4311
Was
zum Geier tut sie noch hier? Warum habe ich sie nicht gesehen, als
wir reinkamen? Hatte sie sich versteckt?
''Martha?''
''Ich
war gerade auf dem Weg zur Tür.“
''Auf
allen Vieren?''
''Jaa
… ehm ... ich … dachte ... äh ... ja, ich wusst‘ ja nicht, daß
du so schnell kommst ... also nach Hause kommst, mein ich, ehm ...
mit einer Frau ...ey. Mappe ist da, Schlüssel hab ich auch hingelegt
und Champagner habt ihr ja gefunden ... ich ... ehm … muß dann
auch schon längst wieder weg sein. ... Tschüss, ne.''
Herrje,
was stammelt sie sich denn da wieder zusammen?
Kein
Zweifel, daß Martha die Situation peinlich ist.
Weil
sie uns bei Intimitäten gesehen hat?
Also
das muß ihr nicht peinlich sein.
Aber
ich weiß immer noch nicht, was sie da auf dem Boden gemacht hat.
Ist
sie über ihre eigene Tollpatschigkeit gestolpert?
''Kannst
du mir das erklären?'', fragt meine Kleine.
''Das
war meine Assistentin.''
''Jaa
… das
war deine Assistentin?''
''Warum?''
''Ich
dachte eher, das wäre deine Putzfrau und die wischt grad den Boden.“
Ich
muß lachen. Ja, so ähnlich hatte es ausgesehen.
''Wie
soll meine Assistentin denn aussehen?''
''Ich
weiß nicht ... mehr so wie ich vielleicht?''
''So
wie du? Wie soll ich mich denn da konzentrieren?''
''Auch
wieder wahr. Die lenkt dich bestimmt nicht von deiner Arbeit ab.''
''Nee,
sicher nicht.“
Später,
als das Blut von meinen unteren Körperregionen wieder im Hirn
versammelt ist, bin ich froh, daß Martha mich nicht gehört hat. Sie
sagte zwar, sie sei es gewohnt, daß man sie ihrer Figur wegen
verspotte … aber ich bin sicher, daß es sie sehr verletzt hätte
... gerade von mir ...
Was
bin ich nur für ein Arsch? Im No Limits greife ich mir den Kerl, der
sie gedemütigt hatte und erkläre Martha, daß niemand das Recht
dazu hat. Und bin selbst nicht besser. Mache mich hinter ihrem Rücken
über sie lustig. Ich könnte mich selbst anspucken dafür.
Es
ist keine Entschuldigung, daß ich vielleicht nicht klar denken
konnte, weil ich in dem Moment zu scharf war.
*******
Als
ich sie später bei LCL sehe, ist mir das alles ziemlich unangenehm.
Aber
das überspiele ich geschickt, reiche ihr meinen neuen Entwurf,
bedanke mich dafür, daß sie den Champagner besorgt hat.
„Mmm,
gern geschehen.“
Sie
nickt unverbindlich und widmet sich zu deutlich ihrer Arbeit, als daß
mir nicht auffallen würde, daß was nicht stimmt.
„Ich
hab nicht gewußt, daß du noch da bist.“, sage ich ein wenig
schuldbewußt.
„Ja,
ich bin leicht zu übersehen.“
Ich
bin mir nicht sicher, ob sie das ernst meint oder mir damit etwas
sagen will.
„Hätt'
ich dir sagen sollen, daß ich noch Besuch kriege?“
Hatte
sie vielleicht gedacht, ich wollte den Champagner mit ihr trinken?
Ich erinnere mich nicht mehr, was genau ich am Telefon zu ihr gesagt
habe. Möglicherweise waren meine Worte mißverständlich. Und ich
habe sie dadurch in diese für sie unangenehme Situation gebracht.
Sie
meint jedoch, das hätte ich gesagt. Also daß ich nicht allein
kommen würde. Und daß sie es hätte wissen müssen.
„Stimmt.“,
sage ich. Nicht, weil es so ist, sondern um sie aus dieser Situation
zu retten.
''Na,
jetzt hast du wenigstens 'ne Partyanekdote, die du erzählen kannst.
Meine peinlichsten Momente mit meinem Chef.“
''Ja,
nächstes Mal bring ich dann noch 'nen Bodenwischer mit, ne. Damit
das ganze Rumkriechen auch 'nen Sinn hat!''
Schön,
daß sie die Sache mit Humor nimmt.
Diese
Frau bringt sich aber auch immer in komische Situationen …
*******
Eine
Weile später informiert sie mich, daß unten am Empfang eine Frau
auf mich warten würde.
Der
Nachname sagt mir gar nichts.
Doch
bei Vanessa klingelt was.
„Das
ist die, die vorhin bei mir war.“
Ich
imitiere ihr Robben, aber sie scheint es nicht witzig zu finden. Aber
ich fürchte, ich besitze auch nur wenig komödiantisches Talent.
„Ja,
sie ... will dich sprechen.“
„Keine
Zeit.“
„Was?“
„Das
war 'ne einmalige Geschichte.“
„Aber
...“
„Bist
du meine Assistentin oder nicht?“
„Na
klar.“
„Wimmel
sie ab.“
*******
Kurz
darauf ist Martha wieder da.
''Hast
du sie abserviert?''
''Ja.“
''Danke.“
''Und
ich soll dir noch etwas sagen. Und zwar … daß sie … in dem
Moment eurer Vereinigung das Besondere gespürt hat und daß sie
glaubt, daß ihr ein perfektes Paar hättet werden können. Und es
war total fies und gemein, sie so abzuservieren.''
''Hat
sie
das gesagt?''
''Nein,
das sage ich. Wenn du das nächste Mal eines deiner Betthäschen
abservieren willst, ja, dann mach das gefälligst selber, ja? Mich da
vorzuschicken, das war fies und gemein! Ich bin hier, um mit dir zu
arbeiten und nicht um dein Privatleben zu organisieren,
verstanden?!''
''Ich
hab für sowas keine Zeit!''
Das
ist natürlich nur eine Ausflucht. Ich hab einfach keinen Bock auf
nervige Diskussionen oder daß die Kleine mir ‚ne Szene macht.
Und
im Grunde hat Martha Recht.
''So
ein Quatsch! Du … du ... du hast dich doch nur davor drücken
wollen, dieser Frau aus dem Weg zu gehen, aber wenn man so oft Frauen
abschleppt, dann sollte man das vielleicht vorher klären. Dann hast
du nachher kein Problem und ich auch nicht! Das war das erste und
letzte Mal ... das wollt‘ ich nur gesagt haben!''
Wow!
Das
muß erstmal sacken.
Und
so brauche ich eine Weile, bis ich ''Danke!'' sagen kann.
''Was?''
''Keiner
sagt mir jemals die Wahrheit ins Gesicht, die trauen sich alle
nicht.“
Langsam
gehe ich auch sie zu.
„Du
bist ... ein echter Kumpel.“
Martha
beeindruckt mich doch immer wieder.
Erst
die Ansage, als ich sie des Tratschens über meinen Angriff
verdächtigt habe. Dann die Rede, ich solle gefälligst nicht bei LCL
hinschmeißen.
Und
nun das.
Einerseits
wirkt sie oft schüchtern und macht sich kleiner als sie ist.
Und
dann wieder engagiert sie sich so temperamentvoll und selbstbewußt.
Wobei
… eben hatte es kurz den Anschein, als wäre sie über ihre eigene
Courage erstaunt.
Ich
muß grinsen.
Martha
ist richtig.
Sie
paßt zu mir.
4312
Ich
treffe Martha im No Limits. Ich will mir da einen Kaffee trinken,
weil die Plörre bei LCL echt ungenießbar ist. Super vornehmer Laden
und nicht mal gescheiter Kaffee!
Sie
spricht mich auf die Idee mit den Patronenhülsen an, aber da kommt
mein Zeitvertreib für die nächsten ein, zwei Stunden. Ich sage
Martha noch, daß ich heute was später komme, es ist ja klar, warum.
Aber wie es aussieht, lasse ich sie in netter Gesellschaft zurück,
die sie ruhig noch ein wenig genießen soll.
4313
Ich
bin grade nicht in der Stimmung, mir Marthas Geschichten über
verschlabberte Getränke anzuhören. Ich erinnere sie daran, daß ich
die neuen Schnittmuster heute für die Präsentation brauche und
scheuche sie an die Arbeit.
Quatschen
können wir ein anderes Mal.
Eine
Weile später bekomme ich mit, daß Rebecca gar nicht begeistert
darüber ist, daß nicht sie das Finalkleid für die Show stellen
soll, sondern ich. Auch Tanja bricht nicht gerade in Jubelrufe aus.
Graf Ansgar läßt der Unmut seiner Damen aber kalt; er bleibt bei
seiner Entscheidung. Und mir soll es recht sein.
