4352
Martha
und ich sind noch am Arbeiten, als ich zufällig erfahre, daß Martha
mit Sascha zum Grillfest im Boxclub kommen wird.
Deshalb
also hat sie sich gerade darüber ausgelassen, daß das Wetter für's
Grillen im Club prima wäre.
Ich
weiß nicht, was das werden soll - ich dachte, die beiden hätten
nichts mehr miteinander.
Hat
er sie gefragt oder sie ihn?
Meine
Gedanken müssen sich auf meinem Gesicht widerspiegeln, denn Sascha
fragt mich leicht provokant, ob ich damit ein Problem hätte.
Warum
sollte ich was dagegen haben, daß meine Assistentin auf ein
Grillfest geht?
"Ich
wundere mich nur.", sage ich und das stimmt ja.
Martha
stammelt rum und wirkt wieder einmal ziemlich nervös.
Soll
ich das jetzt auf mich beziehen oder geht es um Sascha?
Vielleicht
spürt sie auch die unterschwellige Spannung zwischen Sascha und mir.
Sascha
schaut mich permanent so komisch an.
Ich
greife mir mein Zeug und haue ab … ich muß weg von den beiden.
*******
Mein
Handy klingelt. Es ist Gloria.
Urplötzlich
war sie gestern bei mir aufgetaucht.
Wir
hatten mal was miteinander, ist schon eine Weile her.
Die
einzige Frau, mit der ich mehr als nur eine Nacht verbracht habe.
Nichts
Ernstes, aber eine ziemlich leidenschaftliche Affäre.
Auch
gestern hat sie mich wieder verdammt heiß gemacht.
Hinterher
jedoch …
Sie
beschwert sich, daß ich heute morgen nicht mehr da war, als sie
aufgewacht ist.
Ich
sage ihr, daß ich ihr ihren Schönheitsschlaf gönnen wollte.
Nein,
so ganz stimmt das nicht.
Ich
will keine Affäre mehr mit ihr. Zumal ich den Eindruck habe, daß
sie mehr will als nur gelegentlichen Sex.
Sie
will mit zum Grillfest. Ich habe keine Lust, sie mitzunehmen, sage
aber doch ja.
Sascha
hat das Gespräch belauscht und fragt mich gleich aus. Ich sage ihm,
daß Gloria eine alte Freundin ist.
"Wie
alt?"
"So
alt wie deine Mutter."
"Ein
Top-Model also."
"Was
sonst?"
Er
kann sie gerne haben, wenn er will.
*******
Ich
sitze auf meinem Bett und warte, daß Gloria fertig ist.
Ich
greife nach etwas, es ist eins von Marthas Strickdingern. Ich blicke
darauf und Emotionen steigen in mir auf … Erinnerungen an eine
warme Hand, die mich festhält …
Ich
werfe das Strickdings beiseite und schüttle die merkwürdige
Stimmung ab.
Gloria
kommt auf mich zu - lasziv, verführerisch. Eine Frau mit einer
traumhaften Figur, herrlichen langen dunklen Haaren und wunderbar
sinnlichen Lippen.
"Gefalle
ich dir?", fragt sie.
Oh
ja.
Ich
winke sie her zu mir.
Mit
leichten Fingern streife ich ihr das Kleid von den Schultern, leise
raschelt es zu Boden.
Sie
trägt nichts darunter. Nichts als ihren makellosen Körper.
Ich
ziehe sie auf mich, fasse ihr begierig ins Haar.
Sie
rutscht zu meinem Schoß hinab, ich schließe genußvoll die Augen.
Doch
dann wieder Emotionen, Bilder … zwei Hände, die sich über einem
Wollknäul treffen …
Irgendwas
stimmt hier nicht.
Ich
sehe Glorias schönes Gesicht über mir. Doch ein anderes schiebt
sich darüber.
Was
soll das? Warum denke ich beim Sex mit Gloria an Martha?
Gestern
hat Gloria mich noch so scharf gemacht ...
Ich
bin verwirrt, vollkommen durcheinander.
Ich
merke, daß nichts mehr geht und drehe mich auf die Seite.
*******
Dann
sind wir auf dem Grillfest, Gloria und ich. Ich habe mich wieder
gefangen.
Keine
Ahnung, was vorhin mit mir los war, vielleicht ist das komische
Gespräch mit Sascha schuld gewesen.
Kaum
habe ich das zuende gedacht, kommt er auf uns zu. Mit Martha.
Er
fordert mich auf, meine Freundin vorzustellen.
Sie
ist nicht meine Freundin.
Trotzdem
bin ich höflich und die beiden Mädels geben sich freundlich die
Hand.
Mein
Blick hängt an Martha und ihrem Sommerkleid.
"Schick.",
sage ich.
Sie
freut sich sichtlich über meine Bemerkung.
Ich
bin sicher, sie hat das Kleid selbst entworfen und genäht. Es ist
wie sie selbst - verspielt, unbeschwert, fröhlich …
Wieder
packen mich Emotionen.
Ich
brauche was zu trinken.
Gloria
ist leicht angenervt und will wissen, was los ist. Ich sei schon die
ganze Zeit so komisch.
Vorhin
hätte ich keinen hochgekriegt und jetzt würde ich vor Sascha und
meiner Assistentin davonlaufen.
Ich
will nicht darüber reden.
Sowas
wie vorhin … das ist mir schon ewig nicht mehr passiert. Schon gar
nicht bei einer Frau wie Gloria.
Was
ist nur los mit mir?
*******
Ich
habe keinen Appetit, nur Durst.
Martha
und Sascha tanzen vergnügt.
Gloria
bringt mir was zu trinken, setzt sich zu mir und schmiegt ihren
schönen Körper eng an meinen.
Und
ich spüre gar nichts.
Doch,
Marthas Blicke.
Und
ich verstehe einfach nicht, wieso mich das so irritiert.
Sie
empfindet mehr für mich, sie schaut mich oft liebevoll, zärtlich
an, das ist doch nichts Neues für mich ...
*******
Gloria
habe ich völlig vergessen.
Planlos
wandere ich über den Hof, greife mir eine Flasche Sljivovic. Es ist
nicht mein erster.
Martha
und Sascha tanzen immer noch. Oder schon wieder.
Mein
Blick hängt wieder an ihrem Kleid. Es steht ihr verdammt gut.
Warum
bin ich so mies drauf und würde am liebsten abhauen, alleine sein?
Martha
schaut zu mir, lächelt mich an.
Ich
lächle zurück, mit dem Gefühl, daß mein Gesichtsausdruck nur eine
Maske ist.
Gloria
kommt, meint, ich hätte genug getrunken.
Das
Gefühl habe ich nicht.
Sie
will tanzen.
Ich
aber nicht.
Und
es ist mir egal, daß sie jetzt verstimmt ist.
*******
Ich
muß pinkeln.
Auf
dem Weg zum Klo stellt sich mir Sascha in den Weg.
"Na,
auf dem Weg zur Damentoilette?"
Was
soll, bitte, der Scheiß?
Ich
will pinkeln und das sicher nicht auf dem Frauenlokus.
"Was
geht dich das an?", frage ich gereizt. Ich bin eh nicht gut
drauf und der Typ nervt mich gerade ziemlich.
"'Ne
Menge.", entgegnet er. Und "Laß Martha in Ruhe." Ich
spüre durchaus die Betonung, den bedrohlichen Unterton.
Aber
ich lasse mich doch von dem Typ nicht einschüchtern.
Abgesehen
davon, daß ich gar nicht vorhatte, Martha auf dem Klo zu vernaschen.
"Ich
will nichts von Martha.", sage ich.
Das
ist doch echt lächerlich.
Als
ich an ihm vorbei will, hält er mich fest.
Moment,
mein Freund!
"Du
willst mich daran hindern, auf's Klo zu gehen, oder was?"
"Bingo.
Wenn du an mir vorbei willst, mußt du mich aus dem Weg räumen."
Der
Typ spinnt doch.
Aber
okay. Schlagen wir uns.
Ich
drücke meine Sljivovic-Flasche einem Jungen in die Hand und ziehe
meine Ringe aus.
Ohne
Vorwarnung bekomme ich eins in den Magen verpaßt. Da ich nicht
vorbereitet war, hatte ich meine Bauchmuskeln nicht angespannt und
knicke sofort ein.
Aber
wir haben ja grad erst angefangen.
Er
holt aus, ich tauche weg und mein Schlag sitzt.
Aber
Sascha kann was einstecken, der geht so schnell nicht zu Boden, das
weiß ich.
Wir
schenken uns gegenseitig nichts, aber noch ist alles eher harmlos.
Und ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen.
Ich
schicke Sascha zu Boden, er streckt mir die Hand entgegen und ich
will ihm aufhelfen, wie das so üblich ist.
Doch
da haut die linke Socke mir die Beine weg.
Nun
schlägt er eine härtere Gangart ein. Verbissen wälzen wir uns auf
dem Boden, versuchen den anderen abzuschütteln.
Ich
drücke ihm den Ellenbogen in den Solarplexus und er rollt von mir
weg.
Ich
rappele mich hoch; scheiße, tun die verdammten Schienen der alten
Werksbahn weh.
Wir
stehen uns wieder gegenüber.
Da
höre ich hinter mir Marthas Stimme: "Juri!"
Ich
drehe mich um, da steht sie, vollkommen fassungslos.
Im
nächsten Moment wird alles schwarz.
*******
Als
ich wieder zu mir komme, liege ich am Boden.
Mein
Kopf brummt wie ein Bienenstock.
Ich
sehe alles nur verschwommen. Mit dem Hören ist es genauso.
Dann
eine besorgte Stimme, die fragt, ob ich sie hören kann.
Ja
doch.
Und
ich sehe ein Gesicht über meinem.
"Martha."
Mit
dem klar Denken hapert es noch.
4353
Sie
scheint mit mir zu sprechen, aber ihre Worte dringen kaum zu meinem
Verstand durch.
Vor
meinen Augen verschwimmt alles, meine Sinne scheinen erneut zu
schwinden.
Doch
Martha schnippst mit den Fingern, ein Geräusch, das mir unangenehm
laut in den Ohren klingt. Aber es bewirkt, daß der Nebel sich
lichtet und ich Martha deutlich sehen kann.
Martha.
Sie
sieht anders aus als sonst. Oder sehe ich sie anders als vorher?
Der
Drecksack Sascha hat mich anscheinend glatt ausgeknockt - hat der
Schlag gegen meinen Schädel mein Hirn auf links gedreht?
Ich
merke selbst, daß ich Martha anstarre. Und ich habe das dumme
Gefühl, daß ich ein selten dämliches Grinsen zur Schau trage, als
ob ich total bekifft wäre.
Aber
da ist noch was anderes … mein Gesicht in ihren warmen Händen …
es geht soviel Zärtlichkeit von ihnen aus …
Was
passiert mit mir, was geht hier vor?
Ich
kann meinen Blick nicht von ihrem Gesicht wenden, ich muß ihr in die
Augen sehen.
Wenn
sie mich doch nur küssen würde …
Ich
werde von Gefühlen überwältigt, die ich noch nie zuvor empfunden
habe.
Immer
noch kann ich meinen Blick nicht von ihr abwenden … Zeit und Raum
schwinden.
Menschen
und Umgebung existieren nicht mehr in meinem Bewußtsein.
Da
ist nur noch sie …
Sie
flößt mir Wasser ein, hilft mir, mich zum Sitzen aufzurichten.
Der
Becher Wasser entfällt meiner Hand, aber das realisiere ich kaum.
Wieder
ihre wundervoll warmen, zärtlichen Hände an meinem Gesicht …
Sie
fragt mich, ob ich aufstehen kann. Ich nicke und lächle sie
glücklich an.
Ich
glaube wirklich, daß mein Hirn was abgekriegt hat, denn ich bin kaum
fähig, drei zusammenhängende Worte zu sprechen und Martha muß mich
wie ein Kind an die Hand nehmen.
Ich
bin irgendwie noch total weggetreten, stehe völlig neben mir.
*******
Sie
streicht mir liebevoll durch's Haar.
Ich
nehme ihre Hände in meine.
Ich
habe das Gefühl, daß wir beide ganz allein auf dieser Welt sind.
Sie
fragt mich, ob ich wirklich keinen Arzt brauche. Nur um eine
Gehirnerschütterung auszuschließen.
"Mir
geht’s gut.", beruhige ich sie; sie macht sich wirklich Sorgen
um mich, die Gute.
Und
tatsächlich habe ich mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt.
Ganz
warm ist mir.
"Aber
trotzdem mußt du dich hinlegen. Ich bring dich nach Hause, okay?",
fragt sie und blickt sich suchend um.
"Wen
suchst du?", frage ich. "Sascha?"
Ich
bin froh, daß sie verneint. Sie sucht nach Gloria.
Martha,
das ist egal. Du bist hier. Und das ist das einzige, was mir wichtig
ist.
Ich
halte ihre Hände fest in meinen, will sie nie mehr loslassen.
Und
ich begreife immer noch nicht, was mit mir geschieht.
Ich
bin verwirrt, aber auf eine sehr angenehme Weise …
Wir
gehen. Sie legt den Arm um mich, ich meinen um sie.
Eine
wunderbare Wärme durchflutet mich.
*******
Wie
wir zu mir gekommen sind, weiß ich nicht.
Ich
hocke auf meinem Bett und bin immer noch keiner klaren Gedanken
fähig.
Ich
fühle mich diesen seltsamen Gefühlen völlig ausgeliefert.
Martha
reinigt meine Schramme mit Alkohol, aber das spüre ich nicht. Nur
ihre warme Hand, die meinen Kopf stützt.
Ich
kann meinen Blick nicht von ihren Augen wenden.
Merkt
sie gar nicht, was mit mir vorgeht?
Sie
sagt, ich hätte ihr vorhin einen großen Schreck eingejagt. Als ich
so am Boden lag.
Das
tut mir leid, Martha. Ich wollte dir keinen Kummer machen.
Ich
nehme ihre Hände, ziehe sie neben mich auf's Bett.
Nichts
ist mehr existent außer ihrem Gesicht, ihren Augen, die so
liebevoll-besorgt auf mir ruhen … und diesen süßen Lippen, die
ich das erste Mal wahrzunehmen scheine ...
Unendlich
langsam nähere ich mich ihr.
Auch
die Zeit ist nicht mehr existent, als ich meine Augen schließe, um
noch intensiver fühlen zu können.
Ich
lehne meine Stirn gegen ihre, spüre ihre warme Haut, ihren süßen
Duft …
Ich
habe noch nie soviel Zärtlichkeit empfunden wie in diesem
Augenblick.
Ich
möchte ihn festhalten für die Ewigkeit.
Ich
lege meine Lippen sanft auf ihre, eine seligmachende Wärme strömt
durch meinen ganzen Körper.
So
etwas habe ich noch nie empfunden.
Ein
einziger sanfter Kuß und er verändert alles ...
*******
Ich
weiß nicht, wie lange dieser Kuß währte.
Keinesfalls
lang genug, um dieses Gefühl nicht zurück holen zu wollen.
Ich
streiche ihr zart mit der Hand über die Wange und schicke mich an,
mich in einem zweiten innigen Kuß fallenzulassen, als ein Geräusch
mich brutal nach heute und in meine Wohnung zurückholt.
Die
Klingel. Gloria.
Ich
bin noch ganz benommen, begreife zwar, daß Gloria hier ist und
rumkeift, aber ein anderer Teil von mir ist noch gefangen in dem
Augenblick des Kusses.
Martha
will gehen, sie scheint sich überflüssig zu fühlen.
Ich
versuche sie zurückzuhalten, ich will nicht, daß sie geht. Aber es
ist vergeblich.
Gloria
setzt sich neben mich.
Und
ich habe keine Ahnung, was hier gerade passiert ist.
*******
Ich
sitze auf meinem Bett, mit dem Tuch, mit dem Martha meine Schramme
versorgt hat, in den Händen und bin verwirrt, verunsichert.
Was
ist passiert? Was ist mit mir passiert?
Meine
Gefühle fahren Achterbahn, es ängstigt mich.
Ich
habe total die Kontrolle über meine Emotionen verloren.
Sowas
ist mir noch nie passiert.
Ich
wollte nie, daß sowas passiert.
Gloria
kommt aus der Dusche, wieder friedlich gestimmt.
Sie
erkundigt sich nach meinem Befinden, aber ich höre kaum, was sie
sagt.
Dann
steht sie vor mir und läßt das Handtuch fallen.
Ich
sehe sie an, aber ihre Schönheit nehme ich nicht wahr. Es läßt
mich völlig unbeteiligt, während andere Gefühle mich immer noch
durchströmen und mich auf beängstigende Weise hilflos, wehrlos
machen …
Ich
kann nur an Martha und den Kuß denken und ziehe Gloria das Handtuch
wieder über die Schultern.
Sie
ist fassungslos. Bis sie zu begreifen scheint … "Ach du
Scheiße! Du hast dich in die Kleine verliebt?!"
Ich
schnaufe einmal auf. Das ist doch … ich bin nicht …
Mein
eines Ich will es leugnen, das andere weiß es besser.
*******
"Daß
ich das noch erleben darf - Juri Adam, die uneinnehmbare Festung in
der Männerwelt, hat sich verliebt. Du bist immer so unnahbar. Am
Anfang habe ich gedacht, das ist nur 'ne Masche, aber dann habe ich
kapiert, du kannst einfach nicht anders, du kannst einfach niemanden
an dich ranlassen. Und wenn dir doch mal jemand zu nahe kommt, dann
weißt du nicht, wie du damit umgehen sollst. Stimmt's?"
"Blödsinn.",
sage ich, doch tief in mir weiß ich, daß sie Recht hat.
Warum
sonst laufe ich wie ein Tiger im Käfig umher, warum machen mir meine
Gefühle auf einmal solche Angst?
"Gib's
doch zu - du kriegst richtig Panik bei dem Gedanken, daß du dich in
die Kleine verliebt hast."
Quatsch.
Und wieder sagt mir eine innere Stimme, daß sie Recht hat.
Ich
habe Angst. Angst vor dem, was ich fühle, Angst davor, endgültig
die Kontrolle zu verlieren, Angst vor den Konsequenzen, diese Gefühle
zu akzeptieren, sie zuzulassen …
Verzweifelt
um Fassung bemüht, lehne ich mich gegen den Stützpfeiler.
"Ich
dachte immer, du wärst nicht in der Lage, zu lieben. Dabei war ich
einfach nur nicht die Richtige. Aber du warst wenigstens immer
ehrlich."
Ich
sehe sie an. Ja, etwas vorgemacht habe ich ihr nie. Aber vielleicht
mir.
*******
Ich
reagiere mich am Sandsack ab, versuche meiner Gefühle wieder Herr zu
werden.
Vorbei
die wundervolle Wärme, die ich empfunden habe. Daß ich Martha
geküßt habe, scheint eine Ewigkeit her zu sein.
Die
Wärme weicht kaltem Schweiß. Ich zittere und merke, wie die Panik
immer mehr Besitz von mir ergreift, während Glorias Worte sich durch
mein Innerstes winden.
Du
hast dich in die Kleine verliebt. Wieder und wieder tönt ihre
Stimme in meinen Ohren.
Und
mit jedem Mal wächst meine Panik.
Ich
kann das nicht zulassen, diese Gefühle machen ein nervliches Wrack
aus mir, ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne.
In
meiner schieren Verzweiflung fasse ich einen Entschluß.
*******
Ich
schicke Martha eine SMS, daß ich sie sofort sehen will.
Ich
habe meine Mauer wieder hochgezogen und ich werde sie gleich auch
sehr nötig haben.
Ich
bin im Begriff, dem einzigen Menschen, der mich versteht, der mich so
liebt, wie ich bin, das Herz zu brechen …
Dann
ist sie da.
Ich
vermeide es, ihr in die Augen zu sehen.
In
distanziertem, nüchternem Tonfall verkünde ich ihr, daß ich ihr
einen Job in München verschafft habe. Bei einem Freund von mir, der
sie als Junior-Designerin einstellt.
Das
sei eine große Chance.
Juri,
du verlogenes Miststück, du weißt genau, daß sie bei dir
bleiben will.
Aber
du, du willst sie aus deiner Nähe haben, weil deine Gefühle für
sie dir Angst machen.
Ich
heuchle Martha vor, sie verschwende ihre Zeit als meine Assistentin.
Ja,
sie hat mehr drauf, als auf ewig mein besserer Laufbursche zu sein,
aber das ist nicht der Grund.
Ja,
ich würde ihr eine große Karriere und viel Erfolg wünschen.
Aber
das ist nicht der Grund, warum du sie wegschicken willst.
Nur
meine Mauer rettet mich davor, verrückt zu werden.
Denn
mir ist bewußt, wie sehr ich Martha gerade verletze.
Erst
küßt du sie und dann läßt du sie fallen - Juri Adam, du bist ein
verdammtes Arschloch! Und ein elender Feigling noch dazu.
Warum
gestehst du ihr nicht deine Panik? Sie weiß um deine Vergangenheit,
deine Probleme, dein kompliziertes Innenleben.
Wenige
Worte würden genügen und sie würde verstehen. Es täte ihr nicht
so weh, würde sie nicht so demütigen.
Aber
wie so oft schaffe ich es nicht, über meinen Schatten zu springen.
Der
wahre Juri Adam hat sich wieder feige hinter seiner Mauer verkrochen.
"Schmeißt
du mich jetzt raus?", fragt sie fassungslos. "Schmeißt du
mich raus? Hey, du kannst mir ja nicht mal in die Augen sehen!"
Stimmt.
Ich
schäme mich in Grund und Boden, sie so mies zu behandeln. Niemand
hat das weniger verdient als sie, die sie immer für mich da war.
Ich
sage erschreckend kalt, daß sie morgen bereits ihre neue Stelle
antritt. Ein Ticket hätte ich ihr schon besorgt.
Ich
öffne die Tür und schmeiße sie regelrecht raus.
Sie
ist am Boden zerstört, ihre Augen schwimmen in Tränen.
Ich
kann den Anblick nicht ertragen und schlage die Tür zu.
Ich
möchte schreien.
In
meiner Brust fühle ich einen brennenden Schmerz.
Ich
hasse mich. Ich verachte mich.
Daß
die Panik sich verflüchtigt hat, erleichtert mich nicht im
Geringsten.
Eine
eisige Kälte breitet sich in mir aus. Eine Welle aus
Selbstvorwürfen, Schuldgefühlen, Scham …
So
glücklich ich mich in dem Moment fühlte, als ich Martha küßte, so
elend fühle ich mich jetzt.
Leer,
wie ausgebrannt …
Mit
der Tür, die hinter Martha zuschlug, ist auch in mir eine Tür
zugeschlagen. Die Tür zu einem besseren Ich.
4354
Der
Schmerz, Martha so weh getan zu haben, zerfrißt mich innerlich.
Der
Schmerz … und die Wut auf mich selbst. Daß ich wieder in meinem
Schrank hocken geblieben bin und nichts getan habe.
Zu
feige war, ihr zu sagen, daß ich einfach Angst habe. Angst vor ihrer
Nähe, Angst vor meinen Gefühlen, Angst vor den Konsequenzen …
Wenn
sie wüßte, warum, wäre es für sie nicht so demütigend.
Dieser
Schmerz … ich muß immer wieder an sie denken und doch ertrage ich
es kaum.
Verzweifelt
schlage ich gegen den Stützpfeiler in der Hoffnung, daß der
körperliche Schmerz den in meinem Inneren betäubt.
Doch
es hilft nicht, ich kann ihm nicht entrinnen.
Am
Ende blutet meine Hand, so wie ich innerlich blute ...
Ich
sehe sie vor mir, zutiefst verletzt.
Sie
liebt mich.
Warum
mußte ich das tun? Warum mußte ich sie küssen, wenn ich doch nicht
imstande bin, ihre Gefühle zu erwidern?
Warum
mußte ich sie so küssen … so innig, so zärtlich?
Weil
ich in diesem Augenblick nichts anderes wollte …
Sie
liebt dich.
Du
hast deine Gefühle sonst so gut unter Kontrolle, warum da nicht?
Warum
mußtest du ihre Hoffnungen schüren?
Und
natürlich hat sie gehofft … als du sie hast wissen lassen, daß du
sie sehen willst. Sofort.
Nach
diesem Kuß konnte sie nichts anderes glauben, als daß du ihr nun
deine Liebe gestehen würdest.
Es
traf sie völlig unvorbereitet.
Dieser
Blick in ihren Augen, als du sie so kalt abserviert hast … dein
eigener Schmerz spiegelte sich darin ...
Ich
fühle mich einsam ...
*******
Ich
versuche, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, doch mein Blich
geht zu Marthas leerem Platz in der Nähstube. Meine Gedanken
schweifen ab … zu diesem Kuß … es hat sich wundervoll angefühlt,
so vertraut. Ich meine immer noch, ihre weichen, warmen Lippen auf
meinen zu spüren.
So
wie diesen habe ich noch keinen Kuß empfunden.
Heiße,
leidenschaftliche, feuchte Küsse … aber nicht diese wohlige
Vertrautheit, dieses Gefühl von nach Hause kommen.
Auf
einmal steht sie neben mir.
Es
fällt mir schwer, sie anzusehen.
Ich
frage sie, was sie hier noch macht, ihr Flieger würde doch gleich
gehen.
Sie
sagt, sie fliegt nicht.
Ich
könne sie nicht zwingen, sage ich.
Und
sie würde sich nicht weiter wie eine Schachfigur herumschieben
lassen.
Ich
weiß, was sie meint und es verstärkt meine Schuldgefühle noch.
"Dieser
Job ist eine Aufstiegschance für dich.", sage ich müde und
weiß, daß sie das kaum trösten wird.
Wenn
ich sie loswerden wolle, müßte ich sie schon rausschmeißen. Ihr
kündigen.
Sie
sieht mich auffordernd an.
Ihr
Blick schmerzt mich.
Und
wieder bin ich feige. Ich habe nicht den Mumm, die Konsequenzen aus
meinem eigenen Handeln zu tragen.
Warum
gehe ich nicht? Verschwinde aus ihrem Leben, damit sie die Chance
hat, über ihre Gefühle für mich hinwegzukommen.
Bin
ich es jetzt, der hofft?
*******
Ich
bin im Stofflager und wühle ziellos herum, als sich unsere Blicke
treffen.
Es
ist für uns beide eine Qual. Und doch scheint keiner von uns beiden
dem Blick ausweichen zu können.
Ich
bemerke, daß meine Augen immer wieder nach ihr suchen,
Und
ich weiß nicht, ob ich erleichtert sein soll, wenn ich sie nicht
erblicke.
Offenbar
hat Sascha etwas mitbekommen. Möglicherweise hat Martha sich auch
bei ihm über ihren Kummer ausgesprochen.
Jedenfalls
will er mich zur Rede stellen.
Doch
ist dies kein guter Zeitpunkt.
Der
Schmerz und der Haß auf mich selbst machen mich aggressiv und wenn
er mich provoziert, dann haue ich ihn um!
"Du
bist ein kranker Wichser und ich wünschte, Martha würde das endlich
kapieren!"
"Meinst
du, das macht mir Spaß?", herrsche ich ihn an.
Er
hat ja keine Ahnung. Nicht die geringste. Wie es mich quält. Wie ich
mich selbst dafür hasse, den einzigen Menschen zu verletzen, der
mich wirklich liebt …
Dann
fängt er mit dem Krieg an und daß wir beide dasselbe erlebt haben.
Er
reißt alte Wunden auf.
Aufgebracht
stoße ich ihn gegen das nächste Regal, ganz dicht stehe ich vor
ihm.
Aber
Sascha ist nicht der Typ, der sich von einer drohenden Haltung
einschüchtern läßt.
Er
sagt, er hätte gelernt, daß es scheiße ist, wenn man dichtmacht
und keinen an sich ranläßt.
Damit
trifft er mich. Genau das hat mir Martha auch schon gesagt.
"Manche
Sachen sind nie vorbei.", sage ich und weiß genau, daß ich
wieder einfach nur resigniere, aufgebe ...
*******
Martha,
die Liebe, Gute … sie bemüht sich tatsächlich, ganz unbefangen
mit mir umzugehen.
Fragt
mich nach der Fashion-Week in Riga und ob ich dafür auch etwas
machen würde.
Sie
hätte allen Grund, mir Vorwürfe zu machen darüber, wie ich sie
behandelt habe.
Ich
tue mich schwer damit, mit meiner zermatschten Hand die Schere zu
halten. Martha bietet mir ihre Hilfe an, doch ich lehne ab.
Sie
kommt um den Tisch herum und legt mir ihre Hand sanft auf den Arm.
Ich
merke, wie diese Nähe mir gleich den Schweiß ausbrechen läßt. Ich
fange an zu zittern.
"Laß
dir helfen.", sagt sie und ich bin sicher, sie meint nicht nur
die Schnibbelei.
*******
Warum
tust du das, Martha?
Sagst
mir, daß unser Kuß sich so nah, so echt angefühlt hat …
Wir
waren uns nah. Und es waren echte Gefühle.
Ich
habe dir nichts vorgemacht.
Nicht,
als ich dich küßte.
Wie
sollst du nur verstehen, warum ich dich erst so innig küsse und dich
dann von mir stoße, wenn ich es dir nicht sage?
Du
bittest mich, mit dir zu reden. Es ist beinahe schon ein Flehen.
Du
willst mir helfen, ich spüre das.
"Du
hast schon mal mit mir geredet. Du kannst es wieder tun. Ich bin
hier. … Ich hör dir zu."
Ja,
ich weiß, das würdest du.
Aber
ich kann nicht.
Etwas
steht mir im Weg.
Und
das bin ich selbst.
Ich
könnte die Tür wieder öffnen.
Die
Tür von meinem Schrank.
In
dem ich seit mehr als zwanzig Jahren hocke.
Doch
wieder bin ich feige.
"Ich
glaube, so wie es jetzt ist, ist es besser für dich. Glaub mir."
