zu vermarkten.“
Nun
kommen wir der Sache näher.
„Das
wäre einfach nicht gut … für den Ruf, den Sie haben.“
Mein
Puls beschleunigt sich, Ärger kocht in mir hoch. Ich weiß genau,
worauf er hinaus will.
„Und
niemand will sowas auf dem Laufsteg sehen.“
„Sowas?“,
frage ich betont.
„Frauen
mit solchen … Proportionen.“
„Ihnen
ist klar, daß sie gerade meine Frau und Geschäftspartnerin
beleidigen?“, sage ich ruhig, während sich meine Fäuste ballen.
Dieses
widerliche Arschloch!
„Herr
Adam, denken Sie doch realistisch! Es ist doch gar nichts dagegen
einzuwenden, wenn sich … nennen wir es doch einfach beim Namen …
molligere Frauen modisch kleiden. Aber sowas gehört nicht auf den
Laufsteg und …“
„Und
warum soll ich diese Mode nicht unter meinem eigenen Namen
rausbringen? Soll mir das etwa peinlich sein?“, frage ich bereits
deutlich lauter als zuvor.
„Ich
rede von Ihren Kunden. Die Frauen, die auf Ihre extravaganten Modelle
stehen, könnten sich von dem Umstand, daß Sie auch Mode für
Mollige machen, vergraulen lassen.“
„DAS
IST MIR SCHEISSEGAL!“
„Juri!!!“
Martha packt mich am Arm.
„Herrgott,
Adam, seien Sie doch nicht so uneinsichtig. Können Sie sich das
wirklich erlauben, daß Ihnen ein ganzer Kundenstamm wegbricht?“
Ich
bin kurz davor, alles hinzuschmeißen und abzuhauen. Aber ich sage
mir selbst, daß ich mir damit keinen Gefallen tue. Und Martha auch
nicht. Es ist unser Laden, unsere Existenz.
„Ich
nehme an, für Sie ist es schlicht ausgeschlossen, daß Sie Ihren
Namen beschmutzen, indem Sie meine Kollektion für … Mollige
einkaufen?“, meine ich, wieder ruhig, aber mit bissigem Unterton.
„Nun
…“
„Herr
Mosch, haben Sie überhaupt schon mal einige Entwürfe aus Juris
neuer Kollektion gesehen? Sie möchten doch sicher wissen, worüber
Sie reden?“
Ich
bewundere Martha für ihre Ruhe und Gelassenheit, wo sie es doch ist,
die hier runtergemacht wird.
„Ich
… äh … dann zeigen Sie doch mal her.“ Mosch ist sein Unwillen
deutlich anzumerken.
Doch
erhellt sich sein Gesicht, als er Marthas liebevoll gestaltete
Präsentationsmappe durchblättert.
„Wie
ich sehe, bleiben Sie auch hier Ihrem Stil treu.“
„Ich
muß mich nicht verbiegen, um Mode für Frauen wie Martha zu
designen.“
Von
dem gescheiterten Versuch, Alltagstaugliches zu designen, erwähne
ich nichts.
„Hm
… ich schlage vor, Sie bereiten eine Präsentation vor. Ich muß
ein bisschen mehr sehen als nur diese Entwürfe.“
„Wir
wollen uns so bald wie möglich um passende Models bemühen.“,
wirft Martha ein.
„Meine
Liebe! Sie wollen doch nicht …“
Ich
stehe auf. „Das Gespräch ist beendet. Wir haben noch zu tun.“
Martha
protestiert, als ich sie am Arm packe und energisch mit mir ziehe.
„Hast
du nicht gemerkt, daß der schon wieder drauf und dran war, dich zu
beleidigen?“, frage ich aufgebracht.
„Meinst
du nicht, daß ich da drüberstehe? Ich habe nicht vorgehabt, mir von
ihm was vorschreiben zu lassen. Natürlich nehmen wir die Models, die
wir wollen und nicht solche, die Mosch anmachen. Wenn er nur
auf Hungerhaken steht, ist das seine Sache. Er weiß ja nicht, was
ihm da entgeht.“, grinst sie.
Ich
sehe Martha an, sie lächelt mir zu, selbstbewußt und wunderschön.
Wir
küssen uns lang und innig.
Kapitel
13
Bevor
es mit der Show losgeht, müssen wir noch den lästigen Pressetermin
hinter uns bringen.
Martha
versucht mich aufzumuntern. Ich sehe die Notwendigkeit ja ein, aber
das ändert nichts daran, daß ich absolut keinen Bock auf diese
Ausfragerei habe. Und ich kann das schlecht Martha allein machen
lassen, da es schließlich meine Sachen sind, die erstmals unter
meinem neuen Namen präsentiert werden. Fair wäre es außerdem
nicht, denn auch Martha reißt sich nicht um diesen Presserummel; sie
steht nun mal nicht so gern im Mittelpunkt.
Mosch
dagegen blüht vor den Kameras richtig auf und produziert sich wie
ein Pfau. Mir wird schon vom Zuhören fast schlecht.
Mit
schleimigen Worten kündigt er Martha und mich und unsere neuen
Kollektionen an.
Ich
weiß, ich trage eine steinerne Miene zur Schau. Meine Schutzwand,
die mir hilft, das alles nicht so an mich ranzulassen.
Natürlich
kommt die Frage auf, warum ich nicht mehr für LCL arbeite.
„Seit
da ein neuer Wind von Seiten der Geschäftsführung weht, stimmt die
Harmonie einfach nicht mehr.“, antworte ich. Martha hat mir das
eingeflüstert; sie wußte, daß diese Frage kommen würde.
„Und
warum ‚Korolok‘ und nicht weiter ‚Juri Adam‘?“
„Wenn
man schon neu anfängt, dann richtig.“ Sollen die sich doch selbst
zusammenreimen, was es damit auf sich hat. Oder die Lahnsteins
fragen.