Ich
knacke gelassen meine Nüsse, während ich innerlich über solches
Gezänk und die diversen Profilneurosen nur den Kopf schüttle.
Rebecca
will mich ausstechen, vor Tanja gut dastehen, während die ihre Macht
genießt und ansonsten nur im Sinn zu haben scheint, ihrem Ex an die
Karre zu pissen. Was der ebenso bei ihr versucht.
Es
ist doch immer wieder interessant, wie sich die Gemüter meinetwegen
erhitzen, obwohl ich es gar nicht drauf anlege.
4314
Martha
scheint heute irgendwie durch den Wind zu sein.
Das
ist bis jetzt noch nicht vorgekommen, daß sie Stoff verschnibbelt.
Ich
ziehe ihr mit sanfter Gewalt die Schere aus der Hand.
„Das
ist der letzte Ballen, den ich davon habe.“, schimpfe ich.
„Ich
glaub, mir ist schlecht.“, meint sie und verschwindet Richtung
Toiletten.
*******
Eine
Weile später bin ich pinkeln und bekomme durch die Wand mit, wie
Martha mit jemandem telefoniert.
Und
da wird mir klar, weshalb sie so wuschig ist - sie hat mit dem Mann
ihrer Cousine gevögelt. Gute Güte, Martha, sowas hätte ich dir gar
nicht zugetraut!
Vor
der Klotür treffe ich sie, lasse mir aber natürlich nichts
anmerken.
Aber
ihr ist anscheinend klar, daß ich das Gespräch mitbekommen habe.
„Ja,
Martha Wolf hat mit dem Mann ihrer Cousine geschlafen. … Du bist
nicht der Einzige, der hier Sex hat. Ich hab auch Sex. Manchmal
zumindest.“
Ich
frage mich, ob sie denkt, daß ich mir Gedanken über ihr Sexleben
machte. Es ist mir egal, mit wem und wie oft sie es macht, solange
ihre Arbeit nicht darunter leidet. Und vorhin sah das leider ganz
danach aus.
Dann
meint sie, daß es ihr egal wäre, was ich darüber denke. Was ich
ihr nicht so ganz glaube.
„Hey,
mit wem du in die Kiste steigst, ist doch nicht mein Problem.
Hauptsache, du behältst den Überblick.“
„Ich
behalte den Überblick!“, meint sie empört.
Scheint
sie eben noch geglaubt zu haben, ich würde ihr nicht zutrauen, einen
Typen ins Bett zu kriegen, hat sie mich jetzt wohl eher so
verstanden, als würde ich ihr unterstellen, mit jedem ins Bett zu
gehen.
„Die
Show ist verdammt wichtig. Also bitte bleib cool.“
Ich
brauche eine Assistentin, die ihre ganze Aufmerksamkeit auf die
Arbeit richtet.
„Man
kann sich ja mal in den Falschen verlieben.“
Ich
bin ganz selbstverständlich davon ausgegangen, daß bei ihr Gefühle
im Spiel waren.
Und nun sagt sie, daß sie nicht in diesen Emilio verliebt sei.
Martha!
Das hätte ich nicht von ihr gedacht! So ein hemmungsloses kleines
Luder!
Da
muß ich dann doch breit grinsen.
„Bist
gar nicht so unschuldig, wie ich dachte. Flittchen!“
Ich
hoffe, ihr ist klar, daß ich sie nur necken, ein wenig die Stimmung
auflockern wollte.
Sie
soll das Ganze nicht so ernst nehmen. Jeder macht Fehler. Davon geht
die Welt nicht unter.
*******
Na,
da hat meine kleine verdorbene Martha ja nochmal Dusel gehabt, daß
ich sie heute die ganze Nacht brauche und sie somit der unangenehmen
Situation entgeht, mit ihrer Cousine und deren Mann, den sie
vernascht hat, gemeinsam zu grillen. Sie dachte freilich, ich hätte
ihr aus der Klemme helfen wollen. Pech, Martha, wir werden
wirklich die ganze Nacht arbeiten. Und solchen Spaß wie mit diesem
Emilio kann ich dir leider nicht versprechen.
*******
Wie
immer, wenn wir gemeinsam arbeiten, sind wir produktiv und haben
Spaß.
Als
Martha mir was vormampft, merke ich, daß ich Hunger habe. Wir
stellen fest, daß wir beide noch nichts zu Mittag gegessen haben. Da
Rebecca nichts will und ich eh ein bisschen frische Luft brauche,
schlage ich Martha vor, daß wir essen gehen.
*******
Wir
sitzen gemütlich beim Mexikaner.
Martha
ist schon wieder so nervös. Verunsichere ich sie so? Bei der Arbeit
ist sie immer ganz locker. Aber kaum will ich einfach nur mal so mit
ihr plaudern, fängt sie wieder zu stammeln an.
Ich
frage sie, ob sie Tequila mag. Vielleicht macht ein bisschen Alkohol
sie ja etwas entspannter.
Da
meint sie, das wäre ja wohl eine private Frage und das hier doch ein
Geschäftsessen.
Martha!
Entspann dich! Ja, das ist eine private Frage, na und? Und nein, ein
Geschäftsessen ist das ganz sicher nicht; wir gehen einfach nur als
Kollegen und gute Kumpel essen.
Man
könnte meinen, sie hätte was gegen mich.
Zumindest
scheint es ihr irgendwie unangenehm zu sein, privat mit mir zu
verkehren. Jedenfalls meint sie, wir sollten uns mit dem Essen
beeilen, damit wir zurück in die Firma können. Ich weiß ja, sie
ist arbeitseifrig, aber deswegen werde ich jetzt nicht hektisch mein
Steak runterschlingen.
Und
ich krieg dich schon noch locker, Martha, wart's ab!
Dann
will sie über die Entwürfe sprechen. Ich unterbreche sie und
fordere sie auf, mal nicht über die Arbeit zu reden.
Sie
soll mir ein bisschen was aus ihrem aufregenden Leben erzählen.
Das
versteht sie falsch - sie denkt anscheinend, ich will schlüpfrige
Details über ihren One-Night-Stand mit diesem Emilio hören.
Sie
nimmt sich das einfach zu sehr zu Herzen.
Ich
sage ihr, daß sowas halt passieren kann.
Aber
nur ihr, meint sie.
Worauf
ich ihr erzähle, daß ich mal was mit der Verlobten eines guten
Freundes hatte, auf deren Junggesellinnenabschied. Sie hatte Spaß
haben wollen und ich hatte nicht nein gesagt.
„Ich
will keinen Spaß. … Zumindest nicht mit Emilio.“
Ich
verstehe sie ja. Ihre Gewissensbisse beweisen, daß sie eine
anständige Frau ist. Aber sie macht es sich selbst zu schwer.
„Mit
wem möchtest du denn Spaß haben?“, frage ich sie, um das Gespräch
aufzulockern.
Uii,
das war die falsche Frage! Sie meint sichtlich empört, daß mich das
ja wohl nichts anginge.
Das
paßt alles nicht zusammen. Als sie mir unverblümt erzählt hat, daß
sie mit dem Mann ihrer Cousine gevögelt hat, war das nicht zu
privat. Aber das jetzt schon?
Dann
rumple ich gegen den Tisch und verschütte meinen Tequila. Und Martha
schmeißt sich weg; freut sich, daß mir sowas Dusseliges auch mal
passieren würde.
Endlich
lacht sie.
Wie
sie da so auf ihrem Stuhl hängt und sich schlapplacht, spüre ich
unter dem Tisch etwas.
"Hey,
du streichelst gerade mit deinem Fuß meine Wade!"
Ich
finde sie im Moment einfach nur drollig, vor allem, als sie empört
abstreitet, gefüßelt zu haben.
Martha,
das weiß ich doch. Das war ein Versehen. Ich habe mich unter dem
Tisch viel zu breit gemacht.
Ich
muß sie wieder necken, nenne sie ein männermordendes Ding.
Die
Mittagspause gestaltet sich doch noch als entspannend und
unterhaltsam.
Ich
sage ihr, daß ich gleich um die Ecke wohne, ich würde mich gerne
umziehen. Wir könnten auf dem Weg noch eine Flasche Rotwein holen.
Sie
meint, wir hätten doch alle unsere Arbeitsmaterialen bei LCL.
Ich
habe aber noch Stoffreste zuhause.
Sie
könne so nicht arbeiten.
Warum,
will ich wissen. Und frage sie, warum sie so nervös ist.
Das
streitet sie ab. Und meint, daß sie einfach nicht zu mir nach Hause
möchte.
Hat
sie Angst, ich will was von ihr? Daß ich sie mitnehmen will, um sie
flachzulegen?
„Das
hier ist kein Date.“, lache ich.
„Ich
weiß.“
Warum
dann die Nervosität, Martha?
*******
Dann
sind wir doch bei mir zu Hause.
Ich
ziehe mein bekleckertes Shirt aus, reiche ihr ein Glas Wein und sage ihr, sie
solle es sich bequem machen. Verschwinde kurz im Bad.
