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Samstag, 24. August 2013

Inside (4352 - 4379)



4352
Martha und ich sind noch am Arbeiten, als ich zufällig erfahre, daß Martha mit Sascha zum Grillfest im Boxclub kommen wird.
Deshalb also hat sie sich gerade darüber ausgelassen, daß das Wetter für's Grillen im Club prima wäre.
Ich weiß nicht, was das werden soll - ich dachte, die beiden hätten nichts mehr miteinander.
Hat er sie gefragt oder sie ihn?
Meine Gedanken müssen sich auf meinem Gesicht widerspiegeln, denn Sascha fragt mich leicht provokant, ob ich damit ein Problem hätte.
Warum sollte ich was dagegen haben, daß meine Assistentin auf ein Grillfest geht?
"Ich wundere mich nur.", sage ich und das stimmt ja.
Martha stammelt rum und wirkt wieder einmal ziemlich nervös.
Soll ich das jetzt auf mich beziehen oder geht es um Sascha?
Vielleicht spürt sie auch die unterschwellige Spannung zwischen Sascha und mir.
Sascha schaut mich permanent so komisch an.
Ich greife mir mein Zeug und haue ab … ich muß weg von den beiden.

*******

Mein Handy klingelt. Es ist Gloria.
Urplötzlich war sie gestern bei mir aufgetaucht.
Wir hatten mal was miteinander, ist schon eine Weile her.
Die einzige Frau, mit der ich mehr als nur eine Nacht verbracht habe.
Nichts Ernstes, aber eine ziemlich leidenschaftliche Affäre.
Auch gestern hat sie mich wieder verdammt heiß gemacht.
Hinterher jedoch …
Sie beschwert sich, daß ich heute morgen nicht mehr da war, als sie aufgewacht ist.
Ich sage ihr, daß ich ihr ihren Schönheitsschlaf gönnen wollte.
Nein, so ganz stimmt das nicht.
Ich will keine Affäre mehr mit ihr. Zumal ich den Eindruck habe, daß sie mehr will als nur gelegentlichen Sex.
Sie will mit zum Grillfest. Ich habe keine Lust, sie mitzunehmen, sage aber doch ja.
Sascha hat das Gespräch belauscht und fragt mich gleich aus. Ich sage ihm, daß Gloria eine alte Freundin ist.
"Wie alt?"
"So alt wie deine Mutter."
"Ein Top-Model also."
"Was sonst?"
Er kann sie gerne haben, wenn er will.

*******

Ich sitze auf meinem Bett und warte, daß Gloria fertig ist.
Ich greife nach etwas, es ist eins von Marthas Strickdingern. Ich blicke darauf und Emotionen steigen in mir auf … Erinnerungen an eine warme Hand, die mich festhält …
Ich werfe das Strickdings beiseite und schüttle die merkwürdige Stimmung ab.

Gloria kommt auf mich zu - lasziv, verführerisch. Eine Frau mit einer traumhaften Figur, herrlichen langen dunklen Haaren und wunderbar sinnlichen Lippen.
"Gefalle ich dir?", fragt sie.
Oh ja.
Ich winke sie her zu mir.
Mit leichten Fingern streife ich ihr das Kleid von den Schultern, leise raschelt es zu Boden.
Sie trägt nichts darunter. Nichts als ihren makellosen Körper.
Ich ziehe sie auf mich, fasse ihr begierig ins Haar.
Sie rutscht zu meinem Schoß hinab, ich schließe genußvoll die Augen.
Doch dann wieder Emotionen, Bilder … zwei Hände, die sich über einem Wollknäul treffen …
Irgendwas stimmt hier nicht.
Ich sehe Glorias schönes Gesicht über mir. Doch ein anderes schiebt sich darüber.
Was soll das? Warum denke ich beim Sex mit Gloria an Martha?
Gestern hat Gloria mich noch so scharf gemacht ...
Ich bin verwirrt, vollkommen durcheinander.
Ich merke, daß nichts mehr geht und drehe mich auf die Seite.

*******

Dann sind wir auf dem Grillfest, Gloria und ich. Ich habe mich wieder gefangen.
Keine Ahnung, was vorhin mit mir los war, vielleicht ist das komische Gespräch mit Sascha schuld gewesen.
Kaum habe ich das zuende gedacht, kommt er auf uns zu. Mit Martha.
Er fordert mich auf, meine Freundin vorzustellen.
Sie ist nicht meine Freundin.
Trotzdem bin ich höflich und die beiden Mädels geben sich freundlich die Hand.
Mein Blick hängt an Martha und ihrem Sommerkleid.
"Schick.", sage ich.
Sie freut sich sichtlich über meine Bemerkung.
Ich bin sicher, sie hat das Kleid selbst entworfen und genäht. Es ist wie sie selbst - verspielt, unbeschwert, fröhlich …
Wieder packen mich Emotionen.
Ich brauche was zu trinken.

Gloria ist leicht angenervt und will wissen, was los ist. Ich sei schon die ganze Zeit so komisch.
Vorhin hätte ich keinen hochgekriegt und jetzt würde ich vor Sascha und meiner Assistentin davonlaufen.
Ich will nicht darüber reden.
Sowas wie vorhin … das ist mir schon ewig nicht mehr passiert. Schon gar nicht bei einer Frau wie Gloria.
Was ist nur los mit mir?

*******

Ich habe keinen Appetit, nur Durst.
Martha und Sascha tanzen vergnügt.
Gloria bringt mir was zu trinken, setzt sich zu mir und schmiegt ihren schönen Körper eng an meinen.
Und ich spüre gar nichts.
Doch, Marthas Blicke.
Und ich verstehe einfach nicht, wieso mich das so irritiert.
Sie empfindet mehr für mich, sie schaut mich oft liebevoll, zärtlich an, das ist doch nichts Neues für mich ...

*******

Gloria habe ich völlig vergessen.
Planlos wandere ich über den Hof, greife mir eine Flasche Sljivovic. Es ist nicht mein erster.
Martha und Sascha tanzen immer noch. Oder schon wieder.
Mein Blick hängt wieder an ihrem Kleid. Es steht ihr verdammt gut.
Warum bin ich so mies drauf und würde am liebsten abhauen, alleine sein?
Martha schaut zu mir, lächelt mich an.
Ich lächle zurück, mit dem Gefühl, daß mein Gesichtsausdruck nur eine Maske ist.
Gloria kommt, meint, ich hätte genug getrunken.
Das Gefühl habe ich nicht.
Sie will tanzen.
Ich aber nicht.
Und es ist mir egal, daß sie jetzt verstimmt ist.

*******

Ich muß pinkeln.
Auf dem Weg zum Klo stellt sich mir Sascha in den Weg.
"Na, auf dem Weg zur Damentoilette?"
Was soll, bitte, der Scheiß?
Ich will pinkeln und das sicher nicht auf dem Frauenlokus.
"Was geht dich das an?", frage ich gereizt. Ich bin eh nicht gut drauf und der Typ nervt mich gerade ziemlich.
"'Ne Menge.", entgegnet er. Und "Laß Martha in Ruhe." Ich spüre durchaus die Betonung, den bedrohlichen Unterton.
Aber ich lasse mich doch von dem Typ nicht einschüchtern.
Abgesehen davon, daß ich gar nicht vorhatte, Martha auf dem Klo zu vernaschen.
"Ich will nichts von Martha.", sage ich.
Das ist doch echt lächerlich.
Als ich an ihm vorbei will, hält er mich fest.
Moment, mein Freund!
"Du willst mich daran hindern, auf's Klo zu gehen, oder was?"
"Bingo. Wenn du an mir vorbei willst, mußt du mich aus dem Weg räumen."
Der Typ spinnt doch.
Aber okay. Schlagen wir uns.
Ich drücke meine Sljivovic-Flasche einem Jungen in die Hand und ziehe meine Ringe aus.
Ohne Vorwarnung bekomme ich eins in den Magen verpaßt. Da ich nicht vorbereitet war, hatte ich meine Bauchmuskeln nicht angespannt und knicke sofort ein.
Aber wir haben ja grad erst angefangen.
Er holt aus, ich tauche weg und mein Schlag sitzt.
Aber Sascha kann was einstecken, der geht so schnell nicht zu Boden, das weiß ich.
Wir schenken uns gegenseitig nichts, aber noch ist alles eher harmlos. Und ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen.
Ich schicke Sascha zu Boden, er streckt mir die Hand entgegen und ich will ihm aufhelfen, wie das so üblich ist.
Doch da haut die linke Socke mir die Beine weg.
Nun schlägt er eine härtere Gangart ein. Verbissen wälzen wir uns auf dem Boden, versuchen den anderen abzuschütteln.
Ich drücke ihm den Ellenbogen in den Solarplexus und er rollt von mir weg.
Ich rappele mich hoch; scheiße, tun die verdammten Schienen der alten Werksbahn weh.
Wir stehen uns wieder gegenüber.
Da höre ich hinter mir Marthas Stimme: "Juri!"
Ich drehe mich um, da steht sie, vollkommen fassungslos.
Im nächsten Moment wird alles schwarz.

*******

Als ich wieder zu mir komme, liege ich am Boden.
Mein Kopf brummt wie ein Bienenstock.
Ich sehe alles nur verschwommen. Mit dem Hören ist es genauso.
Dann eine besorgte Stimme, die fragt, ob ich sie hören kann.
Ja doch.
Und ich sehe ein Gesicht über meinem.
"Martha."
Mit dem klar Denken hapert es noch.

4353
Sie scheint mit mir zu sprechen, aber ihre Worte dringen kaum zu meinem Verstand durch.
Vor meinen Augen verschwimmt alles, meine Sinne scheinen erneut zu schwinden.
Doch Martha schnippst mit den Fingern, ein Geräusch, das mir unangenehm laut in den Ohren klingt. Aber es bewirkt, daß der Nebel sich lichtet und ich Martha deutlich sehen kann.
Martha.
Sie sieht anders aus als sonst. Oder sehe ich sie anders als vorher?
Der Drecksack Sascha hat mich anscheinend glatt ausgeknockt - hat der Schlag gegen meinen Schädel mein Hirn auf links gedreht?
Ich merke selbst, daß ich Martha anstarre. Und ich habe das dumme Gefühl, daß ich ein selten dämliches Grinsen zur Schau trage, als ob ich total bekifft wäre.
Aber da ist noch was anderes … mein Gesicht in ihren warmen Händen … es geht soviel Zärtlichkeit von ihnen aus …
Was passiert mit mir, was geht hier vor?
Ich kann meinen Blick nicht von ihrem Gesicht wenden, ich muß ihr in die Augen sehen.
Wenn sie mich doch nur küssen würde …
Ich werde von Gefühlen überwältigt, die ich noch nie zuvor empfunden habe.
Immer noch kann ich meinen Blick nicht von ihr abwenden … Zeit und Raum schwinden.
Menschen und Umgebung existieren nicht mehr in meinem Bewußtsein.
Da ist nur noch sie …
Sie flößt mir Wasser ein, hilft mir, mich zum Sitzen aufzurichten.
Der Becher Wasser entfällt meiner Hand, aber das realisiere ich kaum.
Wieder ihre wundervoll warmen, zärtlichen Hände an meinem Gesicht …
Sie fragt mich, ob ich aufstehen kann. Ich nicke und lächle sie glücklich an.
Ich glaube wirklich, daß mein Hirn was abgekriegt hat, denn ich bin kaum fähig, drei zusammenhängende Worte zu sprechen und Martha muß mich wie ein Kind an die Hand nehmen.
Ich bin irgendwie noch total weggetreten, stehe völlig neben mir.

*******

Sie streicht mir liebevoll durch's Haar.
Ich nehme ihre Hände in meine.
Ich habe das Gefühl, daß wir beide ganz allein auf dieser Welt sind.
Sie fragt mich, ob ich wirklich keinen Arzt brauche. Nur um eine Gehirnerschütterung auszuschließen.
"Mir geht’s gut.", beruhige ich sie; sie macht sich wirklich Sorgen um mich, die Gute.
Und tatsächlich habe ich mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt.
Ganz warm ist mir.
"Aber trotzdem mußt du dich hinlegen. Ich bring dich nach Hause, okay?", fragt sie und blickt sich suchend um.
"Wen suchst du?", frage ich. "Sascha?"
Ich bin froh, daß sie verneint. Sie sucht nach Gloria.
Martha, das ist egal. Du bist hier. Und das ist das einzige, was mir wichtig ist.
Ich halte ihre Hände fest in meinen, will sie nie mehr loslassen.
Und ich begreife immer noch nicht, was mit mir geschieht.
Ich bin verwirrt, aber auf eine sehr angenehme Weise …
Wir gehen. Sie legt den Arm um mich, ich meinen um sie.
Eine wunderbare Wärme durchflutet mich.

*******

Wie wir zu mir gekommen sind, weiß ich nicht.
Ich hocke auf meinem Bett und bin immer noch keiner klaren Gedanken fähig.
Ich fühle mich diesen seltsamen Gefühlen völlig ausgeliefert.
Martha reinigt meine Schramme mit Alkohol, aber das spüre ich nicht. Nur ihre warme Hand, die meinen Kopf stützt.
Ich kann meinen Blick nicht von ihren Augen wenden.
Merkt sie gar nicht, was mit mir vorgeht?
Sie sagt, ich hätte ihr vorhin einen großen Schreck eingejagt. Als ich so am Boden lag.
Das tut mir leid, Martha. Ich wollte dir keinen Kummer machen.
Ich nehme ihre Hände, ziehe sie neben mich auf's Bett.
Nichts ist mehr existent außer ihrem Gesicht, ihren Augen, die so liebevoll-besorgt auf mir ruhen … und diesen süßen Lippen, die ich das erste Mal wahrzunehmen scheine ...
Unendlich langsam nähere ich mich ihr.
Auch die Zeit ist nicht mehr existent, als ich meine Augen schließe, um noch intensiver fühlen zu können.
Ich lehne meine Stirn gegen ihre, spüre ihre warme Haut, ihren süßen Duft …
Ich habe noch nie soviel Zärtlichkeit empfunden wie in diesem Augenblick.
Ich möchte ihn festhalten für die Ewigkeit.
Ich lege meine Lippen sanft auf ihre, eine seligmachende Wärme strömt durch meinen ganzen Körper.
So etwas habe ich noch nie empfunden.
Ein einziger sanfter Kuß und er verändert alles ...

*******

Ich weiß nicht, wie lange dieser Kuß währte.
Keinesfalls lang genug, um dieses Gefühl nicht zurück holen zu wollen.
Ich streiche ihr zart mit der Hand über die Wange und schicke mich an, mich in einem zweiten innigen Kuß fallenzulassen, als ein Geräusch mich brutal nach heute und in meine Wohnung zurückholt.
Die Klingel. Gloria.
Ich bin noch ganz benommen, begreife zwar, daß Gloria hier ist und rumkeift, aber ein anderer Teil von mir ist noch gefangen in dem Augenblick des Kusses.
Martha will gehen, sie scheint sich überflüssig zu fühlen.
Ich versuche sie zurückzuhalten, ich will nicht, daß sie geht. Aber es ist vergeblich.
Gloria setzt sich neben mich.
Und ich habe keine Ahnung, was hier gerade passiert ist.

*******

Ich sitze auf meinem Bett, mit dem Tuch, mit dem Martha meine Schramme versorgt hat, in den Händen und bin verwirrt, verunsichert.
Was ist passiert? Was ist mit mir passiert?
Meine Gefühle fahren Achterbahn, es ängstigt mich.
Ich habe total die Kontrolle über meine Emotionen verloren.
Sowas ist mir noch nie passiert.
Ich wollte nie, daß sowas passiert.

Gloria kommt aus der Dusche, wieder friedlich gestimmt.
Sie erkundigt sich nach meinem Befinden, aber ich höre kaum, was sie sagt.
Dann steht sie vor mir und läßt das Handtuch fallen.
Ich sehe sie an, aber ihre Schönheit nehme ich nicht wahr. Es läßt mich völlig unbeteiligt, während andere Gefühle mich immer noch durchströmen und mich auf beängstigende Weise hilflos, wehrlos machen …
Ich kann nur an Martha und den Kuß denken und ziehe Gloria das Handtuch wieder über die Schultern.
Sie ist fassungslos. Bis sie zu begreifen scheint … "Ach du Scheiße! Du hast dich in die Kleine verliebt?!"
Ich schnaufe einmal auf. Das ist doch … ich bin nicht …
Mein eines Ich will es leugnen, das andere weiß es besser.

*******

"Daß ich das noch erleben darf - Juri Adam, die uneinnehmbare Festung in der Männerwelt, hat sich verliebt. Du bist immer so unnahbar. Am Anfang habe ich gedacht, das ist nur 'ne Masche, aber dann habe ich kapiert, du kannst einfach nicht anders, du kannst einfach niemanden an dich ranlassen. Und wenn dir doch mal jemand zu nahe kommt, dann weißt du nicht, wie du damit umgehen sollst. Stimmt's?"
"Blödsinn.", sage ich, doch tief in mir weiß ich, daß sie Recht hat.
Warum sonst laufe ich wie ein Tiger im Käfig umher, warum machen mir meine Gefühle auf einmal solche Angst?
"Gib's doch zu - du kriegst richtig Panik bei dem Gedanken, daß du dich in die Kleine verliebt hast."
Quatsch. Und wieder sagt mir eine innere Stimme, daß sie Recht hat.
Ich habe Angst. Angst vor dem, was ich fühle, Angst davor, endgültig die Kontrolle zu verlieren, Angst vor den Konsequenzen, diese Gefühle zu akzeptieren, sie zuzulassen …
Verzweifelt um Fassung bemüht, lehne ich mich gegen den Stützpfeiler.
"Ich dachte immer, du wärst nicht in der Lage, zu lieben. Dabei war ich einfach nur nicht die Richtige. Aber du warst wenigstens immer ehrlich."
Ich sehe sie an. Ja, etwas vorgemacht habe ich ihr nie. Aber vielleicht mir.

*******

Ich reagiere mich am Sandsack ab, versuche meiner Gefühle wieder Herr zu werden.
Vorbei die wundervolle Wärme, die ich empfunden habe. Daß ich Martha geküßt habe, scheint eine Ewigkeit her zu sein.
Die Wärme weicht kaltem Schweiß. Ich zittere und merke, wie die Panik immer mehr Besitz von mir ergreift, während Glorias Worte sich durch mein Innerstes winden.
Du hast dich in die Kleine verliebt. Wieder und wieder tönt ihre Stimme in meinen Ohren.
Und mit jedem Mal wächst meine Panik.
Ich kann das nicht zulassen, diese Gefühle machen ein nervliches Wrack aus mir, ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne.
In meiner schieren Verzweiflung fasse ich einen Entschluß.