Kann
ich mich darauf herausreden, daß ich sie nur schützen will, sie vor
weiterem Schmerz bewahren?
Werde
ich jemals imstande sein, meinen Schrank zu verlassen, meine Ängste
hinter mir zu lassen?
Wie
lange soll sie leiden, ohne zu wissen, wofür?
Sie
geht und ich bleibe allein mit meinem Schmerz.
Dem
Schmerz, den ich mir selbst zufüge. Dem Schmerz, den ich verdiene.
Für
meine Feigheit, nicht mal zu versuchen, Vergangenes hinter mir zu
lassen …
4357
Ich
kann ihre Anwesenheit kaum noch ertragen.
Ich
bin innerlich so aufgewühlt, kann kaum einen klaren Gedanken fassen.
Martha
fragt mich, unter welchem Thema ich meine Kollektion in Riga
präsentieren werde. Sie muß mich das zweimal fragen, weil ich in
Gedanken wieder ganz woanders bin.
Verwirrt
und irritiert antwortete ich „Luft.“
Ja,
das schwebt mir vor. Leichte, luftige Stoffe.
Wir
sehen uns im Stofflager um.
Martha
meint, etwas Passendes gefunden zu haben. Aber der Stoff ist grün.
Ob
sie schon mal grüne Luft gesehen hätte, frage ich sie und komme mir
hinterher dämlich vor. Mit der Begründung müßte ich jeden anderen
Stoff ablehnen, denn Luft hat nun mal gar keine Farbe.
Aber
ihre Nähe bringt mich einfach vollkommen durcheinander.
Wir
sehen uns um, unsere Blicke durchstreifen auch die oberen
Regalreihen.
Und
plötzlich deuten wir beide zur gleichen Zeit auf denselben Stoff.
Diese
Übereinstimmung unserer Empfindungen ist wieder mal beängstigend.
Ich
fordere sie auf, mir den Stoff von da oben runterzuholen.
Ja,
Juri Adam ist der Chef und deshalb muß seine Assistentin auf die
Leiter und die niederen Dienste versehen. Warum holst du deinen
Scheiß-Stoff nicht einfach selbst? Kämst sogar ohne Leiter dran …
Die
Strafe folgt auf dem Fuß.
Beim
Abstieg verliert Martha das Gleichgewicht, greift nach mir. Und ich
fange sie natürlich reflexhaft auf.
Und
so stehen wir da, sie die Arme um meinem Hals und mir viel, viel zu
nah …
Ohne
es zu wollen, ganz blitzartig, tritt der Kuß vor mein geistiges
Auge.
Für
Sekunden rieche ich wieder ihre süße, warme Haut, fühle ihre
weichen Lippen auf meinen …
Und
ebenso blitzartig wird mir bewußt, daß sie gerade exakt das Gleiche
empfindet, daß auch sie an diesen Kuß denkt.
Ein
Anflug von Panik beschleicht mich, ich mache mich von ihr los und
habe mal wieder nur den einen Wunsch – weg von ihr, weg aus ihrer
Nähe.
Ich
sage ihr, daß sie den Stoff zurücklegen soll. Ich will ihn nicht
mehr. Es hängt zuviel von ihr daran.
Ich
würde später alleine weitermachen, sage ich und flüchte vor ihr.
Ihr
Blick hatte Verständnis gezeigt; sie bemüht sich, mich zu verstehen
und auf mich einzugehen. Und das macht es noch schlimmer für mich.
Mir
wäre es lieber, sie wäre nicht so lieb und verständnisvoll.
*******
Eine
Weile später habe ich mich gefangen und Martha und ich arbeiten wie
sonst gut und professionell zusammen.
Sie
steckt eines der neuen Modelle an einem unserer Mädels ab.
Die
macht mir schöne Augen, fragt mich, ob wir nachher was essen gehen.
Das „essen“ betont sie in einer unmißverständlichen Weise und
ihre Blicke bestätigen, was sie wirklich will.
Mein
Blick trifft den Marthas und ich weiß, was ich nicht will –
nämlich vor ihr Sex mir der Kleinen klarzumachen. Mir steht der Sinn
ohnehin nicht danach.
Und
so lehne ich ab.
Plötzlich
steht eine Fremde im Türrahmen.
Ich
bin emotional angespannt und daher leicht reizbar. Erst recht, wenn
man mich bei der Arbeit stört.
Entsprechend
unfreundlich frage ich sie, wer sie ist.
Sie
sei Jessica Wasweißich von irgendeinem Modeblog und will mich
interviewen.
„Ich
gebe keine Interviews.“, pampe ich sie an und schmeiße sie raus.
Winke
Martha zu, daß sie mir das Weib vom Hals halten soll.
Während
Martha sich also um die Frau kümmert, versucht Charlene mich weiter
anzumachen.
Mir
ist das alles zuviel, am liebsten würde ich abhauen ...
*******
Ich
setze mir die Kopfhörer auf und versuche, den Kopf wieder für die
Arbeit frei zu bekommen.
Plötzlich
schrecke ich hoch. Diese nervige Frau von dem Modeblog wieder.
Sagt,
sie würde mich so lange nicht in Ruhe lassen, bis ich ihr ein paar
Fragen beantwortet hätte.
Wie
so oft, gleitet mein Blick ungewollt zu Martha, die in der Nähstube
an ihrem Tisch sitzt. Sie macht eine besänftigende Geste; ich
verstehe, daß ich mich zusammenreißen soll.
Ihr
zuliebe bemühe ich mich darum und gestatte der Frau drei Fragen.
Aber
so ganz gelingt es mir nicht, auf Friede, Freude, Eierkuchen zu
machen.
Schon
allein, daß sie das Gespräch aufzeichnen will, stinkt mir. Ich
nehme ihr das Gerät aus der Hand und schalte es aus.
Unbekümmert
nimmt sie Block und Stift zur Hand und zieht ihr Ding durch.
Sie
fragt, warum Riga. Ich starre stur geradeaus und antworte mit einer
Gegenfrage „Warum nicht?“
Ich
merke, daß sich meine Geduld in engen Grenzen hält, das kann nicht
lange gutgehen.
Ob
sie einen Vorgeschmack auf die Kollektion sehen dürfte.
Nein,
sage ich. Sie nervt mich.
Nur
ein ganz kleines Detail?
Hast
du mich nicht verstanden? Mein zweites Nein klingt bereits wesentlich
genervter.
Sie
läßt nicht locker, aber ich habe mitgezählt und sie hat ihre drei
Fragen verbraucht.
Sie
zieht ab.
Martha
sieht mich an, macht mir aber keine Vorhaltungen. Sie scheint zu
verstehen, daß ich im Moment einfach keine Nerven für so einen
Scheiß habe.
Unvermittelt
fragt sie mich, ob wir zusammen einen Kaffee trinken würden. Und
einen Bagel mit Remoulade und Roastbeef essen, das würde ich doch
gerne mögen.
Daß
sie alles abspeichert, was ich sage oder tue, könnte süß sein,
wenn es mir nicht solche Angst machen würde.
Diese
Vertrautheit zwischen uns sollte sich schön anfühlen, aber ich
schalte instinktiv auf Abwehr.
Sie
lächelt mich so liebevoll an, das macht es nur noch schlimmer.
Und
ich merke, wie meine Angst mich mehr und mehr aggressiv macht, wie
ich einfach um mich schlage.
Und
natürlich bekommt Martha das ab.
„Das
heißt ja nicht, daß ich sie jeden Tag essen muß, oder?“, meine
ich ausgesprochen unfreundlich zu ihr und lasse sie stehen.
Gerade
läuft Charlene durch den Raum und in einem leichten Anflug von
Verzweiflung, Frust und Haß auf mich selbst meine ich zu ihr, daß
ich jetzt doch gerne was essen gehen würde.
Mir
ist klar, daß ich Martha damit sehr verletze und demütige, aber
wenn ich sie so auf Abstand halten kann …
Und
ich habe vor, mich beim Sex mit Charlene so richtig auszutoben, alle
Gefühle auszuschalten und nur die reine Geilheit regieren zu lassen.
Es
wird einfach wie früher sein … schöner, unkomplizierter,
unverbindlicher Sex. Keine Erklärungen, keine Versprechungen, keine
Schuldgefühle ...
*******
Ich
bin mit Charlene bei mir. In äußerst knappen, sexy Shorts steht sie
vor mir und ich bräuchte nur noch ihren BH zu öffnen, um ihre
prallen, wohlgeformten Brüste liebkosen zu können.
Sie
hat mir das Shirt ausgezogen, ihre Lippen wandern über meinen
Oberkörper, ihre Zunge spielt mit meinen Brustwarzen.
Ich
müßte vor Lust stöhnen. Doch es regt sich nichts bei mir.
Verwirrt
und irritiert wende ich mich ab.
Starre
in die Luft und merke, daß ich mich einfach nicht fallenlassen kann.
Ich
spüre genau, daß es keinen Zweck hat.
Und
ich will auch gar nicht mehr.
Ich
schicke Charlene weg, sie ist natürlich tierisch beleidigt.
Und
ich habe das beunruhigende Gefühl, daß nichts mehr wie früher ist
...
*******
Irgendetwas
treibt mich dazu, den Koffer wieder unter dem Bett hervorzuziehen.
Ich
weiß nicht, was es ist, aber es sagt mir, daß ich mich mit meiner
Vergangenheit auseinandersetzen muß, oder alles in meinem Leben wird
zusammenbrechen. Und mich unter sich begraben.
Aber
es ist zuviel für mich. Die Fotos lassen alles wieder auf mich
einstürzen. All den Schmerz, all die Schuldgefühle. Eine ganze
Breitseite quälender Emotionen.
Vater
und Mutter … ich habe sie verloren. Und sie doch so sehr geliebt.
Nie
wieder will ich einen Menschen verlieren, den ich liebe! Der Schmerz
ist einfach unerträglich.
Überfordert
schlage ich den Deckel des Koffers zu. Und mit ihm den Deckel über
meinen wahren Gefühlen, über meinen Ängsten, über meiner Panik,
daß sich die Geschichte wiederholen könnte …
Ich
kann es einfach nicht. So sehr ich es ihr zuliebe auch möchte ...
*******
Es
klopft. Ich öffne. Martha.
Sie
stürmt an mir vorbei und fängt sofort an, aufgebracht auf mich
einzureden.
Ich
hätte Angst vor Nähe, weil mir alles genommen wurde, was mir je
etwas bedeutet hätte.
Ja,
diese Angst kann ich spüren. Ausgesprochen deutlich.
Aber
das alles sei vorbei, sagt sie.
Nein,
das ist es nicht. Nicht für mich. Die Vergangenheit hält mich fest.
„Juri,
ich bin da. … Und wenn du endlich aufhören würdest, mich ständig
von dir wegzustoßen … ich werde dich nicht verlassen.“
Ich
kann sie nicht ansehen, ihr nicht in die Augen sehen.
Ihre
Worte quälen mich, jedes einzelne schneidet mir tief in mein
Innerstes.
Oh
Martha, denkst du, das alles ist so einfach? Du sagst mir, du verläßt
mich nicht und all meine Ängste sind wie fortgewischt?
Du
verstehst nicht … ich bin gefangen … vielleicht will ich es sein
… weil ich es verdient habe, zu leiden ...
„Ich
hab das Gefühl, daß ich bei dir richtig bin.“
Martha,
nein!
Ich
möchte sie anschreien, daß sie damit aufhören soll.
Aufhören,
mir Dinge zu sagen, die mir so entsetzlich weh tun. Weil sie
Sehnsüchte wecken, die so schmerzlich sind, daß alles in mir
schreit.
Ich
starre meinen Sandsack an und weiß nicht, wohin mit meinem Schmerz.
„Ich
liebe dich, Juri! Seit unserer ersten Begegnung!“, schleudert sie
mir verzweifelt und unter Tränen entgegen. Sie kämpft um mich, um
meine Liebe.
Und
macht alles nur noch schlimmer.
Äußerlich
vollkommen ruhig, zerreißt es mich innerlich vor Qual.
Sie
muß weg, ich ertrage es einfach nicht!
All
die Emotionen im Raum … ihre, meine … sie sind fast mit Händen
greifbar.
Das
ist mehr, als ich verpacken kann.
In
meiner Verzweiflung greife ich zu einer Notlüge, ich weiß mir
anders nicht zu helfen.
Sage
ihr, Charlene wäre hier, im Bad und würde auf mich warten.
Und
schubse Martha einfach unsanft zur Tür raus.
Ich
bemühe mich gerade, meine Emotionen wieder unter Kontrolle zu
bringen, als Martha gegen die Tür hämmert und mich anschreit.
Warum
geht sie nicht? Warum gibt sie mir keine Chance, wieder
runterzukommen?
Der
Druck, den sie macht, läßt meine Panik wachsen.
Und
die Wut darüber, so ohnmächtig meinen Gefühlen ausgeliefert zu
sein.
Blanker
Zorn packt mich – auf Martha, auf mich, auf das ganze beschissene
Universum …
In
meiner Panik, dieser unerträglichen Situation nicht entrinnen zu
können, reiße ich die Tür auf, um der Sache ein Ende zu machen.
„Was
willst du?“, schreie ich sie an.
Sie
will wissen, was das mit uns ist. Was mein Problem sei.
Ich
kann nicht mehr klar denken, ich weiß nur instinktiv, daß sie weg
muß, weg aus meiner Nähe!
Vollkommen
unkontrolliert brülle ich sie an, daß da ein nacktes Model in
meinem Bad stünde und auf mich warten würde. Und sie würde mich
hier vollquasseln.
„Verpiß
dich!“, brülle ich. „RAUS!!!“
4358
Ohnmächtig
vor Zorn auf mich selbst, ohnmächtig vor Zorn, meinen Gefühlen so
ausgeliefert zu sein, schreie ich sie erneut an: „VERSCHWINDE!!!“
Sie
geht einfach nicht.
„RAUS!!!“
Schiere
Verzweiflung packt mich; ich will diese unerträgliche Situation
einfach nur beenden.
Laß
es zuende sein, egal wie …
Da
hat Martha ein Einsehen. Haut mir eine runter.
„Du
solltest dich was schämen.“ Der Blick in ihren Augen, der Tonfall
in ihrer Stimme schmerzen mich mehr als die gepfefferte Ohrfeige.
Dann
geht sie.
Als
ich die Tür hinter ihr zuschlage, spüre ich, wie ich haltlos
zittere.
Ohne
sie ansehen zu müssen, beginnt auch mein Verstand langsam wieder zu
arbeiten.
Und
mir wird bewußt, was ich gerade getan habe ...
Unbändiger
Haß auf mich selbst packt mich, ich fühle das starke Verlangen,
meinen Schädel mit voller Wucht vor den Betonpfeiler zu schlagen.
Um
den Schmerz nicht mehr spüren zu müssen. Und es wäre mir egal,
wenn ich daran krepieren würde. Alles, nur nicht mehr dieser Schmerz
…
Aber
auch hierfür bin ich zu feige.
Wie
ich zu feige bin, Martha zu sagen, was mein Problem ist.
Wie
ich zu feige bin, mich diesem Problem zu stellen.
Wie
ich zu feige bin, meinen Schrank zu verlassen.
In
der festen Überzeugung, alles zerstört zu haben, Martha für immer
verloren zu haben, ohne ihr … uns je eine Chance gegeben zu haben,
sinke ich am Stützpfeiler entlang auf den Boden.
Der
brennende Schmerz in mir weicht einer eisigen Kälte … einer Kälte
der Einsamkeit, der Hoffnungslosigkeit …
*******
Völlig
ausgepumpt hocke ich am Boden und starre vor mich hin.
Ich
bemerke einen Schatten vor den Milchglasscheiben, will mich wundern,
aber eigentlich ist es mir egal. Ich habe keine Kraft mehr.
Plötzlich
steht sie vor mir.
Ich
sehe sie an und weiß, daß ich mich nicht mehr wehren kann, nicht
mehr wehren will ...
„Daß
du diese Sachen im Krieg erlebt hast, das ist schlimm. Daß du
niemanden an dich ran läßt, weil du Angst hast, am Ende alleine
dazustehen, das verstehe ich. Aber das gibt dir noch längst nicht
das Recht, mich wie Dreck zu behandeln.“
Ich
weiß, Martha. Du hast Recht.
„Und
ich glaube wirklich, es macht absolut keinen Sinn, daß du von
vornherein alles tust, um einsam zu sein, Das ist nicht die Lösung,
Juri!“
Sie
klingt nicht nur verletzt, sie klingt auch verzweifelt.
Es
geht ihr nicht nur um ihr Glück, es tut ihr wirklich weh, zu sehen,
daß ich einsam und unglücklich bin.
Denn
das noch vor ihr zu verbergen, habe ich nicht mehr die Kraft.
Wo
das Model wäre, fragt sie.
Der
Umstand, daß ich allein auf dem Boden hocke, reicht als Antwort wohl
aus.
Ob
ich das nur gesagt hätte, um sie zu beleidigen?
Nein,
Martha, es war eine Notlüge. Du solltest einfach nur gehen, damit
ich mich wieder unter Kontrolle bekomme.
„Ich
habe dir schon mal gesagt, daß ich nicht gut für dich bin.“
Das
stimmt zwar. Ich tue ihr wirklich nicht gut. Ganz und gar nicht.
Und
doch weiche ich wieder aus, verschweige mein eigentliches Problem.
Und
ich weiß gar nicht, warum ich das noch tue, wo sie mit ihrem
Einfühlungsvermögen doch inzwischen erkannt hat, daß es meine
Verlustängste sind.
Warum
sagst du ihr nicht, daß du in ihrer Nähe Panik bekommst? Daß diese
Panik dich so sehr packt, daß du die Kontrolle über alles
verlierst, ein zitterndes Häufchen Elend wirst?
Ist
es dein Stolz, der dich nicht zugeben läßt, daß du schwach bist?
Nach
diesem Satz läßt sie mich endlich allein.
Allein
mit meinen Selbstvorwürfen.
Meinen
Schuldgefühlen.
Meinem
Schmerz.
Meiner
Einsamkeit.
*******
Ich
gehe zu LCL. Ich will arbeiten. Das ist immer noch die beste Therapie
für mich.
Mein
Blick wandert unbewußt zu Marthas Platz.
Sie
ist da. Und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll oder
nicht.
Doch
etwas läßt mich aufmerken, irgendetwas stimmt nicht …
Sie
packt. Räumt all ihre Sachen in einen Karton.
Jähe
Angst überfällt mich.
Sie
will mich verlassen!
Mir
ist klar, ich muß etwas tun, ich muß …
Und
dann stehe ich vor ihr.
Sie
sagt kein Wort. Sie beachtet mich gar nicht.
Ich
spüre einen dicken Kloß im Hals. Und bringe kein Wort raus.
Vollkommen
hilflos knacke ich eine Walnuß und biete ihr davon an.
Sie
blickt kaum auf, ignoriert mich weiter.
Sie
versteht meinen stummen Hilferuf nicht, meine Verzweiflung.
Aber
das kannst du auch nicht erwarten, nach dem, was du ihr jüngst
wieder angetan hast, Juri.
„Ähm,
vorhin … das war … ziemlich schlecht.“
Ist
das alles, was du rauskriegst, Juri?
Ziemlich
schlecht???
Du
hast sie mehr denn je gedemütigt und verletzt. Du hast ihre Gefühle
mit Füßen getreten.
Und
stehst hier vor ihr und meinst, du härtest sie ziemlich schlecht
behandelt?
Oh
Gott, Juri, du bist so erbärmlich in deiner Feigheit!
Warum
kannst du nicht einmal was richtig machen?
Sie
reagiert nicht. Ein Teil von mir versteht sie.
Der
andere, uneinsichtige, läßt mich genervt die Augen verdrehen.
Bin
ich wirklich so ein arrogantes Arschloch, daß ich erwarte, Martha
fällt mir gleich wieder um den Hals nach so einer armseligen Nummer?
„Sorry.“,
quetsche ich mir raus.
Sie
blickt mich kurz an. Und packt dann weiter.
Ich
sehe sie erstaunt hat. Ja, wie? Ich entschuldige mich und ihr ist das
wurscht?
Ach,
Juri! Glaubst du denn wirklich, das reicht, nachdem du sie derart
mies behandelt hast?
Ist
das alles, was von dir kommt?
„Und?“,
fragt sie.
Ich
ziehe nur die Augenbrauen hoch und zucke mit den Schultern.
Juri,
du verdammtest Stück Scheiße, warum bist du überhaupt zu ihr
gegangen, wenn du wieder nur halbe Sachen machst?
Entweder
du willst sie loswerden, dann kannst du dir deine armseligen
Entschuldigungsversuche echt sparen.
Oder
du willst, daß sie bleibt – dann muß ein bisschen mehr von dir
kommen als ein „sorry“.
Weißt
du überhaupt selber, was du willst?
„Das
war's.“ Nur zu deutlich ist die Enttäuschung in ihrer Stimme zu
hören.
Sie
hat mehr von dir erwartet.
Ich
wende mich ab, in dem sicheren Gefühl, es wieder versaut zu haben.
Doch
bremst sie mich. „Stop.“
„Du
glaubst vielleicht, für dich ist die Sache einfach so erledigt.“
Nein,
Martha. Ich bin einfach nur ein feiges Arschloch, der lieber
Menschen, die ihm etwas bedeuten, verletzt, als zuzugeben, daß er
ein ernsthaftes Problem hat.
„Aber
nicht für mich. Ich kann so nicht länger mit dir arbeiten.“
Ich
wußte es, ich habe es gespürt … daß sie mich verlassen will.
Endgültig.
Und
doch trifft es mich wie ein Faustschlag in den Magen, als sie es
ausspricht.
Ich
verstehe sie.
Sie
kann nicht mehr.
Sie
hat keine Kraft mehr, diese unerträgliche Situation zwischen euch
beiden noch länger auszuhalten.
Es
ist besser für sie, sie geht, bevor du sie völlig kaputtmachst.
Sie
soll, sie muß einmal an sich selbst denken. Und nicht nur an dich.
„Ich
werde gleich meine schriftliche Kündigung bei der Personalabteilung
und der Geschäftsführung einreichen. Und ich nehme ab sofort meinen
Resturlaub.“
Ich
mache den Versuch, etwas zu sagen, aber sie ahnt wohl, daß es wieder
nur leere Worte sein würden, denn sie läßt mich nicht ausreden.
Meint,
daß sie natürlich die Applikationen für Moschs Kollektion noch
fertigstellen würde. Aber von zuhause aus.
„Glückwunsch!
Du hast es geschafft. Du bist mich los.“
Die
Kälte in ihrer Stimme, der abweisende Ausdruck in ihren Augen lassen
etwas in mir zerbrechen.
Sie
wendet sich von mir ab.
Nicht
nur physisch, indem sie mir den Rücken zukehrt.
Auch
innerlich wendet sie sich von mir ab.
Und
ich habe es verdient.
Mir
ist nach Wegrennen. Und das tue ich auch.
Wieder
einmal.
*******
Rastlos
laufe ich draußen umher.
Irre
ziellos von einem Ort zum anderen.
Weiß
nicht, wohin mit mir.
Mit
all dem Schmerz in mir.
In
meinen Augen brennen Tränen, ich möchte heulen, aber meine Kehle
ist wie zugeschnürt.
Nur
ein trockenes Schluchzen entfährt mir.
Der
Schmerz sitzt tief.
Der
Schmerz um das Wissen, daß ich sie verloren habe.
Der
Schmerz um das Wissen, daß es allein meine Schuld ist.
Weil
ich es zugelassen habe.
Weil
ich zu feige, zu schwach bin.
Sie
ist stark.
Sie
trifft Entscheidungen und steht zu den Konsequenzen.
Ich
nicht.
Ich
bin der schwankende Halm im Wind, der sie heute küßt und morgen
fortjagt.
Der
sie heute loswerden und morgen festhalten will.
Der
tatenlos dabei zusieht, wie ich ihr und mir selbst das Leben zur
Hölle mache.
Wie
ich feige in meinem Schrank hockenbleibe, statt mich meinen Problemen
zu stellen.
Wie
ich vor allem davonlaufe, statt einmal den Mumm zu haben,
standzuhalten.
Die
Konsequenzen zu tragen, auch wenn es noch so schwer sein sollte.
*******
Marthas
Kollegen verabschieden sich herzlich von ihr.
Ich
sehe von oben zu, höre nicht die Worte, aber doch ist mir klar, daß
sie ihr Bedauern ausdrücken. Ihr zeigen, daß sie ihnen etwas
bedeutet, daß sie sie nicht gerne gehen lassen.
Und
was tue ich?
Wenn
ich schon so feige bin, sie gehen zu lassen, warum kann ich mich
nicht wenigstens überwinden, ihr alles Gute für die Zukunft, für
ihre Karriere zu wünschen?
Ist
das zuviel verlangt nach allem, was sie für mich getan hat?
Ich
sehe, wie Sascha sie zum Abschied lieb umarmt.
Schuldgefühle
packen mich, ich fühle mich schäbig.
Sie
hat ihn meinetwegen abgewiesen.
Ach
Martha, vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest dich auf ihn
eingelassen und mich als hoffnungslosen Fall abgehakt.
Ich
gebe dir keine Schuld, daß es so gekommen ist. Du kannst nichts
dafür.
Gefühle
kann man nicht beliebig ein- und ausschalten.
Wenn
das so einfach wäre, dann hätte ich keine Probleme.
*******
Getrieben
von dem verzweifelten Wunsch, noch etwas zu retten, bevor es
endgültig zu spät ist, stürze ich die Treppe hinunter.
„Martha!"
Dann
stehe ich vor ihr.
Sie
blickt mich herausfordernd an.
„Wenn
du hergekommen bist, um dich zu entschuldigen ...“
Ihr
kalter, abweisender Tonfall tut mir weh.
„Was?“
Ich
merke, sie ist nicht bereit, mir entgegenzukommen.
Martha,
bitte! Hilf mir!
So
flehe ich sie innerlich an.
Meine,
sie muß den Schmerz, die Qual in meinen Augen sehen.
Martha,
es tut mir so leid! Ich will nicht, daß du gehst! Ich brauche dich!
BITTE
HILF MIR!, schreit es in mir.
Und
doch stehe ich stumm da, bringe keinen Ton raus.
Der
Blick in ihren Augen schnürt mir die Kehle zu.
Und
sie wartet, Juri.
Du
siehst es genau.
Sie
wartet, daß du etwas sagst.
Wenige
Worte darüber, was du wirklich fühlst.
Doch
mir fehlt der Mut, die Schranktür aufzudrücken.
Hilflos
reiche ich ihr ihren Hut.
„Den
hier hast du vergessen.“
Juri,
du verdammter Idiot! Du vertust grade deine letzte Chance! Sag etwas!
Schreie es heraus, daß du Angst hast!
Doch
ich spüre, daß es zu spät ist, noch bevor sie sagt „Dann weiß
ich jetzt, daß ich nicht mehr wiederkommen brauche.“
Es
ist vorbei.
Ich
habe alles zerstört.
Jegliche
Hoffnung auf das Ende meiner Ängste.
Das
Ende meiner Einsamkeit.
Was
bleibt, ist der Schmerz.
Wieder
brennen Tränen in meinen Augen.
Wieder
schließt sich die Tür hinter ihr.
Weil
meine Tür nach wie vor verschlossen ist.
*******
Getrieben
von innerer Pein gehe ich wieder nach oben.
Der
Anblick von Marthas leerem Platz läßt mich vor Schmerz innerlich
aufschreien.
Nach
außen mache ich meiner Qual Luft, indem ich zwei Kolleginnen
anbrülle „RAUS!!!“. Völlig verschreckt flüchten sie vor mir.
Es
zieht mich an ihren Platz ...
Meine
Blicke schweifen durch den Raum, jeder Zentimeter des kleinen
Arbeitszimmers spricht zu mir von ihr ...
Verloren
lasse ich mich auf ihren Stuhl sinken.
Erinnerungen
werden wach.
Erinnerungen
an glückliche Tage, wo Martha mir ein Bügeleisen auf den Fuß
schmeißt.
Weil
sie vor lauter Verliebtheit in mich total nervös ist.
Erinnerungen
daran, wieviel Spaß wir beide hatten, als wir gemeinsam das Kleid
designt haben, welches mich und mein Schaffen auf die Titelseite
brachte.
Ich
höre ihr lebenslustiges Lachen, sehe ihr glückliches Gesicht, weil
sie sich so sehr freut, mit mir zusammen arbeiten zu dürfen …
Ich
habe ihr so viel bedeutet. Von Anfang an.
Ich
sehe mich, wie ich ihr gestehe, daß es mir Angst macht, daß sie
weiß, wie ich denke, wie ich fühle. Wie ich ihr sage, daß ich sie
trotzdem wieder als meine Assistentin will. Weil sie mir so viel
bedeutet, daß ich über meinen Schatten gesprungen bin.
Das
alles scheint eine Ewigkeit her zu sein.
Erinnerungen
an einen Kuß … an eine wundervolle, warme Vertrautheit. An soviel
echte, ehrliche Zärtlichkeit …
Ich
merke nicht, wie ich statt Marthas liebem Gesicht ihre Nähmaschine
streichle …
Erschöpft
vom Schmerz, von quälender Sehnsucht nach ihr sinkt mein Kopf auf
die Maschine ...
4359
Ich
fühle eine tiefe Traurigkeit.
Ich
habe das Gefühl, daß ich nie wieder Glück oder Freude empfinden
kann.
Martha
hinterläßt einen leeren Platz nicht nur in diesem Raum.
Auch
in mir.
Trostlosigkeit
macht sich in mir breit.
Hoffnungslosigkeit.
Und
die ebenso schmerzliche wie frustrierende Erkenntnis, daß es nur
weniger Worte bedurft hätte, damit sie bleibt.
Sie
liebt mich.
Sie
wäre geblieben.