Ich
beantworte noch ein paar Fragen zum Stil meiner neuen Kollektion,
dann ist Martha an der Reihe, die sich sehr souverän gibt. Ich
beobachte sie; sie hat wieder rote Wangen vor Eifer und ich merke,
daß ich anfange zu lächeln.
Und
dann haben wir es hinter uns und können uns nun voll auf die Show
konzentrieren, die gleich beginnen wird.
Mosch
kündigt Marthas und meine Kollektion mit großen, schön tönenden
Worten an; freilich nicht nur unsere, sondern jede, die im Rahmen der
Show präsentiert wird.
Nun,
wo es losgeht, werde auch ich wieder zum Profi. Zu einem chaotischen,
aber immerhin. Und Martha ist ja da, perfekt wie immer.
Sie
schminkt Sascha, der nicht mehr kichert, aber ziemlich bleich ist und
schon mindestens drei Mal mit Denise telefoniert hat. Ich hoffe, er
findet auf dem Laufsteg sein Selbstvertrauen wieder.
„Bleib
locker, Sascha. Stell dir vor, du bist bei uns im Hinterhof und
Denise und Finchen sind die einzigen Zuschauer. Der Scheinwerfer
wegen wirst du das Publikum eh kaum sehen, also denk einfach, da ist
keiner.“ Martha ist im Ermutigen besser als ich; ich versuch das
gar nicht erst.
Ich
lege letzte Hand an das Modell, das er trägt und nicke ihm nur zu.
Er versteht auch so, daß ich weiß, daß er sein Bestes geben wird.
Gloria
ist die Ruhe selbst und hilft Karin, die auch ein wenig nervös ist,
aber nicht so blaß wie Sascha.
Und
dann geht es los! Das Rumgewackel auf dem Laufsteg hat mich nie
wirklich interessiert und da ich außerdem ziemlich eigen bin, was
den Sitz meiner Modelle angeht, ist mein Platz hinter dem Vorhang, wo
ich penibel kontrolliere, ob alles so ist, wie ich es haben will.
Ich
will da auch diesmal keine Ausnahme machen, aber Martha nötigt mich,
durch einen Spalt im Vorhang zu schauen, wie Sascha sich macht. Der
Schminke und des Scheinwerferlichtes sei Dank sieht man nichts von
seiner Blässe und wie es scheint, hat er soviel Fassung bewahrt,
zumindest zum Schein souverän und selbstbewußt über den Laufsteg
zu stelzen.
Martha
ist anscheinend ziemlich stolz auf unseren Freund, sie strahlt,
stupst mich in die Seite und fragt immer wieder: „Ist er nicht
klasse? Macht er das nicht prima?“ und so fort. Beinahe werde ich
eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit, die er von ihr bekommt.
Sascha
hat Schweißtropfen auf der Stirn, als er wieder nach hinten kommt,
zum Kleiderwechsel.
„Leute,
das ist echt Horror! Hätt‘ ich nicht gedacht, daß es so
anstrengend und nervenzerfetzend sein kann, auf so ‚nem Steg
rumzueiern.“
„Du
hast das prima gemacht; kein Mensch würde glauben, daß du sowas zum
ersten Mal machst.“
Ich
räuspere mich aus Versehen zu laut und Martha schenkt mir einen
mahnenden Blick.
„Selbst
Juri würde da oben nicht besser aussehen.“
Meine
Augenbrauen wandern nach oben. Doch Martha läßt sich nicht
einschüchtern.
„Mal
ehrlich – du würdest ein Gesicht machen wie drei Tage Regenwetter
und die Leute im Nu vergraulen.“
Nun
muß ich grinsen und Sascha auch.
Beim
nächsten Walk ist er schon nicht mehr so nervös.
Und
dann ist es überstanden. Unsere Models erhalten viel Applaus, Martha
strahlt noch mehr und ich muß zugeben, daß auch ich ganz zufrieden
mit unserem Erfolg bin.
Nach
der Show gibt es die übliche Party, auf die ich wie immer wenig Lust
habe. Es muß aber sein, da uns potentielle Einkäufer kontaktieren
könnten. Zwar ist die hier gezeigte Kollektion schon an Mosch
verkauft, aber Martha mahnt mich, daß ich ein wenig weiter voraus
denken müsse.
Und
tatsächlich knüpft sie ein paar interessante Kontakte. Mit Martha
an meiner Seite ist das alles auch gar nicht so schlimm, da sie das
Reden für mich übernimmt und ich nur hie und da etwas einwerfen muß
und ansonsten nur nicken oder den Kopf schütteln.
Sascha
verkrümelt sich bald, er ist fertig und will pennen. Nicht, ohne
vorher noch ein ausgiebiges Gutenachtgespräch mit Denise zu führen,
natürlich. Sie hat schon bei Martha angebimmelt, weil sie wissen
wollte, wie es, äh, er war.
Gloria
und Karin stürzen sich ins Partygetümmel und lassen es sich
gutgehen. Haben sie auch verdient, meint Martha.
Ich
erblicke Mosch, der mit einem Glas Champagner durch die Gegend
schwänzelt und auf seine üblich-schmierige Art diverse Models
anmacht. Es muß sein Einfluß in der Modewelt sein, daß die ihm
nicht vor die Füße kotzen. Ich wüßte jedenfalls nicht, weshalb
irgendeine Frau auf ihn abfahren sollte. Er ist keine Schönheit und
…
„Boah,
Moschs Charme ist echt zum Abgewöhnen.“, meint Martha, die
offenbar gerade ähnliche Gedanken hat. „Ich bin echt froh, daß
ich nicht sein Typ bin.“, kichert sie.
„Aber
meiner.“, sage ich und ziehe sie dicht an mich, um sie zu küssen.
Als
anzunehmen ist, daß alle interessierten Einkäufer uns ihre
Aufwartung gemacht haben, verdünnisieren auch Martha und ich uns ins
Hotel.