*******

Ich schicke Martha eine SMS, daß ich sie sofort sehen will.
Ich habe meine Mauer wieder hochgezogen und ich werde sie gleich auch sehr nötig haben.
Ich bin im Begriff, dem einzigen Menschen, der mich versteht, der mich so liebt, wie ich bin, das Herz zu brechen …

Dann ist sie da.
Ich vermeide es, ihr in die Augen zu sehen.
In distanziertem, nüchternem Tonfall verkünde ich ihr, daß ich ihr einen Job in München verschafft habe. Bei einem Freund von mir, der sie als Junior-Designerin einstellt.
Das sei eine große Chance.
Juri, du verlogenes Miststück, du weißt genau, daß sie bei dir bleiben will.
Aber du, du willst sie aus deiner Nähe haben, weil deine Gefühle für sie dir Angst machen.
Ich heuchle Martha vor, sie verschwende ihre Zeit als meine Assistentin.
Ja, sie hat mehr drauf, als auf ewig mein besserer Laufbursche zu sein, aber das ist nicht der Grund.
Ja, ich würde ihr eine große Karriere und viel Erfolg wünschen.
Aber das ist nicht der Grund, warum du sie wegschicken willst.
Nur meine Mauer rettet mich davor, verrückt zu werden.
Denn mir ist bewußt, wie sehr ich Martha gerade verletze.
Erst küßt du sie und dann läßt du sie fallen - Juri Adam, du bist ein verdammtes Arschloch! Und ein elender Feigling noch dazu.
Warum gestehst du ihr nicht deine Panik? Sie weiß um deine Vergangenheit, deine Probleme, dein kompliziertes Innenleben.
Wenige Worte würden genügen und sie würde verstehen. Es täte ihr nicht so weh, würde sie nicht so demütigen.
Aber wie so oft schaffe ich es nicht, über meinen Schatten zu springen.
Der wahre Juri Adam hat sich wieder feige hinter seiner Mauer verkrochen.
"Schmeißt du mich jetzt raus?", fragt sie fassungslos. "Schmeißt du mich raus? Hey, du kannst mir ja nicht mal in die Augen sehen!"
Stimmt.
Ich schäme mich in Grund und Boden, sie so mies zu behandeln. Niemand hat das weniger verdient als sie, die sie immer für mich da war.
Ich sage erschreckend kalt, daß sie morgen bereits ihre neue Stelle antritt. Ein Ticket hätte ich ihr schon besorgt.
Ich öffne die Tür und schmeiße sie regelrecht raus.
Sie ist am Boden zerstört, ihre Augen schwimmen in Tränen.
Ich kann den Anblick nicht ertragen und schlage die Tür zu.
Ich möchte schreien.
In meiner Brust fühle ich einen brennenden Schmerz.
Ich hasse mich. Ich verachte mich.
Daß die Panik sich verflüchtigt hat, erleichtert mich nicht im Geringsten.
Eine eisige Kälte breitet sich in mir aus. Eine Welle aus Selbstvorwürfen, Schuldgefühlen, Scham …
So glücklich ich mich in dem Moment fühlte, als ich Martha küßte, so elend fühle ich mich jetzt.
Leer, wie ausgebrannt …
Mit der Tür, die hinter Martha zuschlug, ist auch in mir eine Tür zugeschlagen. Die Tür zu einem besseren Ich.

4354
Der Schmerz, Martha so weh getan zu haben, zerfrißt mich innerlich.
Der Schmerz … und die Wut auf mich selbst. Daß ich wieder in meinem Schrank hocken geblieben bin und nichts getan habe.
Zu feige war, ihr zu sagen, daß ich einfach Angst habe. Angst vor ihrer Nähe, Angst vor meinen Gefühlen, Angst vor den Konsequenzen …
Wenn sie wüßte, warum, wäre es für sie nicht so demütigend.
Dieser Schmerz … ich muß immer wieder an sie denken und doch ertrage ich es kaum.
Verzweifelt schlage ich gegen den Stützpfeiler in der Hoffnung, daß der körperliche Schmerz den in meinem Inneren betäubt.
Doch es hilft nicht, ich kann ihm nicht entrinnen.
Am Ende blutet meine Hand, so wie ich innerlich blute ...
Ich sehe sie vor mir, zutiefst verletzt.
Sie liebt mich.
Warum mußte ich das tun? Warum mußte ich sie küssen, wenn ich doch nicht imstande bin, ihre Gefühle zu erwidern?
Warum mußte ich sie so küssen … so innig, so zärtlich?
Weil ich in diesem Augenblick nichts anderes wollte …
Sie liebt dich.
Du hast deine Gefühle sonst so gut unter Kontrolle, warum da nicht?
Warum mußtest du ihre Hoffnungen schüren?
Und natürlich hat sie gehofft … als du sie hast wissen lassen, daß du sie sehen willst. Sofort.
Nach diesem Kuß konnte sie nichts anderes glauben, als daß du ihr nun deine Liebe gestehen würdest.
Es traf sie völlig unvorbereitet.
Dieser Blick in ihren Augen, als du sie so kalt abserviert hast … dein eigener Schmerz spiegelte sich darin ...
Ich fühle mich einsam ...

*******

Ich versuche, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, doch mein Blich geht zu Marthas leerem Platz in der Nähstube. Meine Gedanken schweifen ab … zu diesem Kuß … es hat sich wundervoll angefühlt, so vertraut. Ich meine immer noch, ihre weichen, warmen Lippen auf meinen zu spüren.
So wie diesen habe ich noch keinen Kuß empfunden.
Heiße, leidenschaftliche, feuchte Küsse … aber nicht diese wohlige Vertrautheit, dieses Gefühl von nach Hause kommen.
Auf einmal steht sie neben mir.
Es fällt mir schwer, sie anzusehen.
Ich frage sie, was sie hier noch macht, ihr Flieger würde doch gleich gehen.
Sie sagt, sie fliegt nicht.
Ich könne sie nicht zwingen, sage ich.
Und sie würde sich nicht weiter wie eine Schachfigur herumschieben lassen.
Ich weiß, was sie meint und es verstärkt meine Schuldgefühle noch.
"Dieser Job ist eine Aufstiegschance für dich.", sage ich müde und weiß, daß sie das kaum trösten wird.
Wenn ich sie loswerden wolle, müßte ich sie schon rausschmeißen. Ihr kündigen.
Sie sieht mich auffordernd an.
Ihr Blick schmerzt mich.
Und wieder bin ich feige. Ich habe nicht den Mumm, die Konsequenzen aus meinem eigenen Handeln zu tragen.
Warum gehe ich nicht? Verschwinde aus ihrem Leben, damit sie die Chance hat, über ihre Gefühle für mich hinwegzukommen.
Bin ich es jetzt, der hofft?

*******

Ich bin im Stofflager und wühle ziellos herum, als sich unsere Blicke treffen.
Es ist für uns beide eine Qual. Und doch scheint keiner von uns beiden dem Blick ausweichen zu können.
Ich bemerke, daß meine Augen immer wieder nach ihr suchen,
Und ich weiß nicht, ob ich erleichtert sein soll, wenn ich sie nicht erblicke.
Offenbar hat Sascha etwas mitbekommen. Möglicherweise hat Martha sich auch bei ihm über ihren Kummer ausgesprochen.
Jedenfalls will er mich zur Rede stellen.
Doch ist dies kein guter Zeitpunkt.
Der Schmerz und der Haß auf mich selbst machen mich aggressiv und wenn er mich provoziert, dann haue ich ihn um!
"Du bist ein kranker Wichser und ich wünschte, Martha würde das endlich kapieren!"
"Meinst du, das macht mir Spaß?", herrsche ich ihn an.
Er hat ja keine Ahnung. Nicht die geringste. Wie es mich quält. Wie ich mich selbst dafür hasse, den einzigen Menschen zu verletzen, der mich wirklich liebt …
Dann fängt er mit dem Krieg an und daß wir beide dasselbe erlebt haben.
Er reißt alte Wunden auf.
Aufgebracht stoße ich ihn gegen das nächste Regal, ganz dicht stehe ich vor ihm.
Aber Sascha ist nicht der Typ, der sich von einer drohenden Haltung einschüchtern läßt.
Er sagt, er hätte gelernt, daß es scheiße ist, wenn man dichtmacht und keinen an sich ranläßt.
Damit trifft er mich. Genau das hat mir Martha auch schon gesagt.
"Manche Sachen sind nie vorbei.", sage ich und weiß genau, daß ich wieder einfach nur resigniere, aufgebe ...

*******

Martha, die Liebe, Gute … sie bemüht sich tatsächlich, ganz unbefangen mit mir umzugehen.
Fragt mich nach der Fashion-Week in Riga und ob ich dafür auch etwas machen würde.
Sie hätte allen Grund, mir Vorwürfe zu machen darüber, wie ich sie behandelt habe.
Ich tue mich schwer damit, mit meiner zermatschten Hand die Schere zu halten. Martha bietet mir ihre Hilfe an, doch ich lehne ab.
Sie kommt um den Tisch herum und legt mir ihre Hand sanft auf den Arm.
Ich merke, wie diese Nähe mir gleich den Schweiß ausbrechen läßt. Ich fange an zu zittern.
"Laß dir helfen.", sagt sie und ich bin sicher, sie meint nicht nur die Schnibbelei.

*******

Warum tust du das, Martha?
Sagst mir, daß unser Kuß sich so nah, so echt angefühlt hat …
Wir waren uns nah. Und es waren echte Gefühle.
Ich habe dir nichts vorgemacht.
Nicht, als ich dich küßte.
Wie sollst du nur verstehen, warum ich dich erst so innig küsse und dich dann von mir stoße, wenn ich es dir nicht sage?
Du bittest mich, mit dir zu reden. Es ist beinahe schon ein Flehen.
Du willst mir helfen, ich spüre das.
"Du hast schon mal mit mir geredet. Du kannst es wieder tun. Ich bin hier. … Ich hör dir zu."
Ja, ich weiß, das würdest du.
Aber ich kann nicht.
Etwas steht mir im Weg.
Und das bin ich selbst.
Ich könnte die Tür wieder öffnen.
Die Tür von meinem Schrank.
In dem ich seit mehr als zwanzig Jahren hocke.
Doch wieder bin ich feige.
"Ich glaube, so wie es jetzt ist, ist es besser für dich. Glaub mir."
Kann ich mich darauf herausreden, daß ich sie nur schützen will, sie vor weiterem Schmerz bewahren?
Werde ich jemals imstande sein, meinen Schrank zu verlassen, meine Ängste hinter mir zu lassen?
Wie lange soll sie leiden, ohne zu wissen, wofür?
Sie geht und ich bleibe allein mit meinem Schmerz.
Dem Schmerz, den ich mir selbst zufüge. Dem Schmerz, den ich verdiene.
Für meine Feigheit, nicht mal zu versuchen, Vergangenes hinter mir zu lassen …

4357
Ich kann ihre Anwesenheit kaum noch ertragen.
Ich bin innerlich so aufgewühlt, kann kaum einen klaren Gedanken fassen.
Martha fragt mich, unter welchem Thema ich meine Kollektion in Riga präsentieren werde. Sie muß mich das zweimal fragen, weil ich in Gedanken wieder ganz woanders bin.
Verwirrt und irritiert antwortete ich „Luft.“
Ja, das schwebt mir vor. Leichte, luftige Stoffe.
Wir sehen uns im Stofflager um.
Martha meint, etwas Passendes gefunden zu haben. Aber der Stoff ist grün.
Ob sie schon mal grüne Luft gesehen hätte, frage ich sie und komme mir hinterher dämlich vor. Mit der Begründung müßte ich jeden anderen Stoff ablehnen, denn Luft hat nun mal gar keine Farbe.
Aber ihre Nähe bringt mich einfach vollkommen durcheinander.
Wir sehen uns um, unsere Blicke durchstreifen auch die oberen Regalreihen.
Und plötzlich deuten wir beide zur gleichen Zeit auf denselben Stoff.
Diese Übereinstimmung unserer Empfindungen ist wieder mal beängstigend.
Ich fordere sie auf, mir den Stoff von da oben runterzuholen.
Ja, Juri Adam ist der Chef und deshalb muß seine Assistentin auf die Leiter und die niederen Dienste versehen. Warum holst du deinen Scheiß-Stoff nicht einfach selbst? Kämst sogar ohne Leiter dran …
Die Strafe folgt auf dem Fuß.
Beim Abstieg verliert Martha das Gleichgewicht, greift nach mir. Und ich fange sie natürlich reflexhaft auf.
Und so stehen wir da, sie die Arme um meinem Hals und mir viel, viel zu nah …
Ohne es zu wollen, ganz blitzartig, tritt der Kuß vor mein geistiges Auge.
Für Sekunden rieche ich wieder ihre süße, warme Haut, fühle ihre weichen Lippen auf meinen …
Und ebenso blitzartig wird mir bewußt, daß sie gerade exakt das Gleiche empfindet, daß auch sie an diesen Kuß denkt.
Ein Anflug von Panik beschleicht mich, ich mache mich von ihr los und habe mal wieder nur den einen Wunsch – weg von ihr, weg aus ihrer Nähe.
Ich sage ihr, daß sie den Stoff zurücklegen soll. Ich will ihn nicht mehr. Es hängt zuviel von ihr daran.
Ich würde später alleine weitermachen, sage ich und flüchte vor ihr.
Ihr Blick hatte Verständnis gezeigt; sie bemüht sich, mich zu verstehen und auf mich einzugehen. Und das macht es noch schlimmer für mich.
Mir wäre es lieber, sie wäre nicht so lieb und verständnisvoll.

*******

Eine Weile später habe ich mich gefangen und Martha und ich arbeiten wie sonst gut und professionell zusammen.
Sie steckt eines der neuen Modelle an einem unserer Mädels ab.
Die macht mir schöne Augen, fragt mich, ob wir nachher was essen gehen. Das „essen“ betont sie in einer unmißverständlichen Weise und ihre Blicke bestätigen, was sie wirklich will.
Mein Blick trifft den Marthas und ich weiß, was ich nicht will – nämlich vor ihr Sex mir der Kleinen klarzumachen. Mir steht der Sinn ohnehin nicht danach.
Und so lehne ich ab.
Plötzlich steht eine Fremde im Türrahmen.
Ich bin emotional angespannt und daher leicht reizbar. Erst recht, wenn man mich bei der Arbeit stört.
Entsprechend unfreundlich frage ich sie, wer sie ist.
Sie sei Jessica Wasweißich von irgendeinem Modeblog und will mich interviewen.
Ich gebe keine Interviews.“, pampe ich sie an und schmeiße sie raus.
Winke Martha zu, daß sie mir das Weib vom Hals halten soll.
Während Martha sich also um die Frau kümmert, versucht Charlene mich weiter anzumachen.
Mir ist das alles zuviel, am liebsten würde ich abhauen ...

*******

Ich setze mir die Kopfhörer auf und versuche, den Kopf wieder für die Arbeit frei zu bekommen.
Plötzlich schrecke ich hoch. Diese nervige Frau von dem Modeblog wieder.
Sagt, sie würde mich so lange nicht in Ruhe lassen, bis ich ihr ein paar Fragen beantwortet hätte.
Wie so oft, gleitet mein Blick ungewollt zu Martha, die in der Nähstube an ihrem Tisch sitzt. Sie macht eine besänftigende Geste; ich verstehe, daß ich mich zusammenreißen soll.
Ihr zuliebe bemühe ich mich darum und gestatte der Frau drei Fragen.
Aber so ganz gelingt es mir nicht, auf Friede, Freude, Eierkuchen zu machen.
Schon allein, daß sie das Gespräch aufzeichnen will, stinkt mir. Ich nehme ihr das Gerät aus der Hand und schalte es aus.
Unbekümmert nimmt sie Block und Stift zur Hand und zieht ihr Ding durch.
Sie fragt, warum Riga. Ich starre stur geradeaus und antworte mit einer Gegenfrage „Warum nicht?“
Ich merke, daß sich meine Geduld in engen Grenzen hält, das kann nicht lange gutgehen.
Ob sie einen Vorgeschmack auf die Kollektion sehen dürfte.
Nein, sage ich. Sie nervt mich.
Nur ein ganz kleines Detail?
Hast du mich nicht verstanden? Mein zweites Nein klingt bereits wesentlich genervter.
Sie läßt nicht locker, aber ich habe mitgezählt und sie hat ihre drei Fragen verbraucht.
Sie zieht ab.
Martha sieht mich an, macht mir aber keine Vorhaltungen. Sie scheint zu verstehen, daß ich im Moment einfach keine Nerven für so einen Scheiß habe.
Unvermittelt fragt sie mich, ob wir zusammen einen Kaffee trinken würden. Und einen Bagel mit Remoulade und Roastbeef essen, das würde ich doch gerne mögen.
Daß sie alles abspeichert, was ich sage oder tue, könnte süß sein, wenn es mir nicht solche Angst machen würde.
Diese Vertrautheit zwischen uns sollte sich schön anfühlen, aber ich schalte instinktiv auf Abwehr.
Sie lächelt mich so liebevoll an, das macht es nur noch schlimmer.
Und ich merke, wie meine Angst mich mehr und mehr aggressiv macht, wie ich einfach um mich schlage.
Und natürlich bekommt Martha das ab.
Das heißt ja nicht, daß ich sie jeden Tag essen muß, oder?“, meine ich ausgesprochen unfreundlich zu ihr und lasse sie stehen.
Gerade läuft Charlene durch den Raum und in einem leichten Anflug von Verzweiflung, Frust und Haß auf mich selbst meine ich zu ihr, daß ich jetzt doch gerne was essen gehen würde.
Mir ist klar, daß ich Martha damit sehr verletze und demütige, aber wenn ich sie so auf Abstand halten kann …
Und ich habe vor, mich beim Sex mit Charlene so richtig auszutoben, alle Gefühle auszuschalten und nur die reine Geilheit regieren zu lassen.
Es wird einfach wie früher sein … schöner, unkomplizierter, unverbindlicher Sex. Keine Erklärungen, keine Versprechungen, keine Schuldgefühle ...

*******

Ich bin mit Charlene bei mir. In äußerst knappen, sexy Shorts steht sie vor mir und ich bräuchte nur noch ihren BH zu öffnen, um ihre prallen, wohlgeformten Brüste liebkosen zu können.
Sie hat mir das Shirt ausgezogen, ihre Lippen wandern über meinen Oberkörper, ihre Zunge spielt mit meinen Brustwarzen.
Ich müßte vor Lust stöhnen. Doch es regt sich nichts bei mir.
Verwirrt und irritiert wende ich mich ab.
Starre in die Luft und merke, daß ich mich einfach nicht fallenlassen kann.
Ich spüre genau, daß es keinen Zweck hat.
Und ich will auch gar nicht mehr.
Ich schicke Charlene weg, sie ist natürlich tierisch beleidigt.
Und ich habe das beunruhigende Gefühl, daß nichts mehr wie früher ist ...

*******

Irgendetwas treibt mich dazu, den Koffer wieder unter dem Bett hervorzuziehen.
Ich weiß nicht, was es ist, aber es sagt mir, daß ich mich mit meiner Vergangenheit auseinandersetzen muß, oder alles in meinem Leben wird zusammenbrechen. Und mich unter sich begraben.
Aber es ist zuviel für mich. Die Fotos lassen alles wieder auf mich einstürzen. All den Schmerz, all die Schuldgefühle. Eine ganze Breitseite quälender Emotionen.
Vater und Mutter … ich habe sie verloren. Und sie doch so sehr geliebt.
Nie wieder will ich einen Menschen verlieren, den ich liebe! Der Schmerz ist einfach unerträglich.
Überfordert schlage ich den Deckel des Koffers zu. Und mit ihm den Deckel über meinen wahren Gefühlen, über meinen Ängsten, über meiner Panik, daß sich die Geschichte wiederholen könnte …
Ich kann es einfach nicht. So sehr ich es ihr zuliebe auch möchte ...

