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Samstag, 24. August 2013

Inside - Unser Neuanfang in Berlin, Teil 5

Kapitel 49

Ich lasse mich neben Martha fallen und sie nimmt gleich meine Hand in ihre.
Ich sehe sie nicht an und ich glaube, das ist ihr recht, weil sie wahrscheinlich sonst losheulen würde.
Mir ist auch zum Heulen zumute … einerseits, weil ich Onkel Branko tatsächlich jetzt schon vermisse. Die Zeit, diese drei Tage waren einfach zu kurz. Und andererseits, weil ich so unendlich glücklich bin, ihn wiederzuhaben.
Auch Sascha ist sehr bewegt, das sehe ich.
Keine Spur von dem coolen Kroaten, den so leicht nichts aus der Fassung bringt.
Auch wenn er sehr viel früher als ich Vergangenheitsbewältigung betrieben hat … die Heimat wiedersehen, am Grab des Vaters stehen … das muß doch jeden bewegen, sei er sonst noch so unerschütterlich.
Ich spüre, daß auch Martha an Sascha denkt. Sicher möchte sie grad seine Hand ebenso halten wie meine.
Fast möchte ich sie dazu auffordern, das zu tun.
Denn meine Frau hat die ganz wunderbare Gabe, einem das Herz leichter zu machen.
Mit einem Blick, einer simplen Berührung.
Ich drücke Marthas Hand sanft, zeige ihr so, wie dankbar ich dafür bin, daß ich sie habe.

Wie auf der Hinfahrt auch hat das Rattern des Zuges etwas Beruhigendes.
Ich glaube, irgendwann sind wir alle eingedöst.
Als ich aufwache, sehe ich, auch Martha und Sascha sind wieder munter.
Und nicht mehr so sehr emotional.
Wir können alle wieder an Alltägliches denken.
Ich zum Beispiel daran, daß ich pinkeln muß.
Als ich vom Klo zurück bin, telefoniert Sascha grade mit Denise.
Die ist zurück vom Elternbesuch, hat in der Wohnung nach dem Rechten gesehen und wird nun zu uns rüber fahren, um mit Finchen und Carlo auf uns zu warten.
Sascha strahlt und man merkt, daß er es kaum erwarten kann, seine Frau in die Arme zu nehmen.
Martha sitzt neben ihm, hat wohl dem Gespräch gelauscht und küßt unseren Freund nun auf die Stirn, sich mit ihm freuend.
Inzwischen ist es später Nachmittag, langsam nähern wir uns der österreichischen Grenze.
Nun haben wir auch Hunger und suchen deshalb den Speisewagen auf.
Wo wir nach einer guten Mahlzeit auf Onkel Branko anstoßen, der sicher auch grade an uns denkt.

In München angekommen, haben wir alle nur noch einen Wunsch – nach Hause!!!
So schön es in Zagreb war, nun packt uns das Heimweh. Müde sind wir auch, sehr sogar.
Gut, daß wir alle nur Handgepäck haben und, endlich in Berlin angekommen, den Flughafen rasch verlassen können.
Rein ins nächste Taxi und ab nach Neukölln!
Schnell Denise anrufen.
Und da … da ist unser Laden, da steht Denise. In Dunkeln, im Kalten, aber das läßt sie sich nicht nehmen.
Sascha hält sie in seinen Armen, kaum daß die Tür des Taxis auf ist.
Und Martha und ich seufzen zufrieden auf.
Kommt rein, Kinders und wärmt euch bei einem schönen, heißen Tee auf.“
Wie wundervoll diese Worte von Finchen in unseren Ohren klingen.
Carlo reibt sich schnurrend an unseren Beinen, Martha hebt ihn hoch und liebkost ihn freudig.
Dann sitzen wir alle in unserem gemütlichen Wohnzimmer.
Aber selbst Martha findet außer „Es war einfach unheimlich schön.“, kaum noch Worte, so müde sind wir von der Reise.
Ich rufe Onkel Branko kurz an, um ihm zu sagen, daß wir gut zuhause angekommen sind. Und richte seine lieben Grüße aus.
Morgen ist auch noch ein Tag.“, meint Finchen sehr richtig und keine Stunde nach unserer Ankunft liegen wir alle im Bett.
Glücklich und zufrieden kuscheln Martha und ich uns unter die warmen Decken und sind schnell eingeschlafen.

Am nächsten Tag freilich kommen wir nicht drumherum, Denise und Finchen im Detail zu erzählen.
Das heißt, Martha erzählt und Sascha und ich nicken dazu. Oder werfen hie und da ein Wort ein.
Martha hat auch Fotos gemacht, die sie jetzt schnell auf ihren Laptop zieht und herzeigt.
So wissen auch Denise und Finchen, wie mein Onkel ausschaut.
Ob er uns denn auch mal besuchen käme, will Finchen wissen.
Das will er auf jeden Fall!“, meint Martha.
Das stimmt. Aber erst, wenn es wieder wärmer ist.
So ganz jung ist mein Onkel ja nicht mehr.

Es ist gut, daß unser Laden diese Woche noch geschlossen bleibt.
So können wir die Eindrücke von unserem Zagreb-Besuch in Ruhe verarbeiten.
Auch Denise hat sich eine Auszeit vom Atelier gegönnt und sie und Sascha können die drei Tage Trennung nachholen.
Trotzdem liegen wir nicht nur auf der faulen Haut und schwelgen in Erinnerungen.
Gut gelaunt und motiviert mache ich mich an neue Entwürfe.
Und Martha und Denise arbeiten an weiteren Babysachen.
Nur noch zweieinhalb Monate und das Baby wird da sein.
Ich bemerke deutlich, wie sehr sich Sascha darauf freut, Vater zu werden.
Am liebsten würde er Denise keine Sekunde mehr aus den Augen lassen und es fällt ihm schwer, ihr aus zu viel Fürsorge nicht auf die Nerven zu gehen.
Ich weiß, ich kann sie nicht in Watte packen. Würde ich aber am liebsten. Und ich weiß auch, sie paßt gut auf sich auf. Sie weiß Bescheid, weiß, worauf sie achten muß und es spielt auch echt keine Rolle, daß es ihr erstes Kind ist. Sie macht das alles super. Und trotzdem … könnte ich die Wände hochgehen, wenn sie sich mal verspätet oder so.“
Ist das denn nicht normal … für einen werdenden Vater?“
Ich kann mich nicht entsinnen, damals auch so gewesen zu sein. Aber vielleicht war ich da doch noch ein bisschen jung. Ich will nicht sagen, daß ich es zu leicht genommen habe. Aber ich glaube, ich hab die Sorge doch eher Sabine überlassen. Jedenfalls … bemühe ich mich, ruhig zu bleiben. Aber einfach ist das nicht.“
Und wenn das Baby da ist, wird das auch nicht besser, was?“
Im Gegenteil.“, lächelt Sascha ein wenig schief. „Ich sag dir, du sitzt bei jedem Hüsterchen von dem Kleinen senkrecht im Bett.“
Die Sorgen scheinen zu überwiegen … beim Elternsein.“, meine ich nachdenklich.
Na, so ist das auch nicht. Sicher macht man sich Sorgen. Aber … die schönen Momente überwiegen doch. Ich mein‘ … wenn du dein kleines Würmchen im Arm hältst und dir klar wird, daß das ein Teil von dir ist …“ Sascha lächelt glücklich in sich hinein.
Wollen hoffen, daß euer Kind mehr von Denise als von dir abbekommt.“
Ey!“
Ich bin grade noch rechtzeitig weggehopst, sonst hätte ich wahrscheinlich einen ziemlich derben Schlag an den Hinterkopf kassiert.
Du stehst das mit mir durch, nicht?“, meint er, wieder ernst.
Was?“
Bist da, wenn das Baby kommt.“
Damit habe ich nicht gerechnet. Und mir auch noch gar keine Gedanken darüber gemacht.
Klar ist – wenn mein Freund mich braucht, bin ich da.
Nur … „Keine Ahnung, ob ich dir da eine Hilfe sein kann.“
Sollst ja nur da sein.“
Das bin ich, versprochen.“

Am Freitag in dieser Woche gehe ich zu Frau Sonnabend und berichte ihr ausführlich von unserer Reise nach Zagreb.
Besonders von meinem Besuch am Grab meiner Eltern.
Und was ich gefühlt habe.
Daß ich den Schmerz dort zurückgelassen habe.
Ich würde sagen … Ihre Therapie ist beendet. Und zwar erfolgreich.“
Ich bin ein wenig überrascht. Aber ganz unerwartet kommen ihre Worte doch nicht.
Irgendwie spüre ich es nämlich.
Daß meine Vergangenheit jetzt wirklich Vergangenheit ist.
Sie umarmt mich zum Abschied, meint, ich könne mich jederzeit an sie wenden, wenn mir danach wäre.
Und ich denke, ein loser Kontakt, sie ab und zu wissen lassen, wie es uns geht, wäre okay. Immerhin hat sie meinen Weg hin zu einem altlastenfreien Menschen ein gutes Stück begleitet.

Der Januar neigt sich dem Ende zu.
Auch wenn wir nichts schleifen lassen, vor allem im Hinblick auf die Frühjahrsmodenschauen, ist der Winter doch die richtige Jahreszeit, um alles etwas ruhiger angehen zu lassen.
Wir alle nehmen uns Zeit für uns, für kleine Ausflüge oder einfach nur entspannende Spaziergänge.
Und wir helfen Sascha, seine und Denise‘ Wohnung für den Nachwuchs vorzubereiten.
An einem Wochenende kommt Marthas Onkel Thomas zu Besuch vorbei und baut mit Saschas und meiner Hilfe ein Bettchen und einen Wickeltisch.
Vielleicht sollte ich noch zwei Tage dranhängen und für dich und Martha auch sowas bauen, hm?“, grinst er mich an.
Ich sage nichts dazu.
Ich würd‘ mich freuen, echt.“
Das glaube ich ihm. Und vielleicht, irgendwann …
Die Vukovic’sche Wohnung ist jedenfalls nun komplett babygerecht.
Obwohl das Kleine noch weit davon entfernt ist, durch die Gegend zu krabbeln, hat Sascha darauf bestanden, bereits jetzt alles so herzurichten und abzusichern, daß später nichts passieren kann.
Denise hat nur dazu gegrinst und ihn machen lassen.
Früher oder später hätte das eh alles gemacht werden müssen. Und wenn er so Ruhe gibt … schont das meine Nerven.“
Martha meint kichernd: „Irgendwie erinnert mich das an jemand.“ und schielt zu ihrem Onkel hinüber.
So? An wen denn?“, fragt der unschuldig.


Am 25. Januar hat Onkel Branko Geburtstag. Martha hat ihm ein Fotoalbum gemacht mit ganz vielen Bildern von unserer Hochzeit, aber auch von unserem Laden, von Finchen, von Kater Carlo … ich bin sicher, mein Onkel wird sich riesig freuen.
Und das tut er! Als ich ihn an seinem Ehrentag anrufe – es ist übrigens sein fünfundsechzigster – war die Post schon da gewesen. Und mein Onkel so gerührt. Ich habe genau gemerkt, wie gern er Martha jetzt in den Arm genommen hätte. Auch sie telefoniert eine ganze Weile mit ihm.


Meine ebenso talentierte wie unermüdliche Frau hat Erfolg mit ihren Babysachen und nebenbei eine komplette Erstausstattung für unseren Familienzuwachs fertig.
Denise, die jetzt doch deutlich rund ist, ist begeistert von den Sachen.
Selbst ich finde sie ganz niedlich.
Was das Aufpassen auf unsere werdende Mutti angeht, so ist Saschas Fürsorge Denise inzwischen weniger nervtötend als Finchens.
Unser guter Hausgeist freut sich derart auf „ihr“ Enkelchen, daß sie Denise kaum noch aus den Augen läßt.
Denise läßt sie seufzend gewähren.
So langsam bin ich doch froh, wenn es soweit ist. Ich bin so vorderlastig, daß ich manchmal denke, ich fall um. Und diese Rückenschmerzen sind auch nicht so pralle.“
Aber es liegt dennoch etwas sehr Zärtliches in ihrer Stimme, als sie sich über den Bauch streicht und meint: „Und der kleine Racker da drin hat es schön gemütlich und grinst sich wahrscheinlich eins.“
Meinst du nicht, es leidet mit dir mit?“, frage ich vorsichtig.
Was? Ach so … na, mitleiden ist sicher nicht der richtige Ausdruck. Natürlich spürt es, wenn es mir nicht gut geht. Aber daß es ihm leid drum tut, daß mich mein Rücken plagt … nee.“
So hatte ich das auch nicht gemeint.“, lache ich. Und Denise lacht mit.

Alle zwei, drei Wochen telefoniere ich jetzt immer mit Onkel Branko.
Es ist so schön, die wieder vertraute Stimme zu hören.
Weder die Entfernung noch all die Jahre, die wir keinen Kontakt hatten, trennen uns.
Und es bewegt mich, wie er Anteil an unserem Leben nimmt, sich nach Sascha und seinem Nachwuchs erkundigt.
Martha spricht auch fast immer ein paar Worte mit ihm.
So wie ich mit Peter und Gisela, wenn meine Frau ihre Eltern anruft.
Ich habe wieder eine Familie, eine richtige Familie.
Und bin sehr glücklich.
Jedesmal, wenn mein Blick auf die Fotos von unserer Hochzeit fällt, die im Wohnzimmer und in der Küche hängen, bin ich erneut dem Schicksal für dieses Glück dankbar.
Als ich heute mit meinem Onkel telefoniere, meint der: „Ich würde euch gerne zu Ostern besuchen, wenn es euch recht ist.“
Ob es uns recht ist? Was für eine Frage!
Martha schlägt fast einen Purzelbaum vor Freude und würde am liebsten sofort anfangen, alles für seinen Besuch vorzubereiten, obwohl es bis dahin noch ein paar Wochen sind.
Und Sascha strahlt auch wie ein Christbaum.
Freilich dürfte es zu Ostern dann turbulent bei uns zugehen.
Denn kurz vor Ostern soll das Baby kommen.
Und wie ich inzwischen mehrfach gehört habe, halten Babys sich nicht unbedingt an die vorgesehenen Termine.
Ich hoff‘ ja, das Baby kommt ‚ne Woche vor Ostern. Ich will nicht, daß meine Mutter bei der Geburt dabei ist, die wird mich wahnsinnig machen.“, seufzt Denise.
Ihr wäre es am liebsten, nur Sascha und wir, also Martha und ich, sind dabei.
Aber du kannst doch bestimmen, wen du dabei haben möchtest. Das ist doch deine Entscheidung.“, meine ich.
Ja, schon. Aber sag mal deiner eigenen Mutter, daß du sie bei der Geburt ihres Enkels nicht dabei haben willst.“ Denise rollt vielsagend mit den Augen.
Ja, aber … wenn es um dein Wohlbefinden geht … ich mein, wenn es dir einfach nicht gut tut, wenn …“
Du hast ja Recht, Juri. Wenn sie dabei sein sollte und es wird mir zuviel, schmeiß ich sie raus.“
Das mach ich dann schon.“, knurrt Sascha, der gerade dazu kommt.
Würdest du deine Eltern dabei haben wollen?“, frage ich Martha.
Das tut zwar nichts zur Sache, aber es interessiert mich jetzt irgendwie.
Weiß nicht. Ich glaub, ich fänd’s nicht schlimm. Aber … ich glaub, mir wär’s lieber, nur du wärst da. Ich mein, bei der Geburt selbst … darf ja eh nicht die ganze Familie. Da will ich auch nur dich dabei haben.“
Mir fällt auf, daß sie die Formulierung ‚will ich‘ und nicht ‚würde ich‘ benutzt. Sie spricht also nicht von einer bloßen Möglichkeit, sondern tatsächlich von der realen Zukunft.
Ich weiß, sie möchte Kinder mit mir.
Aber das jetzt … das klingt nicht nach etwas, das irgendwann mal passieren soll. Sondern eher bald.
Aber hinterher … da wär’s schon okay, wenn Mama und Papa da wären, wenn die draußen warten würden. Und ihr Enkelkind gleich begrüßen könnten. Daß sie es erst kennenlernen, wenn es drei Monate alt ist, will ich nicht.“

Auch der Februar geht ins Land.
Im März ist Ostern.
Und Martha häkelt wieder lustiges, buntes Osterzeugs – Eier, Hasen und so weiter.
Da unser Leben nie langweilig ist – wie könnte es mir meiner quirligen Frau auch? – genieße ich gewisse Wiederholungen durchaus.
Finde Gefallen daran, wie manche Dinge sich zu einer Art Tradition bei uns entwickeln.
Das gemeinsame Backen zu Weihnachten darf gerne so eine Tradition werden – ob nackt oder nicht.
Aber eben auch Marthas österliche Basteleien.
Meine Frau meint, mit Kindern würde das erstmal noch so richtig schön.
Das kann sogar ich mir vorstellen.
Und es ist eine süße Vorstellung … Martha mit Denise‘ und Saschas Stöpsel und eventuell unserem eigenen Kind, wie sie zusammen basteln, Eier bemalen …
Ich gestehe mir offen ein, daß ich zwar diese Gedanken sehr schön finde, aber doch noch Angst davor habe, Vater zu werden.
Kann ich mir das wirklich schon zutrauen?
Bin ich schon soweit?
Soweit gefestigt?
Ich vertraue mich Martha und Sascha und auch Frau Sonnabend an.
Sie alle sagen mir dasselbe: Ich solle auf mein Bauchgefühl hören. Solange ich noch diese Angst spüre, solle ich noch warten. Irgendwann sei sie weg. Und dann sei immer noch Zeit.
So sehe ich die Sache mit dem Nachwuchs jetzt ganz gelassen.
Setze mich nicht unter Druck.

