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Samstag, 24. August 2013

Inside (4330 - 4349)


4330
Warum muß sie es uns noch schwerer machen als es schon ist?
Als ich heute Morgen zu LCL komme, steht Martha wie immer mit meinem Kaffee da, fängt munter an, mir zu erzählen, sie habe meine Entwürfe sortiert.
Ich unterbreche sie, frage sie, ob wir nicht gestern etwas besprochen hätten.
Ja, doch. Aber sie hätte nicht gedacht, daß das ab sofort gelten würde.
Doch, tut es.
Sie meint, Kim wäre im Moment oft nicht da, weil sie ihren Vater im Krankenhaus besucht und …
Wieder unterbreche ich sie.
"Bis dahin komme ich ohne Assistentin aus.", sage ich laut.

*******

In der Küchenecke stellt nun sie mich zur Rede.
Ich sei unprofessionell. Wenn ich sie schon loswerden will, dann solle ich wenigstens sagen, warum. Also den wahren Grund.
Ich hätte mir denken können, daß sie Rebecca den Quatsch mit der kreativen Weiterentwicklung nicht abkauft.
Sie versteht nicht, warum ich immer so aggressiv werde, wenn man mich auf meine Vergangenheit anspricht, warum ich immer so geheimnisvoll tue.
Sie sagt, sie fände es schön, wenn man schon zusammen arbeiten würde, daß man sich dann auch ein bisschen näher kommen könnte.
Genau das ist es ja, was ich nicht will.
Laut sage ich nur: "Wir arbeiten nicht mehr zusammen."
"Ja, aber nur, weil ich versucht habe, dich zu verstehen und eine Beziehung zu dir aufzubauen."
"Das ist nicht dein Job. Ich brauche keine Assistentin, die zwischen privat und beruflich nicht unterscheiden kann."
Sie geht, sicherlich verletzt, gekränkt. Ich weiß das. Und kann doch nicht anders.
Aus Frust über die Situation brülle ich die Kaffeemaschine an, ich finde den verdammten Knopf nicht.
Ich komme ja toll ohne meine Assistentin aus ...

*******

Meiner neuen Assistentin Kim muß ich gleich eine Ansage machen. Statt sich um meine Fotos zu kümmern, lümmelt sie faul rum. Meine Fotos sind zum Teufel, die ganze Arbeit umsonst. Ich könnte schreien.
Weder hat diese Kim die Intelligenz mit Löffeln gefressen noch überschlägt sie sich vor Arbeitseifer.
Wenn du nicht gefeuert werden willst, dann mach deine Arbeit und denk ein bisschen mit, okay?“
Mein Blick fällt auf Martha und obwohl ich sie kühl abfertige, bedauere ich es zutiefst, daß sie mich zu dieser Entscheidung gezwungen hat.

*******

Kim hat wirklich Null Ahnung von unserem Geschäft. Sie kann nicht mal Stofffarben unterscheiden. Natürlich muß sie wieder los, mir die richtige Farbe holen.
"Ein Wunder, daß Dicky bei dem Gerenne nicht abgespeckt hat.", murmelt sie im Weggehen. Ich höre es aber doch.
"Dicky wär das nicht passiert."
Unverschämt ist sie auch noch. Sollte sie Martha noch einmal beleidigen ...

4331
Rebecca ist zusammengeklappt. Hörsturz. Sie hat sich selbst zu sehr unter Druck gesetzt. Wollte es immer allen recht machen. Das kann nicht funktionieren.
Martha wirft mir vor, es könne nicht jeder so sein wie ich. So einen Panzer haben.
Dann meint sie, ich hätte gesagt, wir wären ein Team. Gesteht ein, daß ich als Assistentin nehmen kann, wen immer ich will. Und wenn ich Kim will, wäre das für sie auch okay. Aber vielleicht bräuchte sie Hilfe.
Ich ahne, worauf sie hinaus will. Sie will sich unentbehrlich machen, damit ich sie wieder zurücknehme.
Um zwölf käme Mosch, der die neuen Entwürfe sehen wolle und es sei schon etwas spät. Sie könne mir helfen.
Ich wußte es doch.
Ich seufze, weil es mir lieber gewesen wäre, sie hätte mich nicht in so eine Situation gebracht.
"Wir sind kein Team.", sage ich und lasse sie wieder einmal stehen.

*******

Ich sitze im No Limits und bin nicht gut drauf. Ich vermisse Martha trotz allem. Ihre gewissenhafte, engagierte Arbeit. Ihre Tollpatschigkeit. Sie zu necken, fehlt mir auch. Ich komme mir mies vor. Wie oft habe ich sie über Privates ausgefragt. Über ihren imaginären Freund. Aber wenn sie das tut, ist das nicht in Ordnung? Dabei ist sie nicht etwa krankhaft neugierig, sie zeigt wirklich nur Anteilnahme.
Das alles tut mir sehr leid. Aber ich kann einfach nicht anders.

Irgendwann hockt sich Sascha neben mich.
Du warst heute gar nicht beim Training.“
Stimmt.
Aber du.“
Ich bemerke einen Anstecker an seiner Sporttasche, der mit bekannt vorkommt.
Boksacki Club Zagreb.“
Kennst du?“
Ich nicke.
Dann bist du auch aus Zagreb?“
Ich nicke bedeutungsschwer.
Er winkt zu seinem leeren Sljivovic-Glas und mir ist klar – darauf müssen wir anstoßen.
Auf die Heimat.“, meint er und erhebt sein Glas.
Scheiße.“, sage ich und meine 'ja, auf die Heimat'.
Ich hab meine halbe Kindheit in dem Club verbracht.“, erzählt er.
Ich auch.“
Ich hab während des Krieges Marijan Benes da trainieren sehen.“
Benes? … Benes …“. Erinnerungen kommen hoch. An glückliche Stunden, die ich in diesem Club, beim Training und bei den Kämpfen meiner Stars erlebt habe …
Wann bist du da abgehauen?“
Zweiundneunzig.“
Ich ein paar Jahre später.“
Ich lasse die Gläser neu füllen.
Hast du mal 'nen Kampf von Mavrovic gesehen?“
Was für eine Frage! Jeder kennt Zeljko Mavrovic. Wir wären zu Fuß um die halbe Welt gelaufen, um ihn kämpfen zu sehen.
Willst du mich verarschen?“, frage ich deshalb nur zurück.
Mavrovic war eine Naturgewalt. Champion aller Champions.“
Oh ja.
Auf Mavrovic.“, sage ich.
Dann erzählt er von sich. Daß er es mit Mannschaftssport versucht habe, aber einfach kein Teamplayer sei. Er würde so dies und das machen, nicht alles immer ganz legal, aber was solls.
Die erste Flasche Sljivovic ist inzwischen leer.
Auf einmal fragt er, ob ich ihm Geld leihen könne. Zweitausend. Ich sage nein. Ich kenne den Typ kaum.
Danach verabschiedet er sich. Keine Ahnung, ob er wirklich weg muß oder einfach sauer ist.
Er nestelt den Anstecker von seiner Tasche los.
Hier, Stück Heimat. Wenn es dir auch offensichtlich nicht mehr viel bedeutet, weil du hast es ja geschafft. Da ist es leicht, zu vergessen, woher man kommt.“
Er läßt mich in einer seltsamen Stimmung zurück.
Aufgewühlt von den Erinnerungen und aufgebracht wegen seiner Bemerkung.
Ich habe nicht vergessen, woher ich komme.

*******

Ich bin nicht mehr ganz nüchtern und in ziemlich sentimentaler Stimmung, als Martha auftaucht. Sie reicht mir den Anstecker, der mir runtergefallen ist.
Hier, dein Ding.“
Mit ein wenig schwerer Zunge sage ich: „Das ist kein Ding. Das ist das Abzeichen von 'Boksacki Club Zagreb'. Dem besten Boxclub der Welt. In der schönsten Stadt der Welt.“
Da bist du geboren, oder?“
Ja. … Da bin ich geboren.“
Obwohl ihre Heimatstadt nicht mal in einem anderen Land läge, wüßte sie, was Heimweh bedeute.
Ich nicht.“, lüge ich sie an.
Und wie um meine eigenen Worte Lügen zu strafen, stecke ich mir den Pin an und gehe.

*******

Auf dem Weg in den Boxclub schaue ich kurz bei LCL vorbei. Sage Kim, daß sie sich um die Vorbereitungen für die Präsentation bei Mosch kümmern soll.
Sie weist mich darauf hin, das wäre in zwei Stunden.
Bis dahin sei ich wieder da.
Ja, wie, ich würde abhauen und sie im Stich lassen?
Da hat sie einen wunden Punkt getroffen.
"Ich lasse niemanden im Stich."
Bevor ich gehe, werfe ich Martha einen kurzen Seitenblick zu.
Auf sie hätte ich mich blind verlassen können.
Und sie hätte mir nie einen solchen Spruch reingehauen.

*******

Ich trainiere mit Sascha. Er entschuldigt sich, daß er mich angepumpt hat.
Ich habe auch was klarzustellen - daß ich nämlich nicht vergessen habe, wo ich herkomme.
Plötzlich kommen ein paar Typen rein, die offenbar zu Sascha wollen.
Sascha schuldet ihnen anscheinend Geld.
Als er ihnen nicht geben kann, was sie erwarten, droht es ungemütlich zu werden.
Ich versuche, zu vermitteln.
Aber die Kerle schlagen sofort zu.

*******

Plötzlich sind auch die Bullen da. Unsere Angreifer werden verhaftet.
Sascha und ich leider auch. Wir scheinen den Bullen suspekt zu sein.
Vergeblich versuche ich zu erklären, daß die auf uns losgegangen sind.
Aber es hat keinen Zweck.

4332
Sascha versucht, mich zu beruhigen, als man uns in eine Zelle gesperrt hat. Ich bräuchte den Bullen doch nur meinen Arbeitsvertrag zu zeigen und alles wäre in Ordnung.
Er hat ja keine Ahnung. Er weiß nicht, daß ich wegen Körperverletzung vorbestraft bin.

*******

Dann kommt es, wie es kommen mußte. Sie lassen Sascha frei und mich halten sie fest.

Mir ist kalt.
Das Licht der Lampe ist schrecklich grell.
Ich kann nicht ruhig sitzen.
Ich kann nicht liegen.
Auch Umhergehen hilft nicht.
Die kahlen, grauen Wände scheinen auf mich zuzukommen.
Ich fühle mich eingesperrt. Ich bin eingesperrt.
Panik kriecht in mir hoch.
Ich breche in Schweiß aus.
Mein Magen krampft, ich muß mich übergeben.

4333
Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon hier bin. Stunden, Tage? Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren.
Ich bemühe mich, nicht den Verstand zu verlieren, kämpfe immer noch gegen die Panik an.
Ich zittere.
Kalter Schweiß steht mir auf der Stirn.
Mir ist hundeelend.
Ich versuche, mich abzulenken.
Denke an Sascha, der mir das hier eingebrockt hat.
Der hat tatsächlich die dreckige Lüge unserer Angreifer bestätigt, daß ich sie angegriffen hätte. Die haben mich wegen Körperverletzung angezeigt.
Sascha ist echt ein mieses Schwein.
Und das alles aus Rache, weil ich ihm kein Geld leihen wollte.
Der Zorn auf ihn hilft mir, mich wieder ein wenig unter Kontrolle zu bekommen.

*******

Sebastian von Lahnstein, der Anwalt von LCL, sucht mich auf.
Er wundert sich, warum man mich so lange festhält.
Und daß ich noch keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis habe, wo ich doch schon so lange in Deutschland lebe und arbeite.
Das ganze Gespräch über winde ich mich wie ein Wurm, um am Schluß dann doch Farbe bekennen zu müssen.
Es gab da mal … eine Situation.“
Was wird das hier? Ein Ratespiel?“, fragt er ebenso ungeduldig wie ungehalten.
Ist schon 'n paar Jahre her. Eine Frau wurde angemacht und ich bin dazwischengegangen.“
Ich bereue nicht, was ich getan habe. Es war richtig. Und ich würde es jederzeit wieder tun.
Der Graf seufzt. „Sie sind also vorbestraft, ja?“ Er schätzt die Lage gleich richtig ein.
Es ist heute wie damals - ich versuche zu helfen und bin am Ende der Gearschte.
Ich nicke nur.
Echt gut. Großartig. Ganz großartig. Jetzt haben wir nämlich ein richtiges Problem.“
Ich weiß.

