4330
Warum
muß sie es uns noch schwerer machen als es schon ist?
Als
ich heute Morgen zu LCL komme, steht Martha wie immer mit meinem
Kaffee da, fängt munter an, mir zu erzählen, sie habe meine
Entwürfe sortiert.
Ich
unterbreche sie, frage sie, ob wir nicht gestern etwas besprochen
hätten.
Ja,
doch. Aber sie hätte nicht gedacht, daß das ab sofort gelten würde.
Doch,
tut es.
Sie
meint, Kim wäre im Moment oft nicht da, weil sie ihren Vater im
Krankenhaus besucht und …
Wieder
unterbreche ich sie.
"Bis
dahin komme ich ohne Assistentin aus.", sage ich laut.
*******
In der Küchenecke stellt nun sie mich zur Rede.
Ich
sei unprofessionell. Wenn ich sie schon loswerden will, dann solle
ich wenigstens sagen, warum. Also den wahren Grund.
Ich
hätte mir denken können, daß sie Rebecca den Quatsch mit der
kreativen Weiterentwicklung nicht abkauft.
Sie
versteht nicht, warum ich immer so aggressiv werde, wenn man mich auf
meine Vergangenheit anspricht, warum ich immer so geheimnisvoll tue.
Sie
sagt, sie fände es schön, wenn man schon zusammen arbeiten würde,
daß man sich dann auch ein bisschen näher kommen könnte.
Genau
das ist es ja, was ich nicht will.
Laut
sage ich nur: "Wir arbeiten nicht mehr zusammen."
"Ja,
aber nur, weil ich versucht habe, dich zu verstehen und eine
Beziehung zu dir aufzubauen."
"Das
ist nicht dein Job. Ich brauche keine Assistentin, die zwischen
privat und beruflich nicht unterscheiden kann."
Sie geht, sicherlich verletzt, gekränkt. Ich weiß das. Und kann doch nicht anders.
Aus Frust über die Situation brülle ich die Kaffeemaschine an, ich finde den verdammten Knopf nicht.
Ich komme ja toll ohne meine Assistentin aus ...
Sie geht, sicherlich verletzt, gekränkt. Ich weiß das. Und kann doch nicht anders.
Aus Frust über die Situation brülle ich die Kaffeemaschine an, ich finde den verdammten Knopf nicht.
Ich komme ja toll ohne meine Assistentin aus ...
*******
Meiner neuen Assistentin Kim
muß ich gleich eine Ansage machen. Statt sich um meine Fotos zu
kümmern, lümmelt sie faul rum. Meine Fotos sind zum Teufel, die
ganze Arbeit umsonst. Ich könnte schreien.
Weder
hat diese Kim die Intelligenz mit Löffeln gefressen noch überschlägt
sie sich vor Arbeitseifer.
„Wenn
du nicht gefeuert werden willst, dann mach deine Arbeit und denk ein
bisschen mit, okay?“
Mein
Blick fällt auf Martha und obwohl ich sie kühl abfertige, bedauere
ich es zutiefst, daß sie mich zu dieser Entscheidung gezwungen hat.
*******
Kim
hat wirklich Null Ahnung von unserem Geschäft. Sie kann nicht mal
Stofffarben unterscheiden. Natürlich muß sie wieder los, mir die
richtige Farbe holen.
"Ein
Wunder, daß Dicky bei dem Gerenne nicht abgespeckt hat.",
murmelt sie im Weggehen. Ich höre es aber doch.
"Dicky
wär das nicht passiert."
Unverschämt
ist sie auch noch. Sollte sie Martha noch einmal beleidigen ...
4331
Rebecca
ist zusammengeklappt. Hörsturz. Sie hat sich selbst zu sehr unter
Druck gesetzt. Wollte es immer allen recht machen. Das kann nicht
funktionieren.
Martha
wirft mir vor, es könne nicht jeder so sein wie ich. So einen Panzer
haben.
Dann
meint sie, ich hätte gesagt, wir wären ein Team. Gesteht ein, daß
ich als Assistentin nehmen kann, wen immer ich will. Und wenn ich Kim
will, wäre das für sie auch okay. Aber vielleicht bräuchte sie
Hilfe.
Ich
ahne, worauf sie hinaus will. Sie will sich unentbehrlich machen,
damit ich sie wieder zurücknehme.
Um
zwölf käme Mosch, der die neuen Entwürfe sehen wolle und es sei
schon etwas spät. Sie könne mir helfen.
Ich
wußte es doch.
Ich
seufze, weil es mir lieber gewesen wäre, sie hätte mich nicht in so
eine Situation gebracht.
"Wir
sind kein Team.", sage ich und lasse sie wieder einmal stehen.
*******
Ich
sitze im No Limits und bin nicht gut drauf. Ich vermisse Martha trotz
allem. Ihre gewissenhafte, engagierte Arbeit. Ihre Tollpatschigkeit.
Sie zu necken, fehlt mir auch. Ich komme mir mies vor. Wie oft habe
ich sie über Privates ausgefragt. Über ihren imaginären Freund.
Aber wenn sie das tut, ist das nicht in Ordnung? Dabei ist sie nicht
etwa krankhaft neugierig, sie zeigt wirklich nur Anteilnahme.
Das
alles tut mir sehr leid. Aber ich kann einfach nicht anders.
Irgendwann
hockt sich Sascha neben mich.
„Du
warst heute gar nicht beim Training.“
Stimmt.
„Aber
du.“
Ich
bemerke einen Anstecker an seiner Sporttasche, der mit bekannt
vorkommt.
„Boksacki
Club Zagreb.“
„Kennst
du?“
Ich
nicke.
„Dann
bist du auch aus Zagreb?“
Ich
nicke bedeutungsschwer.
Er
winkt zu seinem leeren Sljivovic-Glas und mir ist klar – darauf
müssen wir anstoßen.
„Auf
die Heimat.“, meint er und erhebt sein Glas.
„Scheiße.“,
sage ich und meine 'ja, auf die Heimat'.
„Ich
hab meine halbe Kindheit in dem Club verbracht.“, erzählt er.
„Ich
auch.“
„Ich
hab während des Krieges Marijan Benes da trainieren sehen.“
„Benes?
… Benes …“. Erinnerungen kommen hoch. An glückliche Stunden,
die ich in diesem Club, beim Training und bei den Kämpfen meiner
Stars erlebt habe …
„Wann
bist du da abgehauen?“
„Zweiundneunzig.“
„Ich
ein paar Jahre später.“
Ich
lasse die Gläser neu füllen.
„Hast
du mal 'nen Kampf von Mavrovic gesehen?“
Was
für eine Frage! Jeder kennt Zeljko Mavrovic. Wir wären zu Fuß um
die halbe Welt gelaufen, um ihn kämpfen zu sehen.
„Willst
du mich verarschen?“, frage ich deshalb nur zurück.
„Mavrovic
war eine Naturgewalt. Champion aller Champions.“
Oh
ja.
„Auf
Mavrovic.“, sage ich.
Dann
erzählt er von sich. Daß er es mit Mannschaftssport versucht habe,
aber einfach kein Teamplayer sei. Er würde so dies und das machen,
nicht alles immer ganz legal, aber was solls.
Die
erste Flasche Sljivovic ist inzwischen leer.
Auf
einmal fragt er, ob ich ihm Geld leihen könne. Zweitausend. Ich sage
nein. Ich kenne den Typ kaum.
Danach
verabschiedet er sich. Keine Ahnung, ob er wirklich weg muß oder
einfach sauer ist.
Er
nestelt den Anstecker von seiner Tasche los.
„Hier,
Stück Heimat. Wenn es dir auch offensichtlich nicht mehr viel
bedeutet, weil du hast es ja geschafft. Da ist es leicht, zu
vergessen, woher man kommt.“
Er
läßt mich in einer seltsamen Stimmung zurück.
Aufgewühlt
von den Erinnerungen und aufgebracht wegen seiner Bemerkung.
Ich
habe nicht vergessen, woher ich komme.
*******
Ich
bin nicht mehr ganz nüchtern und in ziemlich sentimentaler Stimmung,
als Martha auftaucht. Sie reicht mir den Anstecker, der mir
runtergefallen ist.
„Hier,
dein Ding.“
Mit
ein wenig schwerer Zunge sage ich: „Das ist kein Ding. Das
ist das Abzeichen von 'Boksacki Club Zagreb'. Dem besten Boxclub der
Welt. In der schönsten Stadt der Welt.“
„Da
bist du geboren, oder?“
„Ja.
… Da bin ich geboren.“
Obwohl
ihre Heimatstadt nicht mal in einem anderen Land läge, wüßte sie,
was Heimweh bedeute.
„Ich
nicht.“, lüge ich sie an.
Und
wie um meine eigenen Worte Lügen zu strafen, stecke ich mir den Pin
an und gehe.
*******
Auf
dem Weg in den Boxclub schaue ich kurz bei LCL vorbei. Sage Kim, daß
sie sich um die Vorbereitungen für die Präsentation bei Mosch
kümmern soll.
Sie
weist mich darauf hin, das wäre in zwei Stunden.
Bis
dahin sei ich wieder da.
Ja,
wie, ich würde abhauen und sie im Stich lassen?
Da
hat sie einen wunden Punkt getroffen.
"Ich
lasse niemanden im Stich."
Bevor
ich gehe, werfe ich Martha einen kurzen Seitenblick zu.
Auf
sie hätte ich mich blind verlassen können.
Und
sie hätte mir nie einen solchen Spruch reingehauen.
*******
Ich
trainiere mit Sascha. Er entschuldigt sich, daß er mich angepumpt
hat.
Ich
habe auch was klarzustellen - daß ich nämlich nicht vergessen habe,
wo ich herkomme.
Plötzlich
kommen ein paar Typen rein, die offenbar zu Sascha wollen.
Sascha
schuldet ihnen anscheinend Geld.
Als
er ihnen nicht geben kann, was sie erwarten, droht es ungemütlich zu
werden.
Ich
versuche, zu vermitteln.
Aber
die Kerle schlagen sofort zu.
*******
Plötzlich
sind auch die Bullen da. Unsere Angreifer werden verhaftet.
Sascha
und ich leider auch. Wir scheinen den Bullen suspekt zu sein.
Vergeblich
versuche ich zu erklären, daß die auf uns losgegangen sind.
Aber
es hat keinen Zweck.
4332
Sascha
versucht, mich zu beruhigen, als man uns in eine Zelle gesperrt hat.
Ich bräuchte den Bullen doch nur meinen Arbeitsvertrag zu zeigen und
alles wäre in Ordnung.
Er
hat ja keine Ahnung. Er weiß nicht, daß ich wegen Körperverletzung
vorbestraft bin.
*******
Dann
kommt es, wie es kommen mußte. Sie lassen Sascha frei und mich
halten sie fest.
Mir
ist kalt.
Das
Licht der Lampe ist schrecklich grell.
Ich
kann nicht ruhig sitzen.
Ich
kann nicht liegen.
Auch
Umhergehen hilft nicht.
Die
kahlen, grauen Wände scheinen auf mich zuzukommen.
Ich
fühle mich eingesperrt. Ich bin eingesperrt.
Panik
kriecht in mir hoch.
Ich
breche in Schweiß aus.
Mein
Magen krampft, ich muß mich übergeben.
4333
Ich
habe keine Ahnung, wie lange ich schon hier bin. Stunden, Tage? Ich
habe jegliches Zeitgefühl verloren.
Ich
bemühe mich, nicht den Verstand zu verlieren, kämpfe immer noch
gegen die Panik an.
Ich
zittere.
Kalter
Schweiß steht mir auf der Stirn.
Mir
ist hundeelend.
Ich
versuche, mich abzulenken.
Denke
an Sascha, der mir das hier eingebrockt hat.
Der
hat tatsächlich die dreckige Lüge unserer Angreifer bestätigt, daß
ich sie angegriffen hätte. Die haben mich wegen Körperverletzung
angezeigt.
Sascha
ist echt ein mieses Schwein.
Und
das alles aus Rache, weil ich ihm kein Geld leihen wollte.
Der
Zorn auf ihn hilft mir, mich wieder ein wenig unter Kontrolle zu
bekommen.
*******
Sebastian
von Lahnstein, der Anwalt von LCL, sucht mich auf.
Er
wundert sich, warum man mich so lange festhält.
Und
daß ich noch keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis habe, wo ich
doch schon so lange in Deutschland lebe und arbeite.
Das
ganze Gespräch über winde ich mich wie ein Wurm, um am Schluß dann
doch Farbe bekennen zu müssen.
„Es
gab da mal … eine Situation.“
„Was
wird das hier? Ein Ratespiel?“, fragt er ebenso ungeduldig wie
ungehalten.
„Ist
schon 'n paar Jahre her. Eine Frau wurde angemacht und ich bin
dazwischengegangen.“
Ich
bereue nicht, was ich getan habe. Es war richtig. Und ich würde es
jederzeit wieder tun.
Der
Graf seufzt. „Sie sind also vorbestraft, ja?“ Er schätzt die
Lage gleich richtig ein.
Es
ist heute wie damals - ich versuche zu helfen und bin am Ende der
Gearschte.
Ich
nicke nur.