Kapitel 50

Der März bricht an und das erste Wochenende wird relativ warm und sonnig.
Spontan machen wir den Laden Freitagmittag dicht und Martha und ich nutzen die Gelegenheit für einen Kurzurlaub in Neuenkirchen.
Wenn das Baby erstmal da ist, werden wir nicht mehr so leicht wegkönnen.
Und da wir Peter und Gisela seit unserer Hochzeitsfeier im vergangenen September nicht mehr gesehen haben – ist es höchste Zeit für einen Besuch.
Wie immer genieße ich es, mit Martha im Auto unterwegs zu sein, ihre warme Hand auf meinem Bein …
Dann sind wir da und werden herzlichst begrüßt.
Wie schön, daß ihr da seid!!“
Gisela drückt und küßt mich genauso stürmisch wie ihre Tochter.
Aber auch Peter umarmt mich so fest, daß ich keinen Zweifel haben kann, daß auch mein Schwiegervater sich sehr freut, mich zu sehen.
Kommt rein, der Kaffee ist fertig.“
Kein Wunder, Martha hatte ja angerufen, daß wir gleich da sein würden.
Kurz darauf sitzen wir im Wohnzimmer gemütlich zusammen.
Da ich weiß, daß ich mich hier zuhause fühlen darf, strecke ich meine Beine aus, die vom Autofahren ein wenig müde sind. Ich fahre ja selten längere Strecken.
Gisela hat gebacken und wir lassen uns den Kuchen schmecken.
Wie geht es deinem Onkel, Juri?“, fragt Marthas Mutter.
Gut. Er wird uns zu Ostern besuchen.“
Oh, wie schön! Das freut mich für euch.“
Wir freuen uns auch sehr. Onkel Branko ist ein echter Schatz! Ich bin so froh, daß Juri den Mut hatte, nach ihm zu suchen. Die beiden haben sich so vermißt und keiner wußte das vom anderen.“
Ohne dich, mein Schatz …“ Mehr muß ich nicht sagen.
Martha wirft mir einen liebevollen Blick zu.
Die große Frage ist jetzt aber … wird Juris Onkel da sein, wenn das Baby kommt? Das wäre sooo schön.“
Ach, ist das Ostern soweit?“
Ja, die Woche davor. Wenn es denn pünktlich kommt.“
Wie geht es Denise denn?“
Oh, der geht’s sehr gut. Okay, sie hat oft Rückenschmerzen. Aber sie ist nicht der Typ, der rumjammert. Und wir passen alle gut auf sie auf. Was sie allerdings nicht immer so toll findet.“ Martha kichert leise. „Kann ich aber verstehen. Würde mir auch so gehen. Denise muß das Gefühl haben, quasi rund um die Uhr überwacht zu werden.“
Ich versuche mich da zurückzuhalten.“, meine ich.
Ja ja. Und was war vor ein paar Tagen, als Denise die echt nicht schwere Einkaufstasche auf den Tisch stellen wollte und du sie ihr abnehmen wolltest? Hattest schon den Mund aufgemacht, um sie zu ermahnen. Und sie hat dir fast auf die Finger gehauen.“
Hatte ich ja nicht ahnen können, daß sie an diesem Tag schon von Sascha und Finchen genervt war und ich quasi das Faß zum Überlaufen brachte.
Ja ja, werdende Mütter können gefährlich sein.“, lacht Peter. „Wart mal ab, was dann aus deiner lieben, gutmütigen Martha wird.“
Was soll das denn heißen?“, fragt meine Frau gespielt beleidigt.
Ich hab nix gesagt.“ Peter pfeift unschuldig und gießt sich Kaffee nach.
Ihr freut euch auf den Familienzuwachs, was?“, fragt Gisela. „Ich meine, wo ihr euch alle so nahe steht, ist das doch irgendwie auch euer Kind, hm?“
Ja, auf jeden Fall! Wir sind schon sowas wie eine richtige Familie. Und ich finde das richtig, richtig schön.“ Martha seufzt glücklich.
Ich nicke dazu.
Für dich ist das sicher auch schön, hm?“ Gisela sieht mich fragend an.
Ich weiß, wie sie es meint.
Ja.“, sage ich nur. Ich bin sicher, mehr muß ich auch nicht sagen.
Gisela und Peter wissen durchaus, was es mir bedeutet, wieder eine Familie zu haben.
Und sie gehören ja auch dazu.

Nachher machen wir einen schönen Spaziergang durch Neuenkirchen.
Ja, wie, ‘Schlenz und Schulze‘ haben zu? Da habt ihr mir ja gar nix von erzählt.“
Sorry, ich wußte nicht, daß dich das so interessiert.“, meint Gisela.
Na ja … ich hab hier halt gearbeitet. Und von meiner Karriere als Designerin geträumt.“
Dieser Traum ist ja nun wahr geworden.“ Peter legt seiner Tochter den Arm um die Schultern. „Die Zeit mag in Neuenkirchen ja langsamer vergehen, aber ich glaube, auch hier kapiert man ab und an, wenn was überholt ist. Und auf die ollen Faltenröcke und Rüschenblusen steht doch echt keiner mehr. Selbst Omas nicht.“
Ich muß grinsen. Manchmal merkt man, daß er und Thomas Brüder sind.

Für heute läßt es sich Gisela nicht nehmen, für uns zu kochen. Aber Martha und ich schaffen es, sie dazu zu überreden, sich morgen von uns zum Essen einladen zu lassen.
Neuenkirchen hat ein jugoslawisches Restaurant zu bieten – da möchte Martha hin.
Und da mit jugoslawischem Essen jetzt schöne Gedanken an Onkel Branko aufkommen und keine schmerzlichen an meine Eltern – freue ich mich sogar darauf.
Den Abend verbringen wir mit Erzählen, was wieder heißt, meine Frau erzählt und ich genieße es, zuzuhören. Und sie ab und zu zärtlich zu küssen.
Und Peter und Gisela genießen es, uns so glücklich zu sehen.

Bald schon ist es Zeit für die Heimreise; am Sonntag nehmen wir gegen Mittag Abschied.
Schön war es.
Zugegebenermaßen auch der Umstand, sich verwöhnen zu lassen.
Nicht selber kochen, keine Brötchen holen.
Aber Peter und Gisela verwöhnen uns gern und so haben wir kein schlechtes Gewissen.
Und die beiden finden, wir würden eh selten genug Urlaub machen.
Ihr denkt jetzt aber nicht, daß Juri mir zuviel zumutet, oder so?“, fragt Martha mit hochgezogenen Brauen.
Aber nein! Im Gegenteil, dein Mann paßt schon gut auf dich auf und bremst dich sicher eher als du selbst es tust.“
Peter zwinkert mir zu. Und ich nicke zurück.
Juri und ich brauchen keine drei Wochen Strandurlaub. Wir würden ja bekloppt werden von soviel Nichtstun.“
Ich muß lachen. Und Peter und Gisela auch.
Unsere Martha!

Dann sind wir wieder zuhause.
Und für eine Weile hat der Alltag uns wieder.
Ich habe meine Frühjahrskollektion fertig.
Und sie schon verkauft.
An Mosch.
Als er meine Entwürfe und die ersten Prototypen sieht, muß er sich zusammennehmen, um sich nicht zu begeistert zu zeigen.
Extrem wagemutig, Herr Adam. Trotz oder wegen des Umstands, nicht mehr frei und ungebunden zu sein?“
Wenn du wüßtest, daß ich mich jetzt freier fühle als je zuvor!
Eigentlich wollte ich dieses Jahr mal Mailand mit meinen Sachen beschicken.
Aber Mosch bietet mir einen so guten Preis, daß ich nicht widerstehen kann.
Martha unterstützt mich, meint, ich hätte mich richtig entschieden.
Gehen wir eben nächstes Mal nach Mailand. … Eigentlich hatte ich gedacht, Mosch würde sich gar nicht melden, weil er noch angepißt ist, daß er nicht zur Hochzeit eingeladen war.“, prustet Martha.
Da ist er wohl doch zu sehr Geschäftsmann. Beleidigte Leberwurst spielen ist selten gut für’s Geschäft.
Auch bei Martha läuft es geschäftlich sehr gut.
Aufgrund des Erfolgs ihrer Babysachen auf der Messe trudeln beinahe täglich Anfragen danach ein.
Selbst mit Hilfskräften werd‘ ich das bald nicht mehr gestemmt kriegen.“, meint meine Süße leicht verzweifelt.
Wir brauchen eine eigene Fertigung.“, meine ich.
Ist das nicht ein bisschen zu hoch gestapelt?“
Denke ich nicht. Wenn wir günstige Konditionen aushandeln, brauche ich zum Beispiel nicht mehr durch die Kaufhäuser anfertigen lassen. Heißt, ich bekomm‘ unter’m Strich mehr raus.“
Juri Adam … so geschäftsmäßig … so kenn‘ ich dich ja gar nicht.“, kichert sie.
Kann das ja nicht alles dir überlassen.“
Es ist nur … wir wachsen und wachsen … so ein klein wenig macht unser Erfolg mir Angst.“
Meinst du wirklich, wir übernehmen uns?“
Ich weiß nicht. Bis jetzt war alles so überschaubar.“
Kannst deine Babysachen natürlich in limitierter Auflage machen. Dann mußt du aber potentielle Kunden abweisen.“
Ja. Ist auch doof.“
Wir müssen ja nichts über’s Knie brechen. Laß uns mal in Ruhe darüber nachdenken. Und wofür haben wir Leute, die sowas mal durchrechnen können?“
Stimmt auch wieder.“

Und dann passiert was, das den Geschäftskram blitzartig in den Hintergrund rückt.
In der Nacht vom zwölften auf den dreizehnten März klingelt mein Telefon.
Noch halb schlafend sehe ich, es ist Sascha.
Erst wundere ich mich.
Bis ich schlagartig hellwach bin.
Weil sein nächtlicher Anruf nur eins bedeuten kann.
Sascha!“
Alter, du weißt, was du mir versprochen hast? Laß mich jetzt nicht allein, ja?“
Keine Sorge, ich bin da. Wo seid ihr? Noch zuhause?“
Nein. … Nein. Schon im Krankenhaus.“
Ganz so durch den Wind kann er ja nicht sein, wenn er es hingekriegt hat, Denise selbst in die Klinik zu fahren.
Wir machen uns sofort auf den Weg.“
Da ich laut gesprochen habe, ist Martha wach und schon dabei, sich anzuziehen.
Auch ich mache schnell, denn mein Versprechen nehme ich ernst.
Zwanzig Minuten später sind wir da.
Suchen die Entbindungsstation.
Fragen nach Denise.
Und klopfen kurz darauf an ihrem Zimmer.
Ja?“, hören wir Sascha von drinnen.
Und als wir eintreten: „Gottseidank, daß ihr da seid.“
Ich drücke Sascha erstmal, sehe ihn dann prüfend an. „Alles okay?“
Er nickt. „Dauert noch. Sorry, daß ich euch gleich losgescheucht habe.“
Hey, das ist okay so. Wir lassen dich jetzt nicht allein.“
Martha hat sich zu Denise ans Bett gesetzt, die eigentlich ganz entspannt aussieht.
Was natürlich täuschen kann.
Wie geht es ihr? Hat sie … hat sie Angst? Und was ist mit dir?“
Angst hat sie nicht. Aber natürlich Sorge, ob alles gut geht. Ob mit dem Kind alles in Ordnung sein wird. … Und ich … hab voll das Flattern. Und darf’s mir nicht anmerken lassen. Ich muß Ruhe und Zuversicht ausstrahlen. Ich sag dir, das ist leichter gesagt als getan. Guck, meine Hände zittern.“
Das tun sie wirklich.
Ich freu mich wirklich auf unser Kind. Kann’s echt kaum erwarten, das Kleine im Arm zu halten. Aber das hier … das ist Horror.“
Ich fürchte, der Horror hat noch gar nicht angefangen.
Obwohl ich über kein wirkliches Fachwissen verfüge, denke ich, daß Sascha noch einiges bevorsteht, wenn’s mit der Geburt richtig losgeht. Wenn Denise Schmerzen hat. Schreit.
Und dann werde ich nicht bei ihm sein können.
Umso wichtiger, ihn jetzt noch zu stützen.
Mach dich nicht unnötig verrückt. Du weißt doch, daß die meisten Geburten ohne Komplikationen verlaufen. Für Mutter und Kind. Und bis jetzt ist doch alles in Ordnung. Keine Probleme in der Schwangerschaft. Keine Risikogeburt. Denise ist gesund und hat ‚ne gute Konstitution. Das wird schon.“
Danke. Aber wart mal ab, bis du hier stehst. Und Martha da liegt.“
Mein Freund, der sonst so zuversichtlich ist, ist wirklich ziemlich fertig mit den Nerven.
Ich lege ihm die Hand auf die Schulter. „Hey!“
Ich weiß … ich muß mich zusammenreißen. Tue ich jetzt auch. Schluß mit dem Gejammer und Geunke.“
Er setzt sich zu Denise ans Bett. Und nimmt ihre Hand in seine.
Martha kommt zu mir.
Sascha ist ziemlich nervös, hat Denise mir erzählt.“
Ich nicke.
Aber er macht das trotzdem prima. Und er ist da. Manche Männer können das gar nicht.“
Ich finde, das muß. Kann man als Mann wirklich sagen, das ist Frauensache? Und ein gutes Gewissen dabei haben?
Okay, es mag Frauen geben, die ihren Mann nicht dabei haben wollen. Das ist was anderes.