Wenn
ich sie darum gebeten hätte.
Wenn
ich einfach nur „Hilf mir!“ geflüstert hätte.
Warum
nur muß diese verdammte Angst mir immer den Mund verschließen, wenn
ich eigentlich so viel sagen möchte?
Und
ich habe ihr heute mehrmals eine Menge sagen wollen.
Auf
die Arbeit kann ich mich nicht mehr konzentrieren.
Ich
ziehe mich um und gehe joggen.
Körperlich
erschöpft, aber innerlich immer noch aufgewühlt komme ich wieder
zuhause an.
Meine
Gedanken kommen einfach nicht zu Ruhe.
Wahrscheinlich
wäre es besser, unter Menschen zu gehen, statt im Stillen der Stimme
in meinem Inneren ausgeliefert zu sein.
Immer
klarer wird mir, daß ich heute meine größte, nein, die einzig
wirklich große Chance meines Lebens vertan habe.
Ein
Teil von mir möchte das alles vergessen und so weiterleben, wie
bisher.
Der
andere Teil will das nicht.
Und
das ist auch der Teil, der mir flüstert, daß ich so nicht
weiterleben kann.
Weil
nichts mehr so ist, wie früher.
Ich
kann nicht mehr vor mir selbst leugnen, daß ich mich früher oder
später meinen Problemen stellen muß.
Ich
habe so langsam nicht mehr die Kraft, wegzulaufen.
Für
heute flüchte ich mich in den Sljivovic. Nur, um endlich den Kopf
abschalten und schlafen zu können. Als Problembewältigung taugt das
Zeug gar nicht.
Probleme
können nämlich sehr gut schwimmen.
Die
nächsten Tage zwinge ich mich eisern zur Disziplin.
Schaffe
es zu meinem eigenen Erstaunen sogar, etwas zustande zu bringen.
Wenn
ich auch gestehen muß, daß ich alleine nicht so gut arbeite wie mit
Martha zusammen. Oder jedenfalls durch ihre Anwesenheit inspiriert.
Ich
mache mir Sorgen um sie.
Wenn
ich mich schon so beschissen fühle, wie muß ihr zumute sein?
Glücklicherweise
treffe ich sie nicht.
Ein
Blick in ihre Augen und vorbei wäre es mit meinem bisschen
Selbstbeherrschung.
Ich
trainiere viel.
Der
Frust und die Verzweiflung lassen mich unterschwellig aggressiv
werden. Und dem will ich gleich einen Riegel vorschieben.
Mit
hartem Boxtraining habe ich es im Griff.
Mir
fehlt dann einfach die Energie, um mich noch groß über irgendwas
aufzuregen.
So
zum Beispiel über den unerwarteten Besuch des
Lahnstein-Intrigantenpacks.
Wollten
mich dazu bringen, irgendeinem Töchterchen eines reichen
Geschäftsmannes schön zu tun.
Ich
hab gleich klargemacht, daß ich keine männliche Hostess bin, die
auf Bestellung gefällig wird.
Aber
die beiden Lahnsteins haben mir dezent gedroht, daß ich dann meinen
Job los bin.
Leider
ist der im Moment das Einzige, das verhindert, daß ich völlig den
Halt verliere.
Und
irgendetwas drängt mich dazu, da zu bleiben, wo Martha ist …
Also
lasse ich mich breitschlagen, ein wenig nett zu dem Mädel zu sein.
Ich
hoffe, ich habe deutlich gemacht, daß mehr als eine nette Plauderei
nicht drin ist.
Sie
ist aufdringlich. Sie ist penetrant. Sie ist nervig und quatscht mich
voll, während ich arbeite.
Ich
wünschte, Martha wäre hier und würde die kleine Nervensäge
entsorgen.
Aber
ich beiße mich tapfer durch.
Meine
kurzangebundene Art schreckt sie leider kaum ab; sie scheint das für
das normale Verhalten eines Künstlers zu halten.
Und
irgendwann ist auch das überstanden.
Dank
sei dem Boxtraining.
Ich
schlafe schlecht.
Jede
Nacht schrecke ich hoch, jedesmal geweckt von demselben Alptraum, der
mich schon so lange plagt … ein Traum, in dem ich nicht
feige in meinem Schrank hocken bleibe.
Ein
Traum, in dem ich ihn verlasse und etwas unternehme.
Es
könnte ein angenehmer Traum sein, wenn er mir nicht solche
Schuldgefühle bescheren würde.
Sie
wurden getötet und ich habe nichts getan.
Sie
sind tot und ich Feigling lebe.
Gerechtigkeit
sieht anders aus.
Aber
seit wann ist das Leben schon gerecht?
Doch
frage ich mich, ob mir der nächtlich wiederkehrende Traum nicht noch
etwas anderes sagen will.
Ein
Zeichen geben … in Bezug auf Martha?
Ich
habe nicht verdient, glücklich zu sein. Oder doch?
Ich
fürchte, in mir ist etwas passiert, das nicht rückgängig zu machen
ist.
Der
Schmerz, den ich wegen Martha empfinde, wirft Fragen auf.
Wie
lange kann ich ihnen noch ausweichen, wie lange kann ich mir noch
selbst etwas vormachen?
Aus
Angst vor der Angst leugnen, daß ich mehr für sie empfinde?
4363
Ich
vermisse Martha.
In
jeder Hinsicht.
Sie
hat mich ergänzt, mich erst komplett gemacht.
Und
als sie ging, ging ein Teil von mir mit. Wahrscheinlich der bessere.
Auf
jeden Fall der Teil, der mit dieser verdammten Kaffeemaschine
klarkommt.
Martha
hatte nie Probleme mit dem Ding.
Während
ich mich noch mit der unkooperativen Maschine herumärgere, labert
mich Tanja von und zu Nervensäge von der Seite an.
Ihr
paßt die Art nicht, wie ich ihr meine Entwürfe präsentiert habe.
Sie
will ein Portfolio mit einem anständigen Layout und keine lose
Blattsammlung.
Ich
sage ihr, daß ich hier kreativer Designer wäre und kein Büromensch.
Nee,
Juri, für sowas hattest du ja auch bis jetzt Martha.
Die
Maschine verweigert sich mir immer noch. Ärgerlich haue ich drauf,
aber sie kann was einstecken und bleibt stur. Ist wahrscheinlich
sanfte Frauenhände gewöhnt.
Die
Gräfin rät mir, Martha wieder einzustellen; ich könne mir ja nicht
mal 'nen Kaffee machen.
Es
stimmt, ohne Martha scheine ich kaum noch alltagstauglich.
Aber
das geht die Lahnstein nichts an.
In
dem Moment taucht Martha auf und unsere Blicke treffen sich.
Und
ihr Blick tut mir so weh, daß ich wieder mal innerlich schreie.
Ein
großes, unausgesprochenes Warum hängt in der Luft.
Und
ich habe keine Antwort darauf.
Dann
ist sie aus meinem Blickfeld verschwunden, ich wende mich wieder der
Maschine zu und gewinne meine Fassung zurück.
Sage,
daß ich früher auch keine Assistentin gehabt hätte und
klargekommen sei.
Bei
Tanja gehorcht die hinterhältige Maschine übrigens sofort.
*******
Ich
komme später wieder nach oben und wieder treffe ich Martha.
Ihr
Anblick ist so vertraut. Und doch ist sie mir ferner denn je.
Wieder
treffen sich unsere Blicke, wieder trifft mich ihrer schmerzlich in
meinem Inneren.
Ich
weiche ihm aus.
Sie
redet übrigens gerade mit Rebecca. Ob sie nun bei ihr arbeiten
möchte?
Irgendwie
mag ich das nicht glauben, denn sie wollte ja hauptsächlich aus
meiner Nähe weg.
Weil
die Situation zwischen uns, weil ich ihr unerträglich wurde.
Ich
weiß auch nicht, ob ich es ertragen könnte, sie täglich zu sehen.
Und
immer dieses Warum in meinem Kopf zu hören, auf das ich keine
Antwort weiß.
*******
Und
dann rennt sie mich versehentlich fast über den Haufen. Ich
verschlabbere meinen Kaffee und Erinnerungen steigen in mir hoch.
Erinnerungen
an eine verliebte, tollpatschige junge Frau, die sich in mein Herz
geschlichen hat ...
Wahrscheinlich
trage ich grad dieses Herz auf der Zunge, denn glücklich lächelnd
sage ich „Wie früher, hm?“.
Dann
holt Martha mich brutal in die Gegenwart zurück.
„Nein.
Nicht wie früher.“
Ihr
Ausdruck ist kalt und abweisend und diese Kälte läßt alles in mir
sich schmerzhaft zusammenziehen.
Ich
mag gehofft haben, daß sie anders reagieren würde, aber erwartet
habe ich es nicht.
Du
verdienst diese kühle Abfertigung, Juri.
Und
irgendwo bewundere ich Martha für ihre Stärke, für ihre
Konsequenz.
Wenn
sie mir doch ein wenig davon abgeben würde ...
Noch
in Gedanken versunken, blicke ich ihr nach, als Rebecca an mir
vorbeigeht.
„Der
eine braucht 'ne Assistentin, die andere 'nen Job. Könnte alles so
einfach sein.“
„Wenn
der eine nicht so ein Schwachkopf wäre.“, murmele ich vor mich
hin.
Oh,
Juri, da schmeichelst du dir aber grade. Die Stimme in dir hat da
noch ein paar ganz andere, passendere Bezeichnungen für dich ...
*******
Sascha
ist da.
Ich
weiß, daß er mit Martha Kontakt hat. Und es treibt mich, ihn zu
fragen, wie es ihr geht.
Es
ist keine Frage aus Höflichkeit, sondern aus echter Sorge.
Nur
weiß ich nicht, was ich für eine Antwort erwartet habe.
Sascha
meint, es ginge ihr gut, jetzt wo sie meinen Anblick nicht mehr
täglich ertragen müsse.
Ich
habe es soweit kommen lassen.
Es
ist allein deine Schuld, daß sie leidet, Juri.
Sascha
meint weiter, sie hätte keinen Job, kein Geld und irgendein Pisser
hätte ihr Herz gebrochen.
Deine
Schuld, Juri! Allein deine Schuld …
Ich
werde wütend, wütend auf mich, meine verdammte Feigheit.
Sascha
bezieht meine Wut auf sich, aber das ist mir egal.
*******
Wieso
laufen wir uns tagelang nicht über den Weg und heute ständig?
Sie
ist mit Sascha im No Limits.
Versucht
ihre Strick-Accessoires zu verkaufen.
Sie
braucht anscheinend wirklich dringend Geld.
Dann
erblickt sie mich und ist sichtlich nicht erfreut. Kein Zweifel, daß
sie mich wirklich nicht sehen will.
Schlagartig
wird mir bewußt, daß ich ihre verliebten Blicke vermisse. Und daß
sie immer meine Nähe gesucht hat.
Sie
fehlt mir so sehr.
Plötzlich
kommen ein paar Typen rein. Junge Bürschchen genau von der Sorte,
wie ich sie noch nie leiden konnte. Typen ohne Respekt. Typen, die
sich für stark halten, wenn sie im Rudel andere drangsalieren.
Einer
vergreift sich an Marthas Stricksachen.
Beleidigt
sie.
Ich
weiß, daß Martha sich gut alleine gegen solche Übergriffe wehren
kann.
Und
dennoch sehe ich mich selbst plötzlich neben ihr, wie ich mir den
Typen greife.
Mein
Bedürfnis, Martha schützen, sie verteidigen zu wollen, ist wohl
stärker als alles andere.
Doch
kalt weist sie meine Hilfe zurück, stößt mich von sich.
Das
trifft mich.
Habe
ich mir wirklich erhofft, daß eine ritterliche Geste von mir reicht,
damit sie mir verzeiht?
Vielleicht
hätte sie das früher getan.
Aber
sie ist gewachsen. Sie hat sich weiterentwickelt.
Und
du bist stehengeblieben.
Das
Schlimme ist, daß ihre Stärke, ihr Selbstbewußtsein mich anziehen
und sie mich noch mehr vermissen lassen.
*******
Ich
will ihr helfen.
Es
ist meine Schuld, daß sie keinen Job, kein Geld hat.
Klar
ist mir aber auch, daß sie sich von mir nicht helfen lassen wird.
Sie
hat ihren Stolz.
Also
höre ich mich um und finde eine Boutique, die ihre Stricksachen
verkaufen würde.
Lasse
aber durchblicken, daß ich gerne anonym bleiben möchte.
Seit
Tagen mal ansatzweise zufrieden mit mir, lehne ich mich lächelnd
zurück ...
*******
Auf
einmal steht Sascha bei mir auf der Matte.
Macht
mich an, ich solle Martha in Ruhe lassen.
Ich
vermute, daß er gerne vorhin am Pool Marthas Helden hatte spielen
wollen.
Doch
da irre ich mich.
Er
hat anscheinend gleich kapiert, daß ich hinter Marthas Auftrag
stecke.
Und
meint, ich wolle damit nur mein schlechtes Gewissen beruhigen.
Nun
irrt er sich.
Mein
schlechtes Gewissen, die Schuldgefühle verdiene ich.
Aber
ich will Martha einfach nur helfen. Ich will nicht, daß sie neben
ihrem Kummer wegen mir auch noch finanzielle Sorgen hat.
„Jetzt
steh' endlich dazu, daß du in sie verknallt bist … oder halt dich
aus ihrem Leben raus.“
Er
hat Recht, ich werde mich entscheiden müssen …
Aber
in einem hat er nicht Recht … ich bin nicht in Martha verknallt.
Eine
simple Verliebtheit würde mich nicht so quälen.
Was
ich für Martha fühle, ist mehr. Viel mehr …
Nur
muß ich das wohl selbst noch begreifen …
Sascha
steckt mir noch, daß es Martha noch mehr fertigmachen wird, wenn sie
rausfindet, daß ich hinter dem Auftrag stecke. Weil sie dann denken
würde, daß ich Mitleid mit ihr habe.
Das
hatte ich nicht bedacht.
Der
Gedanke macht mir Kummer.
Aber
kommt es auf einen bedrückenden Gedanken mehr bei mir noch an?
4365
Vergangene
Nacht hat mich wieder der altbekannte Alptraum hochgejagt.
Aber
in den frühen Morgenstunden hatte ich noch einen anderen Traum.
Martha
und ich, händchenhaltend im Park spazieren … die Sonne scheint uns
warm ins Gesicht … wir sehen uns in die Augen, bleiben kurz stehen,
küssen uns …
Als
ich aufwache, fühle ich mich glücklich und weiß zuerst gar nicht,
weshalb.
Bis
mir der Traum und seine Einzelheiten bewußt werden.
Bis
vor kurzem dachte ich, ich sei glücklich.
Ich
hatte einen guten Job, viel Sex mit wunderschönen Frauen.
Meine
Probleme belasteten mich im Alltag nicht.
Liebe?
Wer
braucht Liebe?
Das
war doch was für hoffnungslos realitätsferne Romantiker.
Bis
sie in mein Leben trat.
Gefühle
weckte.
Andere
vermissen ließ.
Und
mich vor die unangenehme Frage stellte, ob ich immer noch glücklich
bin.
Oder
es vielleicht nie war.
Ich
denke viel nach.
Martha
geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
Immer
wieder denke ich an unseren Kuß.
Und
an den Traum.
Hat
er etwas zu bedeuten? Und wenn ja, was hat er zu bedeuten?
Kann
so meine Zukunft aussehen?
Eine
Zukunft mit Martha?
Laß
mal außen vor, daß du wahrscheinlich beziehungsuntauglich bist,
weil du noch nie eine Beziehung hattest.
Laß
außen vor, daß sie dir wahrscheinlich eh nie verzeihen kann, was du
ihr angetan hast.
Aber
unabhängig davon … willst du sie, Juri?
Willst
du sie?
Ist
sie es dir wert, daß du dich ihretwegen überwindest, dich deinen
Ängsten zu stellen?
Bedeutet
sie dir so viel, daß du bereit bist, die Konsequenzen daraus zu
tragen?
Ein
Zurück wird es nicht geben …
Ich
kenne die Antwort.
Und
gleich stellt sich die nächste Frage.
Wann,
Juri?
Wann
bist du bereit, zu kämpfen?
Für
dich, für sie, für euch ...
*******
Diese
kurzsichtige Frau von der Boutique will Marthas Sachen nur auf
Kommission nehmen. Es sei ihnen doch zu riskant, Strickwaren von
einer unbekannten Designerin aufzukaufen.
Ich
bin stinksauer und sage ihr, daß sie mich mal am Allerwertesten
lecken kann.
Auf
Kommission! Was soll Martha das nutzen? Sie braucht jetzt
Geld.
Aber
gut, sie muß ja nicht unbedingt davon erfahren.
Die
Boutique könnte einen Boten schicken, der die fertigen Sachen abholt
und Martha das Geld gibt.
Schnell
haue ich einen Kumpel aus dem Boxclub darum an, den Boten zu machen.
*******
Bei
LCL merke ich dann, daß ich eine unruhige Nacht hatte. Ich penne in
der Besprechung mit Tanja, Rebecca und Alexa weg. Rebecca knufft mich
schließlich in die Seite und ich stehe auf. Im Stehen penne ich
sicher nicht so schnell wieder ein. Überhaupt finde ich das Gelaber
müßig, es geht um Budgetbeschränkungen und ich mache klar, daß
für weniger Geld auch weniger Erfolg zu erwarten ist.
*******
Ich
stehe an meinem Arbeitstisch und fühle mich seltsam verloren hier.
Und
ich weiß nicht, wie ich meine innere Unruhe loswerden soll. Meine
üblichen Techniken zum Entspannen, zum Kopffreimachen helfen nicht.
Es
ist komisch … seit Martha weg ist, ist sie mir viel
allgegenwärtiger als je zuvor.
Sie
geht mir nicht mehr aus dem Kopf, immer wieder drängt sich unser Kuß
in mein Bewußtsein und der Wunsch, dieses wunderbare Gefühl
zurückzuholen, es immer wieder zu erleben.
Juri,
tief in dir weißt du genau, was du dafür tun mußt.
Aber
du bist immer noch zu feige.
Wie
groß muß der Schmerz noch werden?
Oder
willst du leiden?
Willst
du Buße tun?
Aber
laß doch nicht sie leiden! Was kann sie für deine Probleme?
Verstohlen
sehe ich mich um. Und hole Marthas Wackelblume aus meiner Jacke.
Martha
hatte sie auf meinem Tisch vergessen und ich habe sie spontan
eingesteckt, ohne zu wissen, wieso.
Vielleicht
erhoffe ich mir von ihr eine Eingebung.
Martha
hat immer mit ihr gesprochen.
Ich
stelle das komische Ding vor mich hin und stupse es an.
Aber
mich deucht, das Blümchen ist Martha treu ergeben, denn es weigert
sich, für mich zu wackeln.
Geschweige
denn, mir einen nützlichen Rat zu geben.
Oh,
Juri, du warst immer schon ziemlich bescheuert, aber jetzt hast du
wohl wirklich 'nen Knall.
Als
Sascha auftaucht, stecke ich die Blume heimlich wieder in meine
Jacke.
Sie
ist das Einzige, was mir von Martha geblieben ist.
Ich
weiß, es ist lächerlich, aber das alberne Ding bei mir zu tragen,
hat was Tröstendes …
*******
Ich
bekomme mit, daß Martha Sascha anruft, weil sie blaue Wolle braucht.
Indigoblau.
Da bin ich mir sicher. Ich kenne sie.
Ich
sehe eine Chance, Martha zu helfen.
Und
biete Sascha an, ihm die Lagernummer zu geben, damit er das Gesuchte
findet.
Er
guckt mich nur komisch an.
„Ich
weiß, was sie will.“, sage ich leichtheraus.
Haha,
Juri, der war gut.
Du
weißt, was sie wirklich will.
Daß
du Farbe bekennst, nicht Farbe findest.
„Du
weißt eindeutig zuviel. Halt dich aus ihrem Leben raus. Du tust ihr
nicht gut.“, meint Sascha.
Ich
nicke ihm beschwichtigend zu, murmele „Okay.“ Er hat ja Recht.
Wenn
das nur so einfach wäre …
Es
zieht mich einfach zu ihr, als ob es eine Chance gäbe, daß alles
wieder so wird wie früher.
Wieso
glaube ich noch daran, klammere mich daran, wo ich doch im Grunde
weiß, daß es unmöglich ist?
*******
Völlig
unerwartet treffe ich Martha am Aufzug.
Ich
freue mich so, sie zu sehen, daß ich sicher strahle wie ein
Christbaum.
Doch
sie drückt den Knopf und die Tür schließt sich wieder.
Ich
drücke auch.
Und
wieder sie.
Und
wieder ich.
„Martha,
nun sei doch nicht albern!“, meine ich und bin mir sicher, daß sie
das Ganze gar nicht komisch findet.
Und
sie macht mir auch gleich unmißverständlich klar, daß sie nicht
mit mir reden will.
Ich
spüre ihre Enttäuschung, ihre Verletztheit fast körperlich.
Sie
hat das Gefühl, sich gründlich in mir geirrt zu haben, dem falschen
Mann ihre Liebe geschenkt zu haben.
Und
ich kann es ihr nicht verdenken.
Aber
etwas drängt mich, nicht aufzugeben.
*******
Ich
folge ihr ins Lager, weil ich weiß, daß sie dort nicht fündig
werden wird.
Ich
weiß, es ist bescheuert, aber ich habe mir alles Indigoblau
eingesteckt, weil ich es sein will, der ihr hilft.
Ich
will doch nichts weiter als ein kleines Lächeln …
Ein
verlegenes, schüchternes, verliebtes Lächeln … ein Lächeln, das
ich so vermisse ...
Sie
will wissen, woher ich wußte, daß sie diese Farbe braucht.
Ich
möchte ihr sagen, daß es Eingebung war, weil wir uns eben blind
verstehen, aber das traue ich mich nicht und anlügen will ich sie
eigentlich auch nicht.
Also
gestehe ich, daß ich es von Sascha weiß.
Sie
hätte die Wolle auch alleine gefunden, meint sie kühl.
„Ich
wollte nur nett sein.“, sage ich.
Aaargh,
Juri, du Vollidiot! Was du für einen Müll laberst! Denkst du auch
nur einmal nach, bevor du die Schnauze aufmachst?
Nach
dem, was du ihr angetan hast, was du ihr für Sachen ins Gesicht
geschleudert, wie du sie angebrüllt hast, muß ihr so ein Sprüchlein
wie der blanke Hohn vorkommen.
„Laß
das! Nett kannst du nicht.“, meint sie auch prompt.
„Ich
versuch's.“
Ja,
Juri, vielleicht.
Aber
meinst du wirklich, Martha verzeiht dir über diesen Wollknäueln
alles und fällt dir um den Hals?
Wie
naiv bist du eigentlich?
Martha
wühlt weiter in den Kisten. Sie ist offenbar zu stolz, meine Wolle
zu nehmen.
Aber
weil ich alles Indigoblau an mich genommen habe, sieht sie sich
gezwungen, die Wolle doch von mir anzunehmen.
Mir
fällt auf, daß sie gestreßt wirkt und ich spreche es auch aus.
Zum
einen, weil ich mir wirklich Sorgen mache. Immerhin ist es meine
Schuld, wenn es ihr nicht gut geht.
Und
zum anderen, weil ich dieses Gespräch am Laufen halten will.
Sie
erzählt von ihrem ersten eigenen Auftrag und daß sie dafür eben
viel zu tun hat.
Ich
lasse mir nicht anmerken, daß ich von dem Auftrag weiß, aber
stattdessen, daß ich mich für sie freue.
Sie
meint, sie sei jetzt endlich unabhängig. Von allem und jedem.
Ich
spüre genau, wen sie mit „jedem“ meint.
Dummerweise
bin ich jetzt wohl von ihr abhängig ...
Dann
kommt sie auf die abwegige Idee, für die Wolle bezahlen zu wollen.
Ich
winke ab, aber sie bleibt hartnäckig.
Und
ich habe keine andere Wahl, als sie an den Empfang zu verweisen.
Sie
scheint sich zu freuen, endlich einen Grund zu haben, mich
stehenlassen zu können.
So
hatte ich mir die Szene nicht vorgestellt.
Ich
sehe ihr nach, wie sie selbstbewußt und erhobenen Hauptes davon
geht. Sie wirft mir noch einen kühlen Blick zu. Und dann ist sie
weg.
Und
ich spüre, wie mich ihre Stärke und ihre unbeugsame Persönlichkeit
noch mehr anziehen als zuvor, mich sie noch viel mehr vermissen
lassen …
*******
Mein
Kumpel aus dem Boxclub bringt mir Marthas Stricksachen vorbei. Sagt
mir, daß alles glatt gegangen ist.
Ich
freue mich und danke ihm für seine Hilfe.
Dann
bemerke ich Martha, die mich anstarrt. Und den Karton in meiner Hand.
Ich
kapiere im Bruchteil einer Sekunde, daß mein Wunsch, Martha zu helfen,
nach hinten losgegangen ist.
Warum
konnte ich Trottel mir die Sachen nicht nach Hause bringen lassen?
Sicher, ich hatte nicht damit gerechnet, daß Martha hier sein würde.
Trotzdem …
Aber
was Martha angeht, habe ich einfach kein glückliches Händchen.
Egal, was ich sage oder tue, es ist immer falsch.
Ja,
Juri. Weil du nur halbe Sachen machst.
Nichts
mit ganzem Herzen.
*******
Natürlich
stellt sie mich zur Rede.
Mir
ist das furchtbar unangenehm.
Ich
habe ihr wirklich nur helfen wollen.
Aber
sie sollte nichts davon erfahren.
Weil
sie zu stolz gewesen wäre, meine Hilfe anzunehmen.
Ich
kann sie kaum ansehen, murmele was von Starthilfe.
Und
sie hätte doch meinetwegen ihren Job gekündigt.
„Ja,
weil du ihn mir zur Hölle gemacht hast!“
Touché.
Ich
fühle mich getroffen. Und schuldig.
Sie
hat alles Recht der Welt, mich so zusammenzufalten.
Ich
meine verzweifelt, daß jeder doch am Anfang Hilfe bräuchte.
„Aber
doch nicht von dir!“
Ja,
Martha, ich weiß. Deshalb solltest du ja auch nichts davon erfahren.
Meine
eigene Blödheit hat dafür gesorgt, daß sie nun noch wütender auf
mich ist als vorher.
Und
zu allem Unglück sieht sie sich jetzt auch noch als untalentierte
Versagerin.
„Martha,
deine Sachen sind gut.“, meine ich eindringlich.
Und
das sind sie wirklich.
Martha
leistet nur qualitativ hochwertige Arbeit. Auch wenn mir das Zeug
persönlich nicht zusagt, kann ich das anerkennen.
Außerdem
sind die Sachen liebevoll gefertigt, weil Martha alles, was sie
macht, mit ganzem Herzen macht …
Ich
bemerke Marthas abweisenden Blick und weiß, daß ich keine Chance
habe, auch wenn ich es noch so ehrlich meine.
Wie
konnte ich hoffen, daß sie mir, ausgerechnet mir glauben würde?
Sie
denkt sicher, ich will sie nur rumkriegen, damit sie wieder für mich
arbeitet und mir meinen Kaffee macht.
„Ich
wünschte, ich wäre dir nie begegnet.“
Da
Sascha dabei ist, lasse ich mir nicht anmerken, wie sehr mich diese
Bemerkung trifft.
Gut
gemacht, Juri! Du hast es echt geschafft, sie noch mehr zu verletzen.
Ich
hätte Lust, mich in ein Mauseloch zu verkriechen.
Sascha
steht noch da und beobachtet mich.
„Auf
deinen Kommentar bin ich jetzt echt gespannt.“, meine ich.
Das
gerade muß ja Wasser auf seine Mühlen gewesen sein.
Er
darf beiwohnen, wie Martha mich eiskalt auflaufen läßt.
Doch
er sagt gar nichts und läßt mich einfach stehen.
Und
das ist viel schlimmer, als wenn er mir Vorwürfe gemacht oder mich
beleidigt hätte.
Während
ich durchschnaufe und versuche, mich nicht verrückt zu machen,
entdecke ich etwas auf meinem Tisch, das da vorhin noch nicht war.
Ein
Prüfungszeugnis von Martha. Die Kopie ihrer Bewerbung zu einem
Design-Wettbewerb.
Ich
greife zum Telefon und finde heraus, daß man Marthas Zeugnis dort
sofort braucht, damit sie noch zum Wettbewerb zugelassen wird.
Ich
sehe eine neue Chance, Martha zu helfen und lasse alles andere stehen
und liegen ...
4366
Ich
bin mir ziemlich sicher, mir von Martha wieder eine gesalzene Ansage
einzuhandeln, aber das ist es mir wert. Sie ist gut, sie hat's drauf
und sie soll die Chance bekommen, die sie verdient.
Ich
wünsche mir sehr, daß sie den Wettbewerb gewinnt.
Nicht
nur, weil es ihrem Selbstbewußtsein gut tun würde.
Nein,
damit hätte sie auch ganz andere Möglichkeiten.
Ich
weiß, daß ich sie damit eher von mir wegtreibe, als sie zu halten,
aber es ist der bessere Weg.
Es
gibt ohnehin nichts, was ich tun könnte, um sie zu halten, außer
...
*******
Ich
schaffe es gerade mal wieder, mich gut auf meine Arbeit konzentrieren
zu können, als mich Tanja von Lahnstein heimsucht.
Auf
ihre unnachahmlich charmante Art macht sie mir klar, daß es meine
Schuld ist, daß die Gewinnerin des Nachwuchs-Designer-Wettbewerbes
nicht mehr für LCL arbeitet und sie deshalb keinen Nutzen aus der
Sache ziehen kann.
Martha,
meine Martha hat gewonnen!
Ich
freue mich anscheinend so offenkundig, daß auch die alte Giftspritze
es merkt.