*******

Es klopft. Ich öffne. Martha.
Sie stürmt an mir vorbei und fängt sofort an, aufgebracht auf mich einzureden.
Ich hätte Angst vor Nähe, weil mir alles genommen wurde, was mir je etwas bedeutet hätte.
Ja, diese Angst kann ich spüren. Ausgesprochen deutlich.
Aber das alles sei vorbei, sagt sie.
Nein, das ist es nicht. Nicht für mich. Die Vergangenheit hält mich fest.
Juri, ich bin da. … Und wenn du endlich aufhören würdest, mich ständig von dir wegzustoßen … ich werde dich nicht verlassen.“
Ich kann sie nicht ansehen, ihr nicht in die Augen sehen.
Ihre Worte quälen mich, jedes einzelne schneidet mir tief in mein Innerstes.
Oh Martha, denkst du, das alles ist so einfach? Du sagst mir, du verläßt mich nicht und all meine Ängste sind wie fortgewischt?
Du verstehst nicht … ich bin gefangen … vielleicht will ich es sein … weil ich es verdient habe, zu leiden ...
Ich hab das Gefühl, daß ich bei dir richtig bin.“
Martha, nein!
Ich möchte sie anschreien, daß sie damit aufhören soll.
Aufhören, mir Dinge zu sagen, die mir so entsetzlich weh tun. Weil sie Sehnsüchte wecken, die so schmerzlich sind, daß alles in mir schreit.
Ich starre meinen Sandsack an und weiß nicht, wohin mit meinem Schmerz.
Ich liebe dich, Juri! Seit unserer ersten Begegnung!“, schleudert sie mir verzweifelt und unter Tränen entgegen. Sie kämpft um mich, um meine Liebe.
Und macht alles nur noch schlimmer.
Äußerlich vollkommen ruhig, zerreißt es mich innerlich vor Qual.
Sie muß weg, ich ertrage es einfach nicht!
All die Emotionen im Raum … ihre, meine … sie sind fast mit Händen greifbar.
Das ist mehr, als ich verpacken kann.
In meiner Verzweiflung greife ich zu einer Notlüge, ich weiß mir anders nicht zu helfen.
Sage ihr, Charlene wäre hier, im Bad und würde auf mich warten.
Und schubse Martha einfach unsanft zur Tür raus.

Ich bemühe mich gerade, meine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bringen, als Martha gegen die Tür hämmert und mich anschreit.
Warum geht sie nicht? Warum gibt sie mir keine Chance, wieder runterzukommen?
Der Druck, den sie macht, läßt meine Panik wachsen.
Und die Wut darüber, so ohnmächtig meinen Gefühlen ausgeliefert zu sein.
Blanker Zorn packt mich – auf Martha, auf mich, auf das ganze beschissene Universum …
In meiner Panik, dieser unerträglichen Situation nicht entrinnen zu können, reiße ich die Tür auf, um der Sache ein Ende zu machen.
Was willst du?“, schreie ich sie an.
Sie will wissen, was das mit uns ist. Was mein Problem sei.
Ich kann nicht mehr klar denken, ich weiß nur instinktiv, daß sie weg muß, weg aus meiner Nähe!
Vollkommen unkontrolliert brülle ich sie an, daß da ein nacktes Model in meinem Bad stünde und auf mich warten würde. Und sie würde mich hier vollquasseln.
Verpiß dich!“, brülle ich. „RAUS!!!“

4358
Ohnmächtig vor Zorn auf mich selbst, ohnmächtig vor Zorn, meinen Gefühlen so ausgeliefert zu sein, schreie ich sie erneut an: „VERSCHWINDE!!!“
Sie geht einfach nicht.
RAUS!!!“
Schiere Verzweiflung packt mich; ich will diese unerträgliche Situation einfach nur beenden.
Laß es zuende sein, egal wie …
Da hat Martha ein Einsehen. Haut mir eine runter.
Du solltest dich was schämen.“ Der Blick in ihren Augen, der Tonfall in ihrer Stimme schmerzen mich mehr als die gepfefferte Ohrfeige.
Dann geht sie.

Als ich die Tür hinter ihr zuschlage, spüre ich, wie ich haltlos zittere.
Ohne sie ansehen zu müssen, beginnt auch mein Verstand langsam wieder zu arbeiten.
Und mir wird bewußt, was ich gerade getan habe ...

Unbändiger Haß auf mich selbst packt mich, ich fühle das starke Verlangen, meinen Schädel mit voller Wucht vor den Betonpfeiler zu schlagen.
Um den Schmerz nicht mehr spüren zu müssen. Und es wäre mir egal, wenn ich daran krepieren würde. Alles, nur nicht mehr dieser Schmerz …
Aber auch hierfür bin ich zu feige.
Wie ich zu feige bin, Martha zu sagen, was mein Problem ist.
Wie ich zu feige bin, mich diesem Problem zu stellen.
Wie ich zu feige bin, meinen Schrank zu verlassen.

In der festen Überzeugung, alles zerstört zu haben, Martha für immer verloren zu haben, ohne ihr … uns je eine Chance gegeben zu haben, sinke ich am Stützpfeiler entlang auf den Boden.
Der brennende Schmerz in mir weicht einer eisigen Kälte … einer Kälte der Einsamkeit, der Hoffnungslosigkeit …

*******

Völlig ausgepumpt hocke ich am Boden und starre vor mich hin.
Ich bemerke einen Schatten vor den Milchglasscheiben, will mich wundern, aber eigentlich ist es mir egal. Ich habe keine Kraft mehr.
Plötzlich steht sie vor mir.
Ich sehe sie an und weiß, daß ich mich nicht mehr wehren kann, nicht mehr wehren will ...
Daß du diese Sachen im Krieg erlebt hast, das ist schlimm. Daß du niemanden an dich ran läßt, weil du Angst hast, am Ende alleine dazustehen, das verstehe ich. Aber das gibt dir noch längst nicht das Recht, mich wie Dreck zu behandeln.“
Ich weiß, Martha. Du hast Recht.
Und ich glaube wirklich, es macht absolut keinen Sinn, daß du von vornherein alles tust, um einsam zu sein, Das ist nicht die Lösung, Juri!“
Sie klingt nicht nur verletzt, sie klingt auch verzweifelt.
Es geht ihr nicht nur um ihr Glück, es tut ihr wirklich weh, zu sehen, daß ich einsam und unglücklich bin.
Denn das noch vor ihr zu verbergen, habe ich nicht mehr die Kraft.
Wo das Model wäre, fragt sie.
Der Umstand, daß ich allein auf dem Boden hocke, reicht als Antwort wohl aus.
Ob ich das nur gesagt hätte, um sie zu beleidigen?
Nein, Martha, es war eine Notlüge. Du solltest einfach nur gehen, damit ich mich wieder unter Kontrolle bekomme.
Ich habe dir schon mal gesagt, daß ich nicht gut für dich bin.“
Das stimmt zwar. Ich tue ihr wirklich nicht gut. Ganz und gar nicht.
Und doch weiche ich wieder aus, verschweige mein eigentliches Problem.
Und ich weiß gar nicht, warum ich das noch tue, wo sie mit ihrem Einfühlungsvermögen doch inzwischen erkannt hat, daß es meine Verlustängste sind.
Warum sagst du ihr nicht, daß du in ihrer Nähe Panik bekommst? Daß diese Panik dich so sehr packt, daß du die Kontrolle über alles verlierst, ein zitterndes Häufchen Elend wirst?
Ist es dein Stolz, der dich nicht zugeben läßt, daß du schwach bist?
Nach diesem Satz läßt sie mich endlich allein.
Allein mit meinen Selbstvorwürfen.
Meinen Schuldgefühlen.
Meinem Schmerz.
Meiner Einsamkeit.

*******

Ich gehe zu LCL. Ich will arbeiten. Das ist immer noch die beste Therapie für mich.
Mein Blick wandert unbewußt zu Marthas Platz.
Sie ist da. Und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll oder nicht.
Doch etwas läßt mich aufmerken, irgendetwas stimmt nicht …
Sie packt. Räumt all ihre Sachen in einen Karton.
Jähe Angst überfällt mich.
Sie will mich verlassen!
Mir ist klar, ich muß etwas tun, ich muß …
Und dann stehe ich vor ihr.
Sie sagt kein Wort. Sie beachtet mich gar nicht.
Ich spüre einen dicken Kloß im Hals. Und bringe kein Wort raus.
Vollkommen hilflos knacke ich eine Walnuß und biete ihr davon an.
Sie blickt kaum auf, ignoriert mich weiter.
Sie versteht meinen stummen Hilferuf nicht, meine Verzweiflung.
Aber das kannst du auch nicht erwarten, nach dem, was du ihr jüngst wieder angetan hast, Juri.
Ähm, vorhin … das war … ziemlich schlecht.“
Ist das alles, was du rauskriegst, Juri?
Ziemlich schlecht???
Du hast sie mehr denn je gedemütigt und verletzt. Du hast ihre Gefühle mit Füßen getreten.
Und stehst hier vor ihr und meinst, du härtest sie ziemlich schlecht behandelt?
Oh Gott, Juri, du bist so erbärmlich in deiner Feigheit!
Warum kannst du nicht einmal was richtig machen?
Sie reagiert nicht. Ein Teil von mir versteht sie.
Der andere, uneinsichtige, läßt mich genervt die Augen verdrehen.
Bin ich wirklich so ein arrogantes Arschloch, daß ich erwarte, Martha fällt mir gleich wieder um den Hals nach so einer armseligen Nummer?
Sorry.“, quetsche ich mir raus.
Sie blickt mich kurz an. Und packt dann weiter.
Ich sehe sie erstaunt hat. Ja, wie? Ich entschuldige mich und ihr ist das wurscht?
Ach, Juri! Glaubst du denn wirklich, das reicht, nachdem du sie derart mies behandelt hast?
Ist das alles, was von dir kommt?
Und?“, fragt sie.
Ich ziehe nur die Augenbrauen hoch und zucke mit den Schultern.
Juri, du verdammtest Stück Scheiße, warum bist du überhaupt zu ihr gegangen, wenn du wieder nur halbe Sachen machst?
Entweder du willst sie loswerden, dann kannst du dir deine armseligen Entschuldigungsversuche echt sparen.
Oder du willst, daß sie bleibt – dann muß ein bisschen mehr von dir kommen als ein „sorry“.
Weißt du überhaupt selber, was du willst?
Das war's.“ Nur zu deutlich ist die Enttäuschung in ihrer Stimme zu hören.
Sie hat mehr von dir erwartet.
Ich wende mich ab, in dem sicheren Gefühl, es wieder versaut zu haben.
Doch bremst sie mich. „Stop.“
Du glaubst vielleicht, für dich ist die Sache einfach so erledigt.“
Nein, Martha. Ich bin einfach nur ein feiges Arschloch, der lieber Menschen, die ihm etwas bedeuten, verletzt, als zuzugeben, daß er ein ernsthaftes Problem hat.
Aber nicht für mich. Ich kann so nicht länger mit dir arbeiten.“
Ich wußte es, ich habe es gespürt … daß sie mich verlassen will. Endgültig.
Und doch trifft es mich wie ein Faustschlag in den Magen, als sie es ausspricht.
Ich verstehe sie.
Sie kann nicht mehr.
Sie hat keine Kraft mehr, diese unerträgliche Situation zwischen euch beiden noch länger auszuhalten.
Es ist besser für sie, sie geht, bevor du sie völlig kaputtmachst.
Sie soll, sie muß einmal an sich selbst denken. Und nicht nur an dich.
Ich werde gleich meine schriftliche Kündigung bei der Personalabteilung und der Geschäftsführung einreichen. Und ich nehme ab sofort meinen Resturlaub.“
Ich mache den Versuch, etwas zu sagen, aber sie ahnt wohl, daß es wieder nur leere Worte sein würden, denn sie läßt mich nicht ausreden.
Meint, daß sie natürlich die Applikationen für Moschs Kollektion noch fertigstellen würde. Aber von zuhause aus.
Glückwunsch! Du hast es geschafft. Du bist mich los.“
Die Kälte in ihrer Stimme, der abweisende Ausdruck in ihren Augen lassen etwas in mir zerbrechen.
Sie wendet sich von mir ab.
Nicht nur physisch, indem sie mir den Rücken zukehrt.
Auch innerlich wendet sie sich von mir ab.
Und ich habe es verdient.
Mir ist nach Wegrennen. Und das tue ich auch.
Wieder einmal.

*******

Rastlos laufe ich draußen umher.
Irre ziellos von einem Ort zum anderen.
Weiß nicht, wohin mit mir.
Mit all dem Schmerz in mir.
In meinen Augen brennen Tränen, ich möchte heulen, aber meine Kehle ist wie zugeschnürt.
Nur ein trockenes Schluchzen entfährt mir.
Der Schmerz sitzt tief.
Der Schmerz um das Wissen, daß ich sie verloren habe.
Der Schmerz um das Wissen, daß es allein meine Schuld ist.
Weil ich es zugelassen habe.
Weil ich zu feige, zu schwach bin.
Sie ist stark.
Sie trifft Entscheidungen und steht zu den Konsequenzen.
Ich nicht.
Ich bin der schwankende Halm im Wind, der sie heute küßt und morgen fortjagt.
Der sie heute loswerden und morgen festhalten will.
Der tatenlos dabei zusieht, wie ich ihr und mir selbst das Leben zur Hölle mache.
Wie ich feige in meinem Schrank hockenbleibe, statt mich meinen Problemen zu stellen.
Wie ich vor allem davonlaufe, statt einmal den Mumm zu haben, standzuhalten.
Die Konsequenzen zu tragen, auch wenn es noch so schwer sein sollte.

*******

Marthas Kollegen verabschieden sich herzlich von ihr.
Ich sehe von oben zu, höre nicht die Worte, aber doch ist mir klar, daß sie ihr Bedauern ausdrücken. Ihr zeigen, daß sie ihnen etwas bedeutet, daß sie sie nicht gerne gehen lassen.
Und was tue ich?
Wenn ich schon so feige bin, sie gehen zu lassen, warum kann ich mich nicht wenigstens überwinden, ihr alles Gute für die Zukunft, für ihre Karriere zu wünschen?
Ist das zuviel verlangt nach allem, was sie für mich getan hat?
Ich sehe, wie Sascha sie zum Abschied lieb umarmt.
Schuldgefühle packen mich, ich fühle mich schäbig.
Sie hat ihn meinetwegen abgewiesen.
Ach Martha, vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest dich auf ihn eingelassen und mich als hoffnungslosen Fall abgehakt.
Ich gebe dir keine Schuld, daß es so gekommen ist. Du kannst nichts dafür.
Gefühle kann man nicht beliebig ein- und ausschalten.
Wenn das so einfach wäre, dann hätte ich keine Probleme.

*******

Getrieben von dem verzweifelten Wunsch, noch etwas zu retten, bevor es endgültig zu spät ist, stürze ich die Treppe hinunter.
Martha!"
Dann stehe ich vor ihr.
Sie blickt mich herausfordernd an.
Wenn du hergekommen bist, um dich zu entschuldigen ...“
Ihr kalter, abweisender Tonfall tut mir weh.
Was?“
Ich merke, sie ist nicht bereit, mir entgegenzukommen.
Martha, bitte! Hilf mir!
So flehe ich sie innerlich an.
Meine, sie muß den Schmerz, die Qual in meinen Augen sehen.
Martha, es tut mir so leid! Ich will nicht, daß du gehst! Ich brauche dich!
BITTE HILF MIR!, schreit es in mir.
Und doch stehe ich stumm da, bringe keinen Ton raus.
Der Blick in ihren Augen schnürt mir die Kehle zu.
Und sie wartet, Juri.
Du siehst es genau.
Sie wartet, daß du etwas sagst.
Wenige Worte darüber, was du wirklich fühlst.
Doch mir fehlt der Mut, die Schranktür aufzudrücken.
Hilflos reiche ich ihr ihren Hut.
Den hier hast du vergessen.“
Juri, du verdammter Idiot! Du vertust grade deine letzte Chance! Sag etwas! Schreie es heraus, daß du Angst hast!
Doch ich spüre, daß es zu spät ist, noch bevor sie sagt „Dann weiß ich jetzt, daß ich nicht mehr wiederkommen brauche.“
Es ist vorbei.
Ich habe alles zerstört.
Jegliche Hoffnung auf das Ende meiner Ängste.
Das Ende meiner Einsamkeit.
Was bleibt, ist der Schmerz.
Wieder brennen Tränen in meinen Augen.
Wieder schließt sich die Tür hinter ihr.
Weil meine Tür nach wie vor verschlossen ist.

*******

Getrieben von innerer Pein gehe ich wieder nach oben.
Der Anblick von Marthas leerem Platz läßt mich vor Schmerz innerlich aufschreien.
Nach außen mache ich meiner Qual Luft, indem ich zwei Kolleginnen anbrülle „RAUS!!!“. Völlig verschreckt flüchten sie vor mir.
Es zieht mich an ihren Platz ...
Meine Blicke schweifen durch den Raum, jeder Zentimeter des kleinen Arbeitszimmers spricht zu mir von ihr ...
Verloren lasse ich mich auf ihren Stuhl sinken.
Erinnerungen werden wach.
Erinnerungen an glückliche Tage, wo Martha mir ein Bügeleisen auf den Fuß schmeißt.
Weil sie vor lauter Verliebtheit in mich total nervös ist.
Erinnerungen daran, wieviel Spaß wir beide hatten, als wir gemeinsam das Kleid designt haben, welches mich und mein Schaffen auf die Titelseite brachte.
Ich höre ihr lebenslustiges Lachen, sehe ihr glückliches Gesicht, weil sie sich so sehr freut, mit mir zusammen arbeiten zu dürfen …
Ich habe ihr so viel bedeutet. Von Anfang an.
Ich sehe mich, wie ich ihr gestehe, daß es mir Angst macht, daß sie weiß, wie ich denke, wie ich fühle. Wie ich ihr sage, daß ich sie trotzdem wieder als meine Assistentin will. Weil sie mir so viel bedeutet, daß ich über meinen Schatten gesprungen bin.
Das alles scheint eine Ewigkeit her zu sein.
Erinnerungen an einen Kuß … an eine wundervolle, warme Vertrautheit. An soviel echte, ehrliche Zärtlichkeit …
Ich merke nicht, wie ich statt Marthas liebem Gesicht ihre Nähmaschine streichle …
Erschöpft vom Schmerz, von quälender Sehnsucht nach ihr sinkt mein Kopf auf die Maschine ...