*******

Völlig überraschend komme ich frei.
Sascha hat seine Lüge zurückgezogen.
Draußen treffe ich auf ihn. Ich hätte Bock, ihm eine reinzuhauen.
Aber ich bin zu erleichtert, dieser Zelle entronnen zu sein und wieder frische Luft atmen zu können.
Sascha meint, ich dürfe mich für das alles bei meiner Assistentin bedanken. Sie hätte ihn bewogen, seine Aussage zurückzuziehen, mich da rauszuholen. Außerdem hätte sie seine Schulden bezahlt. Sie sei Gold wert.
Kim?
Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut, daß sie sich so für mich einsetzt.
Habe ich sie falsch eingeschätzt?

*******

Bevor ich zu LCL gehe, hole ich eine Flasche Schampus. Damit will ich mich bei Kim bedanken.
Ich treffe sie auf der Treppe, schwenke sie vor Freude durch die Luft, küsse sie auf die Wange. Sie hat mir das Leben gerettet, ohne sie hätte ich das alles hier verloren.
Martha, die am Fuß der Treppe stand, habe ich völlig ignoriert.

4334
Kim erklärt mir, daß Tanja von Lahnstein mich sprechen will. Zu der hatte ich eh gewollt. Wegen der Präsentation bei Mosch, die ich nun leider versäumt habe.
Ich ahne schon, was ich zu hören bekommen werde.
Und sie macht mir auch gleich unmißverständlich klar, daß es sie einen Scheiß interessiert, warum ich verhaftet wurde.
Ihr geht es nur um die Kohle, die LCL verliert, wenn der Deal mit Mosch platzt.
Machen wir einen neuen Termin.“, sage ich. Sollte doch kein Problem sein.
Wird nicht nötig sein.“
Wie bitte? Was soll das denn heißen?
Der Vertrag ist trotzdem zustande gekommen. Sie können sich bei Martha Wolf bedanken.“
Martha?“ Was hat sie denn damit zu tun?
Martha hat die Entwürfe aus dem Gedächtnis nachgezeichnet. Und zum Glück konnte sie die Chef-Einkäuferin überzeugen. Ich hab die kleine Näherin wohl unterschätzt.“
Ich bin verwirrt. Und irgendwie unangenehm berührt.
Martha hat mir den Arsch gerettet? Wieder einmal?
Sie hatten 'n ganz gutes Gespür, als Sie sie zu Ihrer Assistentin gemacht haben.“
Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll.
Also, ich finde, sie kann Sie ziemlich gut vertreten, falls Sie mal wieder im Gefängnis landen, oder ...“
Nein, nein, ich hab jemand Neues, Kim … die ist gut genug für mich.“, unterbreche ich sie, weil ich nicht über Martha sprechen möchte.
Es ist mir extrem unangenehm.
Ich weiß, daß mich meine hastig gewählten Worte verraten. Und nein, ich bin überhaupt nicht glücklich damit, Martha gegen Kim eingetauscht zu haben.
Martha fehlt überall.
Aber ich habe keine andere Wahl.
Tauschen Sie sie wieder.“
Nein. Noch was?“
Und da sie nichts weiter sagt, gehe ich.
Mit ist klar, daß sie mich für nicht ganz dicht halten muß. Aber das ist mir egal.
Erklären, warum ich eine derart fähige, talentierte Assistentin wie Martha nicht will, kann ich schließlich nicht.

*******

Ich arbeite an neuen Entwürfen und bemühe mich, nicht zu Martha zu sehen, die nur einen Meter entfernt an Rebeccas Tisch steht.
Mein schlechtes Gewissen drückt mich.
Kim labert mich voll.
Über die Präsentation und daß Marthas Kritzleien zum Glück nicht alles verdorben hätten.
Ich sollte ihr diese Frechheit nicht durchgehen lassen, aber ich will einfach nicht darüber nachdenken, daß Martha mir geholfen hat. Ich wünschte, sie hätte das nicht getan.
Aber es war ja Kim, die mich aus dem Knast geholt hat.
Irgendwie werde ich schon mit ihr klarkommen.
Auch wenn sie nicht wie Martha intuitiv fühlt, was ich als nächstes tun will und ich ihr deshalb ganz klare Anweisungen geben muß, damit ich bekomme, was ich will.
So zum Beispiel, als das Telefon klingelt und ich sie extra auffordern muß, ranzugehen.
Sascha … irgendwas mit 'itsch' im Nachnamen – was soll ich ihm ausrichten?“
Moment …
Ich halte in meiner Arbeit inne.
Wieso kennt sie Sascha nicht? Sie hat doch …
Ich ahne etwas …
Du kennst Sascha nicht?“, frage ich Kim und hoffe, das ist nur ein Mißverständnis.
Sie schüttelt den Kopf.
Ich greife mir das Handy, um selbst mit Sascha zu sprechen.
Sascha … sag mal, welche Assistentin hat mir eigentlich den Arsch gerettet?“
Martha, so eine echt toughe Blonde, sagt er.
Ich sehe Kim an … wie konnte sie nur so tun, als wäre es ihr Verdienst, mich gerettet zu haben?
Sie schaut betreten aus der Wäsche; ihr ist klar, daß ihr falsches Spiel aufgeflogen ist.
Ich sollte ihr dafür in den Arsch treten, sie feuern, aber mich überfallen grad weit unangenehmere Gedanken ...
Ein einziger, kleiner Moment im Leben und ich erkenne, was für ein selten dämliches Arschloch ich bin …

*******

Ich Vollidiot! Wie kann man nur SOO dämlich sein? Ich könnte mit dem Kopf vor die Wand schlagen!
Wie konnte ich auch nur einen Augenblick lang annehmen, Kim hätte mich gerettet? Diese Schnarchnase und ihren Hintern für mich in Bewegung setzen? Den Kaffee kalt werden lassen, um was für mich zu tun? Haha! Ich möchte mich ohrfeigen für diese Blödheit.
Es gibt nur einen Menschen, dem ich so wichtig bin, daß er Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um mir aus dem Schlamassel zu helfen.
Martha.
Ich fühle mich getroffen. Unangenehm berührt.
Ich habe sie abserviert. War sehr abweisend zu ihr. Nur weil ich Angst vor ihr habe.
Und ausgerechnet sie ist es, die alles tut, um mir zu helfen. Ihr Erspartes hat sie für mich gegeben. Und ich bin es nicht mal wert. Nicht nachdem ich sie so mies behandelt, ihr so wehgetan habe.
Ich müßte zu ihr gehen. Mich bedanken. Mich entschuldigen.
Aber ich habe keine Ahnung, wie ich ihr noch in die Augen sehen soll, so wie ich mich für mein schäbiges Verhalten schäme.

*******

Ich treffe sie im Waschraum.
Und ich feige Sau stelle mich einfach ans Waschbecken, wasche meine Hände sprichwörtlich in Unschuld und lasse sie beinahe gehen, ohne die Schnauze aufzukriegen.
Im letzten Moment überwinde ich mich.
Ich glaube, ich sollte … ich meine, ich wollte … mich bei dir bedanken.“
Was für ein ärmliches Gestammel.
Das mit der Präsentation hab ich gern gemacht, wirklich.“
Ich weiß. Du tust alles für mich. Und ich habe es nicht verdient.
Nicht wegen der Präsentation. Also auch. … Nein, ich mein' eher die Sache mit der Polizei.“
Feige bleibe ich mit dem Rücken zu ihr stehen, weil ich mich schäme, ihr in die Augen zu sehen.
Ich hab das erst grade erfahren, daß du Sascha die Schulden bezahlt hast und daß du ihn zur Polizei geschleppt hast.“
Nun drehe ich mich doch zu ihr um.
Also … danke.“ Ich strecke ihr die Hand entgegen. „Danke.“, wiederhole ich und drücke ihre Hand fest.
Ich könnte mir selbst eine reinhauen.
Kim habe ich umarmt und geküßt. Und was bekommt Martha von mir? Einen unverbindlichen Händedruck.
Und das nur, weil ich weiß, was sie für mich empfindet? Weil ich Angst vor ihrer Nähe habe?
Sie rettet meine Existenz und ich schaffe es nicht einmal, ihr zuliebe über meinen Schatten zu springen?
Bitte.“ sagt sie und es ist kaum zu überhören, wie enttäuscht sie von mir ist.
Ja, also, wie...wieviel hast du ihm gegeben?“
Was?“
Zweitausend?“
Ich wühle in meinen Hosentaschen nach Geld, drücke ihr in die Hände, was ich habe.
Und fühle mich beschissen dabei.
Weil ich kaum leugnen kann, daß ich mich freikaufen will, ihr nichts schuldig bleiben möchte.
Um mir einreden zu können, daß es keinen Grund gibt, wieder mit ihr zusammenzuarbeiten.
Mit einem „Den Rest hole ich dir gleich. … Danke!“ fliehe ich aus ihrer Nähe.

*******

Ich stehe noch nicht lange an meinem Tisch und bemühe mich, mit Arbeit gegen mein schlechtes Gewissen anzukämpfen, als Martha vor mir steht.
Und mir das Geld hinpfeffert.
Da hast du dein doofes Geld.“
Ich hol den Rest.“, sage ich.
Nein. Das … ist eine Sache zwischen Sascha und mir. Du hast mir das doch nur gegeben, weil du mich auf Abstand halten willst.“
Es ist mir mehr als unangenehm, daß sie das so genau erkennt.
Wie bitte?“, tue ich so, als wüßte ich nicht, was sie meint.
Das ist so armselig.“
Auch das stimmt.
Du gibst mir Geld, damit ich dir nicht zunahe komme.“
Ich kann es ihr gegenüber nicht zugeben. Und mir gegenüber kann ich es nicht leugnen.
Aber soll ich dir mal was sagen? Ich hab mich nicht für dich eingesetzt, weil ich in dich verliebt bin oder so. Sondern weil du meine Hilfe gebraucht hast.“
Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ich schäme mich vor ihr.
Ganz im Gegenteil zu Kim, der du vollkommen am Arsch vorbeigehst, versteh ich dich. Aber Mister Lonesome-Designer will ja einfach mal nicht zugeben, daß er ohne mich komplett aufgeschmissen wäre!“
Es stimmt. Ich weiß nicht, was ich ohne sie gemacht hätte. Verlegen will ich mich abwenden.
Ich bin noch nicht fertig!“, hält Martha mich zurück.
Du hast einfach eine Scheiß-Angst, daß irgendjemand dir hinter deine coole Fassade schauen kann und sieht, wer du wirklich bist. Dabei weiß ich das doch längst.“
Da irrt sie sich. Sie hat keine Ahnung, wer Juri Adam wirklich ist. Was sich in seiner dunklen Vergangenheit verbirgt.
Sie kann sich kreativ in mich reindenken, aber was ich ansonsten denke und fühle, was wirklich in mir vorgeht, davon hat sie keine Ahnung.
Du weißt nichts von mir.“ Und das ist auch besser so. Es würde dir nicht gefallen.
Wenn du dich da mal nicht täuschst.“, sagt sie und läßt mich stehen.
Und ihre letzte Bemerkung stürzt mich in unangenehme Grübeleien.
Unterschätze ich ihr Einfühlungsvermögen vielleicht?
Weiß sie wirklich, daß ich verletzlicher bin, als ich scheine ...

*******

Während ich grüble, werfe ich einen Blick auf die Entwürfe, die sie nachgezeichnet hat.
Es ist unglaublich! Mein Blick hängt an den Zeichnungen, meine Hand greift nach meinen Originalen, um sie mit Marthas Arbeiten zu vergleichen.
Die Formen, die Farben, alle Details … als ob sie in meinem Kopf gewesen wäre. Sie fühlt sich so intensiv ein …
Mir schießen ihre Worte durch den Kopf … daß sie längst wüßte, wer ich wirklich bin.
Wenn du dich da mal nichts täuschst …
Diese eine Bemerkung geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
Ist es wirklich so unerträglich für mich, daß sie weiß, daß ich nicht der harte Kerl bin, für den ich mich ausgebe?
Ich weiß, daß ich ihr vertrauen kann.
Ihre Zuverlässigkeit, ihre absolut perfekte Arbeit, unser harmonisches Zusammenarbeiten, das ohne viele Worte auskommt, ihr Verständnis, ihre Intuition für meine Arbeit … ist es das alles nicht wert, daß ich versuche, meine Angst in den Griff zu bekommen?
Es fällt mir wahrlich nicht leicht, aber ich treffe eine Entscheidung.
Ich will Martha zurück.
Ich will wieder mit ihr zusammenarbeiten.
Trotz der Tatsache, daß sie hinter meine 'coole Fassade' geschaut, einen Blick auf den wahren Juri erhascht hat.