Als
ich wiederkomme, macht sie einen sehr angespannten Eindruck.
Ich
frage sie, ob alles okay sei?
Ihr
sei nur wieder übel.
Ob
sie nach Hause müsse?
Nein,
so schlimm sei es nicht.
Ich
klopfe auf's Bett neben mir, sie soll sich zu mir setzen, dann
quatschen wir über die Entwürfe.
Der
Tequila, der Rotwein … ich muß kurz eingenickt sein. Und als ich
wieder aufwache, ist Martha ganz nahe. Ihr Gesicht nur Zentimeter von
meinem entfernt ...
4315
Sie
wollte mich küssen! Oder warum sonst sollte sie sich so erschreckt
haben, als ich die Augen aufmachte?
Meine
Assistentin und macht sich im Schlaf an mich ran! Da kann ich ja froh
sein, daß ich aufgewacht bin, bevor sie mich ans Bett gefesselt hat!
Gut, daß sie nicht wußte, daß die Handschellen unter’m Bett
liegen …
Hastig
verabschiedet sie sich.
*******
Als
wir uns anderentags bei LCL sehen, lasse ich mir nichts anmerken.
Und
der Abend hat sich ja gelohnt; der Entwurf ist geil geworden.
Ich
lege ihr meinen Arm um die Schulter. "Bei dir alles okay ?"
Die Übelkeit ist hoffentlich ausgestanden.
"Ja,
klar. Und bei dir?"
"Danke."
Dann
sehe ich mir die zur Verfügung stehenden Models an. Doch da ist
keins dabei, das ich als passend empfinde.
Martha
meint, so kurz vor der Show würden wir keine anderen mehr finden.
Doch
mir schießt sofort ein Streetcasting durch den Kopf.
Begeistert
fordere ich Martha auf, sich eine Kamera zu schnappen.
Das
Streetcasting macht Spaß und wir finden tatsächlich einige
geeignete Kandidaten.
Es
ist kalt und ich sage Martha, daß wir Pause machen, weil ich 'nen
Kaffee brauche.
Sie
fragt, ob ich schlecht geschlafen hätte.
„Ich
hab geträumt, meine Assistentin wollte mich küssen.“
So,
Martha, jetzt bin ich gespannt!
*******
Wir
sitzen mit unserem Kaffee auf einer Bank.
Martha
meint, sie könne das erklären.
"Du
wolltest mich küssen."
"Nein."
Was
es dann zu erklären gäbe?
Ich
hätte auf ihrem Stift gelegen.
Der,
der vorhin noch auf meinem Tisch gelegen hat?
"Weißt
du, Martha, ich hab irgendwie gedacht, daß du so ein unschuldiges
und nettes Mädchen wärst. Jetzt stellt sich raus, daß du nicht nur
mit dem Mann deiner Cousine geschlafen hast. Jetzt willst du auch
noch mit mir schlafen. Nächstes Mal, wenn ich bei mir zuhause
einschlafe neben dir, muß ich aufpassen, daß ich nicht aufwache und
ich bin nackt, gefesselt auf meinem eigenen Bett. Wie sollen wir denn
so weiterarbeiten, wenn du mir ständig auflauerst?"
Sie
wehrt empört ab.
Sie
sei nicht in mich verliebt. Und das mit Emilio sei eine einmalige
Sache gewesen. Normal würde sie nicht mit Männern schlafen, in die
sie nicht verliebt sei.
Ich
frage sie geradeheraus, ob sie in mich verliebt ist.
Das
streitet sie ab. Ich sei gar nicht ihr Typ. Und sie sei schon in
jemand anderen verliebt. Würde ich nicht kennen. Und sie auch nicht.
Also nicht richtig. Sie hätten sich erst vor kurzem kennengelernt.
Im Internet.
Die
ganze Art, wie sie abstreitet, in mich verliebt zu sein, das nervöse
Gestammel - das alles deutet sehr darauf hin, daß ich Recht habe.
Das würde auch erklären, warum sie immer so nervös ist, wenn wir
mal unter uns sind.
Ich
beschließe, sie auszufragen. Mal gucken, was sie sich so ausdenkt.
Denn an diesen Internetfreund glaube ich nicht.
Wie
er so ist, will ich wissen.
Nett.
"Nicht
so sexsüchtig wie du?"
Wieder
empört sie sich so niedlich.
Ich
bohre weiter nach.
Und
sie erfindet einen Mann, zu gut, um real existent zu sein. Sie gerät
richtig in Verzückung.
Als
sie meinen Blick bemerkt, meint sie, ich würde ihr nicht glauben. Da
liegt sie nicht so ganz falsch.
Ob
ich meinen würde, sie hätte das alles nur erfunden.
"Hast
du?", frage ich zurück.
Sie
streitet es ab. Na ja.
4316
Ich
sehe Rebecca mit verbissenem Ausdruck zeichnen.
Ich
weiß, sie steht unter Druck.
Den
meisten davon macht sie sich selbst.
Sie
versucht immer, allen Erwartungen gerecht zu werden.
Daran
geht man früher oder später kaputt.
Der
Anspruch, den sie selbst an sich stellt, schränkt ihre Kreativität
ein.
Sie
hat es echt drauf, ich weiß das.
Aber
sie ist schon lange nicht mehr locker, hat keinen Spaß mehr an dem,
was sie tut.
Den
muß man aber haben.
Der
Spaß, die Freude spricht aus der Arbeit.
Wenn
der Spaß weg ist, ist die Kreation nicht mehr lebendig.
Perfekt
vielleicht, aber tot.
„Du
bist gut, Rebecca.“, bemühe ich mich, sie aufzubauen. „Aber du
willst zuviel.“
„Hör
zu: Ich muß in zweieinhalb Stunden einen Entwurf abliefern, der
alles, was ich bisher gemacht hab, in den Schatten stellt. Ja, ich
will alles auf einmal und nein, ich möcht' nicht drüber reden,
okay?“
„Vertrau
dir!“, sage ich eindringlich.
Sie
glaubt nicht mehr an sich.
An
ihre Arbeit. An ihr Können.
Sie
kann den Druck nicht mehr abschütteln.
„Sag
mal, was willst du eigentlich von mir?“, fährt sie mich gereizt
an.
„Dir
helfen.“ Schade, daß sie das nicht merkt. „Wir sind ein Team.“
Sie
schnaubt verächtlich.
Sie
trägt mir immer noch die Sache mit dem Kleid beim Fotoshooting nach.
„Ich
will, daß die Show gut wird.“
„Dann
laß mich hier weiter arbeiten. Der Erfolg der Show hängt von diesem
Entwurf ab.“
Ansgar
wollte, daß ich das Finalkleid stelle, aber seine giftige Ex, die ja
Geschäftsführerin des Modelabels ist, hat Rebecca den Auftrag dafür
erteilt.
Rebecca
hat nun das Problem, daß Tanja ihr Kleid benutzen will, um vor ihrem
gewieften Ex-Mann gut dazustehen. Und diesen Druck gibt sie an
Rebecca weiter.
Sie
macht es nicht für sich, sie macht es für Tanja.
„Rebecca!
Laß los!“, sage ich mit deutlicher Betonung und biete ihr eine Nuß
an.
Sie
muß sich fallenlassen.
Sich
wieder auf sich selbst einlassen.
Fremdeinflüsse
eliminieren. Oder zumindest ausblenden.
Sie
starrt die Nuß an, nimmt sie aber nicht.
„Wir
haben noch kein Finalkleid. Soll ich's dir buchstabieren?“
„Entspann
dich.“
So
verbiestert, wie sie ist, wird das nie was.
„Wir
haben eins. Wenn das hier nichts wird, dann nehmen wir meins.“
Oh
Juri, nun hast du's versaut.
Signalisierst
ihr, daß du schon in den Startlöchern stehst, sollte sie es
versieben.
Das
wird sie ja nun gar nicht aufbauen.
4317
Martha
und ich sind dabei, meine Arbeiten unserem männlichen Model
anzupassen. Doch der Typ nervt mich. Was ich da mache, gefiele ihm
nicht.
Nun,
dann müsse er es auch nicht tragen, sage ich und schmeiße ihn raus.
Ich hab keinen Bock auf irgendwelche Diskussionen.
Martha
meint entgeistert, das wäre unser einziges männliches Model
gewesen. Weiß ich. Das ist das Problem beim Streetcasting - wenn
sich die Spreu vom Weizen getrennt hat, bleibt oft nicht mehr viel
übrig.
Martha
betont, in zwei Stunden sei die Besprechung auf dem Schloß wegen der
Show. Und wir stünden nun ohne männliches Model da.
Sie
wiederholt, das sei unser einziges männliches Model gewesen.
Inzwischen
leicht genervt von ihren Vorhaltungen meine ich, sie hätte doch so
viele Typen am Start. Sie könnte doch mal ihren Emilio fragen.