Aber
das ist mir scheißegal.
Ich
habe immer an Martha und ihr Können, ihr Talent geglaubt und auch
wenn das sonst niemanden interessiert, nicht mal Martha selbst –
mir gibt es ein gutes Gefühl.
Leider
erinnert mich die eiskalte Blonde auf sehr unangenehme Weise daran,
daß Martha meinetwegen gekündigt hat.
Weil
sie es nicht mehr mit mir ausgehalten hat.
Meine
Freude ist erstmal verflogen und das schlechte Gewissen und die
Schuldgefühle gewinnen die Oberhand.
Die
Lahnstein verlangt von mir, daß ich Martha als meine Assistentin
zurückhole.
Ich
sage nein.
Ich
werde nicht versuchen, Martha zu etwas zu drängen, was sie nicht
will.
Doch
die Lahnstein hat gute Argumente.
Martha
hat nämlich die Kündigungsfrist nicht eingehalten. Und deshalb
seien ihre Entwürfe für den Wettbewerb juristisch gesehen Eigentum
von LCL.
Und
nun droht die Schlange mir damit, Martha zu verklagen, wenn ich sie
nicht zurückhole.
Ich
habe große Lust, etwas zu zerschlagen.
Hätte
sie mir gedroht, mich zu feuern, wäre mir das wurscht gewesen.
Leider
gibt es keinen Zweifel, daß die Lahnstein Ernst machen würde. Die
Frau ist gemein und skrupellos.
Ich
suche verzweifelt nach einem Ausweg, aber es gibt keinen.
Noch
auf dem Weg zu den Wolfs grüble ich, aber es will mir nichts
einfallen.
Und
ich habe Schiß vor der Begegnung mit Martha.
Schon
im Voraus schmerzt mich der kühle Ausdruck in ihren Augen und ihr
abweisender Tonfall ...
*******
Und
als ich schließlich vor ihr stehe, ist es noch schlimmer, als ich
dachte.
Ich
bin schrecklich verlegen und bemühe mich um Fassung.
Aus
Verzweiflung versuche ich einen geschäftsmäßigen Tonfall.
Ich
merke selbst, wie meine Gratulation zu ihrem Preisgewinn bei weitem
nicht so herzlich klingt wie sie sollte.
Ob
ich ihr Zeugnis bei der Prüfungskommission abgegeben hätte?
Ja,
es hätte auf dem Weg gelegen, flunkere ich.
Aber
damit, daß ich mich völlig abgehechelt habe, um es rechtzeitig zu
schaffen, kann ich sie sicher nicht beeindrucken.
„Danke.“,
sagt sie. Aber auch „War's das?“
Kein
Zweifel, daß ihr meine Gefälligkeit nicht wirklich etwas bedeutet.
Ich
sage ihr, daß sie die Kündigungsfrist nicht eingehalten hat und
ihren Job wieder antreten muß.
Sie
reagiert wie erwartet mit Ablehnung.
Und
meint, ich hätte sie erst rausgeekelt und jetzt, wo ich merke, daß
ich alleine nicht klarkomme …
Ich
bin wirklich froh, ihr sagen zu können, daß die Lahnstein
dahintersteckt.
Ich
mache ihr klar, daß die Ernst machen und auch vor juristischen
Mitteln nicht zurückschrecken wird, um ihre Forderung durchzusetzen.
Martha
ist wie vor den Kopf geschlagen, das sehe ich.
Sie
tut mir leid.
Sie
wollte unabhängig sein und nun das.
Sie
fragt mich, was ich von der Sache halte.
Und
so gern ich sie wieder bei mir haben möchte, sage ich ihr, daß ich
einfach nur will, daß es ihr gut geht.
Ob
sie mir das abkauft, weiß ich nicht.
*******
Als
ich Martha bei Jessica sehe, muß ich sofort zu ihr. Ich bin
aufgeregt und nervös.
„Und?“,
frage ich erwartungsvoll.
Sie
sagt mir gleich, daß sie nicht mehr als meine Assistentin arbeiten
kann.
„Okay.“,
sage ich verständnisvoll und das ist nicht geheuchelt.
Jessica
quatscht uns dazwischen und erwähnt irgendeinen „Oberhammer“.
Ich
sehe Martha fragend an und sie erklärt, daß sie sich als Designerin
bewerben will.
Sie
meint, ich sei sicher der Meinung, sie sei noch nicht erfahren genug.
Aber sie wolle es trotzdem versuchen.
Ich
mag ihren Kampfgeist.
„Ich
find' das gut. Setz dich durch!“, meine ich eindringlich und ich
hoffe inständig, daß sie merkt, daß ich es ehrlich meine.
Sie
schaut mich erstaunt an und bedankt sich. Offenbar hat sie das nicht
von mir erwartet.
Ich
freue mich, lasse mir das aber nicht anmerken.
Stattdessen
weise ich sie dezent darauf hin, sich die Kuchenkrümel abzuputzen,
bevor sie der Lahnstein ihre Aufwartung macht.
Daß
Martha wieder Kuchen ißt, ist sicher ein gutes Zeichen.
Ich
gehe … sie soll sich nicht von mir bedrängt oder verfolgt fühlen.
*******
Hinterher
fällt mir dann ein, daß ich ihr wenigstens noch ein paar Tipps hätte
geben können, wie sich gegenüber Tanja verhalten soll.
Ob
es Zufall ist, daß ich Martha wenige Augenblicke später im
Waschraum treffe?
„Ich
weiß, ich soll mich nicht einmischen.“, meine ich entschuldigend.
„Stimmt.“
„Aber
was du machst, ist gut.“
Diesmal
klingt ihr 'Danke' nicht mehr ganz so unbeteiligt.
Ich
stecke ihr, daß Tanja sie nicht warten läßt, weil sie wirklich zu
tun hat, sondern um sie weichzukochen.
„Überleg
dir genau, was du willst und dann setz es durch. Keine Kompromisse.“
Ich
nicke ihr aufmunternd zu.
„Ja.
Ich werd's versuchen.“ Sie klingt nicht ganz überzeugt von sich
selbst.
„Nicht
versuchen. Machen.“, bemühe ich mich, deutlicher zu werden.
„Denk
dir, du bist Champagner.“
„Champagner?“
„Ja,
oder Mohair, 'n Diamant, irgendwas Wertvolles. Denn das bist du.“
Ich
sehe ihr dabei direkt in die Augen.
Selten
habe ich etwas so ernst und ehrlich gemeint, wie das.
Und
es scheint, als würde sie es merken, denn das erste Mal seit einer
gefühlten Ewigkeit lächelt sie mich an.
Und
das macht mich in dem Moment einfach nur glücklich.
„Ich
werd' mir was überlegen.“ Sie lächelt immer noch.
„Du
schaffst das. Viel Glück!“
In
der Tür drehe ich mich noch einmal zu ihr um; ich will mir ihr
Lächeln einprägen …
*******
Später
rennen wir uns wieder fast über den Haufen.
„Champagner?“,
frage ich und blicke auf die Flasche in Marthas Hand.
„Sekt.
Aber das muß die Lahnstein ja nicht merken.“
„Du
hast es geschafft.“
„Ja,
ich bin Accessoire-Designerin.“
Sie
strahlt mich an.
„Gratuliere!“
Ich freue mich sehr für sie. Sie hat sich gegenüber dem Drachen
wirklich durchgesetzt und das war sicher nicht leicht.
Ihr
Blick fällt auf ihre Wackelblume auf meinem Tisch. Die, die sich mir
immer noch verweigert.
„Die
geht … irgendwie nicht richtig.“, meine ich verlegen.
Sie
lächelt mich an und meint „Darf ich?“.
Die
Blume erkennt sie sofort und tut, was gewünscht ist – sie wackelt
fröhlich vor sich hin.
Nein,
das ist natürlich Quatsch – irgendwas ist da auf der Unterseite,
wahrscheinlich ein Schiebeschalter oder sowas.
Ich
bin einfach zu blöd für Wackelblumen.
Aber
Martha rennt nicht vor mir davon – da ist mir alles andere eh egal.
Sogar
daß sie mir einfach nur die Blume in die Hand drückt, sich ihre
Flasche greift und mich stehenläßt, um mit ihren Kolleginnen
anzustoßen, tut mir nicht weh.
Ich
gönne ihr die Anerkennung, den schönen Erfolg und freue mich
ehrlich für sie.
Und
diesmal bin ich ganz sicher, sie spürt und glaubt mir das.
Ich
proste ihr in Ermanglung von Sekt mit der Blume zu und sie lacht mich
glücklich an.
Ich
weiß, das bezieht sich nicht auf mich, aber das sie mich an ihrem
Glück teilhaben läßt, indem sie es offen zeigt, bedeutet mir heute
alles ...
*******
Ich
liege noch lange wach an diesem Abend.
Daß
ich es geschafft habe, daß sie mir wieder etwas freundlicher
begegnet, macht mich einfach nur glücklich.
Es
ist nur ein kleiner Schritt, aber immerhin.
Vielleicht
bemerkt sie, daß ich mich wirklich ernsthaft bemühe.
Ich
sehe sie vor mir.
Eine
schöne Frau, so selbstbewußt, so strahlend …
Ich
glaube, es tut ihr wirklich gut, Abstand von mir zu haben.
Aber
in mir regt sich ein sehnsüchtiges Verlangen.
Ich
drücke mein Kissen an mich, weil ich sonst nichts (und niemanden)
zum Kuscheln habe und spüre, daß die Zeit reif ist.
Ich
kann und will meine Gefühle für Martha nicht länger leugnen, nicht
länger unterdrücken … egal, was das für Konsequenzen hat.
Über
diesen Gedanken schlafe ich ein.
4368
Heute
ist Marthas Preisverleihung.
Zufällig
bekomme ich mit, daß die Übergabe hier bei LCL stattfinden soll und
daß die Lahnstein für eine Live-Übertragung im Fernsehen gesorgt
hat, um mit Marthas Gewinn gleich Werbung für LCL machen zu können.
Als
ich ebenso zufällig mitbekomme, daß man einen Laudator sucht, melde
ich mich spontan freiwillig.
Ich
glaube nicht, daß es hier jemanden gibt, der Marthas Arbeit mehr zu
schätzen weiß als ich. Ich habe viele schöne Monate mit ihr
zusammengearbeitet und ich weiß, was sie kann, wie gut sie ist.
Unten
ist man überrascht, das hat man nicht von mir erwartet.
Wo
ich doch dafür bekannt bin, um jede Kamera, jeden Reporter einen
Riesenbogen zu machen und ziemlich ungehalten werden kann, wenn man
mich bedrängt.
Aber
für Martha werfe ich jetzt mal meine Prinzipien über Bord …
irgendetwas drängt mich einfach dazu.
„Ich
halte die Rede.“
Ich
sehe Martha an und kann nicht ergründen, was sie davon hält.
Möglicherweise
einen weiteren Versuch, mich wieder bei ihr einzuschleimen.
*******
Ich
mache mich gleich an die Arbeit, greife mir Papier und Stift.
Aber
es ist schwerer, als ich dachte.
Schon,
daß ich keinen Anfang finde, macht mich nervös.
Und
dann steht auf einmal Martha neben mir und wie es scheint, hatte ich
Recht mit meiner Befürchtung, sie könne denken, die Rede sei nur
eine Masche von mir.
Sie
will nicht, daß ich bei der Preisverleihung etwas über sie sage.
Das
trifft mich.
Ich
frage sie, ob sie denkt, daß ich das nur mache, um mich wieder in
ihr Leben zu drängen.
„Ist
das so?“
Ich
verneine.
Dann
will sie wissen, warum ich mich überhaupt für diese blöde Laudatio
gemeldet hätte.
„Wir
haben zusammen gearbeitet. Ich meine, wir hatten eine schöne Zeit
miteinander.“ Das meine ich wirklich ehrlich. „Ich ... ich hab
viel von dir gelernt. Du … du bist toll.“ Auch das meine ich
absolut ehrlich und ich hoffe, sie deutet mein nervöses Stammeln
richtig. „Du … du machst wirklich eine großartige Arbeit. …
Ich mach' das!“
Sie
lächelt, sie scheint sich nun doch zu freuen.
Dann
blamiere ich mich ziemlich, als ich sie frage, wann sie ihren
Abschluß gemacht hat. Eigentlich sollte ich das wissen.
Sie
scheint noch ein wenig skeptisch.
„Verlaß
dich auf mich – ich mach das.“, beruhige ich sie und bin wirklich
überzeugt, das hinzukriegen.
*******
Ich
stelle bald fest, daß es noch viel schwieriger ist, als ich dachte.
Ich
müßte etwas sagen über ihren beruflichen Werdegang, das will man
hören.
Aber
was ich sagen will, ist …
Ja,
was will ich denn wirklich sagen?
Ich
weiß, was ich nicht will … dröge Fakten runterleiern.
Martha
ist mehr als eine Liste von guten Zeugnissen, Abschlüssen etc. …
Martha ist …
Ich
halte ihre Bewerbungsmappe in der Hand und streichle versonnen über
die Konturen ihres Gesichts auf dem Paßfoto.
Tief
in Gedanken versunken werde ich von Sascha gestört.
„Ich
hab gehört, du hältst 'ne Rede auf Martha.“
Natürlich
weiß er es. Erwartet er von mir jetzt irgendeine Entgegnung?
„Gut.
Sie hat es verdient.“
Ich
bin mir nicht schlüssig, ob er meint, daß sie generell verdient
hat, daß jemand sie gebührend würdigt oder ob er eher andeuten
will, daß es Zeit ist, daß ich endlich einmal ausspreche,
was sie mir bedeutet.
„Es
ist wichtig für sie. Also vermassle es nicht.“, schärft er mir
ein.
Ich
weiß, er hat Recht. Ich habe es Martha nun versprochen und sie wäre
zu Recht maßlos enttäuscht, wenn ich die Sache in den Sand setze.
Aber
der Druck, den ich jetzt spüre, macht die ohnehin schwierige Sache
nicht gerade einfacher für mich.
Ich
greife mir meine Jacke und verschwinde. Das ist mir alles zu
turbulent hier, ich brauche Ruhe zum Nachdenken …
*******
Diese
Laudatio macht mich noch wahnsinnig!
Ich
zerknülle einen Versuch nach dem anderen.
Ich
darf das einfach nicht vermasseln!
Aber
alles, was ich zusammenstümpere, sagt viel zu wenig, sagt nichts
über Martha aus.
Über
das, was sie wirklich ausmacht.
Daß
sie eine gute Ausbildung hat, daß sie talentiert ist … das sind
doch schnöde Fakten.
Aber
was ist mit dem wunderbaren Menschen Martha, mit der warmherzigen
Frau, mit ihrer ganzen liebenswerten Persönlichkeit?
Das
Herz strömt mir über, es gibt so viel, was ich über Martha sagen
möchte.
Was
sie mir bedeutet, wieviel sie mir bedeutet …
Aber
ich konnte noch nie gut mit Worten umgehen und jetzt das, was ich
fühle, in eine wohlformulierte Rede fassen?
Unruhig
wandere ich durch's Zimmer, werfe mich in den Sessel, dann auf's
Bett, laufe wieder umher.
Ich
kann nicht fünf Minuten stillsitzen und weiß doch genau, wie nötig
es wäre, mich zu konzentrieren. Denn viel Zeit habe ich wohl nicht
mehr.
Und
ich habe das ganz, ganz dumme Gefühl, daß ich an einem Wendepunkt
meines Lebens angekommen bin.
*******
Ich
atme ganz tief durch, setzte mich auf's Bett und denke an sie.
Erinnerungen
durchströmen mich.
Schöne
Erinnerungen.
Mir
wird bewußt, daß uns beide von Anfang an etwas Besonderes verband.
Daß
wir immer eine besondere, einzigartige Beziehung zueinander hatten.
Geprägt
von tiefer, herzlicher Zuneigung.
Und
gegenseitigem Respekt.
Mir
wird klar, wieviel sie mir bedeutet.
Ich
vermisse sie schmerzlich.
Alles
an ihr.
Ihre
Tollpatschigkeit.
Ihr
fröhliches, offenes Lachen.
Ihre
liebevollen, zärtlichen Blicke.
Die
Wärme, die sie ausstrahlt.
Mir
wird bewußt, daß mich ihre Nähe nicht immer geängstigt hat. Nein,
daß ich mich auch sehr wohl mit ihr gefühlt habe.
Daß
ich sie gern um mich hatte.
Sie
fehlt mir.
Ich
denke an den einen Kuß, den Kuß, der mich in ein gefühlsmäßiges
Chaos stürzte …
Längst
habe ich die Augen geschlossen.
Ich
sehe ihr liebes Gesicht vor mir.
Rieche
ihre warme Haut.
Fühle
ihre weichen, süßen Lippen auf meinen.
Und
zum allerersten Mal lasse ich mich ganz bewußt auf diese Gefühle
ein.
Ich
öffne die Tür zu meinem Inneren und lasse all die Zärtlichkeit zu,
die ich für sie empfinde.
Ich
sehne mich nach ihr.
Wünschte,
sie wäre jetzt hier und wir könnten uns küssen.
Liebevoll,
zärtlich, leidenschaftlich …
Die
Gefühle überwältigen mich.
Doch
plötzlich …
Mein
Herz rast.
Und
das ist nicht die sehnsüchtige Erregung.
Ich
fühle mich fiebrig, taste nach meiner Stirn – sie ist voll kaltem
Schweiß.
Mein
Magen krampft und mir wird speiübel.
Zu
spät erkenne ich, daß mich eine Panikattacke eiskalt erwischt hat.
Weil
ich meine Gefühle für Martha zugelassen habe.
Aber
ich will nicht mehr umkehren!
Ich
will keine Angst mehr vor meinen eigenen Gefühlen haben.
Keine
Angst mehr, zu lieben.
Keine
Angst mehr, jemanden an mich heranzulassen.
Keine
Angst mehr, Martha den wahren, verletzlichen Juri zu zeigen.
Ich
muss, ich will das durchziehen!
Für
mich, für Martha, für uns.
Für
eine gemeinsame Zukunft.
Ich
zittere haltlos.
Der
Würgereiz treibt mich hoch.
Mit
zitternden Knien schleppe ich mich zum Badezimmer.
Mein
Kreislauf macht schlapp.
Obwohl
mein Herz rast, ist mein Blutdruck ganz unten.
Ich
spüre, wie ich weiß werde, mein Gesicht ganz kalt.
Meine
Beine knicken weg, schwer schlage ich gegen den Türrahmen.
Ich
sacke halb benommen zu Boden, schaffe es aber, nicht das Bewußtsein
zu verlieren.
Der
Kreislaufabsturz dreht mir den Magen um; ich erbreche mich auf den
Boden.
Es
ist brutal.
So
muß sich jemand auf kaltem Entzug fühlen.
Aber
meine Willenskraft ist ungebrochen.
Ich
ziehe das durch, egal wie hart es wird.
Und
so denke ich an Martha.
Durchstreife
meine Erinnerungen an all die schönen Momente, die wir teilten.
Und
das waren viele.
Ich
kotze mir die Seele aus dem Leib, bis mein Magen leer krampft.
Ich
fühle mich körperlich elend, schwach und ausgepumpt.
Aber
innerlich bin ich so stark wie nie zuvor.
Martha!
Liebe, süße Martha!
Ich
erinnere mich an meine letzte Panikattacke.
Wie
liebevoll-fürsorglich sie sich um mich gekümmert hat.
Wie
gut es mir getan hat, daß sie da war.
Ich
spüre ihren warmen Händedruck.
Und
halte mich an ihr fest. Ziehe mich hoch.
Gewinne
Stärke aus ihrer Liebe zu mir.
Und
so schaffe ich es, mich auch körperlich aufzurichten.
Ich
ziehe mich am Türrahmen hoch.
Halte
meinen Kopf für einige Sekunden unter kaltes Wasser, um wieder
klarer zu werden.
Das
hilft.
Dann
wanke ich rüber und lasse mich auf's Bett sinken.
Ich
kringele mich ein, drücke meinen Kopf ins Kissen und denke an
Martha.
Und
spüre, wie die Kälte in meinem Inneren langsam einer wohligen Wärme
weicht.
Sie
strömt durch meinen ganzen Körper und ich fühle mich in dieser
Wärme herrlich geborgen.
Ich
lasse mich fallen.
Martha,
ich liebe dich! Ich liebe dich …
Ganz
plötzlich ist es so einfach.
Ich
liebe dich.
Eine ganze Weile liege ich einfach so da, ein wenig verwirrt, aber irgendwie auch sehr erleichtert.
Doch
dann reißt mich ein schrecklicher Gedanke aus meinen Glücksgefühlen.
Die
Preisverleihung! Die Laudatio!
Mir
wird klar, daß ich Marthas großen Augenblick versäumt habe.
Genauso
schnell wird mir bewußt, wie sie sich fühlen muß, wieder einmal
von mir enttäuscht worden zu sein.
Zutiefst
verletzt.
Scheiße!
Ich
bin wütend auf mich selbst, über mein beschissenes Timing.
Und
ich habe Angst, mich ihr nicht mal erklären zu können, weil sie
höchstwahrscheinlich auf dem Absatz kehrt macht, sobald ich auf zehn
Meter an sie ran bin.
Nein,
ich bin nicht grade in der besten Stimmung, als es an meine Tür
hämmert.
„Laßt
mich alle in Ruhe!“, brülle ich.
Es
ist Sascha.
Und
er hämmert so lange gegen die Tür, bis ich entnervt aufmache.
Ich
weiß schon, was er will.
Mir
Vorhaltungen machen, daß ich Martha wieder einmal sehr verletzt
habe.
Daß
ich ein verdammtes Arschloch bin.
Daß
ich vor allem davonlaufe – vor mir, vor Martha, vor dem Leben.
Bis
vor kurzem hätte er sogar Recht gehabt.
Wobei
– das Arschloch bin ich wohl immer noch.
Aber
ich laufe nicht mehr davon.
Nicht
vor meinen Gefühlen für Martha.
„Du
könntest sie haben, diese Hammer-Frau. Einfach so.“
Mit
diesen wenigen Worten macht Sascha mir sehr eindringlich klar, was
ich eigentlich für ein Glückspilz bin.
Er
hat Recht – Martha ist eine wunderbare, einzigartige Frau und es
stimmt, ich könnte sie haben, weil sie mich von ganzem Herzen liebt.
Mir
wird klar, wieviel Sascha dafür geben würde, an meiner Stelle zu
sein, so von Martha geliebt zu werden, wie sie mich liebt …
Sascha
hält mich für einen hoffnungslosen Fall und ich bin grad nicht in
der Stimmung, ihn aufzuklären.
Aber
dankbar bin ich ihm doch für seine Moralpredigt.
Denn
mit seinem Hinweis darauf, daß Martha meinetwegen mal wieder völlig
fertig ist, hat er mir klar gemacht, daß ich sofort etwas tun muß,
daß das, was ich zu sagen habe, nicht bis morgen warten kann ...
*******
Ich
bekomme raus, daß Martha im Schneiders ist. Da wird irgendwas
gefeiert.
Ganz
ehrlich … ich habe Schiß!
Ich
will es unbedingt, ich will es von ganzem Herzen.
Aber
ich habe Angst, daß sie mir nicht mal zuhört.
Sascha
hat Recht, ich habe sie – wieder einmal - sehr enttäuscht, sehr
verletzt.
Kann
… will sie mir überhaupt noch irgendetwas glauben?
Ich
glaube, ich war noch nie in meinem Leben so nervös.
Aber
ich war auch noch nie in meinem Leben in dieser Situation.
Noch
nie zuvor habe ich für eine Frau das gefühlt, was ich für Martha
fühle …
Wie
erwartet, wendet sie sich sofort ab, als sie mich sieht.
„Martha
...“
„Du
hast es versprochen.“, sagt sie, mir den Rücken zukehrend. Die
Enttäuschung in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.
„Hier,
lies das bitte.“ Und halte ihr den Zettel hin, auf dem ich in
sicher alles andere als perfekter Rhetorik das zusammenzutragen
versucht habe, was sie mir wirklich bedeutet.
„Warum
sollte ich?“, fragt sie kalt und abweisend. Und schickt sich an, zu
gehen.
Ich
nehme all meinen Mut zusammen und stelle mich ihr in den Weg.
Wahrscheinlich
ist es auch besser, ich sage, was ich fühle, statt daß sie es
nur liest. Auch wenn es dieselben Worte sind, auch wenn es dasselbe
bedeutet …
„Marthas
Arbeit ist die Liebe zum Detail. Marthas Arbeit steht dafür, daß
kleine Dinge große Auswirkungen haben. Ich … äh, meine Mode hat
durch Martha sehr viel gewonnen. Und obwohl sie nur meine
Assistentin war, bin ich ziemlich sicher, daß ich das meiste gelernt
habe, aber das wollte ich eigentlich gar nicht sagen.“
Das
stimmt. Obwohl das alles richtig war, geht es am Kern der Sache
vorbei.
„Scheiße,
ich … Ich liebe dich.“
Es
ist raus.
Ich
habe es gesagt.
Vermutlich
nicht besonders eindrucksvoll und ganz sicher alles andere als
romantisch.
Aber
dafür offen und ehrlich.
Ich
weiß nicht, ob sie sich nach all dem, was zwischen uns war,
überhaupt noch auf mich einlassen kann, aber ich fühle mich
befreit.
Es
ist raus.
Ich
kann endlich offen zu meinen Gefühlen stehen.
4369
Sie
sieht mich an, sagt gar nichts.
Ich sehe ihr in die Augen.
„Ich
liebe dich.“
Beim zweiten Mal fällt
es mir schon leichter, es auszusprechen, stelle ich fest.
„Warum
jetzt?“
Berechtigte
Frage.
Weil
ich ein Feigling war, der Angst vor seinen eigenen Gefühlen hatte?
„Weil
… ich hatte keinen … ich hatte keinen Mut. Aber jetzt habe ich
Mut. Ich steh dazu, ich will mich drauf einlassen.“
Ich
merke selbst, wie unbeholfen und unsicher ich klinge.
„Tut
mir leid. Ich kann nicht.“, sagt sie und läßt mich stehen.
Ich
habe das Gefühl, als hätte man mir den Boden unter den Füßen
weggezogen.
Eben
noch fühlte ich mich stark.
Und
jetzt so entsetzlich hilflos.
Da
stehe ich jetzt mit all diesen intensiven Emotionen, die mich
überwältigen und es ist niemand da, der mich an die Hand nimmt und
mir hilft, damit klarzukommen.
Ich
habe so etwas doch noch nie gefühlt!
„Martha!,
schreie ich innerlich. „Laß mich nicht allein! Ich brauche dich!
Hilf mir, zu lernen, wie man mit solchen Gefühlen umgeht!“
Verzweiflung
packt mich. Und ein eiskaltes Gefühl von Trostlosigkeit.
*******
Ich
gehe nach Hause.
Versuche,
nicht durchzudrehen.
Mir
kommt alles so sinnlos vor.
Warum
liebt man eigentlich, wenn das alles nur mit Schmerz und Frust
verbunden ist?
Ist
Liebe wirklich so erstrebenswert?
Zeitgleich
mit trüben, destruktiven Gedanken fühle ich aber auch Positives
darin, sich nach einem Menschen zu sehnen.
Dieses
Gefühl ist nicht nur schmerzhaft, sondern irgendwie auch schön.
Auf
schmerzhafte Weise schön.
Ich
spüre, daß ich die Gefühle, die ich habe, nicht mehr missen
möchte, obwohl sie mir momentan solche Qual bereiten.
Aber
bin ich nicht wieder selbst schuld an meiner Qual?
Juri,
denke doch mal nach!
Du
hast gespürt, daß du mehr für sie empfindest.
Und
du hast ihr nichts davon gesagt.
Ja,
du hattest Angst, du hattest Panik.
Aber
genau das hättest du ihr sagen können.
Statt
sie anzulügen, anzubrüllen, ihre Gefühle immer wieder mit Füßen
zu treten.
Du
hast es geradezu drauf angelegt, es dir mit ihr zu verscherzen.
Hast
du dich auch nur einmal, ein einziges Mal wirklich in sie
hineinversetzt – hast versucht, ihre Situation zu verstehen?
Nein,
du warst viel zu sehr mit dir und deinen Problemchen beschäftigt.
Sascha
hat ganz Recht – du bist in Selbstmitleid zerflossen.
Gott,
hast du dir leid getan – du bist ja auch der Einzige, der es schwer
hat!
Ich
denke an unseren Kuß … diesen wundervollen, so unendlich
zärtlichen Kuß.
Leugne
es nicht … du hast dich noch zuvor so wohl und geborgen gefühlt
wie in diesem Augenblick.
Ihre
Nähe hat dir soviel vertraute Wärme gegeben.
Und
du sehnst dich danach, dieses Gefühl zurückzuholen, wieder und
wieder …
Und
wie entsetzlich mies hast du sie anschließend behandelt!
Ich
schäme mich zutiefst; wie tief bin ich gesunken, eine Frau, die
eine Frau, die mich mehr liebt, als ich es verdiene, so zu
behandeln?
„Ich
bin so ein Idiot.“
Resignation
befällt mich.
Ich
bin mir sicher, es endgültig versaut zu haben.
Meine
Entscheidung, endlich zu meinen Gefühlen zu stehen, kommt schlicht
zu spät.
In
mir keimt der Gedanke, einfach abzuhauen.
Meine
Gefühle für Martha zuzulassen, hat mich alle Kraft gekostet.
Nun
ist anscheinend keine mehr übrig, um zu kämpfen.
Und
so packe ich meinen Kram und buche mir einen Zugplatz nach Berlin.
Besser,
ich verschwinde aus ihrem Leben.
Wir
könnten eh nicht mehr zusammenarbeiten, es wäre eine Qual für uns
beide.
*******
Ich
habe gerade meinen Kram bei LCL gepackt, als mir Sascha über den Weg
läuft.