*******

Ich finde sie im No Limits.
Sie schlürft gerade die Reste ihres Shakes aus. Und offenbar ist es ihr peinlich, daß ich plötzlich neben ihr stehe.
Gott, mußt du dir eigentlich immer solche Momente aussuchen, um plötzlich aus dem Nichts neben mir zu stehen? … Okay, wenn du mich feuern willst … ich erinnere nur daran – ich arbeite nicht mehr für dich.“
Ach, sie befürchtet Ärger, weil sie mir die Meinung gegeigt hat?
Das hatte ich verdient.
Du hast dir meine Entwürfe ziemlich genau angeschaut.“
Ja, ich hab mir vorher gut überlegt, wie ich sie zurückholen kann, ohne mich selber zu sehr bloßzustellen.
Ja. Aber nur kurz.“
Ich würde sagen, du hast sie en detail nachgezeichnet.“
Zufall. Ich hab auch mal sowas wie 'nen guten Tag.“
Nein. Ich durchschau dich. Du weißt, wie ich denke. Das macht mir Angst.“
Das zuzugeben, war die größte Herausforderung. Es hat mich Überwindung gekostet, aber es mußte sein.
Aber ich stell dich trotzdem wieder ein.“
Was?“
Sie scheint ihren Ohren nicht zu trauen.
Ist das ein Problem?“
Ich hoffe nicht. Wäre ja möglich, daß sie die Schnauze voll von mir hat.
Ich grinse sie an, um meine Gefühle nicht ganz so offenzulegen.
Und Kim?“
Ich winke ab. „Mach dir doch um Kim keine Sorgen.“ Wen kümmert dieses hinterhältige Gör?
Sie scheint überlegen zu müssen.
Na?“, frage ich und sehe sie auffordernd an.
Sie überlegt immer noch.
Hast du nicht noch was vergessen?“
Scheiße. Ich hätte wissen müssen, daß sie mich nicht so einfach aus der Nummer rausläßt.
Ich seufze tief, fahre mir verlegen mit den Händen durch die Haare.
Entschuldigung für … alles … und danke … auch für alles.“
Ich weiß, es klingt dürftig, aber ich sehe ihr in die Augen und hoffe, sie merkt, daß es mir mit diesen Worten ernst ist.
Sie nickt. Das scheint zu bedeuten, daß sie es nochmal mit mir versuchen will.
Also?“, fordere ich sie auf, mich als meine Assistentin zu begleiten.

*******

Gemeinsam räumen wir ihre Sachen um.
Kims Kram schubse ich einfach in eine Kiste.
Ich grinse ihr zu; sie lächelt mich an und scheint zufrieden zu sein.
Wie ist es eigentlich zu deiner Vorstrafe gekommen?“, fragt sie unvermittelt.
Juri, reiß dich jetzt zusammen!
Und so antworte ich etwas verlegen, aber ruhig: „Äh, das war keine große Sache. Eine Frau ist schlecht behandelt worden und ich hab mich eingemischt. … Ja, ich bin ausgerastet.“
Ich habe das Gefühl, daß Martha meinen scheinbaren Hang zur Gewalttätigkeit nicht gut findet.
Deshalb will ich mich erklären.
Wenn jemand schlecht behandelt wird, dann … dann hält mich nichts mehr. Eigentlich bin ich ein friedlicher Mensch.“
Ich sehe ihr in die Augen und sie mir.
Und dann lächelt sie. Ist sie froh, sich nicht in mir getäuscht zu haben?
Ich bin erleichtert und ich glaube, ich lächle nun auch.

4335
Als ich am nächsten Tag zu LCL komme, rauscht Kim gleich auf mich zu.
Empört sich, daß irgendjemand ihre Sachen in 'ne Kiste geworfen und bei Rebecca auf den Tisch gestellt habe. Und das könne ja nur Martha gewesen sein und sie könnte es voll verstehen, daß ich mit der nicht mehr arbeiten möchte.
Ich unterbreche sie und sage ihr, daß sie mich absichtlich in dem Glauben gelassen hat, sie habe mich aus dem Knast geholt. Daß ihr Haß auf Martha wegen der Bettgeschichte mit Emilio sie dazu bringe, Martha derart an die Karre zu pissen, das ginge gar nicht. Und deshalb wäre sie als meine Assistentin nicht geeignet.
Ich kann nicht mit jemandem arbeiten, dem ich nicht traue, das verstehst du. Und das Ganze gilt jetzt ab sofort.“
Und dann lasse ich sie stehen.

4336
Ich bin wirklich froh, Martha wieder zu haben. Sie hat meine Arbeiten sortiert und eine Vorauswahl getroffen und das ganz so, wie ich es selbst gemacht hätte.
Während ich überlege, was noch geändert werden sollte, kommt ein Anruf.
Ich höre nicht wirklich hin - wozu habe ich Martha, sie macht das schon, was immer es ist.
Dann ist das Gespräch beendet und Martha wendet sich an mich.
Das wäre Moschs Assistentin gewesen.
Mosch möchte noch mal meine Entwürfe durchgehen und lädt uns für heute nach München ein.
Uns???
Martha erklärt, daß Mosch ausdrücklich nach ihr verlangt hätte.
Was soll das denn?
Ich bin verdutzt. Aber klar, Martha hat auf Moschs Einkäuferin wohl echt Eindruck gemacht.
Wenn ich mir Marthas Strahlen ansehe, dann tut ihr die Bestätigung gut. Für mich ist es inzwischen schon so selbstverständlich, daß Martha erstklassige Arbeit liefert, daß ich es wahrscheinlich zu selten erwähne.

*******

Mir widerstrebt es, nach München zu fliegen. Martha scheint es als sicher angenommen zu haben, denn als ich sage, ich hätte noch nicht entschieden, ob wir fliegen, ist sie ganz entgeistert.
Erklärt mir, daß Mosch der wichtigste Einkäufer ist und Unsummen in meine Kollektion investiert hat.
"Bin ich eine Hure? Will er mich kaufen?"
Ich hasse solchen Handel. Er hat investiert und jetzt bin ich verpflichtet, zu springen, wenn er pfeift?
Ich fühle mich in meiner Freiheit, in meinen freien Entscheidungen eingeengt.
Martha merkt, wie mir die Sache stinkt.
Ich erkläre, daß Mosch meine Entwürfe abgenommen hat.
Was will der also, außer mich dazu zu nötigen, alles Mögliche zu ändern?
Martha meint besänftigend, daß er sicher nur klitzekleine Änderungen wünscht, der Marktforschung entsprechend.
Und die wollten sie nur dabei haben, weil sie halt meine Entwürfe präsentiert hat, während ich im Knast Panik schob.
Martha, ich bin nicht sauer, weil man dich eingeladen hat. Ich bin sauer, weil ich mich gegängelt fühle.
Ich erkläre ihr, daß meine Entwürfe wie meine Kinder wären. Die ihre Freiheit bräuchten.
So wie ich. Wenn ich meine Arbeit nun in Schablonen pressen muß ...
Martha erklärt weiter, daß meine Sachen nicht mainstream-genug sind, nicht massenkompatibel. Und es ginge wirklich nur um den Verkauf.
Alles in mir sträubt sich.
Martha versucht noch einmal, mich zu beruhigen, indem sie meint, es würde sich ganz bestimmt nur um ganz winzigkleine Änderungen handeln.
"Wir fahren nach München, du entwickelst ein, zwei Ideen, wir haben Spaß und das war's."
Spaß?
Ich entscheide mich, zu fliegen. Es muß wohl sein.
Martha freut sich.
Ich sage noch, daß Mosch Recht hätte, daß sie mitkommen muß.
Weil sie es gewesen sei, die meine Entwürfe präsentiert hätte?
"Nein. Weil du ihn mir von den Eiern hältst, wenn er mit seinen Änderungswünschen kommt."
Mit diesen Worten lasse ich sie stehen - ich muß raus an die Luft.

*******

Ich treffe Martha im Park. Sie joggt auch. Find ich gut. Für Leute wie uns, die kreativ sind … sein müssen … ist Bewegung an der frischen Luft das Beste, um die Birne durchzupusten und Platz für neue Ideen zu machen.
Und ich hab grad welche.
Ich will Martha davon erzählen, aber sie meint, sie müsse noch zwanzig Minuten laufen.
Na, mehr Zeit brauche ich nicht, um ihr meine Ideen vorzutragen.

*******

Ich rede mich in Begeisterung, sage ihr, was mir vorschwebt und was für Materialien sie bitte für mich zusammenstellen soll. Ich bin so richtig in Fahrt, als ich auf einmal das Gefühl habe, daß Martha nicht mehr zuhört.
Kann sie auch nicht, denn sie ist etliche Meter hinter mir. Sie hat angehalten und hält sich die Seiten.
Seitenstechen, klar.
Ich will ihr helfen, ich weiß, wie das geht.
Ich stelle mich hinter sie, lasse sie die Arme ausbreiten.
Dann lege ich ihr meine Hände flach auf den Bauch und lasse sie tief da hinein atmen. Das entspannt.
Es scheint auch erst prima zu funktionieren. Doch dann meldet sich Marthas Pulsuhr mit einem Warnton.
Wie, immer noch so hoch? Der hätte jetzt eigentlich runtergehen sollen.
Als ich mich laut wundere, meint Martha, sie müsse los und schwups, weg ist sie.
Und ich stehe da und gucke bestimmt ziemlich dumm aus der Wäsche. Was sie wohl so plötzlich hat?

*******

Dann müssen wir los und Martha ist noch nicht da. Bei dem Tempo, das sie vorhin drauf hatte, hätte ich vermutet, sie ist eher da als ich.
Dann stellt sich raus, daß sie noch die Stoffmuster besorgt hat, die ich haben wollte.
Gute Martha, du denkst wie immer an alles.
Ganz im Gegensatz zu mir. Mir Trottel fällt gerade ein, daß meine Entwürfe noch oben auf meinem Tisch liegen …

4337
Wir sitzen im Taxi und ich maule, daß wir durch den Mist einen ganzen Tag verlieren.
Martha ist optimistisch und meint, daß bei der Marktforschung vielleicht was Spannendes rausgekommen sei.
"Meine Mode ist kein Konsumgut. Man trägt sie, um mit ihr zu leben."
Martha versucht, mir meine Illusionen zu rauben. Wenn meine Sachen erfolgreich wären, gäbe es immer einen, der sich mit meinem Erfolg schmücken würde und wenn nicht, dann wäre ich eben so blöd gewesen, nicht auf die Marktforschung zu hören. Sinngemäß.
Ich grinse über Marthas ironischen Tonfall und frage sie dann, warum sie vorhin im Park so schnell weggerannt wäre. Ich sei noch gar nicht fertig gewesen.
Sie meint, ihr sei plötzlich eingefallen, daß irgendwer den Schlüssel für's Lager hätte und sie hätte ja noch meine Stoffe holen wollen.
Ach so.

*******

Was für ein Scheiß-Tag! Wären wir bloß nicht hergekommen. Ich wußte, ich würde mich aufregen, wenn man an meinen Entwürfen herumkritisiert.
Ich bin entnervt und müde und sage Martha, daß ich jetzt nur duschen und dann ins Bett will.
Und nun stellt sich raus, daß man uns ins selbe Zimmer gesteckt hat.
"Bin ich eigentlich nur von Idioten umgeben?"
Martha entschuldigt sich.
Ach, Martha, doch nicht du!