Sascha hat sich wirklich gefangen.
Je mehr es auf die Geburt zugeht, desto ruhiger wird er. Und das tut Denise gut.
Ich will mir nicht noch Sorgen um ihn machen müssen, ich hab mit mir schon genug zu tun“, meint sie, als Sascha mal zum Klo ist.
Und dann ist es soweit – Denise kommt in den Kreißsaal.
Wir drücken schnell ihre Hand, versichern ihr, daß wir in Gedanken bei ihr sind.
Und klopfen Sascha aufmunternd auf die Schulter, der ein bisschen blaß, aber gefaßt ist.
Für Martha und mich heißt es jetzt, warten.
Abwechselnd gehen wir den Flur auf und ab, sitzen auf den unbequemen Stühlen.
Oder stehen einfach da, halten uns im Arm.
Und denken an die beiden. Oder vielmehr drei.
Holen uns einen Kaffee.
Sitzen eine Weile.
Gehen wieder auf und ab.
Bis endlich die Tür zum Kreißsaal aufgeht.
Und Sascha rauskommt.
Weinend.
Aber vor Glück, wie wir sofort sehen.
Es ist ein Junge.“, schluchzt er. „Ich … habe … einen Sohn.“
Im nächsten Augenblick hängt er mir am Hals.
Etwas unbeholfen tätschele ich ihm den Rücken.
Ich bin von seinem Gefühlsausbruch aber nur etwas überrascht.
Hey, Glückwunsch, mein Guter!“
Danke.“
Alles okay mit Denise?“
Ja. … Ja, alles okay. Sie war so tapfer.“
Sascha schluchzt immer noch etwas, fängt sich nun aber wieder.
Energisch wischt er sich die Augen.
Dann läßt er sich von Martha drücken und küssen.
Und mit dem Kleinen auch alles okay?“, fragt sie.
Ja, er ist gesund und munter.“
Kurz darauf wird Denise auf ihr Zimmer gebracht.
Und wir dürfen zu ihr.
Sie sieht ein wenig geschafft aus. Aber sehr glücklich.
Auch der Kleine wirkt geschafft, finde ich.
Aber geboren zu werden ist sicher auch nicht einfacher als zu gebären. Denke ich zumindest.
Ist wahrscheinlich gut, daß wir uns später nicht mehr daran erinnern.
Nun, wo ihr ja wißt, daß es ein Junge ist – wie soll er heißen?“
Meine Frau ist anscheinend etwas ungeduldig.
Oder Frauen sind da generell so. Ich weiß es nicht.
Kristijan. So hieß … mein Vater mit zweiten Namen.“ Sascha schluckt.
Finde ich gut. Daß du ihn nach deinem Vater nennst.“, sage ich.
Sascha sieht mich dankbar an.
Und es ist ein wunderschöner Name.“, schnuffelt Martha, die auch sehr gerührt ist.
Ja, das finde ich auch.“, meint Denise glücklich.
Den schreibt man aber nicht wie den deutschen Namen Christian, oder?“, will Martha wissen.
Nein. Mit K vorne. Und einem j in der Mitte.“
Hm. Finde ich so sogar noch schöner.“
Marthas Bemerkung läßt Sascha noch mehr strahlen, als er es eh schon tut.
Er nimmt Denise den Kleinen ab, wiegt ihn in seinen Armen, küßt ihn sacht auf den Kopf und redet ganz leise mit ihm.
Martha und ich sehen ihm zu.
Ich freu mich so für die beiden … herrje, ich heul gleich los.“ Martha drückt meine Hand ganz fest.
Ich verstehe sie gut. Sie ist nun mal sehr emotional. Und selbst ich bin berührt von dem Glück der beiden.
Möchtest du ihn mal haben?“, fragt Sascha.
Und hält mir seinen Sohn hin.
Ich breite die Arme aus und lasse mir das kleine Etwas von Mensch hineinlegen.
Sascha will mir zeigen, wie ich das Köpfchen stützen muß.
Ah, das machst du ja gleich automatisch richtig. Der geborene Papa.“
Ich glaube, ich höre ihn schon nicht mehr so wirklich.
Ich sehe auf das kleine Würmchen in meinen Armen und fühle mich ganz eigenartig.
Das kleine Wesen sieht mich an … kann es mich denn schon richtig wahrnehmen?
Mir fällt ein, daß ich zu seiner kleinen Welt dazugehöre.
Daß es mich also kennt.
Meine Stimme zumindest.
Und fange an, leise und sanft mit ihm zu reden.
Ich weiß nicht, was ich ihm erzähle. Aber das ist wohl auch egal.
Es blinzelt mich an.
Seine kleinen Fingerchen scheinen nach mir zu tasten.
Und ich fühle … eine ganze Menge!
Da ist soviel Wärme in mir … und ein ganz zärtliches Gefühl …
Und schlagartig wird mir bewußt … das ist ein Gefühl, das ich nicht mehr missen möchte.
Vater sein.
So für einen Menschen fühlen.
Ich möchte ein Kind.
Mit Martha.
Aber was ist mit meiner Angst?
Ich weiß es nicht.
Vielleicht ist sie noch da.
Tief in mir.
Aber der innige Wunsch, Vater zu sein, das eigene Kind in den Armen zu halten … der ist stärker als diese Angst.
Viel stärker.
Ich merke, wie meine Augen feucht werden.
Es ist so ein unbeschreiblich schönes, wundervolles Gefühl, ein Baby im Arm zu halten.
Juri? … Juri?JUURI!!!“
Ich schaue hoch … und in lachende Gesichter.
Kann ich vielleicht meinen Sohn wieder haben?“, fragt Denise, auch lachend.
Ich merke, wie ich rot werde.
Aber muß es mir peinlich sein, daß man mir meine Gefühle so deutlich am Gesicht ablesen kann?
Nein.
Nicht vor diesen Menschen.
Das hat dich sehr berührt, nicht wahr?“, fragt mich Martha leise.
Ich nicke nur, habe einen dicken Kloß im Hals.
Und kann auf einmal Saschas Glück noch soviel mehr nachvollziehen.
Wie er, nachdem er mir den Kleinen abgenommen hat, ihn selig lächelnd Denise in die Arme legt.
Seinem Sohn zärtlich über den Kopf streicht.
Er muß gerade der glücklichste Mensch der Welt sein.

Ich spreche wenig, sehe den beiden einfach nur zu, wie sie ihr Elternglück genießen.
Bis Martha meint, wir sollten nun gehen, Denise und das Baby bräuchten Ruhe. Außerdem sollten wir es Sascha gönnen, ein wenig mit seiner kleinen Familie allein zu sein.
Das verstehe ich; das ist auch sicher ein ganz besonderer Moment.
Sascha darf bei Denise bleiben, man hat ihm extra ein Bett in ihr Zimmer gestellt.
Wir verabschieden uns.
Sascha drückt mich noch einmal fest. „Danke, daß du da warst.“
Ich küsse ihn bewegt auf beide Wangen.
Auch bei Martha bedankt er sich.
Dann gehen wir.
Ich sage Martha, daß ich gerne ein wenig spazierengehen möchte.
Der neue Tag bricht gerade an, die Luft ist herrlich frisch.
Und es ist noch still draußen.
Martha nickt, hakt sich bei mir ein und so laufen wir einfach los.
Holen uns eine Weile später in einem Stehcafé einen Kaffee.
Und setzen uns damit auf eine Bank.
Martha? … Ich … ich möchte ein Kind mit dir.“
Das platzt einfach so aus mir raus.
Es ist die Wahrheit.
Ich will ein Kind mit ihr.
Aber sagt man das … einfach so?
Und ist das jetzt der richtige Moment?
Martha dreht sich ruckartig zu mir.
Das … das …meinst du … wirklich ernst?“
Ich nicke bestimmt. „Ja.“
Du willst wirklich ein Kind mit mir? Ich meine … jetzt?“
Ja.“
Martha sieht mich an.
Sagt nichts.
Aber sieht mich an, so voller Liebe … und so … glücklich?
Dann lehnt sie sich an mich. Und flüstert: „Ich freu mich so.“
Dann … ist das … dann … willst du auch? Ich meine, jetzt? Nicht zu früh?“
Nein. Nein, nicht mehr. … Ja, ich weiß, ich hab gesagt … daß das noch Zeit hat. Aber … ich glaube, ich weiß, wieso du jetzt … also, was ich sagen will – ich glaube, wir haben beide eben dasselbe gespürt … dieselbe Sehnsucht empfunden … nach einem gemeinsamen Kind eben.“
Daß es ihr ganz genauso geht … das macht mich so glücklich.
Ich küsse sie auf die Stirn, streichle zärtlich ihren Nacken.
Meine wunderbare Frau!
Ich liebe dich so sehr!“, flüstere ich ihr ins Ohr.
Ich dich auch, Juri! Ich dich auch!“
Hand in Hand gehen wir beschwingt nach Hause.

Kapitel 51

Mein Gott, Juri, ich hab mir noch gar nicht überlegt, was wir machen wollen, wenn Denise mit dem Kleinen aus dem Krankenhaus kommt … also, so von wegen Feier und so … Kristijan ist ja sooo süß … und was für ein süßer Name! …“, sprudelt meine Frau heraus, kaum daß wir zuhause sind.
Hey, das dauert doch noch ein paar Tage. Da fällt uns schon noch was ein.“ Mit uns meine ich zwar eher sie, im Feiernplanen bin ich eher unkreativ.
Sie soll mir nur sagen, was ich machen soll und ich mach’s.
Jetzt müssen wir aber erstmal Finchen Bescheid sagen, die ist sonst sauer. Und zu Recht.“ Und schon ist sie weg.
Wie war das mit dem „wir“?
Ich grinse mir eins und mache uns erstmal Kaffee. Ich plane Finchen mit ein, die wird Martha sicher mitbringen.
Und so ist es auch.
Da wir auf dem Heimweg beim Bäcker waren, können wir richtig frühstücken.
Finchen würde am liebsten gleich ins Krankenhaus fahren, ermahnt sich aber selbst, damit bis zum Nachmittag zu warten.
Schön, daß alles gutgegangen ist und die beiden wohlauf sind.“
Darüber sind wir auch sehr froh.“, seufzt Martha.
Wollen wir den Laden heute zulassen? Dann können wir noch was schlafen.“
Kannst du jetzt schlafen, Juri?“
Ehm … nein.“
Ich schlage vor, wir machen heute früher zu. Dann können wir heute Nachmittag nochmal ins Krankenhaus. Und danach geht’s ab ins Bett.“
Okay.“

So machen wir es auch.
Josie und Janine freuen sich auch sehr, daß mit Denise und dem Kleinen alles in Ordnung ist. Sie werden die beiden morgen besuchen.
Das wird sonst heute zuviel.“, meint Josie.
Martha setzt sich zu ihr und Janine und gemeinsam überlegen sie, was sie für die Feier machen könnten.
Bald schon höre ich fröhliches Lachen und bin sicher, da werden tolle Ideen geboren.
Ich bin froh, daß im Laden heute nicht soviel los ist, denn meine Gedanken schweifen nun, wo ich mit mir alleine bin, wieder zu dem Moment, wo ich den Kleinen im Arm hielt.
Das war ein so überwältigendes Gefühl …
Und ich fühle erneut deutlich die Sehnsucht nach einem eigenen Kind.
Ich höre wieder Marthas Lachen.
Und weiß, daß ich nicht nur einfach ein Kind will.
Sondern ein Kind mit Martha.
Weil ich mit ihr meine eigene kleine Familie haben will.

Juri? … Juuuri!“
Ich komme erst durch Marthas Stupsen wieder ganz zu mir.
Sorry, mein Schatz. Ich war … sehr in Gedanken.“
Das hab ich gemerkt. Das Baby, hm?“
Ja. … Ehm, Martha … sorry, wenn ich jetzt was Dummes frage … aber wollen wir das … planen? Also das mit unserem Kind?“
Du meinst, ob wir genau dann miteinander schlafen wollen, wenn ich meine fruchtbaren Tage habe?“
Na ja … ja, doch, so war das gemeint. Ich meine …“
Ne dumme Frage ist das nicht. Aber das kommt überhaupt nicht in die Tüte!“ Martha tippt sich an die Stirn. „Also … der Sex mit dir macht Spaß, ist wahnsinnig schön. Und der soll auch Spaß bleiben. Ich hab keine Lust auf irgendwelche taktischen Hintergedanken dabei. Wenn es passiert, passiert es eben. Und da es immer, wirklich immer irre schön mit dir ist … wird unser Kind so oder so in einem schönen Moment gezeugt werden. Und mir ist es nicht wichtig zu wissen, wann genau das passiert.“
Ich glaube, Martha hat da grad nicht nur Recht, sondern mir als Liebhaber auch ein großes Kompliment gemacht.
Ich bin erstmal sprachlos.
Aber küssen muß ich sie. Sofort.
Als Martha wieder Luft bekommt, meint sie: „Du hast noch gar nichts dazu gesagt … also irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, daß du das so willst … also so geplant. Ich mein, du bist jetzt nicht der romantischste Typ … aber das … nee, oder?“
Nein, ich will’s auch nicht planen. … Aber ich … würd‘ am liebsten sofort mit dir schlafen.“
Die letzten Worte klingen sehr viel leiser als die ersten, merke ich. Und ich komme mir … albern, unreif vor.
Martha kichert. „So so, es kann dir jetzt also gar nicht schnell genug gehen mit dem Kinderkriegen, was?“
Machst du dich über mich lustig?“
Nein. Ich find’s total süß, daß du gleich … äh, loslegen willst.“ Wieder kichert sie.