„Echt
gut. Großartig. Ganz großartig. Jetzt haben wir nämlich ein
richtiges Problem.“
Ich
weiß.
*******
Völlig
überraschend komme ich frei.
Sascha
hat seine Lüge zurückgezogen.
Draußen
treffe ich auf ihn. Ich hätte Bock, ihm eine reinzuhauen.
Aber
ich bin zu erleichtert, dieser Zelle entronnen zu sein und wieder
frische Luft atmen zu können.
Sascha
meint, ich dürfe mich für das alles bei meiner Assistentin
bedanken. Sie hätte ihn bewogen, seine Aussage zurückzuziehen, mich
da rauszuholen. Außerdem hätte sie seine Schulden bezahlt. Sie sei
Gold wert.
Kim?
Das
hätte ich ihr gar nicht zugetraut, daß sie sich so für mich
einsetzt.
Habe
ich sie falsch eingeschätzt?
*******
Bevor
ich zu LCL gehe, hole ich eine Flasche Schampus. Damit will ich mich
bei Kim bedanken.
Ich
treffe sie auf der Treppe, schwenke sie vor Freude durch die Luft,
küsse sie auf die Wange. Sie hat mir das Leben gerettet, ohne sie
hätte ich das alles hier verloren.
Martha,
die am Fuß der Treppe stand, habe ich völlig ignoriert.
4334
Kim
erklärt mir, daß Tanja von Lahnstein mich sprechen will. Zu der
hatte ich eh gewollt. Wegen der Präsentation bei Mosch, die ich nun
leider versäumt habe.
Ich
ahne schon, was ich zu hören bekommen werde.
Und
sie macht mir auch gleich unmißverständlich klar, daß es sie einen
Scheiß interessiert, warum ich verhaftet wurde.
Ihr
geht es nur um die Kohle, die LCL verliert, wenn der Deal mit Mosch
platzt.
„Machen
wir einen neuen Termin.“, sage ich. Sollte doch kein Problem sein.
„Wird
nicht nötig sein.“
Wie
bitte? Was soll das denn heißen?
„Der
Vertrag ist trotzdem zustande gekommen. Sie können sich bei Martha
Wolf bedanken.“
„Martha?“
Was hat sie denn damit zu tun?
„Martha
hat die Entwürfe aus dem Gedächtnis nachgezeichnet. Und zum Glück
konnte sie die Chef-Einkäuferin überzeugen. Ich hab die kleine
Näherin wohl unterschätzt.“
Ich
bin verwirrt. Und irgendwie unangenehm berührt.
Martha
hat mir den Arsch gerettet? Wieder einmal?
„Sie
hatten 'n ganz gutes Gespür, als Sie sie zu Ihrer Assistentin
gemacht haben.“
Ich
weiß nicht, was ich darauf erwidern soll.
„Also,
ich finde, sie kann Sie ziemlich gut vertreten, falls Sie mal wieder
im Gefängnis landen, oder ...“
„Nein,
nein, ich hab jemand Neues, Kim … die ist gut genug für mich.“,
unterbreche ich sie, weil ich nicht über Martha sprechen möchte.
Es
ist mir extrem unangenehm.
Ich
weiß, daß mich meine hastig gewählten Worte verraten. Und nein,
ich bin überhaupt nicht glücklich damit, Martha gegen Kim
eingetauscht zu haben.
Martha
fehlt überall.
Aber
ich habe keine andere Wahl.
„Tauschen
Sie sie wieder.“
„Nein.
Noch was?“
Und
da sie nichts weiter sagt, gehe ich.
Mit
ist klar, daß sie mich für nicht ganz dicht halten muß. Aber das
ist mir egal.
Erklären,
warum ich eine derart fähige, talentierte Assistentin wie Martha
nicht will, kann ich schließlich nicht.
*******
Ich
arbeite an neuen Entwürfen und bemühe mich, nicht zu Martha zu
sehen, die nur einen Meter entfernt an Rebeccas Tisch steht.
Mein
schlechtes Gewissen drückt mich.
Kim
labert mich voll.
Über
die Präsentation und daß Marthas Kritzleien zum Glück nicht alles
verdorben hätten.
Ich
sollte ihr diese Frechheit nicht durchgehen lassen, aber ich will
einfach nicht darüber nachdenken, daß Martha mir geholfen hat. Ich
wünschte, sie hätte das nicht getan.
Aber
es war ja Kim, die mich aus dem Knast geholt hat.
Irgendwie
werde ich schon mit ihr klarkommen.
Auch
wenn sie nicht wie Martha intuitiv fühlt, was ich als nächstes tun
will und ich ihr deshalb ganz klare Anweisungen geben muß, damit ich
bekomme, was ich will.
So
zum Beispiel, als das Telefon klingelt und ich sie extra auffordern
muß, ranzugehen.
„Sascha
… irgendwas mit 'itsch' im Nachnamen – was soll ich ihm
ausrichten?“
Moment
…
Ich
halte in meiner Arbeit inne.
Wieso
kennt sie Sascha nicht? Sie hat doch …
Ich
ahne etwas …
„Du
kennst Sascha nicht?“, frage ich Kim und hoffe, das ist nur ein
Mißverständnis.
Sie
schüttelt den Kopf.
Ich
greife mir das Handy, um selbst mit Sascha zu sprechen.
„Sascha
… sag mal, welche Assistentin hat mir eigentlich den Arsch
gerettet?“
Martha,
so eine echt toughe Blonde, sagt er.
Ich
sehe Kim an … wie konnte sie nur so tun, als wäre es ihr
Verdienst, mich gerettet zu haben?
Sie
schaut betreten aus der Wäsche; ihr ist klar, daß ihr falsches
Spiel aufgeflogen ist.
Ich
sollte ihr dafür in den Arsch treten, sie feuern, aber mich
überfallen grad weit unangenehmere Gedanken ...
Ein
einziger, kleiner Moment im Leben und ich erkenne, was für ein
selten dämliches Arschloch ich bin …
*******
Ich
Vollidiot! Wie kann man nur SOO dämlich sein? Ich könnte mit dem
Kopf vor die Wand schlagen!
Wie
konnte ich auch nur einen Augenblick lang annehmen, Kim hätte mich
gerettet? Diese Schnarchnase und ihren Hintern für mich in Bewegung
setzen? Den Kaffee kalt werden lassen, um was für mich zu tun? Haha!
Ich möchte mich ohrfeigen für diese Blödheit.
Es
gibt nur einen Menschen, dem ich so wichtig bin, daß er Himmel und
Hölle in Bewegung setzen würde, um mir aus dem Schlamassel zu
helfen.
Martha.
Ich
fühle mich getroffen. Unangenehm berührt.
Ich
habe sie abserviert. War sehr abweisend zu ihr. Nur weil ich Angst
vor ihr habe.
Und
ausgerechnet sie ist es, die alles tut, um mir zu helfen. Ihr
Erspartes hat sie für mich gegeben. Und ich bin es nicht mal wert.
Nicht nachdem ich sie so mies behandelt, ihr so wehgetan habe.
Ich
müßte zu ihr gehen. Mich bedanken. Mich entschuldigen.
Aber ich habe keine Ahnung, wie ich ihr noch in die Augen sehen soll, so wie ich mich für mein schäbiges Verhalten schäme.
Aber ich habe keine Ahnung, wie ich ihr noch in die Augen sehen soll, so wie ich mich für mein schäbiges Verhalten schäme.
*******
Ich
treffe sie im Waschraum.
Und
ich feige Sau stelle mich einfach ans Waschbecken, wasche meine Hände
sprichwörtlich in Unschuld und lasse sie beinahe gehen, ohne die
Schnauze aufzukriegen.
Im
letzten Moment überwinde ich mich.
„Ich
glaube, ich sollte … ich meine, ich wollte … mich bei dir
bedanken.“
Was
für ein ärmliches Gestammel.
„Das
mit der Präsentation hab ich gern gemacht, wirklich.“
Ich
weiß. Du tust alles für mich. Und ich habe es nicht verdient.
„Nicht
wegen der Präsentation. Also auch. … Nein, ich mein' eher die
Sache mit der Polizei.“
Feige
bleibe ich mit dem Rücken zu ihr stehen, weil ich mich schäme, ihr
in die Augen zu sehen.
„Ich
hab das erst grade erfahren, daß du Sascha die Schulden bezahlt hast
und daß du ihn zur Polizei geschleppt hast.“
Nun
drehe ich mich doch zu ihr um.
„Also
… danke.“ Ich strecke ihr die Hand entgegen. „Danke.“,
wiederhole ich und drücke ihre Hand fest.
Ich
könnte mir selbst eine reinhauen.
Kim
habe ich umarmt und geküßt. Und was bekommt Martha von mir? Einen
unverbindlichen Händedruck.
Und
das nur, weil ich weiß, was sie für mich empfindet? Weil ich Angst
vor ihrer Nähe habe?
Sie
rettet meine Existenz und ich schaffe es nicht einmal, ihr zuliebe
über meinen Schatten zu springen?
„Bitte.“
sagt sie und es ist kaum zu überhören, wie enttäuscht sie von mir
ist.
„Ja,
also, wie...wieviel hast du ihm gegeben?“
„Was?“
„Zweitausend?“
Ich
wühle in meinen Hosentaschen nach Geld, drücke ihr in die Hände,
was ich habe.
Und
fühle mich beschissen dabei.
Weil
ich kaum leugnen kann, daß ich mich freikaufen will, ihr nichts
schuldig bleiben möchte.
Um
mir einreden zu können, daß es keinen Grund gibt, wieder mit ihr
zusammenzuarbeiten.
Mit
einem „Den Rest hole ich dir gleich. … Danke!“ fliehe ich aus
ihrer Nähe.
*******
Ich
stehe noch nicht lange an meinem Tisch und bemühe mich, mit Arbeit
gegen mein schlechtes Gewissen anzukämpfen, als Martha vor mir
steht.
Und
mir das Geld hinpfeffert.
„Da
hast du dein doofes Geld.“
„Ich
hol den Rest.“, sage ich.
„Nein.
Das … ist eine Sache zwischen Sascha und mir. Du hast mir das doch
nur gegeben, weil du mich auf Abstand halten willst.“
Es
ist mir mehr als unangenehm, daß sie das so genau erkennt.
„Wie
bitte?“, tue ich so, als wüßte ich nicht, was sie meint.
„Das
ist so armselig.“
Auch
das stimmt.
„Du
gibst mir Geld, damit ich dir nicht zunahe komme.“
Ich
kann es ihr gegenüber nicht zugeben. Und mir gegenüber kann ich es
nicht leugnen.
„Aber
soll ich dir mal was sagen? Ich hab mich nicht für dich eingesetzt,
weil ich in dich verliebt bin oder so. Sondern weil du meine Hilfe
gebraucht hast.“
Ich
weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ich schäme mich vor ihr.
„Ganz
im Gegenteil zu Kim, der du vollkommen am Arsch vorbeigehst, versteh
ich dich. Aber Mister Lonesome-Designer will ja einfach mal nicht
zugeben, daß er ohne mich komplett aufgeschmissen wäre!“
Es
stimmt. Ich weiß nicht, was ich ohne sie gemacht hätte. Verlegen
will ich mich abwenden.
„Ich
bin noch nicht fertig!“, hält Martha mich zurück.
„Du
hast einfach eine Scheiß-Angst, daß irgendjemand dir hinter deine
coole Fassade schauen kann und sieht, wer du wirklich bist. Dabei
weiß ich das doch längst.“
Da
irrt sie sich. Sie hat keine Ahnung, wer Juri Adam wirklich ist. Was
sich in seiner dunklen Vergangenheit verbirgt.
Sie
kann sich kreativ in mich reindenken, aber was ich ansonsten denke
und fühle, was wirklich in mir vorgeht, davon hat sie keine Ahnung.
„Du
weißt nichts von mir.“ Und das ist auch besser so. Es würde
dir nicht gefallen.
„Wenn
du dich da mal nicht täuschst.“, sagt sie und läßt mich stehen.
Und
ihre letzte Bemerkung stürzt mich in unangenehme Grübeleien.
Unterschätze
ich ihr Einfühlungsvermögen vielleicht?
Weiß
sie wirklich, daß ich verletzlicher bin, als ich scheine ...
*******
Während
ich grüble, werfe ich einen Blick auf die Entwürfe, die sie
nachgezeichnet hat.
Es
ist unglaublich! Mein Blick hängt an den Zeichnungen, meine Hand
greift nach meinen Originalen, um sie mit Marthas Arbeiten zu
vergleichen.
Die
Formen, die Farben, alle Details … als ob sie in meinem Kopf
gewesen wäre. Sie fühlt sich so intensiv ein …
Mir
schießen ihre Worte durch den Kopf … daß sie längst wüßte, wer
ich wirklich bin.
Wenn
du dich da mal nichts täuschst …
Diese
eine Bemerkung geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
Ist
es wirklich so unerträglich für mich, daß sie weiß, daß ich
nicht der harte Kerl bin, für den ich mich ausgebe?
Ich
weiß, daß ich ihr vertrauen kann.