4359
Ich fühle eine tiefe Traurigkeit.
Ich habe das Gefühl, daß ich nie wieder Glück oder Freude empfinden kann.
Martha hinterläßt einen leeren Platz nicht nur in diesem Raum.
Auch in mir.
Trostlosigkeit macht sich in mir breit.
Hoffnungslosigkeit.
Und die ebenso schmerzliche wie frustrierende Erkenntnis, daß es nur weniger Worte bedurft hätte, damit sie bleibt.
Sie liebt mich.
Sie wäre geblieben.
Wenn ich sie darum gebeten hätte.
Wenn ich einfach nur „Hilf mir!“ geflüstert hätte.
Warum nur muß diese verdammte Angst mir immer den Mund verschließen, wenn ich eigentlich so viel sagen möchte?
Und ich habe ihr heute mehrmals eine Menge sagen wollen.
Auf die Arbeit kann ich mich nicht mehr konzentrieren.
Ich ziehe mich um und gehe joggen.
Körperlich erschöpft, aber innerlich immer noch aufgewühlt komme ich wieder zuhause an.
Meine Gedanken kommen einfach nicht zu Ruhe.
Wahrscheinlich wäre es besser, unter Menschen zu gehen, statt im Stillen der Stimme in meinem Inneren ausgeliefert zu sein.
Immer klarer wird mir, daß ich heute meine größte, nein, die einzig wirklich große Chance meines Lebens vertan habe.
Ein Teil von mir möchte das alles vergessen und so weiterleben, wie bisher.
Der andere Teil will das nicht.
Und das ist auch der Teil, der mir flüstert, daß ich so nicht weiterleben kann.
Weil nichts mehr so ist, wie früher.
Ich kann nicht mehr vor mir selbst leugnen, daß ich mich früher oder später meinen Problemen stellen muß.
Ich habe so langsam nicht mehr die Kraft, wegzulaufen.
Für heute flüchte ich mich in den Sljivovic. Nur, um endlich den Kopf abschalten und schlafen zu können. Als Problembewältigung taugt das Zeug gar nicht.
Probleme können nämlich sehr gut schwimmen.

Die nächsten Tage zwinge ich mich eisern zur Disziplin.
Schaffe es zu meinem eigenen Erstaunen sogar, etwas zustande zu bringen.
Wenn ich auch gestehen muß, daß ich alleine nicht so gut arbeite wie mit Martha zusammen. Oder jedenfalls durch ihre Anwesenheit inspiriert.
Ich mache mir Sorgen um sie.
Wenn ich mich schon so beschissen fühle, wie muß ihr zumute sein?
Glücklicherweise treffe ich sie nicht.
Ein Blick in ihre Augen und vorbei wäre es mit meinem bisschen Selbstbeherrschung.

Ich trainiere viel.
Der Frust und die Verzweiflung lassen mich unterschwellig aggressiv werden. Und dem will ich gleich einen Riegel vorschieben.
Mit hartem Boxtraining habe ich es im Griff.
Mir fehlt dann einfach die Energie, um mich noch groß über irgendwas aufzuregen.

So zum Beispiel über den unerwarteten Besuch des Lahnstein-Intrigantenpacks.
Wollten mich dazu bringen, irgendeinem Töchterchen eines reichen Geschäftsmannes schön zu tun.
Ich hab gleich klargemacht, daß ich keine männliche Hostess bin, die auf Bestellung gefällig wird.
Aber die beiden Lahnsteins haben mir dezent gedroht, daß ich dann meinen Job los bin.
Leider ist der im Moment das Einzige, das verhindert, daß ich völlig den Halt verliere.
Und irgendetwas drängt mich dazu, da zu bleiben, wo Martha ist …
Also lasse ich mich breitschlagen, ein wenig nett zu dem Mädel zu sein.
Ich hoffe, ich habe deutlich gemacht, daß mehr als eine nette Plauderei nicht drin ist.

Sie ist aufdringlich. Sie ist penetrant. Sie ist nervig und quatscht mich voll, während ich arbeite.
Ich wünschte, Martha wäre hier und würde die kleine Nervensäge entsorgen.
Aber ich beiße mich tapfer durch.
Meine kurzangebundene Art schreckt sie leider kaum ab; sie scheint das für das normale Verhalten eines Künstlers zu halten.
Und irgendwann ist auch das überstanden.
Dank sei dem Boxtraining.

Ich schlafe schlecht.
Jede Nacht schrecke ich hoch, jedesmal geweckt von demselben Alptraum, der mich schon so lange plagt … ein Traum, in dem ich nicht feige in meinem Schrank hocken bleibe.
Ein Traum, in dem ich ihn verlasse und etwas unternehme.
Es könnte ein angenehmer Traum sein, wenn er mir nicht solche Schuldgefühle bescheren würde.
Sie wurden getötet und ich habe nichts getan.
Sie sind tot und ich Feigling lebe.
Gerechtigkeit sieht anders aus.
Aber seit wann ist das Leben schon gerecht?
Doch frage ich mich, ob mir der nächtlich wiederkehrende Traum nicht noch etwas anderes sagen will.
Ein Zeichen geben … in Bezug auf Martha?
Ich habe nicht verdient, glücklich zu sein. Oder doch?
Ich fürchte, in mir ist etwas passiert, das nicht rückgängig zu machen ist.
Der Schmerz, den ich wegen Martha empfinde, wirft Fragen auf.
Wie lange kann ich ihnen noch ausweichen, wie lange kann ich mir noch selbst etwas vormachen?
Aus Angst vor der Angst leugnen, daß ich mehr für sie empfinde?

4363
Ich vermisse Martha.
In jeder Hinsicht.
Sie hat mich ergänzt, mich erst komplett gemacht.
Und als sie ging, ging ein Teil von mir mit. Wahrscheinlich der bessere.
Auf jeden Fall der Teil, der mit dieser verdammten Kaffeemaschine klarkommt.
Martha hatte nie Probleme mit dem Ding.
Während ich mich noch mit der unkooperativen Maschine herumärgere, labert mich Tanja von und zu Nervensäge von der Seite an.
Ihr paßt die Art nicht, wie ich ihr meine Entwürfe präsentiert habe.
Sie will ein Portfolio mit einem anständigen Layout und keine lose Blattsammlung.
Ich sage ihr, daß ich hier kreativer Designer wäre und kein Büromensch.
Nee, Juri, für sowas hattest du ja auch bis jetzt Martha.
Die Maschine verweigert sich mir immer noch. Ärgerlich haue ich drauf, aber sie kann was einstecken und bleibt stur. Ist wahrscheinlich sanfte Frauenhände gewöhnt.
Die Gräfin rät mir, Martha wieder einzustellen; ich könne mir ja nicht mal 'nen Kaffee machen.
Es stimmt, ohne Martha scheine ich kaum noch alltagstauglich.
Aber das geht die Lahnstein nichts an.
In dem Moment taucht Martha auf und unsere Blicke treffen sich.
Und ihr Blick tut mir so weh, daß ich wieder mal innerlich schreie.
Ein großes, unausgesprochenes Warum hängt in der Luft.
Und ich habe keine Antwort darauf.
Dann ist sie aus meinem Blickfeld verschwunden, ich wende mich wieder der Maschine zu und gewinne meine Fassung zurück.
Sage, daß ich früher auch keine Assistentin gehabt hätte und klargekommen sei.
Bei Tanja gehorcht die hinterhältige Maschine übrigens sofort.

*******

Ich komme später wieder nach oben und wieder treffe ich Martha.
Ihr Anblick ist so vertraut. Und doch ist sie mir ferner denn je.
Wieder treffen sich unsere Blicke, wieder trifft mich ihrer schmerzlich in meinem Inneren.
Ich weiche ihm aus.
Sie redet übrigens gerade mit Rebecca. Ob sie nun bei ihr arbeiten möchte?
Irgendwie mag ich das nicht glauben, denn sie wollte ja hauptsächlich aus meiner Nähe weg.
Weil die Situation zwischen uns, weil ich ihr unerträglich wurde.
Ich weiß auch nicht, ob ich es ertragen könnte, sie täglich zu sehen.
Und immer dieses Warum in meinem Kopf zu hören, auf das ich keine Antwort weiß.

*******

Und dann rennt sie mich versehentlich fast über den Haufen. Ich verschlabbere meinen Kaffee und Erinnerungen steigen in mir hoch.
Erinnerungen an eine verliebte, tollpatschige junge Frau, die sich in mein Herz geschlichen hat ...
Wahrscheinlich trage ich grad dieses Herz auf der Zunge, denn glücklich lächelnd sage ich „Wie früher, hm?“.
Dann holt Martha mich brutal in die Gegenwart zurück.
Nein. Nicht wie früher.“
Ihr Ausdruck ist kalt und abweisend und diese Kälte läßt alles in mir sich schmerzhaft zusammenziehen.
Ich mag gehofft haben, daß sie anders reagieren würde, aber erwartet habe ich es nicht.
Du verdienst diese kühle Abfertigung, Juri.
Und irgendwo bewundere ich Martha für ihre Stärke, für ihre Konsequenz.
Wenn sie mir doch ein wenig davon abgeben würde ...
Noch in Gedanken versunken, blicke ich ihr nach, als Rebecca an mir vorbeigeht.
Der eine braucht 'ne Assistentin, die andere 'nen Job. Könnte alles so einfach sein.“
Wenn der eine nicht so ein Schwachkopf wäre.“, murmele ich vor mich hin.
Oh, Juri, da schmeichelst du dir aber grade. Die Stimme in dir hat da noch ein paar ganz andere, passendere Bezeichnungen für dich ...

*******

Sascha ist da.
Ich weiß, daß er mit Martha Kontakt hat. Und es treibt mich, ihn zu fragen, wie es ihr geht.
Es ist keine Frage aus Höflichkeit, sondern aus echter Sorge.
Nur weiß ich nicht, was ich für eine Antwort erwartet habe.
Sascha meint, es ginge ihr gut, jetzt wo sie meinen Anblick nicht mehr täglich ertragen müsse.
Ich habe es soweit kommen lassen.
Es ist allein deine Schuld, daß sie leidet, Juri.
Sascha meint weiter, sie hätte keinen Job, kein Geld und irgendein Pisser hätte ihr Herz gebrochen.
Deine Schuld, Juri! Allein deine Schuld …
Ich werde wütend, wütend auf mich, meine verdammte Feigheit.
Sascha bezieht meine Wut auf sich, aber das ist mir egal.

*******

Wieso laufen wir uns tagelang nicht über den Weg und heute ständig?
Sie ist mit Sascha im No Limits.
Versucht ihre Strick-Accessoires zu verkaufen.
Sie braucht anscheinend wirklich dringend Geld.
Dann erblickt sie mich und ist sichtlich nicht erfreut. Kein Zweifel, daß sie mich wirklich nicht sehen will.
Schlagartig wird mir bewußt, daß ich ihre verliebten Blicke vermisse. Und daß sie immer meine Nähe gesucht hat.
Sie fehlt mir so sehr.

Plötzlich kommen ein paar Typen rein. Junge Bürschchen genau von der Sorte, wie ich sie noch nie leiden konnte. Typen ohne Respekt. Typen, die sich für stark halten, wenn sie im Rudel andere drangsalieren.
Einer vergreift sich an Marthas Stricksachen.
Beleidigt sie.
Ich weiß, daß Martha sich gut alleine gegen solche Übergriffe wehren kann.
Und dennoch sehe ich mich selbst plötzlich neben ihr, wie ich mir den Typen greife.
Mein Bedürfnis, Martha schützen, sie verteidigen zu wollen, ist wohl stärker als alles andere.
Doch kalt weist sie meine Hilfe zurück, stößt mich von sich.
Das trifft mich.
Habe ich mir wirklich erhofft, daß eine ritterliche Geste von mir reicht, damit sie mir verzeiht?
Vielleicht hätte sie das früher getan.
Aber sie ist gewachsen. Sie hat sich weiterentwickelt.
Und du bist stehengeblieben.
Das Schlimme ist, daß ihre Stärke, ihr Selbstbewußtsein mich anziehen und sie mich noch mehr vermissen lassen.

*******

Ich will ihr helfen.
Es ist meine Schuld, daß sie keinen Job, kein Geld hat.
Klar ist mir aber auch, daß sie sich von mir nicht helfen lassen wird.
Sie hat ihren Stolz.
Also höre ich mich um und finde eine Boutique, die ihre Stricksachen verkaufen würde.
Lasse aber durchblicken, daß ich gerne anonym bleiben möchte.
Seit Tagen mal ansatzweise zufrieden mit mir, lehne ich mich lächelnd zurück ...

*******

Auf einmal steht Sascha bei mir auf der Matte.
Macht mich an, ich solle Martha in Ruhe lassen.
Ich vermute, daß er gerne vorhin am Pool Marthas Helden hatte spielen wollen.
Doch da irre ich mich.
Er hat anscheinend gleich kapiert, daß ich hinter Marthas Auftrag stecke.
Und meint, ich wolle damit nur mein schlechtes Gewissen beruhigen.
Nun irrt er sich.
Mein schlechtes Gewissen, die Schuldgefühle verdiene ich.
Aber ich will Martha einfach nur helfen. Ich will nicht, daß sie neben ihrem Kummer wegen mir auch noch finanzielle Sorgen hat.
Jetzt steh' endlich dazu, daß du in sie verknallt bist … oder halt dich aus ihrem Leben raus.“
Er hat Recht, ich werde mich entscheiden müssen …
Aber in einem hat er nicht Recht … ich bin nicht in Martha verknallt.
Eine simple Verliebtheit würde mich nicht so quälen.
Was ich für Martha fühle, ist mehr. Viel mehr …
Nur muß ich das wohl selbst noch begreifen …
Sascha steckt mir noch, daß es Martha noch mehr fertigmachen wird, wenn sie rausfindet, daß ich hinter dem Auftrag stecke. Weil sie dann denken würde, daß ich Mitleid mit ihr habe.
Das hatte ich nicht bedacht.
Der Gedanke macht mir Kummer.
Aber kommt es auf einen bedrückenden Gedanken mehr bei mir noch an?

4365
Vergangene Nacht hat mich wieder der altbekannte Alptraum hochgejagt.
Aber in den frühen Morgenstunden hatte ich noch einen anderen Traum.
Martha und ich, händchenhaltend im Park spazieren … die Sonne scheint uns warm ins Gesicht … wir sehen uns in die Augen, bleiben kurz stehen, küssen uns …
Als ich aufwache, fühle ich mich glücklich und weiß zuerst gar nicht, weshalb.
Bis mir der Traum und seine Einzelheiten bewußt werden.
Bis vor kurzem dachte ich, ich sei glücklich.
Ich hatte einen guten Job, viel Sex mit wunderschönen Frauen.
Meine Probleme belasteten mich im Alltag nicht.
Liebe?
Wer braucht Liebe?
Das war doch was für hoffnungslos realitätsferne Romantiker.
Bis sie in mein Leben trat.
Gefühle weckte.
Andere vermissen ließ.
Und mich vor die unangenehme Frage stellte, ob ich immer noch glücklich bin.
Oder es vielleicht nie war.

Ich denke viel nach.
Martha geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
Immer wieder denke ich an unseren Kuß.
Und an den Traum.
Hat er etwas zu bedeuten? Und wenn ja, was hat er zu bedeuten?
Kann so meine Zukunft aussehen?
Eine Zukunft mit Martha?
Laß mal außen vor, daß du wahrscheinlich beziehungsuntauglich bist, weil du noch nie eine Beziehung hattest.
Laß außen vor, daß sie dir wahrscheinlich eh nie verzeihen kann, was du ihr angetan hast.
Aber unabhängig davon … willst du sie, Juri?
Willst du sie?
Ist sie es dir wert, daß du dich ihretwegen überwindest, dich deinen Ängsten zu stellen?
Bedeutet sie dir so viel, daß du bereit bist, die Konsequenzen daraus zu tragen?
Ein Zurück wird es nicht geben …
Ich kenne die Antwort.
Und gleich stellt sich die nächste Frage.
Wann, Juri?
Wann bist du bereit, zu kämpfen?
Für dich, für sie, für euch ...

*******

Diese kurzsichtige Frau von der Boutique will Marthas Sachen nur auf Kommission nehmen. Es sei ihnen doch zu riskant, Strickwaren von einer unbekannten Designerin aufzukaufen.
Ich bin stinksauer und sage ihr, daß sie mich mal am Allerwertesten lecken kann.
Auf Kommission! Was soll Martha das nutzen? Sie braucht jetzt Geld.
Aber gut, sie muß ja nicht unbedingt davon erfahren.
Die Boutique könnte einen Boten schicken, der die fertigen Sachen abholt und Martha das Geld gibt.
Schnell haue ich einen Kumpel aus dem Boxclub darum an, den Boten zu machen.

*******

Bei LCL merke ich dann, daß ich eine unruhige Nacht hatte. Ich penne in der Besprechung mit Tanja, Rebecca und Alexa weg. Rebecca knufft mich schließlich in die Seite und ich stehe auf. Im Stehen penne ich sicher nicht so schnell wieder ein. Überhaupt finde ich das Gelaber müßig, es geht um Budgetbeschränkungen und ich mache klar, daß für weniger Geld auch weniger Erfolg zu erwarten ist.

*******

Ich stehe an meinem Arbeitstisch und fühle mich seltsam verloren hier.
Und ich weiß nicht, wie ich meine innere Unruhe loswerden soll. Meine üblichen Techniken zum Entspannen, zum Kopffreimachen helfen nicht.
Es ist komisch … seit Martha weg ist, ist sie mir viel allgegenwärtiger als je zuvor.
Sie geht mir nicht mehr aus dem Kopf, immer wieder drängt sich unser Kuß in mein Bewußtsein und der Wunsch, dieses wunderbare Gefühl zurückzuholen, es immer wieder zu erleben.
Juri, tief in dir weißt du genau, was du dafür tun mußt.
Aber du bist immer noch zu feige.
Wie groß muß der Schmerz noch werden?
Oder willst du leiden?
Willst du Buße tun?
Aber laß doch nicht sie leiden! Was kann sie für deine Probleme?
Verstohlen sehe ich mich um. Und hole Marthas Wackelblume aus meiner Jacke.
Martha hatte sie auf meinem Tisch vergessen und ich habe sie spontan eingesteckt, ohne zu wissen, wieso.
Vielleicht erhoffe ich mir von ihr eine Eingebung.
Martha hat immer mit ihr gesprochen.
Ich stelle das komische Ding vor mich hin und stupse es an.
Aber mich deucht, das Blümchen ist Martha treu ergeben, denn es weigert sich, für mich zu wackeln.
Geschweige denn, mir einen nützlichen Rat zu geben.
Oh, Juri, du warst immer schon ziemlich bescheuert, aber jetzt hast du wohl wirklich 'nen Knall.
Als Sascha auftaucht, stecke ich die Blume heimlich wieder in meine Jacke.
Sie ist das Einzige, was mir von Martha geblieben ist.
Ich weiß, es ist lächerlich, aber das alberne Ding bei mir zu tragen, hat was Tröstendes …

*******

Ich bekomme mit, daß Martha Sascha anruft, weil sie blaue Wolle braucht.
Indigoblau. Da bin ich mir sicher. Ich kenne sie.
Ich sehe eine Chance, Martha zu helfen.
Und biete Sascha an, ihm die Lagernummer zu geben, damit er das Gesuchte findet.
Er guckt mich nur komisch an.
Ich weiß, was sie will.“, sage ich leichtheraus.
Haha, Juri, der war gut.
Du weißt, was sie wirklich will.
Daß du Farbe bekennst, nicht Farbe findest.
Du weißt eindeutig zuviel. Halt dich aus ihrem Leben raus. Du tust ihr nicht gut.“, meint Sascha.
Ich nicke ihm beschwichtigend zu, murmele „Okay.“ Er hat ja Recht.
Wenn das nur so einfach wäre …
Es zieht mich einfach zu ihr, als ob es eine Chance gäbe, daß alles wieder so wird wie früher.
Wieso glaube ich noch daran, klammere mich daran, wo ich doch im Grunde weiß, daß es unmöglich ist?