Marthas
Sexbomb-Shirt läßt kurz erotische Gedanken bei mir aufkommen, aber
eigentlich bin auch ich zu müde für was anderes als Kuscheln.
Morgen früh, Süße, da bist du fällig, denke ich noch, dann
bin ich weg …
Am
nächsten Morgen lasse ich Martha nicht mal ganz wach werden, so viel
Lust habe ich auf sie.
Ich
streichle und küsse ihren Nacken und genieße es, wie sie wohlig
meinen Namen seufzt.
Ich
ziehe sie ganz fest an mich und als sie ihren süßen Arsch an meiner
Morgenlatte reibt, ist es um meine vornehme Zurückhaltung geschehen.
Das macht mich einfach zu sehr an.
Unwirsch
vor mich hin brummend zwinge ich den Teil meines Hirns, der nicht
nach unten gerutscht ist, dazu, mich nach Kondomen suchen zu lassen.
Was sein muß, muß sein. Aber es ist einfach lästig, auf dem Weg
ins Ziel aufgehalten zu werden.
„Juri-Schatz,
suchst du sowas hier?“, kichert Martha und reicht mir ein Gummi.
„Mhh.“,
brumme ich.
„Als
ob ich nicht gewußt hätte, was heute Morgen passiert.“, kichert
sie weiter.
Irgendwie
macht mich das noch mehr an.
Ich
beuge mich über sie, drücke sie in die Kissen und sehe ihr tief in
die Augen. „Du gehörst mir, du kleines süßes Luder!“ Meine
Stimme klingt rauh; ich weiß, sie steht drauf, wenn ich vor Lust
schon halb heiser bin.
Prompt
werden ihre Augen zu kleinen Schlitzen und sie küßt mich in einer
Weise, daß mir fast die Luft wegbleibt.
Und
sie macht mich so heiß damit, daß ich ihr den Verstand aus dem Leib
vögeln möchte. Und meinen gleich mit.
Aber
ich versuche mich zu beherrschen, sonst ist der Spaß zu schnell
vorbei. Mein Durchhaltevermögen läßt morgens eh zu wünschen
übrig.
Aber
Mann hat ja schließlich noch Hände und eine flinke Zunge.
Und
so sind wir schließlich beide mehr als zufrieden mit dem Beginn
dieses Tages. Zumal es noch eine kleine zärtliche Fortsetzung unter
der warmen Dusche gibt.
Ich
liebe diese Frau!
Sascha
ist wieder fit und sitzt schon beim Frühstück. Mit Denise am Ohr.
Gloria
und Karin halten wohl noch ihren Schönheitsschlaf. Aber ihr Rückflug
geht ja auch erst gegen Mittag.
Wir
dagegen wollen uns gleich auf die Heimreise machen.
„Ah,
noch mehr Frühaufsteher! Wie schön!“
War
mein Frühstücksei nicht gut oder liegt es doch an Mosch, daß mir
auf einmal schlecht ist?
Er
küßt Martha die Hand; sie sieht mich kurz an und ich weiß, sie
würde sich am liebsten die Hand mit der Serviette abputzen.
„Und?
Sind Sie mit Ihrem Erfolg zufrieden, Herr Adam?“
Da
ich grade kaue, bin ich einer verbalen Antwort entbunden und nicke
nur.
„Und
Sie … Herr …“, wendet er sich an Sascha.
„Vukovic.“
„Ah,
Migrationshintergrund, wie Herr Adam, nicht?“
Du
bewegst dich auf dünnem Eis, du Arsch!
„Yep.“,
meint Sascha kurzangebunden und frühstückt ruhig weiter.
„Sie
arbeiten noch nicht lange als Model, nicht?“
„Er
steht exclusiv bei uns unter Vertrag und wir sind sehr zufrieden mit
ihm.“, schaltet Martha sich ein.
„Na,
was Sie anfassen, kann ja nur zu Gold werden, meine Gnädigste.“
Ich
muß schnell meinen Bissen runterschlucken, sonst rutscht mir was
raus und das würde nicht das Brötchen sein.
Aber
ich fasse mich rasch und meine „Sascha paßt perfekt zu meinem Stil
und er hat die richtige Ausstrahlung.“
Mosch
zieht die Augenbrauen hoch, als ob er anderer Meinung sei, aber das
ist uns wurscht.
In
dem Augenblick tauchen zwei Models auf und wir sind nicht mehr
interessant genug. Bevor er abschwirrt, meint er noch: „Denken Sie
bitte an die Präsentation für … Sie wissen schon. Gute
Heimreise!“ Wieder knutscht er Marthas Hand, aber dann sind wir
endlich von ihm erlöst.
„Laß
uns schnell abhauen.“, meine ich.
„Gute
Idee.“ Martha und Sascha springen auch auf.
Schnell
sind die Sachen in den Bus gepackt und ab geht’s nach Hause!
Kapitel
14
Die
Fahrt über sind wir guter Laune.
Martha
äfft Mosch in einer derart perfekt-widerlichen Art nach, daß Sascha
sich den Bauch hält vor Lachen. Gut, daß ich fahre und nicht er.
Aber lachen muß ich auch.
„Ich
weiß, es ist nicht nett, sich über einen wichtigen Geschäftspartner
lustig zu machen.“, kichert Martha.
„Aber
der Typ fordert’s doch raus.“, meint Sascha.
Die
beiden plaudern munter, während ich meinen Gedanken nachhänge.
Mosch
will meine künftige Kollektion für normalfigürliche Frauen an den
üblichen überschlanken Models sehen, Martha und ich wollen das aber
nicht.
Ich
bin so gar nicht der Typ für Kompromisse, bevor ich nachgebe,
schmeiße ich lieber alles hin. Aber das wird Martha nicht zulassen.
Und das ist auch gut so. Ich weiß ja, ich bin nun nicht mehr für
mich allein verantwortlich. Was ich geschäftlich in den Sand setze,
betrifft auch Martha.
Wie
sehr sind wir auf Mosch angewiesen? Können wir es uns leisten, ihn
zu übergehen?