Ihre
Zuverlässigkeit, ihre absolut perfekte Arbeit, unser harmonisches
Zusammenarbeiten, das ohne viele Worte auskommt, ihr Verständnis,
ihre Intuition für meine Arbeit … ist es das alles nicht wert, daß
ich versuche, meine Angst in den Griff zu bekommen?
Es
fällt mir wahrlich nicht leicht, aber ich treffe eine Entscheidung.
Ich
will Martha zurück.
Ich
will wieder mit ihr zusammenarbeiten.
Trotz
der Tatsache, daß sie hinter meine 'coole Fassade' geschaut, einen
Blick auf den wahren Juri erhascht hat.
*******
Ich
finde sie im No Limits.
Sie
schlürft gerade die Reste ihres Shakes aus. Und offenbar ist es ihr
peinlich, daß ich plötzlich neben ihr stehe.
„Gott,
mußt du dir eigentlich immer solche Momente aussuchen, um plötzlich
aus dem Nichts neben mir zu stehen? … Okay, wenn du mich feuern
willst … ich erinnere nur daran – ich arbeite nicht mehr für
dich.“
Ach,
sie befürchtet Ärger, weil sie mir die Meinung gegeigt hat?
Das
hatte ich verdient.
„Du
hast dir meine Entwürfe ziemlich genau angeschaut.“
Ja,
ich hab mir vorher gut überlegt, wie ich sie zurückholen kann, ohne
mich selber zu sehr bloßzustellen.
„Ja.
Aber nur kurz.“
„Ich
würde sagen, du hast sie en detail nachgezeichnet.“
„Zufall.
Ich hab auch mal sowas wie 'nen guten Tag.“
„Nein. Ich
durchschau dich. Du weißt, wie ich denke. Das macht mir Angst.“
Das
zuzugeben, war die größte Herausforderung. Es hat mich Überwindung
gekostet, aber es mußte sein.
„Aber
ich stell dich trotzdem wieder ein.“
„Was?“
Sie
scheint ihren Ohren nicht zu trauen.
„Ist
das ein Problem?“
Ich
hoffe nicht. Wäre ja möglich, daß sie die Schnauze voll von mir
hat.
Ich
grinse sie an, um meine Gefühle nicht ganz so offenzulegen.
„Und
Kim?“
Ich
winke ab. „Mach dir doch um Kim keine Sorgen.“ Wen kümmert
dieses hinterhältige Gör?
Sie
scheint überlegen zu müssen.
„Na?“,
frage ich und sehe sie auffordernd an.
Sie
überlegt immer noch.
„Hast
du nicht noch was vergessen?“
Scheiße.
Ich hätte wissen müssen, daß sie mich nicht so einfach aus der
Nummer rausläßt.
Ich
seufze tief, fahre mir verlegen mit den Händen durch die Haare.
„Entschuldigung
für … alles … und danke … auch für alles.“
Ich
weiß, es klingt dürftig, aber ich sehe ihr in die Augen und hoffe,
sie merkt, daß es mir mit diesen Worten ernst ist.
Sie
nickt. Das scheint zu bedeuten, daß sie es nochmal mit mir versuchen
will.
„Also?“,
fordere ich sie auf, mich als meine Assistentin zu begleiten.
*******
Gemeinsam
räumen wir ihre Sachen um.
Kims
Kram schubse ich einfach in eine Kiste.
Ich
grinse ihr zu; sie lächelt mich an und scheint zufrieden zu sein.
„Wie
ist es eigentlich zu deiner Vorstrafe gekommen?“, fragt sie
unvermittelt.
Juri,
reiß dich jetzt zusammen!
Und
so antworte ich etwas verlegen, aber ruhig: „Äh, das war keine
große Sache. Eine Frau ist schlecht behandelt worden und ich hab
mich eingemischt. … Ja, ich bin ausgerastet.“
Ich
habe das Gefühl, daß Martha meinen scheinbaren Hang zur
Gewalttätigkeit nicht gut findet.
Deshalb
will ich mich erklären.
„Wenn
jemand schlecht behandelt wird, dann … dann hält mich nichts mehr.
Eigentlich bin ich ein friedlicher Mensch.“
Ich
sehe ihr in die Augen und sie mir.
Und
dann lächelt sie. Ist sie froh, sich nicht in mir getäuscht zu
haben?
Ich
bin erleichtert und ich glaube, ich lächle nun auch.
4335
Als
ich am nächsten Tag zu LCL komme, rauscht Kim gleich auf mich zu.
Empört
sich, daß irgendjemand ihre Sachen in 'ne Kiste geworfen und bei
Rebecca auf den Tisch gestellt habe. Und das könne ja nur Martha
gewesen sein und sie könnte es voll verstehen, daß ich mit der
nicht mehr arbeiten möchte.
Ich
unterbreche sie und sage ihr, daß sie mich absichtlich in dem
Glauben gelassen hat, sie habe mich aus dem Knast geholt. Daß ihr
Haß auf Martha wegen der Bettgeschichte mit Emilio sie dazu bringe,
Martha derart an die Karre zu pissen, das ginge gar nicht. Und
deshalb wäre sie als meine Assistentin nicht geeignet.
„Ich
kann nicht mit jemandem arbeiten, dem ich nicht traue, das verstehst
du. Und das Ganze gilt jetzt ab sofort.“
Und
dann lasse ich sie stehen.
4336
Ich
bin wirklich froh, Martha wieder zu haben. Sie hat meine Arbeiten
sortiert und eine Vorauswahl getroffen und das ganz so, wie ich es
selbst gemacht hätte.
Während
ich überlege, was noch geändert werden sollte, kommt ein Anruf.
Ich
höre nicht wirklich hin - wozu habe ich Martha, sie macht das schon,
was immer es ist.
Dann
ist das Gespräch beendet und Martha wendet sich an mich.
Das
wäre Moschs Assistentin gewesen.
Mosch
möchte noch mal meine Entwürfe durchgehen und lädt uns für heute
nach München ein.
Uns???
Martha
erklärt, daß Mosch ausdrücklich nach ihr verlangt hätte.
Was
soll das denn?
Ich
bin verdutzt. Aber klar, Martha hat auf Moschs Einkäuferin wohl echt
Eindruck gemacht.
Wenn
ich mir Marthas Strahlen ansehe, dann tut ihr die Bestätigung gut.
Für mich ist es inzwischen schon so selbstverständlich, daß Martha
erstklassige Arbeit liefert, daß ich es wahrscheinlich zu selten
erwähne.
*******
Mir
widerstrebt es, nach München zu fliegen. Martha scheint es als
sicher angenommen zu haben, denn als ich sage, ich hätte noch nicht
entschieden, ob wir fliegen, ist sie ganz entgeistert.
Erklärt
mir, daß Mosch der wichtigste Einkäufer ist und Unsummen in meine
Kollektion investiert hat.
"Bin
ich eine Hure? Will er mich kaufen?"
Ich
hasse solchen Handel. Er hat investiert und jetzt bin ich
verpflichtet, zu springen, wenn er pfeift?
Ich
fühle mich in meiner Freiheit, in meinen freien Entscheidungen
eingeengt.
Martha
merkt, wie mir die Sache stinkt.
Ich
erkläre, daß Mosch meine Entwürfe abgenommen hat.
Was
will der also, außer mich dazu zu nötigen, alles Mögliche zu
ändern?
Martha
meint besänftigend, daß er sicher nur klitzekleine Änderungen
wünscht, der Marktforschung entsprechend.
Und
die wollten sie nur dabei haben, weil sie halt meine Entwürfe
präsentiert hat, während ich im Knast Panik schob.
Martha,
ich bin nicht sauer, weil man dich eingeladen hat. Ich bin sauer,
weil ich mich gegängelt fühle.
Ich
erkläre ihr, daß meine Entwürfe wie meine Kinder wären. Die ihre
Freiheit bräuchten.
So
wie ich. Wenn ich meine Arbeit nun in Schablonen pressen muß ...
Martha
erklärt weiter, daß meine Sachen nicht mainstream-genug sind, nicht
massenkompatibel. Und es ginge wirklich nur um den Verkauf.
Alles
in mir sträubt sich.
Martha
versucht noch einmal, mich zu beruhigen, indem sie meint, es würde
sich ganz bestimmt nur um ganz winzigkleine Änderungen handeln.
"Wir
fahren nach München, du entwickelst ein, zwei Ideen, wir haben Spaß
und das war's."
Spaß?
Ich
entscheide mich, zu fliegen. Es muß wohl sein.
Martha
freut sich.
Ich
sage noch, daß Mosch Recht hätte, daß sie mitkommen muß.
Weil
sie es gewesen sei, die meine Entwürfe präsentiert hätte?
"Nein.
Weil du ihn mir von den Eiern hältst, wenn er mit seinen
Änderungswünschen kommt."
Mit
diesen Worten lasse ich sie stehen - ich muß raus an die Luft.
*******
Ich
treffe Martha im Park. Sie joggt auch. Find ich gut. Für Leute wie
uns, die kreativ sind … sein müssen … ist Bewegung an der
frischen Luft das Beste, um die Birne durchzupusten und Platz für
neue Ideen zu machen.
Und
ich hab grad welche.
Ich
will Martha davon erzählen, aber sie meint, sie müsse noch zwanzig
Minuten laufen.
Na,
mehr Zeit brauche ich nicht, um ihr meine Ideen vorzutragen.
*******
Ich
rede mich in Begeisterung, sage ihr, was mir vorschwebt und was für
Materialien sie bitte für mich zusammenstellen soll. Ich bin so
richtig in Fahrt, als ich auf einmal das Gefühl habe, daß Martha
nicht mehr zuhört.
Kann
sie auch nicht, denn sie ist etliche Meter hinter mir. Sie hat
angehalten und hält sich die Seiten.
Seitenstechen,
klar.
Ich
will ihr helfen, ich weiß, wie das geht.
Ich
stelle mich hinter sie, lasse sie die Arme ausbreiten.
Dann
lege ich ihr meine Hände flach auf den Bauch und lasse sie tief da
hinein atmen. Das entspannt.
Es
scheint auch erst prima zu funktionieren. Doch dann meldet sich
Marthas Pulsuhr mit einem Warnton.
Wie,
immer noch so hoch? Der hätte jetzt eigentlich runtergehen sollen.
Als
ich mich laut wundere, meint Martha, sie müsse los und schwups, weg
ist sie.
Und
ich stehe da und gucke bestimmt ziemlich dumm aus der Wäsche. Was
sie wohl so plötzlich hat?
*******
Dann
müssen wir los und Martha ist noch nicht da. Bei dem Tempo, das sie
vorhin drauf hatte, hätte ich vermutet, sie ist eher da als ich.
Dann
stellt sich raus, daß sie noch die Stoffmuster besorgt hat, die ich
haben wollte.
Gute
Martha, du denkst wie immer an alles.
Ganz
im Gegensatz zu mir. Mir Trottel fällt gerade ein, daß meine
Entwürfe noch oben auf meinem Tisch liegen …
4337
Wir
sitzen im Taxi und ich maule, daß wir durch den Mist einen ganzen
Tag verlieren.
Martha
ist optimistisch und meint, daß bei der Marktforschung vielleicht
was Spannendes rausgekommen sei.
"Meine
Mode ist kein Konsumgut. Man trägt sie, um mit ihr zu leben."
Martha
versucht, mir meine Illusionen zu rauben. Wenn meine Sachen
erfolgreich wären, gäbe es immer einen, der sich mit meinem Erfolg
schmücken würde und wenn nicht, dann wäre ich eben so blöd
gewesen, nicht auf die Marktforschung zu hören. Sinngemäß.
Ich
grinse über Marthas ironischen Tonfall und frage sie dann, warum sie vorhin im Park so schnell weggerannt wäre.
Ich sei noch gar nicht fertig gewesen.
Sie
meint, ihr sei plötzlich eingefallen, daß irgendwer den Schlüssel
für's Lager hätte und sie hätte ja noch meine Stoffe holen wollen.
Ach so.
Ach so.
*******
Was
für ein Scheiß-Tag! Wären wir bloß nicht hergekommen. Ich wußte,
ich würde mich aufregen, wenn man an meinen Entwürfen
herumkritisiert.
Ich bin entnervt und müde und sage Martha, daß ich jetzt nur duschen und dann ins Bett will.
Ich bin entnervt und müde und sage Martha, daß ich jetzt nur duschen und dann ins Bett will.
Und
nun stellt sich raus, daß man uns ins selbe Zimmer
gesteckt hat.
"Bin
ich eigentlich nur von Idioten umgeben?"
Martha
entschuldigt sich.
Ach,
Martha, doch nicht du!
*******
Dummerweise
ist in unserem Hotel alles ausgebucht. Ich hab keinen Bock mehr, mich
zu ärgern. So schlimm ist das jetzt auch nicht. Verbringen Martha
und ich eben die Nacht zusammen.
Sie
scheint im Bad zu sein, als ich wieder ins Zimmer komme.
Ich
ziehe mich aus und mache es mir mit dem Bettzeug auf dem Boden
gemütlich. Eine Geste der Rücksichtnahme einer anständigen Frau
gegenüber.
Dann
kommt Martha aus dem Bad.
Sie
bemerkt mich nicht gleich, weil sie rückwärts tänzelt.