Am Nachmittag sind wir dann wieder im Krankenhaus.
Als wir leise in Denise‘ Zimmer treten, ist sie wach.
Aber Sascha nicht. Der liegt in seinem Bett und schnurchelt leise vor sich hin.
Hey!“ Ich küsse Denise auf die Stirn. „Wie geht es dir?“
Gut, danke.“
Und der Kleine?“
Liegt da in seinem Bettchen und schläft ebenso selig wie sein Papa.“
Stimmt, da ist er.
Ich sehe da Ähnlichkeiten. Nur daß der Kleine nicht schnarcht.“, kichert Martha.
Ich sehe nicht, was an dem Kleinen so ähnlich sein soll. Wenn man davon absieht, daß er auch einen Kopf, zwei Arme und zwei Beine hat. Okay, die kurzen dunklen Haare vielleicht …
Ich sage aber nichts, will mich nicht dem Spott der zwei Frauen aussetzen.
Hier, für den Kleinen!“ Martha reicht Denise einen kleinen Teddy, der eine winzige Latzhose trägt, auf der ‚Kristijan‘ steht.
Och nee, ist der süß!“, quietscht Denise entzückt. „Danke!“
Gern geschehen.“
Die Hose für das Bärchen muß Martha vorhin gemacht haben, als wir zuhause waren. Denn sie wußte doch vorher gar nicht, wie das Baby heißen soll. Und ich bewundere meine Frau mal wieder dafür, an was sie alles denkt. Und es auch gleich macht.
Da erhebt sich Sascha, streckt sich gähnend.
Ach, ihr seid das, gut. Ich dachte schon, Denise‘ Eltern wären gekommen.“
Tun sie sicher auch bald. Ich konnte es ihnen unmöglich länger vorenthalten, daß ihr Enkel da ist.“ Denise seufzt leise.
Du scheinst nicht viel Lust auf ihren Besuch zu haben.“, meint Martha.
Na ja, ich weiß halt, wie das ablaufen wird. Die werden mich nichts selber machen lassen. Ich will ihnen das Glück mit ihrem Enkel ja gerne gönnen, aber ich weiß jetzt schon, daß ich drei Kreuze machen werde, wenn sie wieder weg sind.“
Sascha verschwindet im Bad, um sich ein wenig frisch zu machen.
Er ist wunderbar.“, meint Denise und wirft ihm einen zärtlichen Blick nach. „Er hat seine Ruhe wiedergefunden und kümmert sich einfach toll um uns beide.“
Und wie hast du ihn ins Bett gekriegt?“, frage ich.
Ich hab ihm gesagt, daß er den Kleinen und mich aufwecken wird, wenn er vom Stuhl rutscht und auf den Boden plumpst. Dieser dezente Hinweis reichte.“, lacht Denise. „Nehmt ihr ihn gleich mit?“
Wenn du meinst, daß er freiwillig mitkommt …“ Martha scheint daran zu zweifeln. „Und seid ihr nicht mit dem Wagen da?“
Der kann doch bis morgen hier stehenbleiben.“
Wir kümmern uns schon um deinen Mann.“, verspreche ich. „Und wenn ich ihn hier rausschleifen muß.“
Wen willst du hier rausschleifen? Doch nicht etwa mich?“
Sascha.
Doch. Wenn du nicht auf deine Frau hörst.“
Du willst mich loswerden, was?“, wendet sich Sascha an sie.
Du ißt ordentlich und schläfst dich aus. In dem Zustand können wir dich nicht brauchen.“
Ich bin fit wie’n Turnschuh.“, protestiert Sascha empört und bemüht sich, ein Gähnen zu unterdrücken. „Aber gut, ich bin ganz brav und mach‘, was du sagst.“
Geht doch.“, grinst Denise zufrieden.
Unsere Frauen haben uns einfach in der Hand, Sascha, da können wir nichts machen.“ Ich klopfe ihm auf die Schulter und er grinst mich an.
Dann meint Denise, es wäre Zeit für einen Nachmittagssnack für den Kleinen.
Ich kapier erst nicht, bis ich merke, sie will ihn jetzt stillen.
Ich geh dann mal raus.“
Mußt du nicht. Ich stell mich hier nicht zur Schau, ich stille mein Kind.“
Danke. Aber trotzdem.“
Sascha will mich nach draußen begleiten, kann sich dann aber doch nicht von seinem Sohn losreißen.
Dafür kommt Martha mit raus.
Sie sieht mich an und lächelt.
Also, das … geht nicht, finde ich. Sie ist die Frau von meinem besten Freund.“, meine ich.
Ich denke, sie hätten da beide nicht das geringste Problem mit gehabt. Aber sie wissen dein Feingefühl sicher sehr zu schätzen.“
Ich und Feingefühl? Schließt sich das nicht gegenseitig aus?
Sie lehnt sich an mich, ich lege meine Arme um sie und so warten wir.
Bis Sascha den Kopf aus der Tür steckt und meint: „So, der Kleine ist satt. Erstmal.“
Lange bleiben wir nicht mehr, denn Finchen taucht auf und kurz darauf auch Denise‘ Eltern. Und das ist eindeutig zuviel Rummel auf einmal.
Sascha können wir nun freilich nicht mitnehmen, der will Denise nicht mit ihren Eltern allein lassen.
Aber dafür nehmen wir Finchen mit, die gerne länger bleiben würde, aber auch sie meint, das wäre zuviel des Guten für Denise und das Baby.
Herrje, ist der Kleine süß!“, seufzt sie, als wir im Auto sitzen.

Zuhause überrascht uns Finchen damit, daß sie für uns mitgekocht hat.
Das wär aber nicht nötig gewesen.“, meint Martha.
Weiß ich, Kindchen. Aber ihr seid seit heute Nacht auf den Beinen und ich denke, ihr werdet es genießen, euch gleich einfach nur an den gedeckten Tisch setzen zu müssen.“
Da könnte was dran sein, denke ich.
Sicher, wir hätten auch essen gehen können. Oder was kommen lassen. Aber so ist es schon schöner. Und Finchen liebt es ja, ihre Mitmenschen zu betüddeln.
Nach dem Essen sitzen wir noch eine Weile zusammen.
Martha ruft Dana an und berichtet vom Nachwuchs.
Ich mache dasselbe bei Onkel Branko.
Der freut sich sehr über unseren Familienzuwachs und daß es Mutter und Kind gut geht.
Ich freue mich darauf, Saschas Frau und seinen kleinen Sohn bald persönlich kennenzulernen.“
In zwei Wochen wird er hier sein.
Finchen, die Carlo auf dem Schoß hat, strahlt.
Sie mag es gesellig und zu Ostern wird hier ja richtig was los sein.
Wir gehen früh schlafen heute. Es war ein langer Tag und wir sind jetzt echt müde.
Aber es war auch ein schöner Tag, nein, ein ganz wundervoller, besonderer …

Ich muß wohl ganz schnell weggepennt sein.
Als ich aufwache, muß ich erstmal meine Gedanken sortieren.
Saschas und Denise‘ Baby ist da!
Ich drehe mich rum und will Martha an mich ziehen; ohne schön mit ihr zu kuscheln, mag ich nicht aufstehen.
Aber sie ist nicht da. Ist wahrscheinlich auf dem Klo, denke ich.
Guten Morgen, mein Schatz!“
Da ist sie ja.
Aber …
Kein Zweifel, daß meine Frau mich verführen will.
Sie posiert sehr lasziv im Türrahmen.
Da hat sie leichtes Spiel mit mir.
Sie kann mich eh immer haben, wann sie will; ich kann ihr einfach nicht widerstehen.
Langsam kommt sie zu mir rüber.
Na gut, Süße, wenn du das so willst!
Ich ziehe sie zu mir auf’s Bett.
Als ich nach einem genüßlichen Vorspiel gewohnheitsmäßig in den Kondom-Vorrat greife, schüttelt Martha den Kopf.
Also wirklich ohne, ja?“
Ja. Oder hast du dir das mit dem Kind anders überlegt?“
Nun bin ich es, der entschieden den Kopf schüttelt.
Obwohl mir Gummis nix ausmachen, weil ich es bisher noch nie ohne gemacht habe … ist es doch ein ganz besonders schönes Gefühl jetzt, so ohne den Latex zwischen uns.
Möglicherweise unbewußt weil … es jetzt passieren könnte.
Aber das fällt mir erst hinterher wieder ein.
Martha ist nämlich sehr gut darin, meinen Verstand auszuschalten.
So genieße ich in diesem Moment nur.
Und benutze mein Hirn erst wieder, als wir uns ein wenig erschöpft, aber sehr glücklich zusammenkuscheln.
Dann allerdings legt mein Kopfkino so richtig los.
Der Gedanke, daß … eben gerade ...
Martha? … Spürt eine Frau das eigentlich … also, wenn es passiert ist?“
Warum kichert sie schon wieder?
Ach; Juri! Warum wohl sind viele Frauen so überrascht, wenn ihre Periode ausbleibt? Weil sie eben nix gemerkt haben! Sicher, es ist eine schöne romantische Vorstellung, daß man es merken könnte, daß man genau spürt – jetzt ist es passiert. Aber die Realität sieht anders aus. … Aber mach dir keine Sorgen – wenn es nicht jetzt passiert ist, dann beim nächsten Mal. Oder übernächsten. Oder wann auch immer.“
Sie küßt mich tröstend auf die Stirn.
Ich versuche, mein Kopfkino wieder auszuschalten und einfach nur zu genießen, mit Martha zu kuscheln.
Aber so ganz gelingt es mir nicht.

Den ganzen Tag über bleibt der Gedanke in meinem Kopf präsent, daß ich jetzt möglicherweise Vater werde.
Ich bin ziemlich abwesend.
Beim Frühstück nimmt Martha mir meine Kaffeetasse weg und meint kichernd, ich hätte da bestimmt schon sechs Löffel Zucker drin.
Auch später im Laden, wo ich mich um einige Bestellungen kümmern will, bin ich nicht wirklich bei der Sache.
Hänge schon mal irgendwo eine Null an.
Verwechsele Artikelnummern und ordere dadurch das Falsche.
Martha grinst verständnisvoll, natürlich weiß sie genau, warum ich so drauf bin.
Ich hoffe nur, das wird kein Dauerzustand.
Es erinnert mich sehr daran, wie Martha und ich zusammengekommen sind und ich nur noch an sie denken konnte. Und sonst nichts mehr auf die Reihe gekriegt habe.
Okay, das hatte sich ja bald gelegt.
Ich darf also hoffen, nicht dauerhaft so neben der Spur zu sein.
Für heute gebe ich auf, frage Martha, ob es okay ist, wenn ich eine Runde laufen gehe.
Sie nickt und meint, Josie und Janine seien ja da.

Die Bewegung an der frischen Luft tut mir gut.
Auf dem Rückweg bringe ich Kuchen mit und koche meinen drei Damen Kaffee.
Du verwöhnst uns aber heute.“, lacht Janine.
Wenn ihr schon meine Arbeit macht.“
Martha küßt mich zärtlich.
Du hast nicht … nicht?“, frage ich leise.
Natürlich nicht. Warum die Pferde scheu machen, wenn vielleicht noch gar nichts passiert ist? Und deine Verpeiltheit kann ja an allem Möglichen liegen.“
Nicht, daß es mir was ausmachen würde, wenn Josie und Janine wüßten, warum ich so abwesend bin.
Aber daß Martha jetzt vielleicht von mir schwanger ist … das ist so ein süßes kleines Geheimnis, das ich gerne noch ein bisschen für mich behalten würde.
Wir sitzen noch gemütlich zusammen, als Sascha in unseren Kaffeeklatsch platzt.
Oh, Kuchen, gut! Ich brauch‘ Nervennahrung.“
Hey, was ist los?“, frage ich und Martha steht gleich auf und bietet ihm ihren Platz an, nachdem Sascha sie mit einem Küßchen begrüßt hat.
Meine Schwiegereltern. Wir haben es nicht über uns gebracht, sie in ein Hotel zu schicken, wo ich doch im Moment allein zuhause bin. Außerdem wollten sie natürlich sehen, wie wir alles für das Baby hergerichtet haben. Bärbel meint es ja gut, das weiß ich, aber sie muß zu allem ihren Senf dazugeben. Und bei Jochen hab ich manchmal das Gefühl, er traut mir nicht zu, gut für meine Familie zu sorgen. Jedenfalls hab ich die also bei mir zuhause und die werden auch erst wieder fahren, wenn Denise aus der Klinik kommt. Und das ist erst übermorgen. Ich werd‘ noch irre bis dahin.“
Ach je.“, meint Martha mitfühlend. „Wo sind sie denn jetzt? Bei Denise?“
Nee, da waren wir heute zusammen. Sie wollen sich jetzt mal ein bisschen was von Berlin ansehen. Nachher will Bärbel für uns kochen. Meine kroatische Küche ist ihr zu schwerverdaulich, sagt sie.“
Wenn ich Sascha so höre, bin ich doppelt dankbar, mit Peter und Gisela so wunderbare Schwiegereltern zu haben. Die mich so akzeptieren, wie ich bin und mir ihre geliebte Tochter ohne Bedenken anvertraut haben.

Nach Ladenschluß begleiten Martha und ich Sascha ins Krankenhaus. Josie und Janine folgen.
Wir haben Glück – Saschas Schwiegereltern sind noch nicht vom Berlin-Bummel zurück.
Denise grinst verständnisvoll, als sie hört, daß Sascha bei uns Zuflucht gesucht hat.
Ich kenn‘ meine Eltern ja. Lieb und nett, aber eben auch anstrengend. Aber daß Papa zweifelt, du könntest nicht gut genug für uns sorgen – das bildest du dir nur ein, Sascha. Er findet es halt bissi komisch, daß du modelst. Ich glaub, er hat noch nicht ganz verstanden, daß du das nicht aus Leidenschaft machst, sondern für deinen Freund Juri.“
Saschas Miene heitert sich auf.

Tatsächlich ist der Schwiegerbesuch dann gar nicht so schlimm.
Bärbel und Jochen helfen uns, eine Willkommens-Party für Klein-Kristijan vorzubereiten und haben richtig Spaß dabei.
Jochen albert mit Josie rum, als sie zusammen Girlanden aufhängen.
Und Bärbel kann sich doch noch für Saschas Kochkünste erwärmen und lobt seine Ražnjići.
Sascha möchte Frau und Kind alleine aus der Klinik holen.
Wir, das heißt, Denise‘ Eltern, Josie, Janine, Finchen, Martha und ich, warten in der Vukovic’schen Wohnung.
Martha ist ungeduldig und räumt die verschiedenen kleinen Geschenke auf der Kommode im Flur immer wieder um, trippelt hierhin und dorthin und ich bin echt erleichtert, als die Tür aufgeht und Sascha reinkommt, mit seinem Sohn auf dem Arm. Denise folgt ihm strahlend.
Ist das schön, wieder zuhause zu sein.“, seufzt sie und sieht sich um. „Das habt ihr aber toll gemacht, dankeschön!“, freut sie sich über die Deko.
Kristijan bekommt seine Geschenke, die er aber irgendwie nicht wirklich zu würdigen weiß.
Ich denke, die fremde Umgebung, die ungewohnten Geräusche und Gerüche, das Stimmgemurmel – das alles ist wahrscheinlich ein bisschen viel für den Kleinen, der außer Denise‘ Zimmer in der Klinik noch nicht viel kennengelernt hat.
Denise legt ihn auch schnell in sein Bettchen.
Es wird die leiseste Party, die ich je erlebt habe.
Und die kürzeste auch.
Wir essen gemeinsam, unterhalten uns noch ein Weilchen und dann gehen wir Gäste, damit die kleine Familie an ihrem ersten gemeinsamen Abend zuhause unter sich ist.
Denise‘ Eltern verbringen die letzte Nacht in Berlin in einer Pension; morgen reisen sie wieder ab.
Ich bin sicher, Sascha wird es vor allem genießen, wieder mit seiner Frau richtig kuscheln zu können.
Hoffentlich läßt Kristijan die beiden heute Nacht schlafen. In der noch ungewohnten Umgebung.“, meint Martha auf dem Nachhauseweg.
Daß Babys grundsätzlich nachts schreien, stimmt wohl nicht, was?“
Iwo. Klar gibt es das. Wenn sie Bauchweh haben, wenn sie ihre Zähnchen kriegen. Und natürlich wenn sie Hunger haben. Man muß schon öfter mal nachts raus. Aber nicht immer. Außer man hat sich so einen Schreihals erzogen, der kapiert hat, daß er Aufmerksamkeit bekommt, wenn er brüllt. Das ist dann ein echtes Problem.“
Aha. Gut zu wissen.
Woran merkt man den Unterschied?“
Gute Frage. Im Zweifelsfall wirst du immer aufstehen und nachsehen. Der Gedanke, daß das Kleine doch was haben könnte, wird dich nämlich nicht mehr loslassen.“

Kapitel 52

Die Zeit bis Ostern vergeht wie im Flug.
Wir haben gut zu tun und ich keine Zeit, pausenlos an die Möglichkeit zu denken, daß Martha schwanger sein könnte.
Allerdings schlafe ich mit diesem schönen Gedanken immer ein.
Sascha und Denise sind nun nicht mehr morgens zum Frühstück bei uns.
Das fehlt uns, wenn wir auch verstehen, daß das jetzt nicht mehr geht.
Das heißt - im Moment nicht. Aber Denise hat schon gesagt, wenn der Kleine sich bei ihnen zuhause eingelebt hat, dann kommen sie wieder zum Frühstück. Er soll sich nämlich schon früh an sein zweites Zuhause und den Laden gewöhnen.“, lacht Martha.
Das freut mich.
Aber sehen tun wir den kleinen Kristijan trotzdem täglich, denn Denise‘ Spaziergänge führen immer zu uns.
Anfangs rolle ich genervt mit den Augen, wenn der Kleine kräht und alle Frauen verzückt quietschen.
Aber ich habe mich wirklich verändert.
Entweder setze ich dann meine Kopfhörer auf und arbeite weiter oder ich mache eben mal eine Pause.
Und es berührt mich sehr, wenn mir Sascha seinen Sohn in die Arme legt und der vertrauensvoll die Augen schließt und einschläft.
Daß mir bald die Schultern schmerzen, weil ich schon so lange mit ihm dasitze und mich nicht zu rühren wage, um ihm nicht aufzuwecken, ist mir egal.
Martha wirft mir dann immer so liebevolle Blicke zu.
Und ich denke, daß ich es vielleicht wirklich schaffen könnte, ein guter Vater zu werden.
Jedenfalls kann ich mit Kristijan schon mal üben.
Sascha ist definitiv ein guter Vater.
Liebevoll, geduldig und gar nicht mal überbesorgt.
Denise lobt ihn immer wieder.
Gut, es ist nicht sein erstes Kind.
Aber trotzdem bewundere ich ihn für seine Souveränität und Gelassenheit.
Das werde ich wohl kaum so hinkriegen.“, sage ich seufzend zu Martha.
Aber meine Frau meint, wenn es soweit ist, dann könnte ich das auch.
Ich hoffe, sie hat Recht.