*******

Dummerweise ist in unserem Hotel alles ausgebucht. Ich hab keinen Bock mehr, mich zu ärgern. So schlimm ist das jetzt auch nicht. Verbringen Martha und ich eben die Nacht zusammen.
Sie scheint im Bad zu sein, als ich wieder ins Zimmer komme.
Ich ziehe mich aus und mache es mir mit dem Bettzeug auf dem Boden gemütlich. Eine Geste der Rücksichtnahme einer anständigen Frau gegenüber.
Dann kommt Martha aus dem Bad.
Sie bemerkt mich nicht gleich, weil sie rückwärts tänzelt.
Dann dreht sie schwungvoll eine halbe Pirourette und steht vor mir.
In einem weiten weißen Shirt mit dem Wort 'Sex' und einer Bombe darauf.
Bomben-Outfit.“, rutscht es mir raus.
Und schwups, habe ich Martha schon wieder in Verlegenheit gebracht.
Sie stürzt um das Bett herum und drückt sich ihre Decke an den Leib.
Schimpft, ich hätte sie ja mal vorwarnen können. Sie sei im Bad gewesen. Und hätte ja nackt sein können.
"Interessante Vorstellung. - Wärst du dann über mich hergefallen?" Ich kann nicht anders, als sie ein wenig mit ihrer vermeintlichen Sexsucht aufzuziehen.
"Was?"
"Na ja, der Mann deiner Cousine, deine Internetbekanntschaften. Zweimal wolltest du mich küssen. … Einmal hast du mich sogar geküßt."
Sie antwortet nicht. Legt sich ins Bett.
"Willst du wirklich da unten schlafen?"
"Hah! Ich hab's gewußt, du Luder!"
Sie ist so süß, wenn sie sich so empört. Wie habe ich das vermißt, als ich Idiot mich mit der ebenso unfähigen wie langweiligen Kim rumschlagen mußte.
Sie redet sich raus, das würde so unbequem aussehen.
"Scheiße, ich sollte wahrscheinlich meine Unterhose lieber wieder anziehen."
Da sitzt sie senkrecht im Bett. Ich muß mich anstrengen, nicht loszuprusten.
"Waaas? Du hast keine Unterhose an?"
"Ist das ein Problem?", frage ich zurück und schiele unter meine Bettdecke.
Jetzt habe ich sie völlig aus der Fassung gebracht. Sie tut mir fast ein bisschen leid. Es ist sicher nicht leicht für sie, mir so nah zu sein. Und ich mache es ihr noch schwerer. Aber sie ist eben einfach so süß, wenn sie abstreitet, daß sie was von mir will.
"Ich bin nicht nackt.", beruhige ich sie.
Dann wechsle ich das Thema, damit sie wieder runterkommen kann.
Außerdem beschäftigt mich Moschs Kritik tatsächlich mehr, als ich möchte.
Ich frage, was Mosch an "kühl" und "geheimnisvoll" auszusetzen hätte.
Martha meint, er wolle sicher nicht alles geändert haben. Er würde etwas vermissen. Ein Gegengewicht. Das Geheimnis hinter dem Geheimnisvollen. Weil "kühl" doch erst richtig spannend sei, wenn man das Verletzliche dahinter ahne.
Ich frage mich, ob sie mich damit meint.
Sie redet weiter. Gegensätze würden sich anziehen. Sie meint, daß Sachen erst dadurch richtig spannend würden.
Ich sage, daß ich jetzt darüber nachdenken würde.

*******

Das tue ich wirklich. Ihre Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie erfaßt immer so schlicht den Kern der Sache. Meine Gedanken rotieren, überschlagen sich … am liebsten würde ich sofort nach Hause, um all das umzusetzen, was in meinem Kopf herumspukt.

Weil mir das keine Ruhe läßt, bin ich am Morgen auch schon früh auf.
Martha lasse ich noch ein paar Minuten schlafen. Ich weiß nicht, was sie träumt, vielleicht vernascht sie mich gerade.
Als ich mit meiner gepackten Tasche aus dem Bad komme, plumpst sie grade aus dem Bett. Wäre ich nicht schon auf, wäre sie glatt auf mich gefallen.
Fast schade - ich hätte gerne gewußt, wie sie mir erklären würde, warum sie auf mir liegt.
Ich lasse mir nichts anmerken, frage nur unschuldig, ob sie eine wilde Nacht gehabt hätte und immer so laut träume.
Sie erzählt mir was von einem Schnittmusterbogen, aber ich bin zu ungeduldig, um ihr zuzuhören. Ich will die Ideen umsetzen. Die Ideen, die sie in meinem Kopf gepflanzt hat.
Arme Martha. Ich lasse sie nicht mal mehr in Ruhe frühstücken.
Aber ich hoffe, merkt, daß ich nur so in Eile bin, weil ich ihre Anregungen umsetzen will. Nicht, weil sie mir auf den Sack geht.

*******

Zurück bei LCL mache ich mich sofort an die Arbeit. Und es wird gut. Nicht ohne gewissen Stolz präsentiere ich Martha das Ergebnis. Mir hätte da gestern jemand was zugeflüstert - über Gegensätze, die sich anziehen.
Ich meine, sie hätte glücklich gelächelt, als ich ging.

4339
Ich zerre Martha mit mir ins No Limits. Sie folgt mir nur widerstrebend, meint, Mosch würde auf die Entwürfe warten und wir dem Zeitplan hinterherhinken.
Ich erkläre, daß ich keine Maschine bin und auch mal Luft brauche.
Immer noch widerstrebend nimmt sie neben mir Platz.
Ich lege ihr meinen Arm um die Schulter, ziehe sie zu mir heran und tuschele ihr ins Ohr: "Wir schwänzen.".
Sie ist ziemlich fassungslos.
Ob sie noch nie geschwänzt hätte, früher in der Schule?
Doch, öfter sogar.
Das glaube ich ihr nicht.
"Du warst 'ne Streberin, stimmt's?", lache ich.
Sie protestiert, aber ich weiß Bescheid.
Wie oft ich geschwänzt hätte, will sie wissen.
Als ich nicht sofort antworte, interpretiert sie das falsch und meint, wieder verbotenerweise in meiner Vergangenheit gestochert zu haben. Ihr Unterton ist allerdings leicht ironisch und ich muß grinsen.
Dann erblickt sie Sascha und ruft ihm hinterher. Aber der winkt nur kurz und ist weg.
Martha wundert sich. Ich nicht. "Er hat dein Geld nicht.", meine ich.
Sie ist überzeugt, sie bekommt ihr Geld zurück.
Ich glaube nicht wirklich daran, ich kenne solche Typen wie Sascha.
"Martha, mein Angebot steht. Du bekommst die Zweitausend von mir.", sage ich. Immerhin hat sie ihre Ersparnisse geopfert, um mir aus der Patsche zu helfen. Sie hat es für mich getan. Es wäre also nur fair, wenn ich ihr das Geld gebe.
Doch sie hat ihren Stolz und lehnt ab. Sie bekomme ihr Geld.
"Deswegen hat er sich auch so gefreut, dich zu sehen." Jetzt bin ich ironisch.

*******

Wir arbeiten an Moschs Änderungswünschen.
Es wurmt mich, daß ich wegen diesem Typen und seinen Vorstellungen meine ganze Kollektion ändern soll.
Martha meint, das Thema hätten wir doch schon gehabt.
"Ich weiß. Ich bin eine Hure und verrate meine Ideale."
Doch dann hat meine kleine Assistentin mal wieder den rettenden Einfall. Ich könnte sie knutschen, aber ich hab die Hände nicht frei.
Das mit Sascha läßt ihr keine Ruhe. Sie will ihn anrufen, um sich bestätigen zu lassen, daß er vorhin einfach nur keine Zeit hatte.
Es passiert genau das, was ich erwartet habe - er drückt sie einfach weg.

*******

Ich hole Martha einen Kaffee.
Sie wundert sich.
"Ich will, daß du dich konzentrierst. Seit du keinen Kaffee mehr trinkst und keinen Kuchen mehr ißt, bist du tollpatschiger als sonst. Das nutzt mir nichts."
Ich bemühe mich, streng zu wirken.
Wenn sie abnehmen will, soll sie Sport machen, aber keine Diät. So unterzuckert ist sie wirklich noch fahriger als üblich und in unserem Team ist nur Platz für einen Chaoten und der bin ich.
Ich weiß nicht, ob sie mir meine Strenge abkauft, aber über den Kaffee freut sie sich.
"Siehst du?", lache ich und stupse sie neckisch.
Da taucht Sascha auf. Gibt ihr einen Umschlag und meint, das sei die erste Rate. Er würde nicht immer regelmäßig zahlen können, aber er verspreche, sie würde ihr Geld bekommen.
Martha ist zuversichtlich, ich nicht.
Wer Recht hat, zeigt sich, als Martha merkt, daß nur lächerliche zwanzig Euro in dem Umschlag sind.
Martha will das anscheinend so nicht hinnehmen, denn sie greift sich ihre Jacke und verschwindet.

*******

Ich suche sie und finde sie schließlich im No Limits. Sie telefoniert.
"Du schwänzt."
"Entschuldige."
"Was macht meine Assistentin, wenn sie schwänzt?", frage ich, wieder streng.
"Och, ich hab ein bisschen Geldeintreiber gespielt. - Ja, ich hab ihm die Finger gebrochen und jetzt zahlt er."
Sicher, Martha.
Ihr ist wohl klar, daß ich ihr das nicht abkaufe, denn sie meint gleich darauf, daß sie Sascha ein Bier ausgegeben hätte.
Statt Fingerbrechen ein Bierchen? "Gut, daß du nicht meine Steuerberaterin bist."
Sie ist immer noch überzeugt, daß sie ihr Geld bekommt.
Sascha wäre nicht so einer. Er hätte ihr seine gesamte Geschichte erzählt. Daß er seinen Vater im Krieg verloren hätte.
Ich merke, wie meine Gesichtszüge einfrieren. Nicht, Martha.
Doch sie merkt es erst, als es zu spät ist. Entschuldigt sich, daß sie das Tabu-Thema Vergangenheit heute schon zum zweiten Mal angesprochen hat.
Doch ich habe bereits zugemacht, mich meinem Schmerz und ihr verschlossen.
Ich lasse sie einfach stehen.
Es tut mir leid, Martha, es hat nichts mit dir zu tun.

*******

Irgendwer lärmt und stört mich in meiner Konzentration.
"Ruhe!", brülle ich.
Die Stimme, die sich entschuldigt, kommt mir bekannt vor.
Ich drehe mich um - Sascha.
Nun weiß ich, mit wem Martha vorhin telefoniert hat. Sie hat Sascha einen Job bei LCL klargemacht.
Ich sage ihm ins Gesicht, daß seine rührseligen Geschichten vielleicht bei Martha verfangen, aber nicht bei mir.
Der Krieg sei vorbei und kein Schwein würde sich mehr für die alten Geschichten interessieren.
Tief in mir drin weiß ich, daß ich selbst mit dem Thema noch lange nicht abgeschlossen habe ...

*******

Ich stelle Martha wegen Sascha zur Rede.
"Hast du diesem Kriegsopfer hier einen Job verschafft?"
"Kriegsopfer?"
"Sag mal, bist du total bescheuert?"
Ich unterstelle ihr, Mitleid mit Sascha zu haben. Der Typ hätte sie um zweitausend Euro beschissen.
Ich will wissen, warum sie ihm hilft.
Sie sagt, sie will ihr Geld. Und dazu bräuchte Sascha einen Job.
Sie fragt, warum ich mich so aufrege.
Ich traue ihm nicht, sage ich.
Das sei nicht mein Problem, meint sie.
"Er erinnert dich an dich, das ist das Problem."
Er erinnert mich an Dinge, an die ich mich nicht erinnern möchte.
Ich tue unbeteiligt, lache. Ich merke selbst, wie hohl mein Lachen klingt.
Sie sagt, sie sei es so leid. Ich sei wie ein Minenfeld, sobald sie auch nur eine einzige Frage nach meiner Vergangenheit stellen würde.
Ich ahne, wohin dieses Gespräch führen wird und möchte am liebsten wegrennen.
Ich würde sofort dichtmachen und weglaufen.
Ja, das hat sie gut erkannt.
"Aber du kannst nicht ewig vor dir selbst davonrennen."
Ich fühle mich getroffen.
Sascha würde über seine Vergangenheit reden und es würde ihm gut damit gehen.
"Aber du frißt nur alles in dich hinein und ich glaube, das ist auf Dauer nicht die beste Taktik."
Eine Stimme in mir sagt, daß sie Recht hat.
Sie entschuldigt sich abermals dafür, sich in mein Privatleben einzumischen, aber es ginge hier auch um den Job. Daß es meinen Entwürfen gut tun würde, wenn es nicht immer so düster in meinem Kopf wäre. Ich sollte doch mal drüber reden. Allerdings nicht mit ihr. Sie hätte keine Zeit. Der Hausmeister aber. Sascha.
Ich starre sie an und bin sprachlos.
Über das, was sie mir gesagt und wie sie es gesagt hat. Kaum jemand traut sich, so mit mir zu reden.
Sie tut es.
Und ich weiß, daß ich gut daran tue, ihre Worte nicht einfach wegzuwischen, sondern wenigstens darüber nachzudenken.
4340
Martha scheint zu befürchten, daß ich wegen eben sauer auf sie bin, denn sie versucht, sich zu rechtfertigen, kaum daß ich das Nähzimmer betreten habe.
Sie entschuldigt sich, wieder in meinem Privatleben herumgestochert zu haben. Es ist zwar eine etwas zweifelhafte Entschuldigung, so ein „Ja ja, ich weiß schon blabla“ …
Tief in mir drin weiß ich, daß sie Recht hat. Deswegen kann ich ihr auch nicht böse sein.
Nein, im Gegenteil … ich bin wegen was ganz Anderem hier.
"Mosch hat angerufen."
"Und was hat er zu den geänderten Entwürfen gesagt?"
"Diese romantische Ader hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, Herr Adam.", sage ich und warte auf Marthas Kommentar.
"Sag's."
"…"
"Na los, es muß raus. Sag es."
Nein, ich werde nicht darauf rumreiten, daß ich dich inspiriert habe. Und ich werde auch nicht nerven, daß du dich mit deinem Kumpel versöhnen sollst."
Ich sehe sie nicht an, aber ich habe das Gefühl, daß sie auf niederträchtige Art grinst.
Martha Wolf, du machst mich noch wahnsinnig! Aber ich darf mich nicht beklagen. Ich hab sie wieder zu meiner Assistentin gemacht. Nun muß ich die Suppe auch auslöffeln. Und Martha ist ein harter Brocken geworden.