Ich
will nicht, daß wir von ihm und seiner Gunst abhängig sind, der
Gedanke widerstrebt mir zutiefst.
„Gut,
daß Sascha eingepennt ist, so langsam krieg ich ‚nen steifen Hals
vom Nachhintenquatschen.“, meint Martha leise.
Damit
reißt sie mich aus meinen Gedanken.
„Hättst
dich doch nach hinten zu ihm setzen können.“
„Och
nö.“ Dabei legt sie ihre Hand sanft streichelnd auf meinen
Oberschenkel.
Ich
seufze zufrieden und weiß nicht, ob ich mir wünschen soll, daß sie
es dabei beläßt.
Sie
beugt sich kurz zu mir herüber, küßt mich auf die Wange und meint
grinsend: „Hat nichts zu bedeuten.“
„Ja
ja.“, grinse ich zurück und hätte jetzt wirklich nicht übel
Lust, sie wie damals auf die Motorhaube zu drücken und sie spüren
zu lassen, wie sehr ich sie will. Allerdings wäre das mit der
Motorhaube bei dem Bus hier schwierig.
Wieder
seufze ich und spreche das Thema Mosch an.
„Wir
dürfen uns nicht von ihm abhängig machen.“, meint Martha
bestimmt. „Ja, er hat Einfluß auf die Modewelt, aber er ist nicht
ihr Nabel. … Wenn wir zurück sind, frage ich mal bei einigen
Versandhausfirmen nach, wo die die Models für ihre Kataloge
hernehmen. Wenn es keine Agentur gibt, die auch etwas fülligere
Models vermitteln, dann casten wir eben selber welche!“
Ich
liebe es, wenn Martha sich so temperamentvoll engagiert.
Nach
dem Mittagessen tausche ich mit Sascha und Martha und ich kuscheln
uns auf der Rückbank zusammen.
„Keine
Schweinereien dahinten, bitte.“, mahnt Sascha, als Martha und ich
in einem innigen Kuß versinken und meine Hände sanft streichelnd
unter ihre Bluse wandern.
„Seit
wann bist du so prüde?“, frage ich, während ich Martha weiter
zärtlich streichle.
„Spinnst
du? Ich hab nur keine Lust, daß ihr mir die Zähne lang macht,
während ich noch Stunden warten muß …“
„Bis
du Denise endlich vernaschen darfst. Aaarmer Sascha!“, lacht
Martha.
„Wir
haben schon mehr als die Hälfte der Strecke hinter uns. Die
zweieinhalb Stunden wirst du auch noch überleben. Hättst ja heute
Morgen noch Druck ablassen können.“, meine ich.
„Hat
nicht viel gebracht.“
„Das
ist Pech. Kannst es ja auf dem nächsten Lokus nochmal versuchen.“
„Boah,
Alter, auf so ‚nem siffigen Pissoir? So notgeil kann ich gar nicht
sein.“
„Denk
an Mosch. Das bringt dich runter.“, schlage ich vor.
Martha
prustet los. „Juri!!!“
„Na,
ist doch wahr. Sich diesen schleimigen Sack nackt vorzustellen ist
besser als jede kalte Dusche.“
„Alter,
jetzt wirst du eklig.“ Sascha schüttelt sich.
„Scheint
aber doch was gebracht zu haben.“, meine ich.
„Stimmt.“
Sascha
ist wieder cool und Martha und ich können weiter kuscheln und ein
bisschen zärtlich sein.
Zuhause
angekommen werden wir schon ungeduldig erwartet.
Während
Sascha und Denise sich leidenschaftlich und ausgiebig begrüßen,
fragt Finchen: „Und? Habt ihr so richtig abgesahnt mit Juris heißen
Fummeln?“
Finchen
eben.
„Oh,
Juris Kollektion war ein voller Erfolg, die hätten wir noch locker
mehrmals verkaufen können. Allerdings hielt Mosch – du weißt ja,
wer das ist – wenig von Juris Idee, Mode für Frauen wie mich zu
designen und die auch von Frauen wie mir präsentieren zu lassen.“,
erzählt Martha sogleich.
„Ach,
der steht nur auf so spindeldürre Kleiderstangen, ja? Ihr laßt euch
aber von so einem nicht reinreden, oder? Soweit kommt’s ja noch!“
Finchen tippt sich unmißverständlich mit dem Finger an die Stirn.
Ich
muß grinsen, Martha auch.
„Nein,
nein, wir entscheiden natürlich selber, welche Models wir wollen. Es
wäre nur unklug, Mosch absichtlich zu verärgern. Wir müssen da
schon etwas diplomatisch vorgehen.“
Weil
Sascha und Denise gerade fertig sind mit Knutschen und anfangen, den
Bus auszuladen, entferne ich mich aus dieser Unterhaltung.
Juri
Adam und Diplomatie ist ein Widerspruch in sich. Ich bin sicher,
hinter meinem Rücken rollt Martha die Augen gen Himmel.
Finchen
und Denise haben gekocht und so klingt der Tag sehr angenehm für uns
aus.
Martha
erzählt munter drauflos, unterstützt von Sascha, der tatsächlich
rot wird, als Martha seinen Auftritt auf dem Laufsteg lobt.
„Ich
finde auch, das sah ganz professionell aus.“, meint Denise.
„Woher
…? Du hast mich doch gar nicht …“
Denise
grinst. „Internet?“
„Boah,
echt? Ich bin im Internet zu sehen?“
„Komm,
ich zeig’s dir.“
Bis
auf mich springen alle auf, sogar Finchen wackelt hinterher.
Ich
widme mich lieber dem köstlichen Nudelauflauf; wenn gleich nichts
mehr da ist, sind sie selbst schuld.
Martha
findet meinen Appetit aber nachrangig. „Och, Juri, guck doch mal!
Das ist immerhin dein bester Freund, der hier zu sehen ist.“
Ja,
und? Ich hab ihn doch live gesehen.