Natürlich.
Der
Typ hat echt ein beschissenes Timing.
„Du
feige Sau! Läßt sie erst im Stich und hast nicht mal die Eier, dich
bei ihr zu entschuldigen.“
Er
weiß nichts von meiner Liebeserklärung.
„Glaubst
du eigentlich, ich hab's versaut? Okay, ich hab's versaut. Ich hab
Martha um eine Chance gebeten. Und sie hat sich entschieden.“
Das
stimmt so nicht.
Du
hast sie nicht um eine Chance gebeten.
Du
hast ihre Gefühle mit Füßen getreten, ihr Vertrauen enttäuscht
und sie, ohne dich erstmal für dein Verhalten zu entschuldigen, mit
deiner Liebeserklärung überfallen.
Selbst
wenn sie sich auf dich hätte einlassen wollen, wäre sie hier
schlicht überfordert gewesen.
Und
du fühlst dich ungerecht behandelt?
Bist
wieder das arme Ich, das sich selbst bemitleidet, nicht?
Manchmal
glaube ich, du stehst drauf, frustriert zu sein …
„Also
gehe ich wieder dahin zurück, wo ich hergekommen bin.“
Ja,
hau ruhig ab, dich rückgratloses Weichei vermißt eh keiner!
„Und
verspielst damit das Beste, was dir je passiert ist.“
Darauf
weiß ich keine Antwort.
Dummerweise
schlagen genau diese Worte wieder eine Saite in mir an, die die
Sehnsucht nach Martha klingen läßt …
Das
Beste, das dir je passiert ist …
*******
Ich
stehe bereits neben dem Taxi, doch ein wenig unschlüssig, ob ich
gehen soll.
Ganz
sicher bin ich mir nicht.
Tief
in mir drin spüre ich, daß es ein Fehler wäre, der nie wieder
gutzumachen ist.
Ich
kann mich nicht entschließen, einzusteigen.
Und
während ich noch mit mir hadere, höre ich Reifenquietschen.
Ich
drehe mich um und … ja, da ist Martha!
Mein
Herz schlägt Purzelbäume und Hoffnung keimt in mir auf.
Sie
will nicht, daß du gehst!
Sie
hat viele Monate um deine Liebe gekämpft.
Warum
gibst du so schnell auf?
Ist
deine Liebe zu ihr so gering, so schwach, so viel weniger
bedingungslos als ihre?
Nein!
Doch
sie wendet sich ab.
Entschlossen
eile ich ihr nach, halte sie fest.
„Du
bist da.“, sage ich sanft und sehe sie an.
Und
sie?
Sie
schreit ihren Schmerz, ihre Enttäuschung darüber, daß ich sie
schon wieder allein lassen wollte, hinaus.
Nein,
Martha, das wollte ich nicht.
Nicht
wirklich.
Mein
Herz spricht eine deutliche Sprache.
Ich
will bei dir sein.
Ich
will mein Leben mit dir teilen.
Und
ich will dich nie mehr enttäuschen.
Und
während sie mir mit ihren Fäusten gegen die Brust hämmert und all
das rausläßt, was sich in ihr angestaut hat, bin ich auf einmal
innerlich ganz ruhig.
Und
ziehe sie sanft in meine Arme, halte sie fest.
Wahrscheinlich
liegt noch ein langer Weg vor uns, bis wir endgültig zueinander
finden, aber ich bin bereit …
4370
Ich
halte Martha im Arm.
Ich
weiß, sie weint.
Auch
sie ist durcheinander.
Und
weiß nicht mehr, was sie noch glauben soll.
Sanft
streichle ich ihr über den Kopf.
Auch
wenn es nicht die Umarmung ist, die ich mir erträumt habe, ist es
trotzdem ein wunderschönes Gefühl, sie endlich in meinen Armen zu
halten.
Ich
weiß, daß ich ihr keine Sicherheit geben kann, weil ich mich selber
noch so unsicher fühle.
So
verwirrt und emotional überlastet, wie wir beide sind, sind wir wohl
auch keine große Stütze füreinander.
Aber
ich will alles, wirklich Alles tun, damit wir zusammenkommen.
„Ich
weiß, ich brauche viel zu lange für sowas. Aber Gefühle sind nicht
mein Ding. Und dann sage ich es einmal und … du willst mich nicht.“
Ich
weiß, daß ich was Falsches gesagt habe, noch bevor ich es ganz
ausgesprochen habe.
Ich
bin noch unbeholfener, über meine Gefühle zu sprechen, als sie zu
haben.
Empört
macht sie sich aus meiner Umarmung frei.
Mir
ist bewußt, daß ich ihr ungewollt die Schuld zugeschoben und mich
als das arme Opfer hingestellt habe.
Sie
verteidigt sich glühend.
Nur
weil sie mir nicht gleich um den Hals gefallen wäre vor lauter
Glück, hätte ich einfach abhauen wollen? So schnell würde ich also
aufgeben?
Mir
wird klar, wie gering und minderwertig sie meine Liebe empfinden muß,
wenn ich bereit bin, gleich alles hinzuschmeißen und nicht mal den
Versuch mache, um sie zu kämpfen.
Juri,
du hast sie schon wieder verletzt. Du wirst noch einen traurigen
Rekord aufstellen, wenn du so weiter machst.
„Und
was du heute Mittag gesagt hast, das meinst du wohl auch nicht ernst,
was?“
Ich
reagiere ungewollt hart, weil mich ihre Worte sehr treffen.
Ich
packe ihren Arm, ziehe sie zu mir heran und sage ebenso ernst wie
eindringlich: „Jedes ... einzelne …Wort. ... Martha
… wie soll ich das erklären? Der Gedanke … daß … daß du …
daß überhaupt 'ne Frau mir jemals … nah sein könnte … die kenn
ich nicht.“
Verdammt,
ist das schwer, in Worte zu fassen, was in mir vorgeht.
Das
ist alles vollkommen neu für mich … wie soll ich mich erklären,
wenn ich mich doch so unsicher fühle?
Ich
bin nur in einem sicher … daß ich Martha liebe.
„Es
ist auch egal … ich will mit dir zusammen sein. Bitte sag mir
einfach, was ich tun soll, damit du mir vertraust.“
Sie
fragt mich, ob ich wüßte, was ich grad von ihr verlangen würde.
Wie
sie meinen Gefühlen vertrauen sollte, wenn ich es selbst nicht
könnte.
Sie
wendet sich von mir ab.
„Ich
lass' meine Gefühle grade zu.“, rufe ich und hoffe, sie begreift,
was das für mich bedeutet, wo ich mehr als zwanzig Jahre solche
Gefühle verleugnet habe.
Ob
ich meine Gefühle in einer Woche, einem Monat, einem Jahr immer noch
zulassen könne?
Ich
packe sie sanft, aber bestimmt an den Schultern, sehe ihr direkt in
die Augen und sage ganz offen und ehrlich: „Ja!“
Sie
sieht mich an und ich erkenne den Widerstreit der Gefühle in ihren
Augen.
Sie
schluckt hart, als sie meint „Ich kann nicht.“
Ich
spüre deutlich, daß es ihr sehr schwer fällt, mich erneut
abzuweisen.
Aber
sie kann wirklich nicht, das ist nicht zu übersehen.
Sie
läßt mich in einem Gefühlschaos stehen.
Ich
weiß nicht, was ich tun soll.
Aber
eines weiß ich – aufgeben und weglaufen ist nicht mehr.
Nie
wieder.
„Ich
werde es dir beweisen.“, sage ich, während ich ihr nachblicke.
*******
Ich
will so schnell wie möglich zu LCL.
Meine
Kündigung zerreißen, bevor sie jemand findet.
Am
Empfang ist niemand, das paßt mir gut.
Nervös
durchwühle ich alles.
„Hast
du was vergessen?“
Natürlich.
Sascha, die alte Filzlaus.
„Was
geht dich das an?“, frage ich gereizt.
Er
bietet mir seine Hilfe an.
Ich
mache nur verächtlich „Pfft.“Ich kann mir nicht vorstellen, wie
er mir bei meinem Problem mit Martha helfen sollte.
„Suchst
du deine Kündigung?“
Aber
clever ist das Kerlchen. So einfach macht man dem nichts vor.
Er
erklärt mir, daß der Boß die Post heute schon früher geholt habe
und winkt mit dem Kopf nach oben, hoch zum Büro von Ansgar von
Lahnstein.
Na,
großartig.
Das
beziehungsweise der hat mir grade noch gefehlt.
„Hast
du dir's anders überlegt? … Martha? … Ich hoffe, daß du jetzt
wenigstens 'nen Plan hast, was du machst.“, meint Sascha.
Oh
ja, den habe ich!
„Ich
will sie! Und ich werde es ihr beweisen!“
Entschlossen
stürme ich die Treppe hoch.
*******
Das
Gespräch mit dem Kotzbrocken von Grafen kostet mich echt Nerven.
Dieses
Arschloch denkt, ich hätte gekündigt, weil ich von der Konkurrenz
ein besseres Angebot hätte. Und jetzt sei der Deal geplatzt und ich
würde wieder angekrochen kommen.
Ich
habe keinen Bock, dem Wichser zu erzählen, um was es mir geht.
Blöd
ist er nicht; er merkt mir meinen inneren Aufruhr an und daß ich
viel zu emotional reagiere, als daß es um was Geschäftliches gehen
könnte.
Warum
ich nicht gleich gesagt hätte, daß es um 'ne Frau geht?
Und
er zerreißt meine Kündigung.
Das
ist alles, was ich wollte; was er über mich denkt, ist mir so
scheißegal.
*******
Ich
will mir Hilfe holen.
Mir
ist klargeworden, daß ich viel zu unerfahren in solchen Dingen bin,
um diese sensible Angelegenheit so zu handeln, daß ich Martha nicht
wieder ungewollt verletze.
Mir
fällt Marthas Cousine Dana ein … ich meine, Martha hat sich bei
ihr oft meinetwegen ausgeheult.
Sie
kennt Martha gut, sie wird mir sagen können, was ich machen, wie ich
mich verhalten soll.
Zwar
fest entschlossen, aber trotzdem unsicher stehe ich vor ihrer Tür.
Ich
habe extra nur geklopft, weil es spät ist und ich weiß, daß es da
ein Baby gibt.
Aber
ich war wohl in meiner Verzweiflung, endlich zu erfahren, was ich tun
soll, übereifrig.
Verlegen
stelle ich mich vor, aber sie weiß, wer ich bin.
Ich
gratuliere ihr zur Hochzeit und komme mir total blöd dabei vor.
Weil
mich im Moment doch nur eines interessiert.
Martha.
Ziemlich
unfreundlich macht sie mir klar, daß Martha nicht da sei und daß
sie aber ohnehin ganz sicher nicht mit mir sprechen wolle. Und
schickt sich an, die Tür zuzumachen.
„Ich
will zu dir.“
Damit
habe ich sie wohl verblüfft, denn die schon halb geschlossene Tür
öffnet sich wieder.
„Stör
ich?“
Ich
komme mir ziemlich unverschämt vor, aber sie ist wirklich die
Einzige, die mir als mögliche Hilfe eingefallen ist.
„Ja
… was mach ich jetzt hier?“
„Kann
das sein, daß du das öfter nicht weißt? So und jetzt raus oder
rein, es zieht!“
In
meiner Verlegenheit bin ich leichte Beute für ihre Angriffslust.
Und
dann kommt ein Donnerwetter, mit dem ich nicht gerechnet, das ich
aber verdient habe.
Vor
mir steht eine temperamentvolle Frau, die auf Marthas Seite steht und
sie bis auf's Blut verteidigen würde.
Das
arrogante, wehleidige, egozentrische und egoistische Arschloch
ertrage ich ergeben.
„Und
du hast meine Cousine überhaupt nicht verdient!“
Auch
wenn mir das jetzt so gar nicht weiterhilft, kann ich nicht anders,
als ihr meine Anerkennung darüber auszusprechen, daß sie mir so
offen die Meinung geigt.
*******
Wider
Erwarten ist sie dann doch bereit, mir zuzuhören.
„Ich
weiß, ich hab viel wiedergutzumachen.“
Oh
ja, Juri, das hast du! Dafür wirst du ein Leben lang brauchen!
Aber
ich täte es gerne, wenn ich nur die Gelegenheit dazu bekäme.
Es
fällt mir schwer, mit Dana über meine Gefühle für Martha zu
sprechen.
Ich
bin das einfach nicht gewohnt.
Und
einem Menschen gegenüber, den ich nicht kenne und der mir nicht
gerade wohlgesonnen ist, fällt es mir noch schwerer.
Aber
ich muß es tun.
Wenn
ich Dana nicht von der Ernsthaftigkeit meiner Gefühle überzeuge,
wie soll ich sie dann dazu bringen, daß sie mir hilft?
„Was
soll ich machen?“
„Du
hast ganz schön viel kaputtgemacht.“, sagt sie kühl.
Ja,
ich weiß.
Ich
reagiere ungeduldig, weil ich Angst habe, daß sie mir überhaupt
nicht helfen will.
„Kannst
du bitte auf meine Frage antworten?“
Ich
merke, wie unhöflich das klingt, aber für mich geht es hier um mein
Leben, meine Zukunft und darum, ob ich mit Martha glücklich sein
werde oder frustriert vereinsame.
Mit
anderen Worten – es geht um alles.
Sie
macht mir klar, daß ich sehr viel Geduld brauchen werde.
„Und
'nen guten Zahnarzt, falls du doch wieder einen Rückzieher machen
solltest.“
Ich
begreife, daß ich mich mit dieser Frau besser nicht anlegen sollte.
Und
erst jetzt merke ich, daß ich mich die ganze Zeit an der Weinflasche
festgehalten habe, die als Entschuldigung für die Störung zu dieser
späten Stunde dienen sollte.
Ich
fürchte, ich bin doch ein wenig durch den Wind ...
*******
Ungeduldig
warte ich darauf, daß Martha bei LCL auftaucht.
Ich
stehe sicher schon eine ganze Stunde nervös hinter meinem
Arbeitstisch und blicke alle paar Sekunden zur Tür.
Und
dann kommt sie endlich.
Sie
scheint erstaunt, mich zu sehen. Aber sie macht auch gleichzeitig den
Eindruck, als hätte sie es erhofft.
Ich
spüre, sie würde so gerne sehen, daß ich es ernst meine.
Und
mir wird noch deutlicher als zuvor, wie wichtig es ist, sie diesmal
nicht zu enttäuschen.
Denn
dies ist wirklich meine letzte Chance, das spüre ich genau.
„Ich
hab mich schlecht verhalten, ich weiß. Und viel zu lange. Aber das
ändert sich jetzt. Ich bleibe jetzt hier. Bei dir. Das verspreche
ich.“
Ihr
Anblick wühlt alle meine Emotionen auf, es ist mir beinahe
unmöglich, ruhig und gelassen zu bleiben.
Ich
wünsche mir so sehr, sie in meine Arme zu nehmen, sie zärtlich zu
küssen.
Daß
ich vor lauter Sehnsucht nach ihr viel zu viel Druck mache, bekomme
ich sofort zu spüren.
Sie
wirft mir vor, daß ich sie erst wochenlang zurückstoße und jetzt
würde ich Vollgas geben. Das ginge gar nicht.
Sie
klingt überfordert.
„Was
soll ich denn machen?“, frage ich hilflos, „Ich habe Angst, daß
du mir einfach wieder wegläufst, verstehst du das nicht?“
Wer
läuft denn hier immer weg … sie oder du?
„Ja.
Dann weißt du, wie ich mich wochenlang gefühlt habe.“
Ja,
Juri, das mußt du dir wohl gefallen lassen.
Sie
spricht auch die unangenehmen „Überraschungen“ an, mein
wankelmütiges Verhalten … sie heute zu küssen und morgen
fortzujagen.
Ich
nehme sie sanft bei den Armen.
„Keine
Überraschungen mehr. … Du kennst mich doch.“
Was
soll der Spruch denn, Juri?
Du
kennst dich ja nicht mal selber.
Und
sie weiß erst recht nicht, was sie von dir halten soll.
Sie
meint, sie hätte zu tun und wendet sich ab.
Ich
gerate in Panik, habe das Gefühl, daß mir alle Felle
davonschwimmen.
Ich
stammele und stottere und merke selbst, wie unsicher und wenig
überzeugend ich klinge.
„Außerdem
… es ist doch alles ganz einfach – ich kann ohne dich nicht …
weder arbeiten noch leben. Und … und … ich will dich und du
willst mich.“
„Juri
... ich brauche Raum. Bedräng mich bitte nicht.“
Und
sie macht die Tür hinter sich zu.
Ich
sehe sie durch die Milchglasscheibe; sie steht mit dem Rücken zur
Tür.
Und
ich fühle die Sehnsucht in mir stärker als je zuvor.
Das
Glas der Scheibe ist kalt.
Ja,
Juri, es ist doch alles ganz einfach …
Du
bist so ein Idiot.
Obwohl
Dana dich um Geduld ermahnt hat, hast du nur daran gedacht, dich ihr
zu beweisen und hast viel zu viel Druck gemacht.
Du
hast wieder mal überhaupt keine Rücksicht auf ihre Gefühle
genommen.
Vielleicht
denkst du zur Abwechslung mal weniger an dein Herzeleid und mehr an
ihr Wohlergehen.
*******
Doch
dann habe ich plötzlich eine Idee.
Ziemlich
sicher, einen überzeugenden Beweis meiner Ernsthaftigkeit in der
Hand zu halten, stehe ich erwartungsvoll vor Martha.
„Was
ist das?“, will sie wissen.
Es
ist ein Ticket, ein Hinflug nach Berlin. Keine Rückreise.
Martha
deutet das völlig falsch, aber das wußte ich vorher.
Sie
meint, ich wolle sie schon wieder loswerden.
Oh
nein, meine Süße!
„Das
Ticket ist für mich.“, sage ich.
„Für
dich?“ Sie ist verwirrt.
„Wenn
ich dir zu sehr auf die Nerven gehe, schickst du mich nach Berlin. …
Du hast mich in der Hand, Babe.“
So
ganz kann ich mir das Grinsen nicht verkneifen, als ich ihr
vielsagend in die Augen schaue und sie dann in Ruhe lasse.
Ich
bin sicher, sie hat jetzt eine Menge Stoff zum Nachdenken.
*******
Ich
brauche ein wenig frische Luft und trinke meinen Kaffee draußen, als
mir mal wieder Sascha über den Weg läuft.
Er
hält die Nummer mit dem Ticket für 'ne coole Sache.
Ich
würde gerne wissen, was Martha über mich gesagt hat.
Er
meint, sie wäre beeindruckt gewesen.
„Ja?“
Er
spürt wohl die erwartungsvolle Freude in meiner Stimme.
„Ich
hab gesagt 'beeindruckt', nicht 'begeistert'.“
„Bleib
dran. Es lohnt sich.“
Sascha
ist ein feiner, anständiger Kerl.
Er
weiß, Martha liebt mich, will mich und nicht ihn.
Und
obwohl er echte Gefühle für sie hat, legt er mir keine Steine in
den Weg, im Gegenteil.
Er
stellt ihr Glück über sein eigenes.
Er
hat sie viel mehr verdient als ich.
Aber
ich werde alles dafür tun, daß ich sie und ihre Liebe ebenfalls
verdiene.
4372
Ach,
es ist alles nicht so einfach …
Ich
komme nach oben, Martha ist da.
Ich
werfe meine Jacke zur Seite und dabei segeln etliche von Marthas
Sachen zu Boden.
Ich
will ihr helfen, doch sie weist mich kühl ab.
Aber
ich lasse mich nicht beirren und schon gar nicht entmutigen.
Ich
denke an Saschas Worte: Bleib dran. Es lohnt sich.
Nee,
meine liebe Martha, so leicht wirst du mich nicht los.
Auch
nicht damit, daß du das Berlin-Ticket zur Sicherheit immer bei dir
trägst.
Sie
spricht von 'Optionen offenhalten', aber mir ist klar, daß sie eben
einfach nur wissen will, wie ernst es mir mit ihr ist.
Sehr
ernst, Süße. Und eines Tages wirst du das erkennen.
Diese
Alexa oder wie sie heißt, stört uns.
Die
mit den verdammten Pelzen.
Sie
will zu Martha.
Ich
trete beiseite, aber natürlich lausche ich.
Es
geht schließlich um Martha.
Dieses
Gör reißt hier ganz schön die Klappe auf, das habe ich schon
mitbekommen.
Nun
verlangt sie von Martha neue Entwürfe. Bis morgen.
Als
sie weg ist, will ich Martha Mut zusprechen.
Aber
sie weist mein „Du schaffst das.“ mit einem „Das weiß ich.“
kühl zurück und die Nuß, die ich ihr anbiete, ignoriert sie auch.
Sie
läßt mich zappeln.
Ich
nehme es ihr nicht übel. Nach all dem, was war, wie ich sie
behandelt habe, will sie einfach Sicherheit.
Und
hey – sie hat mit mir viel mehr auszuhalten gehabt.
*******
Martha
hat eine kreative Blockade.
Ich
erkenne das sofort; die Anzeichen sind mir vertraut.
Mal
schauen, ob sie sich von mir helfen läßt.
Zuallererst
streitet sie schon mal ab, eine Blockade zu haben.
Und
dann meint sie unmißverständlich, daß sie überhaupt am besten
alleine arbeiten könne.
Ganz
alleine.
Ich
hab schon verstanden, Martha.
Aber
bevor ich gehe, lege ich heimlich mein Telefon auf ihren Tisch.
So
habe ich später einen Vorwand, um nochmal zu ihr zu gehen und zu
sehen, wie sie vorankommt.
Ich
wünsche mir so sehr, daß sie es diesem verzogenen Gör mit ihren
Pelzen zeigt!
Kaum
bin ich draußen, klingelt mein LCL-Handy.
Es
ist Marlene, eine von Marthas Cousinen, die Vertretung am Empfang
macht.
Und
die mir gerade sagt, daß ich Tanja meine Kollektion morgen auf dem
Weg zum Flughafen im Auto präsentieren soll.
Die
haben hier echt 'nen Knall!
Warum
können wir uns nicht 'ne Stunde früher hier treffen und das alles
bequatschen?
Während
ich mich von dem Theater genervt fühle, bemerke ich, daß Martha
mich beobachtet.
Ich
wußte es!
Ich
schwirre genauso in ihrem Kopf herum wie sie in meinem.
Martha,
du kannst mir nicht lange widerstehen.
Dazu
liebst du mich zu sehr.
*******
Es
ist schon spät, aber ich weiß, Martha sitzt immer noch an ihren
Entwürfen.
Und
so zieht es mich nicht nach Hause.
Sie
ist immer noch blockiert. Und ich will ihr helfen.
Also
starte ich einen neuen Versuch.
Sage
ihr, daß das beste Mittel gegen Blockaden ist, einfach mal richtig
auszurasten. Und danach noch mal von vorn anzufangen.
Sie
ist nicht begeistert.
Weder
von meinem Vorschlag noch davon, daß ich schon wieder bei ihr
rumschleiche.
Was
ich hier noch machen würde, fragt sie und mir ist klar, daß ich
unerwünscht bin.
Hier
kommt mein vergessenes Handy ins Spiel.
Sie
läßt sich nicht anmerken, ob sie mir das abkauft.
Sie
wünscht mir einen schönen Feierabend. Deutlicher geht es kaum.
Aber
ich lasse mich nicht abwimmeln. Ich will ihr helfen.
„Weißt
du noch, wie du mir damals geholfen hast, wenn ich 'ne Blockade
hatte?“
„Mit
meinen tollpatschigen Aktionen?“
„Genau.
Jetzt bin ich hier, um dir zu helfen.“
„Okay.
Fang an.“
Das
ist ein echter Fortschritt.
Und
sei es nur, weil sie hofft, daß sie mich anschließend endlich los
ist – sie nimmt meine Hilfe an.
Statt
das Berlin-Ticket aus der Tasche zu ziehen.
Ich
rate ihr, alles rauszuschreien, was sie frustriert, was sie wütend
macht. Ich zum Beispiel.
Sowas
hilft wirklich; die Methode ist erprobt.
Doch
sie lehnt wenig begeistert ab, sie sei nicht so der Schreihals.
Ob
ich noch 'nen anderen Tipp für sie hätte?
Innerlich
strahle ich wie ein Sack Glühwürmchen darüber, daß sie mich immer
noch nicht rausgeworfen hat.
Als
sie hört, daß dieser andere Tipp ihr Muskelkater bescheren wird,
ist sie ebenso begeistert wie von der Urschrei-Therapie.
Aber
weil ich weiß, daß auch das hilft, bin ich ganz mutig: „Komm.“
Und
reiche ihr meine Hand, die sie nach einigem Zögern ergreift.
Sie
ist nicht aus Stein, im Gegenteil.
Nur
weil ihr Herz so verwundbar ist, ist sie so zu mir.
Sie
ist nicht ruppig und abweisend zu mir, weil sie Spaß dran hat, mir
vor den Kopf zu stoßen.
Sie
will einfach nur sicher sein, daß ich sie nicht wieder verletze.
*******
Ich
schiebe meinen Tisch beiseite, damit wir Platz haben.
Sie
wirkt skeptisch und während ich die Musik einschalte, die wir
brauchen werden, sehe ich ihr absichtlich provokant in die Augen, um
sie aufzustacheln, aus sich herauszugehen.
Und
dann rocken wir ab, lassen richtig die Sau raus.
Sie
lacht, sie strahlt; das tut ihr gut, es hilft. Sie läßt locker.
Gut,
daß uns keiner sieht. Es wär aber auch egal. Was schert uns die
Meinung anderer?
Ich
bin einfach nur glücklich, daß Martha sich von mir helfen läßt.
Daß
der Abstand zwischen uns sich verringert.
*******
Ich
habe keine Ahnung, wie wir auf dem Boden gelandet sind.
Vielleicht
sind wir über unsere eigenen Füße gestolpert.
Ich
weiß nur, daß ich auf dem Rücken liege und sie auf mir.
Ich
würde sie gerne an mich ziehen, aber das wäre ein großer Fehler.
Meine
Hand nähert sich bereits ihrem Kopf, um ihn zu mir runterzuziehen
und sie zärtlich zu küssen.
Aber
mein Verstand arbeitet noch und so halte ich mich zurück.
Und
das ist gut so, denn die Nähe, die gerade zwischen uns ist, ist
zuviel für sie.
Sie
zieht sich von mir zurück und ich lasse sie.
Ein
wenig frustriert bin ich ja, das gebe ich zu.
Nicht,
weil sie meiner Nähe entkommen wollte.
Nein,
weil ich weiß, daß ihre Blockade wieder da ist. Ich sehe es ihr an.
Ich
hoffe, sie erinnert sich an das Schreien. Und versucht es mal damit.
*******
Seufzend
finde ich mich am nächsten Tag am Empfang ein.
Ich
würde lieber in Erfahrung bringen, ob Martha ihre Blockade
erfolgreich überwunden und es dieser Pelzschnepfe gezeigt hat, statt
an dieser dämlichen Besprechung teilzunehmen.
Wir
quatschen auf dem Weg zum Flughafen, obwohl drei von uns da gar nicht
hin müssen … nur weil unsere Eiskönigin in Las Vegas heiraten
will – wie schwachsinnig ist das denn?
Aber
solange es Irre gibt, die solchen Schwachsinn bezahlen ...
*******
Tanja
fürchtet um ihren Profit. Sie will Einsparungen vornehmen. Und wir
sollen ihr sagen, wo. Ich weigere mich, sowas zu akzeptieren. Manche
Dinge haben eben ihren Preis.
Ich
höre dem Streitgespräch zwischen Tanja und Viktoria, unserer
Personalchefin zwar zu, bin mit meinen Gedanken aber längst wieder
bei Martha.
Und
so bekomme ich zwar Kims entsetzen Aufschrei mit, habe aber keine
Ahnung, weswegen sie solche Panik hat.
Dann
gibt es einen fürchterlichen Krach. Glas splittert, Blech kreischt.
Wir werden mit brutaler Gewalt nach vorne geworfen.
Es
dauert einen Augenblick, bis ich begreife, daß wir einen Unfall
hatten.
Einen
ziemlich schweren, fürchte ich.
Ich
reagiere instinktiv und ganz mechanisch.
Erst
mal alle raus aus dem Wagen.
Kim
ist schon draußen.
Ich
frage sie, ob alles okay ist. Sie bejaht, aber ich bin mir nicht
sicher, ob sie nicht unter Schock steht.
Dann
helfe ich Tanja, führe sie beiseite, lasse sie sich hinsetzen.
Und
sehe mir ihre Kopfverletzung an.
Ich
höre Kim, die bei ihrer Mutter kauert und immer verzweifelter
klingt.
„Wir
brauchen einen Arzt!“
Viktoria
rührt sich nicht, das macht mir große Sorgen.
Und
ja, ich sollte jetzt den Notarzt rufen, wir brauchen alle Hilfe.
4373
Ich
rufe die Notruf-Leitstelle an, schildere, was passiert ist.
Man
fragt mich nach der Zahl der Unfallbeteiligten, wieviele Leute
verletzt sind.
Tanja
macht einen vernünftigen Eindruck, aber das kann täuschen. Leute
unter Schock erscheinen oft völlig normal.
Kim
hockt bei ihrer Mutter. Obwohl diese ansprechbar zu sein scheint, ist
sie wohl schwer verletzt.
„Kim,
halt sie wach, okay? Laß sie nicht einschlafen!“, rufe ich ihr zu.
Es
ist wichtig, daß sie bei Bewußtsein bleibt.
Ich
bin froh, daß ich so gefaßt reagieren kann, der Chauffeur steht
definitiv unter Schock und ist zu nichts zu gebrauchen.
Aber
auch mir zittern die Beine und ich muß mich anstrengen, nicht
umzukippen. Auch mir sitzt der Schreck noch im Nacken.
Hoffentlich
ist der Notarztwagen bald da.