Dann
dreht sie schwungvoll eine halbe Pirourette und steht vor mir.
In
einem weiten weißen Shirt mit dem Wort 'Sex' und einer Bombe darauf.
„Bomben-Outfit.“,
rutscht es mir raus.
Und
schwups, habe ich Martha schon wieder in Verlegenheit gebracht.
Sie
stürzt um das Bett herum und drückt sich ihre Decke an den Leib.
Schimpft,
ich hätte sie ja mal vorwarnen können. Sie sei im Bad gewesen. Und
hätte ja nackt sein können.
"Interessante
Vorstellung. - Wärst du dann über mich hergefallen?" Ich kann
nicht anders, als sie ein wenig mit ihrer vermeintlichen Sexsucht
aufzuziehen.
"Was?"
"Na
ja, der Mann deiner Cousine, deine Internetbekanntschaften. Zweimal
wolltest du mich küssen. … Einmal hast du mich sogar geküßt."
Sie
antwortet nicht. Legt sich ins Bett.
"Willst
du wirklich da unten schlafen?"
"Hah!
Ich hab's gewußt, du Luder!"
Sie
ist so süß, wenn sie sich so empört. Wie habe ich das vermißt,
als ich Idiot mich mit der ebenso unfähigen wie langweiligen Kim
rumschlagen mußte.
Sie
redet sich raus, das würde so unbequem aussehen.
"Scheiße,
ich sollte wahrscheinlich meine Unterhose lieber wieder anziehen."
Da
sitzt sie senkrecht im Bett. Ich muß mich anstrengen, nicht
loszuprusten.
"Waaas?
Du hast keine Unterhose an?"
"Ist
das ein Problem?", frage ich zurück und schiele unter meine
Bettdecke.
Jetzt
habe ich sie völlig aus der Fassung gebracht. Sie tut mir fast ein
bisschen leid. Es ist sicher nicht leicht für sie, mir so nah zu
sein. Und ich mache es ihr noch schwerer. Aber sie ist eben einfach
so süß, wenn sie abstreitet, daß sie was von mir will.
"Ich
bin nicht nackt.", beruhige ich sie.
Dann
wechsle ich das Thema, damit sie wieder runterkommen kann.
Außerdem beschäftigt mich Moschs Kritik tatsächlich mehr, als ich möchte.
Außerdem beschäftigt mich Moschs Kritik tatsächlich mehr, als ich möchte.
Ich frage,
was Mosch an "kühl" und "geheimnisvoll"
auszusetzen hätte.
Martha
meint, er wolle sicher nicht alles geändert haben. Er würde etwas
vermissen. Ein Gegengewicht. Das Geheimnis hinter dem
Geheimnisvollen. Weil "kühl" doch erst richtig spannend
sei, wenn man das Verletzliche dahinter ahne.
Ich
frage mich, ob sie mich damit meint.
Sie
redet weiter. Gegensätze würden sich anziehen. Sie meint, daß
Sachen erst dadurch richtig spannend würden.
Ich
sage, daß ich jetzt darüber nachdenken würde.
*******
Das
tue ich wirklich. Ihre Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie
erfaßt immer so schlicht den Kern der Sache. Meine Gedanken
rotieren, überschlagen sich … am liebsten würde ich sofort nach
Hause, um all das umzusetzen, was in meinem Kopf herumspukt.
Weil
mir das keine Ruhe läßt, bin ich am Morgen auch schon früh auf.
Martha
lasse ich noch ein paar Minuten schlafen. Ich weiß nicht, was sie
träumt, vielleicht vernascht sie mich gerade.
Als
ich mit meiner gepackten Tasche aus dem Bad komme, plumpst sie grade
aus dem Bett. Wäre ich nicht schon auf, wäre sie glatt auf mich
gefallen.
Fast
schade - ich hätte gerne gewußt, wie sie mir erklären würde,
warum sie auf mir liegt.
Ich
lasse mir nichts anmerken, frage nur unschuldig, ob sie eine wilde
Nacht gehabt hätte und immer so laut träume.
Sie
erzählt mir was von einem Schnittmusterbogen, aber ich bin zu
ungeduldig, um ihr zuzuhören. Ich will die Ideen umsetzen. Die
Ideen, die sie in meinem Kopf gepflanzt hat.
Arme
Martha. Ich lasse sie nicht mal mehr in Ruhe frühstücken.
Aber
ich hoffe, merkt, daß ich nur so in Eile bin, weil ich
ihre Anregungen umsetzen will. Nicht, weil sie mir auf den Sack
geht.
*******
Zurück
bei LCL mache ich mich sofort an die Arbeit. Und es wird gut. Nicht
ohne gewissen Stolz präsentiere ich Martha das Ergebnis. Mir hätte
da gestern jemand was zugeflüstert - über Gegensätze, die sich
anziehen.
Ich
meine, sie hätte glücklich gelächelt, als ich ging.
4339
Ich
zerre Martha mit mir ins No Limits. Sie folgt mir nur widerstrebend,
meint, Mosch würde auf die Entwürfe warten und wir dem Zeitplan
hinterherhinken.
Ich
erkläre, daß ich keine Maschine bin und auch mal Luft brauche.
Immer
noch widerstrebend nimmt sie neben mir Platz.
Ich
lege ihr meinen Arm um die Schulter, ziehe sie zu mir heran und
tuschele ihr ins Ohr: "Wir schwänzen.".
Sie
ist ziemlich fassungslos.
Ob
sie noch nie geschwänzt hätte, früher in der Schule?
Doch,
öfter sogar.
Das
glaube ich ihr nicht.
"Du
warst 'ne Streberin, stimmt's?", lache ich.
Sie
protestiert, aber ich weiß Bescheid.
Wie
oft ich geschwänzt hätte, will sie wissen.
Als
ich nicht sofort antworte, interpretiert sie das falsch und meint,
wieder verbotenerweise in meiner Vergangenheit gestochert zu haben.
Ihr Unterton ist allerdings leicht ironisch und ich muß grinsen.
Dann
erblickt sie Sascha und ruft ihm hinterher. Aber der winkt nur kurz
und ist weg.
Martha
wundert sich. Ich nicht. "Er hat dein Geld nicht.", meine
ich.
Sie
ist überzeugt, sie bekommt ihr Geld zurück.
Ich
glaube nicht wirklich daran, ich kenne solche Typen wie Sascha.
"Martha,
mein Angebot steht. Du bekommst die Zweitausend von mir.", sage
ich. Immerhin hat sie ihre Ersparnisse geopfert, um mir aus der
Patsche zu helfen. Sie hat es für mich getan. Es wäre also nur
fair, wenn ich ihr das Geld gebe.
Doch
sie hat ihren Stolz und lehnt ab. Sie bekomme ihr Geld.
"Deswegen
hat er sich auch so gefreut, dich zu sehen." Jetzt bin ich
ironisch.
*******
Wir
arbeiten an Moschs Änderungswünschen.
Es
wurmt mich, daß ich wegen diesem Typen und seinen Vorstellungen
meine ganze Kollektion ändern soll.
Martha
meint, das Thema hätten wir doch schon gehabt.
"Ich
weiß. Ich bin eine Hure und verrate meine Ideale."
Doch
dann hat meine kleine Assistentin mal wieder den rettenden Einfall.
Ich könnte sie knutschen, aber ich hab die Hände nicht frei.
Das
mit Sascha läßt ihr keine Ruhe. Sie will ihn anrufen, um sich
bestätigen zu lassen, daß er vorhin einfach nur keine Zeit hatte.
Es
passiert genau das, was ich erwartet habe - er drückt sie einfach
weg.
*******
Ich
hole Martha einen Kaffee.
Sie
wundert sich.
"Ich
will, daß du dich konzentrierst. Seit du keinen Kaffee mehr trinkst
und keinen Kuchen mehr ißt, bist du tollpatschiger als sonst. Das
nutzt mir nichts."
Ich
bemühe mich, streng zu wirken.
Wenn
sie abnehmen will, soll sie Sport machen, aber keine Diät. So
unterzuckert ist sie wirklich noch fahriger als üblich und in
unserem Team ist nur Platz für einen Chaoten und der bin ich.
Ich
weiß nicht, ob sie mir meine Strenge abkauft, aber über den Kaffee
freut sie sich.
"Siehst
du?", lache ich und stupse sie neckisch.
Da
taucht Sascha auf. Gibt ihr einen Umschlag und meint, das sei die
erste Rate. Er würde nicht immer regelmäßig zahlen können, aber
er verspreche, sie würde ihr Geld bekommen.
Martha
ist zuversichtlich, ich nicht.
Wer
Recht hat, zeigt sich, als Martha merkt, daß nur lächerliche
zwanzig Euro in dem Umschlag sind.
Martha
will das anscheinend so nicht hinnehmen, denn sie greift sich ihre
Jacke und verschwindet.
*******
Ich
suche sie und finde sie schließlich im No Limits. Sie telefoniert.
"Du
schwänzt."
"Entschuldige."
"Was
macht meine Assistentin, wenn sie schwänzt?", frage ich, wieder
streng.
"Och,
ich hab ein bisschen Geldeintreiber gespielt. - Ja, ich hab ihm die
Finger gebrochen und jetzt zahlt er."
Sicher, Martha.
Ihr ist wohl klar, daß ich ihr das nicht abkaufe, denn sie meint gleich darauf, daß sie Sascha ein Bier ausgegeben hätte.
Statt Fingerbrechen ein Bierchen? "Gut, daß du nicht meine Steuerberaterin bist."
Sicher, Martha.
Ihr ist wohl klar, daß ich ihr das nicht abkaufe, denn sie meint gleich darauf, daß sie Sascha ein Bier ausgegeben hätte.
Statt Fingerbrechen ein Bierchen? "Gut, daß du nicht meine Steuerberaterin bist."
Sie
ist immer noch überzeugt, daß sie ihr Geld bekommt.
Sascha
wäre nicht so einer. Er hätte ihr seine gesamte Geschichte erzählt.
Daß er seinen Vater im Krieg verloren hätte.
Ich
merke, wie meine Gesichtszüge einfrieren. Nicht, Martha.
Doch
sie merkt es erst, als es zu spät ist. Entschuldigt sich, daß sie
das Tabu-Thema Vergangenheit heute schon zum zweiten Mal angesprochen
hat.
Doch
ich habe bereits zugemacht, mich meinem Schmerz und ihr verschlossen.
Ich
lasse sie einfach stehen.
Es
tut mir leid, Martha, es hat nichts mit dir zu tun.
*******
Irgendwer
lärmt und stört mich in meiner Konzentration.
"Ruhe!",
brülle ich.
Die
Stimme, die sich entschuldigt, kommt mir bekannt vor.
Ich
drehe mich um - Sascha.
Nun
weiß ich, mit wem Martha vorhin telefoniert hat. Sie hat Sascha
einen Job bei LCL klargemacht.
Ich
sage ihm ins Gesicht, daß seine rührseligen Geschichten vielleicht
bei Martha verfangen, aber nicht bei mir.
Der
Krieg sei vorbei und kein Schwein würde sich mehr für die alten
Geschichten interessieren.
Tief
in mir drin weiß ich, daß ich selbst mit dem Thema noch lange nicht
abgeschlossen habe ...
*******
Ich
stelle Martha wegen Sascha zur Rede.
"Hast
du diesem Kriegsopfer hier einen Job verschafft?"
"Kriegsopfer?"
"Sag
mal, bist du total bescheuert?"
Ich
unterstelle ihr, Mitleid mit Sascha zu haben. Der Typ hätte sie um
zweitausend Euro beschissen.
Ich
will wissen, warum sie ihm hilft.
Sie
sagt, sie will ihr Geld. Und dazu bräuchte Sascha einen Job.
Sie
fragt, warum ich mich so aufrege.
Ich
traue ihm nicht, sage ich.
Das
sei nicht mein Problem, meint sie.
"Er
erinnert dich an dich, das ist das Problem."
Er
erinnert mich an Dinge, an die ich mich nicht erinnern möchte.
Ich
tue unbeteiligt, lache. Ich merke selbst, wie hohl mein Lachen
klingt.
Sie
sagt, sie sei es so leid. Ich sei wie ein Minenfeld, sobald sie auch
nur eine einzige Frage nach meiner Vergangenheit stellen würde.
Ich
ahne, wohin dieses Gespräch führen wird und möchte am liebsten
wegrennen.
Ich
würde sofort dichtmachen und weglaufen.
Ja, das hat sie gut erkannt.
Ja, das hat sie gut erkannt.
"Aber
du kannst nicht ewig vor dir selbst davonrennen."
Ich
fühle mich getroffen.
Sascha
würde über seine Vergangenheit reden und es würde ihm gut damit
gehen.
"Aber
du frißt nur alles in dich hinein und ich glaube, das ist auf Dauer
nicht die beste Taktik."
Eine
Stimme in mir sagt, daß sie Recht hat.
Sie
entschuldigt sich abermals dafür, sich in mein Privatleben
einzumischen, aber es ginge hier auch um den Job. Daß es meinen
Entwürfen gut tun würde, wenn es nicht immer so düster in meinem
Kopf wäre. Ich sollte doch mal drüber reden. Allerdings nicht mit
ihr. Sie hätte keine Zeit. Der Hausmeister aber. Sascha.