Seufzend
stehe ich auf und tue Martha zuliebe so, als würde mich Saschas
Internetauftritt mehr interessieren als der Auflauf.
„Machst
dich echt nicht schlecht, Junge.“, lobt Finchen.
„Daß
du dir vor Lampenfieber fast in die Hose gepißt hast, sieht man auch
fast gar nicht.“
„Juri!!!“
„Er
hat ja Recht. Ich hatte echt total Schiß.“
„Du
hast das gut gemacht. Kein Anfänger hätte es besser machen können.“
Das muß nun auch mal gesagt werden.
„Danke,
Mann.“
„Ich
muß mich ja ein bisschen bei dir einschleimen, sonst machst du das
doch nie wieder. Ich brauch dich aber.“
„Keine
Sorge, ich laß dich nicht hängen. Aber über die Kohle müssen wir
noch mal reden.“, grinst Sascha.
Ich
sehe ihn mit hochgezogenen Brauen an. „Mußt du mit Martha reden.
Die kann dir sagen, ob wir uns so ‚nen Mega-Star wie dich leisten
können.“
„Wenn
deine neue Moppel-Kollektion ein Renner wird, bestimmt.“
„Meine
was?“
Martha
lacht nur. Das ist so typisch für sie - über sich selbst und ihre
Figur Witze zu machen.
Trotzdem
fangen Sascha und ich zeitgleich an, ihr zu widersprechen. „Du …“
„Stop,
Jungs! Das war Spaß! … Also der Moppel … nicht die Kollektion …“
Weil
Finchen darauf besteht, den Abwasch alleine zu machen, unternehmen
wir zwei Paare einen Verdauungsspaziergang in den nahen Park.
Denise
und Sascha laufen eng aneinandergeschmiegt vor uns her.
„Süß,
die beiden, hm?“, meint Martha.
„Du
bist süß.“, hauche ich ihr ins Ohr.
„Du
auch.“
Ich,
süß? Wenn sie meint. Ich bin alles, was sie will, Hauptsache, es
macht sie an.
Als
unsere Freunde stehenbleiben, um sich zu küssen, lasse ich mich ins
Gras sinken und ziehe Martha zu mir runter.
„Ey,
das gibt Flecken auf meiner Bluse!“
„Schhht.“
Ich lege ihr zwei Finger auf die Lippen, streichle zärtlich darüber.
Sie
seufzt und ich bin sicher, die Flecken sind ihr jetzt sowas von egal
…
Am
nächsten Tag macht sich Martha engagiert an die Model-Suche, während
ich draußen herumlaufe, mich bewege und inspirieren lasse.
Die
neue Kollektion ist eine echte Herausforderung, weil mein bisheriger
Stil nicht so recht zu Martha paßt.
Keinen
Kompromiß kann und will ich bei meinen Stoffen eingehen, weil die
Verwendung von erneuerbarem Material für mich eine zentrale
Botschaft ist.
Und
Juri Adam und Blümchen oder irgendwelcher romantischer Firlefanz –
das geht einfach nicht.
Trotzdem
aber muß diese Kollektion etwas Weiches, Verspieltes an sich haben,
sonst paßt sie nicht zu Martha.
Die
wenigen Entwürfe, die Mosch gesehen hat, waren schon richtig. Aber
die dürfen ja keine Eintagsfliegen bleiben.
Ganz
abgesehen davon, daß die Modelle einer Kollektion zwar jedes für
sich einzigartig, aber insgesamt sozusagen aus einem Guß sein
müssen.
Ich
tue mich schwer damit und fluche herzhaft vor mich hin.
Aber
irgendwann macht es klick und ich weiß, daß das Weiche, Verspielte
einfach aus dem Schnitt kommen muß.
Anschmiegsamer
Stoff, weiche Linien … und weil Martha trotz aller Sanftheit weiß,
was sie will, müssen Akzente gesetzt werden, die zeigen, daß die
Trägerin des Modells trotz … nein, gerade wegen ihrer Rundungen
selbstbewußt ist.
Ich
sitze unter einem Baum und skizziere zwei, drei grobe Entwürfe.
Und
stelle fest, das ist es!
Die
Linie steht.
Ich
bin zuversichtlich, in der nächsten Zeit ebenso produktiv zu sein.
Vermutlich
ist es Moschs Ablehnung, die mich antreibt. Ich würd’s dem alten
Schleimer zu gerne zeigen …
Martha
liebt ja knallige Farben, während ich immer noch zu Schwarz
tendiere. Ich erinnere mich, daß Martha mal zu mir meinte, es würde
meinen Entwürfen gut tun, wenn es nicht immer so düster in meinem
Kopf wäre.
Nun,
düster ist es da nicht mehr, seit ich mit Martha zusammen bin. Also
muß es eher Gewohnheit sein, die mich immer noch zum Schwarzen
hinzieht.
Und
da kommen mir Farbverläufe in den Sinn. Wie damals bei dem Kleid für
das Shooting von der Rotfeld.
Schwarz
kombiniert mit kräftigen Farben!
Ich
teste es und es gefällt mir. Und Martha auch.
Josie
näht mir rasch zwei Exemplare.
Und
ich sehe mir an, wie sie an Martha wirken.
„Das
ist einfach … Hammer!“, meint sie begeistert und ich freue mich
riesig, daß sie ihr so gut gefallen.
„Stark.“,
meint auch Sascha. „Steht dir wahnsinnig gut.“
In
der Tat wirkt Martha in diesen Modellen sehr fraulich und auf eine
gewisse Weise auch provokant. Aber das so, daß es trotzdem zu Martha
paßt.
Es
könnte sogar Mosch gefallen, denn der Schnitt läßt Martha
schlanker erscheinen. Mir wäre das nicht wichtig, Martha ist richtig
so, wie sie ist.
Aber
meine Süße macht mich darauf aufmerksam, daß neunundneunzig
Prozent der potentiellen Kundinnen sehr wohl Wert darauf legen
werden, durch die Kleider schlanker zu wirken.