Mehrmals am Tag denke ich an Onkel Branko und daß er bald bei uns sein wird.
Genauer gesagt, wird er am Kar-Donnerstag ankommen.
Martha wird von Tag zu Tag hibbeliger vor Vorfreude.
Und ihre Ungeduld stört mich gar nicht, im Gegenteil. Ich bin sehr glücklich, daß sie meinen Onkel so ins Herz geschlossen hat.
Und dann ist der Donnerstag vor Ostern da.
Martha und ich haben zuhause noch mal richtig Ordnung gemacht, alles Chaos in unseren Schränken verschwinden lassen. Waren mit Sascha zusammen für die Feiertage einkaufen.
Martha hat die Wohnung diesmal besonders liebevoll österlich geschmückt.
Finchen, die sehr gespannt auf meinen Onkel ist, hat gebacken.
Unser Laden bleibt an diesem Wochenende zu.
Wenn Onkel Branko nichts dagegen hat – wovon wir ausgehen – wollen wir am Samstag grillen und dann haben auch Josie und Janine die Möglichkeit, ihn kennenzulernen.
Und nun stehen Martha und ich am Flughafen und warten.
Von München aus hatte mein Onkel kurz angerufen, daß er gut angekommen ist und nun auf den Aufruf seines Fluges warte.
Martha hibbelt wie immer herum; sie macht den Eindruck, als würde sie vor lauter Vorfreude gleich platzen.
Nur kurz läßt sie sich in einem langen, zärtlichen Kuß fallen, dann tritt sie wieder ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, sieht immer wieder auf ihre Uhr und fragt zum x-ten Mal: „Wann kommt er denn endlich?“
Hör doch mal mit dem Wibbeln auf, wenn Onkel Branko dann da ist, bist du müde.“, mahne ich sie scherzhaft.
Witzbold.“
Aber sie steht tatsächlich still.
Und prompt taucht Onkel Branko auf. Winkt uns strahlend zu.
Wie nicht anders zu erwarten, saust meine Frau auf ihn zu und fällt ihm um den Hals.
Lächelnd drückt er sie an sich, zwinkert mir über ihren Kopf hinweg zu.
Dann darf ich meinen Onkel auch drücken.
Und das tue ich ausgiebig.
Es ist so schön, daß du da bist.“, sage ich leise.
Ich freu mich auch, mein Junge.“
Wollen wir los? Sascha, Denise und Finchen warten. Und natürlich Klein-Kristijan.“, drängelt Martha, schon wieder ungeduldig.
Aber jetzt macht das Drängeln Sinn, denn warum sollen wir noch länger am Flughafen rumstehen?
Bald sind wir zuhause.
Onkel Branko und Sascha begrüßen sich herzlich und unser Freund stellt Frau und Sohn vor. Dann ist Finchen an der Reihe. Sie und Onkel Branko finden sofort Gefallen aneinander.
Finchen dürfte auch nur wenig älter sein als er.
Auch Carlo kommt, prüft meinen Onkel … und akzeptiert ihn gleich als Familienmitglied.
Gemütlich sitzen wir bei Kaffee und Finchens Kuchen zusammen.
Onkel Branko läßt sich glücklich lächelnd erzählen, was in der letzten Zeit bei uns so passiert ist. Nicht, daß ich ihm etwas verschwiegen hätte, wenn wir telefoniert haben.
Aber ich war nicht so detailliert wie Martha. Und ganz sicher habe ich nicht so charmant und humorvoll erzählt.
Auch ich genieße es, meiner Frau zuzuhören. Und ihrer Sicht der Dinge zu lauschen.
Wenn wir uns kurz in die Augen sehen, strahlt sie mich so glücklich an … und ich strahle bestimmt genauso glücklich zurück.
Irgendwann kommt Martha zu mir, setzt sich auf meinen Schoß, legt mir die Arme um den Hals und fragt: „Wollen wir es ihnen sagen? Daß wir ein Kind wollen? Oder möchtest du lieber warten, bis ich wirklich schwanger bin?“
Ich frage mich kurz, ob das süße kleine Geheimnis noch eins bleiben soll. Und denke, es muß nicht sein, daß jeder davon erfährt. Aber Sascha, Denise, Finchen und mein Onkel sind nicht jeder.
Es ist okay für mich. Sag es ruhig.“
Martha räuspert sich und während sie auf meinem Schoß sitzend zärtlich meinen Nacken streichelt, meint sie: „Juri und ich möchten euch etwas anvertrauen. Also … noch ist es vielleicht nicht passiert … das heißt, wir wissen es nicht … aber … wir beide, Juri und ich … wir möchten ein Kind zusammen haben. Also nicht in ein paar Jahren … sondern … jetzt.“
Es ist ganz still geworden in unserem Wohnzimmer.
Eine Schrecksekunde lang denke ich, sie halten mich für bescheuert und erwarte, daß sowas kommt wie ‚Juri, hast du sie noch alle? Du kommst selbst kaum klar und willst dir ‚n Kind anschaffen?‘.
Doch dann bemerke ich, wie mich Sascha und Denise anstrahlen und als ich zu Onkel Branko rübersehe, putzt der sich grad die Nase und sieht ziemlich gerührt aus.
Wann, Juri?“, fragt Sascha lächelnd. „Als du den Kleinen das erste Mal im Arm hattest?“
Wie gut mich mein bester Freund doch kennt.
Ich nicke.
Martha legt ihre warme Hand an mein Gesicht, dreht es zu sich rum und küßt mich sehr zärtlich.
Dann fragt Denise Martha: „Also, könnte es sein … wäre es möglich, daß du schon … schwanger bist?“
Na ja … wir haben auf jeden Fall aufgehört zu verhüten. Aber da meine Periode noch nicht fällig ist … und so’n Frühtest … nee. Wir werden’s schon merken. Und natürlich sagen wir dann gleich Bescheid.“, lacht meine süße, wunderbare, einzigartige Ehefrau.
Finchen sagt gar nichts dazu. Aber so, wie sie strahlt, freut sie sich schon auf weiteren Familienzuwachs.

Es wird ein sehr schöner Abend.
Onkel Branko sitzt mit Finchen zusammen.
Martha mit Denise.
Und ich mit Sascha.
Wir trinken ein Glas Wein. Und unterhalten uns darüber, daß ich möglicherweise bald Vater werde.
Ich gestehe ihm, noch leichte Zweifel zu haben. Ob ich das hinkriege, ein guter Vater zu sein.
Du, diese Zweifel hat jeder. Gerade diese Zweifel machen einen guten Vater aus, denke ich. Daß du dich immer wieder fragst, ob du auch alles richtig machst. Das gehört einfach dazu. Und du hast Martha. Und Denise und mich. Bist doch nicht allein.“
Das stimmt.
Sascha lehnt sich auf dem Sofa zurück und blickt hinüber zu der Tragetasche, in der sein Sohn friedlich schlummert.
Wäre schon klasse, wenn unsere Kinder gemeinsam aufwachsen könnten.“
Daran habe ich noch gar nicht gedacht.
Aber es stimmt. Wir wären sowas wie eine Großfamilie. Und Marthas und mein Kind hätte gleich einen großen Bruder.

Am nächsten Morgen bereiten Martha und ich gut gelaunt das Frühstück vor, als wir aus dem Hof Lachen hören.
Martha sieht aus dem Fenster und fängt an zu kichern.
Ich sehe nun auch hinaus und sehe meinen Onkel, wie er Finchen beim Blumengießen hilft.
Ob Onkel Branko Finchen wegen aus dem Bett gefallen ist?“
Es war uns ja gestern schon aufgefallen, daß die beiden sich sehr gut verstehen.
Hm.“, brumme ich nur.
Wenn die beiden sich näher kommen … ob dein Onkel dann hierher zieht? Oder Finchen nach Zagreb?“
Du kommst auf Ideen.“, schüttele ich den Kopf.
Ich meine ja, da bahnt sich nur eine gute Bekanntschaft an, aber ich bin halt nicht so romantisch veranlagt wie meine Frau.
Würde es dich stören … also, wenn dein Onkel und Finchen …?“
Warum sollte es?“
Mein Onkel ist Mitte Sechzig, da ist man wohl noch nicht zu alt für die Liebe.
Wir frühstücken gemeinsam und dann will Martha Onkel Branko endlich unseren Laden zeigen.
Ich zögere kurz, dann gehe ich mit runter und sehe zu, wie Martha meinem Onkel eine ausführliche Besichtigungstour bietet. Bescheiden weist sie auf ihre Accessoires hin, präsentiert aber ganz stolz meine Sachen.
Onkel Branko ist von unserer Kreativität beeindruckt.
Ihr könnt wirklich stolz darauf sein, was ihr euch hier geschaffen habt. Das alles ist wunderbar individuell, es trägt deutlich eure Handschrift. Man merkt, mit wieviel Liebe und Leidenschaft hier gearbeitet wird. Aber diese erfolgreiche Kombination scheint ja grundsätzlich euer Leben zu bestimmen.“
Martha wird rot.

Zum Mittagessen sind wir bei Sascha und Denise.
Die beiden freuen sich sehr über Onkel Brankos kleines Mitbringsel – eine handgewebte weiche Decke für Kristijan.
Nach dem Essen verabreden wir uns für später auf einen kleinen Zoobesuch – wenn Kristijan seinen Mittagsschlaf gehalten hat.
Die Zeit bis dahin nutzen wir, um ein wenig zu ruhen.
Onkel Branko macht es sich auf unserer Couch gemütlich und Martha und ich kuscheln uns im Bett zusammen. Und schlafen auch tatsächlich ein.
Nach einer Tasse Kaffee sind wir alle wieder munter.
Wir drei und Finchen nehmen die U-Bahn zum Zoo, Sascha und Denise kommen mit dem Wagen.
Es ist ein schöner Familienausflug, den wir alle sehr genießen.
Denise hat die Kamera mit – Marthas und mein Hochzeitsgeschenk - und macht Fotos.
An diesem Abend sind Martha und ich mit Onkel Branko alleine.
Wir essen beim Mexikaner und Martha erzählt noch einmal ganz genau, wieso wir so eine Schwäche für dieses Restaurant haben.
Juri hat dir ganz schön den Kopf verdreht, hm?“, lacht Onkel Branko. „Aber er ist ja auch wirklich ein sehr attraktiver Mann. Und Männer mit Geheimnissen wirken auf Frauen zusätzlich anziehend.“
Genau. Ich hatte ja gar keine Chance.“, lacht auch Martha.
Wir hatten beide keine. Weil wir einfach zusammengehören.“, sage ich und sehe meiner Frau in die Augen.
Und sie küßt mich als Antwort sehr zärtlich.

Am Samstagvormittag lassen Martha und ich Onkel Branko eine Weile bei Finchen, während wir mit Sascha kleinere Besorgungen erledigen – wir wollen ja heute grillen.
Onkel Branko ist es ganz recht; er meint, wir müßten uns nicht die vier Tage permanent um ihn kümmern.
Und da er sich mit Finchen bestens versteht, haben wir kein schlechtes Gewissen.
Am späten Nachmittag kommen dann außer Sascha und Denise auch Josie und Janine und es wird ein richtig lustiges Beisammensein.
Zwar müssen wir zeitig nach drinnen umziehen, da wir erst Ende März haben und es kühl wird, sobald die Sonne weg ist.
Aber es macht uns nichts, daß es nun in unserer kleinen Wohnung etwas eng wird.
Kristijan kommt in unser Schlafzimmer, die Tür lassen wir offen.

Ostersonntag zeigen wir Onkel Branko ein bisschen mehr von Berlin.
Fahren auch nach Potsdam hinaus und präsentieren unseren zweiten Laden.
Das Wetter ist herrlich sonnig und wir entschließen uns, meinem Onkel den Park von Schloß Sanssouci zu zeigen.
Er ist begeistert von den prächtigen Bauten, die er nur von Bildern kennt.
Das sind tolle Motive für meine Teppiche!“
Wir bleiben etliche Stunden dort, lassen uns in einem gemütlichen Café verwöhnen und sind erst am späten Nachmittag wieder zuhause.
Nicht nur Onkel Branko ist nun müde und Sascha und Denise, die vorbeikommen, als sie hören, daß wir wieder da sind, grinsen uns an, wie wir da faul im Wohnzimmer lümmeln.
Dann stellen wir fest, daß wir für’s Abendessen nichts geplant haben.
Was aber nicht schlimm ist, da vom Grillen noch genug übrig ist.
Und Onkel Branko findet es überhaupt nicht schlimm, daß wir ihm als unserem Gast Reste vorsetzen.
Die Reste schmecken allerdings wirklich sehr gut.