Kim
redet auf ihre Mutter ein, sie weint; ich spüre ihre Angst und
Verzweiflung.
Ich
beobachte die beiden mit großer Sorge.
Dann
höre ich die Sirene des Notarztes – ein schrecklicher und doch in
diesem Moment trostspendender Klang. Es kommt Hilfe.
Doch
für Kims Mutter kommt sie zu spät.
Das
Tuch, das man über sie breitet, spricht für sich.
Aber
ich spüre es auch an Kim.
Sie
hat sie sterben sehen.
Sie
hat sie sterben sehen …
Tanja
fragt, ob Viktoria tot sei.
„Ich
glaube schon.“, antworte ich und bringe sie dazu, sich wieder
hinzusetzen.
Die
Polizei ist auch da und analysiert den Unfallhergang,
In
all der herrschenden Verwirrung bemerke ich, wie Kim sich von der
Unfallstelle entfernt.
Sie
läuft einfach weg.
Weg
von dem Anblick des weißen Tuchs über dem leblosen Körper …
Ich
will ihr nach, doch der Polizist hält mich auf.
„Aber
das Mädchen läuft weg.“
Man
kann sie doch nicht einfach so laufen lassen, in dem Zustand, denke ich.
Der
Polizist und ein Sanitäter brauchen nicht viel Nachdruck, um mich
davon abzuhalten, Kim nachzulaufen.
Meine
Beine geben nach, ich hab wohl auch was abbekommen.
Widerwillig,
aber kraftlos lasse ich mich zurückführen.
*******
Dann
sind wir im Krankenhaus.
Ich
frage an der Anmeldung nach Kim, habe die Hoffnung, daß sie so
vernünftig war, hierher zu kommen.
Oder
daß irgend jemand sie aufgegabelt und hergebracht hat.
Man
darf sie jetzt nicht sich selbst überlassen.
Ich
weiß, was in ihr vorgeht.
Sie
hat ihr nicht helfen können.
Sie
war dabei und hat nicht helfen können.
Erinnerungen
an Angst und Verzweiflung, an Hilflosigkeit ...
Ich
frage auch einen Arzt nach Kim, erkläre, daß das Mädchen einfach
weggelaufen ist.
Doch
der muß sich um Tanja kümmern und hat keine Zeit.
Ich
laufe ihm hinterher, weil ich in großer Sorge um Kim bin.
Aber
er läßt mich aus Tanjas Zimmer bugsieren.
Ich
frage eine Schwester, aber die kann mir auch nichts sagen.
„Scheiße!
Mädchen, wo bist du? Wo bist du?“
Warum
begreift hier keiner, in welcher Not Kim ist und daß man ihr helfen
muß?
*******
Als
ich aus der Notaufnahme komme, sehe ich an der Anmeldung eine
vertraute Gestalt.
Martha!
Wir
sehen uns an und ich erkenne die Sorge in ihren Augen.
Im
nächsten Augenblick fällt sie mir um den Hals und ich ziehe sie
dicht an mich.
Sie
schluchzt an meinem Hals, gesteht mir ihre Befürchtungen, die die
Nachricht von dem Unfall in ihr auslöste.
„Ich
hatte solche Angst.“
Sie
hatte Angst um mich.
Natürlich
hatte sie das. Sie liebt mich. Auch wenn sie sich nicht auf mich
einlassen kann. Aber das spielt keine Rolle. Sie liebt mich.
Ich
halte sie in meinen Armen, streichle ihr beruhigend über den Kopf.
Sie
drückt sich an mich, hält sich an mir fest.
Ein
Teil von mir ist überglücklich.
Sie
hatte Angst um dich. Sie liebt dich so.
Der
andere Teil kann die Umarmung nicht genießen.
So
wollte ich sie nicht in meinen Armen halten.
Nicht
so erschüttert.
Und
dann muß ich ihr sagen, daß ihre Tante tot ist.
Nein,
ich müßte nicht. Jemand anders könnte es tun.
Das
Unangenehme übernehmen.
Doch
ich will nie mehr weglaufen.
Vor
nichts.
Sie
wird mich brauchen.
Und
ich will für sie da sein.
Hier
und jetzt.
Ich
nehme ihr Gesicht in meine Hände, streichle zärtlich-tröstend ihre
Wangen.
Und
sage es ihr.
*******
Martha
und ich sitzen auf einer Bank.
Unter
Tränen fragt sie mich, wie es passiert ist.
Und
ich erzähle, woran ich mich entsinne.
„Dann
hat Kim ihre Mutter sterben sehen?“
Sie
weint heftiger, weil sie sich in Kim einfühlt.
Das
ist Martha.
Für
ihr großes Herz, für ihre Empathie, ihr Mitgefühl mit anderen
liebe ich sie.
Und
für soviel mehr.
Ich
lege ihr meinen Arm um die Schultern und ziehe sie sanft an mich.
Sie
läßt es geschehen, sinkt kraftlos und entsetzlich traurig an meine
Brust.
Und
wieder kann ich keine Freude über ihre Nähe empfinden.
Aber
ich bin da. Ich bin bei ihr. Sie ist nicht alleine.
Aber
Kim.
Ich
erzähle Martha, daß Kim weggelaufen ist. Und meine, daß wir sie
suchen sollten.
Ich
versuche, ihr zu verstehen zu geben, in welcher Lage Kim ist.
Und
hoffe, sie hat nicht den Eindruck, daß Kim mir wichtiger ist als
sie.
Es
ist doch nur, weil … diese Erinnerungen … Angst und
Verzweiflung. Hilflosigkeit.
Ich
weiß nicht, ob Martha nur aus Vernunft zustimmt, Kim zu suchen, oder
ob sie spürt, was in mir vorgeht.
Aber
sie geht mit mir. Ich greife nach ihrer Hand, ich will sie
festhalten. Und sie läßt es geschehen.
Martha
vermutet, daß Kim bei Emilio ist.
*******
Zu
meiner großen Erleichterung finden wir Kim wirklich bei Emilio.
Kim
stürzt sich gleich in Marthas Arme.
„Ich
konnte nichts mehr tun! Ich konnte wirklich nichts mehr tun!“,
schluchzt sie.
Die
Schuldgefühle … die Vorwürfe über das eigene Versagen …
Im
Bruchteil einer Sekunde mache ich eine Zeitreise mehr als zwanzig
Jahre zurück und sitze wieder im Schrank.
Kim
will zu Fuß nach Hause. Es ist klar, die ruhige Bewegung soll auch
sie ein wenig beruhigen.
Ich
rate Martha, mit Kim mitzugehen. Sie kann ihr helfen. Martha mit
ihrem großen Herzen kann wunderbar Trost und Wärme spenden.
„Sie
braucht dich.“, sage ich.
Sie
sieht mich an. „Und wenn du mich brauchst ...“
Das
Ende des Satzes bleibt offen. Aber sie muß ihn auch nicht vollenden.
Allein
ihre Bereitschaft, für mich da zu sein, schenkt mir ein wunderbares
Gefühl von Wärme.
Es
gibt mir Kraft und Zuversicht.
Ich
bin dem Schicksal so dankbar für ihre Liebe, die ich nicht verdiene.
Oder
doch? ...
*******
Allein
mit meinen Gedanken muß ich wieder an Kim denken.
Und
an ihren verzweifelten Ausbruch, daß sie nichts tun konnte.
Aber
Kim, das konntest du doch wirklich nicht!
Du
hättest ihr Leben nicht retten können!
Du
hast keine Schuld!
Und
du darfst dir diese Schuld nicht geben!
Du
wirst sie ein Leben lang nicht mehr los …
Der
Gedanke, daß dieses Mädchen sich den Rest ihres noch so jungen
Lebens mit Schuldgefühlen quälen könnte, ist schrecklich für
mich.
Ich
vergegenwärtige mir mein eigenes Leben und weiß, daß ich das nicht
zulassen darf.
Sie
soll nicht so werden wie ich.
Ein
kaputter Typ, von Schuldgefühlen zerfressen, unfähig, Nähe zu
ertragen.
Und
so einsam.
Ich
muß etwas tun, ich darf nicht zulassen, daß aus ihr so ein
emotionaler Krüppel wird wie ich.
Ich
suche in meinem Koffer nach … ah, da ist sie! Eine zerknitterte
Karte mit einer Madonna. Ich habe sie von meiner Mutter.
Sie
spricht von Schuld und Vergebung.
Vergebung
…
Für
Kim gibt es noch Rettung.
Ich
will zu ihr und ihr diese Karte geben.
Auch
wenn ich nicht gottesfürchtig bin, haben mir die tröstenden Worte
immer geholfen, wenn es zu schlimm wurde.
Mich
davor bewahrt, mich aus Verzweiflung in den Freitod zu stürzen.
Mein
Blick fällt auf die Fotos von Vater und Mutter.
Du
hast ebensowenig Schuld wie das Mädchen!, meine ich Mutters sanfte
Stimme zu hören.
Die
Karte spricht von Vergebung.
Vielleicht
ist es an der Zeit, mir selbst zu vergeben.
Mir
nicht länger die Schuld an etwas zu geben, was ich nicht hätte
ändern können.
Vielleicht
ist es Zeit, ein Stück weit meinen Frieden mit mir selbst zu machen.
Ein
Stück weit … für den Rest des Weges habe ich Martha. Sie wird mir
helfen, ihn mit mir gemeinsam gehen, das weiß ich ...
*******
Dann
stehe ich vor der Tür der Familie Wolf.
Martha
öffnet.
Ich
frage gleich nach Kim, die Sache ist so wichtig für mich.
Aber
sie ist nicht da.
„Ist
was?`“, fragt Martha und mir schießt durch den Kopf, daß sie
vielleicht gedacht hat, ich will zu ihr und nun ist sie enttäuscht,
daß ich schon wieder nach Kim frage.
Aber
es ist so wichtig.
Ich
bitte Martha, Kim die Karte zu geben, wenn sie wiederkommt.
Martha
betrachtet die Karte und fragt, ob sie sie lesen darf.
Auch
wenn es mir schwer fällt, fühle ich den Wunsch, mich zu erklären.
Sie
weiß eh um meine Vergangenheit. Und auch um meine Schuldgefühle.
Daß
Emilio mithört, ist mir egal.
Es
geht um Kim. Um ihr Leben, um ihre Zukunft.
Und
so breite ich mein Inneres vor den beiden aus.
Versuche,
klarzumachen, wie wichtig es ist, daß Kim versteht, daß sie keine
Schuld hat.
Damit
es ihr nicht so geht wie mir.
„Es
macht einen kaputt.“
Einzugestehen,
was diese schreckliche Erfahrung aus mir gemacht hat, ist ein
Riesenschritt für mich.
Zuzugeben,
daß ich ein zerbrechlicher Mensch bin.
*******
„Man
muß versuchen, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind. Man darf sich
nicht dagegen wehren. Und man darf sich nicht die Schuld daran geben,
daß etwas passiert.“
Ich
spreche nicht nur zu Martha und Emilio, ich spreche zu mir selbst.
Und
ich spreche nicht nur über Kim, auch über mich.
Ich
weiß nicht, ob den Beiden das bewußt ist. Emilio sicher nicht. Aber
Martha könnte es ahnen.
„Sonst
geht man daran kaputt.“
„So
wie du.“, meint Martha traurig.
Ja,
sie weiß es.
„Und
ich denke … man … muß sich irgendwann verzeihen können. Wenn
man das nicht macht, … dann wiederholt sich das alles immer und
immer wieder. Wie ein Kreisel … ein Kreisel aus Angst. Und aus
Alpträumen.“
Emilio
bedauert, daß Kim nicht hier ist und meine Worte hört. Er scheint
zu begreifen, daß es wichtig ist und ihr helfen kann.
Martha
verspricht mir fest, Kim die Karte zu geben. Ich weiß, sie wird Kim
meine Worte nahelegen.
Ich
wende mich zum Gehen.
Ich
muß jetzt allein sein.
Allein
ja, aber nicht mehr einsam.
Ich
habe den Schrank verlassen.
Die
Tür aufgestoßen.
Zurück
ins Leben.
„Danke,
Martha.“, sage ich und drücke ihre Hand.
Denn
ein gutes Stück weit verdanke ich es ihr.
Ich
hoffe, sie versteht, daß dies kein erneuter Rückzug von mir ist.
Ich
wende mich noch einmal an Emilio. „Paß gut auf deine Frau auf. Du
bist der Einzige, den sie hat.“
Martha
kommt mir nach zur Tür.
Ich
spüre, daß sie mich gerne zurückhalten, daß sie gerne für mich
da sein würde.
Martha,
das ist keine Flucht.
Ich
brauche nur etwas Ruhe und Zeit für mich, um mit mir ins Reine zu
kommen.
Schuldgefühle
und Selbstvorwürfe endgültig hinter mir zu lassen.
Die
Schranktür hinter mir zu schließen ...
Für
immer.
4376
Ich
bin bei der Arbeit, als Martha zu mir kommt.
Eine
Weile sieht sie mir einfach nur zu.
Ich
bin leicht nervös, weil ich nicht weiß, was sie von mir erwartet.
Ich
will nichts Falsches sagen, nichts Falsches tun.
Ich
hätte nie gedacht, daß ich in Gegenwart einer Frau mal so unsicher
sein würde.
Aber
ich habe ja auch noch nie zuvor gefühlt, was ich für sie fühle.
„Ich
hab Angst vor morgen.“, sagt sie.
Morgen?
Ach so … die Beerdigung ihrer Tante.
Ich
sehe Martha kurz an.
Sie
sieht so traurig aus.
Aber
sie läßt den Schmerz zu, sie rennt nicht vor ihm davon.
Es
ist ihr auch egal, daß andere ihre Verletzlichkeit erkennen.
Sie
ist so stark, auch wenn sie gerade meint, es nicht zu sein.
Denn
Gefühle zeigen, verlangt Stärke.
Sie
hat Angst, nicht mitansehen zu können, wie ihre Familie sich von
Viktoria verabschiedet.
„Ich
schaff das nicht.“
Es
ist ein Hilfeschrei.
Eine
eindringliche Bitte um Hilfe.
Und
sie ist an mich gerichtet.
Auch
wenn sie es nicht ausspricht.
Ich
starre auf meine Arbeit und bemühe mich, ruhig zu bleiben, weil ich
einen Anflug von Panik verspüre.
Ich
kann nicht auf diese Beerdigung!
Zusehen,
wie ein geliebter Mensch begraben wird, zugedeckt mit kalter,
feuchter Erde …
Aber
Juri, sie braucht dich!
Das
weißt du genau. Du spürst es.
„Also
ich denke … wenn du es willst ...“
Ich
kann nicht.
„Ja?“
„ … dann
… schaffst du es auch.“
„Klar.“,
sagt sie.
Sicher
ist sie wieder einmal herbe enttäuscht von dir.
Und
deiner erbärmlichen Feigheit.
Juri,
du verdammtes Arschloch!
Du
hast ihr versprochen, sie nie mehr allein zu lassen.
Sie
steht hier und fleht dich förmlich an, ihr in diesem einen schweren
Moment beizustehen.
Und
du läßt sie allein.
Sie
schafft das, wenn sie es nur will, jaja …
Sowas
von dem Mann, der behauptet, sie zu lieben.
Und
du fragst dich, warum sie sich nicht auf dich einlassen will?
Deine
erste Bewährungsprobe und du kneifst wieder?
Recht
hat sie, dir nicht zu vertrauen.
Ich
hasse mich.
Würde
ein Spiegel über meinem Tisch hängen, würde ich mich anspucken.
Es
ist nur …
Ich
habe Angst.
Ich
war noch nie auf einer Beerdigung, seit …
Bilder
ziehen an mir vorüber.
Ein
Massengrab … unzählige tote Körper … hineingeworfen,
übereinandergestapelt wie ein Haufen alter Kleider …
Onkel
Branko, der einen Jungen im Arm hält, der wie versteinert erscheint.
Mich.
Mit
jedem Klumpen feuchter Erde, welche das grob ausgehobene Loch in der
Erde verschließt, verschließt sich auch mein Inneres Stück für
Stück ...
Ich
blicke zu Martha, die noch in meiner Nähe ist, als ob sie darauf
warten würde, daß ich ihr doch sage, daß ich für sie da sein
werde.
Sie
sagt nichts, sie blickt mich nicht an.
Und
doch spüre ich so deutlich, daß sie mich braucht.
Laß
sie doch nicht allein mit ihrem Schmerz, Juri!
Ich
fühle mich so hilflos.
Wie
soll ich Kraft und Trost spenden, wenn ich schon bei dem Gedanken an
diese Beerdigung beinahe Panik bekomme?
Würde
ich doch wenigstens den Mut aufbringen, Martha von meiner Angst zu
sagen.
Sie
würde es sicher verstehen.
Aber
irgendwie gleite ich in meine alten Verhaltensweisen zurück.
Ich
erstarre innerlich.
Wie
an dem kalten feuchten Loch, in dem meine Eltern verscharrt wurden.
*******
Ich
kann mich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren.
Gehe
nach unten, spiele mit dem Gedanken, kurz raus an die Luft zu gehen.
Ich
spüre eine Beklemmung in der Brust, als ob mir ein dicker
Felsbrocken darauf läge.
Mein
Blick fällt auf das Kondolenzbuch, das in der Eingangshalle
ausgelegt ist.
Ich
habe nichts hineingeschrieben.
Weil
der Bogen, den ich um den Tod schlage, sogar soweit reicht, mich vor
solchen Dingen zu verschließen.
Aber
das ist egoistisch. Und das weißt du, Juri.
Es
geht nicht immer nur um dich.
Um
das, was du willst. Was du meinst, das richtig ist.
Viktoria
war immer freundlich zu dir.
Und
auch, wenn du sie nicht näher kanntest, ist das kein Grund, ihr
Andenken nicht zu ehren.
Jetzt
denk nicht wieder nur an dich und gib dir einen Ruck!
Zögerlich
blättere ich in dem Buch.
Mir
ist unbehaglich zumute.
Mein
Blick fällt auf ein Zitat von Goethe:
Was
man tief in seinem Herzen besitzt, kann man nicht durch den Tod
verlieren.
Ich
ringe mit mir, habe den Stift schon in der Hand …
Und
nach und nach erschließt sich mir die Bedeutung der Worte des
deutschen Dichters …
Der
Tod hat mir meine Eltern nicht genommen.
Ich
trage sie tief in meinem Herzen ...
Diese
Erkenntnis gibt mir die Kraft, mich dem zu stellen, was sein muß.
Ich
liebe Martha.
Ich
will mit ihr zusammensein.
Dies
ist nur die erste von vielen Bewährungsproben, die mir bevorstehen
werden.
Wenn
ich diese nicht erfolgreich bestehe, brauche ich Martha nicht mehr
von wegen fester Beziehung zu kommen.
Weil
es keinen Sinn hätte.
Du
wolltest es ihr beweisen, Juri.
Ihr
beweisen, daß du sie liebst.
Daß
sie dir vertrauen kann.
Daß
du für sie da bist.
Nun,
wo ist der Beweis?
Wieder
nur leere Worte, Juri?
NEIN.
Ich
sage mir Goethes Worte wieder und wieder vor und langsam weicht die
Angst, die mir der Gedanke an die Beerdigung macht.
Juri,
du kannst das schaffen.
Du
mußt nicht an die Grube herantreten, du bist ja kein Angehöriger.
Du
kannst dich im Hintergrund halten.
Aber
sei da, wenn Martha dich braucht!
Sei
einfach da!
Egal,
wie schwer dir das fällt.
Meinst
du, Martha fällt es leicht?
Und
doch tut sie es.
Beim
Gedanken an sie wird mir klar, daß ich mich eben schon wieder wie
ein egoistisches Arschloch verhalten habe.
Mir
nur Sorgen gemacht habe, daß ich mir meine Chancen bei ihr versaue.
Aber
verdammt, es geht hier überhaupt nicht um mich!
Nur
um sie.
Einzig
nur darum, ihr beizustehen.
Es
ist so verdammt schwer, sich aus den eingefahrenen Bahnen
herauszustrampeln. Das Ich-Denken abzulegen.
Goethe,
Juri.
Tue
es für sie.
Ihr
Wohlergehen ist im Moment wichtiger als alles andere auf der Welt.
Was
man tief im Herzen trägt …
Der
Druck auf meiner Brust löst sich.
Ich
bin nervös und schwitze leicht. Aber es fühlt sich nicht nach
beginnender Panik an.
Entschlossen
mache ich mich auf den Weg.
*******
Ich
merke, wie sich meine Schritte verlangsamen, als ich mich auf dem
Friedhof der Trauergruppe nähere.
Ich
atme tief durch und nehme mir fest vor, das ganz in Ruhe anzugehen.
In
kleinen Schritten.
Es
besteht gar nicht die Notwendigkeit, mich selbst zu überfordern.
Also
bleibe ich immer wieder kurz stehen und atme tief ein.
Und
so schaffe ich es bis auf wenige Meter an die Gruppe heran.
Ich
habe Glück.
Martha
hält einen respektvollen Abstand zu den direkten Angehörigen.
Ich
muß gar nicht weiter heran.
Und
das hätte ich wohl auch nicht geschafft.
Denn
das, was hier passiert, ist harter Stoff für mich.
Ich
höre Marthas Cousinen weinen, Marlenes Stimme klingt total brüchig.
Mir
klingen Stimmen in meiner Muttersprache im Ohr … das
herzzerreißende Weinen kleiner Kinder, die nicht verstehen …
Ich
sehe zu Martha und weiß, daß ich durchhalten muß.
Denk
an Goethe, Juri!
Und
wieder einige Schritte näher.
Bis
ich endlich neben ihr stehe.
Sie
bemerkt mich, sieht mich an.
Sie
weint stumme Tränen.
Wie
gerne würde ich sie in den Arm nehmen.
Damit
wir uns gegenseitig halten können.
Ich
begreife, daß genau das eine Partnerschaft ausmacht.
Ich
muß nicht immer der Starke sein, nur weil ich ein Mann bin.
Ja,
wenn nur Martha hier wäre, würde ich auch meine Sonnenbrille
abnehmen, die meine Gefühle, meine Angst, meine Verletzlichkeit vor
der Welt verstecken soll.
Sie
dürfte mich so sehen.
So
wie ich bin.
Mit
all meinen Schwächen.
Ich
lege Martha sanft meine Hand auf die Schulter.
Es
ist ein leises „Hey, ich bin da.“
Dieser
tröstende Körperkontakt gibt auch mir Halt.
Ich
spüre, wie ihre Nähe auch mir die Angst nimmt.
Ich
weiß nicht, ob ihr bewußt ist, wie sehr sie in diesem Augenblick
auch für mich da ist … aber ich spüre, daß ich hierher gehöre.
An
ihre Seite.
4377
Als
ich endlich meinen verdammten Schiß vor der Beerdigung überwunden
hatte, war meine Angst um Martha und daß sie zusammenbrechen könnte,
so groß geworden, daß ich nicht lange nachgedacht, sondern mir den
Schlüssel einer der LCL-Limousinen genommen habe.
Und
in dieser Limousine sitzen Martha und ich jetzt. Sie war
einverstanden, daß ich sie zurückfahre.
Wir
reden während der Fahrt nicht, hängen wohl beide unseren Gedanken
nach.
Meine
kreisen um sie und ich spüre meine Sehnsucht, mein Verlangen nach
ihr immer stärker werden.
Und
das sind Gefühle, die ungleich viel stärker sind, als das Begehren,
das ich je für eine der vielen Frauen empfunden habe, mit denen ich
im Bett war.
Ich
beginne zu ahnen, daß Leidenschaft gepaart mit Liebe etwas sein muß,
das sich mit nichts anderem vergleichen läßt.
Als
wir bei LCL anhalten, meint sie „Danke.“.
„Ist
schon okay.“
„Nicht
nur für's Nachhausefahren. Auch daß du bei Viktorias Beerdigung
dabei warst. Du hast mir wirklich geholfen, das … durchzustehen.“
Ich
bin so froh, daß ich mich habe noch rechtzeitig überwinden können.
Ihre
Bemerkung zeigt mir, wie sehr sie mich gebraucht hat.
„Die
letzte Beerdigung, auf der ich war, war die meiner Eltern.“, sage ich.
Ich
will damit nicht um Verständnis für mein Zögern werben oder gar um
Mitleid heischen, wie schwer ich es doch habe.
Ich
will einfach nur ehrlich sein und einen weiteren Schritt auf dem Weg
zu mehr Offenheit tun.
Ich
spüre ihre Blicke und denke, daß sie versteht.
Dann
will sie sich verabschieden, sie möchte zu ihrer Familie.
„Du
kannst dir nicht vorstellen, mit hochzukommen? Also ich frag jetzt
nicht aus Höflichkeit ...“
Ich
freue mich wirklich darüber, daß sie mich bei sich haben will.
Aber
der Kontakt mit dieser trauernden Familie … ich weiß nicht, ob ich
die Gegenwart von Kim ertragen könnte, die dasselbe mitgemacht hat
wie ich.
Der
Besuch auf dem Friedhof hat mich sensibilisiert.
Deshalb
lehne ich ab.
Und
Martha, die Liebe, versteht.
Ich
spüre, daß es ihr nicht leicht fällt, sich von mir zu trennen.
Ich
sehe sie an und empfinde es als schrecklich frustrierend, daß zwei
Menschen, die sich lieben und Sehnsucht nacheinander haben, nicht
zueinander kommen.
Plötzlich
beugt sie sich zu mir, zögert kurz.
Und
ich Idiot frage „Was machst du da?“.
„Ein
Kuß. Auf die Wange. Hat nichts zu bedeuten.“
Sie
ist sichtlich von meiner Reaktion irritiert.
Was
tust du da, Juri?
So
enttäuscht, daß sie sich nicht auf dich stürzt und dir die
Klamotten vom Leib reißt?
Ich
weiß, ich sollte glücklich damit sein, daß sie mir ein liebes
Küßchen geben will. Und gestern wäre ich das vielleicht auch noch
gewesen.
Ich
weiß nicht, ob es an den Nachwirkungen des Besuchs auf der
Beerdigung liegt, aber ich will sie mehr als je zuvor!
Hat
nichts zu bedeuten.
Oh,
Martha! Wem versuchst du das einzureden?
Man
mache das so zum Abschied, meint sie.
Wo
man sowas mache, frage ich frustriert zurück.
Wir
werden wieder auseinandergehen, ohne uns einen Schritt nähergekommen
zu sein.
Meine
Gefühle kochen hoch.
Ich
will sie so sehr!
Und
sie will mich!
Daß
wir hier sitzen und über ein Abschiedsküßchen nicht hinauskommen,
ist doch total bescheuert!
Sie
steigt aus und ich weiß, daß sie auch nicht glücklich ist, wie das
grade abgelaufen ist.
Nein,
Martha! Jetzt versuchen wir's anders!
Du
willst mich und ich werde jetzt mal schauen, wie lange du mir
standhältst, wenn ich Ernst mache!
Ich
steige ebenfalls aus und halte sie am Arm fest.
Drehe
sie zu mir herum.
Und
küsse sie.
Ich
lege alle meine Sehnsucht in diesen Kuß.
Und
spüre, wie sehr sie genau das fühlen will.
Denn
sie wehrt sich nicht, im Gegenteil.
Sie
erwidert den Kuß mit derselben Leidenschaft.
Ich
genieße es, wie sie mit einer Hand meine Wange streichelt und mir
mit der anderen begierig durch's Haar fährt.
Gegen
solche Gefühle kommst du nicht an, Martha! Und das willst du auch
gar nicht, daran gibt es keinen Zweifel.
Ich
löse mich von ihr, sehe ihr in die Augen und sage: „Das
bedeutet was.“
Ich
sehe sie herausfordernd und sicher etwas provokant an.
Aber
ich will ihre Emotionen aufrühren.
Und
oha, das funktioniert!
In
der nächsten Sekunde packt sie meinen Kopf und küßt mich auf eine
Weise, die mich fast um den Verstand bringt.
Ich
habe mich nicht mehr unter Kontrolle, aber das ist mir egal.
Das
ist es, was wir beide wollen!
Wir
küssen uns so heftig, daß uns fast die Luft wegbleibt.
Begierig dränge ich sie gegen den
Kühler der Limousine, während meine Hände, meine Lippen
einfach nicht mehr von ihr lassen können.
Sie
läßt es – so scheint es – gern geschehen.
Doch
als ich sie in meiner Leidenschaft auf die Motorhaube niederdrücke,
scheint es doch ein wenig viel für sie zu sein.
Für
den Moment.
Aber
ich weiß, das Feuer ist entfacht. Und es wird schnell wieder
auflodern.
„Das
… tut mir leid … das wollte ich nicht.“, meint sie.
Och,
Martha, das macht gar nichts.
Ich
weiß, ich sollte nicht so denken, nicht bei Martha. Vielleicht ist
es die Überdosis Endorphine, die der heiße Kuß ausgeschüttet hat
… aber ich weiß, was für eine Wirkung ich auf Frauen habe und daß
mir so leicht keine widersteht.
Nach
außen spiele ich den Coolen, meine, daß es mein Fehler war, weil
ich ihr den Raum nicht gegeben habe, den sie haben wollte.
Sie
stimmt mir zu und ich weiß, daß sie ganz was anderes denkt.
Völlig
durch den Wind läuft sie um die Limousine herum und ich kann nicht
anders, ich muß grinsen. Sie ist in ihrer Verwirrtheit unheimlich
süß.
Sie
hat dann doch noch die richtige Tür gefunden und holt ihre Tasche
aus dem Wagen.
Ich
stelle mich ihr in den Weg und sehe ihr in die Augen.
Mit
einem Blick, von dem ich weiß, sie wird weiche Knie bekommen.
Süße
Martha, du gehörst mir und das weißt du auch, auch wenn du jetzt
stolz und selbstbewußt davon gehst.