Ja,
das war daneben, denke ich. Aber sie soll mich nicht so nerven.
*******
Dann
sind wir auf dem Schloß und Graf Ansgar nervt.
Ich
denke, ihm fällt auf, wie abwesend Rebecca wirkt.
Ich
erzähle, wie ich mir die Show vorstelle … ähnlich dem Kampf für
das Shooting der Rotfeld.
Aber
Rebecca sagt keinen Ton dazu.
Ich
weiß nicht mal, ob sie Ansgars Spruch, er könnte auf den Gedanken
kommen, die falschen Chefdesigner zu haben, wenn ihm nach der Show
die Einkäufer nicht die Bude einrennen, wirklich wahrgenommen hat.
Als
der Graf weg ist, frage ich sie, was los ist.
„Nichts.“
Ja,
klar.
„Du
protestierst nicht. Sagst überhaupt nichts. Streß mit deinem
Finalkleid?“
„Nö.
Es läuft alles super.“
Natürlich
will sie sich gerade vor mir keine Blöße geben.
„Dann
bist du zufrieden?“
„Wieso
fragst du?“
„Du
machst den Eindruck, als wärst du gar nicht da! Du schwimmst
wahrscheinlich noch in deinen Entwürfen.“
„Nein!
Mein Entwurf ist bereits schon in Produktion.“
„Gut.“,
sage ich, obwohl ich ihr das nicht abkaufe.
*******
Martha
spricht mit mir den Ablauf für die Show durch.
Ich
höre zu und finde nichts auszusetzen. Alles perfekt, so wie sie es
plant.
Dann
fängt sie wieder mit unserem fehlenden Model an.
Meint,
sie wolle nicht stressen, aber sie würde einfach keinen Ersatz
finden.
Ich
winke ab.
Aber
sie läßt nicht locker; in vierundzwanzig Stunden sei die Show.
Das
weiß ich auch. Ist aber trotzdem kein Grund für Panik.
„Martha!
Du gehst jetzt bitte nach Hause. Ich kümmer mich drum. Ich brauch
dich morgen fit!“
Sanft
schubse ich sie Richtung Ausgang.
„Haben
wir hier ein Problem?“
Ach
je, der Graf schon wieder!
„Bis
jetzt nicht.“
„Gut.
Klang nämlich grade so, als würd' Ihnen 'n Model fehlen.“
„Ach!“,
winke ich genervt ab.
„Na,
was ist? Führen Sie dann die Klamotten vor oder darf ich
vielleicht?“
Ich
sehe an dem geschniegelten Kerl herab. „Ich glaub, das wär keine
gute Idee.“
Seine
Ausstrahlung ist eindeutig nicht geeignet für meine Mode.
„Wir
beide reden jetzt mal … unter vier Augen.“
Geh
mir nicht auf den Sack!, hätte ich am liebsten gesagt.
Ich
hab Wichtigeres zu tun.
*******
Mir
ist klar, der Sack will mich gängeln.
„Was
wollen Sie?“
„Hören
Sie, mir gefällt Ihr Ton nicht. Mir gefällt auch diese ganze
Laissez-faire-Attitude nicht.“
„Ist
Ihnen Panik lieber?“, kann ich mir nicht verkneifen.
Das
Gespräch ist reine Zeitverschwendung.
Nichts,
was er mir sagt, ist neu für mich.
„Sagen
Sie mal, nerv ich Sie vielleicht?“, wird der Graf fuchsig.
Ich
wiege den Kopf vielsagend hin und her.
„Soll
ich Ihnen mal sagen, was mich nervt? Daß Sie sich hier die ganze
Zeit nicht wie'n Profi benehmen.“
„Und
Sie … sind ein Profi?“ Einen gewissen Unterton kann ich nicht
lassen. „Sie halten mich von der Arbeit ab.“
„Sie
glauben, LCL ist auf Sie angewiesen?“
„Ja.“
„Wenn
das hier morgen kein Erfolg wird … war's das für Sie.“
„Scheiße.
… Unter diesem Druck kann ich nicht arbeiten. Was mach ich jetzt
bloß?“
Und
mit diesen Worten marschiere ich hinaus.
Äußerlich
cool und lässig hätte ich dem Wichser doch am liebsten eine
reingehauen.
Arrogantes
Arschloch!
Ich
fahre nach Hause, ziehe mich um und dann raus an die Luft, zum
Abreagieren, mich bewegen.
*******
Dann
gehe ich ins No Limits, will mich dort nach einem männlichen Model
umschauen.
Fehlanzeige.
Dafür
setze ich einen randalierenden Suffkopp vor die Tür.
Der
Besitzer der Bar bedankt sich herzlich bei mir und gibt mir einen
aus.
„Ihr
braucht 'nen Türsteher.“, meine ich.
„Ich
würd' dir den Job ja anbieten, aber ich schätze mal, Ansgar zahlt
mehr.“
„Ich
komm vielleicht drauf zurück.“
„Ärger
im Paradies?“
„Ansgar
ist dein was?“
„Mein
Cousin.“
„Dein
Cousin … geht mir auf die Nerven.“
„Das
glaub ich dir sofort.“
Aus
den ersten zwei Wodka wird eine stattliche Reihe. Und wir ziemlich
albern.
Als
er – keine Ahnung, weshalb – die Show erwähnt, fällt mir siedendheiß mein
fehlendes Model ein.
Aber warum nicht Tristan selbst – er schaut doch ganz passabel aus.
Und so nötige ich ihn dazu, mal für mich auf und ab zu laufen.
Er kapiert nicht ganz, was das soll, denkt, daß ich meine, er hätte zuviel getankt und könne nicht mehr gradeaus laufen.Aber das ist egal, ich hab mein Model.
Aber warum nicht Tristan selbst – er schaut doch ganz passabel aus.
Und so nötige ich ihn dazu, mal für mich auf und ab zu laufen.
Er kapiert nicht ganz, was das soll, denkt, daß ich meine, er hätte zuviel getankt und könne nicht mehr gradeaus laufen.Aber das ist egal, ich hab mein Model.
*******
Am
anderen Morgen schreckt mich mein Handy aus dem Tiefschlaf.
Natürlich. Martha. Gott, die ist ja widerlich munter. Quasselt
fröhlich auf mich ein.
Ich
bin noch nicht ganz da.
Martha
redet und redet. Sie meint, sie würde jetzt was unternehmen. In der
Fußgängerzone mit Geld wedeln, damit hätte sie sicher Erfolg.
„Kannst
lieber mit deinem Arsch wedeln.“
„Was?“
„Dann
nützt uns deine Naturgeilheit wenigstens was.“
Das
fand sie wohl wieder nicht so ganz passend.
Empört
sich, sie würde sich hier ernsthaft bemühen, noch rechtzeitig ein
Model aufzutreiben.
Ich
unterbreche ihren Redefluß, sage ihr, ich hätte ein Model und sie
solle sich keinen Streß machen. Wir würden uns später bei LCL
sehen.
Dann
lege ich auf. Aaah, Ruhe!
*******
Als
ich LCL betrete, kommt die Gute mir schon mit einem Kaffee entgegen.
Sie
scheint sich Sorgen zu machen, ob mit meinem Model auch alles klappt.
Ich lege ihr beruhigend den Arm um die Schultern und erkläre ihr,
daß alles in Ordnung ist. Ich bin überzeugt, daß ich mich auf den
jungen Herrn Grafen verlassen kann.
Und
siehe da, wenige Augenblicke später ist er da.
Ansgar
fällt fast die Kinnlade runter, als er kapiert, wer mein Model ist.
Tristan
und mir gefällt sein Entsetzen.
Kurz
darauf nimmt Martha Tristans Maße und damit ist alles in Butter.
Die
Show kann steigen.
4318
Da
ist Martha. Ich hatte sie schon gesucht. Ich frage sie, ob alles okay
ist.
Sie
sagt, es ginge ihr nicht gut.
Ich
frage, was los ist.
Sie
meint, es ginge ihr wirklich schlecht und sie würde besser nach
Hause gehen und sich ins Bett legen.
Ich
lache - das ist echt ein guter Witz.
Doch
sie scheint es ernst zu meinen. Erneut frage ich sie, was los ist.
Eindringlicher als eben.
Sie
erklärt, daß Kim Bescheid wisse.
Ja,
und?, denke ich und frage, ob wir jetzt können.
Sie
sagt, sie kann nicht, Kim würde sie umbringen.
Das
sei mir egal, antworte ich leicht gereizt. Für so einen Kinderkram
ist nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.
Sie
meint mit beleidigtem Unterton, ich sei ja sehr charmant.
Da
platzt mir der Kragen. "Scheiße! Du gehst mir auf die Nerven!",
brülle ich sie an.
Das
habe ich noch nie getan. Und auch jetzt ganz sicher nicht gerne.