Und dann bricht auch schon der letzte Tag von Onkel Brankos Besuch an.
Da das Wetter unbeständig ist, fällt ein größerer Ausflug flach.
So besuchen wir am Vormittag die Familie Vukovic zuhause, machen gemeinsam einen schönen Spaziergang und verbringen den Nachmittag bei uns.
Onkel Branko sagt, er würde uns gerne mal bei der Arbeit sehen, also setzen Martha und ich uns an unsere Entwürfe.
Eigentlich können wir nicht so auf Kommando arbeiten, aber irgendwie geht es doch und wir sind nach einer Weile abgetaucht und nehmen Onkel Brankos Anwesenheit kaum noch wahr.
Sind ganz erstaunt, als letztlich darüber drei Stunden vergangen sind.
Finchen ruft uns zum Kaffee, der jetzt auch gut tut.
Und ganz schnell ist es früher Abend und Sascha und Denise kommen mit dem Kleinen vorbei.
Gemeinsam kochen wir ein schönes serbo-kroatisches Essen.
Wenn du mitkochst, ist es eher ein serbo-chaotisches Essen.“, lacht Sascha über meine Kochkünste.
Er macht das gut.“, verteidigt meine Frau mich.
Ich hab’s halt nicht drauf, mit Gemüse kreativ zu sein. Ja, wenn man aus Paprika und Zwiebeln Mode machen könnte …
Wir genießen diesen Abend sehr, wissen wir doch, daß es für längere Zeit der letzte sein wird. Morgen nach dem Frühstück wird mein Onkel abreisen.
Aber noch ist es nicht soweit.
Ich höre bewegt zu, wie Onkel Branko Martha ein altes serbisches Kinderlied beibringt. Sie könne es später unserem Kind vorsingen.
Martha tut sich anfangs schwer, aber dann singen sie und mein Onkel zusammen und es klingt einfach nur schön.
Sascha filmt das mit und meint dann leise zu mir: „Ist für dich. Eine kleine schöne Erinnerung.“
Wir sitzen an diesem Abend noch lange zusammen, trinken das eine oder andere Glas Sljivo …

Am nächsten Morgen lassen es sich Sascha und Denise nicht nehmen, zum Frühstück zu kommen, worüber wir uns alle sehr freuen.
Wir sind trotz des nahen Abschieds guter Laune und auch Onkel Branko langt mit Appetit zu.
Dann aber …
Sascha und Denise fragen Finchen, ob sie eine Weile auf Kristijan aufpassen würde, sie möchten nämlich mit zum Flughafen.
Finchen freut sich sehr und nimmt den Kleinen an sich, nachdem sie und mein Onkel sich sehr herzlich verabschiedet haben.
Kurz darauf sind wir am Flughafen und besonders Martha fällt es nun doch schwer, sich von Onkel Branko zu trennen.
Uns trennt nichts mehr, Martha-Engelchen! Und vielleicht macht ihr ja dieses Jahr mal Urlaub in Kroatien. Von mir aus ist es nicht weit bis zur Adria-Küste.“
Es ist ein herzlich-schmerzlicher Abschied.
Auch Sascha fällt er schwer. Denn Onkel Branko ist auch für ihn ein Stück Heimat.
Auf dem Heimweg sind wir alle ziemlich still …


Kapitel 53

Ostern ist nun vorbei und bei uns geht alles wieder seinen geregelten Gang.
So weit geregelt es mit Klein-Kristijan so geht.
Es ist nicht ganz einfach, ein Baby in den Arbeitsalltag zu integrieren, aber es ist machbar.
Zumal wir ja eine Großfamilie sind.
Ich merke, daß dieser Umstand vieles erleichtert.
Am dreizehnten April feiern wir Kristijans ersten Monat … das heißt, wir essen seinen Kuchen und er guckt zu.
Denise hat ein ganz tolles Babyalbum designt, in dem schon eine Menge Fotos sind.
Babys wachsen so schnell und die Zeit, wo sie so klein und süß sind, kommt nie wieder. Das muß man festhalten, solange es noch geht.“, meint sie.
Das verstehe ich sehr gut.

Am nächsten Morgen ist Martha beim Frühstück sehr still.
Bis …
Du, Juri?“
Hm?“
Ich bin schon fast zwei Wochen drüber.“
Was?“
Drüber? Über was? … Moment … nein! Oder … doch?
Du meinst doch nicht … du bist doch nicht … heißt das … ich … wir … bekommen ein Kind?“
Statt einer Antwort küßt sie mich zärtlich.
Na ja … so ganz sicher bin ich mir nicht. Aber … ja, es kann schon sein.“, lächelt sie mich an. „Oder sagen wir so … da ich meine Tage sonst immer regelmäßig habe, ist die Wahrscheinlichkeit, daß ich schwanger bin … schon recht groß.“
Ich …“ Mehr bringe ich nicht raus.
Ich ziehe sie dicht an mich, lege mein Gesicht an ihres und schließe die Augen.
In mir toben die Glückshormone wild herum.
Und ich nehme die Möglichkeit als Realität, weil der Gedanke, Vater zu werden, mit Martha ein Kind zu bekommen, einfach zu schön ist.
Laß es bitte, bitte wahr sein!
Ganz lange stehe ich einfach so mit ihr da.
Dann frage ich: „Kann man … schon so einen Test machen?“
Kann man.“, lacht sie. „Und ich hab schon einen gekauft.“
Ich sehe sie verblüfft an.
Ja, meinst du, ich bringe es über’s Herz, dich jetzt zappeln zu lassen? Ruhig zuzusehen, wie du verrückt wirst?“
Meine Frau ist so eine Liebe!
Ich hätte den Test sogar schon gemacht, aber ich gestehe, deine erste Reaktion auf die Möglichkeit, daß ich schwanger sein könnte … die wollte ich mir nicht entgehen lassen. Sorry!“ Sie streicht mir zärtlich durch’s Haar.
Das ist schon okay.“
Aber jetzt will ich deine Nerven schonen. Ich hab extra einen Test geholt, den man zu jeder Tageszeit machen kann.“
Ah, gut.“
Ich bemerke, daß ich richtig zittere, als Martha den Teststreifen aus der Verpackung holt und auf dem Klo verschwindet.
Kurz darauf ist sie wieder da, mit einem Becher in der Hand.
Drei Minuten müssen wir uns jetzt wohl oder übel gedulden.“
Wer hätte gedacht, daß drei Minuten so elend lang sein können?
Ein Streifen und ich bin nicht schwanger. Zwei Streifen …“
Ich fahre mir nervös durch die Haare … es müssen doch schon mindestens zwei Mal drei Minuten um sein!
Endlich nimmt Martha den Teststreifen aus dem Becher.
Und?“ schreie ich ihr beinahe entgegen.
Doch sie sagt nichts. Strahlt aber wie ein ganzer Sack Glühwürmchen.
Also ja?“
Sie nickt.
Und fällt mir um den Hals.
Wir bekommen ein Kind!
Martha und ich bekommen ein Baby!!!
Ich drücke Martha an mich und könnte platzen vor Glück.
Als ich meiner Frau in die Augen sehe, merke ich, daß meine ganz feucht sind.
Ach, Juri!“, seufzt Martha leise und küßt mich kurz zärtlich.
Dann lehnt sie ihren Kopf an meine Brust und so stehen wir ganz lange da … sind einfach glücklich …

Es ist vielleicht bescheuert, aber nach einer Weile sehen wir uns wieder an und wissen irgendwie beide, daß wir miteinander schlafen wollen.
Jetzt.
Und zwar ganz sanft, ganz liebevoll, ganz zärtlich.
Wir vergessen alles um uns herum, kuscheln und schmusen hinterher ausgiebig und mögen damit gar nicht mehr aufhören.
Und es ist einfach unbeschreiblich schön … diese warme, vertraute Nähe … wir fühlen wieder ähnlich wie in unserer Hochzeitsnacht …
Bis es klopft und Sascha vorsichtig seinen Kopf zur Tür reinsteckt.
Ach, hier seid ihr! Entschuldigt, wenn ich störe, aber es ist halb zehn und wir wundern uns, wo ihr bleibt.“
Der Laden!“, schnaubt Martha erschrocken. „Wir haben den Laden vergessen!“
Ja, uups, wie konnte denn das passieren?“, lacht Sascha. „Ich warte dann mal unten.“
Es ist nicht so, wie du denkst.“, ruft ihm Martha hinterher.
Das sagen sie alle.“, hören wir Sascha lachen, der wohl schon halb aus der Wohnungstür ist.
Eine Viertelstunde später sind wir, geduscht und angezogen, unten.
So, wie Josie und Janine grinsen, muß Sascha gepetzt haben, daß er uns aus dem Bett geholt hat.
Ihr schwebt ja immer noch auf Wolke sieben.“, grinst auch Sascha. „Was ist denn los mit euch? Ich glaub ja, daß ihr tollen Sex habt, aber so hab ich euch noch nie gesehen.“
Martha sieht mich an, ich weiß, sie möchte wissen, ob sie es sagen soll. Eigentlich würde ich es gerne noch eine Weile … aber irgendwas müssen wir sagen … und unsere Freunde anschwindeln?“
Also nicke ich meiner Frau zu.
Ja, also eigentlich müßten Denise und Finchen auch dabei sein … aber dann erfahren die es eben ein bisschen später … ich bin schwanger!“
Und da hast du eben versucht, noch ein bisschen schwangerer zu werden?“, lacht Sascha.
Oh, du blöder …“
Komm her!“ Sascha ist schon aufgesprungen und umarmt Martha stürmisch. „Glückwunsch! Ich freu mich riesig für euch beide!“
Dann bin ich an der Reihe.
Sascha küßt mich auf beide Wangen und drückt mich so fest, daß ich denke, meine Rippen knacken zu hören.
Aber seine echte, ehrliche Freude macht mich sehr glücklich.
Mensch, Juri!“
Er drückt mich noch einmal und fragt dann: „Feiern wir das heute Abend ein bisschen? Nix großes, aber eben gemeinsam auf den nächsten Familienzuwachs anstoßen.“
Klar!“, kommt es von Josie und Janine, die uns nun auch sehr herzlich beglückwünschen.
Sascha ruft nun Denise an und ihr Juchzen können Martha und ich hören, obwohl Sascha drei Meter entfernt steht.
Nun passiert, was ich eigentlich schon vorhin erwartet hätte – statt des unerwarteten Liebesspiels – nämlich, daß Martha aufgeregt hin und her wuselt und sich nicht entscheiden kann, wen sie zuerst anrufen soll. Ihre Eltern oder Dana. Und überhaupt jetzt sofort. Oder erst später.
Ich beobachte sie lächelnd, während ich mein Telefon aus der Hosentasche hole und Onkel Branko anrufe.
Der freut sich sehr.
Martha bekommt das gar nicht mit.
Erst als ich ihr mit einem „Onkel Branko.“ mein Telefon reiche, begreift sie, daß ich schneller war als sie.
Und meine Familie schon informiert habe.
Strahlend nimmt sie Onkel Brankos Glückwünsche entgegen.
Spontan beschließen wir, ein Schild an die Tür zu hängen „Wegen Familienfeier geschlossen“ – heute ist nicht zu erwarten, daß wir uns auf die Arbeit konzentrieren können.
Josie und Janine meinen, sie würden die kleine Feier gerne organisieren und ein paar Salate machen. Und wir nehmen dieses Angebot gerne an.
Wir machen nun Finchen unsere Aufwartung und als sie hört, was passiert ist, sagt sie erstmal gar nichts.
Drückt uns nur wortlos.
Bis sie endlich ein „Ach, wie schön.“ hören läßt, das stark danach klingt, als müßte sie ein Schluchzen unterdrücken.
Als sie hört, daß Josie und Janine eine Feier organisieren, ist sie beinahe enttäuscht, will sich aber unbedingt beteiligen.
Während Martha nun doch ihre Eltern anruft, um ihnen die Neuigkeit zu verkünden, räume ich den Frühstückstisch ab und erledige den Abwasch.
Strahlend nehme ich die Glückwünsche von Peter und Gisela entgegen, die ganz aus dem Häuschen sind.
Daß du jetzt sowas wie abwaschen kannst.“, lacht Sascha. „Ich hätte gedacht, du hockst jetzt hier am Küchentisch, starrst verträumt ins Leere und kriegst nix mehr mit.“
Ich wundere mich auch.“, meine ich grinsend.
Martha setzt sich zu uns an den Tisch. „Ruhig, Martha, ruhig.“, ermahnt sie sich selbst. „Nicht alles auf einmal.“
Sehr vernünftig.“, lobt Sascha sie. „Du mußt nicht heute schon Windeln kaufen. Das hat noch ein bisschen Zeit.“
Woher weißt du …? Nein, keine Windeln. Aber … na ja … man kann sich ja schon mal ein paar Gedanken machen. Die Zeit geht so schnell rum.“
Sascha und ich sehen sie an und müssen lachen.
Was denn?“, fragt sie empört zurück.
Martha, du bist einfach süß.“, meint Sascha.
Wie Recht er damit hat.
Martha? … Du weißt …?“ Ich deute tiefes Luftholen an.
Ja ja. Hat mir Mama auch schon gesagt.“, gibt sie verlegen zu.
Dich läßt das wohl auf einmal völlig kalt, was?“, fragt sie und verschränkt die Arme vor dem Bauch.
Wie kommst du denn darauf?“ Ich stehe auf, beuge mich zu ihr hinunter und küsse sie innig.
Es gibt ganz bestimmt keinen Menschen, der grad glücklicher ist als Juri.“, springt Sascha mir bei.
Er ist halt nur nicht so ein aufgescheuchtes Huhn wie ich, richtig?“
Das hab ich jetzt nicht gesagt.“ Sascha pfeift unschuldig.
Okay. Schon gut. Ich hab’s ja verstanden.“
Martha, es wird alles geschehen, was nötig ist. Und wann es nötig ist. Mach dir keinen unnötigen Streß. Der ist jetzt auch gar nicht gut für dich.“, sage ich.
Duuuu, fang mir gar nicht erst so an. Das weiß ich selber.“
Man könnte meinen, deine Hormone laufen jetzt schon Amok.“, lacht Sascha Martha zu. Und meint dann zu mir: „Vielleicht nimmst du sie nochmal mit ins Bett. Vorhin war sie viel entspannter.“
Junge, ich glaub, du lebst gefährlich.“, sage ich ruhig, als ich sehe, wie Martha Sascha anfunkelt.
Doch dann lacht sie: „Da hätte ich gar nix gegen. Es war nämlich traumhaft schön, damit du’s weißt!“
Ich sag ja gar nix mehr.“
Okay, gut … ich mache gleich einen Termin bei meiner Frauenärztin. Wenn die die Schwangerschaft bestätigt, sehen wir weiter. Vorher ändert sich gar nichts, heißt, wir leben und arbeiten weiter so wie bisher auch.“
Sascha und ich sehen uns an … das war jetzt mal ein krasser Stimmungsumschwung.
Aber wir wissen ja, daß Martha eigentlich ein vernünftiger Mensch ist. Und der kommt jetzt eben wieder durch.
Und so nutzen wir den Rest des Tages für allerlei Erledigungen, wenn wir schon geschlossen haben.
Unterbrochen durch etliche Anrufe, denn Martha hat ja doch Dana informiert, die die Neuigkeit gleich weiterverbreitet hat.
Und so rufen auch Thomas und Jessica an.
Und Kim und Emilio.
Und Marlene und Rebecca.
Und später sogar Tristan.
Ich wiederum telefoniere mit Jeremije, mit dem ich eh schon lange nicht mehr gesprochen habe. Auch er freut sich sehr.
Und die kleine Feier abends wird nett.

Ich sage Martha, daß ich bei allem, was unser Kind betrifft, dabei sein möchte. Weil ich denke, es wird auch unser einziges Kind bleiben.
Das ist okay für mich, Juri. Wir haben ja noch Kristijan und überhaupt eine große Familie. Dieses eine Kind reicht völlig zu meinem Glück. Und natürlich du!“
So bin ich also gleich bei Marthas erstem Besuch bei der Frauenärztin dabei.
Die ist sehr nett.
Als sie Martha untersucht hat, fragt sie: „Wäre es eine gute Nachricht, wenn Sie schwanger wären?“
Oh ja!“, antwortet Martha strahlend.
Ja, dann … kann ich Ihnen diese gute Nachricht geben. Meinen Glückwunsch!“
Martha und ich bedanken uns.
Und fahren sehr glücklich nach Hause.
Meine Frau hat sich einen Ernährungsplan mitgeben lassen.
Man weiß ja, das Fürzweiessen ist Unfug, aber von bestimmten Nährstoffen, Mineralien, Spurenelementen und so brauch ich jetzt mehr. Und ich hab keine Lust auf diese künstlichen Präparate. Deswegen muß ich jetzt gucken, wieviel ich wovon essen sollte, damit das Baby alles kriegt, was es braucht.“
Auch eine Liste mit den Vorsorgeuntersuchungen haben wir mitbekommen.
Denise gibt uns ihre diversen Ratgeber für werdende Mütter und Martha und ich lesen sie abwechselnd.
Einen Augenblick komme ich mir komisch vor und befürchte auch spöttische Kommentare von Sascha.
Dann denke ich ‚Was für ein Unfug!‘, der hat sie ja selbst gelesen.
Und natürlich findet es Sascha gut, daß ich mich rechtzeitig informiere, was auf Martha und mich zukommt. Klar ist auch, daß wir bei ihm und Denise jederzeit Rat und Hilfe finden werden.
Als ich später einen Moment für mich bin, wird mir plötzlich bewußt, daß Martha etwa Mitte März schwanger geworden sein muß. Also vermutlich wirklich gleich, als … es ist nicht wichtig, aber für mich irgendwie ein Zeichen, daß es so sein soll …

Meinen Geburtstag am zwanzigsten April feiern wir nur mit einem gemütlichen Kaffeeklatsch in unserer kleinen Familie. Natürlich hat mich Martha gleich morgens zärtlichst verwöhnt.
Und natürlich ruft Onkel Branko an, um mir zu gratulieren. Ebenso wie Marthas Eltern.