*******

Völlig unerwartet treffe ich Martha am Aufzug.
Ich freue mich so, sie zu sehen, daß ich sicher strahle wie ein Christbaum.
Doch sie drückt den Knopf und die Tür schließt sich wieder.
Ich drücke auch.
Und wieder sie.
Und wieder ich.
Martha, nun sei doch nicht albern!“, meine ich und bin mir sicher, daß sie das Ganze gar nicht komisch findet.
Und sie macht mir auch gleich unmißverständlich klar, daß sie nicht mit mir reden will.
Ich spüre ihre Enttäuschung, ihre Verletztheit fast körperlich.
Sie hat das Gefühl, sich gründlich in mir geirrt zu haben, dem falschen Mann ihre Liebe geschenkt zu haben.
Und ich kann es ihr nicht verdenken.
Aber etwas drängt mich, nicht aufzugeben.

*******

Ich folge ihr ins Lager, weil ich weiß, daß sie dort nicht fündig werden wird.
Ich weiß, es ist bescheuert, aber ich habe mir alles Indigoblau eingesteckt, weil ich es sein will, der ihr hilft.
Ich will doch nichts weiter als ein kleines Lächeln …
Ein verlegenes, schüchternes, verliebtes Lächeln … ein Lächeln, das ich so vermisse ...
Sie will wissen, woher ich wußte, daß sie diese Farbe braucht.
Ich möchte ihr sagen, daß es Eingebung war, weil wir uns eben blind verstehen, aber das traue ich mich nicht und anlügen will ich sie eigentlich auch nicht.
Also gestehe ich, daß ich es von Sascha weiß.
Sie hätte die Wolle auch alleine gefunden, meint sie kühl.
Ich wollte nur nett sein.“, sage ich.
Aaargh, Juri, du Vollidiot! Was du für einen Müll laberst! Denkst du auch nur einmal nach, bevor du die Schnauze aufmachst?
Nach dem, was du ihr angetan hast, was du ihr für Sachen ins Gesicht geschleudert, wie du sie angebrüllt hast, muß ihr so ein Sprüchlein wie der blanke Hohn vorkommen.
Laß das! Nett kannst du nicht.“, meint sie auch prompt.
Ich versuch's.“
Ja, Juri, vielleicht.
Aber meinst du wirklich, Martha verzeiht dir über diesen Wollknäueln alles und fällt dir um den Hals?
Wie naiv bist du eigentlich?

Martha wühlt weiter in den Kisten. Sie ist offenbar zu stolz, meine Wolle zu nehmen.
Aber weil ich alles Indigoblau an mich genommen habe, sieht sie sich gezwungen, die Wolle doch von mir anzunehmen.
Mir fällt auf, daß sie gestreßt wirkt und ich spreche es auch aus.
Zum einen, weil ich mir wirklich Sorgen mache. Immerhin ist es meine Schuld, wenn es ihr nicht gut geht.
Und zum anderen, weil ich dieses Gespräch am Laufen halten will.
Sie erzählt von ihrem ersten eigenen Auftrag und daß sie dafür eben viel zu tun hat.
Ich lasse mir nicht anmerken, daß ich von dem Auftrag weiß, aber stattdessen, daß ich mich für sie freue.
Sie meint, sie sei jetzt endlich unabhängig. Von allem und jedem.
Ich spüre genau, wen sie mit „jedem“ meint.
Dummerweise bin ich jetzt wohl von ihr abhängig ...
Dann kommt sie auf die abwegige Idee, für die Wolle bezahlen zu wollen.
Ich winke ab, aber sie bleibt hartnäckig.
Und ich habe keine andere Wahl, als sie an den Empfang zu verweisen.
Sie scheint sich zu freuen, endlich einen Grund zu haben, mich stehenlassen zu können.
So hatte ich mir die Szene nicht vorgestellt.
Ich sehe ihr nach, wie sie selbstbewußt und erhobenen Hauptes davon geht. Sie wirft mir noch einen kühlen Blick zu. Und dann ist sie weg.
Und ich spüre, wie mich ihre Stärke und ihre unbeugsame Persönlichkeit noch mehr anziehen als zuvor, mich sie noch viel mehr vermissen lassen …

*******

Mein Kumpel aus dem Boxclub bringt mir Marthas Stricksachen vorbei. Sagt mir, daß alles glatt gegangen ist.
Ich freue mich und danke ihm für seine Hilfe.
Dann bemerke ich Martha, die mich anstarrt. Und den Karton in meiner Hand.
Ich kapiere im Bruchteil einer Sekunde, daß mein Wunsch, Martha zu helfen, nach hinten losgegangen ist.
Warum konnte ich Trottel mir die Sachen nicht nach Hause bringen lassen? Sicher, ich hatte nicht damit gerechnet, daß Martha hier sein würde. Trotzdem …
Aber was Martha angeht, habe ich einfach kein glückliches Händchen. Egal, was ich sage oder tue, es ist immer falsch.
Ja, Juri. Weil du nur halbe Sachen machst.
Nichts mit ganzem Herzen.

*******

Natürlich stellt sie mich zur Rede.
Mir ist das furchtbar unangenehm.
Ich habe ihr wirklich nur helfen wollen.
Aber sie sollte nichts davon erfahren.
Weil sie zu stolz gewesen wäre, meine Hilfe anzunehmen.
Ich kann sie kaum ansehen, murmele was von Starthilfe.
Und sie hätte doch meinetwegen ihren Job gekündigt.
Ja, weil du ihn mir zur Hölle gemacht hast!“
Touché.
Ich fühle mich getroffen. Und schuldig.
Sie hat alles Recht der Welt, mich so zusammenzufalten.
Ich meine verzweifelt, daß jeder doch am Anfang Hilfe bräuchte.
Aber doch nicht von dir!“
Ja, Martha, ich weiß. Deshalb solltest du ja auch nichts davon erfahren.
Meine eigene Blödheit hat dafür gesorgt, daß sie nun noch wütender auf mich ist als vorher.
Und zu allem Unglück sieht sie sich jetzt auch noch als untalentierte Versagerin.
Martha, deine Sachen sind gut.“, meine ich eindringlich.
Und das sind sie wirklich.
Martha leistet nur qualitativ hochwertige Arbeit. Auch wenn mir das Zeug persönlich nicht zusagt, kann ich das anerkennen.
Außerdem sind die Sachen liebevoll gefertigt, weil Martha alles, was sie macht, mit ganzem Herzen macht …
Ich bemerke Marthas abweisenden Blick und weiß, daß ich keine Chance habe, auch wenn ich es noch so ehrlich meine.
Wie konnte ich hoffen, daß sie mir, ausgerechnet mir glauben würde?
Sie denkt sicher, ich will sie nur rumkriegen, damit sie wieder für mich arbeitet und mir meinen Kaffee macht.
Ich wünschte, ich wäre dir nie begegnet.“
Da Sascha dabei ist, lasse ich mir nicht anmerken, wie sehr mich diese Bemerkung trifft.
Gut gemacht, Juri! Du hast es echt geschafft, sie noch mehr zu verletzen.
Ich hätte Lust, mich in ein Mauseloch zu verkriechen.
Sascha steht noch da und beobachtet mich.
Auf deinen Kommentar bin ich jetzt echt gespannt.“, meine ich.
Das gerade muß ja Wasser auf seine Mühlen gewesen sein.
Er darf beiwohnen, wie Martha mich eiskalt auflaufen läßt.
Doch er sagt gar nichts und läßt mich einfach stehen.
Und das ist viel schlimmer, als wenn er mir Vorwürfe gemacht oder mich beleidigt hätte.

Während ich durchschnaufe und versuche, mich nicht verrückt zu machen, entdecke ich etwas auf meinem Tisch, das da vorhin noch nicht war.
Ein Prüfungszeugnis von Martha. Die Kopie ihrer Bewerbung zu einem Design-Wettbewerb.
Ich greife zum Telefon und finde heraus, daß man Marthas Zeugnis dort sofort braucht, damit sie noch zum Wettbewerb zugelassen wird.
Ich sehe eine neue Chance, Martha zu helfen und lasse alles andere stehen und liegen ...

4366
Ich bin mir ziemlich sicher, mir von Martha wieder eine gesalzene Ansage einzuhandeln, aber das ist es mir wert. Sie ist gut, sie hat's drauf und sie soll die Chance bekommen, die sie verdient.
Ich wünsche mir sehr, daß sie den Wettbewerb gewinnt.
Nicht nur, weil es ihrem Selbstbewußtsein gut tun würde.
Nein, damit hätte sie auch ganz andere Möglichkeiten.
Ich weiß, daß ich sie damit eher von mir wegtreibe, als sie zu halten, aber es ist der bessere Weg.
Es gibt ohnehin nichts, was ich tun könnte, um sie zu halten, außer ...

*******

Ich schaffe es gerade mal wieder, mich gut auf meine Arbeit konzentrieren zu können, als mich Tanja von Lahnstein heimsucht.
Auf ihre unnachahmlich charmante Art macht sie mir klar, daß es meine Schuld ist, daß die Gewinnerin des Nachwuchs-Designer-Wettbewerbes nicht mehr für LCL arbeitet und sie deshalb keinen Nutzen aus der Sache ziehen kann.
Martha, meine Martha hat gewonnen!
Ich freue mich anscheinend so offenkundig, daß auch die alte Giftspritze es merkt.
Aber das ist mir scheißegal.
Ich habe immer an Martha und ihr Können, ihr Talent geglaubt und auch wenn das sonst niemanden interessiert, nicht mal Martha selbst – mir gibt es ein gutes Gefühl.
Leider erinnert mich die eiskalte Blonde auf sehr unangenehme Weise daran, daß Martha meinetwegen gekündigt hat.
Weil sie es nicht mehr mit mir ausgehalten hat.
Meine Freude ist erstmal verflogen und das schlechte Gewissen und die Schuldgefühle gewinnen die Oberhand.
Die Lahnstein verlangt von mir, daß ich Martha als meine Assistentin zurückhole.
Ich sage nein.
Ich werde nicht versuchen, Martha zu etwas zu drängen, was sie nicht will.
Doch die Lahnstein hat gute Argumente.
Martha hat nämlich die Kündigungsfrist nicht eingehalten. Und deshalb seien ihre Entwürfe für den Wettbewerb juristisch gesehen Eigentum von LCL.
Und nun droht die Schlange mir damit, Martha zu verklagen, wenn ich sie nicht zurückhole.
Ich habe große Lust, etwas zu zerschlagen.
Hätte sie mir gedroht, mich zu feuern, wäre mir das wurscht gewesen.
Leider gibt es keinen Zweifel, daß die Lahnstein Ernst machen würde. Die Frau ist gemein und skrupellos.
Ich suche verzweifelt nach einem Ausweg, aber es gibt keinen.
Noch auf dem Weg zu den Wolfs grüble ich, aber es will mir nichts einfallen.
Und ich habe Schiß vor der Begegnung mit Martha.
Schon im Voraus schmerzt mich der kühle Ausdruck in ihren Augen und ihr abweisender Tonfall ...

*******

Und als ich schließlich vor ihr stehe, ist es noch schlimmer, als ich dachte.
Ich bin schrecklich verlegen und bemühe mich um Fassung.
Aus Verzweiflung versuche ich einen geschäftsmäßigen Tonfall.
Ich merke selbst, wie meine Gratulation zu ihrem Preisgewinn bei weitem nicht so herzlich klingt wie sie sollte.
Ob ich ihr Zeugnis bei der Prüfungskommission abgegeben hätte?
Ja, es hätte auf dem Weg gelegen, flunkere ich.
Aber damit, daß ich mich völlig abgehechelt habe, um es rechtzeitig zu schaffen, kann ich sie sicher nicht beeindrucken.
Danke.“, sagt sie. Aber auch „War's das?“
Kein Zweifel, daß ihr meine Gefälligkeit nicht wirklich etwas bedeutet.
Ich sage ihr, daß sie die Kündigungsfrist nicht eingehalten hat und ihren Job wieder antreten muß.
Sie reagiert wie erwartet mit Ablehnung.
Und meint, ich hätte sie erst rausgeekelt und jetzt, wo ich merke, daß ich alleine nicht klarkomme …
Ich bin wirklich froh, ihr sagen zu können, daß die Lahnstein dahintersteckt.
Ich mache ihr klar, daß die Ernst machen und auch vor juristischen Mitteln nicht zurückschrecken wird, um ihre Forderung durchzusetzen.
Martha ist wie vor den Kopf geschlagen, das sehe ich.
Sie tut mir leid.
Sie wollte unabhängig sein und nun das.
Sie fragt mich, was ich von der Sache halte.
Und so gern ich sie wieder bei mir haben möchte, sage ich ihr, daß ich einfach nur will, daß es ihr gut geht.
Ob sie mir das abkauft, weiß ich nicht.

*******

Als ich Martha bei Jessica sehe, muß ich sofort zu ihr. Ich bin aufgeregt und nervös.
Und?“, frage ich erwartungsvoll.
Sie sagt mir gleich, daß sie nicht mehr als meine Assistentin arbeiten kann.
Okay.“, sage ich verständnisvoll und das ist nicht geheuchelt.
Jessica quatscht uns dazwischen und erwähnt irgendeinen „Oberhammer“.
Ich sehe Martha fragend an und sie erklärt, daß sie sich als Designerin bewerben will.
Sie meint, ich sei sicher der Meinung, sie sei noch nicht erfahren genug. Aber sie wolle es trotzdem versuchen.
Ich mag ihren Kampfgeist.
Ich find' das gut. Setz dich durch!“, meine ich eindringlich und ich hoffe inständig, daß sie merkt, daß ich es ehrlich meine.
Sie schaut mich erstaunt an und bedankt sich. Offenbar hat sie das nicht von mir erwartet.
Ich freue mich, lasse mir das aber nicht anmerken.
Stattdessen weise ich sie dezent darauf hin, sich die Kuchenkrümel abzuputzen, bevor sie der Lahnstein ihre Aufwartung macht.
Daß Martha wieder Kuchen ißt, ist sicher ein gutes Zeichen.
Ich gehe … sie soll sich nicht von mir bedrängt oder verfolgt fühlen.

*******

Hinterher fällt mir dann ein, daß ich ihr wenigstens noch ein paar Tipps hätte geben können, wie sich gegenüber Tanja verhalten soll.
Ob es Zufall ist, daß ich Martha wenige Augenblicke später im Waschraum treffe?
Ich weiß, ich soll mich nicht einmischen.“, meine ich entschuldigend.
Stimmt.“
Aber was du machst, ist gut.“
Diesmal klingt ihr 'Danke' nicht mehr ganz so unbeteiligt.
Ich stecke ihr, daß Tanja sie nicht warten läßt, weil sie wirklich zu tun hat, sondern um sie weichzukochen.
Überleg dir genau, was du willst und dann setz es durch. Keine Kompromisse.“
Ich nicke ihr aufmunternd zu.
Ja. Ich werd's versuchen.“ Sie klingt nicht ganz überzeugt von sich selbst.
Nicht versuchen. Machen.“, bemühe ich mich, deutlicher zu werden.
Denk dir, du bist Champagner.“
Champagner?“
Ja, oder Mohair, 'n Diamant, irgendwas Wertvolles. Denn das bist du.“
Ich sehe ihr dabei direkt in die Augen.
Selten habe ich etwas so ernst und ehrlich gemeint, wie das.
Und es scheint, als würde sie es merken, denn das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit lächelt sie mich an.
Und das macht mich in dem Moment einfach nur glücklich.
Ich werd' mir was überlegen.“ Sie lächelt immer noch.
Du schaffst das. Viel Glück!“
In der Tür drehe ich mich noch einmal zu ihr um; ich will mir ihr Lächeln einprägen …

*******

Später rennen wir uns wieder fast über den Haufen.
Champagner?“, frage ich und blicke auf die Flasche in Marthas Hand.
Sekt. Aber das muß die Lahnstein ja nicht merken.“
Du hast es geschafft.“
Ja, ich bin Accessoire-Designerin.“
Sie strahlt mich an.
Gratuliere!“ Ich freue mich sehr für sie. Sie hat sich gegenüber dem Drachen wirklich durchgesetzt und das war sicher nicht leicht.
Ihr Blick fällt auf ihre Wackelblume auf meinem Tisch. Die, die sich mir immer noch verweigert.
Die geht … irgendwie nicht richtig.“, meine ich verlegen.
Sie lächelt mich an und meint „Darf ich?“.
Die Blume erkennt sie sofort und tut, was gewünscht ist – sie wackelt fröhlich vor sich hin.
Nein, das ist natürlich Quatsch – irgendwas ist da auf der Unterseite, wahrscheinlich ein Schiebeschalter oder sowas.
Ich bin einfach zu blöd für Wackelblumen.
Aber Martha rennt nicht vor mir davon – da ist mir alles andere eh egal.
Sogar daß sie mir einfach nur die Blume in die Hand drückt, sich ihre Flasche greift und mich stehenläßt, um mit ihren Kolleginnen anzustoßen, tut mir nicht weh.
Ich gönne ihr die Anerkennung, den schönen Erfolg und freue mich ehrlich für sie.
Und diesmal bin ich ganz sicher, sie spürt und glaubt mir das.
Ich proste ihr in Ermanglung von Sekt mit der Blume zu und sie lacht mich glücklich an.
Ich weiß, das bezieht sich nicht auf mich, aber das sie mich an ihrem Glück teilhaben läßt, indem sie es offen zeigt, bedeutet mir heute alles ...

*******

Ich liege noch lange wach an diesem Abend.
Daß ich es geschafft habe, daß sie mir wieder etwas freundlicher begegnet, macht mich einfach nur glücklich.
Es ist nur ein kleiner Schritt, aber immerhin.
Vielleicht bemerkt sie, daß ich mich wirklich ernsthaft bemühe.
Ich sehe sie vor mir.
Eine schöne Frau, so selbstbewußt, so strahlend …
Ich glaube, es tut ihr wirklich gut, Abstand von mir zu haben.
Aber in mir regt sich ein sehnsüchtiges Verlangen.
Ich drücke mein Kissen an mich, weil ich sonst nichts (und niemanden) zum Kuscheln habe und spüre, daß die Zeit reif ist.
Ich kann und will meine Gefühle für Martha nicht länger leugnen, nicht länger unterdrücken … egal, was das für Konsequenzen hat.
Über diesen Gedanken schlafe ich ein.

4368
Heute ist Marthas Preisverleihung.
Zufällig bekomme ich mit, daß die Übergabe hier bei LCL stattfinden soll und daß die Lahnstein für eine Live-Übertragung im Fernsehen gesorgt hat, um mit Marthas Gewinn gleich Werbung für LCL machen zu können.
Als ich ebenso zufällig mitbekomme, daß man einen Laudator sucht, melde ich mich spontan freiwillig.
Ich glaube nicht, daß es hier jemanden gibt, der Marthas Arbeit mehr zu schätzen weiß als ich. Ich habe viele schöne Monate mit ihr zusammengearbeitet und ich weiß, was sie kann, wie gut sie ist.
Unten ist man überrascht, das hat man nicht von mir erwartet.
Wo ich doch dafür bekannt bin, um jede Kamera, jeden Reporter einen Riesenbogen zu machen und ziemlich ungehalten werden kann, wenn man mich bedrängt.
Aber für Martha werfe ich jetzt mal meine Prinzipien über Bord … irgendetwas drängt mich einfach dazu.
Ich halte die Rede.“
Ich sehe Martha an und kann nicht ergründen, was sie davon hält.
Möglicherweise einen weiteren Versuch, mich wieder bei ihr einzuschleimen.