Ich
starre sie an und bin sprachlos.
Über
das, was sie mir gesagt und wie sie es gesagt hat. Kaum jemand traut
sich, so mit mir zu reden.
Sie tut es.
Sie tut es.
Und
ich weiß, daß ich gut daran tue, ihre Worte nicht einfach
wegzuwischen, sondern wenigstens darüber nachzudenken.
4340
Martha
scheint zu befürchten, daß ich wegen eben sauer auf sie bin, denn sie versucht,
sich zu rechtfertigen, kaum daß ich das Nähzimmer betreten habe.
Sie
entschuldigt sich, wieder in meinem Privatleben herumgestochert zu haben. Es ist
zwar eine etwas zweifelhafte Entschuldigung, so ein „Ja ja, ich weiß schon
blabla“ …
Tief
in mir drin weiß ich, daß sie Recht hat. Deswegen kann ich ihr auch nicht böse
sein.
Nein,
im Gegenteil … ich bin wegen was ganz Anderem hier.
"Mosch
hat angerufen."
"Und
was hat er zu den geänderten Entwürfen gesagt?"
"Diese
romantische Ader hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, Herr Adam.",
sage ich und warte auf Marthas Kommentar.
"Sag's."
"…"
"Na
los, es muß raus. Sag es."
„Nein,
ich werde nicht darauf rumreiten, daß ich dich inspiriert habe. Und
ich werde auch nicht nerven, daß du dich mit deinem Kumpel versöhnen
sollst."
Ich
sehe sie nicht an, aber ich habe das Gefühl, daß sie auf
niederträchtige Art grinst.
Martha
Wolf, du machst mich noch wahnsinnig! Aber ich darf mich nicht
beklagen. Ich hab sie wieder zu meiner Assistentin gemacht. Nun muß
ich die Suppe auch auslöffeln. Und Martha ist ein harter Brocken
geworden.
Ich
mache es wirklich.
Ich
gehe auf Sascha zu. Er entschuldigt sich, ich akzeptiere und die
Sache ist erledigt.
Zufrieden,
Martha?
*******
Obwohl
es Martha wegen dieser Respektlosigkeit eigentlich nicht verdient
hat, stehle ich mich heimlich an ihren Platz und deponiere die
Schachtel mit meinem kleinen Präsent dort. Ich hab nämlich was für
sie geklaut. Ein paar Badeschlappen aus dem Münchner Hotel. Sie
mochte die Dinger.
Scheinbar
unbeteiligt hocke ich an meinem Platz, beobachte aber genau, wann sie
die findet.
Und
während sie noch verdutzt auf den Inhalt der Schachtel starrt, stehe
ich schon vor ihr.
Ich
möchte ja sehen, wie sie reagiert.
„Gefallen
sie dir?“
„Sind
die … von dir?“
„Ja,
ich dachte .. du mochtest sie so und würdest dich nicht trauen, sie
mitzunehmen.“
„Na
ja, was heißt 'trauen'? … Das macht man doch nicht.“, zischelt
sie mir zu.
Ach,
Martha!
„Was
denkst du, was die im Hotel mit den Dingern machen? Wird keiner
vermissen.“, bemühe ich mich, ihr schlechtes Gewissen zu
beruhigen.
„Sicher?
… Wie komm' ich denn eigentlich zu der Ehre?“
„Für
den guten Job bei Mosch.“
Und
für vieles mehr, was ich anders nicht zeigen kann.
"Wobei
ich mittlerweile bereue, daß ich sie dir geschenkt hab."
"Warum?"
"Weil
du 'ne Nervensäge bist."
"Aber
eine erfolgreiche Nervensäge." Und mit diesen Worten haut sie
mich mit den Schlappen.
"Du
hast dich mit Sascha vertragen, oder?"
"Hast
du uns beobachtet?"
"Was
denkst denn du?"
„Ich
mach mir die Mühe und und und schenk dir was ...“
Sie
könnte sich schon etwas deutlicher freuen.
Stattdessen
weist sie mich darauf hin, daß dieses mein Geschenk mich keinen Cent
gekostet hat.
„Ich
hoffe … du … äh … freust dich wenigstens ein bisschen
darüber.“
Es
ist wohl nicht zu überhören, daß ich von ihrer Reaktion enttäuscht
bin.
„Ja,
total. Danke!“ Sie strahlt mich an.
Okay,
sie freut sich also doch. Fein.
Da
kommt meine Verabredung.
Ich
erinnere Martha noch daran, das Shooting vorzubereiten.
*******
Ich
versuche Martha zu erreichen, es geht um das Shooting.
Ich
brauche sie und zwar sofort. Doch erreiche ich sie nicht.
Ich
wundere mich – sowas ist noch nie vorgekommen.
4341
Ich hinterlasse Martha eine Nachricht auf ihrer Mailbox und frage sie, wo sie bleibt. Die Mittagspause sei
längst vorbei und wir müßten mit dem Shooting anfangen.
Doch
der Fotograf, das Model und ich warten vergeblich und müssen
schließlich ohne sie anfangen, da der Fotograf nicht ewig Zeit hat.
Als ich mir nach dem Shooting einen
Kaffee holen will, treffe ich Martha an der Treppe.
Und
nun erfahre ich den Grund für ihr Zuspätkommen.
Martha
hat mich wegen Sascha versetzt! Er hat für sie gekocht und sie haben
Sljivovic getrunken. Martha offensichtlich einen zuviel. Sie hat
nicht mal mitgekriegt, daß ich angerufen habe.
Ich
weiß nicht, was ich davon halten soll. Eigentlich müßte es mir
gefallen, wenn sich mal ein Mann um sie bemüht. Dann verrennt sie
sich vielleicht nicht mehr so in ihre unerfüllbaren Wünsche was
mich angeht.
Aber
daß sie ihre Arbeit deswegen vernachlässigt, das geht nicht.
„Ich
würde sagen, du trinkst jetzt erstmal einen Liter Wasser, um wieder
klar zu werden und dann brauche ich dich für die Abnahme der Fotos.
… Und was Sascha angeht ...werd' mir bitte nicht ...“
Der
Rest bleibt ungesagt – wie sie sich darauf einen Reim machen soll,
weiß ich selbst nicht.
Ich
weiß nur, daß ich ein komisches Gefühl im Bauch habe, wenn ich an
sie und Sascha denke.
*******
Ich
treffe Sascha im Park. Er läuft da auch immer.
Und
ich muß ihn wegen Martha fragen, mein komisches Gefühl im Bauch
läßt mir keine Ruhe.
Ich
denke daran, wie glücklich Martha aussah, als ich sie vorhin traf;
wie sehr sie sich offensichtlich über Saschas nette Geste mit dem
Kochen gefreut hat.
Daß
sie darüber die Zeit vergessen hat, ist doch verständlich. Und
passiert bestimmt nicht wieder.
Ich
sollte es ihr gönnen.
Und
so gehe ich auf Sascha zu, klopfe ihm freundschaftlich auf die
Schulter und meine: „Habt ihr kroatischen Abend gemacht, hm?“
„Hab
ja gesagt, daß ich ihr was schuldig bin. Außerdem ist sie 'ne coole
Frau.“
„Ist
sie.“, stimme ich ihm zu.
„Sag
mal, Martha … die macht 'ne ganze Menge für dich, hm? Trägt dir
den Mist hinterher, ist ständig für dich erreichbar …“
„Das
ist ihr Job.“
„Daß
sie dich aus dem Knast geholt hat, ist das auch ihr Job?“
Ihr
Erspartes zu opfern, sich brutalen Schlägern gegenüber zu
stellen – nein, das ist sicher nicht ihr Job.
Nein,
das hat sie gemacht, weil ich mehr für sie bin als nur ihr Chef.
Aber
das sage ich Sascha nicht.
„Komm
mal zum Punkt.“ So langsam will ich wissen, worauf er hinaus will.
„Ich
mag sie.“
„Viele
mögen sie.“
„Hm
ja … nicht so ...“
Er
scheint sich wirklich für sie zu interessieren. Ich bin mir nur
nicht sicher, ob er es ernst meint oder nur eine interessante
Abwechslung in ihr sieht.
Es
ist ihr Privatleben, es geht mich nichts an. Und trotzdem …
„Überleg
dir, was du machst. … Ihr arbeitet beide in derselben Firma.“
Ausgerechnet
ich muß sowas sagen, der mir Gerüchte und Getratsche so scheißegal
sind.
Sascha
versteht, was ich meine.
Dann
klingelt sein Telefon.
Martha.
Die
beiden verabreden sich.
Und
ich habe wieder ein komisches Gefühl im Bauch.
*******
Ich
bin den beiden später zufällig beim Joggen begegnet.
„Wartest
du auf mich?“, frage ich Martha, obwohl ich genau weiß, auf wen
sie wartet.
Martha
ist irgendwie süß, wenn sie verlegen ist. Und ich sollte nicht so
frech grinsen, ich weiß.
Da
ich hier überflüssig bin, verabschiede ich mich.
Dabei
würde ich zu gerne Mäuschen spielen ...
4343
Ich
bin froh, daß ich Martha direkt in der Eingangshalle von LCL treffe.
Wir
haben heute wieder ein Shooting und wie fast immer fällt mir in
letzter Sekunde noch was ein.
Aber
auf Martha ist Verlaß, sie wird das hinkriegen.
In
aller Eile erkläre ich ihr, was ich vor dem Fitting noch geändert
haben möchte.
Sie
hört zwar zu, erzählt dann irgendwas von ihrer Cousine und
Verpartnerung, was doch jetzt völlig unwichtig ist.
„Beeil
dich.“, meine ich.
Als
sie Richtung Ausgang eilt, merke ich, daß sie nicht begriffen hat.
„Stop!“,
rufe ich ihr nach. „Du mußt dich mit den Änderungen beeilen.“
Bestürzt
sieht sie mich an.
„Aber
dann komm ich zu spät.“, sagt sie.
Ja,
und? Das ist doch kein Drama, oder?
Ich
dachte, die Arbeit für mich sei ihr so wichtig.
„Noch
was?“, frage ich zugegeben ziemlich unfreundlich und lasse sie stehen.
Während
ich die Einzelheiten für das Shooting noch mal im Geiste durchgehe,
drängt sich immer wieder Marthas entgeistertes Gesicht dazwischen
und ich verstehe nicht, warum ich so gereizt reagiert habe.
Daß
die Arbeit vorgeht, hätte ich auch etwas freundlicher verpacken
können.
Ist
es, weil sie jetzt zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ihre
Pflichten schleifen läßt?
Mir
wird bewußt, daß ich mich daran gewöhnt habe, daß ich für Martha
immer an erster Stelle komme.
Für
sie ist die Arbeit für mich keine Last, sondern Vergnügen.
Sie
geht darin auf, mir alle Wünsche von den Lippen zu lesen.
Und
jetzt habe ich das Gefühl, daß sich etwas ändert und eins ist klar
– es gefällt mir nicht.
Dann
schießt mir Sascha durch den Kopf.
Na
klar … ich bin nicht mehr der alleinige Mittelpunkt ihres
Interesses.
Da
gibt es noch einen anderen, der sie gedanklich beschäftigt.
Der
für sie kocht.
Und
was er sonst noch für sie tun mag.
Irgendwie
tut mir mein Befehlston von eben schon leid.
So
bin ich eigentlich nicht.
Keiner
dieser miesen Bosse, die ihre Mitarbeiter wie Menschen zweiter Klasse
behandeln.
Martha
ist meine Assistentin, auf die ich verdammt viel Wert lege. Sie hat
Respekt und einen freundlichen Umgangston verdient.
Aber
ich kann nicht verhindern, daß es mir einen Stich versetzt,
vielleicht nicht mehr das Wichtigste in Marthas Leben zu sein.
Denn
leugnen, daß ich genau das bisher genossen habe, kann ich nicht.
4344
Ich
will mit dem Fitting beginnen und in letzter Minute kommt auch
Martha.
Während
ich mir eine Banane schäle, beobachte ich sie, wie sie sich gleich
beschwingt in die Arbeit stürzt.
Doch
dann stutze ich.
Irgendwas
ist heute anders an ihr.
Doch
was?
Ich
trete näher, betrachte sie genauer, um herauszufinden, was
anders ist. Trägt sie die Haare anders, hat sie sich geschminkt oder
nur ein neues Parfüm, auf das ich unbewußt reagiere?
Sie
entschuldigt sich wortreich für ihr spätes Erscheinen, merkt aber
gleich, daß ich nicht wissen will, warum sie so spät ist.
„Der
Fotograf ist verdammt sauer.“ Solche Leute warten nicht gern. „Und
ich würde gerne ...“
„Die
Hose und die Jacke, bitte.“ Mit diesen Worten hält sie mir das
Gewünschte bereits hin.
Ich
weiß ja, sie hat einen Instinkt für meine Arbeit, aber Gedanken
lesen kann sie doch nicht?
„Woher
weißt du das?“, frage ich irritiert.
„Äh,
ich beleg doch 'nen neuen Kurs … Hellsehen … montags … achtzehn
Uhr.“
Meine
halbe Banane fliegt auf den Tisch. Nicht nur zu spät kommen, auch
noch ihren Chef veräppeln … na, die ist ja gut drauf heute!