Ich finde das Zusammenleben mit meiner schwangeren Frau sehr spannend.
Ich beobachte Martha genau, ob und was sich bei ihr verändert.
Aber da tut sich erstmal gar nichts.
Keine Stimmungsschwankungen – sie ist genauso gut drauf, wie sonst.
Vielleicht ein klein wenig ruhiger, besonnener. Aber noch wibbelig genug, um meine Martha zu sein.
Sie wird nicht von morgendlicher Übelkeit heimgesucht, was sie natürlich sehr begrüßt.
Sie hat auch keinen ungewöhnlichen Heißhunger auf irgendwas.
Meint aber, das könne noch kommen.
Auch sonst ist sie wie immer.
Ob sie liebeshungriger ist als früher, ist schwer festzustellen, da wir immer ein reges Liebesleben haben.
Aber daß das auch jetzt so bleibt, gefällt mir, denn aus den Ratgebern weiß ich ja, daß schöner, erfüllter Sex wichtig für das Wohlbefinden einer Schwangeren ist.
Und ich tue alles dafür, daß Martha sich sehr wohl befindet.

Die ersten Wochen von Marthas Schwangerschaft muß ich mich noch sehr zusammenreißen, Martha nicht andauernd zu ermahnen, auf sich aufzupassen.
Dann gibt sich das und ich werde ruhiger.
Zumal Martha mir auch keinen Anlaß zur Beunruhigung gibt.
Sie ist sich bewußt, daß in den ersten Monaten das Risiko für eine Fehlgeburt höher ist als später und paßt wirklich gut auf.
Sie und Denise sind viel zusammen und das ist gut, denn bei Denise ist die Erinnerung an ihre Schwangerschaft ja noch frisch. Sicher kann sie ihr manchen guten Rat geben.
Ich wiederum rede viel mit Sascha.
Er meint, ich würde mich verändern. Ich würde das zwar schon tun, seit ich Martha kenne, aber jetzt …
Und als ich so drüber nachdenke, meine ich, er könnte Recht haben.
Ich glaube, der Umstand, daß Martha ein Kind von mir bekommt, läßt mich tatsächlich wieder ein Stück vorankommen.
Ich habe jetzt zusätzlich noch die Verantwortung für unser Kind. Zwar teile ich mir die mit Martha. Aber trotzdem.
Hin und wieder überfallen mich noch Zweifel, dem allen gewachsen zu sein. Aber ich weiß, daß das normal ist. Und wenn so ein Moment kommt, gehe ich zu Martha oder Sascha und spreche mich aus. Die beiden haben immer ein paar aufmunternde Worte für mich. Und dann ist alles wieder gut. Ich weiß inzwischen sehr zu schätzen, endlich offen reden zu können. Das tut so gut.

Bald schon wird mir klar, daß Marthas Schwangerschaft nicht nur bedeutet, daß wir ein Kind bekommen. Sondern daß es auch sonst eine besondere Zeit in unserer Beziehung ist.
Ich sehe in Martha nun nicht mehr nur meine Frau, sondern auch die Mutter meines Kindes.
Und das ändert eine ganze Menge.
Oberflächlich betrachtet vielleicht nicht.
Aber ich habe das Gefühl, daß sich meine Liebe zu ihr noch vertieft.
Ich spreche mit Sascha darüber, der mich trotz meiner wirren Worte, weil ich mich nicht recht auszudrücken weiß, versteht.
War bei mir und Denise auch so. Ich hatte auch das Gefühl, daß wir uns noch näher kommen, noch inniger werden. Vor allem aber haben wir noch bewußter zusammengelebt.“
Sascha hat genau das gesagt, was ich so nicht formulieren konnte.
Genau so fühle ich. Mich Martha nämlich noch näher.
Ich spreche auch mit ihr darüber. Und sie empfindet es genauso.
Sie meint, das Glücksgefühl, daß sie ein Kind von mir bekommt, könne sie mit Worten gar nicht beschreiben.

Auch geschäftlich läuft bei uns alles wunderbar.
Es ist fast schon etwas unheimlich.
Marthas Babysachen boomen geradezu.
Und was vor kurzem nur ein Gedanke war, ist jetzt eine Notwendigkeit – wir brauchen eine eigene Fertigung.
Keine ganze Fabrik, aber es sollte schon reichen, unsere gesamten Kollektionen dort produzieren zu lassen.
Was da alles dranhängt, macht uns schon ziemlich Angst.
Aber Denise läßt ihre Kontakte spielen und es findet sich jemand, der quasi die Geschäftsleitung der Fertigung übernehmen könnte. Ein junger Mann, der eine neue Herausforderung und ein breites Betätigungsfeld sucht. Und ein Unternehmen von Beginn an aufzubauen inclusive der Suche nach einer geeigneten Immobilie, die Auswahl der Mitarbeiter und so weiter – das reizt ihn.
Daß Martha und ich die Chefs sind, stört ihn nicht, da er machen kann wie er will, außer uns in die Produkte reinreden und den Laden vor die Wand zu fahren.
Die Chemie stimmt und wir lassen das alles finanziell und formell unter Dach und Fach bringen.
Aber es kommt noch doller.
Nach Marthas Geburtstag im Juni, an dem übrigens Peter und Gisela zu Besuch waren, steht Rebecca bei uns auf der Matte.
Sie ist komplett gefrustet und will bei LCL hinschmeißen.
Daß man ihr permanent irgendwelche Komiker vor die Nase setzt, die alles umkrempeln und es in der Geschäftsleitung nur noch Zoff gibt, der sich negativ auf den Schaffensprozeß auswirkt, ist nur eine Sache, die sie ankotzt. Vor allem aber kann sie sich nicht mehr selbst verwirklichen.
Sie will wieder wirklich kreativ sein, Neues erschaffen. Die klassische Eleganz von LCL langweilt sie und was anderes läßt man sie nicht machen.
Martha und ich verstehen sie nur zu gut.
Sie bleibt ein paar Tage bei uns und nachdem sie unseren Laden in Potsdam gesehen hat, meint sie, das wäre was für sie – ein eigener kleiner Laden mit ihrer eigenen Mode, mutig, anders … endlich wieder sie.
Ich hab dir ja schon mal gesagt, daß wir gar nicht so verschieden sind.“, meine ich zu ihr.
Und so wird in einer durchwachten Nacht die Idee geboren, einen dritten Laden der ‚good girls & bad boys‘ zu eröffnen.
Rebecca würde gerne nach London gehen.
Damit würden wir und sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – wir würden uns nicht gegenseitig die Kundschaft abgraben und sie wäre weit genug von ihrer Familie weg.
Schnell sind wir uns einig, daß Rebeccas Laden zwar unser Firmenemblem tragen soll, sie aber dort schalten und walten kann, wie sie will. Quasi eine eigenständige Tochterfirma.

Nach all dem geschäftlichen Trubel ist uns nach einer Auszeit. Unsere wirtschaftliche Lage läßt durchaus richtige Betriebsferien zu.
Onkel Branko wiederholt noch einmal, wie schön Kroatien doch sei und daß er gerne mit uns Urlaub machen möchte.
Und genau das machen wir auch.
Im September schließen wir für drei ganze Wochen.
Und fahren mit Sascha, Denise und Kristijan nach Zagreb.
Der Kleine ist nun ein knappes halbes Jahr alt, gesund und munter, sodaß aus seiner Sicht der Reise nichts im Wege steht.
Auch Martha ist mittlerweile im sechsten Monat, alle bisherigen Untersuchungen waren positiv, es ist alles in bester Ordnung mit ihr und unserem Baby.
Onkel Branko hat uns ein Ferienhaus in der Nähe von Rijeka an der kroatischen Adria-Küste gemietet.
Drei Tage bleiben wir bei ihm in Zagreb. Besuchen den Friedhof.
Und fahren dann zusammen mit seiner Freundin Katja an die Küste.
Es wird ein herrlicher Urlaub.
Das Wetter im September ist wunderbar. Sonnig, aber nicht zu heiß.
Wir haben ein Stück Strand fast ganz für uns. Nur am Wochenende ist es etwas belebter.
Ich genieße es, einfach nur mal so zu faulenzen, mit Martha in der Sonne zu liegen.
Sascha und ich schwimmen viel, spielen Wasserball, machen hie und da eine kleine Radtour ins Hinterland.
Natürlich besuchen wir auch Rijeka selbst. Ich war mit meinen Eltern früher ein paar Mal dort, erinnere mich aber kaum an etwas. Dabei ist es eine schöne Stadt.
Martha und ich gehen viel spazieren, genießen die Zweisamkeit. Na ja, Dreisamkeit.
Denn inzwischen macht sich unser Nachwuchs immer öfter bemerkbar.
Ich empfinde es als ein Wunder, dieses kleine Wesen da in Marthas Bauch … wahrscheinlich ist es auch eins … noch ungeboren und doch schon so lebendig.
Vom ersten Tag haben Martha und ich mit ihm geredet, vor allem Martha erzählt ihm alles, was bei uns so passiert.
Aber auch ich empfinde es inzwischen als völlig selbstverständlich, mit unserem Kind zu reden.
Es ist mehr als nur ein schöner Gedanke, daß ich ein Teil seiner kleinen Welt bin.
Ich will ihm vertraut sein, wenn es auf die Welt kommt.
Ich genieße es, ausgiebig mit Martha zu kuscheln, meine Hand sanft streichelnd auf ihren Bauch zu legen …
Überhaupt finde ich es sehr beglückend, für Martha zu sorgen, sie zu verwöhnen.
Sie hat schon früh mit Schwangerschaftsgymnastik begonnen und da gibt es auch Partnerübungen.
Anfangs kamen wir uns beide etwas komisch dabei vor, Martha hat verlegen gekichert. Aber das hat sich schnell gegeben.
Jetzt genießen wir diese Übungen ebenso wie schöne entspannende Bäder und Massagen.

Einen Tag vor unserem ersten Hochzeitstag kehren wir sonnengebräunt und gut erholt nach Berlin zurück.
Ich fasse es kaum, daß ich tatsächlich schon ein Jahr mit Martha verheiratet bin!
Finchen und Carlo haben uns sehr vermißt.
Unser guter Hausgeist kocht für uns und freut sich über unsere Mitbringsel aus Kroatien.
Unseren Hochzeitstag verbringen Martha und ich dann ganz für uns.
An Geschenke haben wir irgendwie gar nicht gedacht, es ist uns auch nicht so wichtig.
Aber der Umstand, daß Marthas fortgeschrittene Schwangerschaft es jetzt langsam nötig macht, über ein paar alternative Stellungen mehr beim Sex nachzudenken, veranlaßt meine Frau, nach einem schönen Zoobesuch in einem Buchladen eine hübsche Ausgabe des Kamasutra zu kaufen.
Warum nicht?“, meint sie kichernd, als wir an der Kasse stehen.
Stimmt, warum nicht?
Später gehen wir beim Mexikaner essen und verbringen dann einen kuschligen Abend zuhause, blättern in unserem Hochzeitsalbum.
Stört es dich eigentlich nicht, daß wir uns irgendwie ziemlich spießig benehmen?“, fragt Martha plötzlich. „Hochzeitstag feiern, romantisch essen gehen und jetzt kuscheln, Hochzeitsbilder gucken?“
Nein. Ist doch nicht spießig, wenn man das macht, was man will.“
Martha lehnt sich zufrieden seufzend an mich. Und ich streichle zärtlich ihren runden Bauch.

Als Marthas siebter Schwangerschaftsmonat beginnt, scheint ihren Hormonen langweilig zu sein.
Auf einmal ist meine Frau morgens total unausgeschlafen, egal, wie lang und gut sie geschlafen hat und auch ein wenig zickig.
Anfangs wundere ich mich, wieso sie mich wegen jeder Kleinigkeit anmault, dann erklärt sie mir, woran das liegen könnte und daß ich mir einfach nichts draus machen soll.
Das klappt ganz gut.
Und irgendwie beginnt jetzt auch sowas wie ein Nestbautrieb bei ihr.
Bisher reichte es ihr, ihr Babyalbum zu gestalten und die Erstausstattung für unser Baby zu designen.
Nun aber scheint es dringend zu sein, ein Bettchen zu kaufen und was man sonst alles so für’s Baby braucht. Obwohl es ja noch fast drei Monate bis zur Geburt sind.
Ja, aber bald ist Weihnachten und ich muß meine Weihnachts-Accessoires machen und überhaupt können wir doch nicht alles auf den letzten Drücker besorgen und …“
Ich versuche, ihren Redefluß zu stoppen, aber es ist zwecklos.
Sascha meint später lachend: „Diskutiere nicht mit einer schwangeren Frau über sowas. Sei geduldig, nimm es hin. Und mach einfach, was sie will.“
Okay. Dann mach ich das halt.
Eine Wiege haben wir ja schon.
Ich frage Onkel Branko, ob er für unser Baby auch so eine schöne Decke machen könnte wie für Kristijan und er sagt erfreut zu.
Die nächsten zwei Wochen sind Martha und ich unterwegs, um alles einzukaufen, was sie meint, das wir beziehungsweise das Baby brauchen.
Zum Glück ist Martha im Grunde ein vernünftiger Mensch und kauft keinen unnötigen Schnickschnack, der nur einen Haufen Geld kostet.
Und Sachen, die nicht nötig, dafür aber einfach nett sind, kann sie ja selber.
So ist das alles letztlich nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte.
Ab und zu kommen auch Sascha und Denise mit und dann werden diese Einkaufsausflüge sogar richtig schön, weil wir dann immer irgendwo was essen gehen und uns Zeit lassen.

Martha und ich gehen nun auch gemeinsam zum Geburtsvorbereitungskurs.
Sascha erzählt mir, daß das eigentlich richtig schön sei.
Ich müsse es nur schaffen, mich ganz auf Martha zu konzentrieren und auszublenden, daß da halt manchmal komische Paare mit im Kurs wären.
Tatsächlich gibt es so eins auch in unserem Kurs. Er kann ihr nichts recht machen, sie mault ihn permanent an. Auch sonst labert sie nur Unfug, ist dazu rechthaberisch und unangenehm laut.
Was bin ich glücklich mit meiner lieben, süßen Martha, die sich immer entschuldigt, wenn sie ihre Launen mal an mir ausläßt.
Und Sascha hat Recht – so ein Kurs ist schön. Ganz schnell genieße ich die verschiedenen Übungen und daß Martha sich bei mir so schön entspannt.
Ich bekomme auch Lob von der Kursleiterin, die mich beinahe verlegen macht, weil sie meint, ich sei so einfühlsam. Aber ich höre das natürlich gern.