*******

Ich mache mich gleich an die Arbeit, greife mir Papier und Stift.
Aber es ist schwerer, als ich dachte.
Schon, daß ich keinen Anfang finde, macht mich nervös.
Und dann steht auf einmal Martha neben mir und wie es scheint, hatte ich Recht mit meiner Befürchtung, sie könne denken, die Rede sei nur eine Masche von mir.
Sie will nicht, daß ich bei der Preisverleihung etwas über sie sage.
Das trifft mich.
Ich frage sie, ob sie denkt, daß ich das nur mache, um mich wieder in ihr Leben zu drängen.
Ist das so?“
Ich verneine.
Dann will sie wissen, warum ich mich überhaupt für diese blöde Laudatio gemeldet hätte.
Wir haben zusammen gearbeitet. Ich meine, wir hatten eine schöne Zeit miteinander.“ Das meine ich wirklich ehrlich. „Ich ... ich hab viel von dir gelernt. Du … du bist toll.“ Auch das meine ich absolut ehrlich und ich hoffe, sie deutet mein nervöses Stammeln richtig. „Du … du machst wirklich eine großartige Arbeit. … Ich mach' das!“
Sie lächelt, sie scheint sich nun doch zu freuen.
Dann blamiere ich mich ziemlich, als ich sie frage, wann sie ihren Abschluß gemacht hat. Eigentlich sollte ich das wissen.
Sie scheint noch ein wenig skeptisch.
Verlaß dich auf mich – ich mach das.“, beruhige ich sie und bin wirklich überzeugt, das hinzukriegen.

*******

Ich stelle bald fest, daß es noch viel schwieriger ist, als ich dachte.
Ich müßte etwas sagen über ihren beruflichen Werdegang, das will man hören.
Aber was ich sagen will, ist …
Ja, was will ich denn wirklich sagen?
Ich weiß, was ich nicht will … dröge Fakten runterleiern.
Martha ist mehr als eine Liste von guten Zeugnissen, Abschlüssen etc. … Martha ist …
Ich halte ihre Bewerbungsmappe in der Hand und streichle versonnen über die Konturen ihres Gesichts auf dem Paßfoto.
Tief in Gedanken versunken werde ich von Sascha gestört.
Ich hab gehört, du hältst 'ne Rede auf Martha.“
Natürlich weiß er es. Erwartet er von mir jetzt irgendeine Entgegnung?
Gut. Sie hat es verdient.“
Ich bin mir nicht schlüssig, ob er meint, daß sie generell verdient hat, daß jemand sie gebührend würdigt oder ob er eher andeuten will, daß es Zeit ist, daß ich endlich einmal ausspreche, was sie mir bedeutet.
Es ist wichtig für sie. Also vermassle es nicht.“, schärft er mir ein.
Ich weiß, er hat Recht. Ich habe es Martha nun versprochen und sie wäre zu Recht maßlos enttäuscht, wenn ich die Sache in den Sand setze.
Aber der Druck, den ich jetzt spüre, macht die ohnehin schwierige Sache nicht gerade einfacher für mich.
Ich greife mir meine Jacke und verschwinde. Das ist mir alles zu turbulent hier, ich brauche Ruhe zum Nachdenken …

*******

Diese Laudatio macht mich noch wahnsinnig!
Ich zerknülle einen Versuch nach dem anderen.
Ich darf das einfach nicht vermasseln!
Aber alles, was ich zusammenstümpere, sagt viel zu wenig, sagt nichts über Martha aus.
Über das, was sie wirklich ausmacht.
Daß sie eine gute Ausbildung hat, daß sie talentiert ist … das sind doch schnöde Fakten.
Aber was ist mit dem wunderbaren Menschen Martha, mit der warmherzigen Frau, mit ihrer ganzen liebenswerten Persönlichkeit?
Das Herz strömt mir über, es gibt so viel, was ich über Martha sagen möchte.
Was sie mir bedeutet, wieviel sie mir bedeutet …
Aber ich konnte noch nie gut mit Worten umgehen und jetzt das, was ich fühle, in eine wohlformulierte Rede fassen?
Unruhig wandere ich durch's Zimmer, werfe mich in den Sessel, dann auf's Bett, laufe wieder umher.
Ich kann nicht fünf Minuten stillsitzen und weiß doch genau, wie nötig es wäre, mich zu konzentrieren. Denn viel Zeit habe ich wohl nicht mehr.
Und ich habe das ganz, ganz dumme Gefühl, daß ich an einem Wendepunkt meines Lebens angekommen bin.

*******

Ich atme ganz tief durch, setzte mich auf's Bett und denke an sie.
Erinnerungen durchströmen mich.
Schöne Erinnerungen.
Mir wird bewußt, daß uns beide von Anfang an etwas Besonderes verband.
Daß wir immer eine besondere, einzigartige Beziehung zueinander hatten.
Geprägt von tiefer, herzlicher Zuneigung.
Und gegenseitigem Respekt.
Mir wird klar, wieviel sie mir bedeutet.
Ich vermisse sie schmerzlich.
Alles an ihr.
Ihre Tollpatschigkeit.
Ihr fröhliches, offenes Lachen.
Ihre liebevollen, zärtlichen Blicke.
Die Wärme, die sie ausstrahlt.
Mir wird bewußt, daß mich ihre Nähe nicht immer geängstigt hat. Nein, daß ich mich auch sehr wohl mit ihr gefühlt habe.
Daß ich sie gern um mich hatte.
Sie fehlt mir.
Ich denke an den einen Kuß, den Kuß, der mich in ein gefühlsmäßiges Chaos stürzte …
Längst habe ich die Augen geschlossen.
Ich sehe ihr liebes Gesicht vor mir.
Rieche ihre warme Haut.
Fühle ihre weichen, süßen Lippen auf meinen.
Und zum allerersten Mal lasse ich mich ganz bewußt auf diese Gefühle ein.
Ich öffne die Tür zu meinem Inneren und lasse all die Zärtlichkeit zu, die ich für sie empfinde.
Ich sehne mich nach ihr.
Wünschte, sie wäre jetzt hier und wir könnten uns küssen.
Liebevoll, zärtlich, leidenschaftlich …
Die Gefühle überwältigen mich.
Doch plötzlich …
Mein Herz rast.
Und das ist nicht die sehnsüchtige Erregung.
Ich fühle mich fiebrig, taste nach meiner Stirn – sie ist voll kaltem Schweiß.
Mein Magen krampft und mir wird speiübel.
Zu spät erkenne ich, daß mich eine Panikattacke eiskalt erwischt hat.
Weil ich meine Gefühle für Martha zugelassen habe.
Aber ich will nicht mehr umkehren!
Ich will keine Angst mehr vor meinen eigenen Gefühlen haben.
Keine Angst mehr, zu lieben.
Keine Angst mehr, jemanden an mich heranzulassen.
Keine Angst mehr, Martha den wahren, verletzlichen Juri zu zeigen.
Ich muss, ich will das durchziehen!
Für mich, für Martha, für uns.
Für eine gemeinsame Zukunft.
Ich zittere haltlos.
Der Würgereiz treibt mich hoch.
Mit zitternden Knien schleppe ich mich zum Badezimmer.
Mein Kreislauf macht schlapp.
Obwohl mein Herz rast, ist mein Blutdruck ganz unten.
Ich spüre, wie ich weiß werde, mein Gesicht ganz kalt.
Meine Beine knicken weg, schwer schlage ich gegen den Türrahmen.
Ich sacke halb benommen zu Boden, schaffe es aber, nicht das Bewußtsein zu verlieren.
Der Kreislaufabsturz dreht mir den Magen um; ich erbreche mich auf den Boden.
Es ist brutal.
So muß sich jemand auf kaltem Entzug fühlen.
Aber meine Willenskraft ist ungebrochen.
Ich ziehe das durch, egal wie hart es wird.
Und so denke ich an Martha.
Durchstreife meine Erinnerungen an all die schönen Momente, die wir teilten.
Und das waren viele.
Ich kotze mir die Seele aus dem Leib, bis mein Magen leer krampft.
Ich fühle mich körperlich elend, schwach und ausgepumpt.
Aber innerlich bin ich so stark wie nie zuvor.
Martha! Liebe, süße Martha!
Ich erinnere mich an meine letzte Panikattacke.
Wie liebevoll-fürsorglich sie sich um mich gekümmert hat.
Wie gut es mir getan hat, daß sie da war.
Ich spüre ihren warmen Händedruck.
Und halte mich an ihr fest. Ziehe mich hoch.
Gewinne Stärke aus ihrer Liebe zu mir.
Und so schaffe ich es, mich auch körperlich aufzurichten.
Ich ziehe mich am Türrahmen hoch.
Halte meinen Kopf für einige Sekunden unter kaltes Wasser, um wieder klarer zu werden.
Das hilft.
Dann wanke ich rüber und lasse mich auf's Bett sinken.
Ich kringele mich ein, drücke meinen Kopf ins Kissen und denke an Martha.
Und spüre, wie die Kälte in meinem Inneren langsam einer wohligen Wärme weicht.
Sie strömt durch meinen ganzen Körper und ich fühle mich in dieser Wärme herrlich geborgen.
Ich lasse mich fallen.
Martha, ich liebe dich! Ich liebe dich …
Ganz plötzlich ist es so einfach.
Ich liebe dich.
Eine ganze Weile liege ich einfach so da, ein wenig verwirrt, aber irgendwie auch sehr erleichtert.

Doch dann reißt mich ein schrecklicher Gedanke aus meinen Glücksgefühlen.
Die Preisverleihung! Die Laudatio!
Mir wird klar, daß ich Marthas großen Augenblick versäumt habe.
Genauso schnell wird mir bewußt, wie sie sich fühlen muß, wieder einmal von mir enttäuscht worden zu sein.
Zutiefst verletzt.
Scheiße!
Ich bin wütend auf mich selbst, über mein beschissenes Timing.
Und ich habe Angst, mich ihr nicht mal erklären zu können, weil sie höchstwahrscheinlich auf dem Absatz kehrt macht, sobald ich auf zehn Meter an sie ran bin.
Nein, ich bin nicht grade in der besten Stimmung, als es an meine Tür hämmert.
Laßt mich alle in Ruhe!“, brülle ich.
Es ist Sascha.
Und er hämmert so lange gegen die Tür, bis ich entnervt aufmache.
Ich weiß schon, was er will.
Mir Vorhaltungen machen, daß ich Martha wieder einmal sehr verletzt habe.
Daß ich ein verdammtes Arschloch bin.
Daß ich vor allem davonlaufe – vor mir, vor Martha, vor dem Leben.
Bis vor kurzem hätte er sogar Recht gehabt.
Wobei – das Arschloch bin ich wohl immer noch.
Aber ich laufe nicht mehr davon.
Nicht vor meinen Gefühlen für Martha.
Du könntest sie haben, diese Hammer-Frau. Einfach so.“
Mit diesen wenigen Worten macht Sascha mir sehr eindringlich klar, was ich eigentlich für ein Glückspilz bin.
Er hat Recht – Martha ist eine wunderbare, einzigartige Frau und es stimmt, ich könnte sie haben, weil sie mich von ganzem Herzen liebt.
Mir wird klar, wieviel Sascha dafür geben würde, an meiner Stelle zu sein, so von Martha geliebt zu werden, wie sie mich liebt …
Sascha hält mich für einen hoffnungslosen Fall und ich bin grad nicht in der Stimmung, ihn aufzuklären.
Aber dankbar bin ich ihm doch für seine Moralpredigt.
Denn mit seinem Hinweis darauf, daß Martha meinetwegen mal wieder völlig fertig ist, hat er mir klar gemacht, daß ich sofort etwas tun muß, daß das, was ich zu sagen habe, nicht bis morgen warten kann ...

*******

Ich bekomme raus, daß Martha im Schneiders ist. Da wird irgendwas gefeiert.
Ganz ehrlich … ich habe Schiß!
Ich will es unbedingt, ich will es von ganzem Herzen.
Aber ich habe Angst, daß sie mir nicht mal zuhört.
Sascha hat Recht, ich habe sie – wieder einmal - sehr enttäuscht, sehr verletzt.
Kann … will sie mir überhaupt noch irgendetwas glauben?
Ich glaube, ich war noch nie in meinem Leben so nervös.
Aber ich war auch noch nie in meinem Leben in dieser Situation.
Noch nie zuvor habe ich für eine Frau das gefühlt, was ich für Martha fühle …

Wie erwartet, wendet sie sich sofort ab, als sie mich sieht.
Martha ...“
Du hast es versprochen.“, sagt sie, mir den Rücken zukehrend. Die Enttäuschung in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.
Hier, lies das bitte.“ Und halte ihr den Zettel hin, auf dem ich in sicher alles andere als perfekter Rhetorik das zusammenzutragen versucht habe, was sie mir wirklich bedeutet.
Warum sollte ich?“, fragt sie kalt und abweisend. Und schickt sich an, zu gehen.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und stelle mich ihr in den Weg.
Wahrscheinlich ist es auch besser, ich sage, was ich fühle, statt daß sie es nur liest. Auch wenn es dieselben Worte sind, auch wenn es dasselbe bedeutet …
Marthas Arbeit ist die Liebe zum Detail. Marthas Arbeit steht dafür, daß kleine Dinge große Auswirkungen haben. Ich … äh, meine Mode hat durch Martha sehr viel gewonnen. Und obwohl sie nur meine Assistentin war, bin ich ziemlich sicher, daß ich das meiste gelernt habe, aber das wollte ich eigentlich gar nicht sagen.“
Das stimmt. Obwohl das alles richtig war, geht es am Kern der Sache vorbei.
Scheiße, ich … Ich liebe dich.“
Es ist raus.
Ich habe es gesagt.
Vermutlich nicht besonders eindrucksvoll und ganz sicher alles andere als romantisch.
Aber dafür offen und ehrlich.
Ich weiß nicht, ob sie sich nach all dem, was zwischen uns war, überhaupt noch auf mich einlassen kann, aber ich fühle mich befreit.
Es ist raus.
Ich kann endlich offen zu meinen Gefühlen stehen.


4369
Sie sieht mich an, sagt gar nichts.
 Ich sehe ihr in die Augen.
Ich liebe dich.“
 Beim zweiten Mal fällt es mir schon leichter, es auszusprechen, stelle ich fest.
Warum jetzt?“
Berechtigte Frage.
Weil ich ein Feigling war, der Angst vor seinen eigenen Gefühlen hatte?
Weil … ich hatte keinen … ich hatte keinen Mut. Aber jetzt habe ich Mut. Ich steh dazu, ich will mich drauf einlassen.“
Ich merke selbst, wie unbeholfen und unsicher ich klinge.
Tut mir leid. Ich kann nicht.“, sagt sie und läßt mich stehen.
Ich habe das Gefühl, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen.
Eben noch fühlte ich mich stark.
Und jetzt so entsetzlich hilflos.
Da stehe ich jetzt mit all diesen intensiven Emotionen, die mich überwältigen und es ist niemand da, der mich an die Hand nimmt und mir hilft, damit klarzukommen.
Ich habe so etwas doch noch nie gefühlt!
Martha!, schreie ich innerlich. „Laß mich nicht allein! Ich brauche dich! Hilf mir, zu lernen, wie man mit solchen Gefühlen umgeht!“
Verzweiflung packt mich. Und ein eiskaltes Gefühl von Trostlosigkeit.

*******

Ich gehe nach Hause.
Versuche, nicht durchzudrehen.
Mir kommt alles so sinnlos vor.
Warum liebt man eigentlich, wenn das alles nur mit Schmerz und Frust verbunden ist?
Ist Liebe wirklich so erstrebenswert?
Zeitgleich mit trüben, destruktiven Gedanken fühle ich aber auch Positives darin, sich nach einem Menschen zu sehnen.
Dieses Gefühl ist nicht nur schmerzhaft, sondern irgendwie auch schön.
Auf schmerzhafte Weise schön.
Ich spüre, daß ich die Gefühle, die ich habe, nicht mehr missen möchte, obwohl sie mir momentan solche Qual bereiten.
Aber bin ich nicht wieder selbst schuld an meiner Qual?
Juri, denke doch mal nach!
Du hast gespürt, daß du mehr für sie empfindest.
Und du hast ihr nichts davon gesagt.
Ja, du hattest Angst, du hattest Panik.
Aber genau das hättest du ihr sagen können.
Statt sie anzulügen, anzubrüllen, ihre Gefühle immer wieder mit Füßen zu treten.
Du hast es geradezu drauf angelegt, es dir mit ihr zu verscherzen.
Hast du dich auch nur einmal, ein einziges Mal wirklich in sie hineinversetzt – hast versucht, ihre Situation zu verstehen?
Nein, du warst viel zu sehr mit dir und deinen Problemchen beschäftigt.
Sascha hat ganz Recht – du bist in Selbstmitleid zerflossen.
Gott, hast du dir leid getan – du bist ja auch der Einzige, der es schwer hat!
Ich denke an unseren Kuß … diesen wundervollen, so unendlich zärtlichen Kuß.
Leugne es nicht … du hast dich noch zuvor so wohl und geborgen gefühlt wie in diesem Augenblick.
Ihre Nähe hat dir soviel vertraute Wärme gegeben.
Und du sehnst dich danach, dieses Gefühl zurückzuholen, wieder und wieder …
Und wie entsetzlich mies hast du sie anschließend behandelt!
Ich schäme mich zutiefst; wie tief bin ich gesunken, eine Frau, die eine Frau, die mich mehr liebt, als ich es verdiene, so zu behandeln?
Ich bin so ein Idiot.“
Resignation befällt mich.
Ich bin mir sicher, es endgültig versaut zu haben.
Meine Entscheidung, endlich zu meinen Gefühlen zu stehen, kommt schlicht zu spät.
In mir keimt der Gedanke, einfach abzuhauen.
Meine Gefühle für Martha zuzulassen, hat mich alle Kraft gekostet.
Nun ist anscheinend keine mehr übrig, um zu kämpfen.
Und so packe ich meinen Kram und buche mir einen Zugplatz nach Berlin.
Besser, ich verschwinde aus ihrem Leben.
Wir könnten eh nicht mehr zusammenarbeiten, es wäre eine Qual für uns beide.