Ich
lehne mich gegen den Wagen und weiß, daß ich geradezu unverschämt
siegessicher grinse.
Es
sind sicher immer noch die Hormone, aber in dem Moment weiß ich
einfach, daß sie mir gehört.
Ganz
und gar.
*******
Ich
bin oben am meinem Arbeitstisch.
Aber
ich arbeite nicht.
Ich
lasse Marthas Blümchen wackeln und meine zugegeben ziemlich
erotischen Phantasien schweifen.
Meine
Hände streicheln einen der Büstenhalter aus meiner Kollektion und
ich stelle mir vor, wie …
Ich
bin so in meine herrlichen Phantasien versunken, daß ich vor Schreck
zusammenfahre, als Sascha mich von der Seite anquatscht.
Der
grinst sich nur eins.
Als
er Anstalten macht, mich wieder allein zu lassen, halte ich ihn auf.
„Warte.“
Ich
weiß selbst nicht, was ich genau von ihm will.
„Ich
war auf der Beerdigung.“, teile ich ihm schließlich mit.
„Und?
Martha?“
Will
er wissen, ob wir jetzt fest zusammen sind?
„Ich
weiß es nicht.“
*******
Ich
bin auf dem Weg die Treppe runter und da hockt eine Gestalt.
Sofort
werden Erinnerungen wach, die viele Monate zurück liegen.
Eine
junge Frau in demütigender Situation, der niemand hilft.
Eine
Frau, die zu mir aufsieht, als wäre ich ihr Prinz aus dem Märchen,
der sie nun auf sein Pferd hebt.
Ich
kann nicht anders, als mich genau so vor Martha hinzustellen wie
damals.
Ihr
genauso in die Augen zu schauen.
Sie
wie an jenem Tag zu fragen, ob sie laufen kann.
Als
ich wie damals meine Jacke ausziehe, will sie abwehren.
Genau
so hätte es angefangen.
Genau,
meine Süße. So hat es angefangen. Mir ist jetzt klar, daß es nie
anders hat sein sollen.
Auch
wenn es kitschig klingt, aber wir gehörten von Anfang an zusammen.
Jetzt
muß ich nur noch dafür sorgen, daß auch dir das klar wird.
Ich
ziehe sie sanft hoch.
Und
nehme sie wie am Tag unserer ersten Begegnung auf meine Arme, trage
sie durch die Halle.
Sie
schimpft wie ein Rohrspatz, daß sie runter will.
Aber
ich lasse mich nicht beirren.
Sie
ist hierher zu LCL gekommen, weil sie mich genauso will wie ich sie.
Sie
droht mir damit, zu schreien.
„Du
weißt nicht, wie laut ich schreien kann.“
„Ich
bin gespannt.“
Ich
grinse dreckig und meine das sehr, sehr zweideutig.
Sie
versucht wütend auszusehen, aber sie kann nicht ganz verhindern, daß
sich auch ein glücklicher Ausdruck in ihr Gesicht stiehlt.
Natürlich
macht es sie glücklich, daß ich sie so sehr will, daß ich mich nicht
mehr abweisen lasse.
Ich
setze sie auf der Theke am Empfang ab und frage sie, was ihr zuviel
ist.
Ich
spüre, daß sie just in diesem Moment Angst vor ihren eigenen
heftigen Gefühlen bekommt.
Mehr
instinktiv versucht sie es mit einem Rückzug.
Aber
ich lasse sie nicht mehr aus; ich will nicht in ein paar Tagen wieder
von vorn anfangen.
Sehr
bestimmt, aber auch sehr sanft sage ich: „Ich will dich und du
willst mich.“
Dann
werde ich frech, meine, daß sie mich ja nach Berlin hätte schicken
können, es aber nicht getan habe.
Könnte
sie aber immer noch, faucht sie zurück.
„Du
willst es nicht.“, sage ich und blicke ihr unverwandt in die Augen.
Langsam
ziehe ich sie an den Armen nah zu mir.
Und
dann küsse ich sie.
Anders
als vorhin.
Sehr
zärtlich, sehr liebevoll.
Ich
lege ihren Arm um meinen Hals und sie gibt nach.
Erwidert
meinen Kuß genauso innig.
Längst
schon haben sich ihre Hände in meinen Haaren vergraben.
Und
wenn sie noch bemerken sollte, daß uns alle anstarren, dann ist ihr
das genauso egal wie mir.
*******
In
stillem Einvernehmen verlassen wir LCL.
Wir
wissen beide, nun ist es soweit.
Der
richtige Zeitpunkt, um endlich unseren Sehnsüchten nachzugeben.
Ich
rufe uns ein Taxi und es fällt uns beiden schwer, uns während der Fahrt zurückzuhalten.
Wir
küssen uns sehnsüchtig, meine Zunge spielt sanft mit ihrer.
Noch
im Flur drückt sie mich gegen die Wand, macht mich so an, daß ich mich kaum noch unter
Kontrolle halten kann.
Gott,
ich will sie so sehr!
Dann
sind wir endlich in meinem Loft.
Wir
küssen uns wieder und ich genieße den Spaß, den sie so offenkundig dabei
hat.
Ihre
Handtasche und unsere Jacken fliegen achtlos in die Ecke.
Erneut
küssen wir uns, nach mehr verlangend.
Ich
sehe ihr tief in die Augen und weiß, daß sich mein Hunger nach ihr
darin spiegelt.
Sie
weicht langsam zurück, während ich ihr geschmeidig folge wie ein
Raubtier, das gleich zum Sprung auf seine Beute ansetzen wird.
Ich
schubse sie sacht, aber bestimmt auf's Bett.
Nun
ist sie mein!
Aber
sie setzt mir lasziv ihren Schuh auf die Brust und sieht mich
herausfordernd an.
Martha,
du süßes Stück Verführung pur!
Weißt
du eigentlich, wie scharf du mich mit sowas machst?
Mein
Blut ist in Wallung; ich beuge mich über sie und küsse sie
lustvoll. Drücke meinen Körper an ihren und lasse sie spüren, wie
sehr ich sie will.
Aber
es ist ein Spiel.
Ein
herrliches, erotisches Spiel.
Bei
dem die Zärtlichkeit nicht zu kurz kommt.
Sie
küßt mich wieder und wieder so liebevoll-sehnsüchtig, während sie
sich an mich schmiegt, daß meine Gefühle Achterbahn fahren.
Ich
will sie spüren. Ihren warmen Körper.
Ich
genieße es, wie sie mir ganz langsam mein Shirt auszieht.
Ziehe
sie wieder an mich.
Wir
küssen uns, ich fahre, von der Zärtlichkeit, die ich für sie
fühle, berauscht durch ihr weiches, duftendes Haar.
Auch
sie läßt sich genüßlich von mir ihre Bluse abstreifen.
Und
wieder küssen wir uns sehr zärtlich, während ich sie an
mich drücke und mich dem herrlichen Gefühl hingebe, sie so in
meinen Armen halten zu dürfen.
Sachte drücke ich sie auf's Bett.
Ganz
zart streichle ich ihre weiche Haut.
Wir
wechseln die Stellung; sie beugt sich nun über mich und sieht mich
so zärtlich an, daß mir ganz warm wird.
Wieder
und wieder liebkose ich ihr liebes Gesicht, vergrabe meine Hände in
ihren Haaren.
Und dann fallen die letzten, vielleicht noch verbliebenen Hemmungen.
Wir genießen den Spaß an der Lust.
Und
uuuuh, sie läßt mich mit ihrer Leidenschaft fast den
Verstand verlieren.
Hatte
ich mir vorher vielleicht eingebildet, ich könnte den erfahrenen
Liebhaber spielen, der den aktiven Part übernimmt und dem sich seine
Partnerin vertrauensvoll hingibt, dann habe ich mich in Martha
gründlich getäuscht.
Während
sie meine Brustwarzen mit ihren Lippen liebkost, umfaßt ihre rechte
Hand meine Erektion und macht mir klar, was sie will.
Sie
küßt mich heiß und fordernd und ich stöhne von Lust überwältigt
in ihren Mund.
Nackt
stehe ich vor ihr, sie preßt mich an die kalte Wand.
Ein
Schauer nach dem anderen fährt mir den Rücken hinab.
Plötzlich
wird mir klar, welch unbändige Sehnsucht sich in ihr aufgestaut haben muß.
Juri,
mein Lieber, mach dich auf was gefaßt! Die Kleine macht dich fertig.
Aber
ich werde jede einzelne Sekunde genießen!
Ich
vergrabe mein Gesicht zwischen ihren weichen Brüsten, lasse meine
Zunge mit ihren Nippeln spielen.
Ihr
sinnliches Seufzen ist Musik in meinen Ohren und erregt mich noch
mehr, als ich eh schon bin.
Sie
liebkost meinen Nacken, schmiegt ihren nackten Körper an mich und
ich bin froh, die kalte Wand im Rücken zu haben, sonst würde ich
wahrscheinlich einfach so kommen, ohne weiteres Zutun.
Martha,
Süße, das halte ich nicht mehr lange aus!
Sie
zieht mich auf's Bett und sieht mich mit einem Blick an, der mir den
Verstand raubt.
Mit
vor Erregung zitternden Händen wühle ich nach Kondomen.
Sie
wartet geduldig, küßt mich zärtlich.
Ich
kann nicht eine Sekunde länger warten; ich will sie jetzt.
Trotzdem fühle ich behutsam vor, ob sie auch bereit für mich ist … auch wenn ich nicht den geringsten Zweifel daran habe.
Trotzdem fühle ich behutsam vor, ob sie auch bereit für mich ist … auch wenn ich nicht den geringsten Zweifel daran habe.
Und tatsächlich spüre ich, daß sie schon herrlich
feucht ist, als meine Finger sachte zwischen ihre Beine wandern.
Kurz spiele ich mit ihrem ziemlich angeschwollenen
Kitzler, dann versenke ich mich mit einem einzigen, langen Stoß völlig in ihr.
Sie
stöhnt und zieht meinen Kopf an den Haaren zu sich runter.
Auch
sie will es so.
Ausgehungert
und fast verrückt vor Sehnsucht pressen wir uns aneinander.
Ich
weiß nicht, wie lange es gedauert hat, vermutlich nur wenige
Sekunden.
Aber
sie kommt genauso heftig wie ich.
Schwer
atmend stütze ich mich neben ihrem Kopf ab.
Wie
sie mich ansieht!
So
voller Liebe, voller Zärtlichkeit!
Noch
habe ich nicht genug Luft zum Atmen, aber ich muß sie küssen!
Und
ziehe sie in meine Arme.
Aber
die Verschnaufpause ist nur kurz.
Meine
süße Martha ist noch lange nicht satt.
Und
ich auch nicht.
Sie
drückt mich auf den Rücken, setzt sich auf mich.
Bei
mir hat sich solcher Druck aufgebaut, daß meine Erektion nach dem
ersten Höhepunkt gar nicht erst geschwunden ist.
Er
ist noch genauso hart wie vorher.
Und
Martha genießt das.
Sie
lächelt lasziv, als ich mich ihrem Hunger nach mehr hingebe.
Und
ich schließe die Augen und genieße ihre Bemühungen, mich um den
Verstand zu bringen.
Das
kann sie sehr gut.
Ich
komme kaum weniger heftig als beim ersten Mal.
Wir
kuscheln eine Zeit lang, genießen die Körperwärme des anderen, als
Martha mir bedeutet, daß sie noch lange nicht genug hat.
Ich
bin heilfroh, daß ich durch den regelmäßigen Sport in guter
Kondition bin, denn die Süße nimmt mich richtig ran.
Aber
wir haben auch einen Riesenspaß.
Neckisch
verfolgen wir uns durch das ganze Loft.
Und
ich genieße es, daß sie den Sex mit derselben Lebensfreude lebt,
wie alles andere.
Sie
ist was ganz Besonderes.
Glücklich
sinke ich in ihre Arme, als wir kurz lachend verschnaufen.
Wir
leben es aus.
Mit
allen Sinnen.
Schon
lange weiß ich nicht mehr, wo oben und unten ist.
Ziemlich
erhitzt lege ich mich einfach auf den kühlen Boden, schließe meine
Augen.
Doch
plötzlich zieht mich Martha an den Knöcheln zu sich her.
Setzt
ihre Lippen an.
Oh
mein Gott!
Ehrlich,
soviel Lust wie mit dieser Frau habe ich noch nie empfunden.
Der
ganze Sex mit den Models … schnarchlangweilig gegen das, was hier
zwischen Martha und mir passiert.
Und
keins von ihnen kann mit der sinnlichen Ausstrahlung von Martha
mithalten.
Ganz
zu schweigen von ihrer mitreißenden, überschäumenden Lebensfreude.
Sie
ist sehr geschickt mit ihren süßen Lippen und der weichen, warmen
Zunge.
Ich
zucke haltlos, habe kaum noch die Kraft zu stöhnen und komme …
Wir
sind beide naßgeschwitzt und ich frage sie, ob sie mit mir zusammen
duschen will.
Doch
sich gegenseitig unsere nackten Körper einzuseifen, wirkt nicht
unbedingt entspannend auf uns.
Aber
der Sex unter dem warmen Wasser ist herrlich.
Genußvoll
versenke ich mich erneut in ihr, während wir uns innig küssen.
Doch
dann kann ich nicht mehr.
Als
wir aus der Dusche kommen, knicken mir leicht die Beine weg.
Martha
lächelt verständnisvoll und wir kuscheln uns gemütlich zusammen.
Das
ist wundervoll.
Ich
bin total erschöpft, aber noch nie so glücklich gewesen wie in
diesem Augenblick, als sie sich zufrieden an mich schmiegt.
Mit
geschlossenen Augen streichle ich zärtlich ihr Haar.
Sie
meint zu mir, sie könne es noch nicht so richtig glauben, daß wir
hier so liegen würden.
Ich
auch nicht.
Ich
hoffe, es ist nicht nur ein wundervoller Traum. Dann will ich nie
mehr aufwachen.
„Es
fühlt sich so richtig an.“
Weil
es von Anfang an so sein sollte.
„Bist
du auch so …?“
Was
meinst du, Martha? Glücklich?
„Ja.“,
seufze ich selig. „Sehr sogar.“
Martha
scheint ein wenig durcheinander zu sein. Ich bekomme nicht mehr alles
mit, was sie sagt, weil eine unglaublich wohlige Entspannung mich
wegdämmern läßt.
Als
ich aufwache, erfüllt mich ein ungeheures, überwältigendes
Glücksgefühl.
Ich
erinnere mich.
Martha
und ich … wir haben wunderbare zärtlich-sehnsüchtige Stunden
miteinander verbracht.
Beim
Gedanken daran bekomme ich Herzklopfen.
Ich
drehe mich rum und will sie an mich ziehen, um sie noch einmal
genüßlich zu vernaschen.
Aber
sie ist nicht da.
Sicher,
sie ist im Bad.
Ich
rufe nach ihr und lasse in meiner Stimme durchklingen, daß sie
hierher zu mir ins Bett gehört.
Leise
gehe ich hinüber, schaue um die Ecke, einen sinnlichen Anblick von
meiner nackten Martha unter der Dusche erhoffend.
Doch
da ist sie auch nicht.
Meine
Ängste wollen erwachen; ich bemühe mich, ruhig zu bleiben.
Es
gibt ja vielleicht eine ganz harmlose Erklärung, warum sie nicht
hier ist.
Vielleicht
braucht ihre Familie sie.
Aber
hätte sie dann nicht einen Zettel hinterlassen?
Ich
ziehe mir was über, weil mich fröstelt.
Das
darf es nicht gewesen sein!
Nicht
jetzt, wo wir endlich …
Das
verkrafte ich nicht.
Dann
kommt mir der Gedanke, sie einfach anzurufen, um mich zu beruhigen.
Doch
warum klingelt es vor meiner Tür?
Irritiert
und gleichzeitig hoffnungsvoll öffne ich.
„Wo
warst du?“, frage ich und klinge aus lauter Sorge, es könnte etwas
zwischen uns nicht in Ordnung sein, leicht ungehalten.
„Ich
mußte etwas besorgen.“
Was
kann so wichtig sein, daß sie aus meinem Bett flieht?
Sie
hält mir meinen Fluggutschein hin.
In
mir krampft sich alles zusammen. Ich verstehe es nicht. Das kann sie
doch nicht wollen!
„Sag
mal, willst du mich wegschicken?“
Nach
dem, was gerade zwischen uns war?
Sie
will wissen, wie weit Berlin entfernt ist.
Ich
weiß es nicht, aber sie beantwortet ihre Frage gleich selbst.
Fünfhundertfünfzig
Kilometer. Das sei ganz schön weit weg.
Und
der Meter – der, den ich gerade von ihr entfernt bin – ginge auch
nicht.
Mit
diesen Worten zieht sie mich an meiner Halskette zu sich her.
Sie
schüttelt den Kopf.
Ich
ziehe sie zu mir hoch, stehe dicht vor ihr.
„So
besser?“
Sie
verneint.
Ich
drücke sie sanft auf's Bett, beuge mich über sie.
„Mmh,
'n bisschen.“
Ich
küsse sie zärtlich. „Und so?“
„Das
meinte ich.“, meint sie glücklich.
Wir
küssen uns wieder sehr innig,
Dann
sehe ich ihr tief in die Augen.
„Du
und ich?“
„Du
und ich.“
Endlich.
Wir
sind zusammen.
Ich
habe eine ernsthafte, feste Beziehung mit Martha.
Und
es fühlt sich so wundervoll an!
Überglücklich
versinken wir beide in einem weiteren langen, innigen Kuß …
4378
Mitten
im schönsten Küssen nuschelt Martha in meinen Mund, das wäre ja
der Wahnsinn.
Sie
ist der Wahnsinn.
Ich
kriege einfach nicht genug von ihr.
Aber
eine Winzigkeit stört mich.
„Martha!“,
sage ich. „Du bist süß. Aber du redest viel zu viel.“
Ja,
das wüßte sie. Und meint, sie könnte sich gar nicht richtig
ausdrücken …
„Ich
weiß, was du sagen willst.“, sage ich sanft und küsse sie erneut,
ganz zärtlich.
Dann
fragt sie mich, ob wir jetzt wirklich zusammen sind.
„Ja.“,
sage ich ein wenig ungeduldig, weil mir echt nicht nach Reden ist
angesichts dieser Lippen, die nach meinen rufen.
Aber
ich verstehe sie schon. Viele Monate hat sie sich nach mir gesehnt,
ohne Hoffnung, daß sie je eine Chance bei mir hätte. Kein Wunder,
daß sie noch nicht gleich verinnerlichen kann, daß sie wirklich
meine, Juri Adams feste Partnerin ist.
„Scheiße.“,
meint sie.
Ah,
wie lieb! Ich grinse mir eins.
„Ich
werte das jetzt mal als positives Signal.“
Endlich
läßt sie sich küssen ohne mir dazwischen zu quasseln.
Sie
schmeckt so süß!
Da
klingelt mein Telefon.
Mir
ist das scheißegal.
Aber
Martha anscheinend nicht. „Willst du nicht rangehen?“
„Nein.“,
knurre ich ungeduldig.
Ich
brauche meinen Mund grade für Wichtigeres als zum Telefonieren.
Aber
Martha ist durch das verdammte Klingeln wirklich irritiert und kann sich
nicht fallenlassen.
Sehr,
sehr widerwillig gehe ich ran. Es ist LCL. Jemand soll mit Mosch
verhandeln und das soll ich sein. Ich sage, daß ich keine Zeit habe,
aber die lassen leider nicht locker. Und ich kann nicht leugnen, daß
mir meine Arbeit wichtig ist. Also sage ich, daß ich gleich komme.
Ach,
wenn's doch so wäre!
Ich
frage Martha, ob sie mitkommt.
Sie
zögert. Und das liegt daran, wie sie mir sagt, daß wir uns vorhin
vor aller Augen geküßt haben und wenn wir jetzt da zusammen
ankommen würden, dann wüßten doch alle Bescheid.
„Ja.“,
sage ich und verstehe nicht, wo hier ein Problem sein soll.
„Willst
du ein Geheimnis draus machen?“, frage ich sie.
„Ich
weiß nicht. Du?“
„Ist
'n neuer Gedanke für mich. Macht mich aber irgendwie an.“
Sie
lächelt wieder.
Gut
gelaunt machen wir uns auf den Weg zu LCL.
*******
Martha
will ein Geheimnis. Dann soll sie eins kriegen.
Kaum
bei LCL angekommen, ziehe ich sie mit mir. Viele
Versteckmöglichkeiten gibt es hier in der Eingangshalle nicht, aber
wo ein Wille ist, ist auch ein Kleiderständer.
Ich
kann mich eh kaum noch zurückhalten. Es muß mindestens zehn Minuten
her sein, daß ich das letzte Mal geküßt habe. Und das ist
eindeutig zu lange.
Sie
hat Spaß. Sie quiekt und juchzt.
Und
das macht mich so an.
Sie
ist so wunderschön. So süß. So unwiderstehlich.
Wieso
habe ich so lange gebraucht, um das zu kapieren?
*******
Ich
habe das Gespräch mit Mosch hinter mir und es zieht mich zu Martha.
Sie
ist an ihrem Arbeitsplatz. Ich sehe sie durch die Scheibe hindurch an
und bekomme heftiges Herzklopfen.
Gott,
ich will diese Frau so sehr!
Sie
macht mich echt komplett verrückt!
Ich
denke an die leidenschaftlichen Stunden mit ihr und kann meine
Sehnsucht nach ihr kaum noch im Zaum halten.
Ich
weiß, daß ich sie unverhohlen verlangend ansehe.
Ihr
scheint das nicht wirklich aufzufallen.
Aber
ich weiß, daß ihr mein offenes Begehren gefällt, es tut ihr gut.
Diese
schöne Frau hat sich lange genug für ein Mauerblümchen gehalten.
Ich
ziehe sie wieder mit mir, diesmal ins Lager.
Sie
will erst Widerstand leisten, nuschelt mir wieder in den Mund.
Aber
ich lasse sie nicht auskommen und es dauert nur Sekunden, bis ihr
Widerstand bricht und sie meine Küsse leidenschaftlich erwidert.
Wir
richten in unserem Ungestüm ein ziemliches Chaos an, aber das
kümmert uns nicht.
Ich
trage mich ernsthaft mit dem Gedanken, sie hier und jetzt zu nehmen.
Doch
da werden wir gestört, eine ihrer Kolleginnen steht im Türrahmen
und glotzt blöd aus der Wäsche.
Noch
nie ein verliebtes Paar beim Knutschen gesehen?
„Besetzt!“,
meine ich und sie haut wieder ab.
„Doch
abschließen?“, frage ich.
Doch
Martha ist aus dem Rhythmus. „Sorry.“, meint sie.
„Na
gut, nächstes Mal.“
„Hast
du was Bestimmtes vor?“
„Ich
krieg dich.“, sage ich und lasse keinen Zweifel offen, was ich
will.
*******
Ich
komme die Treppe runter und bekomme zufällig ein Gespräch zwischen
Sascha und Martha mit.
Es
scheint so, als dächte Sascha, Martha wäre nur eine Affäre für
mich.
Er
weiß nicht, daß die Geheimniskrämerei im Moment nur ein reizvolles
Spiel für Martha und mich ist. Ich will wahrhaftig kein Geheimnis
aus unserer Liebe machen, im Gegenteil.
Ich
könnte mein Glück in die ganze Welt hinausschreien.
Meine
süße Martha glaubt aber an mich und meine ernsthaften Gefühle für
sie und mir wird bei ihren Worten ganz warm ums Herz.
Dann
bemerkt sie mich, läßt Sascha stehen.
Im
Vorbeigehen meint sie zu mir, daß alles okay sei.
Doch
ich weiß, daß sie getroffen ist von dem Vorwurf, den man mir macht.
Ich
kann Sascha seine Besorgnis um Martha nicht übelnehmen, er will sie
nur vor Leid bewahren.
*******
Ich
wußte, daß das Thema für Martha nicht gegessen ist.
„Juri,
weißt du, wie man eine Affäre definiert?“
„Fekf.“,
nuschle ich, denn ich habe meinen Zeichenstift zwischen den Zähnen.
Und
sonst noch, will sie wissen.
„Heimlicher
Sex.“ Ich lerne schnell, mich trotz des Stiftes verständlich
auszudrücken.
„Also
doch.“, murmelt sie.
Ich
kann mich nicht konzentrieren, wenn sie ständig hinter mir murmelt.
„Martha,
ich kann so nicht arbeiten.“
Sie
sagt mir, daß unter den Kollegen erzählt wird, sie hätte sich
hochgeschlafen.
Als
ich nur die Augen verdrehe, weil es mir so egal ist, was die Leute
schwätzen, fragt sie mich, ob mich das nicht stören würde.
Ich
sage ihr, daß sie doch schon Designerin für Accesoires war, bevor wir was
miteinander angefangen hätten.
Es
ist offensichtlich, daß sie nicht einfach so locker wie ich darüber
hinwegsehen kann.
Und
da sie jetzt meine feste Partnerin ist, sollte ich ihre Sorgen und
ihren Kummer wohl ernst nehmen und nicht einfach so abtun, wie es
sonst meine Art ist.
*******
Ich
nehme die Sache also in die Hand.
Und
das Schicksal ist auf meiner Seite, denn just gerade redet Nicole,
die für das niederträchtige Gerücht, meine Martha habe sich
hochgeschlafen, verantwortlich ist, mit meiner Süßen.
Ich
stelle mich ganz dicht hinter das blöde Weib, mißachte auf
provokante Weise ihren Individualabstand und sage, als sie gerade
meint, sie sei bisher nicht dazu gekommen, Martha ihr Beileid
auszusprechen:
„Du
bist nicht dazu gekommen, weil es hier so viele interessante Gerüchte
in der Luft gibt, hm?“
Martha
versucht mich zu bremsen.
Aber
ich habe keine Lust, daß Martha sich weiter Gedanken über die
Tratscherei macht und uns beiden den Spaß an unserer Beziehung
vergällt.
„Ich
glaub, ich möchte 'ne kleine Rede halten. ALLE MAL HERHÖREN!
Nicole
hier denkt, Martha hätte sich hochgeschlafen. Von Ausbildung und
Talent hat Nicole nicht soviel Ahnung.“ Und in drohendem Ton fahre
ich fort: „Wenn hier noch jemand etwas denkt, dem oder der
rate ich, denkt lieber an eure Arbeit, sonst schmeiß ich euch alle
raus!“
Ich
hoffe, das war deutlich genug.
Ich
genieße die verdatterten und betretenen Gesichter.
Und
greife mir Martha, um sie ungeniert vor allen leidenschaftlich zu
küssen.
*******
Ich
will Feierabend machen. Ich hatte eh heute nicht arbeiten wollen. Und
ich kann mir angenehmere Dinge vorstellen, als weiter in diesem
muffigen Kasten rumzuhängen.
Ich
könnte mit Martha da weitermachen, wo wir vorhin zuhause
unterbrochen hatten.
Sie
bräuchte noch einen Moment, meint sie und fummelt an ihrer
Handtasche rum.
Ich
kenne sie zu gut, um nicht zu merken, daß was nicht stimmt.
„Was?“
„Eigentlich
alles gut.“, wiegelt sie ab.
„Martha,
du machst mich fertig!“
Ich
meine zu ihr, daß ich die Sache klargestellt hätte, weil sie doch
unter dieser Situation gelitten hätte.
Und
bekomme zu hören, daß es das „wie“ war. Wie ich diese Nicole
angegangen wäre.
Und
daß ihr mein Auftritt peinlich war.
Ich
merke, wie unerfahren ich in Beziehungsdingen bin.
Wann
habe ich mich je um die Gefühle einer Frau kümmern müssen? Mich in
sie hineindenken?
„Ich
will mich nicht verstecken, aber ich will auch nicht, daß du so 'ne
Show draus machst.“
Sie
will es ganz normal langweilig.
Was
immer das heißen mag.
„Ich
weiß nicht, was normal ist.“, gestehe ich ihr offen meine
Unsicherheit.
„Das
ist neu für mich.“
„Du
hast doch auch schon mal 'ne Freundin gehabt.“
Nein,
Martha, hatte ich nie.
„Affären.
Bis jetzt.“
„Jetzt
wirst du aber nervös.“, meint sie und hat so Recht damit.
Unsicher
fahre ich mir durch die Haare und ringe nach Worten.
Und
dann finde ich die einzig Richtigen, die einzig Wahren.
„Martha
… ich liebe dich. Ich will nichts falsch machen.“
Ich
habe wirklich Angst, sie wieder zu verlieren und durch meine
Unerfahrenheit selbst schuld daran zu sein.
Der
Gedanke, ohne Martha zu sein, ist schier unerträglich für mich.
Ich
merke jetzt erst so richtig, wie sehr ich sie liebe, wieviel
sie mir bedeutet.
„Wirst
du nicht.“, sagt sie und lächelt mich an.
„Ich
liebe dich auch.“
Ich
sehe ihr in die Augen und fühle soviel Dankbarkeit für sie, daß
sie einem emotionalen Krüppel wie mir eine Chance gibt.
*******
Wir
gehen die Treppe runter und Martha meint zu mir, daß ich sie nicht
falsch verstehen möge – sie fände es toll, daß wir uns nicht
verstecken, aber so ein bisschen heimliches Rumgeknutsche wäre ja
doch ganz schön.
Ich
lehne meine Stirn zärtlich an ihre und frage:
„Also
… gehen wir zu dir oder zu mir?“
Ich
kann es kaum erwarten, endlich wieder ungestört mit ihr zu sein.
Da
sie nicht gleich antwortet, meine ich, das sei doch eine ganz normale
Frage gewesen.
Sie
hat aber lediglich gezögert, weil sie nach ihrem Onkel sehen möchte.
„Aber
wenn zuhause alles okay ist, würde ich gerne nachher noch zu dir
kommen.“
„Das
heißt, ich fahre jetzt alleine nach Hause und freu mich dann auf
dich?“
Sie
lächelt so süß, so bezaubernd, daß es mir mehr als schwer fällt,
sie gehen zu lassen und geduldig zu warten.