Ich mache es wirklich.
Ich gehe auf Sascha zu. Er entschuldigt sich, ich akzeptiere und die Sache ist erledigt.
Zufrieden, Martha?

*******

Obwohl es Martha wegen dieser Respektlosigkeit eigentlich nicht verdient hat, stehle ich mich heimlich an ihren Platz und deponiere die Schachtel mit meinem kleinen Präsent dort. Ich hab nämlich was für sie geklaut. Ein paar Badeschlappen aus dem Münchner Hotel. Sie mochte die Dinger.
Scheinbar unbeteiligt hocke ich an meinem Platz, beobachte aber genau, wann sie die findet.
Und während sie noch verdutzt auf den Inhalt der Schachtel starrt, stehe ich schon vor ihr.
Ich möchte ja sehen, wie sie reagiert.
Gefallen sie dir?“
Sind die … von dir?“
Ja, ich dachte .. du mochtest sie so und würdest dich nicht trauen, sie mitzunehmen.“
Na ja, was heißt 'trauen'? … Das macht man doch nicht.“, zischelt sie mir zu.
Ach, Martha!
Was denkst du, was die im Hotel mit den Dingern machen? Wird keiner vermissen.“, bemühe ich mich, ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen.
Sicher? … Wie komm' ich denn eigentlich zu der Ehre?“
Für den guten Job bei Mosch.“
Und für vieles mehr, was ich anders nicht zeigen kann.
"Wobei ich mittlerweile bereue, daß ich sie dir geschenkt hab."
"Warum?"
"Weil du 'ne Nervensäge bist."
"Aber eine erfolgreiche Nervensäge." Und mit diesen Worten haut sie mich mit den Schlappen.
"Du hast dich mit Sascha vertragen, oder?"
"Hast du uns beobachtet?"
"Was denkst denn du?"
Ich mach mir die Mühe und und und schenk dir was ...“
Sie könnte sich schon etwas deutlicher freuen.
Stattdessen weist sie mich darauf hin, daß dieses mein Geschenk mich keinen Cent gekostet hat.
Ich hoffe … du … äh … freust dich wenigstens ein bisschen darüber.“
Es ist wohl nicht zu überhören, daß ich von ihrer Reaktion enttäuscht bin.
Ja, total. Danke!“ Sie strahlt mich an.
Okay, sie freut sich also doch. Fein.
Da kommt meine Verabredung.
Ich erinnere Martha noch daran, das Shooting vorzubereiten.

*******

Ich versuche Martha zu erreichen, es geht um das Shooting.
Ich brauche sie und zwar sofort. Doch erreiche ich sie nicht.
Ich wundere mich – sowas ist noch nie vorgekommen.

4341
Ich hinterlasse Martha eine Nachricht auf ihrer Mailbox und frage sie, wo sie bleibt. Die Mittagspause sei längst vorbei und wir müßten mit dem Shooting anfangen.
Doch der Fotograf, das Model und ich warten vergeblich und müssen schließlich ohne sie anfangen, da der Fotograf nicht ewig Zeit hat.

 Als ich mir nach dem Shooting einen Kaffee holen will, treffe ich Martha an der Treppe.
Und nun erfahre ich den Grund für ihr Zuspätkommen.
Martha hat mich wegen Sascha versetzt! Er hat für sie gekocht und sie haben Sljivovic getrunken. Martha offensichtlich einen zuviel. Sie hat nicht mal mitgekriegt, daß ich angerufen habe.
Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Eigentlich müßte es mir gefallen, wenn sich mal ein Mann um sie bemüht. Dann verrennt sie sich vielleicht nicht mehr so in ihre unerfüllbaren Wünsche was mich angeht.
Aber daß sie ihre Arbeit deswegen vernachlässigt, das geht nicht.
Ich würde sagen, du trinkst jetzt erstmal einen Liter Wasser, um wieder klar zu werden und dann brauche ich dich für die Abnahme der Fotos. … Und was Sascha angeht ...werd' mir bitte nicht ...“
Der Rest bleibt ungesagt – wie sie sich darauf einen Reim machen soll, weiß ich selbst nicht.
Ich weiß nur, daß ich ein komisches Gefühl im Bauch habe, wenn ich an sie und Sascha denke.

*******

Ich treffe Sascha im Park. Er läuft da auch immer.
Und ich muß ihn wegen Martha fragen, mein komisches Gefühl im Bauch läßt mir keine Ruhe.
Ich denke daran, wie glücklich Martha aussah, als ich sie vorhin traf; wie sehr sie sich offensichtlich über Saschas nette Geste mit dem Kochen gefreut hat.
Daß sie darüber die Zeit vergessen hat, ist doch verständlich. Und passiert bestimmt nicht wieder.
Ich sollte es ihr gönnen.
Und so gehe ich auf Sascha zu, klopfe ihm freundschaftlich auf die Schulter und meine: „Habt ihr kroatischen Abend gemacht, hm?“
Hab ja gesagt, daß ich ihr was schuldig bin. Außerdem ist sie 'ne coole Frau.“
Ist sie.“, stimme ich ihm zu.
Sag mal, Martha … die macht 'ne ganze Menge für dich, hm? Trägt dir den Mist hinterher, ist ständig für dich erreichbar …“
Das ist ihr Job.“
Daß sie dich aus dem Knast geholt hat, ist das auch ihr Job?“
Ihr Erspartes zu opfern, sich brutalen Schlägern gegenüber zu stellen – nein, das ist sicher nicht ihr Job.
Nein, das hat sie gemacht, weil ich mehr für sie bin als nur ihr Chef.
Aber das sage ich Sascha nicht.
Komm mal zum Punkt.“ So langsam will ich wissen, worauf er hinaus will.
Ich mag sie.“
Viele mögen sie.“
Hm ja … nicht so ...“
Er scheint sich wirklich für sie zu interessieren. Ich bin mir nur nicht sicher, ob er es ernst meint oder nur eine interessante Abwechslung in ihr sieht.
Es ist ihr Privatleben, es geht mich nichts an. Und trotzdem …
Überleg dir, was du machst. … Ihr arbeitet beide in derselben Firma.“
Ausgerechnet ich muß sowas sagen, der mir Gerüchte und Getratsche so scheißegal sind.
Sascha versteht, was ich meine.
Dann klingelt sein Telefon.
Martha.
Die beiden verabreden sich.
Und ich habe wieder ein komisches Gefühl im Bauch.

*******

Ich bin den beiden später zufällig beim Joggen begegnet.
Wartest du auf mich?“, frage ich Martha, obwohl ich genau weiß, auf wen sie wartet.
Martha ist irgendwie süß, wenn sie verlegen ist. Und ich sollte nicht so frech grinsen, ich weiß.
Da ich hier überflüssig bin, verabschiede ich mich.
Dabei würde ich zu gerne Mäuschen spielen ...

4343
Ich bin froh, daß ich Martha direkt in der Eingangshalle von LCL treffe.
Wir haben heute wieder ein Shooting und wie fast immer fällt mir in letzter Sekunde noch was ein.
Aber auf Martha ist Verlaß, sie wird das hinkriegen.
In aller Eile erkläre ich ihr, was ich vor dem Fitting noch geändert haben möchte.
Sie hört zwar zu, erzählt dann irgendwas von ihrer Cousine und Verpartnerung, was doch jetzt völlig unwichtig ist.
Beeil dich.“, meine ich.
Als sie Richtung Ausgang eilt, merke ich, daß sie nicht begriffen hat.
Stop!“, rufe ich ihr nach. „Du mußt dich mit den Änderungen beeilen.“
Bestürzt sieht sie mich an.
Aber dann komm ich zu spät.“, sagt sie.
Ja, und? Das ist doch kein Drama, oder?
Ich dachte, die Arbeit für mich sei ihr so wichtig.
Noch was?“, frage ich zugegeben ziemlich unfreundlich und lasse sie stehen.

Während ich die Einzelheiten für das Shooting noch mal im Geiste durchgehe, drängt sich immer wieder Marthas entgeistertes Gesicht dazwischen und ich verstehe nicht, warum ich so gereizt reagiert habe.
Daß die Arbeit vorgeht, hätte ich auch etwas freundlicher verpacken können.
Ist es, weil sie jetzt zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ihre Pflichten schleifen läßt?
Mir wird bewußt, daß ich mich daran gewöhnt habe, daß ich für Martha immer an erster Stelle komme.
Für sie ist die Arbeit für mich keine Last, sondern Vergnügen.
Sie geht darin auf, mir alle Wünsche von den Lippen zu lesen.
Und jetzt habe ich das Gefühl, daß sich etwas ändert und eins ist klar – es gefällt mir nicht.
Dann schießt mir Sascha durch den Kopf.
Na klar … ich bin nicht mehr der alleinige Mittelpunkt ihres Interesses.
Da gibt es noch einen anderen, der sie gedanklich beschäftigt.
Der für sie kocht.
Und was er sonst noch für sie tun mag.
Irgendwie tut mir mein Befehlston von eben schon leid.
So bin ich eigentlich nicht.
Keiner dieser miesen Bosse, die ihre Mitarbeiter wie Menschen zweiter Klasse behandeln.
Martha ist meine Assistentin, auf die ich verdammt viel Wert lege. Sie hat Respekt und einen freundlichen Umgangston verdient.
Aber ich kann nicht verhindern, daß es mir einen Stich versetzt, vielleicht nicht mehr das Wichtigste in Marthas Leben zu sein.
Denn leugnen, daß ich genau das bisher genossen habe, kann ich nicht.

4344
Ich will mit dem Fitting beginnen und in letzter Minute kommt auch Martha.
Während ich mir eine Banane schäle, beobachte ich sie, wie sie sich gleich beschwingt in die Arbeit stürzt.
Doch dann stutze ich.
Irgendwas ist heute anders an ihr.
Doch was?
Ich trete näher, betrachte sie genauer, um herauszufinden, was anders ist. Trägt sie die Haare anders, hat sie sich geschminkt oder nur ein neues Parfüm, auf das ich unbewußt reagiere?
Sie entschuldigt sich wortreich für ihr spätes Erscheinen, merkt aber gleich, daß ich nicht wissen will, warum sie so spät ist.
Der Fotograf ist verdammt sauer.“ Solche Leute warten nicht gern. Und ich würde gerne ...“
Die Hose und die Jacke, bitte.“ Mit diesen Worten hält sie mir das Gewünschte bereits hin.
Ich weiß ja, sie hat einen Instinkt für meine Arbeit, aber Gedanken lesen kann sie doch nicht?
Woher weißt du das?“, frage ich irritiert.
Äh, ich beleg doch 'nen neuen Kurs … Hellsehen … montags … achtzehn Uhr.“
Meine halbe Banane fliegt auf den Tisch. Nicht nur zu spät kommen, auch noch ihren Chef veräppeln … na, die ist ja gut drauf heute!
Quatsch, ich hab doch das Fitting selber geschrieben … die Liste … äh, also würd' ich vorschlagen, dassss … nicht reden, arbeiten.“, meint sie munter.
Und damit dreht sie sich weg von mir.
Doch ich muß sie aufhalten.
Moment! Warte mal … irgendwas ist anders ...“
Es fährt aus mir heraus, bevor ich weiter darüber nachdenken kann: „Du siehst verdammt gut aus!“
Ehrlich? … Danke.“
Sie strahlt mich an und ich frage mich, wieso mir erst heute auffällt, was für eine schöne Frau sie ist.