*******

Ich habe gerade meinen Kram bei LCL gepackt, als mir Sascha über den Weg läuft.
Natürlich.
Der Typ hat echt ein beschissenes Timing.
Du feige Sau! Läßt sie erst im Stich und hast nicht mal die Eier, dich bei ihr zu entschuldigen.“
Er weiß nichts von meiner Liebeserklärung.
Glaubst du eigentlich, ich hab's versaut? Okay, ich hab's versaut. Ich hab Martha um eine Chance gebeten. Und sie hat sich entschieden.“
Das stimmt so nicht.
Du hast sie nicht um eine Chance gebeten.
Du hast ihre Gefühle mit Füßen getreten, ihr Vertrauen enttäuscht und sie, ohne dich erstmal für dein Verhalten zu entschuldigen, mit deiner Liebeserklärung überfallen.
Selbst wenn sie sich auf dich hätte einlassen wollen, wäre sie hier schlicht überfordert gewesen.
Und du fühlst dich ungerecht behandelt?
Bist wieder das arme Ich, das sich selbst bemitleidet, nicht?
Manchmal glaube ich, du stehst drauf, frustriert zu sein …
Also gehe ich wieder dahin zurück, wo ich hergekommen bin.“
Ja, hau ruhig ab, dich rückgratloses Weichei vermißt eh keiner!
Und verspielst damit das Beste, was dir je passiert ist.“
Darauf weiß ich keine Antwort.
Dummerweise schlagen genau diese Worte wieder eine Saite in mir an, die die Sehnsucht nach Martha klingen läßt …
Das Beste, das dir je passiert ist …

*******

Ich stehe bereits neben dem Taxi, doch ein wenig unschlüssig, ob ich gehen soll.
Ganz sicher bin ich mir nicht.
Tief in mir drin spüre ich, daß es ein Fehler wäre, der nie wieder gutzumachen ist.
Ich kann mich nicht entschließen, einzusteigen.
Und während ich noch mit mir hadere, höre ich Reifenquietschen.
Ich drehe mich um und … ja, da ist Martha!
Mein Herz schlägt Purzelbäume und Hoffnung keimt in mir auf.
Sie will nicht, daß du gehst!
Sie hat viele Monate um deine Liebe gekämpft.
Warum gibst du so schnell auf?
Ist deine Liebe zu ihr so gering, so schwach, so viel weniger bedingungslos als ihre?
Nein!
Doch sie wendet sich ab.
Entschlossen eile ich ihr nach, halte sie fest.
Du bist da.“, sage ich sanft und sehe sie an.
Und sie?
Sie schreit ihren Schmerz, ihre Enttäuschung darüber, daß ich sie schon wieder allein lassen wollte, hinaus.
Nein, Martha, das wollte ich nicht.
Nicht wirklich.
Mein Herz spricht eine deutliche Sprache.
Ich will bei dir sein.
Ich will mein Leben mit dir teilen.
Und ich will dich nie mehr enttäuschen.
Und während sie mir mit ihren Fäusten gegen die Brust hämmert und all das rausläßt, was sich in ihr angestaut hat, bin ich auf einmal innerlich ganz ruhig.
Und ziehe sie sanft in meine Arme, halte sie fest.
Wahrscheinlich liegt noch ein langer Weg vor uns, bis wir endgültig zueinander finden, aber ich bin bereit …

4370
Ich halte Martha im Arm.
Ich weiß, sie weint.
Auch sie ist durcheinander.
Und weiß nicht mehr, was sie noch glauben soll.
Sanft streichle ich ihr über den Kopf.
Auch wenn es nicht die Umarmung ist, die ich mir erträumt habe, ist es trotzdem ein wunderschönes Gefühl, sie endlich in meinen Armen zu halten.
Ich weiß, daß ich ihr keine Sicherheit geben kann, weil ich mich selber noch so unsicher fühle.
So verwirrt und emotional überlastet, wie wir beide sind, sind wir wohl auch keine große Stütze füreinander.
Aber ich will alles, wirklich Alles tun, damit wir zusammenkommen.
Ich weiß, ich brauche viel zu lange für sowas. Aber Gefühle sind nicht mein Ding. Und dann sage ich es einmal und … du willst mich nicht.“
Ich weiß, daß ich was Falsches gesagt habe, noch bevor ich es ganz ausgesprochen habe.
Ich bin noch unbeholfener, über meine Gefühle zu sprechen, als sie zu haben.
Empört macht sie sich aus meiner Umarmung frei.
Mir ist bewußt, daß ich ihr ungewollt die Schuld zugeschoben und mich als das arme Opfer hingestellt habe.
Sie verteidigt sich glühend.
Nur weil sie mir nicht gleich um den Hals gefallen wäre vor lauter Glück, hätte ich einfach abhauen wollen? So schnell würde ich also aufgeben?
Mir wird klar, wie gering und minderwertig sie meine Liebe empfinden muß, wenn ich bereit bin, gleich alles hinzuschmeißen und nicht mal den Versuch mache, um sie zu kämpfen.
Juri, du hast sie schon wieder verletzt. Du wirst noch einen traurigen Rekord aufstellen, wenn du so weiter machst.
Und was du heute Mittag gesagt hast, das meinst du wohl auch nicht ernst, was?“
Ich reagiere ungewollt hart, weil mich ihre Worte sehr treffen.
Ich packe ihren Arm, ziehe sie zu mir heran und sage ebenso ernst wie eindringlich: „Jedes ... einzelne …Wort. ... Martha … wie soll ich das erklären? Der Gedanke … daß … daß du … daß überhaupt 'ne Frau mir jemals … nah sein könnte … die kenn ich nicht.“
Verdammt, ist das schwer, in Worte zu fassen, was in mir vorgeht.
Das ist alles vollkommen neu für mich … wie soll ich mich erklären, wenn ich mich doch so unsicher fühle?
Ich bin nur in einem sicher … daß ich Martha liebe.
Es ist auch egal … ich will mit dir zusammen sein. Bitte sag mir einfach, was ich tun soll, damit du mir vertraust.“
Sie fragt mich, ob ich wüßte, was ich grad von ihr verlangen würde.
Wie sie meinen Gefühlen vertrauen sollte, wenn ich es selbst nicht könnte.
Sie wendet sich von mir ab.
Ich lass' meine Gefühle grade zu.“, rufe ich und hoffe, sie begreift, was das für mich bedeutet, wo ich mehr als zwanzig Jahre solche Gefühle verleugnet habe.
Ob ich meine Gefühle in einer Woche, einem Monat, einem Jahr immer noch zulassen könne?
Ich packe sie sanft, aber bestimmt an den Schultern, sehe ihr direkt in die Augen und sage ganz offen und ehrlich: „Ja!“
Sie sieht mich an und ich erkenne den Widerstreit der Gefühle in ihren Augen.
Sie schluckt hart, als sie meint „Ich kann nicht.“
Ich spüre deutlich, daß es ihr sehr schwer fällt, mich erneut abzuweisen.
Aber sie kann wirklich nicht, das ist nicht zu übersehen.
Sie läßt mich in einem Gefühlschaos stehen.
Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Aber eines weiß ich – aufgeben und weglaufen ist nicht mehr.
Nie wieder.
Ich werde es dir beweisen.“, sage ich, während ich ihr nachblicke.

*******

Ich will so schnell wie möglich zu LCL.
Meine Kündigung zerreißen, bevor sie jemand findet.
Am Empfang ist niemand, das paßt mir gut.
Nervös durchwühle ich alles.
Hast du was vergessen?“
Natürlich. Sascha, die alte Filzlaus.
Was geht dich das an?“, frage ich gereizt.
Er bietet mir seine Hilfe an.
Ich mache nur verächtlich „Pfft.“Ich kann mir nicht vorstellen, wie er mir bei meinem Problem mit Martha helfen sollte.
Suchst du deine Kündigung?“
Aber clever ist das Kerlchen. So einfach macht man dem nichts vor.
Er erklärt mir, daß der Boß die Post heute schon früher geholt habe und winkt mit dem Kopf nach oben, hoch zum Büro von Ansgar von Lahnstein.
Na, großartig.
Das beziehungsweise der hat mir grade noch gefehlt.
Hast du dir's anders überlegt? … Martha? … Ich hoffe, daß du jetzt wenigstens 'nen Plan hast, was du machst.“, meint Sascha.
Oh ja, den habe ich!
Ich will sie! Und ich werde es ihr beweisen!“
Entschlossen stürme ich die Treppe hoch.

*******

Das Gespräch mit dem Kotzbrocken von Grafen kostet mich echt Nerven.
Dieses Arschloch denkt, ich hätte gekündigt, weil ich von der Konkurrenz ein besseres Angebot hätte. Und jetzt sei der Deal geplatzt und ich würde wieder angekrochen kommen.
Ich habe keinen Bock, dem Wichser zu erzählen, um was es mir geht.
Blöd ist er nicht; er merkt mir meinen inneren Aufruhr an und daß ich viel zu emotional reagiere, als daß es um was Geschäftliches gehen könnte.
Warum ich nicht gleich gesagt hätte, daß es um 'ne Frau geht?
Und er zerreißt meine Kündigung.
Das ist alles, was ich wollte; was er über mich denkt, ist mir so scheißegal.

*******

Ich will mir Hilfe holen.
Mir ist klargeworden, daß ich viel zu unerfahren in solchen Dingen bin, um diese sensible Angelegenheit so zu handeln, daß ich Martha nicht wieder ungewollt verletze.
Mir fällt Marthas Cousine Dana ein … ich meine, Martha hat sich bei ihr oft meinetwegen ausgeheult.
Sie kennt Martha gut, sie wird mir sagen können, was ich machen, wie ich mich verhalten soll.
Zwar fest entschlossen, aber trotzdem unsicher stehe ich vor ihrer Tür.
Ich habe extra nur geklopft, weil es spät ist und ich weiß, daß es da ein Baby gibt.
Aber ich war wohl in meiner Verzweiflung, endlich zu erfahren, was ich tun soll, übereifrig.
Verlegen stelle ich mich vor, aber sie weiß, wer ich bin.
Ich gratuliere ihr zur Hochzeit und komme mir total blöd dabei vor.
Weil mich im Moment doch nur eines interessiert.
Martha.
Ziemlich unfreundlich macht sie mir klar, daß Martha nicht da sei und daß sie aber ohnehin ganz sicher nicht mit mir sprechen wolle. Und schickt sich an, die Tür zuzumachen.
Ich will zu dir.“
Damit habe ich sie wohl verblüfft, denn die schon halb geschlossene Tür öffnet sich wieder.
Stör ich?“
Ich komme mir ziemlich unverschämt vor, aber sie ist wirklich die Einzige, die mir als mögliche Hilfe eingefallen ist.
Ja … was mach ich jetzt hier?“
Kann das sein, daß du das öfter nicht weißt? So und jetzt raus oder rein, es zieht!“
In meiner Verlegenheit bin ich leichte Beute für ihre Angriffslust.
Und dann kommt ein Donnerwetter, mit dem ich nicht gerechnet, das ich aber verdient habe.
Vor mir steht eine temperamentvolle Frau, die auf Marthas Seite steht und sie bis auf's Blut verteidigen würde.
Das arrogante, wehleidige, egozentrische und egoistische Arschloch ertrage ich ergeben.
Und du hast meine Cousine überhaupt nicht verdient!“
Auch wenn mir das jetzt so gar nicht weiterhilft, kann ich nicht anders, als ihr meine Anerkennung darüber auszusprechen, daß sie mir so offen die Meinung geigt.

*******

Wider Erwarten ist sie dann doch bereit, mir zuzuhören.
Ich weiß, ich hab viel wiedergutzumachen.“
Oh ja, Juri, das hast du! Dafür wirst du ein Leben lang brauchen!
Aber ich täte es gerne, wenn ich nur die Gelegenheit dazu bekäme.
Es fällt mir schwer, mit Dana über meine Gefühle für Martha zu sprechen.
Ich bin das einfach nicht gewohnt.
Und einem Menschen gegenüber, den ich nicht kenne und der mir nicht gerade wohlgesonnen ist, fällt es mir noch schwerer.
Aber ich muß es tun.
Wenn ich Dana nicht von der Ernsthaftigkeit meiner Gefühle überzeuge, wie soll ich sie dann dazu bringen, daß sie mir hilft?
Was soll ich machen?“
Du hast ganz schön viel kaputtgemacht.“, sagt sie kühl.
Ja, ich weiß.
Ich reagiere ungeduldig, weil ich Angst habe, daß sie mir überhaupt nicht helfen will.
Kannst du bitte auf meine Frage antworten?“
Ich merke, wie unhöflich das klingt, aber für mich geht es hier um mein Leben, meine Zukunft und darum, ob ich mit Martha glücklich sein werde oder frustriert vereinsame.
Mit anderen Worten – es geht um alles.
Sie macht mir klar, daß ich sehr viel Geduld brauchen werde.
Und 'nen guten Zahnarzt, falls du doch wieder einen Rückzieher machen solltest.“
Ich begreife, daß ich mich mit dieser Frau besser nicht anlegen sollte.
Und erst jetzt merke ich, daß ich mich die ganze Zeit an der Weinflasche festgehalten habe, die als Entschuldigung für die Störung zu dieser späten Stunde dienen sollte.
Ich fürchte, ich bin doch ein wenig durch den Wind ...

*******

Ungeduldig warte ich darauf, daß Martha bei LCL auftaucht.
Ich stehe sicher schon eine ganze Stunde nervös hinter meinem Arbeitstisch und blicke alle paar Sekunden zur Tür.
Und dann kommt sie endlich.
Sie scheint erstaunt, mich zu sehen. Aber sie macht auch gleichzeitig den Eindruck, als hätte sie es erhofft.
Ich spüre, sie würde so gerne sehen, daß ich es ernst meine.
Und mir wird noch deutlicher als zuvor, wie wichtig es ist, sie diesmal nicht zu enttäuschen.
Denn dies ist wirklich meine letzte Chance, das spüre ich genau.
Ich hab mich schlecht verhalten, ich weiß. Und viel zu lange. Aber das ändert sich jetzt. Ich bleibe jetzt hier. Bei dir. Das verspreche ich.“
Ihr Anblick wühlt alle meine Emotionen auf, es ist mir beinahe unmöglich, ruhig und gelassen zu bleiben.
Ich wünsche mir so sehr, sie in meine Arme zu nehmen, sie zärtlich zu küssen.
Daß ich vor lauter Sehnsucht nach ihr viel zu viel Druck mache, bekomme ich sofort zu spüren.
Sie wirft mir vor, daß ich sie erst wochenlang zurückstoße und jetzt würde ich Vollgas geben. Das ginge gar nicht.
Sie klingt überfordert.
Was soll ich denn machen?“, frage ich hilflos, „Ich habe Angst, daß du mir einfach wieder wegläufst, verstehst du das nicht?“
Wer läuft denn hier immer weg … sie oder du?
Ja. Dann weißt du, wie ich mich wochenlang gefühlt habe.“
Ja, Juri, das mußt du dir wohl gefallen lassen.
Sie spricht auch die unangenehmen „Überraschungen“ an, mein wankelmütiges Verhalten … sie heute zu küssen und morgen fortzujagen.
Ich nehme sie sanft bei den Armen.
Keine Überraschungen mehr. … Du kennst mich doch.“
Was soll der Spruch denn, Juri?
Du kennst dich ja nicht mal selber.
Und sie weiß erst recht nicht, was sie von dir halten soll.
Sie meint, sie hätte zu tun und wendet sich ab.
Ich gerate in Panik, habe das Gefühl, daß mir alle Felle davonschwimmen.
Ich stammele und stottere und merke selbst, wie unsicher und wenig überzeugend ich klinge.
Außerdem … es ist doch alles ganz einfach – ich kann ohne dich nicht … weder arbeiten noch leben. Und … und … ich will dich und du willst mich.“
Juri ... ich brauche Raum. Bedräng mich bitte nicht.“
Und sie macht die Tür hinter sich zu.
Ich sehe sie durch die Milchglasscheibe; sie steht mit dem Rücken zur Tür.
Und ich fühle die Sehnsucht in mir stärker als je zuvor.
Das Glas der Scheibe ist kalt.
Ja, Juri, es ist doch alles ganz einfach …
Du bist so ein Idiot.
Obwohl Dana dich um Geduld ermahnt hat, hast du nur daran gedacht, dich ihr zu beweisen und hast viel zu viel Druck gemacht.
Du hast wieder mal überhaupt keine Rücksicht auf ihre Gefühle genommen.
Vielleicht denkst du zur Abwechslung mal weniger an dein Herzeleid und mehr an ihr Wohlergehen.

*******

Doch dann habe ich plötzlich eine Idee.
Ziemlich sicher, einen überzeugenden Beweis meiner Ernsthaftigkeit in der Hand zu halten, stehe ich erwartungsvoll vor Martha.
Was ist das?“, will sie wissen.
Es ist ein Ticket, ein Hinflug nach Berlin. Keine Rückreise.
Martha deutet das völlig falsch, aber das wußte ich vorher.
Sie meint, ich wolle sie schon wieder loswerden.
Oh nein, meine Süße!
Das Ticket ist für mich.“, sage ich.
Für dich?“ Sie ist verwirrt.
Wenn ich dir zu sehr auf die Nerven gehe, schickst du mich nach Berlin. … Du hast mich in der Hand, Babe.“
So ganz kann ich mir das Grinsen nicht verkneifen, als ich ihr vielsagend in die Augen schaue und sie dann in Ruhe lasse.
Ich bin sicher, sie hat jetzt eine Menge Stoff zum Nachdenken.

*******

Ich brauche ein wenig frische Luft und trinke meinen Kaffee draußen, als mir mal wieder Sascha über den Weg läuft.
Er hält die Nummer mit dem Ticket für 'ne coole Sache.
Ich würde gerne wissen, was Martha über mich gesagt hat.
Er meint, sie wäre beeindruckt gewesen.
Ja?“
Er spürt wohl die erwartungsvolle Freude in meiner Stimme.
Ich hab gesagt 'beeindruckt', nicht 'begeistert'.“
Bleib dran. Es lohnt sich.“
Sascha ist ein feiner, anständiger Kerl.
Er weiß, Martha liebt mich, will mich und nicht ihn.
Und obwohl er echte Gefühle für sie hat, legt er mir keine Steine in den Weg, im Gegenteil.
Er stellt ihr Glück über sein eigenes.
Er hat sie viel mehr verdient als ich.
Aber ich werde alles dafür tun, daß ich sie und ihre Liebe ebenfalls verdiene.

4372
Ach, es ist alles nicht so einfach …
Ich komme nach oben, Martha ist da.
Ich werfe meine Jacke zur Seite und dabei segeln etliche von Marthas Sachen zu Boden.
Ich will ihr helfen, doch sie weist mich kühl ab.
Aber ich lasse mich nicht beirren und schon gar nicht entmutigen.
Ich denke an Saschas Worte: Bleib dran. Es lohnt sich.
Nee, meine liebe Martha, so leicht wirst du mich nicht los.
Auch nicht damit, daß du das Berlin-Ticket zur Sicherheit immer bei dir trägst.
Sie spricht von 'Optionen offenhalten', aber mir ist klar, daß sie eben einfach nur wissen will, wie ernst es mir mit ihr ist.
Sehr ernst, Süße. Und eines Tages wirst du das erkennen.

Diese Alexa oder wie sie heißt, stört uns.
Die mit den verdammten Pelzen.
Sie will zu Martha.
Ich trete beiseite, aber natürlich lausche ich.
Es geht schließlich um Martha.
Dieses Gör reißt hier ganz schön die Klappe auf, das habe ich schon mitbekommen.
Nun verlangt sie von Martha neue Entwürfe. Bis morgen.
Als sie weg ist, will ich Martha Mut zusprechen.
Aber sie weist mein „Du schaffst das.“ mit einem „Das weiß ich.“ kühl zurück und die Nuß, die ich ihr anbiete, ignoriert sie auch.
Sie läßt mich zappeln.
Ich nehme es ihr nicht übel. Nach all dem, was war, wie ich sie behandelt habe, will sie einfach Sicherheit.
Und hey – sie hat mit mir viel mehr auszuhalten gehabt.