Ende
November sind wir soweit.
Martha
hat eine kleine Agentur gefunden, die mollige Models vermittelt.
Josie
und Martha haben gemeinsam genäht.
Denise
verhilft uns zu einer netten Fotografin, die von meiner neuen Linie
total begeistert ist und die Models in meinen Kleidern richtig gut in
Szene setzt.
Es
ist auch Denise, die die Präsentation gestaltet und das hat sie
richtig gut drauf.
Martha
hat ein diebisches Vergnügen daran, Mosch die Präsentation meiner neuen
„Moppel-Linie“ zu schicken und sich sein dummes Gesicht
vorzustellen.
„Diplomatisch,
ja?“, grinse ich.
„Och
…“, grinst Martha zurück.
Mosch
ist aber nicht der einzige, dem wir die Präsentation zukommen
lassen.
Martha
hat mit diversen Modehäusern Kontakte geknüpft und da waren doch
einige recht interessiert.
Als
der letzte Monat des Jahres anbricht, sehen wir alle eigentlich ganz
optimistisch in die Zukunft …
Kapitel
15
Mosch
hält sich bedeckt, aber Martha weiß Bescheid, was in der Modeszene
abgeht und deswegen kann er nicht vor uns geheim halten, daß meine
letzte Kollektion sich in seinen Boutiquen sehr gut verkauft.
Mit
dem, was er Martha und mir gezahlt hat, können wir eine zweite
Näherin einstellen, die wir auch dringend brauchen. Josie vermittelt
sie uns, sie heißt Janine.
Martha
hat es tatsächlich geschafft, daß zwei Modehäuser in Berlin meine
„Moppel-Kollektion“ verkaufen werden.
Da
meine Modelle in verschiedenen Größen angeboten werden sollen,
sitzen Martha, Josie und Janine mit Eifer an der Gradierung und den
Schnittmustern.
Ich
habe schlechte Laune.
Martha
weiß genau, weswegen.
„Mensch,
Juri, ich weiß doch, daß deine Modelle für dich einzigartig sind
und du nie Mode als Massenware machen wolltest. Aber wir können
nicht nur von Mosch alleine leben. Und du willst doch von dem alten
Schleimer auch nicht abhängig sein.“
Ich
stehe mit verschränkten Armen und verschlossener Miene vor ihr.
Sie
hat Recht. Ich weiß ja eigentlich, daß wir von dem Verkauf von
Einzelstücken nicht existieren können. Zumal Mosch ein knallharter
Geschäftsmann ist und seinen Profit gut im Auge hat. Was heißt, daß
er mir für meine Modelle längst nicht soviel zahlt, wie er in
seinen Edelboutiquen von den Kunden verlangt.
Aber
der Gedanke, daß meine Modelle, in denen mein ganzes Herzblut
steckt, nun als – wie Martha schon sagte – Massenware hergestellt
werden, ist schwer zu ertragen.
„Das
geht mir gegen den Strich.“, maule ich lahm. Ich gucke Martha böse
an und weiß doch, daß ich verloren habe.
„Du
mußt ja auch nicht vor Freude auf den Tischen tanzen. Aber sieh mal
… eine Menge Frauen wie ich wären glücklich, so tolle Sachen
tragen zu können, wie du sie designst. Diese Frauen gibt’s aber
nicht alle in Einheitsgröße und –breite.“
Martha
gestikuliert mit den Armen und redet mal wieder mit ganzem
Körpereinsatz.
Ich
merke, wie ich mich langsam aus meiner verkrampften Haltung löse.
„Gefällt
es dir denn gar nicht, daß eine Menge Frauen dank dir nicht mehr
verschüchtert in Kartoffelsäcken herumhuschen müssen, sondern auf
deine ganz besondere Art zeigen dürfen, daß sie trotz ein paar
Kilos mehr schön sind?“
Doch,
natürlich. Meine Mode soll ja etwas aussagen und das ist definitiv
eine verdammt gute, eine wahre Aussage.
Aber
…
„Juri,
die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering, daß man ein und
demselben Kleid von dir in drei verschiedenen Größen gleichzeitig
draußen begegnet.“
„Martha
… ich hab diese Modelle für dich geschaffen … sie sind besonders
und einzigartig. So wie du.“, sage ich leise.
Martha
legt mir die Arme um den Hals und küßt zärtlich mein
Schlüsselbein.
„Ich
weiß.“, sagt sie ebenso leise. „Paß auf, ich suche mir zwei
oder drei Favoriten raus und die bleiben Unikate. Aber mit den
anderen machen wir noch mehr Frauen glücklich, ja?“
Ich
kann ihr einfach nicht widerstehen. Ihren guten Argumenten
ebensowenig wie ihrem warmen Körper, den sie an mich schmiegt.
Wenige
Tage später erhalten die beiden Modehäuser die Schnittmuster und
alles, was sie brauchen, um die Fertigung selbst zu übernehmen.
Letztere würde unsere Kapazitäten übersteigen. Wir haben ja nur
zwei Näherinnen.
Martha
hat vereinbart, daß sie die Labels erst nach Abnahme durch uns
bekommen. Sie will sich jedes einzelne Stück ansehen, ob es auch
unserem Qualitätsanspruch genügt.
Zum
Glück ist es noch etwas bis dahin, denn meine Modelle sollen in die
Frühjahrskataloge.
Doch
Martha hat auch so keine Langeweile. Sie ist sogar ziemlich
beschäftigt.
Sonntag
ist nämlich der erste Advent, wie sie mir strahlend verkündet.
Ich
muß ein ziemlich verständnisloses Gesicht gemacht haben.
„Juri,
Advent! Vorweihnachtszeit!“ Sie strahlt immer noch.
Ich
zucke mit den Schultern, weil ich nicht weiß, wieso ich dem
besondere Bedeutung beimessen sollte.