Aber
was sie gerade hier bringt, geht gar nicht. Ich muß mich auf sie
verlassen können. An einem anderen Tag wäre ich vielleicht nicht so
an die Decke gegangen, aber ausgerechnet heute, am Tag der Show, wo
meine Kollektion präsentiert wird. Ich dachte, mein Erfolg sei ihr
wichtig, ich sei ihr wichtig.
Sie
ist durch mein Gebrüll eingeschüchtert.
Ganz
nahe trete ich an sie heran und erinnere sie daran, daß sie
meine Assistentin sein wollte. Und mache ihr klar, daß ich heute eine Assistentin
brauche.
Ich
hoffe, sie reißt sich zusammen.
*******
Daß
Martha die Nerven blank liegen hat, glaube ich gerne.
An
jedem anderen Tag hätte ich auch ein Auge zugedrückt.
Aber
heute muß sie sich zusammenreißen und ihre privaten Probleme
zurückstellen.
Als
sie mitten in den Vorbereitungen wie paralysiert erscheint, ermahne
ich sie noch einmal eindringlich.
Und
dann geht’s wieder, sie kommt in ihren Rhythmus zurück.
Ich
kann mich wieder blind auf sie verlassen und meiner eigenen Arbeit
nachgehen.
In
all dem Tumult hocke ich mich hin und skizziere schnell die eine oder
andere kleine Änderung.
Es
geht wirklich zu wie in einem Bienenstock.
Als
die Models fertig angezogen sind, überprüfe ich selbst, ob alles
richtig fällt.
Und
dann geht’s los … meine neue Kollektion ist auf dem Laufsteg!
Letzteren
habe ich nicht im Blick, weil ich immer irgendwo letzte Hand anlegen
muß.
Und
so bekomme ich erstmal nicht mit, daß Kim Martha mit 'nem
Boxhandschuh eins verpaßt.
Vor
laufenden Kameras, den Pressefotografen und den ganzen Honoratioren
der Modewelt.
4319
Natürlich
ist Martha das unangenehm und sie kommt zu mir, um sich zu
entschuldigen.
Wir
sind mitten in der Show, ich brauche sie dringend - hat sie mich
eigentlich vorhin nicht verstanden?
Wieder
werde ich laut und schnauze sie an, daß ich jetzt keine Zeit für
diese Kinderkacke hätte.
*******
Nach
der Show ist Party angesagt. Ich frage Martha, ob sie nicht mitkommen
möchte. Sie sagt nein, sie müsse noch aufräumen. Ich kann
verstehen, daß ihr nicht nach Feiern zumute ist. Ich lege ihr eine
Hand auf die Schulter und hoffe, das kommt als Trost, als
Aufmunterung rüber.
*******
Eine
Weile später treffe ich Martha im No Limits. Von der Party habe ich
mich schnell abgeseilt, das ist nichts für mich.
Sie
meint, sie hätte Kims Ehe zerstört. Kim hasse sie. Emilio hasse sie
auch. Ihr Onkel und ihre Tante würden sie sicher nicht mehr sehen
wollen.
Ich
bedeute ihr durch eine Geste, daß sie erstmal durchatmen soll.
Aber
das wäre jetzt auch egal, klagt sie weiter. Morgen würde sie nach
Hause fahren. Ansgar von Lahnstein habe sie rausgeschmissen.
Fristlos. Und zu Recht.
Vielleicht
bin ich kaltherzig, zu abgebrüht oder was auch immer, aber ich kann
ihre Verzweiflung nicht so ganz nachvollziehen. Ja, sie hat Scheiße
gebaut und muß jetzt die Konsequenzen tragen. Aber wenn man auf die
Fresse fällt, dann steht man wieder auf und macht weiter.
Daß
sie nicht glücklich ist, verstehe ich ja, aber so im Selbstmitleid
zerfließen? Damit macht sie es nur noch schlimmer für sich selbst,
finde ich.
Ich
bin nach wie vor der Meinung, sie ist nicht alleine schuld. Ihr
lieber Emilio hatte seinen Trieb genauso wenig unter Kontrolle. Und
wenn er Martha jetzt dafür haßt, ist er ein verlogenes Arschloch.
Auf
einmal drückt sich Martha schluchzend an meine Brust. Ich fühle
mich ein wenig hilflos, aber weil ich dann doch nicht so herzlos bin,
sie wegzustoßen, wo sie grad so fertig ist, streichle ich ihr
beruhigend über den Rücken und den Kopf.
*******
Sie
entschuldigt sich dafür, mich mit ihrem privaten Kram vollzutexten.
„Du
hast den Job noch.“, versuche ich sie wenigstens in dieser Hinsicht
zu beruhigen.
„Aber,
Ansgar von Lahnstein hat gesagt ...“
„Ach,
Ansgar von Lahnstein kannste doch nicht ernstnehmen. … Ich
bestimme, wen ich in meinem Team haben will und wen nicht.“
Dieser
geschniegelte Vogel wird meine Assistentin jedenfalls nicht einfach
so feuern.
Ich
hatte gedacht, es würde sie aufheitern, zu hören, daß ich mich für
sie einsetzen will.
Doch
ihr Selbstmitleid verstummt nicht. Während sie ihre Papierserviette
zerfriemelt, klagt sie weiter über ihr Schicksal.
Ich
werde ungeduldig, fahre auf: "Was für ein Blödsinn! - Du
hast eine super Arbeit geleistet und ich finde, wir sollten jetzt
feiern." Das meine ich ernst. Ohne sie wäre meine Kollektion
nicht solch ein Erfolg geworden. Und vielleicht schaffe ich es ja,
sie ein wenig aus ihrem Tief rauszuholen; einen Versuch ist es wert.
Ich
nehme sie bei der Hand und schleife sie einfach mit.
*******
Wir
sind in meiner Lieblingskneipe, einer Art Balkan-Disco. Ich bestelle
Sljivovic für uns. Erzähle Martha, daß mein Onkel Branko immer
gesagt hat, Sljivovic bringe ein trauriges Herz zum Lachen. Also
genau das, was sie jetzt braucht. Und ich mache ihr vor, wie man ihn
auf traditionelle Art trinkt. Ich kann nicht anders, als zu lachen,
als sie das Gesicht verzieht, während sie den Schnaps runterschluckt.
Dann
ziehe ich sie mit auf die Tanzfläche. Und schaffe es tatsächlich,
daß sie lacht.
*******
Martha
ist mir entfleucht. Ich finde sie an der Bar bei unserem charmanten
Barkeeper, kein Wunder.
Ich
nehme sie bei den Schultern und drehe sie zu mir rum - ich will mit
ihr tanzen.
Und
wir haben richtig Spaß, da sie dank des Sljivovic endlich locker
wird. Sie lacht ausgelassen, das gefällt mir.
*******
Martha
flirtet schon wieder mit dem Barkeeper. Sie streitet es aber ab.
"Meine
liebe Assistentin, ich lese in dir wie in einem offenen Buch."
Sie
betont "Ex-Assistentin.", aber ich winke ab. Wir sind hier
zum Feiern, nicht zum Probleme wälzen.
Und
dann erstaunt sie mich, als sie mich plötzlich temperamentvoll zur
Tanzfläche schleift.
Sie
hat eine tolle Ausstrahlung, wenn sie so drauf ist.
Nach
einer Drehung kommt sie ins Straucheln und ich fange sie auf. Wir
lachen.
Ich
lege ihr die Arme um den Hals. „Ich werde dich vermissen.“
"Ich
dich auch.", sagte sie.
Und
dann küßt sie mich.
Es
ist kein kleines Küßchen unter Freunden.
Mein
Hirn schaltet sich ab, ich nehme ihren Kopf in meine Hände und
erwidere den Kuß leidenschaftlich und genußvoll.
4320
Als
wir uns voneinander lösen, schaltet sich auch mein Hirn wieder ein.
Ich
frage Martha, was das gerade war.
"Wir
haben uns geküßt.", sagt sie.
Das
habe ich auch gemerkt, Martha.
Wow!
"Ich
liebe Onkel Branko!", lache ich. Der Sljivovic hat ganze Arbeit
geleistet.
Plötzlich
wird ihr übel.
„Komm!“,
sage ich und lotse sie zur Bar, wo sie sich, ziemlich blaß im
Gesicht, anlehnt.
Während
sie wartet, telefoniere ich.
„Das
ist die Adresse von einem Hotel, in dem ich dir eine Suite gebucht
hab.“
„'Ne
Suite?“
„Ja,
schenk ich dir. Laß es dir mal so richtig gut gehen.“
Das
hat sie sich echt verdient; als Dankeschön für die verdammt gute
Arbeit für die Show.
„Ich
ruf dir 'n Taxi.“
„Das
kann ich nicht annehmen.“
„Ach,
Unsinn! Natürlich kannst du das annehmen.“
Nein,
sie würde zu Hause schlafen. Dann könne sie auch gleich packen.