*******

Das Model ist fertig angekleidet. Ich betrachte meine Arbeit von allen Seiten und bin zufrieden.
Martha nicht. Sie vermißt einen Farbtupfer. Und Mosch wolle Kontraste.
Mein Blick wird immer wieder von ihr angezogen, das irritiert mich.
Schöne Frauen machen mich an, aber sie verwirren mich nicht.
Marthas ganze Ausstrahlung hat sich verändert und zieht mich auf seltsame Weise in ihren Bann.
Martha wuselt davon und kommt mit einer bunten Ansteckblume oder sowas wieder.
Wie wär's damit?“, strahlt sie mich an.“
Ich bin nicht begeistert.
Ich schätze deine Meinung, aber bitte verschon mich mit diesem bunten Zeug.“
Ich fürchte, nun habe ich sie gekränkt.
Juri, du Arsch, kannst du es nicht ein bisschen netter sagen, wenn dir was nicht gefällt?

*******

Eine Weile später kommt sie auf mich zu und fragt: „Sag mal, willst du noch lange machen?“
Was? … Nein.“
Super.“
Ich bitte sie um das Protokoll vom Fitting und frage nach den Alternativen zu den Stoffmustern, die wir doch notiert hätten?
Haben wir wohl nicht, aber das stünde alles in der Mappe, die sie mir hinhält.
Ich bitte sie, mir die letzten drei Stoffmuster zu holen.
Jetzt?“
Wann dann?“ Ich bin voll in der Arbeit und ihre locker-lässige Art irritiert mich.
Morgen. Dann gehen wir eh noch mal alles im Detail durch. Ich kann gern 'ne Stunde früher kommen. Aber jetzt kann ich nicht. Ich hab jetzt Feierabend.“
Damit drückt sie mir die Mappe in die Hand und läßt mich einfach stehen.
Und ich starre ihr fassungslos hinterher.

*******

Ich ahnte ja, daß Sascha und Martha sich näher gekommen sind, aber als ich ins No Limits reinkomme und die beiden in einem innigen Kuß vertieft sehe, hat’s mich doch erstmal weggehauen.
Meine Martha! Knutscht hemmungslos und mit sichtlich Spaß an der Sache öffentlich rum!
Nun weiß ich auch, warum sie vorhin zu spät gekommen ist. Sie und Sascha haben sich offensichtlich nicht so schnell voneinander lösen können.
Ich gehe auf die beiden zu.
Deshalb bist du mir weggelaufen.“
Ja.“, meint sie und wirkt nicht mal verlegen dabei.
Ich hab mir die, äh, geänderten Entwürfe nochmal angeschaut. … Irgendwas fehlt da … Aber du hast Recht, wir schauen uns das morgen noch mal an.“
Ich will hier nicht den Spielverderber spielen, wo Martha doch offensichtlich so glücklich ist.
Du, ich kann auch gerne morgen 'ne Stunde früher kommen.“, bietet sie mir nochmal an.
Brauchst du nicht.“ Mein Blick geht von Martha zu Sascha. … „Viel Spaß!“, wünsche ich den beiden.
Bei was auch immer.

*******

Meine Blicke werden immer wieder zu den beiden gezogen.
Und mich beschleicht ein komisches Gefühl.
Martha sehnt sich nach Bestätigung, danach, von einem Mann begehrt zu werden. Sascha hat das gemerkt. Nur ich Trottel nicht.
Und nun frage ich mich, ob Sascha nicht nur ihre Sehnsucht ausnutzt, um für eine Weile Spaß zu haben. Kein Zweifel, daß er wirklich auf sie steht und er hat ja Grund dazu.
Aber meint er es ernst mit ihr?

*******

Ich komme vom Klo und treffe Sascha zufällig grad allein am Billiardtisch an.
Ich stelle mich dicht neben ihn; er scheint zu merken, daß ich … komisch drauf bin.
Was denn?“
Was läuft da eigentlich zwischen euch?“
Eigentlich geht mich das ja nichts an.
Verarsch sie nicht.“, warne ich ihn. Er kriegt ein Problem mit mir, wenn er nur mit ihr spielt und ihr das Herz brechen sollte.
Dann mach ich ihn fertig.
Martha kommt dazu; ich möchte nicht, daß sie etwas mitbekommt.
Wir mußten nur was klären.“, meine ich zu ihr. Und „Du hast mich verstanden.“, zu Sascha.
Nein, sag's nochmal.“, ruft mir Sascha hinterher, obwohl ich überzeugt bin, daß er mich ganz genau verstanden hat.
Sag mal – ist was?“, will Martha wissen.
Nein.“, lüge ich sie an.
Was ist das? Der Beschützerinstinkt des großen Bruders?
Ich kann nicht leugnen, daß mir Martha etwas bedeutet.
Ich will nicht, daß Sascha ihr wehtut.

*******

Martha folgt mir an die Bar, als ich zahlen will. Natürlich hat sie mir mein 'nein' nicht abgekauft.
Er schuldet dir Geld, du besorgst ihm 'nen Job ...“
Und jetzt gehen wir miteinander aus. Was ist daran so schlimm?“
Eigentlich nichts.
Ich mache mir Sorgen um meine Assistentin.“
Danke. Aber das ist nicht dein Problem.“
Sie versteht mich nicht. Ich seufze. „Macht, was ihr wollt.“
Sascha kommt dazu. „Werdet glücklich.“, meine ich auch zu ihm.
Das haben wir vor.“, sagt er und ich habe das dumme Gefühl, daß er weiß, was in mir vorgeht.
Wünsche ich mir wirklich, daß sie glücklich werden?
Vorhin war es noch so.

*******

Bin nach Hause. Will noch ein bisschen trainieren. Das macht den Kopf frei.
Während ich meine Hände bandagiere, schleichen sich immer wieder Martha und Sascha vor meine Augen. Ich sehe sie vor mir, wie sie sich zärtlich küssen.
Und fühle einen brennenden Schmerz in mir …
Ich versuche, meine sich widerstreitenden Gefühle zu kanalisieren, meinen aufkeimenden Frust an dem Sandsack auszulassen.
Doch was sonst immer funktioniert, heute gelingt es nicht.
Immer noch sehe ich die beiden vor mir, wie sie Händchen haltend nach Hause gehen, eine lange Nacht voller Zärtlichkeit vor sich.
Und bemerke, daß ich den Sandsack umklammere, als ob er mein letzter Halt wäre …

4346
Ungeduldig warte ich auf Martha. Mir sitzt Mosch im Nacken. Der will heute noch die geänderten Entwürfe sehen. Habe die ganze Nacht daran gearbeitet.
Ich hab sie angerufen und ihr gesagt, daß ich heute zuhause arbeiten will und sie herkommen soll.
Aber sie läßt mich warten. Das kenne ich nicht von ihr. Sie ist immer pünktlich, zuverlässig; sie nimmt meine, unsere Arbeit sehr ernst. … Natürlich, Sascha! Also, wenn sie mich mit der Arbeit warten läßt, um rumzuknutschen … ah, das wird sie sein!

*******

Meine Anspannung äußert sich darin, daß ich Martha direkt zur Begrüßung anpflaume: „Warum hat das so lang gedauert?“
Ich erkläre ihr, daß Moschs verdammte Änderungswünsche mich die ganze Nacht wachgehalten haben.
Sie sieht sich in meinem Chaos um.
Sag mal, hast du alles geändert?“
Ich gehe nicht darauf ein, sondern meine: „Wenn du es in dieser Branche zu was bringen willst, dann gibt's keine geregelten Arbeitszeiten. Dann zählt nur deine Arbeit und du. Hier ...“, ich drücke ihr die geänderten Entwürfe in die Hand, „nimm die mit in die Firma und fang schon mit den Änderungen an, okay?“
Ja, klar. … Aber sag mal, hast du deine Meinung geändert? Ich dachte, du kannst mein Strickzeug nicht leiden.“
Mosch will Gegensätze. Widersprüche. Was ist widersprüchlicher als Wolle und Nieten, hm? … Hast du noch mehr von dem Strickzeug?“
Ehm ...“
Nicht die hellen Geschichten, eher sowas Dunkles.“
Ja, klar. Aber sag mal – meinst du das jetzt wirklich ernst? Du willst wirklich Sachen von mir für deine Entwürfe nehmen?“
Ja.“ Wenn ich dadurch Mosch zufriedenstellen kann … und dann lieber Marthas Sachen als die von jemand Fremden.
Okay. Aber dann muß ich noch kurz nach Hause.“
Okay, auf dem Weg zur Firma kannste ... kannste das ja holen und dann treffen wir uns in einer halben Stunde bei LCL, okay?“
Können wir vielleicht 'ne Stunde draus machen? Ich würd' gern noch mit Sascha zu Mittag essen.“
Sag mal, hast du mich nicht verstanden?“, gehe ich sie an. Ich schlag mir wegen Mosch die halbe Nacht um die Ohren und sie will in aller Seelenruhe mit diesem Vogel Mittag machen?
Mosch will heute noch die Entwürfe sehen.“ Ich hoffe, sie kapiert jetzt.
Ich glaub, du hast mich nicht verstanden.“
Wie bitte?
Ich bin seit sechs Uhr morgens wach, ich hab den ganzen Vormittag in der Firma auf dich gewartet … und jetzt kannst du doch eine halbe Stunde länger warten, damit ich mal endlich was zu essen bekomme. Meine Mittagspause steht mir echt zu.“
Damit dreht sie sich um und geht.
Und ich starre ihr wieder fassungslos hinterher.
Ich dachte, sie würde mir um den Hals fallen, wenn sie hört, daß ich ihre Strick-Accessoires an meiner Kollektion haben möchte.
Ich verstehe sie nicht – die Arbeit für mich war ihr doch immer das Wichtigste. Sie war so glücklich, als ich ihr gesagt habe, ich will sie als Assistentin.
Sie hat immer alles für mich getan und zwar gerne.
Ja, sicher … Sascha wieder. Seitdem der in ihr Leben getreten ist, spiele ich nur noch die zweite Geige.
Ist es das? Stört es mich, nicht mehr ihre Nummer Eins zu sein? Daß sich ihre Welt nicht mehr ausschließlich um mich dreht?
Juri, kann es sein, daß du im Laufe der letzten Monate Martha als „deine Martha“ empfunden hast? Hast du Angst, Sascha könnte sie dir wegnehmen? Aber wieso? – Du bist ihr … nein, das Wort Chef gefällt mir nicht, wir haben kein Vorgesetzter-Angestellten-Verhältnis zueinander. Ein guter Freund. Ja, vielleicht.
Reicht dir das auf einmal nicht mehr; seit Sascha da ist?
Ist es, weil sie sich von dir abnabelt, selbstbewußt und unabhängig wird, während du sie mehr denn je brauchst?
Es tut mir leid, daß ich so barsch zu ihr war. Sie hat ja Recht – auf eine halbe Stunde kommt es wirklich nicht an. Nur weil ich mir alles versage, wenn ich arbeite, darf ich das nicht einfach so von ihr verlangen. Sie tut doch wirklich beinahe alles für mich.
Ich habe mich sehr ungerecht und undankbar ihr gegenüber verhalten. Manchmal bin ich echt ein Arschloch. Und sie hat es von allen Menschen um mich herum am wenigsten verdient …
Ich muß raus an die frische Luft. Und Hunger habe ich eigentlich auch. Vielleicht treffe ich sie ja …

*******

Da ist sie. Und Sascha, klar.
Ich hoffe, sie merkt, daß mir mein Verhalten leid tut. Ich würde mich gerne bei ihr entschuldigen. Aber nicht vor ihm. Dafür erzähle ich ihm, daß mir Marthas Sachen an meiner Kollektion gefallen. Was bezwecke ich eigentlich damit? Ist das nur Smalltalk, um das verlegene Schweigen zu brechen? Will ich ihm zeigen, wie sehr ich Martha schätze? Daß sie nicht nur meine folgsame kleine Assistentin ist?
Sauer scheint sie nicht zu sein. Aber sich unbehaglich in meiner Nähe zu fühlen.
Sie und Sascha gehen.
Und ich bemühe mich, zu akzeptieren, daß ich sie mit Sascha teilen muß …
Herrgott Juri, du willst doch nichts von ihr; du kannst doch nicht erwarten, daß sie sich bis zum Sanktnimmerleinstag Hoffnungen auf dich macht! Früher oder später mußte sie einfach einen Mann treffen, der sie will und zwar so, wie sie ist. Gönne ihr das einfach und packe deine Besitzansprüche weg!