Advent,
okay. Ich habe gesehen, wie Martha in unserer Küche einen dieser
bunten Kalender aufgehängt hat, hinter deren Türchen Schokolade
ist. Aber nicht groß drauf geachtet.
„Magst
du kein Weihnachten?“, fragt sie und ich meine, in ihren Augen
sowas wie Bedauern oder sogar Traurigkeit zu sehen.
„Ich
hab … mir nie … viel draus gemacht. … Das ist doch mehr was für
Kinder.“
„Och,
Juri, das stimmt doch nicht! So ein Quatsch! Weihnachten ist für die
Familie und …“ Sie verstummt. „Oh, sorry, ich wollte nicht …“
„Schon
gut.“
„Eben
für Menschen, die man liebt.“, fährt sie leise fort. „Es ist
doch die kalte Jahreszeit. Man rückt zusammen, kuschelt schön und
zeigt sich, daß man sich liebhat.“
Das
gefällt mir. Aber dazu braucht man doch kein Weihnachten und diesen
ganzen Zirkus.
„Denk
doch mal an die Kinder! Plätzchen backen, Strohsterne basten,
Weihnachtslieder singen … das ist einfach eine Zeit, wo man sich
mehr miteinander beschäftigt.“
Ja.
Schön. Ich hätte auch nichts gegen eine kleine Winterpause, um mich
Martha ausgiebig widmen zu können.
Und
der Gedanke, sich mit ihr vor einem echten Kaminfeuer einzukuscheln,
hat echt was.
Aber
ich verstehe immer noch nicht, warum man dazu sowas wie Weihnachten
braucht.
Martha
scheint meine Gedanken zu lesen.
„Es
ist einfach diese ganze Stimmung. Daheim, in Neuenkirchen, hat Mama
schon drei Wochen vor dem ersten Advent gebacken. Das ganze Haus hat
geduftet. Überall standen Tannenzweige in Vasen, oh, ich mochte den
harzigen Geruch so gerne! Ich mag diese amerikanische Art nicht,
dieses maßlose Übertreiben, alles mit Weihnachtsdeko zuzupflastern.
Das finde ich auch furchtbar. Genauso wie den ganzen Kommerz, die
Geschäftemacherei. Ich finde auch selbstgemachte Geschenke viel
schöner und persönlicher als alles Gekaufte. Und künstliche
Weihnachtsbäume sind ganz schrecklich. Dann lieber kein Baum als ein
Plastikbaum! … Aber …“ Sie verstummt. Sicher gebe ich ihr das
Gefühl, daß sie mich langweilt oder gar nervt. Und das tut mir
leid.
„Dann
zeig mir Weihnachten, so wie du es magst.“, sage ich leise.
„Ehrlich?
Ich … oh, Juri!“ Sie fällt mir um den Hals und ich drücke sie
fest an mich. Und begreife, daß es wirklich oft nicht viel braucht,
um einen Menschen glücklich zu machen.
Und
so finde ich mich am nächsten Tag nach Ladenschluß mit Martha beim
Einkauf für die Weihnachtsbäckerei wieder.
„Ah,
hier sind die Gewürze … hm, das duftet sogar aus den geschlossenen
Verpackungen raus.“
Martha
sieht süß aus, wenn sie ihre Nase kräuselt, um zu schnuppern.
Ich
stehe hinter ihr, streiche ihr sanft die Haare aus dem Nacken und
küsse sie dort ganz sachte.
Martha
atmet tief ein und lehnt sich an mich. Sicher hat sie die Augen
geschlossen.
„Riech
doch mal.“, meint sie.
„An
dir? Du riechst sehr appetitlich.“
„Blödmann.“,
sagt sie, aber es klingt sehr zärtlich.
„Doch,
das riecht schon sehr interessant. Würzig. Und das Süßliche, ist
das Vanille?“
„Ja,
die schwarzen Stangen hier in den Plastikröhrchen.“
„Nicht
grad billig.“
„Ich
weiß. Aber halt geschmacklich viel besser als normaler
Vanillezucker.“
Davon
verstehe ich nichts. Aber der Duft der Gewürze – Zimt, Muskat,
Koriander und wie sie alle heißen – inspiriert mich auf gewisse
Weise. Ich sehe warme Brauntöne vor mir und weiche, samtige Stoffe …
„Oh,
Spekulatiusgewürz … Mama hat immer Mandelspekulatius gemacht …“
Auch
Martha versinkt in Gedanken.
„So,
Haselnüsse, Mandeln … und deine geliebten Walnüsse.“ Sie küßt
mich zärtlich auf die Nasenspitze, bevor sie auch die Nüsse im
Einkaufswagen verstaut.
„Wollen
wir auch selber basteln? Also ein bisschen Deko?“
Ich
sehe Martha entsetzt an.
„Basteln?
Ich kann meine Stoffe auf’s Board tackern und mich selbst an ‚nem
Pelz festnähen … Martha, bitte! Ich mach ja alles für dich, auch
Kekse mit dir backen. Aber auch noch basteln?“
„Hm
ja, ist vielleicht keine so gute Idee. Ich sollte auch besser ‚nen
großen Bogen um so Sachen wie Kleber und so machen.“ Martha
kichert leise vor sich hin.
„Alsoooo
… wenn du dich bei den Weihnachtsvorbereitungen einsauen solltest …
ich ziehe dich gerne aus und mach dich wieder sauber.“, hauche ich
ihr ins Ohr und lasse meine Hände an ihren Rücken hinabgleiten.
„Daran
hab ich nicht den geringsten Zweifel.“, lacht sie und macht sich
von mir los.
Ich
ziehe eine Schnute.
„Hey,
du kommst sicher heute noch auf deine Kosten.“
Ich
bin ja sooo durchschaubar.
„Aber
Gestecke machen wir selbst!“
Also
kaufen wir Tannenzweige, Kerzen und so Bänder, aus denen Martha
Schleifen binden will.