„Quatsch,
ich hab doch das Fitting selber geschrieben … die Liste … äh,
also würd' ich vorschlagen, dassss … nicht reden, arbeiten.“,
meint sie munter.
Und
damit dreht sie sich weg von mir.
Doch
ich muß sie aufhalten.
„Moment!
Warte mal … irgendwas ist anders ...“
Es
fährt aus mir heraus, bevor ich weiter darüber nachdenken kann: „Du
siehst verdammt gut aus!“
„Ehrlich?
… Danke.“
Sie
strahlt mich an und ich frage mich, wieso mir erst heute auffällt,
was für eine schöne Frau sie ist.
*******
Das
Model ist fertig angekleidet. Ich betrachte meine Arbeit von allen
Seiten und bin zufrieden.
Martha
nicht. Sie vermißt einen Farbtupfer. Und Mosch wolle Kontraste.
Mein
Blick wird immer wieder von ihr angezogen, das irritiert mich.
Schöne
Frauen machen mich an, aber sie verwirren mich nicht.
Marthas
ganze Ausstrahlung hat sich verändert und zieht mich auf seltsame
Weise in ihren Bann.
Martha
wuselt davon und kommt mit einer bunten Ansteckblume oder sowas
wieder.
„Wie
wär's damit?“, strahlt sie mich an.“
Ich
bin nicht begeistert.
„Ich
schätze deine Meinung, aber bitte verschon mich mit diesem
bunten Zeug.“
Ich
fürchte, nun habe ich sie gekränkt.
Juri,
du Arsch, kannst du es nicht ein bisschen netter sagen, wenn dir was
nicht gefällt?
*******
Eine
Weile später kommt sie auf mich zu und fragt: „Sag mal, willst du
noch lange machen?“
„Was?
… Nein.“
„Super.“
Ich
bitte sie um das Protokoll vom Fitting und frage nach den
Alternativen zu den Stoffmustern, die wir doch notiert hätten?
Haben
wir wohl nicht, aber das stünde alles in der Mappe, die sie mir
hinhält.
Ich
bitte sie, mir die letzten drei Stoffmuster zu holen.
„Jetzt?“
„Wann
dann?“ Ich bin voll in der Arbeit und ihre locker-lässige Art
irritiert mich.
„Morgen.
Dann gehen wir eh noch mal alles im Detail durch. Ich kann gern 'ne
Stunde früher kommen. Aber jetzt kann ich nicht. Ich hab jetzt
Feierabend.“
Damit
drückt sie mir die Mappe in die Hand und läßt mich einfach stehen.
Und
ich starre ihr fassungslos hinterher.
*******
Ich
ahnte ja, daß Sascha und Martha sich näher gekommen sind, aber als
ich ins No Limits reinkomme und die beiden in einem innigen Kuß
vertieft sehe, hat’s mich doch erstmal weggehauen.
Meine
Martha! Knutscht hemmungslos und mit sichtlich Spaß an der Sache
öffentlich rum!
Nun
weiß ich auch, warum sie vorhin zu spät gekommen ist. Sie und
Sascha haben sich offensichtlich nicht so schnell voneinander lösen
können.
Ich
gehe auf die beiden zu.
„Deshalb
bist du mir weggelaufen.“
„Ja.“,
meint sie und wirkt nicht mal verlegen dabei.
„Ich
hab mir die, äh, geänderten Entwürfe nochmal angeschaut. …
Irgendwas fehlt da … Aber du hast Recht, wir schauen uns das morgen
noch mal an.“
Ich
will hier nicht den Spielverderber spielen, wo Martha doch
offensichtlich so glücklich ist.
„Du,
ich kann auch gerne morgen 'ne Stunde früher kommen.“, bietet sie
mir nochmal an.
„Brauchst
du nicht.“ Mein Blick geht von Martha zu Sascha. … „Viel
Spaß!“, wünsche ich den beiden.
Bei
was auch immer.
*******
Meine
Blicke werden immer wieder zu den beiden gezogen.
Und
mich beschleicht ein komisches Gefühl.
Martha
sehnt sich nach Bestätigung, danach, von einem Mann begehrt zu
werden. Sascha hat das gemerkt. Nur ich Trottel nicht.
Und
nun frage ich mich, ob Sascha nicht nur ihre Sehnsucht ausnutzt, um
für eine Weile Spaß zu haben. Kein Zweifel, daß er wirklich auf
sie steht und er hat ja Grund dazu.
Aber
meint er es ernst mit ihr?
*******
Ich
komme vom Klo und treffe Sascha zufällig grad allein am
Billiardtisch an.
Ich
stelle mich dicht neben ihn; er scheint zu merken, daß ich …
komisch drauf bin.
„Was
denn?“
„Was
läuft da eigentlich zwischen euch?“
Eigentlich
geht mich das ja nichts an.
„Verarsch
sie nicht.“, warne ich ihn. Er kriegt ein Problem mit mir, wenn er
nur mit ihr spielt und ihr das Herz brechen sollte.
Dann
mach ich ihn fertig.
Martha
kommt dazu; ich möchte nicht, daß sie etwas mitbekommt.
„Wir
mußten nur was klären.“, meine ich zu ihr. Und „Du hast mich
verstanden.“, zu Sascha.
„Nein,
sag's nochmal.“, ruft mir Sascha hinterher, obwohl ich überzeugt
bin, daß er mich ganz genau verstanden hat.
„Sag
mal – ist was?“, will Martha wissen.
„Nein.“,
lüge ich sie an.
Was
ist das? Der Beschützerinstinkt des großen Bruders?
Ich
kann nicht leugnen, daß mir Martha etwas bedeutet.
Ich
will nicht, daß Sascha ihr wehtut.
*******
Martha
folgt mir an die Bar, als ich zahlen will. Natürlich hat sie mir
mein 'nein' nicht abgekauft.
„Er
schuldet dir Geld, du besorgst ihm 'nen Job ...“
„Und
jetzt gehen wir miteinander aus. Was ist daran so schlimm?“
Eigentlich
nichts.
„Ich
mache mir Sorgen um meine Assistentin.“
„Danke.
Aber das ist nicht dein Problem.“
Sie
versteht mich nicht. Ich seufze. „Macht, was ihr wollt.“
Sascha
kommt dazu. „Werdet glücklich.“, meine ich auch zu ihm.
„Das
haben wir vor.“, sagt er und ich habe das dumme Gefühl, daß er
weiß, was in mir vorgeht.
Wünsche
ich mir wirklich, daß sie glücklich werden?
Vorhin
war es noch so.
*******
Bin
nach Hause. Will noch ein bisschen trainieren. Das macht den Kopf
frei.
Während
ich meine Hände bandagiere, schleichen sich immer wieder Martha und
Sascha vor meine Augen. Ich sehe sie vor mir, wie sie sich zärtlich
küssen.
Und
fühle einen brennenden Schmerz in mir …
Ich
versuche, meine sich widerstreitenden Gefühle zu kanalisieren,
meinen aufkeimenden Frust an dem Sandsack auszulassen.
Doch
was sonst immer funktioniert, heute gelingt es nicht.
Immer
noch sehe ich die beiden vor mir, wie sie Händchen haltend nach
Hause gehen, eine lange Nacht voller Zärtlichkeit vor sich.
Und
bemerke, daß ich den Sandsack umklammere, als ob er mein letzter
Halt wäre …
4346
Ungeduldig
warte ich auf Martha. Mir sitzt Mosch im Nacken. Der will heute noch
die geänderten Entwürfe sehen. Habe die ganze Nacht daran
gearbeitet.
Ich
hab sie angerufen und ihr gesagt, daß ich heute zuhause arbeiten
will und sie herkommen soll.
Aber
sie läßt mich warten. Das kenne ich nicht von ihr. Sie ist immer
pünktlich, zuverlässig; sie nimmt meine, unsere Arbeit sehr ernst.
… Natürlich, Sascha! Also, wenn sie mich mit der Arbeit warten
läßt, um rumzuknutschen … ah, das wird sie sein!
*******
Meine
Anspannung äußert sich darin, daß ich Martha direkt zur Begrüßung
anpflaume: „Warum hat das so lang gedauert?“
Ich
erkläre ihr, daß Moschs verdammte Änderungswünsche mich die ganze
Nacht wachgehalten haben.
Sie
sieht sich in meinem Chaos um.
„Sag
mal, hast du alles geändert?“
Ich
gehe nicht darauf ein, sondern meine: „Wenn du es in dieser Branche
zu was bringen willst, dann gibt's keine geregelten Arbeitszeiten.
Dann zählt nur deine Arbeit und du. Hier ...“, ich drücke ihr die
geänderten Entwürfe in die Hand, „nimm die mit in die Firma und
fang schon mit den Änderungen an, okay?“
„Ja,
klar. … Aber sag mal, hast du deine Meinung geändert? Ich dachte,
du kannst mein Strickzeug nicht leiden.“
„Mosch
will Gegensätze. Widersprüche. Was ist widersprüchlicher als Wolle
und Nieten, hm? … Hast du noch mehr von dem Strickzeug?“
„Ehm
...“
„Nicht
die hellen Geschichten, eher sowas Dunkles.“
„Ja,
klar. Aber sag mal – meinst du das jetzt wirklich ernst? Du willst
wirklich Sachen von mir für deine Entwürfe nehmen?“
„Ja.“
Wenn ich dadurch Mosch zufriedenstellen kann … und dann lieber
Marthas Sachen als die von jemand Fremden.
„Okay.
Aber dann muß ich noch kurz nach Hause.“
„Okay,
auf dem Weg zur Firma kannste ... kannste das ja holen und dann
treffen wir uns in einer halben Stunde bei LCL, okay?“
„Können
wir vielleicht 'ne Stunde draus machen? Ich würd' gern noch mit
Sascha zu Mittag essen.“
„Sag
mal, hast du mich nicht verstanden?“, gehe ich sie an. Ich schlag
mir wegen Mosch die halbe Nacht um die Ohren und sie will in aller
Seelenruhe mit diesem Vogel Mittag machen?
„Mosch
will heute noch die Entwürfe sehen.“ Ich hoffe, sie kapiert jetzt.
„Ich
glaub, du hast mich nicht verstanden.“
Wie
bitte?
„Ich
bin seit sechs Uhr morgens wach, ich hab den ganzen Vormittag in der
Firma auf dich gewartet … und jetzt kannst du doch eine halbe
Stunde länger warten, damit ich mal endlich was zu essen bekomme.
Meine Mittagspause steht mir echt zu.“
Damit
dreht sie sich um und geht.
Und
ich starre ihr wieder fassungslos hinterher.
Ich
dachte, sie würde mir um den Hals fallen, wenn sie hört, daß ich
ihre Strick-Accessoires an meiner Kollektion haben möchte.
Ich
verstehe sie nicht – die Arbeit für mich war ihr doch immer das
Wichtigste. Sie war so glücklich, als ich ihr gesagt habe, ich will
sie als Assistentin.
Sie
hat immer alles für mich getan und zwar gerne.
Ja,
sicher … Sascha wieder. Seitdem der in ihr Leben getreten ist,
spiele ich nur noch die zweite Geige.
Ist
es das? Stört es mich, nicht mehr ihre Nummer Eins zu sein? Daß
sich ihre Welt nicht mehr ausschließlich um mich dreht?
Juri,
kann es sein, daß du im Laufe der letzten Monate Martha als „deine
Martha“ empfunden hast? Hast du Angst, Sascha könnte sie dir
wegnehmen? Aber wieso? – Du bist ihr … nein, das Wort Chef
gefällt mir nicht, wir haben kein
Vorgesetzter-Angestellten-Verhältnis zueinander. Ein guter Freund.
Ja, vielleicht.
Reicht
dir das auf einmal nicht mehr; seit Sascha da ist?
Ist
es, weil sie sich von dir abnabelt, selbstbewußt und unabhängig
wird, während du sie mehr denn je brauchst?
Es
tut mir leid, daß ich so barsch zu ihr war. Sie hat ja Recht – auf
eine halbe Stunde kommt es wirklich nicht an. Nur weil ich mir alles
versage, wenn ich arbeite, darf ich das nicht einfach so von ihr
verlangen. Sie tut doch wirklich beinahe alles für mich.
Ich
habe mich sehr ungerecht und undankbar ihr gegenüber verhalten.
Manchmal bin ich echt ein Arschloch. Und sie hat es von allen
Menschen um mich herum am wenigsten verdient …
Ich
muß raus an die frische Luft. Und Hunger habe ich eigentlich auch.
Vielleicht treffe ich sie ja …
*******
Da
ist sie. Und Sascha, klar.
Ich
hoffe, sie merkt, daß mir mein Verhalten leid tut. Ich würde mich
gerne bei ihr entschuldigen. Aber nicht vor ihm. Dafür erzähle ich
ihm, daß mir Marthas Sachen an meiner Kollektion gefallen. Was
bezwecke ich eigentlich damit? Ist das nur Smalltalk, um das
verlegene Schweigen zu brechen? Will ich ihm zeigen, wie sehr ich
Martha schätze? Daß sie nicht nur meine folgsame kleine Assistentin
ist?