Martha ist für den elften Dezember ausgezählt, das ist der dritte Advent.
Als der November beginnt, werde ich langsam unruhig.
Bald werde ich Vater.
Natürlich bin ich es jetzt schon.
Aber …
Im Gegensatz zu mir wird Martha nun wieder ruhiger.
Sie meint allerdings, das würde sich kurz vor der Geburt sicher wieder ändern.
Denn natürlich hätte sie eine gewisse Angst, ob auch alles gut geht.
Das gehört wohl dazu.
Ich kann mir auch irgendwie keine Frau vorstellen, die überhaupt keine Angst vor der Geburt hat.
Marthas Frauenärztin ist prima.
Aus den Büchern weiß ich, daß das Vertrauensverhältnis zwischen der werdenden Mutter und dem Arzt sehr wichtig ist.
Aber bei Marthas Ärztin sind wir alle gut aufgehoben.
Sie klärt uns über alles auf, ohne uns unnötig zu beunruhigen.
Und sie hat Humor.
Wir verlassen die Praxis eigentlich immer ganz entspannt und guter Dinge.
Martha ist kein Mensch, der in den Tag hinein lebt und so hat sie sich ganz früh über bestimmte Dinge Gedanken gemacht.
Sie möchte nach Möglichkeit eine natürliche Geburt.
Und weil Denise sich in der Klinik, in der Kristijan geboren wurde, wohl gefühlt hat, möchte auch Martha dort unser Kind zur Welt bringen.
Ende November ist alles für das Baby vorbereitet, alles organisiert.
Nur noch drei Wochen …

Martha möchte die Weihnachtsbäckerei nicht ausfallen lassen.
Da sie aber nicht mehr so lange stehen kann und ihr auch das Bücken schwer fällt … backe ich, nach ihren Anweisungen.
Das werde ich sicher nie vergessen.
Ich veranstalte eine ganz schöne Sauerei.
Und muß das alles selber wegputzen.
Aber Martha amüsiert sich prächtig.
Und daß es ihr gutgeht, ist ja das Wichtigste.
Ich dekoriere auch unsere Wohnung weihnachtlich.

Alle sind in Gedanken bei uns.
Das merken wir an den vielen Anrufen.
Unsere Freunde sind rücksichtsvoll und rufen fast alle mich an.
So kann Martha zurückrufen, wann ihr danach ist.
Denn ruhebedürftig ist sie jetzt.
Es fällt ihr nicht ganz leicht, zu akzeptieren, daß sie nicht mehr so beweglich ist und schnell angestrengt, aber sie macht sich immer wieder klar, daß das nicht mehr ewig dauert.
Ich bemühe mich, diese letzte Zeit vor der Geburt schön für sie zu machen, ihr Ablenkung zu bieten, sie zu verwöhnen.
Und sie schafft es auch meist, das zu genießen. Mies drauf ist sie nur ganz selten.
Dazu freue ich mich zu sehr auf unser Baby.“, meint sie.
Und ich?
Ich schlafe nun jeden Abend mit dem Gedanken ein, daß es jederzeit soweit sein könnte.
Bin bei jedem Geräusch hellwach, bei jeder Bewegung Marthas alarmiert.
Sie selbst pennt wie ein Stein, wie sie kichernd feststellt.
Aber das sei ihr auch gegönnt. Sie schleppt das Baby mit sich rum, sie hat die Rückenschmerzen. Da soll sie wenigstens gut schlafen.
In der Nacht vom zehnten auf den elften Dezember schlafe ich fast gar nicht.
Aber es passiert nichts.
Auch in der nächsten Nacht nicht.
Und auch tagsüber … keine Anzeichen, daß das Baby kommen will.
Am vierzehnten Dezember bin ich ziemlich mit den Nerven fertig.
Martha versucht mich immer wieder zu beruhigen, daß alles in Ordnung ist. Ein paar Tage über dem Termin wären ebenso normal wie etwas zu früh. Es sei alles noch im Rahmen.
Zu meiner Beruhigung suchen wir ihre Ärztin auf und die sagt mir das Gleiche.
Auch die Untersuchung ergibt nichts, was mich beunruhigen sollte.
Es ist einfach noch nicht soweit.“, sagt die Ärztin. Und: „Machen Sie sich bitte keine unnötigen Sorgen.“
Ha ha, das ist leichter gesagt als getan.
Als wir an diesem Abend im Bett liegen, streichle ich sanft Marthas Bauch und sage: „Mach nicht sowas mit mir, hörst du? Sonst ist dein Papa zu nix mehr zu gebrauchen, wenn du endlich kommst.“
Aber entweder hat das Kleine gepennt und mich nicht gehört oder es hat jetzt schon seinen eigenen Kopf und schert sich nicht darum, was andere wollen.
Dann kommt es ja ganz nach dir.“, meint Martha lachend.

Am Abend vor dem vierten Advent hat Martha so ein komisches Gefühl. Und meint: „Irgendwie denke ich …“
Was? Du meinst …?“
Es fühlt sich anders an als sonst. So, als ob das Baby nach unten gesackt wäre.“
Ich versuche mich an den Inhalt der Bücher zu erinnern, aber mein Kopf ist leer.
Können das Vorwehen sein?“
Ich glaub, Wehen sind das nicht. Aber ich glaub trotzdem, daß es jetzt nicht mehr lange dauert.“
Und ich glaube, daß ich diese Nacht kein Auge zumachen werde.
Auch Martha ist unruhig. Sie wacht immer wieder auf, muß auch mehrmals auf’s Klo.
Und nach Mitternacht scheint es dann wirklich soweit zu sein.
Martha hat die ersten Wehen.
Sie sieht mich an, ein wenig ängstlich und ihre Stimme zittert, als sie sagt: „Juri … ich glaub, unser Baby kommt.“
Ich spüre deutlich, daß sie mich jetzt mehr braucht, als je zuvor. Und ich bin entschlossen, mich zusammenzureißen, nicht die Nerven zu verlieren und für sie da zu sein.
Ganz ruhig und sanft sage ich: „Ich bin bei dir. Es wird alles gut.“
Da die Wehen noch in großen Abständen kommen, ist keine Hektik nötig.
Martha hat schon vor zwei Wochen ein Köfferchen gepackt mit allem, was sie in der Klinik brauchen wird.
Gefaßt klettert sie aus dem Bett und wir beide ziehen uns an.
Ich rufe Sascha an. Der weiß sofort, warum ich mich mitten in der Nacht melde.
Als er hört, daß wir noch zuhause sind, meint er: „Ich bin gleich da und fahre euch.“
Ich wollte selbst fahren, aber eigentlich ist es mir recht, wenn er es tut.
Zwanzig Minuten später ist er da.
Ich halte Martha im Arm, die tapfer lächelt.
Im Krankenhaus angekommen, wirkt sie gleich entspannter.
Vielleicht, weil sie weiß, daß sie hier in guten Händen ist und man alles für sie und das Baby tut, was nötig ist.
Während Martha verschiedene Fragen beantworten muß und man die Unterlagen sichtet, die sie von ihrer Ärztin bekommen hat, steht Sascha neben mir, eine Hand auf meiner Schulter.
Du zitterst.“
Ich weiß.
Hey, es wird alles gut.“
Wenn ich das nur glauben könnte.
Ganz plötzlich habe ich eine Scheiß-Angst um Martha.
Ich weiß selbst, das ist unbegründet, bis jetzt ist alles in Ordnung.
Aber das ist es eben … bis jetzt
Ich höre, wie Martha sagt, daß ihr Mann bei ihr bleiben soll.
Das werde ich.
Ich werde nicht durchdrehen, nicht schlappmachen, sondern für sie da sein.
Ihr den Mut zusprechen, den ich selbst nicht habe.
Was ich ihr aber nicht zeigen werde.
Wie mir die Knie schlottern, kann ich ihr hinterher erzählen.
Martha wird auf ein Zimmer gebracht, in dem sie bleiben soll, bis die Geburt kurz bevorsteht.
Auch Sascha darf auf ihren Wunsch hin bleiben.
Bestimmt wird das mal die härteste Zeit meines Lebens sein … das Warten …
Es ist gut, daß Sascha da ist, der das alles vor nicht allzu langer Zeit selbst mitgemacht hat.
Er weiß nur zu gut, wie ich mich jetzt fühle.
Und daß es mir schwer fällt, meine geliebte Martha so zu sehen.
Hilflos den Schmerzen in ihrem Innern ausgeliefert.
Als die Wehen heftiger werden, stehen ihr jedesmal Schweißtropfen auf der Stirn.
Ich tupfe sie ihr weg, streiche ihr die Haare beiseite, rede sanft mit ihr, sage ihr immer wieder, daß alles gut wird und sie es bald hinter sich hat.
Sie sieht mich mit großen Augen an, versucht zu lächeln. Und schafft es nicht so ganz.
Ich könnte heulen.
Aber ich nehme mich zusammen.
Die Zeit vergeht schneckengleich.
Als Sascha für kurze Zeit weg ist, um uns einen Kaffee zu holen, befällt mich beinahe Panik.
Dann fasse ich mich wieder.
Bin aber doch froh, als er wieder da ist.
Nun kommt auch wieder die Ärztin, die in regelmäßigen Abständen den Fortschritt kontrolliert.
Während sie Martha untersucht, gehe ich mit Sascha vor die Tür.
Der Kaffee tut gut. Oder eher das Warme in meinem Magen.
Dann kommt die Ärztin heraus, meint lächelnd: „Es dauert jetzt nicht mehr lang. Und es ist alles in Ordnung, machen Sie sich keine Sorgen.“ Sie tätschelt mir den Arm und geht.
Klar, für sie ist das Routine.
Wir gehen wieder hinein.
Und endlich hat das Schicksal, das Universum oder wer auch immer ein Einsehen mit uns.
Es ist soweit, Martha kommt in den Kreißsaal.
Ich bin in Gedanken bei euch.“ Sascha drückt mich kurz, dann schließt sich die Tür hinter mir.

Martha ist so still.
Ich hätte erwartet, daß meine sonst so redselige Frau auch jetzt nicht schweigt.
Daß sie schimpft und wettert.
Aber sie ist so in sich gekehrt.
Irgendwie beunruhigt mich das.
Martha scheint das zu spüren.
Sie drückt sanft meine Hand. „Alles gut, Juri.“
Spricht sie da grade mir Mut zu?
Also sie mir?
Das ist doch verkehrte Welt!
Sie soll sich doch nicht um mich kümmern, sondern um sich und unser Baby!

Und dann geht es auf einmal ganz schnell.
Martha schreit und stöhnt, befolgt aber tapfer die Anweisungen der Ärztin.
Ich sehe hilflos zu, wie meine Frau sich quält.
Und bin gleichzeitig bewegt von dem, was da passiert.
Unser Baby wird geboren!
Ich halte Marthas Hand, sie klammert sich fest.
Dann sinkt ihr Kopf erschöpft zurück und ich weiß, sie hat es geschafft.
Unser Baby ist da, es ist wirklich und leibhaftig da!
Was jetzt passiert, nehme ich irgendwie nur wie in Trance wahr.
Wie man unser Baby rasch in ein weiches Tuch wickelt und es Martha in die Arme legt.
Wie sie es liebevoll anlächelt, sanft mit ihm spricht, es begrüßt, es in unserer Familie willkommen heißt.
Wie ich Martha unter Tränen auf die Stirn küsse, irgendwas stammele ...
Und einfach nicht fassen kann, was hier grad passiert.
Ich bin Vater.
Martha und ich haben ein Kind.
Eine kleine Tochter.
Und in dem Moment, wo man mir meine, unsere Tochter in die Arme legt und meine Frau, meine einzigartige, wunderbare Martha mich erschöpft, aber so glücklich wie noch nie ansieht – da bin ich der glücklichste Mensch auf der Welt.
Na ja, Martha könnte sich vielleicht mit mir um diesen Platz streiten …

Ich muß mich setzen, meine Beine zittern.
Immer noch wie in Trance sehe ich zu, wie meine Frau und meine Tochter versorgt werden.
Registriere aber sehr genau, daß es beiden gut geht, daß unser Baby gesund ist.
Ich rappele mich wieder hoch und stakse zu Martha hinüber.
Ich bin so stolz auf dich.“, krächze ich. „Und so … unbeschreiblich glücklich.“
Martha nimmt meine Hand, drückt sie sanft und meint: „Du? Ich auch. Und du warst wunderbar, es hat mir so geholfen, daß du dabei warst.“
Wirklich? Ich hab doch nichts gemacht.“
Doch. Eine ganze Menge. … Hey, stolzer Papi … ich liebe dich!“
Ich liebe dich auch. Sehr!“
Du darfst mich gerne küssen.“
Sehr zärtlich komme ich ihrer Bitte nach.
Dann sind Mutter und Kind versorgt und es heißt, Martha käme jetzt auf ihr Zimmer.
Draußen steht Sascha.
Als er die Tür hört, dreht er sich ruckartig zu mir.
Im nächsten Augenblick liegen wir uns in den Armen.
Und ich, ich heule mich an seiner Schulter aus.
Vor Erleichterung, weil alles gutgegangen ist.
Und vor Glück.

Nun liege ich in meinem Bett in Marthas Zimmer.
Meine Frau schläft. Erholt sich.
Ich beobachte sie und denke in Ruhe über alles nach.
Sascha und Denise haben ihren Sohn nach seinem Vater benannt.
Und weil unsere Schicksale so eng miteinander verwoben sind, wünscht sich Martha, daß wir unsere Tochter nach meiner Mutter benennen.
Julijana wird sie nun also heißen, das ist Mamas zweiter Vorname.
Martha, meine Frau, die nun auch die Mutter meines Kindes ist - sie hat alles verändert.
Und doch fängt alles irgendwie jetzt erst richtig an.
Mein Leben mit meiner eigenen kleinen Familie.
Ich will Tagebuch führen.
Ich möchte alles in Erinnerung behalten. Jede Kleinigkeit.

Epilog

Wieder stehe ich mit Martha im Trauzimmer des Standesamtes Neukölln.
Diesmal sehen wir zu, wie sich unsere Tochter Julijana und Saschas und Denise‘ Sohn Kristijan das Ja-Wort geben.
Ich bin inzwischen ein alter Sack von Mitte Sechzig. Aber ein sehr glücklicher alter Sack.
Der sich gar nicht so alt fühlt, wie er ist.
Fast fünfundzwanzig wundervolle Ehejahre mit Martha liegen nun schon hinter mir.
Sicher war es nicht immer leicht.
Und wir haben Finchen verloren, Onkel Branko, Marthas Vater …
Aber wir haben nie aufgehört, uns zu lieben. Nicht einen Tag lang.
Wir waren immer füreinander da.
Mit Martha in meinem Arm blicke ich in eine ebenso glückliche Zukunft.
Sicher werden wir in absehbarer Zeit Oma und Opa sein.
Dann kann Martha wieder Babysachen designen.
Und ich schauen, ob ich das Wickeln noch drauf habe.
Ich bin dem Schicksal jeden Tag auf’s Neue dankbar, daß es mir diese wunderbare Frau beschert hat.
Martha drückt meine Hand, als die Kinder sich die Ringe anstecken.
Ich sehe meine Frau an, sie sieht zauberhaft aus.
Ich liebe dich!“, flüstere ich ihr zu.
Ich dich auch, Juri!“
Gerne würde ich sie jetzt küssen, so wie es unsere Kinder gerade tun …