„Kunstschnee
brauchen wir nicht, beim Backen bleibt bestimmt genug Puderzucker
übrig.“
„Willst
du auch einen Baum?“, frage ich.
„Ja,
ein Christbaum wär schon schön …“ Marthas Augen glänzen und
ich bin sicher, ihre Gedanken schweifen wieder nach Hause zu ihrer
Familie …
Dann
sind wir zuhause und packen unsere Einkäufe aus.
Martha
bindet sich eine Schürze um und legt los.
Ich
finde sie wieder mal so unwiderstehlich, wenn sie so voller Eifer ist
und spüre sehr deutlich, wie verliebt ich in sie bin.
Sie
hat ein altes Backbuch neben sich liegen, erklärt mir, was ich tun
soll und wuselt vor sich hin murmelnd hin und her.
Ich
stelle mich nicht gerade geschickt an, aber wir haben viel Spaß. Und
obwohl eigentlich ständig was schiefgeht, was wohl meine Schuld ist,
holt Martha bald schon die ersten Plätzchen aus dem Ofen.
Und
die duften wirklich lecker.
„Hey,
die sind doch noch heiß!“
Das
hab ich auch gerade gemerkt.
„Wenn
sie abgekühlt sind, kannst du sie verzieren. Ich mach schon mal den
nächsten Teig fertig.“
Oh,
fein, statt nur mit Mehl und Butter rumzuhantieren, läßt sie mich
auch noch an flüssige Schokolade ran.
„Du
bist so ein Ferkel!“, höre ich auch schon bald. „Da ist ja mehr
Schokolade auf dir als auf den Plätzchen.“
„Mal
kosten?“, flüstere ich ihr ins Ohr und ziehe sie dicht an mich.
„Junge,
du klebst!“, schimpft sie, küßt mich aber trotzdem zärtlich.
Ich
habe eine Idee.
„Haben
wir noch so eine Schürze?“
„Ja,
da in der Schublade ist noch eine.“
Martha
ist zu beschäftigt, um zu bemerken, daß ich kurz verschwinde.
Als
ich wiederkomme, beugt sie sich gerade hinunter, um die nächsten
Plätzchen aus dem Ofen zu holen.
„Mein
Gott, Juri!“ Fast wäre ihr das Blech aus den Händen gefallen.
Ich
habe nur die Schürze an.
„Ich
dachte mir, das ist so praktischer. Ich sau mir nicht die Klamotten
ein und neben dem Backofen ist mir eh ein bisschen zu warm.“
Ich
sehe ihr tief in die Augen.
„Was
ist mit dir?“
„Ich
bin kein so’n Ferkel wie du.“, weicht sie aus.
„Spielverderberin.
… Du weißt nicht, was dir entgeht.“
„Was
denn? Daß wir uns im Plätzchenteig wälzen?“, kichert sie.
„Zum
Beispiel. Dich zu vernaschen bekäme eine ganz besondere Bedeutung.“
„Juri,
du bist unmöglich!“
„Sieh
mir in die Augen und sag mir, daß dich das nicht anmacht. …
Siehste, kannste nich.“
„Okay,
ich zieh mich schnell um. Aber du läßt deine Pfoten vom Teig!“
Da
Verbotenes mich erst recht anzieht, nasche ich trotzdem.
Dann
lehne ich mich lasziv an den Küchentisch und warte auf Martha.
Man
sagt ja, daß manche Weihnachtsgewürze aphrodisierende Wirkung
hätten. Nicht, daß ich das bräuchte, schon gar nicht bei Martha.
Aber
sie riecht so gut, so süß …
Doch,
wir backen schon noch.
Aber
Martha, ihre weiche, warme Haut nur von einer Schürze bedeckt …
mhhhh …
Ich
hebe sie hoch, setze sie auf den Tisch und dränge mich
erwartungsvoll seufzend zwischen ihre Beine.
Und
es gefällt ihr, wie ich mich genüßlich tief in ihr versenke, meine
Hände sich in ihren Haaren vergraben …
Mir
dagegen gefällt es, wie sie mich anschließend sanft gegen den Tisch
drückt, mir mit einem Pinsel Schokolade auf den Bauch malt, um diese
dann wieder ganz zärtlich zu entfernen.
Eigentlich
ist es so, daß wir nun backen, um ein wenig zu verschnaufen und uns
neue Anregungen zu holen.
Wir
lachen viel, küssen uns immer wieder.
Wir
lernen allerdings auch, was man besser nicht macht.
Zum
Beispiel Schokolade in die feinen Härchen am Bauch kommen lassen.
Autsch, das ziept ganz schön.
Martha
lernt, daß es riskant sein kann, nur mit einer Schürze bekleidet
nachzusehen, ob die Plätzchen fertig sind.
Dafür,
daß meinetwegen die Backwaren zu gut durch sind, kassiere ich einen
saftigen, nein, doch eher zärtlichen Klaps auf den nackten Hintern.
„Strafe
muß sein, Bursche.“
„Also
wenn du meinst, daß das jetzt eine Strafe war …“, murmele ich
grinsend vor mich hin, wohl wissend, daß Martha an diesen erotischen
Spielchen genauso viel Spaß hat wie ich.
Am
Ende dieser Backorgie gleicht die Küche einem Schlachtfeld.
Martha
betrachtet mich. „Du siehst aus wie ein übergroßer Lebkuchenmann.
Da hast du Schokolade … und da … und sind das Mandeln da in
deinen Haaren?“ Martha prustet vor Lachen.
„Hast
mich nicht gründlich genug saubergemacht. Mach nochmal. Und dann
richtig.“
„Nee,
Schatz, wir zwei Schweinchen gehen jetzt in die Wanne.“
Auch
gut.
Und
so liegen wir bald darauf im warmen Wasser, Martha an mich gelehnt.
Nur
ein duftender Kranz mit Kerzen erleuchtet das Bad.
Und
ich denke, wir könnten zum zweiten Advent eigentlich wieder backen …