Sauer
scheint sie nicht zu sein. Aber sich unbehaglich in meiner Nähe zu
fühlen.
Sie
und Sascha gehen.
Und
ich bemühe mich, zu akzeptieren, daß ich sie mit Sascha teilen muß
…
Herrgott
Juri, du willst doch nichts von ihr; du kannst doch nicht erwarten,
daß sie sich bis zum Sanktnimmerleinstag Hoffnungen auf dich macht!
Früher oder später mußte sie einfach einen Mann treffen, der sie
will und zwar so, wie sie ist. Gönne ihr das einfach und packe deine
Besitzansprüche weg!
*******
Ich
weiß nicht, warum alle meine guten Vorsätze immer gleich wieder zum
Teufel sind.
Ich
reagiere ungeduldig und genervt, als sie mich fragt, ob ich ihre
Strick-Accessoires wirklich so gut finde. Ja, würde ich sie sonst
nehmen wollen?
Sie
hat dann so gestrahlt, daß es mir leid tat, auf ihre Frage hin so
genervt reagiert zu haben. Meine Anerkennung ist ihr anscheinend
nicht so selbstverständlich, wie ich dachte. Vielleicht sollte ich
öfter mal sagen, was ich denke. Sie ist schließlich keine
Hellseherin.
*******
Ich
bin mit Martha an den Modellen dran.
Hier
und da ist noch eine Kleinigkeit zu ändern, eine Raffung zu
versetzen.
Aber
Martha versteht meine Änderungswünsche nicht, weil Sascha gerade
hier staubsaugen muß.
Angenervt
ziehe ich ihm den Stecker raus.
„Hey!“,
begehrt er gleich auf. „Was soll das?“
„Wir
arbeiten hier.“
„Ich
muß hier auch arbeiten, ich muß für die Präsentation
saubermachen.“
Ich
trete nahe an ihn heran, damit Martha nichts mitbekommt.
„So
so.“
„Wie,
so so?“
„Mir
fällt auf, daß du Martha hinterherarbeitest.“
„Komisch,
was dir so auffällt.“
Was
soll das denn bitte heißen?
„Würd's
dir was ausmachen, wenn du … ehm, weitermachst, wenn wir fertig
sind? Also später?“
„Okay.“
„Danke.“
Die
Stimmung zwischen uns ist definitiv angespannt.
Und
ich habe das Gefühl, Martha spürt das auch.
„Also,
mich hat das nicht gestört, daß hier geputzt wird.“
„Ich
weiß.“ Klar, daß sie Saschas Anwesenheit nicht stört.
*******
Da
unten stehen sie. Küssen sich ganz unbefangen. Sie strahlt so, sie
sieht so glücklich aus. Glücklich verliebt eben.
Ich
starre sie an und in meinem Brustkorb schnürt sich etwas zu.
Tja,
Juri, unbeschwerte Verliebtheit, sowas kennst du gar nicht. Kann es
sein, daß du den beiden einfach dieses Gefühl neidest?
Du
willst es doch so – keine feste Beziehung, keine Gefühle, nur
unverbindlichen Sex. Du holst dir die schönsten Models ins Bett.
Und
nun stehst du hier, starrst Martha an und fragst dich, ob es immer
noch das ist, was du willst …
Ich
sollte mich auf die Arbeit konzentrieren – Mosch und die Lahnsteins
sind da.
*******
Ich
suche Martha überall. Mosch will wissen, von wem die Accessoires
sind. Ich will, daß Martha sie selbst präsentiert – es sind ihre
Stücke, ihre Ideen und sie soll das Lob selbst einheimsen. Das hat
sie verdient. Heute ganz besonders.
Wo
steckt sie nur?
Da
… ich unterdrücke so gerade noch den Impuls, wegzurennen. Denn
beim Anblick der beiden, wie sie sich zärtlich küssen, zieht sich
in mir wieder alles zusammen.
Und
urplötzlich packt mich Wut – Wut auf Sascha, Wut auf mich selbst,
das Schicksal, das ganze verdammte Leben …
Ungewollt
bekommt Martha davon etwas ab, als ich versuche, ihr zu erklären,
wie wichtig diese Präsentation ist. Daß ich mir wünsche, daß sie
in ihrer Arbeit bestätigt wird, daß mal sie im Mittelpunkt steht
und nicht ich, daß ich ihr Gesicht sehen will, wie sie sich freut
und wieder so süß verlegen ausschaut … das alles sage ich ihr
nicht. Stattdessen vermittle ich ihr den Eindruck, daß sie mir
gegenüber ihre Pflichten vernachlässigt.
Ich
habe sie wohl echt verletzt, denn sie hält mir eine gepfefferte
Standpauke.
Ich
wäre eifersüchtig, weil sich, seit sie Sascha hat, nicht mehr alles
nur um mich drehen würde und sie nicht mehr gleich springt, wenn ich
pfeife.
Wahrscheinlich
hat sie Recht, aber das Timing für ihre Ansage ist denkbar
ungünstig. Die Fahrstuhltür hat sich geöffnet und Mosch und die
Lahnsteins haben mitbekommen, wie meine Assistentin mich
zusammenfaltet …
4347
Dieser
Schleimer Mosch geht mir auf den Sack. Der süffisante Tonfall und
das ganze Gehabe.
Kriecht
um Martha herum und schmiert ihr Honig um’s Maul.
Sie
hätte sicher mehr zu bieten als ihre Strick-Accessoires. Es sei
normal, daß man sich auch privat annähere, wenn man beruflich nahen
Kontakt hätte. Was denkt der Arsch – daß ich meine Assistentin
vögle?
Es
läge ein Knistern in der Luft und er liebe Indiskretionen am
Arbeitsplatz. Ich könnte kotzen.
Er
will meine Kollektion mit Marthas Accessoires daran.
So
hatte ich mir das nicht vorgestellt. Nichts gegen Marthas Sachen oder
ihr Talent, aber es ist dann nicht mehr mein Ding, mein Schaffen.
Meine
Modelle seien Kunstwerke, aber das ließe sich nicht verkaufen. Ich
weiß, hat mir Martha auch schon gesagt. Und ich kann’s nicht mehr
hören.
Mosch
scheint zu meinen, ich sei eifersüchtig auf Martha, weil sie heute
im Mittelpunkt steht. Was für ein Quatsch. Ich bin froh, heute nicht
den Clown machen zu müssen, den dressierten Pudel.
Ich
gönne Martha die Anerkennung.
Ich
weiß nicht, wieso ich auf einmal so ablehnend gegenüber ihren
Stricksachen bin. Jedenfalls nicht aus Eifersucht oder Neid.
Ich
weiß nur, daß ich plötzlich ein ungutes Gefühl im Bauch habe,
wenn ich daran denke. Und ich habe keine Ahnung, warum und wo das
herkommt.
Ich
wollte ihre Stricksachen. Ja, ich stehe eigentlich nicht auf so Zeugs
und sie weiß das auch. Deshalb hat sie extra nochmal gefragt, ob es
mir Ernst damit ist, ich ihre Sachen wirklich will. Und ich habe „ja“
gesagt und das auch so gemeint.
Ich
verstehe mich selber nicht.
Ist
es vielleicht doch, weil ich der Star-Designer bin und sie nur die
kleine Assistentin? Und ich sie lieber auf ihren Platz verweisen
würde?
Nein,
so ein Macho-Arschloch bin ich nicht!
Martha
ist das alles unangenehm, das sehe ich ihr an. Sie macht sich
Gedanken, daß ich sauer auf sie sein könnte – auch das sehe ich.
Ich bin sauer auf Mosch, sauer auf mich selbst, aber sicher nicht auf
sie. Sie hat diesen Zirkus nicht gewollt, versucht sogar,
abzuwiegeln. Aber kann letztlich nicht anders, als nachzugeben. Die
Lahnstein würde sie sonst ‚nen Kopf kürzer machen. Die lechzt
nämlich nach der Kohle, die Geldgier springt ihr beinahe aus den
Augen.
Nein,
Martha ist bescheiden und zurückhaltend und hat mir sicher nicht die
Show gestohlen. Es ist nicht ihre Schuld, daß ich stumm an der Wand
lehne, weil ich das alles ablehne und am liebsten verschwinden würde.
Außerdem
liegt mir da noch etwas im Magen …
Dann
sind die Vögel weg und ich bin mit Martha allein.
Wie
sie darauf komme, ich sei eifersüchtig auf ihr Privatleben, frage
ich sie.
Und
frage mich, wieso mein Ton so angriffslustig ist.
Sie
meint, ich sei so vorhin so sauer gewesen, als ich sie und Sascha
beim Knutschen erwischt hätte.
Ich
frage sie, ob sie denkt, ich würde was von ihr wollen.
Dabei
weiß ich gar nicht, was ich will.
Sie
sagt, daß ich sie und Sascha ständig auseinandertreibe.
Ich
sage, daß ich sie als meine Assistentin brauche.
Daß
ich sie einfach brauche, sage ich ihr nicht.
Ich
sage ihr, daß es mir egal ist, was sie privat treibt. Nur möchte
sie es bitte nicht hier tun.
Daß
es mir jedesmal einen Stich versetzt, wenn ich sie und Sascha
zusammen sehe, sage ich ihr nicht.
Ich
sage ihr, daß ich sie nicht ständig rumknutschen sehen möchte.
Daß
mich das verletzt, sage ich ihr nicht.
Warum
so viele Worte, wenn ich doch nicht das sage, was ich wirklich denke?
Und
ich meine, sie muß die Verletztheit in meinen Augen sehen …
*******
Während
ich mich wieder an die Arbeit mache, hockt sich Martha mit ihrem
Strickzeug in die Ecke und legt los. Mosch will ja mehr von ihren
Sachen.
Das
Klackern ihrer Stricknadeln drängt sich in mein Bewußtsein.
Ich
starre auf die Zeichnungen vor mir.
Dieses
Klackern ...
Ich
muß mich konzentrieren.
Aber
wieder dieses Klackern.
So
unnatürlich laut. Als ob sie mit ihrem Strickzeug direkt neben mir
stände. Wieso höre ich das so laut? Sie sitzt zwei Meter weit weg
und es herrscht doch hier keine Friedhofsstille.
Der
Entwurf ...
Wenn
sie doch nur damit aufhören würde.
Es
ist so laut, ich kann mich nicht konzentrieren.
Ich
sehe sie an, hoffe, sie versteht, daß mich das Geklacker nervt.
Doch
sie klackert weiter. Und weiter.
Das
Klackern ist in meinen Ohren, in meinem Kopf.
Ich
fahre mir mit der Hand über die Stirn, sie ist voll kaltem Schweiß.
Es
klackert in meinem Kopf, immer noch so penetrant laut.
Wieder
und wieder sehe ich sie an. Merkt sie denn nichts?
Wenn
es nur aufhören würde. Ich kann es nicht ertragen.
Mir
ist schlecht. Nein, mir ist speiübel.
Ich
muß hier raus!!!
Ich
weiß nicht mehr, wie ich auf's Klo gekommen bin.
Ich
weiß nur, wie ich über der Kloschüssel hänge und mir die Seele
aus dem Leib kotze.
Erschöpft
sacke ich auf den Boden und lehne meine Stirn gegen die kühlen
Fliesen.
Ruhe.
Endlich Ruhe. Nicht mehr dieses furchtbare Klackern.
Ich
atme tief durch, versuche, mich zu beruhigen, die Panik nicht wieder
aufkommen zu lassen. Diese Hilflosigkeit macht mir Angst. Ich werde
von innen angegriffen und weiß nicht, wie ich mich dagegen wehren
soll.
Schritte
und die Tür geht auf - sie kommen, sie haben mich gefunden! Ich
fahre zusammen, möchte schreien, aber es kommt kein Laut raus. Dann
erkenne ich Martha und komme wieder zu mir.
Verdammte
Scheiße.
Ich
zittere am ganzen Körper, mir ist immer noch speiübel und der kalte
Schweiß läuft mir den Rücken runter.
Die
Panik hockt mir noch im Nacken, ich kann sie spüren. Es ist noch
nicht vorbei.
Martha
... sie fragt, was mit mir los ist. "Es geht mir gut.",
lüge ich sie an.
Als
ob ich erklären könnte, was grad mit mir geschieht. Oder die Kraft
dazu hätte.
Ich
bemühe mich, bei Verstand zu bleiben, nicht durchzudrehen.
Sie
will mich nach Hause bringen. Ich will nicht, aber sie läßt nicht
locker. Sie hat wahrscheinlich Recht. Meine Knie zittern so, daß sie
mich kaum tragen.
Und
auch sonst habe ich nicht die Kraft, gegen Martha aufzubegehren.
Ich
will schlafen. Nichts mehr denken, nichts mehr fühlen ...
*******
Ich
bin zuhause.
Muß
mich erstmal setzen, meine Beine sind wie Pudding.
Ich
sage "Danke." und daß ich klarkomme.
Sie
soll gehen, sie kann mir nicht helfen.
Ich
schleppe mich auf's Bett, kringele mich ein und versuche, den Kopf
abzuschalten.
Martha
geht nicht, aber mir ist alles egal.
Ich
schließe die Augen.