Wir
küssen uns zum Abschied.
„So
fühlt sich das an?“, frage ich und halte sie fest, als sie gehen
will.
„Was?“
Ich
küsse sie erneut.
„Die
ganz normale Liebe … fühlt sich so an?“
„Du
spinnst.“, lacht sie.
„Warte
mal.“, sage ich und halte sie wieder fest.
Küsse
sie abermals.
„So?“,
frage ich.
Hm,
wenn das so ist, dann fühlt es sich verdammt gut an.
Und
es kommt überhaupt nicht in Frage, daß wir hier einzeln raus
marschieren, wo wir doch ein Paar sind. Ich hake mir Marthas Arm
unter und so verlassen wir LCL. Als offizielles, aber ganz normales,
langweiliges Liebespaar.
*******
Die
Wartezeit auf Martha wird mir erstaunlicherweise nicht lang.
Meistens
liege ich auf dem Bett und gebe mich meinen Gedanken hin.
Sie
hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt.
Zwischen
all den Gefühlen ist eins vorherrschend.
Ich
bin einfach glücklich.
Ist
das auch ganz normal langweilig, daß man meint, vor Glück beinahe
zu platzen?
Dann
klopft es und Martha steht da. Aber nicht nur sie alleine.
Sie
hat zwei Koffer bei sich.
Damit
überrumpelt sie mich.
Ich
bin irgendwie noch nicht dazu gekommen, mir Gedanken darüber zu
machen, ob und wie wir zusammenleben wollen.
Ich
versuche, die Situation gelassen zu nehmen.
Vor
allem, um ihren Redefluß zu stoppen. Sie redet nämlich schon wieder
viel zu viel, wo mir doch nach ganz anderen Dingen als Reden ist.
Martha
hat das Gefühl, mir zu sehr auf die Pelle zu rücken und meint, wenn
ich das nicht wolle, daß sie so mehr oder weniger bei mir einzieht,
dann würde sie ihre Sachen wieder mitnehmen.
„Eine
Bedingung.“, meine ich. „Hast du dein Sex-Bomb-T-Shirt dabei?“
„Wieso?
Willst du's dir ausleihen?“
„Nein.
Ich will, daß du's anziehst. Dann kann ich's dir gleich wieder
ausziehen.“
Damals,
in dem Münchner Hotelzimmer. Ich fast nackt unter der Decke. Und sie
so süß nervös, weil so verliebt in mich.
Da
hat sie davon geträumt, von mir verführt zu werden.
Ich
weiß es.
Und
jetzt mache ich das wahr.
Ein
kleines Geschenk für meine Süße.
Ich
packe sie an den Hüften und schubse sie auf's Bett.
Lachend
läßt sie mich gewähren.
Ich
hab ja gesagt – ich krieg dich.
4379
Wir
haben uns chinesisches Essen kommen lassen. Meine süße Martha wäre
mir sonst noch verhungert.
Ich
wundere mich darüber, wieviel Freude mir so simple Dinge machen, wie
zum Beispiel Martha mit den Eßstäbchen zu füttern.
Für
sie scheint sowas ganz normal zu sein.
Wahrscheinlich
ist das auch ganz normal in einer ganz normalen Beziehung.
Nur
ich fühle mich nicht normal.
Alles,
aber auch alles ist anders.
Ich
bin glücklich, aber auch beunruhigt, weil ich meine Gefühle für
Martha einfach nicht unter Kontrolle habe.
Ich
weiß nicht, vielleicht ist das ja auch normal.
Ich
versuche, mir nichts anmerken zu lassen und bemühe mich aktiv um
Normalität.
Dazu
gehört schon mal die Arbeit und es ist sogar dringend notwendig, an
der Kollektion zu arbeiten. Die neuen Entwürfe müssen heute fertig
werden.
Martha
stimmt mir zu, während sie fröhlich weiter kaut.
Ich
beneide sie um ihre Gelassenheit.
Meine
Gedanken sind schon wieder ganz woanders.
Sie
will sich einen Personal Trainer nehmen. Im Ernst.
Sie
will wieder laufen gehen. Morgen schon.
Ich
sehe sie an und bekomme meine Gefühle einfach nicht in den Griff.
Ich weiß genau, daß ich permanent ein unanständiges Grinsen zur
Schau stelle, weil meine Phantasie Amok läuft.
„In
einer Woche laufe ich dir davon.“
„Ich
hatte gehofft, daß wir länger als 'ne Woche zusammenbleiben.“
Ich
hätte gar nicht damit gerechnet, daß ich in meiner Situation noch
schlagfertig sein könnte.
Ich
fühle mich so übermütig.
„Und
das ist ein Grund mehr, endlich wieder was für mich zu tun.“
Moment,
Süße, du willst doch nicht etwa abnehmen? Das läßt du mal schön
bleiben! So wie du bist, bist du perfekt und jedes einzelne Gramm an
dir ist Gold wert!
Sie
stellt die Eßschale weg und lehnt sich zurück.
„Hast
du keinen Hunger mehr?“
Sie
will jetzt nicht wirklich Diät machen?
Sie
schaut mich an und ich kapiere sofort.
Hunger
ist durchaus noch da.
Ich
bin zwar satt, aber so ein verlockender Nachtisch wie du geht immer!
Langsam
schiebe ich mit meinen Eßstäbchen die Decke über ihren Beinen nach
oben.
„Wie
wär's eigentlich, wenn du mein Personal Trainer wirst?“
Mir
fällt der Hahnenkamm zusammen.
Och,
Martha!
Gleich
morgen will sie mit mir zusammen joggen.
Und
als ich schon befürchte, daß ihr Redefluß wieder nicht zu stoppen
sein wird, schweigt sie und sieht mich in einer Weise an, die mein
Blut sofort vom Hirn in tiefer gelegene Regionen schießen läßt.
Meine
Eßstäbchen landen klackernd irgendwo im Loft und die störende
Decke fliegt gleich hinterher.
Oh,
Martha, du machst mich wahnsinnig!
*******
Es
war wieder … wundervoll.
Ich
glaube nicht, daß ich vor Martha jemals den Sex mit einer Frau als
wundervoll bezeichnet habe.
Heiß,
geil, ja.
Doch
das ist der Sex mit Martha auch.
Aber
eben auch … wundervoll.
Ich
kann nicht beschreiben, was genau ich überhaupt damit meine.
Ich
liege auf dem Bauch, den Kopf auf den Armen und genieße die
Nachwehen.
„Bleibt
das jetzt für immer so?“, fragt Martha und küßt mich auf die
Schulter. „Du und ich?“
„Ja.“,
seufze ich glücklich und will grade die Augen schließen, als mich
ein Rascheln aufmerken läßt.
Martha
hat sich ihr Sexbomb-Shirt zum Schlafen übergezogen.
Sofort
bin ich wieder hellwach. Zumindest der wichtigste Teil von mir.
„Was?“,
fragt sie, als sie meinen Blick bemerkt.
„Ich
weiß nicht … irgendwie … ist das ein … ziemlich geiles
T-Shirt.“
„Dann
warte erstmal, bis ich wiederkomme.“, meint sie lasziv und
verschwindet im Bad.
Ich
habe eine Idee, springe auf und fange an zu zeichnen.
Plötzlich
ist Martha wieder da, ich habe sie nicht reinkommen hören.
Ob
ich arbeiten wolle, fragt sie rücksichtsvoll.
Nein,
sage ich, ich hätte nur eben schnell was skizzieren wollen, bevor
ich es wieder vergesse. Und das stimmt.
Sie
könne auch zuhause schlafen, das sei kein Problem.
Ich
glaube, sie ist enttäuscht, weil sie mich wohl mit einem sexy
Auftritt überraschen wollte und ich hab's nicht mal mitgekriegt.
„Wir
wollten doch was mit diesem T-Shirt anstellen.“, bemühe ich mich,
die Sache wieder gutzumachen.
„Dem
T-Shirt?“, fragt sie ahnungslos.
„Ja,
ich erinnere mich, daß ich dir das ausziehen wollte.“ Bei diesen
Worten wandern meine Hände unter das Shirt und das Gefühl ihrer
warmen Haut unter meinen Fingern läßt meine Sehnsucht nach dieser
umwerfenden Frau gleich wieder auflodern.
*******
Ich
liege neben Martha und warte geduldig, bis sie eingeschlafen ist.
Dann
will ich arbeiten.
Als
ihr Atem ganz ruhig und gleichmäßig geht, stehe ich leise auf.
Ich
hocke mich wieder über meinen Skizzenblock und ziehe ein paar
Striche.
Aber
meine Gedanken sind nicht voll dabei.
Ich
blicke über die Schulter zu meinem Bett, wo Martha glücklich und
zufrieden schläft.
Ich
hatte gedacht, daß ich in Ruhe arbeiten könnte, während sie
schläft.
Aber
…
Es
zieht mich zu ihr.
Ich
stehe vor ihr und betrachte zärtlich ihr süßes Gesicht.
Und
der Wunsch, mich wieder an sie zu kuscheln ist stärker als die
Bereitschaft, an meinen Entwürfen zu arbeiten.
Die
Nacht ist noch lang.
Ein,
zwei Stunden schön kuscheln, schlafen und dann ran ans Werk!
Ich
schicke mich an, sanft ihre Schulter zu streicheln, lasse es aber,
weil ich sie nicht wecken will.
Schlafen
kann ich nicht; ich fühle mich wie gedopt. Und dabei habe ich heute
eher wenig Kaffee getrunken.
Ich
stehe wieder auf und laufe leise ein wenig auf und ab.
Klemme
mich wieder über meinen Block und warte auf meine nächtliche
Erleuchtung.
Aber
da kommt nichts.
Das
beunruhigt mich.
Ich
habe immer schon gerne und gut nachts gearbeitet.
Wenn
draußen alles still ist.
Auch
heute ist es still draußen.
Aber
nicht in mir drin.
Sie
ist keine zwei Meter weit von mir entfernt und doch vermisse ich sie.
Das
ist doch verrückt!
Ich
mache ein wenig Schattenboxen in der Hoffnung, den Kopf frei zu
bekommen.
Aber
ich ahne schon vorher, daß das nicht funktioniert.
Das
soll normal sein, Martha?
Daß
man vollkommen durch den Wind ist? Daß man total neben sich steht?
Sind
Verliebte überhaupt noch zu was anderem fähig, als sich sehnsüchtig
im Bett zu wälzen?
Wie
machen die anderen das?
Arbeiten,
ihr Leben bewältigen, obwohl sie verliebt sind?
Sag
mir das doch mal einer!
Wieder
hocke ich vor ihr, streichle ihr zärtlich eine Haarsträhne über
dem Ohr glatt.
Arbeiten
müßte ich, aber küssen, streicheln will ich sie.
Mittlerweile
müßte ich schon eine Furche in den Boden des Lofts gelaufen haben,
so oft wie ich rastlos auf und ab wandere.
Und
wieder hocke ich vor ihr, sehe sie an, als ob ihr schlafender Anblick
mir die Lösung bieten könnte.
Völlig
fertig mit den Nerven lasse ich meinen Kopf auf die Matratze sinken.
Ich
weiß nicht, wohin mit mir und dem Chaos in meinem Inneren.
Normalität,
ja?
*******
Irgendwann
gebe ich erschöpft den Kampf auf und lege mich wieder hin.
Schlafen
kann ich nicht.
Und
so bin ich immer noch wach, als Marthas Wecker klingelt.
Sie
wünscht mir zärtlich guten Morgen, aber es hat keine Wirkung auf
mich.
Ich
bin … ja, ich denke, man kann das sagen ... verstört.
Es
macht mir Angst, was da mit mir vorgeht.
Ich
liebe Martha, aber wo soll das hinführen, wenn ich meine Gefühle
nicht so weit im Griff habe, daß ich meiner Arbeit nachgehen kann?
Die
Sache mit Martha darf mich doch nicht so aus der Bahn werfen!
„Na?
Hast du auch so wunderbar geschlafen wie ich?“, fragt sie sanft.
Ich
weiß, ich sollte liebevoll darauf eingehen, aber ich kann nicht.
Ich
bin jetzt nicht nur in Bezug auf meine Arbeit blockiert, sondern auch
gegenüber Martha.
Meine
Angst läßt mich wieder dichtmachen.
Dabei
wäre es sicher besser, mit Martha darüber zu reden.
Sie
hat doch keine Ahnung, was die Nacht mit mir los gewesen ist.
Sie
kuschelt sich zufrieden an mich. „Genau so habe ich mir unsere
erste gemeinsame Nacht vorgestellt.“
Ich
mir leider nicht.
„Obwohl
… eigentlich war sie sogar besser, als ich sie mir vorgestellt
habe.“
Sie
sagt mir unheimlich süße Sachen und was mache ich? Starre mißmutig
an die Decke und kann mich mal wieder selbst nicht leiden.
„Und
bei dir?“, fragt sie.
„Ich
hab dir beim Schlafen zugeguckt.“
Das
ist nur die halbe Wahrheit.
Sie
ist munter und ausgelassen und versucht mich hoch zu scheuchen. Wir
wollten doch joggen gehen, meint sie.
Ich
fühle mich körperlich durch den fehlenden Schlaf wie gerädert und
innerlich durch die permanente Grübelei ähnlich kraftlos.
Aber
ich will Martha nicht enttäuschen und so beklage ich mich lediglich
über die Uhrzeit.
Ich
habe kein gutes Gefühl dabei, nicht ehrlich zu ihr zu sein.
Immerhin
haben wir jetzt eine ernsthafte Beziehung.
So
nebenbei hoffe ich aber, daß die Bewegung an der frischen Luft mir
hilft, wieder klar im Kopf zu werden.
*******
Dann
sind wir unterwegs.
Und
Martha redet und redet.
Während
ich versuche, wieder normal zu werden.
An
normale Dinge zu denken.
Zum
Beispiel an meine Arbeit.
Sie
hätte nicht gedacht, daß ich so ein Morgenmuffel sei.
Aber
Thomas sei auch so.
Ohne
seinen Kaffee sei er ungenießbar.
Ob
ich auch so wäre?
Sie
sei ja nicht so.
Sie
redet munter vor sich hin.
Doch
irgendwann merkt sie, daß mit mir was nicht stimmt.
Ob
sie mich nerven würde?
Dann
sollte ich das sagen.
Wir
sollten ehrlich miteinander sein, meint sie.
Sie
hat ja Recht, das weiß ich.
Aber
das ist nicht so einfach.
Während
ich verzweifelt überlege, wie ich mich ihr mitteilen soll, läuft
sie auf einmal voll vor einen Baum.
Ich
war leider zu sehr in meine Gedanken vertieft, um es zu verhindern.
Ich
erschrecke mich sehr, denn sie liegt am Boden und rührt sich erstmal
nicht.
Mann,
du Idiot, kannst du nicht besser auf sie aufpassen?
Doch
da reibt sie sich die Stirn, es scheint nichts Schlimmes passiert zu
sein.
Ich
helfe ihr in sitzende Stellung; sie lehnt sich zum Erholen an den
Baumstamm.
„Martha!
Warum rennst du gegen einen Baum?“
Es
ist lange her, daß sie sich zuletzt so tollpatschig benommen hat.
Früher war immer ich schuld daran und mir schwant, daß es auch
diesmal so ist.
„Weil
du mich verunsichert hast. Ja, du bist die ganze Zeit schon so
komisch.“
Ich
wußte es.
„Du
verheimlichst mir was. Willst du höflich sein?“
Nun
habe ich wirklich keine Ahnung, was sie meint. „Höflich?“
„Ich
bin verliebt!“, sage ich und blicke ihr verzweifelt in die Augen.
„Also
ist da was?“
„Das
hab ich nicht gesagt.“
„Ich
will, daß du du bist. Laß doch deinen Impulsen freien Lauf.“
Ich
sehe sie an und merke, daß mir wieder mal alle Felle wegschwimmen.
Sie
deutet meinen Blick jedoch völlig falsch und meint, ich würde ihr
auf eine beginnende Beule starren.
„Du
siehst geil aus.“, sage ich, finde das furchtbar unpassend und doch
ist es genau das, was ich gerade denke.
Ich
nehme ihr süßes Gesicht in beide Hände und küsse sie zärtlich.
Was
ihre Laune sofort hebt.
Ich
ziehe ihr den Reißverschluß ihres Kapuzenshirts runter.
„Laß
das.“, meint sie.
Ach
komm, Martha, ich bin sicher, du magst das.
Ich
küsse sie wieder und wieder, aber Martha mag sich nicht
fallenlassen, weil ihr hier zuviel Menschen sind.
Na,
da kann doch Abhilfe geschaffen werden!
Ich
ziehe sie hoch und mit mir mit.
*******
Auf
einem kleinen laubbedeckten Fleckchen Erde jenseits des Weges habe
ich Martha soweit.
Ui,
das gefällt uns beiden.
Als
hätten wir tagelang nacheinander gehungert, lassen wir unserer Lust
freien Lauf.
Ein
wenig aus der Puste, aber sehr befriedigt liegen wir danach im warmen Laub
und ich streichle glücklich ihre weiche Haut.
Ihr
seliger Gesichtsausdruck läßt mich ebenso selig lächeln.
Zärtlich
puste ich ihr eine Strähne aus der Stirn.
Ich
bin süchtig nach diesen Momenten mit ihr.
„Hey,
das war ein Personal Training!“, meint sie auf einmal.
Solche
Trainingsstunden gebe ich ihr gerne täglich.
Sie
will heute schwänzen.
Ich
frage sie, ob sie heute nicht ihre Präsentation bei dieser Pelztussi
hätte.
Das
ist ihr aber ziemlich egal.
Sie
betrachtet den Himmel und ist von ihm begeistert.
Plötzlich
meint sie ein Schwein in den Wolken zu erkennen.
Da
funkt es auf einmal bei mir.
Meine
letzte Chance für die Entwürfe.
Ohne
weiter nachzudenken, aus Angst, die Idee könnte sich in Luft
auflösen, springe ich auf, sage Martha, daß ich eine Idee hätte,
schnell was erledigen müsse und wir uns später bei LCL sehen
würden.
Und
dann bin ich schon weg.
Spurte
nach Hause.
Zeichne
im Eiltempo die erste Skizze fertig und eine zweite noch dazu.
Es
sind nur diese zwei, aber sie sind gut, denke ich.
Ich
flitze damit zu LCL; wo bleibt denn Martha nur? Sie ist doch flott
unterwegs.
*******
Als
sie endlich kommt, ist sie ziemlich sauer und ich weiß gar nicht
wieso.
Bis
sie mir klar macht, daß es nicht besonders nett von mir war, sie
halbnackt im Wald sitzen zu lassen.
Und
sie ohne Schlüssel vor meiner verschlossenen Wohnungstür stehen zu
lassen.
Ich
war ja schon wieder weg.
Ich
mag ihr gar nicht in die Augen sehen, so unangenehm ist mir das.
Nicht,
daß sie mich vor Sascha und Marlene runterputzt.
Nein,
weil ich so gedankenlos war.
Aber
Herrgott, solche Überlegungen sind mir doch völlig fremd!
Wohnungsschlüssel,
wie soll man denn auf sowas kommen?
Ich
hab doch gar noch gar nicht richtig begriffen, daß da zuhause bei
mir zwei Koffer mit ihren Sachen stehen.
Sowas
gab's noch nie bei mir.
„Oh!“,
mache ich wenig intelligent und lasse die Standpauke geduldig über
mich ergehen.
Gebe
ihr meine Schlüssel.
„Wenn
du das noch einmal mit mir machst! … Machst du das noch einmal mit
mir ...“
Ihre
Augen sprühen Funken und ziemlich geladen rauscht sie davon.
Ihr
Temperament macht mich so dermaßen an. Meine Hand zuckt nach vorne,
weil sie ihr einen Klaps auf den süßen Arsch geben will.
Seufzend
mache ich mich auf den Weg nach oben; Rebecca wartet.
Die
freut sich echt, mich zu sehen. „Ich hasse dich, habe ich dir das
eigentlich schon mal gesagt?“
„Ich
kann dich auch nicht leiden.“
Ohne
Martha in meiner Nähe kann ich halbwegs normal denken.
Aber
nur halbwegs.
Diese
verzogene Göre mit dem Pelztick meint herablassend, daß Martha wohl
noch mit einem üppigen Frühstück beschäftigt sei.
Ich
atme tief ein und bemühe mich, meinen Unmut über diese
Unverschämtheit nicht an ihr auszulassen.
Glücklicherweise
verteidigt Rebecca Martha schon, die auch kurz darauf erscheint.
Die
kleine Göre zickt rum, weil ich nicht alle versprochenen Entwürfe
präsentieren kann.
„Mir
ist was dazwischen gekommen.“, meine ich.
„Ich
dachte, du arbeitest jede Nacht durch. Ich frage mich, was da … bei
dir dazwischen gekommen ist.“, grinst Rebecca mich von der Seite
an.
Klar,
daß sich meine Ansprache an das Personal von gestern rumgeschwiegen
hat.
„Ich!“,
platzt Martha raus. „Ich bin dir dazwischen gekommen.“
Wir
gehen in den Waschraum, weil Martha Redebedarf hat.
Sie
meint, sie hätte mich vom Arbeiten abgehalten.
Das
stimmt zwar, aber nicht so, wie sie denkt.
Nicht,
weil ich ihretwegen keine Zeit gehabt hätte.
„Wir
haben gestern die erste Nacht miteinander verbracht und gleich darauf
hast du 'ne kreative Blockade und bist komplett durch den Wind!“
Das
ist richtig, aber du verstehst trotzdem nicht, weswegen.
„Verstehst
du, bei mir hat noch nie eine Frau gefrühstückt, okay? Wir haben 'n
paar Nummern geschoben, dann hab ich sie ins Taxi gesteckt und DANN
habe ich angefangen zu arbeiten!“
„Ich
hab dich gestern extra noch gefragt.“
„Ich
wollte warten, bis du schläfst und dann wollte ich arbeiten.“,
meine ich seufzend, weil sie einfach nicht versteht.
„Du
hätt'st mich ja wecken und ins Taxi stecken können.“
„NEIIIN!“,
brülle ich entnervt. „Dann wär's doch wieder nicht gegangen, weil
du nicht da bist! Verdammte Scheiße, ich liebe dich!!! … Du machst
mich fertig.“ Heftig atmend sehe ich ihr in die Augen.
Doch
sie grinst mich nur an. Ich glaube, sie fühlt sich geschmeichelt
dadurch, mich um den Verstand zu bringen.
„Okay,
du liebst mich. Ist das jetzt gut oder schlecht?“
Ich
könne wegen ihr nicht mehr arbeiten, das sei doch nicht gut.
Normalerweise inspiriere man sich, entwickle sich weiter, helfe sich
gegenseitig, aber so?
Sie
sei monatelang meine Assistentin gewesen, sie wisse genau, auf was
sie sich mit mir einlasse.
Ich
meine, sie sei immer noch böse mit mir.
Sie
streitet erst ab. Doch dann gibt sie es zu.
Und
findet es seltsam, daß ich nicht arbeiten könne, während sie
schlafe, aber kein Problem damit hätte, sie halbnackt im Wald stehen
zu lassen.
Ich
reagiere ungeduldig, das weiß ich.
Sage
ihr, daß ich die ganze Nacht diesen Entwurf im Kopf gehabt hätte
und der irgendwann mal raus mußte.
Daß
ich echte Panik hatte, in ihrer Nähe nie mehr einen klaren Gedanken
fassen zu können, sage ich ihr nicht. Ich will sie nicht noch mehr
beunruhigen.
Aber
für mein beschissenes Timing sollte ich mich entschuldigen.
Und
das tue ich auch.
„Ich
werd' das nächste Mal einfach meine Klamotten zuhause lassen.“,
meint sie und will mir meinen Schlüssel wiedergeben.
„Nein.
Behalte ihn. So als Test … ob das mit uns beiden funktioniert.
„Ähm,
wir zwei … in einer Wohnung?“
„Ja.“
„Dann
kannst du aber nie wieder arbeiten.“
Danke,
Martha. Sehr aufmunternd.
Ich
zucke nur mit den Schultern und werfe ihr das Handtuch ins Gesicht.
*******
Nein,
so locker nehme ich das nicht. Ich bin ziemlich beunruhigt.
Aber
wir gehen erstmal essen.
Beim
Mexikaner.
Die
Erinnerung an unser erstes „Geschäftsessen“ hier heitert mich
auf.
Meine
süße Martha so nervös, weil so verliebt.
Und
ich, der ich mich köstlich darüber amüsiere. Sie wieder mit ihrem
Ausrutscher mit Emilio aufziehe.
Nun
hätte sie Grund, sich über mich zu amüsieren.
Nun
bin ich der verliebte Trottel, der total neben den Schuhen steht.
Martha
versucht, mich zu beruhigen.
Daß
man den anderen nicht mehr aus dem Kopf kriegen und überhaupt nur
ans Vögeln denken könnte – ja das hat sie so gesagt – sei
anfangs völlig normal.
Das
würde sich aber geben und dann könne man eine Liebesbeziehung und
den normalen Alltag durchaus unter einen Hut bringen.
Bei
mir sei das alles halt ein wenig heftiger, weil ich das erste Mal
wirklich verliebt sei.
Wie
lange das dauert, bis „das sich gibt“, sagt sie mir nicht.
Ich
bin nur halbwegs beruhigt.
Ich
bemühe mich aber, mich nicht verrückt zu machen.
Zurück
bei LCL küßt Martha mich sehr zärtlich und läßt mich dann ganz
in Ruhe.
Ich
mache mich an die Arbeit, Kopfhörer auf und Augen zu.
Natürlich
sehe ich Martha vor mir.
Und
während ich noch denke, scheiße, das geht doch wieder nicht,
schwirren Formen und Linien durch mein Hirn …
Martha
hat mich immer inspiriert. Eigentlich müßte das jetzt doch sogar
noch viel mehr der Fall sein.
Laß
dich drauf ein, alter Junge!
Fallenlassen.
Es
funktioniert recht gut. Ich bin mit dem Ergebnis zufrieden.
Keine Geniestreiche, aber verglichen mit letzter Nacht
…
Ich
sehe Martha mit der jungen Büglerin an der Küchenzeile stehen. Die
beiden reden sehr engagiert.
Martha
ist immer so süß, wenn sie sich ereifert. Ihr hübsches Gesicht
glüht und ihre Augen leuchten.
Ich
muß lachen, als Martha in ihrem Eifer der jungen Frau fast die Tasse
aus der Hand haut und sie vollschlabbert. Scheint aber nur Wasser
gewesen zu sein. Beide lachen.
Als
die junge Frau gegangen ist, fällt Marthas Blick in meine Richtung.
Sie sieht mich lächeln, lächelt zurück. Macht sich an der
Kaffeemaschine zu schaffen.
Und
steht wenige Augenblicke mit einer dampfenden Tasse vor mir.
Der
Kaffee hier ist ziemlich mies, aber brauchen kann ich jetzt trotzdem
einen.
Sie
sieht mich fragend an, mir ist klar, sie will wissen, wie ich
vorankomme. Ich lächle nur und nicke.
Alles
gut.
Ich
frage sie, ob sie wieder Futter für ihr Helfersyndrom gefunden
hätte.
„Was?“
„Na,
die kleine Büglerin. Eva, heißt sie, glaub ich.“
„Ja,
Eva. Na ja, sie hat Kummer und hat sich vorhin ein bisschen bei mir
ausgeheult. Ich war halt grade da. Und …“
„Martha,
ich weiß, daß du an keiner armen Seele vorbeigehen kannst. Du mußt
einfach helfen.“
„Machst
du dich über mich lustig?“
„Nein.“
„Na
ja … sie ist ziemlich fertig, weil … sie hat einen Heiratsantrag
bekommen, weiß aber nicht, ob sie der Liebe dieses Mannes vertrauen
kann. Sie liebt ihn auch, aber … ich hab ihr gesagt, daß du mir so
oft vor den Kopf gestoßen hast, daß ich gar nichts mehr glauben
konnte, daß ich nicht mehr wußte, wo oben und unten ist. Aber daß
du mir bewiesen hast, daß du es ehrlich meinst. Daß du mich liebst.
Und daß du dich ändern kannst.“
„Du
hast also wieder ein Plädoyer für die wahre Liebe gehalten?“
„Du
machst dich doch über mich lustig.“
„Nein,
tue ich nicht. Das bist eben du. Und dafür liebe ich dich. Für dein
Mitgefühl, für dein großes Herz, für deine Fähigkeit zu
bedingungsloser Liebe. Was wäre die Welt ohne dich … was wäre ich
ohne dich?“
Ich
sehe sie zärtlich an, sie wird rot.
„Juri
…“
„Ja,
ich kann das auch, wenn ich will. Also romantisch sein und so.“
Nun
lacht sie.
„Mach
das bloß nicht zu oft, das verwirrt mich.“
„Okay.“
„Dein
‚Verdammte Scheiße, ich liebe dich!‘ – das warst du. So kenne
ich dich. In den Mann habe ich mich verliebt. Den mit Ecken
und Kanten. Nicht weichgespült.“
„Okay,
ich hab’s verstanden.“, grinse ich.
Als
wir an diesem Abend im Bett liegen nehme ich mir gar nicht erst vor,
diese Nacht zu arbeiten.
Und
siehe da, gute fünf Stunden schlafe ich ganz entspannt an Martha
gekuschelt.
Dann
greife ich mir meinen Skizzenblock und setze mich ihr gegenüber auf
den Boden. Warum ihren Anblick meiden, wenn ich es doch eh nicht
kann? Und auch gar nicht will.
Viel
schaffe ich nicht, weil ich sie immer wieder ansehen muß.
Aber
was ich auf’s Papier bringe, ist gut.
Weil
ein guter Teil Martha drin ist.