"Du
willst mich also wirklich verlassen?"
Es
hielte sie doch hier nichts mehr. Nicht ihre Familie, nicht ihr Job …
Sie
bedankt sich bei mir, es hätte Spaß gemacht, mit mir zu arbeiten.
Es
scheint, als könnte ich sie nicht umstimmen.
Sie
geht.
Ich
gehe auch. Zurück auf die Tanzfläche. Und versuche, zu vergessen,
daß ich gerade meine Assistentin verloren habe …
*******
Anderentags setze ich mich an meinen Tisch, greife wie gewohnt nach meiner Tasse.
Aber die ist leer.
Marthas
komische Wackelblume steht auf meinem Tisch. Daran gelehnt ein Zettel
"Danke für alles!"
Es
ist nicht nur mein Kaffee, den ich vermisse …
*******
Sie
läßt mich im Stich.
Nachdem ich mich gerade an sie gewöhnt habe. Daran, daß sie um mich herumwuselt und mich wahnsinnig macht.
Nachdem ich mich gerade an sie gewöhnt habe. Daran, daß sie um mich herumwuselt und mich wahnsinnig macht.
Ich
will nicht, daß sie geht.
Mich mit meinem Chaos sitzen läßt. Ich brauche sie. …
Mich mit meinem Chaos sitzen läßt. Ich brauche sie. …
Ich
will nicht, daß sie geht. Nicht wegen dieser Sache. Das ist kein Grund.
Ich mag sie. Irgendwie.
Ich mag sie. Irgendwie.
Los,
Juri, halte sie auf, bevor es zu spät ist. Laß sie nicht gehen.
Komm mal hinter deiner Mauer hervor und tu was. Wenn dir wirklich was
an ihr liegt …
Doch
ich komme zu spät. Als ich ihre Wohnung erreiche, steigt sie gerade
ins Taxi.
Ich
habe das Gefühl, daß irgendetwas in mir zerreißt. Mein erster
Impuls ist Weglaufen, Vergessen …
Doch
kurzentschlossen halte ich das Taxi auf.
Ich kann ... nein, ich will sie nicht gehen lassen!
Ich kann ... nein, ich will sie nicht gehen lassen!
*******
„Was
machst du denn hier?“, fragt sie verblüfft, als ich mich auf den
Vordersitz fallen lasse.
„Ich
will meinen Kaffee.“
Sie
schaut mich an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte.
Ich
kann's ihr nicht verdenken.
„Heute
Morgen komm ich an meinen Schreibtisch, will nach meinem Kaffee
greifen und der ist nicht da. Das geht so nicht. Ich hab mich an
meinen Kaffee gewöhnt.“
„Du
hast dir früher deinen Kaffee auch immer selbst geholt.“
„Ja,
aber jetzt gefällt es mir so!“
„Ja
… dann hoff ich, daß du bald eine neue Assistentin findest.“
"So
eine sexbesessene Irre wie dich gibt es nur einmal!"
Meinen
tue ich damit eigentlich, daß sie einzigartig ist und ich nie wieder
eine Assistentin finden würde, mit der ich so harmoniere.
Sie
wäre nicht sexbesessen, empört sie sich.
"Ich
will keine neue Assistentin!", bleibe ich stur.
Na,
sie könnte jedenfalls nicht.
"Das
ist doch Quatsch! Nur weil jemand mit dem Mann seiner Cousine fickt,
muß er noch nicht die Stadt verlassen. ... Liegt
es an mir?“
Ich
weiß, daß ich schwierig bin.
Sie
antwortet nicht.
Ich
versuche, in Worte zu fassen, was ich fühle.
Mache
sie darauf aufmerksam, daß es sehr wichtig wäre, was ich jetzt
sagen würde.
Daß
sie gut ist. Daß wir ein Team sind. Daß wir gut sind. Daß
wir gemeinsam noch viel erreichen können.
"Du
mußt bleiben."
Sie
redet sich auf ihr Gefeuertsein raus. Das wische ich weg.
"Also,
ja?", will ich wissen.
*******
Diesem
Ansgar Graf Schwachkopf mache ich klar, daß mich seine familiären
Angelegenheiten einen Dreck interessieren. Er kann mich mit Martha
haben oder gar nicht.
Als
er mir notgedrungen nachgeben muß, hole ich mir meine Assistentin
dahin zurück, wo sie hingehört - an meine Seite.
*******
Ich
mache mich gleich an die Arbeit. Meine Assistentin zu retten, hat
mich Zeit gekostet.
Martha
druckst ein wenig herum … wegen dem Kuß … stammelt, es wäre
halt der Sljivovic gewesen, sie würde ja nicht viel vertragen.
Sie
soll sich da mal keine Gewissensbisse machen.
"War
doch lustig.", sage ich.
Ja,
sie zu küssen, hat Spaß gemacht.
4323
Ich
bin im No Limits, als Kim sich zu mir an die Bar setzt. Das kommt mir
grade recht; sie kann was für mich erledigen.
„Kannst
du diese Karte bitte Martha geben? Daß sie die Fotos auswertet, ich
brauch sie ...“
„Der
geb ich nichts. Mit der red ich nicht.“, meint sie bockig.
„Kim!
Guckst du mich mal bitte an?“
Sie
sieht mich an, trotzig wie ein aufmüpfiges Kleinkind.
„Dein
Privatkram geht mich 'n Scheißdreck an. Das, was wir hier machen,
ist Arbeit, also benimm dich nicht wie ein kleines Kind und reiß
dich mal 'n bisschen zusammen.“
Und
schon wieder habe ich eine heulende Frau am Hals hängen.
Ich
bin zu gutmütig, um sie stehenzulassen.
Daß
man daran knabbert, betrogen zu werden, verstehe ich ja.
Ich
verstehe sogar, daß es übel für sie ist, Martha bei LCL andauernd
über den Weg zu laufen und dadurch permanent an die Sache erinnert
zu werden.
Aber
wenn es um die Arbeit geht, muß das einfach hintenanstehen.
Und
wenn sie mit der Situation nicht professionell umgehen kann, muß sie
sich 'nen anderen Job suchen.
*******
Sie
kriegt sich auch bald wieder ein.
Entschuldigt
sich bei mir, daß sie mich vollgeheult hat. Und bedankt sich für's
Zuhören.
Dann
taucht auf einmal ihr Typ auf.
„Verschwinde,
du störst!“, meint Kim zu ihm.
„Ach
ja? Wobei denn?“
„Kannst
du dir das nicht denken?“, fragt sie anzüglich.
Da
kapiere ich. Die ganze Heulnummer war nur dazu da, ihren Typen
eifersüchtig zu machen. Aber nicht mit mir!
„Moment!“,
sage ich und drehe mich rum.
„Komm,
du bist jetzt mal ganz ruhig, ja?“
Ich
bin ruhig. Im Gegensatz zu dir.
„Atme
mal durch.“, rate ich ihm.
„So,
ich atme durch, wann ich es für richtig halte und jetzt nimmst du
deine verdammten Griffel von meiner Frau, ja!“
Was
der Typ labert, juckt mich nicht, aber als mich anpacken will, reicht
es mir.
Und
schon liegt er am Boden. Einstecken kann er nix.
4324
Kim
scheint Angst zu haben, als ihr Typ bewußtlos am Boden liegt.
Ich
beruhige sie, daß er schon gleich wieder zu sich kommen wird. So
doll hab ich ja nun nicht zugeschlagen.
Ich
beuge mich über den Blödmann und versuche, ihn wach zu kriegen.
Kim
verteidigt sich gegenüber Jessica, die auf einmal auch da ist und
sich einmischt.
„Konnt'
ich ahnen, daß er gleich auf Juri losgeht? Und daß du ihm gleich
eine verpaßt?“, wendet sie sich nun wohl an mich.
„War'n
Reflex. Er ist auf mich losgegangen.“
Kims
Mann kommt zu sich. Und kaum ist er halbwegs wach, stänkert er schon
wieder rum.
„Und
du läßt die Hände von meiner Frau, sonst hau ich dir gleich wieder
eins in die Fresse.“
„Hey!
Diese Spielchen zwischen euch, das ist nicht mein Ding. Klärt das
zwischen euch.“, rate ich ihm, mich aus der Sache rauszuhalten. Ich
hab keinen Bock auf so 'nen Scheiß.
*******
Später
bei LCL kommt Kim zu mir und entschuldigt sich für die Nummer.
Ich
bin schon wieder versöhnlich gestimmt, meine aber: „Klär das
bitte, daß wir nichts miteinander haben. Ich will nicht noch so eine
Szene, ja?“
4325
Irgendwas
stimmt nicht.
Daß
Martha den Ballen Seide mit Kaffee bekleckert und meine Pressemappe
nicht zur Hand zur Hand hat, macht mich nachdenklich.
Denn
was die Arbeit angeht, ist sie immer absolut zuverlässig.