Und
da ist es wieder. Das Klackern.
Dieses
unerträgliche Klackern.
Lauter
und lauter.
Ich
ertrage es nicht, warum hört sie nicht auf?
Wieder
bricht mir der kalte Schweiß aus, ich zittere und krampfe. Mein Herz
klopft mir von innen an die Brust, meine Kehle schnürt sich zu ...
Klacker.
"Leg
das weg bitte."
Klacker.
Klacker.
"Hör
auf damit!"
Klacker,
klacker, klacker.
"LASS
DAS !!! HÖR AUF DAMIT !!!"
Ich
höre es immer noch in meinem Kopf. Stimmen, Schritte, Schreie,
Weinen. Bilder ziehen an meinen Augen vorbei. Das Strickzeug.
Ich
habe das Zittern nicht mehr unter Kontrolle, mir ist eisigkalt. Mein
Herz klopft immer noch rasend schnell.
Martha
sitzt auf der Bettkante. Ich spüre es.
Sie
rührt mich nicht an. Sie sagt nichts.
Sie
sitzt nur da.
Ich
weiß nicht, wie lange.
Ich
weiß nicht, wann ich aufgehört habe, unkontrolliert zu zittern.
Ich
weiß nicht, wann mein Atem ruhiger ging, mir das Herz nicht mehr aus
der Brust springen wollte.
Diese
entsetzliche Panik verging.
Martha
sitzt da. Sie sagt nichts, aber ich spüre, daß sie ganz bei mir
ist, mit all ihren Sinnen. Ich spüre es fast körperlich. Und es
spendet eine seltsame Wärme.
Ich
will, daß sie geht. Sie soll mich so nicht sehen. So schwach, so
verletzbar.
Ich
will, daß sie bleibt und mich festhält. Über dem Abgrund, über
dem ich immer noch hänge.
Ich
weiß nicht, wieviel Zeit vergangen ist, bis ich mich langsam
aufrichte. Minuten, Stunden ...
Ich
bitte Martha um ein Glas Wasser. Meine Kehle ist wie ausgedörrt.
Ich
gehe ruhelos auf und ab, habe Angst, daß die Panik mich wieder
befällt.
Martha
sitzt da und sagt nichts. Ich spüre ihre stumme Anteilnahme und
irgendwie spendet mir das Trost. Ich bin nicht allein.
Ich
hocke mich auf den Boden. Starre vor mich hin. Martha läßt sich mir
gegenüber nieder, nach wie vor schweigend.
Und
auf einmal kann ich reden. Reden über die Dinge, die ich tief in mir
vergraben habe. Dinge, über die ich bisher mit keinem Menschen
gesprochen habe.
Sie
sagt nichts, sie hört still zu.
Ich
sehe sie nicht an, aber ich spüre ihre Blicke.
Blicke
voll herzlicher, ehrlicher Anteilnahme. Kein geheucheltes Mitleid.
Sie leidet mit mir. Sie erlebt das Schreckliche mit mir. Wie mir mit
meinen Eltern auch meine kindliche Unschuld, mein Gottvertrauen
genommen wurde. Vielleicht auch den stummen Selbstvorwurf, weil ich
feige im Schrank hocken blieb und meine Eltern im Stich gelassen habe
…
Ich
spüre, wie sie meine Hand nimmt. Ich drücke sie, klammere mich an
sie. Und ich bin froh, daß sie da ist und mich hält ...
4348
Es
hilft mir, daß sie meine Hand hält, als ich von meinem Schmerz
spreche, den mein immer wiederkehrender Alptraum mir bereitet. Jenen
Traum, den ich auch hatte, als Martha mich vor einiger Zeit so
unvermittelt aus dem Schlaf riß. Sie winkt ab, als ich es anspreche;
ich weiß, sie macht mir keine Vorwürfe, daß ich sie angegriffen
habe.
Aber
es drängt mich, es ihr zu sagen … daß diese Alpträume mich auch
heute noch quälen.
Daß
sie mir immer wieder meine Schuld vor Augen führen.
Die
Schuld, nichts unternommen zu haben.
Nicht
den kleinsten Versuch, meinen Eltern zu helfen.
Ja,
wahrscheinlich wäre ich dann gestorben wie sie. Aber zumindest bei
dem Versuch, sie zu retten. Sie hätten ihr Leben für mich gegeben.
Aber ich habe keinen Finger für sie gerührt.
Ich
erzähle Martha von den Alpträumen. Das macht meine Schuld nicht
geringer, aber das Wissen um diese Träume zu teilen, hilft mir
irgendwie. Ich fühle mich nicht mehr so allein mit meinen Problemen.
Sie
fragt, ob ich noch mal da war. In Zagreb. In der Heimat, die schon
lange keine mehr ist.
Ich
spüre, wie meine Hand ihre los läßt, wie ich mich innerlich von
ihr zurückziehe. Mein Schutzwall baut sich auf, sie ist zu weit
vorgedrungen. Dahin, wohin ich noch nicht bereit bin, sie zu lassen.
Ich
will sie nicht vor den Kopf stoßen, sie wollte mir nicht zu nahe
treten. Sie will mir wirklich helfen. Aber sie muß meinen Weg
akzeptieren.
Sie
sagt, ich wäre nicht allein. Sie wäre da. Ja, das weiß ich.
Aber
der Abwehrmechanismus greift. Ich sage ihr, daß ich klarkomme. Ich
mache einfach wieder zu, sage ihr, daß es besser wäre, wenn sie
jetzt ginge. Doch da ist eine andere Stimme in mir, die sie
festhalten will. Ein Stück weit senkt sich der Wall und ich sage
"Wir sehen uns morgen." Und ich hoffe, daß in meinem
Tonfall mitschwingt, daß ich sie nicht fort schicke, weil sie mich
nervt, weil ich sie loswerden will. Ich hoffe, daß sie versteht, daß
es mir einfach nur zuviel geworden ist.
Ich
spüre deutlich, wie schwer es ihr fällt, zu gehen. Wie gerne sie
bleiben, mich trösten, mich in den Arm nehmen würde. Aber ich kann
nicht.
Dann
ist sie fort und ich bereue, nicht den Mut, nicht die Stärke
besessen zu haben, aufzuspringen und sie zurückzurufen.
Ich
spüre noch ihren warmen Händedruck, der so tröstlich war … und
wünschte, sie würde noch bei mir sein und mich festhalten …
Unter
dem Einfluß der beinahe greifbaren Erinnerungen ziehe ich den Koffer
unter meinem Bett hervor. Den Koffer mit dem Wenigen, das ich auf der
Flucht mit mir getragen habe. Meine Hände zittern, als sie den
Verschluß öffnen.
Mein
alter Kinderboxhandschuh …
Fotos
… vergilbt, verblasst und doch so lebendig …
Meine
Schulklasse, die Kameraden vom Boxclub.
Vater.
Mutter.
Wunderschön und voller Güte. Ich sehe ihr warmes Lächeln, das
immer auf mir ruhte, wenn Vater mich wieder wegen eines Unfugs
gescholten hatte. Und sie mich gleich vom Haken lassen würde, sobald
Vater weg war.
Tiefer
Schmerz durchfährt mich, so brennend, daß ich es kaum ertragen
kann.
Es
reißt mich hoch, wir irrsinnig schlage ich auf den Sandsack ein. Die
Schläge gelten mir, mir, der ich nichts getan habe. Mir, der ich es
einfach habe geschehen lassen.
Mein
Haß auf mich selbst verebbt. Doch die Verzweiflung bleibt. Hilflos
umklammere ich den Sandsack und fühle mich so allein mit meiner
Schuld, den Vorwürfen, denen ich nicht entkommen kann. Ich schluchze
unkontrolliert und wünsche mir so sehr, ich hätte sie nicht
fortgeschickt …
*******
Da
ist Martha.
"Hast
du die Tasche fertig?"
Sie
ist ein wenig irritiert, fängt sich aber gleich wieder.
Ich
nehme die Tasche und wende mich ab.
Juri,
du verdammter Feigling, renn nicht wieder vor deinen Gefühlen davon!
Was
soll die Scheiße mit der Tasche, deswegen bist du nicht zu ihr!
Geh
nicht einfach so zur Tagesordnung über nach dem, was gestern
zwischen dir und ihr war …
Du
verletzt ihre Gefühle, willst du das?
Ich
nehme all meinen Mut zusammen und sehe sie an. Ganz dicht stehe ich
vor ihr.
"Das,
was ich dir gestern erzählt habe, das habe ich bisher noch niemandem
erzählt.
Aber
ich bin froh, daß ich es dir erzählt habe.
Ja,
ich bin froh, daß du es weißt.
Weil
ich es einem guten Freund erzählt habe.
Du
bist ein guter Freund.
Und
als ein guter Freund würde ich dich gerne bitten, daß du es nicht
mehr ansprichst … das Thema … okay?"
Ich
hoffe, sie versteht, daß ich damit nicht sagen will, daß sie das
nichts angeht. Nur, daß sie keinen Druck machen soll, weil mich das
überfordern würde. Vielleicht bin ich eines Tages soweit ...
Ihr
"Klar." ist wie ein Versprechen für mich. Ich vertraue ihr
und ich weiß, sie wird mein Vertrauen nicht mißbrauchen.
Das
alles fühlt sich gut an. Wir werden jetzt gemeinsam einen Kaffee
trinken und uns an die Arbeit machen ...
4349
Ich
treffe Martha unten an der Treppe. Sie steht einfach da und starrt
träumerisch ins Leere. Es dauert eine Weile, bis sie mich bemerkt.
Als
sie endlich wieder in der Gegenwart angekommen ist, klauben wir
gemeinsam ihre Sachen vom Boden.
Ich
frage sie, ob dieses bunte Strickbommeldings zu meiner Kollektion
gehöre. Zum Glück nicht.
Ich
sage ihr, wenn ich Mosch schon nachgeben muß, dann würde ich
wenigstens über die Farben entscheiden und sowas Buntes kommt nicht
in Frage.
Leider
formuliere ich das Ganze ziemlich unglücklich. Ja, gut, das
meiste sagt mir persönlich nicht so zu. Aber das weiß sie ja, muß
ich ja nicht noch drauf rumreiten.
Leider
ist es dann sie, die die ohnehin schon ziemlich unpersönliche
Stimmung noch weiter verschlechtert, indem sie mich fragt, ob sie
nicht besser zu Hause stricken sollte … wegen dem Geräusch.
Es
ist lieb, daß sie sich um mich sorgt, aber ich habe sie nicht ohne
Grund gebeten, das Thema nicht mehr anzusprechen. Eindringlich
gebeten.
Ich
reagiere ärgerlich und meine nicht sonderlich freundlich zu ihr, sie
solle es lassen. Ich will nicht reden, auch nicht mit ihr und das muß
sie einfach akzeptieren.
Ich
muß jetzt erstmal wieder runterkommen. Später gehe ich mal zu ihr
und werde mich bemühen, wieder lieb und freundlich zu sein.
*******
Nur
kurze Zeit später treffe ich sie wieder. Und Sascha. Ich frage
Martha nach der Collage, die sie für mich machen soll. Sie wimmelt
mich richtiggehend ab, sie hätte jetzt Pause, würde das später
machen, sie käme gleich.
Die
Sonnenblume in ihrer Hand ist sicher von Sascha.
Ich
nicke den beiden zu und gehe.
Wie
es aussieht, will er sich wieder an sie ranmachen. Und das paßt mir
gar nicht.
*******
Weil
ich unbedingt wissen will, ob sie noch was von ihm will, gehe ich zu
ihr.
Als
sie mich sieht, legt sie sofort ihr Strickzeug weg.
Die
Wolle kullert vom Tisch, ich hebe sie auf und reiche sie ihr. Unsere
Hände berühren sich, sie scheint unsicher.
Ich
sage aber nichts. Doch, daß Sascha ein Idiot sei, weil er sie erst
abschießt und dann wiederhaben will.
Sie
fragt nicht, woher ich das weiß.
Sie
fragt, wieso ich meine, daß er sie abgeschossen hat.
Ich
bin verblüfft - sie ihn? Das hätte ich nicht gedacht.
Ich
frage sie, warum.
Sie
sagt, es sei besser so. Sie und Sascha seien nur gute Freunde.
Ob
er das auch so sähe, will ich wissen.
Ja,
meint sie, schon.
Ich
bin anderer Meinung, sage aber nichts.
Dann
sehe ich die Collagen und wie immer hat sie gute Arbeit geleistet.
Es
ist ein Lob überfällig und so sage ich ihr, daß ich wüßte, daß
man sich auf sie verlassen kann. Mir liegt noch viel mehr auf der
Zunge, aber es will irgendwie nicht raus.
Ich
hätte mich bedanken sollen, daß sie gestern für mich da war.
Aber
sie weiß hoffentlich, daß ich ihr das nicht vergessen werde.
Und
ich hätte gerne gesagt, daß es mir … wehtut, wenn ich sie mit
Sascha zusammen sehe.
Aber
das will erst recht nicht raus.
Während
ich um sie herum gehe, lege ich ihr die Hand auf die Schulter. Sicher
länger als nötig zum Verabschieden.
Deutlicher
kann ich nicht ausdrücken, daß …