*******

Ich weiß nicht, warum alle meine guten Vorsätze immer gleich wieder zum Teufel sind.
Ich reagiere ungeduldig und genervt, als sie mich fragt, ob ich ihre Strick-Accessoires wirklich so gut finde. Ja, würde ich sie sonst nehmen wollen?
Sie hat dann so gestrahlt, daß es mir leid tat, auf ihre Frage hin so genervt reagiert zu haben. Meine Anerkennung ist ihr anscheinend nicht so selbstverständlich, wie ich dachte. Vielleicht sollte ich öfter mal sagen, was ich denke. Sie ist schließlich keine Hellseherin.

*******

Ich bin mit Martha an den Modellen dran.
Hier und da ist noch eine Kleinigkeit zu ändern, eine Raffung zu versetzen.
Aber Martha versteht meine Änderungswünsche nicht, weil Sascha gerade hier staubsaugen muß.
Angenervt ziehe ich ihm den Stecker raus.
Hey!“, begehrt er gleich auf. „Was soll das?“
Wir arbeiten hier.“
Ich muß hier auch arbeiten, ich muß für die Präsentation saubermachen.“
Ich trete nahe an ihn heran, damit Martha nichts mitbekommt.
So so.“
Wie, so so?“
Mir fällt auf, daß du Martha hinterherarbeitest.“
Komisch, was dir so auffällt.“
Was soll das denn bitte heißen?
Würd's dir was ausmachen, wenn du … ehm, weitermachst, wenn wir fertig sind? Also später?“
Okay.“
Danke.“
Die Stimmung zwischen uns ist definitiv angespannt.
Und ich habe das Gefühl, Martha spürt das auch.
Also, mich hat das nicht gestört, daß hier geputzt wird.“
Ich weiß.“ Klar, daß sie Saschas Anwesenheit nicht stört.

*******

Da unten stehen sie. Küssen sich ganz unbefangen. Sie strahlt so, sie sieht so glücklich aus. Glücklich verliebt eben.
Ich starre sie an und in meinem Brustkorb schnürt sich etwas zu.
Tja, Juri, unbeschwerte Verliebtheit, sowas kennst du gar nicht. Kann es sein, daß du den beiden einfach dieses Gefühl neidest?
Du willst es doch so – keine feste Beziehung, keine Gefühle, nur unverbindlichen Sex. Du holst dir die schönsten Models ins Bett.
Und nun stehst du hier, starrst Martha an und fragst dich, ob es immer noch das ist, was du willst …
Ich sollte mich auf die Arbeit konzentrieren – Mosch und die Lahnsteins sind da.

*******

Ich suche Martha überall. Mosch will wissen, von wem die Accessoires sind. Ich will, daß Martha sie selbst präsentiert – es sind ihre Stücke, ihre Ideen und sie soll das Lob selbst einheimsen. Das hat sie verdient. Heute ganz besonders.
Wo steckt sie nur?
Da … ich unterdrücke so gerade noch den Impuls, wegzurennen. Denn beim Anblick der beiden, wie sie sich zärtlich küssen, zieht sich in mir wieder alles zusammen.
Und urplötzlich packt mich Wut – Wut auf Sascha, Wut auf mich selbst, das Schicksal, das ganze verdammte Leben …
Ungewollt bekommt Martha davon etwas ab, als ich versuche, ihr zu erklären, wie wichtig diese Präsentation ist. Daß ich mir wünsche, daß sie in ihrer Arbeit bestätigt wird, daß mal sie im Mittelpunkt steht und nicht ich, daß ich ihr Gesicht sehen will, wie sie sich freut und wieder so süß verlegen ausschaut … das alles sage ich ihr nicht. Stattdessen vermittle ich ihr den Eindruck, daß sie mir gegenüber ihre Pflichten vernachlässigt.
Ich habe sie wohl echt verletzt, denn sie hält mir eine gepfefferte Standpauke.
Ich wäre eifersüchtig, weil sich, seit sie Sascha hat, nicht mehr alles nur um mich drehen würde und sie nicht mehr gleich springt, wenn ich pfeife.
Wahrscheinlich hat sie Recht, aber das Timing für ihre Ansage ist denkbar ungünstig. Die Fahrstuhltür hat sich geöffnet und Mosch und die Lahnsteins haben mitbekommen, wie meine Assistentin mich zusammenfaltet …

4347
Dieser Schleimer Mosch geht mir auf den Sack. Der süffisante Tonfall und das ganze Gehabe.
Kriecht um Martha herum und schmiert ihr Honig um’s Maul.
Sie hätte sicher mehr zu bieten als ihre Strick-Accessoires. Es sei normal, daß man sich auch privat annähere, wenn man beruflich nahen Kontakt hätte. Was denkt der Arsch – daß ich meine Assistentin vögle?
Es läge ein Knistern in der Luft und er liebe Indiskretionen am Arbeitsplatz. Ich könnte kotzen.
Er will meine Kollektion mit Marthas Accessoires daran.
So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Nichts gegen Marthas Sachen oder ihr Talent, aber es ist dann nicht mehr mein Ding, mein Schaffen.
Meine Modelle seien Kunstwerke, aber das ließe sich nicht verkaufen. Ich weiß, hat mir Martha auch schon gesagt. Und ich kann’s nicht mehr hören.
Mosch scheint zu meinen, ich sei eifersüchtig auf Martha, weil sie heute im Mittelpunkt steht. Was für ein Quatsch. Ich bin froh, heute nicht den Clown machen zu müssen, den dressierten Pudel.
Ich gönne Martha die Anerkennung.
Ich weiß nicht, wieso ich auf einmal so ablehnend gegenüber ihren Stricksachen bin. Jedenfalls nicht aus Eifersucht oder Neid.
Ich weiß nur, daß ich plötzlich ein ungutes Gefühl im Bauch habe, wenn ich daran denke. Und ich habe keine Ahnung, warum und wo das herkommt.
Ich wollte ihre Stricksachen. Ja, ich stehe eigentlich nicht auf so Zeugs und sie weiß das auch. Deshalb hat sie extra nochmal gefragt, ob es mir Ernst damit ist, ich ihre Sachen wirklich will. Und ich habe „ja“ gesagt und das auch so gemeint.
Ich verstehe mich selber nicht.
Ist es vielleicht doch, weil ich der Star-Designer bin und sie nur die kleine Assistentin? Und ich sie lieber auf ihren Platz verweisen würde?
Nein, so ein Macho-Arschloch bin ich nicht!

Martha ist das alles unangenehm, das sehe ich ihr an. Sie macht sich Gedanken, daß ich sauer auf sie sein könnte – auch das sehe ich. Ich bin sauer auf Mosch, sauer auf mich selbst, aber sicher nicht auf sie. Sie hat diesen Zirkus nicht gewollt, versucht sogar, abzuwiegeln. Aber kann letztlich nicht anders, als nachzugeben. Die Lahnstein würde sie sonst ‚nen Kopf kürzer machen. Die lechzt nämlich nach der Kohle, die Geldgier springt ihr beinahe aus den Augen.
Nein, Martha ist bescheiden und zurückhaltend und hat mir sicher nicht die Show gestohlen. Es ist nicht ihre Schuld, daß ich stumm an der Wand lehne, weil ich das alles ablehne und am liebsten verschwinden würde.
Außerdem liegt mir da noch etwas im Magen …

Dann sind die Vögel weg und ich bin mit Martha allein.
Wie sie darauf komme, ich sei eifersüchtig auf ihr Privatleben, frage ich sie.
Und frage mich, wieso mein Ton so angriffslustig ist.
Sie meint, ich sei so vorhin so sauer gewesen, als ich sie und Sascha beim Knutschen erwischt hätte.
Ich frage sie, ob sie denkt, ich würde was von ihr wollen.
Dabei weiß ich gar nicht, was ich will.
Sie sagt, daß ich sie und Sascha ständig auseinandertreibe.
Ich sage, daß ich sie als meine Assistentin brauche.
Daß ich sie einfach brauche, sage ich ihr nicht.
Ich sage ihr, daß es mir egal ist, was sie privat treibt. Nur möchte sie es bitte nicht hier tun.
Daß es mir jedesmal einen Stich versetzt, wenn ich sie und Sascha zusammen sehe, sage ich ihr nicht.
Ich sage ihr, daß ich sie nicht ständig rumknutschen sehen möchte.
Daß mich das verletzt, sage ich ihr nicht.
Warum so viele Worte, wenn ich doch nicht das sage, was ich wirklich denke?
Und ich meine, sie muß die Verletztheit in meinen Augen sehen …

*******

Während ich mich wieder an die Arbeit mache, hockt sich Martha mit ihrem Strickzeug in die Ecke und legt los. Mosch will ja mehr von ihren Sachen.
Das Klackern ihrer Stricknadeln drängt sich in mein Bewußtsein.
Ich starre auf die Zeichnungen vor mir.
Dieses Klackern ...
Ich muß mich konzentrieren.
Aber wieder dieses Klackern.
So unnatürlich laut. Als ob sie mit ihrem Strickzeug direkt neben mir stände. Wieso höre ich das so laut? Sie sitzt zwei Meter weit weg und es herrscht doch hier keine Friedhofsstille.
Der Entwurf ...
Wenn sie doch nur damit aufhören würde.
Es ist so laut, ich kann mich nicht konzentrieren.
Ich sehe sie an, hoffe, sie versteht, daß mich das Geklacker nervt.
Doch sie klackert weiter. Und weiter.
Das Klackern ist in meinen Ohren, in meinem Kopf.
Ich fahre mir mit der Hand über die Stirn, sie ist voll kaltem Schweiß.
Es klackert in meinem Kopf, immer noch so penetrant laut.
Wieder und wieder sehe ich sie an. Merkt sie denn nichts?
Wenn es nur aufhören würde. Ich kann es nicht ertragen.
Mir ist schlecht. Nein, mir ist speiübel.
Ich muß hier raus!!!

Ich weiß nicht mehr, wie ich auf's Klo gekommen bin.
Ich weiß nur, wie ich über der Kloschüssel hänge und mir die Seele aus dem Leib kotze.
Erschöpft sacke ich auf den Boden und lehne meine Stirn gegen die kühlen Fliesen.
Ruhe. Endlich Ruhe. Nicht mehr dieses furchtbare Klackern.
Ich atme tief durch, versuche, mich zu beruhigen, die Panik nicht wieder aufkommen zu lassen. Diese Hilflosigkeit macht mir Angst. Ich werde von innen angegriffen und weiß nicht, wie ich mich dagegen wehren soll.
Schritte und die Tür geht auf - sie kommen, sie haben mich gefunden! Ich fahre zusammen, möchte schreien, aber es kommt kein Laut raus. Dann erkenne ich Martha und komme wieder zu mir.
Verdammte Scheiße.
Ich zittere am ganzen Körper, mir ist immer noch speiübel und der kalte Schweiß läuft mir den Rücken runter.
Die Panik hockt mir noch im Nacken, ich kann sie spüren. Es ist noch nicht vorbei.
Martha ... sie fragt, was mit mir los ist. "Es geht mir gut.", lüge ich sie an.
Als ob ich erklären könnte, was grad mit mir geschieht. Oder die Kraft dazu hätte.
Ich bemühe mich, bei Verstand zu bleiben, nicht durchzudrehen.
Sie will mich nach Hause bringen. Ich will nicht, aber sie läßt nicht locker. Sie hat wahrscheinlich Recht. Meine Knie zittern so, daß sie mich kaum tragen.
Und auch sonst habe ich nicht die Kraft, gegen Martha aufzubegehren.
Ich will schlafen. Nichts mehr denken, nichts mehr fühlen ...