Tollpatschig
ist sie nur in anderen Dingen.
Mir
fällt der Kuß ein.
Auch
in der Erinnerung ist es immer noch kein kleines Abschiedsküßchen,
wie gute Freunde es sich geben.
Es
hat mir gefallen. Sehr sogar.
Aber
es war nichts dabei. Bei mir jedenfalls nicht.
Es
war unverbindlich und hat einfach Spaß gemacht.
Aber
was, wenn es Martha mehr bedeutet hat?
Wenn
es nicht nur ein harmloser Spaß für sie war.
Ob
sie sich in mich verliebt hat?
Das
würde diese ungewohnten Mißgeschicke erklären.
Je
mehr ich darüber nachdenke, desto einleuchtender will mir das
erscheinen.
*******
Ich
unterhalte mich mit Tristan über den Erfolg auf der Modenschau. Als
Martha an uns vorbeigeht, kommen wir auf sie zu sprechen.
Tristan
meint, sie würde nicht recht hier reinpassen. Sie hätte mehr was
von einer durchgeknallten Hummel.
Ich
meine, sie sollte sich mehr um mich kümmern.
Tristan
fragt, warum; ich glaube, er versteht das falsch.
Ich
meinte, sie sollte ihre Aufmerksamkeit wieder mehr auf meine Arbeit
richten.
Ich
erkläre ihm, daß Martha fast wie eine Außerirdische sei. Sie sei
genial, würde perfekt arbeiten.
Außer
sie verguckt sich in mich.
Als
Frau sei sie aber eher speziell, meint Tristan.
Ja,
eine Frau sei sie nicht, meine ich.
Ich
hoffe, daß der Stoff in dem Flachmann schuld dran ist, daß ich
sowas sage.
Nur
weil sie nicht mein Typ ist, muß ich ihr nicht jegliche Weiblichkeit
absprechen.
Vor
allem nicht, nachdem ich ihren Kuß so leidenschaftlich und lustvoll
erwidert habe.
Ich
kotze mich mal wieder selber an. Gut, daß Martha das nicht
mitbekommen hat …
*******
Ich
suche Martha und finde sie im Waschraum. Sie scheint geheult zu
haben.
Ich
frage sie, was denn wieder sei. Aber sie winkt ab.
"Eine
Frage …"
Seide
sei noch genug da.
Das
hatte ich nicht fragen wollen.
Wenn
man so eng zusammenarbeiten würde, wie wir, könnte es passieren,
daß … was passiert, erkläre ich.
"Du
hast dich in mich verliebt."
Ich
sehe, es ist ihr unangenehm, ich hätte sie auch nicht darauf
angesprochen, wenn …
"Das
geht nicht! Wenn das der Arbeit im Weg steht, so wie jetzt … dann
ist Schluß!", mache ich deutlich.
Ich
weiß, daß ich das reichlich unsensibel formuliere, aber ich bin nun
mal nicht gut mit Worten. Schon gar nicht, wenn es um Gefühlsdinge
geht.
Nein,
es sei Kim gewesen. Der Kaffee auf der Seide. Seit der Sache mit
Emilio würde sie ihr das Leben zur Hölle machen.
"Ich
habe sie mir doch vorgenommen."
"Das
weiß ich. Du hast mir ihr geschlafen. Und das verstehe ich, weil sie
brauchte auch Trost."
Was soll ich bitte gemacht haben?
Was soll ich bitte gemacht haben?
"Frauen!!!
… Ich hab nicht mit Kim geschlafen!“, platze ich genervt raus.
Einerseits
bin ich irgendwie erleichtert, daß der Grund für diese Mißgeschicke
nur Kim ist. Andererseits kann ich solchen Zickenkrieg echt nicht
ausstehen.
Ich
bin eigentlich schon raus aus der Tür, als ich nochmal kehrtmache.
„Du
reißt dich jetzt bitte zusammen. Ich hab keine Lust, dich
rauszuschmeißen.“
Ich
merke genau, wie hart mein Tonfall wieder klingt.
Aber
ich will keine Assistentin, die sich auf dem Klo die
Augen ausheult, während ich sie brauche.
Und
ja, ich würde es wirklich bedauerlich finden, sie wegen sowas
rauswerfen zu müssen.
Immerhin
habe ich sie mir gerade erst zurückgeholt, weil mir wirklich was an
ihr liegt.
Ich
hoffe, ich bringe sie durch meine schroffe Art jetzt nicht erst recht
zum Heulen und sie arbeitet daran, sich ein dickeres Fell zuzulegen.
*******
Ziemlich
spät an diesem Tag ruft Sebastian von Lahnstein Rebecca und mich,
sowie Tanja zu sich ins Büro, um uns zu informieren, daß Ansgar
einen Unfall hatte und er selbst bis auf weiteres hier der Boß sein
wird.
Mir
ist es eigentlich wurscht, wer von den Blaublütern das Sagen hat,
solang man mich in Ruhe arbeiten läßt.
Und
zu meinem Glück scheint Sebastian kein Freund vieler Worte zu sein,
denn seine Rede dauert keine drei Minuten.
4326
Martha
hält ein Bild in der Hand, das anscheinend sie darstellen soll. Eine
ziemlich dicke Frau mit einer aufgeklebten Schweinenase.
"Kim?",
frage ich.
"Ja.
Aber kreativ ist sie, das muß man ihr lassen."
"Ich
verstehe ja, daß sie sauer ist. Aber ich finde, das geht zu weit."
Ich bin echt empört.
"Ich
weiß, wer ich bin, was ich kann. Und wenn es anderen Leuten nicht
gefällt, tut es mir leid. Es gibt bestimmt genug Typen, die meine
Pfunde cool finden."
Gut
so, Martha, das ist die richtige Einstellung!
*******
Ich
erwische Kim, wie sie Martha dumm anmacht und gehe dazwischen.
"Ruhe!"
"Dann
ist es also okay, daß sie mit meinem Ehemann in die Kiste steigt?",
fragt diese aufgebracht.
"Kim!!!"
Ich deute auf die fiese Collage in ihrer Hand, die Martha darstellen
soll.
"Das
ist Mobbing."
"Und?
Ich bin die Tochter vom Chef."
"Ich
bin hier Creative Director. Du tust, was ich sage. Weg damit!"
Und drücke ihr die Collage in die Hand.
Ich
hoffe, sie hat mich verstanden.
*******
Ich
lade Martha auf eine Pizza ein, hier in dem Laden kriegt man ja
nichts Gescheites. Doch sie lehnt ab. Schade.
4327
Martha
erzählt mir, daß ein Vogel von einem Modeblatt bei ihr angerufen
habe. Der will eine Story über Rebecca und mich bringen, über
unseren Hintergrund.
Ich
hab keinen Bock auf so 'nen Scheiß. Ich habe zu arbeiten. Und gerade
jetzt eine Idee.
Da
paßt es mir echt hervorragend in den Kram, daß mich jetzt auch noch
einer dieser Lahnsteins von der Seite anwichst wegen dem
Scheiß-Interview.
Manchmal
möchte ich den ganzen Mist einfach hinschmeißen.
*******
Widerwillig
lasse ich dieses Interview über mich ergehen. Die Fragen sind
bescheuert.
Ich
versuche, mich zu erklären. Daß ich eingesperrt nicht arbeiten,
nicht kreativ sein kann. Daß ich raus muß, Menschen beobachten, die
Natur. Daß ich vom Leben klaue.
Ich
würde Fotos von allem machen, von Menschen, Tieren, vom Müll auf
der Straße. Wenn daraus dann eine Idee entstünde, das wäre der
Moment. Für den sich die ganze Scheiße lohnen würde.
"Es
hilft natürlich, wenn man eine trottelige Assistentin hat, die Chaos
verbreitet. Daraus kann auch was Neues entstehen." Ich schaue zu
Martha, die grad den Kaffee für den Reporter verschlabbert hat. Gut,
daß sie bei mir ist.
Dann
fragt mich der Typ nach meiner Vergangenheit. Ob meine Erfahrungen in
den Kriegsjahren zu meiner Kreativität beigetragen haben.
Er
hat eine Grenze überschritten. Ich mache sofort zu und gehe.
*******
Ich
treffe Martha auf der Treppe.
Sie
fragt, ob mir klar wäre, daß ich durch mein plötzliches
Verschwinden den Reporter erst recht neugierig gemacht hätte.
Warum
ich denn nicht ein bisschen was erzählt hätte? Die Zeit in
Jugoslawien scheine mich doch zu beschäftigen.
Martha,
du weißt nicht, wovon du redest.
Das
gehöre dazu, das wisse jeder Künstler. Was denn so schlimm daran
wäre, ein wenig von mir preiszugeben?
Sie
hat ja keine Ahnung.
Das
würde mich interessant machen.
"Für
wen?", frage ich. "Für dich?"
Sie
schaut verlegen zu Boden.
Aha!
Auch
sie übertritt eine Grenze.
Ich
lege ihr den Arm um die Schulter, vielleicht nimmt das meinen Worten
die Härte.
"Meine
liebe Martha, wann begreifst du endlich, daß zwischen dem, was wir
hier machen, unserer Arbeit und uns eine Grenze sein muß? Wenn wir
weiter zusammenarbeiten, dann hört das auf, okay?"
Sie nickt.
"Gut."
Sie nickt.
"Gut."
*******
Ich
treffe Martha im No Limits. Sie steht mit diesem Reporter zusammen.
Ich sollte wissen, daß sie nicht tratscht, aber ich stehe unter
Spannung.
Ich
ziehe sie beiseite und stelle sie zur Rede.
Der
Vogel von dem Modeblatt mischt sich ein und meint, sie hätte nichts
erzählt, sie sei genauso verschwiegen wie ich.
Dann
stellt sich raus, daß er ihr nachgeschnüffelt hat, was auch Martha
empört.
Er
will wissen, woher meine Schweigsamkeit kommt. Und meine
Aggressivität.
In
mir kocht es. Ich kann sie spüren, die Aggressivität.
Dann
labert er wieder von meiner Vergangenheit und daß er sie mit Respekt
und Würde behandeln würde.
Du
Arschloch, was weißt du denn schon?
Ich
sehe rot, greife mir den Kerl. Aber bevor ich ihm eine reinhauen
kann, geht Martha dazwischen.
Ich
muß hier raus, bevor noch was passiert.
*******
Martha
findet mich im Waschraum, wie ich in den Spiegel starre.
"Ach,
hier bist du."
"Ja,
hier bin ich."
Sie
entschuldigt sich. Daß meine Vergangenheit sie nichts angehe und
außerdem schon lange vorbei sei.
Ich
wünschte, es wäre so und kämpfe gegen die aufsteigenden
Erinnerungen.
Ich
bemühe mich, im Boxclub was klarzumachen. Ich muß mich abreagieren.
*******
Aber
vielleicht war das doch keine so gute Idee.
Erinnerungen,
Emotionen stürzen auf mich. Ich verliere die Kontrolle. Und schlage
immer weiter auf meinen Gegner ein, obwohl der schon längst
signalisiert, daß er genug hat.
4328
Sascha
ist es schließlich, der mich wegzerrt, sonst hätte ich
wahrscheinlich immer noch wie von Sinnen auf meinen Gegner
eingeschlagen.
Schwer
atmend lehne ich mich in die Seile. Versuche, mich zu beruhigen.
*******
Im
No Limits will ich was trinken und treffe Martha. Gebe ihr gleich die
Chipkarte meiner Kamera, sie soll die Fotos sichern.
Und
dann versetzt es mir einen Schock - durch Zufall erfahre ich von
Sascha, daß Martha mir in den Boxclub gefolgt ist. Er hat sie
nämlich gleich wiedererkannt, wußte aber natürlich nicht, daß sie
meine Assistentin ist.
Ich
bin wie vor den Kopf geschlagen.
*******
Ich
stelle Martha zur Rede.
"Du
verfolgst mich. Du brichst bei mir ein. Zweimal wolltest du mich
küssen. Was bist du? Eine Stalkerin?"
Ich
bin diesem Moment schockiert und maßlos enttäuscht.
Sonst
wäre mir vielleicht klargeworden, daß meine Vorwürfe ziemlich
unfair sind.
Sie
ist bei mir eingebrochen, um mir den Arsch zu retten.
Daß
sie mich in meinem Loft küssen wollte, damit habe ich sie ganz schön
aufgezogen. Kann also so schlimm nicht gewesen sein.
Und
der andere, der richtige Kuß … ja, Juri, den kannst du ihr erst
recht nicht vorwerfen, denn den hast du verdammt nochmal, genossen
und zwar ziemlich. Und schieb's nicht auf den Alkohol, so blau warst
du nicht.
Einzig
die Sache heute … damit ist sie zu weit gegangen. Da hast du Recht,
verärgert zu sein.
Sie
versucht sich zu entschuldigen. Da wäre der Reporter und dieser
Anruf gewesen. Und ich sei einfach abgehauen. Sie hätte sich Sorgen
gemacht. Als meine Assistentin.
Ihre
Entschuldigung überzeugt mich nicht.
Sie
ist wirklich zu weit gegangen.
"Ich
will, daß das nie wieder passiert.", sage ich.
Leider
läßt sie es nicht auf sich beruhen.
Was
denn wäre? Ich würde auf jemanden einprügeln, wäre im Krieg
gewesen und dieses Jugoslawien … an meinem abweisenden,
versteinerten Gesicht erkennt sie wohl, daß sie besser damit
aufhört.
Sie
verspricht, es werde nie mehr vorkommen.
Sie
hat keine Ahnung, von was sie redet.
Ich
bin wirklich schwer enttäuscht.
"Ich
will dich heute nicht mehr sehen.", sage ich und lasse sie
stehen.
*******
Weil
ich sie mag, bemühe ich mich, in Ruhe nachzudenken.
Warum
mußte sie das tun? Mir hinterherlaufen, rausfinden, was ich treibe?
Warum
muß sie sich so derart in mein Leben drängen?
Ich
will das nicht.
Es
war doch okay so, wie es war. Wir haben uns gut verstanden. Richtig
gut zusammengearbeitet. Ich mag es doch, wenn sie bei der Arbeit
meine Gedanken liest und weiß, was ich als nächstes tun will.
Aber
doch nur bei der Arbeit. Warum kann sie sich nicht aus meinem
Privatleben raushalten?
Was
zum Geier interessiert sie bloß daran? So spannend bin ich nun auch
nicht.
Ich
bin sie ziemlich hart angegangen. Ich fühle mich sehr verletzt,
gekränkt durch ihre Mißachtung meiner Privatsphäre. Auch unter
guten Freunden geht das zu weit.
Und doch
tut mir das irgendwie leid. Sie war sehr geknickt bei meinen harten Worten. Ich
weiß, sie hat es nicht böse gemeint. Sie will nur Anteil nehmen.
Was sie für mich fühlt, ist keine harmlose Schwärmerei. Sie
empfindet ernsthaft etwas für mich.
Und
genau das ist das Problem. Sie kommt mir immer näher. Und bei dem
Gedanken bricht mir der Schweiß aus. Ich möchte wegrennen.
Ich
habe mich entschlossen, mich von ihr zu trennen. Ich kann und will
nicht zulassen, daß sie mir noch näher kommt. Ich hätte sie nie
als Assistentin nehmen dürfen.
Ich
werde zu Rebecca gehen und fragen, ob wir vielleicht tauschen können.
Ich möchte Martha nicht zurücksetzen, sie soll nicht wieder nur
nähen, dazu hat sie zuviel drauf. Ich will sie nur nicht mehr so nah
bei mir haben.
*******
Ich
überlege eine ganze Weile, was ich Rebecca sagen könnte.
Ich
will Martha nicht bloßstellen, ihr keinen Ärger machen.
Also
entschließe ich mich schließlich, Marthas Karriere vorzuschieben.
Daß
es gut für sie wäre, sich zu verändern, Neues auszuprobieren. Und
sie deshalb auch in Rebeccas Arbeit reinschnuppern soll.
Rebecca
geht nach einigem Zögern und skeptischen Blicken drauf ein; ich
fürchte, sie ahnt, daß es persönliche Differenzen sind, weswegen
ich diesen Tausch will.
Was
bin ich doch für ein Feigling! Hab Schiß davor, es Martha selbst zu
sagen. Sie hätte es verdient zu wissen, warum ich sie nicht mehr als
Assistentin möchte. Den wahren Grund. Nicht, weil ich mich von ihr
belästigt fühle. Nein, weil sie eine Gefahr für meinen Schutzwall
ist. Weil ich nicht will, daß sie ihn durchbricht und den wahren
Juri sieht.
Heute
sieht sie den feigen Juri. Der ihr nicht mal in die Augen blicken
kann, als Rebecca den zusammengedichteten Unfug vom beruflichem
Fortkommen runterleiert. Ich fühle mich beschissen, sie so
abservieren zu lassen. Ich habe ein schlechtes Gewissen deswegen. Sie
tut mir leid, sie hat sowas nicht verdient. Ich kann mir ihren Blick
vorstellen – traurig, enttäuscht. Deshalb kann, will ich sie nicht
ansehen. Weil ich es nicht ertragen könnte. Mein schlechtes Gewissen
würde mich umstimmen. Das will ich aber nicht. Ich muß sie auf
Abstand halten. Oder mir schwimmt alles weg …
*******
Sie
räumt ihre Sachen von meinem Tisch. Einmal begegnet mein Blick
ihrem. Ich merke, ihr ist zum Heulen zumute.
Und
ich verkrieche mich wieder hinter meinen Schutzwall.