*******

Ich bin zuhause.
Muß mich erstmal setzen, meine Beine sind wie Pudding.
Ich sage "Danke." und daß ich klarkomme.
Sie soll gehen, sie kann mir nicht helfen.
Ich schleppe mich auf's Bett, kringele mich ein und versuche, den Kopf abzuschalten.
Martha geht nicht, aber mir ist alles egal.
Ich schließe die Augen.
Und da ist es wieder. Das Klackern.
Dieses unerträgliche Klackern.
Lauter und lauter.
Ich ertrage es nicht, warum hört sie nicht auf?
Wieder bricht mir der kalte Schweiß aus, ich zittere und krampfe. Mein Herz klopft mir von innen an die Brust, meine Kehle schnürt sich zu ...
Klacker.
"Leg das weg bitte."
Klacker. Klacker.
"Hör auf damit!"
Klacker, klacker, klacker.
"LASS DAS !!! HÖR AUF DAMIT !!!"
Ich höre es immer noch in meinem Kopf. Stimmen, Schritte, Schreie, Weinen. Bilder ziehen an meinen Augen vorbei. Das Strickzeug.
Ich habe das Zittern nicht mehr unter Kontrolle, mir ist eisigkalt. Mein Herz klopft immer noch rasend schnell.
Martha sitzt auf der Bettkante. Ich spüre es.
Sie rührt mich nicht an. Sie sagt nichts.
Sie sitzt nur da.
Ich weiß nicht, wie lange.

Ich weiß nicht, wann ich aufgehört habe, unkontrolliert zu zittern.
Ich weiß nicht, wann mein Atem ruhiger ging, mir das Herz nicht mehr aus der Brust springen wollte.
Diese entsetzliche Panik verging.
Martha sitzt da. Sie sagt nichts, aber ich spüre, daß sie ganz bei mir ist, mit all ihren Sinnen. Ich spüre es fast körperlich. Und es spendet eine seltsame Wärme.
Ich will, daß sie geht. Sie soll mich so nicht sehen. So schwach, so verletzbar.
Ich will, daß sie bleibt und mich festhält. Über dem Abgrund, über dem ich immer noch hänge.
Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergangen ist, bis ich mich langsam aufrichte. Minuten, Stunden ...
Ich bitte Martha um ein Glas Wasser. Meine Kehle ist wie ausgedörrt.
Ich gehe ruhelos auf und ab, habe Angst, daß die Panik mich wieder befällt.
Martha sitzt da und sagt nichts. Ich spüre ihre stumme Anteilnahme und irgendwie spendet mir das Trost. Ich bin nicht allein.
Ich hocke mich auf den Boden. Starre vor mich hin. Martha läßt sich mir gegenüber nieder, nach wie vor schweigend.
Und auf einmal kann ich reden. Reden über die Dinge, die ich tief in mir vergraben habe. Dinge, über die ich bisher mit keinem Menschen gesprochen habe.
Sie sagt nichts, sie hört still zu.
Ich sehe sie nicht an, aber ich spüre ihre Blicke.
Blicke voll herzlicher, ehrlicher Anteilnahme. Kein geheucheltes Mitleid. Sie leidet mit mir. Sie erlebt das Schreckliche mit mir. Wie mir mit meinen Eltern auch meine kindliche Unschuld, mein Gottvertrauen genommen wurde. Vielleicht auch den stummen Selbstvorwurf, weil ich feige im Schrank hocken blieb und meine Eltern im Stich gelassen habe …
Ich spüre, wie sie meine Hand nimmt. Ich drücke sie, klammere mich an sie. Und ich bin froh, daß sie da ist und mich hält ...

4348
Es hilft mir, daß sie meine Hand hält, als ich von meinem Schmerz spreche, den mein immer wiederkehrender Alptraum mir bereitet. Jenen Traum, den ich auch hatte, als Martha mich vor einiger Zeit so unvermittelt aus dem Schlaf riß. Sie winkt ab, als ich es anspreche; ich weiß, sie macht mir keine Vorwürfe, daß ich sie angegriffen habe.
Aber es drängt mich, es ihr zu sagen … daß diese Alpträume mich auch heute noch quälen.
Daß sie mir immer wieder meine Schuld vor Augen führen.
Die Schuld, nichts unternommen zu haben.
Nicht den kleinsten Versuch, meinen Eltern zu helfen.
Ja, wahrscheinlich wäre ich dann gestorben wie sie. Aber zumindest bei dem Versuch, sie zu retten. Sie hätten ihr Leben für mich gegeben. Aber ich habe keinen Finger für sie gerührt.
Ich erzähle Martha von den Alpträumen. Das macht meine Schuld nicht geringer, aber das Wissen um diese Träume zu teilen, hilft mir irgendwie. Ich fühle mich nicht mehr so allein mit meinen Problemen.
Sie fragt, ob ich noch mal da war. In Zagreb. In der Heimat, die schon lange keine mehr ist.
Ich spüre, wie meine Hand ihre los läßt, wie ich mich innerlich von ihr zurückziehe. Mein Schutzwall baut sich auf, sie ist zu weit vorgedrungen. Dahin, wohin ich noch nicht bereit bin, sie zu lassen.
Ich will sie nicht vor den Kopf stoßen, sie wollte mir nicht zu nahe treten. Sie will mir wirklich helfen. Aber sie muß meinen Weg akzeptieren.
Sie sagt, ich wäre nicht allein. Sie wäre da. Ja, das weiß ich.
Aber der Abwehrmechanismus greift. Ich sage ihr, daß ich klarkomme. Ich mache einfach wieder zu, sage ihr, daß es besser wäre, wenn sie jetzt ginge. Doch da ist eine andere Stimme in mir, die sie festhalten will. Ein Stück weit senkt sich der Wall und ich sage "Wir sehen uns morgen." Und ich hoffe, daß in meinem Tonfall mitschwingt, daß ich sie nicht fort schicke, weil sie mich nervt, weil ich sie loswerden will. Ich hoffe, daß sie versteht, daß es mir einfach nur zuviel geworden ist.
Ich spüre deutlich, wie schwer es ihr fällt, zu gehen. Wie gerne sie bleiben, mich trösten, mich in den Arm nehmen würde. Aber ich kann nicht.
Dann ist sie fort und ich bereue, nicht den Mut, nicht die Stärke besessen zu haben, aufzuspringen und sie zurückzurufen.
Ich spüre noch ihren warmen Händedruck, der so tröstlich war … und wünschte, sie würde noch bei mir sein und mich festhalten …

Unter dem Einfluß der beinahe greifbaren Erinnerungen ziehe ich den Koffer unter meinem Bett hervor. Den Koffer mit dem Wenigen, das ich auf der Flucht mit mir getragen habe. Meine Hände zittern, als sie den Verschluß öffnen.
Mein alter Kinderboxhandschuh …
Fotos … vergilbt, verblasst und doch so lebendig …
Meine Schulklasse, die Kameraden vom Boxclub.
Vater.
Mutter. Wunderschön und voller Güte. Ich sehe ihr warmes Lächeln, das immer auf mir ruhte, wenn Vater mich wieder wegen eines Unfugs gescholten hatte. Und sie mich gleich vom Haken lassen würde, sobald Vater weg war.
Tiefer Schmerz durchfährt mich, so brennend, daß ich es kaum ertragen kann.
Es reißt mich hoch, wir irrsinnig schlage ich auf den Sandsack ein. Die Schläge gelten mir, mir, der ich nichts getan habe. Mir, der ich es einfach habe geschehen lassen.
Mein Haß auf mich selbst verebbt. Doch die Verzweiflung bleibt. Hilflos umklammere ich den Sandsack und fühle mich so allein mit meiner Schuld, den Vorwürfen, denen ich nicht entkommen kann. Ich schluchze unkontrolliert und wünsche mir so sehr, ich hätte sie nicht fortgeschickt …

*******

Da ist Martha.
"Hast du die Tasche fertig?"
Sie ist ein wenig irritiert, fängt sich aber gleich wieder.
Ich nehme die Tasche und wende mich ab.
Juri, du verdammter Feigling, renn nicht wieder vor deinen Gefühlen davon!
Was soll die Scheiße mit der Tasche, deswegen bist du nicht zu ihr!
Geh nicht einfach so zur Tagesordnung über nach dem, was gestern zwischen dir und ihr war …
Du verletzt ihre Gefühle, willst du das?
Ich nehme all meinen Mut zusammen und sehe sie an. Ganz dicht stehe ich vor ihr.
"Das, was ich dir gestern erzählt habe, das habe ich bisher noch niemandem erzählt.
Aber ich bin froh, daß ich es dir erzählt habe.
Ja, ich bin froh, daß du es weißt.
Weil ich es einem guten Freund erzählt habe.
Du bist ein guter Freund.
Und als ein guter Freund würde ich dich gerne bitten, daß du es nicht mehr ansprichst … das Thema … okay?"
Ich hoffe, sie versteht, daß ich damit nicht sagen will, daß sie das nichts angeht. Nur, daß sie keinen Druck machen soll, weil mich das überfordern würde. Vielleicht bin ich eines Tages soweit ...
Ihr "Klar." ist wie ein Versprechen für mich. Ich vertraue ihr und ich weiß, sie wird mein Vertrauen nicht mißbrauchen.
Das alles fühlt sich gut an. Wir werden jetzt gemeinsam einen Kaffee trinken und uns an die Arbeit machen ...

4349
Ich treffe Martha unten an der Treppe. Sie steht einfach da und starrt träumerisch ins Leere. Es dauert eine Weile, bis sie mich bemerkt.
Als sie endlich wieder in der Gegenwart angekommen ist, klauben wir gemeinsam ihre Sachen vom Boden.
Ich frage sie, ob dieses bunte Strickbommeldings zu meiner Kollektion gehöre. Zum Glück nicht.
Ich sage ihr, wenn ich Mosch schon nachgeben muß, dann würde ich wenigstens über die Farben entscheiden und sowas Buntes kommt nicht in Frage.
Leider formuliere ich das Ganze ziemlich unglücklich. Ja, gut, das meiste sagt mir persönlich nicht so zu. Aber das weiß sie ja, muß ich ja nicht noch drauf rumreiten.
Leider ist es dann sie, die die ohnehin schon ziemlich unpersönliche Stimmung noch weiter verschlechtert, indem sie mich fragt, ob sie nicht besser zu Hause stricken sollte … wegen dem Geräusch.
Es ist lieb, daß sie sich um mich sorgt, aber ich habe sie nicht ohne Grund gebeten, das Thema nicht mehr anzusprechen. Eindringlich gebeten.
Ich reagiere ärgerlich und meine nicht sonderlich freundlich zu ihr, sie solle es lassen. Ich will nicht reden, auch nicht mit ihr und das muß sie einfach akzeptieren.
Ich muß jetzt erstmal wieder runterkommen. Später gehe ich mal zu ihr und werde mich bemühen, wieder lieb und freundlich zu sein.

*******

Nur kurze Zeit später treffe ich sie wieder. Und Sascha. Ich frage Martha nach der Collage, die sie für mich machen soll. Sie wimmelt mich richtiggehend ab, sie hätte jetzt Pause, würde das später machen, sie käme gleich.
Die Sonnenblume in ihrer Hand ist sicher von Sascha.
Ich nicke den beiden zu und gehe.
Wie es aussieht, will er sich wieder an sie ranmachen. Und das paßt mir gar nicht.

*******

Weil ich unbedingt wissen will, ob sie noch was von ihm will, gehe ich zu ihr.
Als sie mich sieht, legt sie sofort ihr Strickzeug weg.
Die Wolle kullert vom Tisch, ich hebe sie auf und reiche sie ihr. Unsere Hände berühren sich, sie scheint unsicher.
Ich sage aber nichts. Doch, daß Sascha ein Idiot sei, weil er sie erst abschießt und dann wiederhaben will.
Sie fragt nicht, woher ich das weiß.
Sie fragt, wieso ich meine, daß er sie abgeschossen hat.
Ich bin verblüfft - sie ihn? Das hätte ich nicht gedacht.
Ich frage sie, warum.
Sie sagt, es sei besser so. Sie und Sascha seien nur gute Freunde.
Ob er das auch so sähe, will ich wissen.
Ja, meint sie, schon.
Ich bin anderer Meinung, sage aber nichts.
Dann sehe ich die Collagen und wie immer hat sie gute Arbeit geleistet.
Es ist ein Lob überfällig und so sage ich ihr, daß ich wüßte, daß man sich auf sie verlassen kann. Mir liegt noch viel mehr auf der Zunge, aber es will irgendwie nicht raus.
Ich hätte mich bedanken sollen, daß sie gestern für mich da war.
Aber sie weiß hoffentlich, daß ich ihr das nicht vergessen werde.
Und ich hätte gerne gesagt, daß es mir … wehtut, wenn ich sie mit Sascha zusammen sehe.
Aber das will erst recht nicht raus.
Während ich um sie herum gehe, lege ich ihr die Hand auf die Schulter. Sicher länger als nötig zum Verabschieden.
Deutlicher kann ich nicht ausdrücken, daß …