*******

Martha hat eine kreative Blockade.
Ich erkenne das sofort; die Anzeichen sind mir vertraut.
Mal schauen, ob sie sich von mir helfen läßt.
Zuallererst streitet sie schon mal ab, eine Blockade zu haben.
Und dann meint sie unmißverständlich, daß sie überhaupt am besten alleine arbeiten könne.
Ganz alleine.
Ich hab schon verstanden, Martha.
Aber bevor ich gehe, lege ich heimlich mein Telefon auf ihren Tisch.
So habe ich später einen Vorwand, um nochmal zu ihr zu gehen und zu sehen, wie sie vorankommt.
Ich wünsche mir so sehr, daß sie es diesem verzogenen Gör mit ihren Pelzen zeigt!

Kaum bin ich draußen, klingelt mein LCL-Handy.
Es ist Marlene, eine von Marthas Cousinen, die Vertretung am Empfang macht.
Und die mir gerade sagt, daß ich Tanja meine Kollektion morgen auf dem Weg zum Flughafen im Auto präsentieren soll.
Die haben hier echt 'nen Knall!
Warum können wir uns nicht 'ne Stunde früher hier treffen und das alles bequatschen?
Während ich mich von dem Theater genervt fühle, bemerke ich, daß Martha mich beobachtet.
Ich wußte es!
Ich schwirre genauso in ihrem Kopf herum wie sie in meinem.
Martha, du kannst mir nicht lange widerstehen.
Dazu liebst du mich zu sehr.

*******

Es ist schon spät, aber ich weiß, Martha sitzt immer noch an ihren Entwürfen.
Und so zieht es mich nicht nach Hause.
Sie ist immer noch blockiert. Und ich will ihr helfen.
Also starte ich einen neuen Versuch.
Sage ihr, daß das beste Mittel gegen Blockaden ist, einfach mal richtig auszurasten. Und danach noch mal von vorn anzufangen.
Sie ist nicht begeistert.
Weder von meinem Vorschlag noch davon, daß ich schon wieder bei ihr rumschleiche.
Was ich hier noch machen würde, fragt sie und mir ist klar, daß ich unerwünscht bin.
Hier kommt mein vergessenes Handy ins Spiel.
Sie läßt sich nicht anmerken, ob sie mir das abkauft.
Sie wünscht mir einen schönen Feierabend. Deutlicher geht es kaum.
Aber ich lasse mich nicht abwimmeln. Ich will ihr helfen.
Weißt du noch, wie du mir damals geholfen hast, wenn ich 'ne Blockade hatte?“
Mit meinen tollpatschigen Aktionen?“
Genau. Jetzt bin ich hier, um dir zu helfen.“
Okay. Fang an.“
Das ist ein echter Fortschritt.
Und sei es nur, weil sie hofft, daß sie mich anschließend endlich los ist – sie nimmt meine Hilfe an.
Statt das Berlin-Ticket aus der Tasche zu ziehen.
Ich rate ihr, alles rauszuschreien, was sie frustriert, was sie wütend macht. Ich zum Beispiel.
Sowas hilft wirklich; die Methode ist erprobt.
Doch sie lehnt wenig begeistert ab, sie sei nicht so der Schreihals.
Ob ich noch 'nen anderen Tipp für sie hätte?
Innerlich strahle ich wie ein Sack Glühwürmchen darüber, daß sie mich immer noch nicht rausgeworfen hat.
Als sie hört, daß dieser andere Tipp ihr Muskelkater bescheren wird, ist sie ebenso begeistert wie von der Urschrei-Therapie.
Aber weil ich weiß, daß auch das hilft, bin ich ganz mutig: „Komm.“
Und reiche ihr meine Hand, die sie nach einigem Zögern ergreift.
Sie ist nicht aus Stein, im Gegenteil.
Nur weil ihr Herz so verwundbar ist, ist sie so zu mir.
Sie ist nicht ruppig und abweisend zu mir, weil sie Spaß dran hat, mir vor den Kopf zu stoßen.
Sie will einfach nur sicher sein, daß ich sie nicht wieder verletze.

*******

Ich schiebe meinen Tisch beiseite, damit wir Platz haben.
Sie wirkt skeptisch und während ich die Musik einschalte, die wir brauchen werden, sehe ich ihr absichtlich provokant in die Augen, um sie aufzustacheln, aus sich herauszugehen.
Und dann rocken wir ab, lassen richtig die Sau raus.
Sie lacht, sie strahlt; das tut ihr gut, es hilft. Sie läßt locker.
Gut, daß uns keiner sieht. Es wär aber auch egal. Was schert uns die Meinung anderer?
Ich bin einfach nur glücklich, daß Martha sich von mir helfen läßt.
Daß der Abstand zwischen uns sich verringert.

*******

Ich habe keine Ahnung, wie wir auf dem Boden gelandet sind.
Vielleicht sind wir über unsere eigenen Füße gestolpert.
Ich weiß nur, daß ich auf dem Rücken liege und sie auf mir.
Ich würde sie gerne an mich ziehen, aber das wäre ein großer Fehler.
Meine Hand nähert sich bereits ihrem Kopf, um ihn zu mir runterzuziehen und sie zärtlich zu küssen.
Aber mein Verstand arbeitet noch und so halte ich mich zurück.
Und das ist gut so, denn die Nähe, die gerade zwischen uns ist, ist zuviel für sie.
Sie zieht sich von mir zurück und ich lasse sie.
Ein wenig frustriert bin ich ja, das gebe ich zu.
Nicht, weil sie meiner Nähe entkommen wollte.
Nein, weil ich weiß, daß ihre Blockade wieder da ist. Ich sehe es ihr an.
Ich hoffe, sie erinnert sich an das Schreien. Und versucht es mal damit.

*******

Seufzend finde ich mich am nächsten Tag am Empfang ein.
Ich würde lieber in Erfahrung bringen, ob Martha ihre Blockade erfolgreich überwunden und es dieser Pelzschnepfe gezeigt hat, statt an dieser dämlichen Besprechung teilzunehmen.
Wir quatschen auf dem Weg zum Flughafen, obwohl drei von uns da gar nicht hin müssen … nur weil unsere Eiskönigin in Las Vegas heiraten will – wie schwachsinnig ist das denn?
Aber solange es Irre gibt, die solchen Schwachsinn bezahlen ...

*******

Tanja fürchtet um ihren Profit. Sie will Einsparungen vornehmen. Und wir sollen ihr sagen, wo. Ich weigere mich, sowas zu akzeptieren. Manche Dinge haben eben ihren Preis.
Ich höre dem Streitgespräch zwischen Tanja und Viktoria, unserer Personalchefin zwar zu, bin mit meinen Gedanken aber längst wieder bei Martha.
Und so bekomme ich zwar Kims entsetzen Aufschrei mit, habe aber keine Ahnung, weswegen sie solche Panik hat.
Dann gibt es einen fürchterlichen Krach. Glas splittert, Blech kreischt. Wir werden mit brutaler Gewalt nach vorne geworfen.
Es dauert einen Augenblick, bis ich begreife, daß wir einen Unfall hatten.
Einen ziemlich schweren, fürchte ich.
Ich reagiere instinktiv und ganz mechanisch.
Erst mal alle raus aus dem Wagen.
Kim ist schon draußen.
Ich frage sie, ob alles okay ist. Sie bejaht, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht unter Schock steht.
Dann helfe ich Tanja, führe sie beiseite, lasse sie sich hinsetzen.
Und sehe mir ihre Kopfverletzung an.
Ich höre Kim, die bei ihrer Mutter kauert und immer verzweifelter klingt.
Wir brauchen einen Arzt!“
Viktoria rührt sich nicht, das macht mir große Sorgen.
Und ja, ich sollte jetzt den Notarzt rufen, wir brauchen alle Hilfe.

4373
Ich rufe die Notruf-Leitstelle an, schildere, was passiert ist.
Man fragt mich nach der Zahl der Unfallbeteiligten, wieviele Leute verletzt sind.
Tanja macht einen vernünftigen Eindruck, aber das kann täuschen. Leute unter Schock erscheinen oft völlig normal.
Kim hockt bei ihrer Mutter. Obwohl diese ansprechbar zu sein scheint, ist sie wohl schwer verletzt.
Kim, halt sie wach, okay? Laß sie nicht einschlafen!“, rufe ich ihr zu.
Es ist wichtig, daß sie bei Bewußtsein bleibt.
Ich bin froh, daß ich so gefaßt reagieren kann, der Chauffeur steht definitiv unter Schock und ist zu nichts zu gebrauchen.
Aber auch mir zittern die Beine und ich muß mich anstrengen, nicht umzukippen. Auch mir sitzt der Schreck noch im Nacken.
Hoffentlich ist der Notarztwagen bald da.
Kim redet auf ihre Mutter ein, sie weint; ich spüre ihre Angst und Verzweiflung.
Ich beobachte die beiden mit großer Sorge.
Dann höre ich die Sirene des Notarztes – ein schrecklicher und doch in diesem Moment trostspendender Klang. Es kommt Hilfe.
Doch für Kims Mutter kommt sie zu spät.
Das Tuch, das man über sie breitet, spricht für sich.
Aber ich spüre es auch an Kim.
Sie hat sie sterben sehen.
Sie hat sie sterben sehen …
Tanja fragt, ob Viktoria tot sei.
Ich glaube schon.“, antworte ich und bringe sie dazu, sich wieder hinzusetzen.
Die Polizei ist auch da und analysiert den Unfallhergang,
In all der herrschenden Verwirrung bemerke ich, wie Kim sich von der Unfallstelle entfernt.
Sie läuft einfach weg.
Weg von dem Anblick des weißen Tuchs über dem leblosen Körper …
Ich will ihr nach, doch der Polizist hält mich auf.
Aber das Mädchen läuft weg.“
Man kann sie doch nicht einfach so laufen lassen, in dem Zustand, denke ich.
Der Polizist und ein Sanitäter brauchen nicht viel Nachdruck, um mich davon abzuhalten, Kim nachzulaufen.
Meine Beine geben nach, ich hab wohl auch was abbekommen.
Widerwillig, aber kraftlos lasse ich mich zurückführen.

*******

Dann sind wir im Krankenhaus.
Ich frage an der Anmeldung nach Kim, habe die Hoffnung, daß sie so vernünftig war, hierher zu kommen.
Oder daß irgend jemand sie aufgegabelt und hergebracht hat.
Man darf sie jetzt nicht sich selbst überlassen.
Ich weiß, was in ihr vorgeht.
Sie hat ihr nicht helfen können.
Sie war dabei und hat nicht helfen können.
Erinnerungen an Angst und Verzweiflung, an Hilflosigkeit ...
Ich frage auch einen Arzt nach Kim, erkläre, daß das Mädchen einfach weggelaufen ist.
Doch der muß sich um Tanja kümmern und hat keine Zeit.
Ich laufe ihm hinterher, weil ich in großer Sorge um Kim bin.
Aber er läßt mich aus Tanjas Zimmer bugsieren.
Ich frage eine Schwester, aber die kann mir auch nichts sagen.
Scheiße! Mädchen, wo bist du? Wo bist du?“
Warum begreift hier keiner, in welcher Not Kim ist und daß man ihr helfen muß?

*******

Als ich aus der Notaufnahme komme, sehe ich an der Anmeldung eine vertraute Gestalt.
Martha!
Wir sehen uns an und ich erkenne die Sorge in ihren Augen.
Im nächsten Augenblick fällt sie mir um den Hals und ich ziehe sie dicht an mich.
Sie schluchzt an meinem Hals, gesteht mir ihre Befürchtungen, die die Nachricht von dem Unfall in ihr auslöste.
Ich hatte solche Angst.“
Sie hatte Angst um mich.
Natürlich hatte sie das. Sie liebt mich. Auch wenn sie sich nicht auf mich einlassen kann. Aber das spielt keine Rolle. Sie liebt mich.
Ich halte sie in meinen Armen, streichle ihr beruhigend über den Kopf.
Sie drückt sich an mich, hält sich an mir fest.
Ein Teil von mir ist überglücklich.
Sie hatte Angst um dich. Sie liebt dich so.
Der andere Teil kann die Umarmung nicht genießen.
So wollte ich sie nicht in meinen Armen halten.
Nicht so erschüttert.
Und dann muß ich ihr sagen, daß ihre Tante tot ist.
Nein, ich müßte nicht. Jemand anders könnte es tun.
Das Unangenehme übernehmen.
Doch ich will nie mehr weglaufen.
Vor nichts.
Sie wird mich brauchen.
Und ich will für sie da sein.
Hier und jetzt.
Ich nehme ihr Gesicht in meine Hände, streichle zärtlich-tröstend ihre Wangen.
Und sage es ihr.

*******

Martha und ich sitzen auf einer Bank.
Unter Tränen fragt sie mich, wie es passiert ist.
Und ich erzähle, woran ich mich entsinne.
Dann hat Kim ihre Mutter sterben sehen?“
Sie weint heftiger, weil sie sich in Kim einfühlt.
Das ist Martha.
Für ihr großes Herz, für ihre Empathie, ihr Mitgefühl mit anderen liebe ich sie.
Und für soviel mehr.
Ich lege ihr meinen Arm um die Schultern und ziehe sie sanft an mich.
Sie läßt es geschehen, sinkt kraftlos und entsetzlich traurig an meine Brust.
Und wieder kann ich keine Freude über ihre Nähe empfinden.
Aber ich bin da. Ich bin bei ihr. Sie ist nicht alleine.
Aber Kim.
Ich erzähle Martha, daß Kim weggelaufen ist. Und meine, daß wir sie suchen sollten.
Ich versuche, ihr zu verstehen zu geben, in welcher Lage Kim ist.
Und hoffe, sie hat nicht den Eindruck, daß Kim mir wichtiger ist als sie.
Es ist doch nur, weil … diese Erinnerungen … Angst und Verzweiflung. Hilflosigkeit.
Ich weiß nicht, ob Martha nur aus Vernunft zustimmt, Kim zu suchen, oder ob sie spürt, was in mir vorgeht.
Aber sie geht mit mir. Ich greife nach ihrer Hand, ich will sie festhalten. Und sie läßt es geschehen.
Martha vermutet, daß Kim bei Emilio ist.

*******

Zu meiner großen Erleichterung finden wir Kim wirklich bei Emilio.
Kim stürzt sich gleich in Marthas Arme.
Ich konnte nichts mehr tun! Ich konnte wirklich nichts mehr tun!“, schluchzt sie.
Die Schuldgefühle … die Vorwürfe über das eigene Versagen …
Im Bruchteil einer Sekunde mache ich eine Zeitreise mehr als zwanzig Jahre zurück und sitze wieder im Schrank.
Kim will zu Fuß nach Hause. Es ist klar, die ruhige Bewegung soll auch sie ein wenig beruhigen.
Ich rate Martha, mit Kim mitzugehen. Sie kann ihr helfen. Martha mit ihrem großen Herzen kann wunderbar Trost und Wärme spenden.
Sie braucht dich.“, sage ich.
Sie sieht mich an. „Und wenn du mich brauchst ...“
Das Ende des Satzes bleibt offen. Aber sie muß ihn auch nicht vollenden.
Allein ihre Bereitschaft, für mich da zu sein, schenkt mir ein wunderbares Gefühl von Wärme.
Es gibt mir Kraft und Zuversicht.
Ich bin dem Schicksal so dankbar für ihre Liebe, die ich nicht verdiene.
Oder doch? ...

*******

Allein mit meinen Gedanken muß ich wieder an Kim denken.
Und an ihren verzweifelten Ausbruch, daß sie nichts tun konnte.
Aber Kim, das konntest du doch wirklich nicht!
Du hättest ihr Leben nicht retten können!
Du hast keine Schuld!
Und du darfst dir diese Schuld nicht geben!
Du wirst sie ein Leben lang nicht mehr los …
Der Gedanke, daß dieses Mädchen sich den Rest ihres noch so jungen Lebens mit Schuldgefühlen quälen könnte, ist schrecklich für mich.
Ich vergegenwärtige mir mein eigenes Leben und weiß, daß ich das nicht zulassen darf.
Sie soll nicht so werden wie ich.
Ein kaputter Typ, von Schuldgefühlen zerfressen, unfähig, Nähe zu ertragen.
Und so einsam.
Ich muß etwas tun, ich darf nicht zulassen, daß aus ihr so ein emotionaler Krüppel wird wie ich.
Ich suche in meinem Koffer nach … ah, da ist sie! Eine zerknitterte Karte mit einer Madonna. Ich habe sie von meiner Mutter.
Sie spricht von Schuld und Vergebung.
Vergebung …
Für Kim gibt es noch Rettung.
Ich will zu ihr und ihr diese Karte geben.
Auch wenn ich nicht gottesfürchtig bin, haben mir die tröstenden Worte immer geholfen, wenn es zu schlimm wurde.
Mich davor bewahrt, mich aus Verzweiflung in den Freitod zu stürzen.
Mein Blick fällt auf die Fotos von Vater und Mutter.
Du hast ebensowenig Schuld wie das Mädchen!, meine ich Mutters sanfte Stimme zu hören.
Die Karte spricht von Vergebung.
Vielleicht ist es an der Zeit, mir selbst zu vergeben.
Mir nicht länger die Schuld an etwas zu geben, was ich nicht hätte ändern können.
Vielleicht ist es Zeit, ein Stück weit meinen Frieden mit mir selbst zu machen.
Ein Stück weit … für den Rest des Weges habe ich Martha. Sie wird mir helfen, ihn mit mir gemeinsam gehen, das weiß ich ...

*******

Dann stehe ich vor der Tür der Familie Wolf.
Martha öffnet.
Ich frage gleich nach Kim, die Sache ist so wichtig für mich.
Aber sie ist nicht da.
Ist was?`“, fragt Martha und mir schießt durch den Kopf, daß sie vielleicht gedacht hat, ich will zu ihr und nun ist sie enttäuscht, daß ich schon wieder nach Kim frage.
Aber es ist so wichtig.
Ich bitte Martha, Kim die Karte zu geben, wenn sie wiederkommt.
Martha betrachtet die Karte und fragt, ob sie sie lesen darf.
Auch wenn es mir schwer fällt, fühle ich den Wunsch, mich zu erklären.
Sie weiß eh um meine Vergangenheit. Und auch um meine Schuldgefühle.
Daß Emilio mithört, ist mir egal.
Es geht um Kim. Um ihr Leben, um ihre Zukunft.
Und so breite ich mein Inneres vor den beiden aus.
Versuche, klarzumachen, wie wichtig es ist, daß Kim versteht, daß sie keine Schuld hat.
Damit es ihr nicht so geht wie mir.
Es macht einen kaputt.“
Einzugestehen, was diese schreckliche Erfahrung aus mir gemacht hat, ist ein Riesenschritt für mich.
Zuzugeben, daß ich ein zerbrechlicher Mensch bin.

*******

Man muß versuchen, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind. Man darf sich nicht dagegen wehren. Und man darf sich nicht die Schuld daran geben, daß etwas passiert.“
Ich spreche nicht nur zu Martha und Emilio, ich spreche zu mir selbst.
Und ich spreche nicht nur über Kim, auch über mich.
Ich weiß nicht, ob den Beiden das bewußt ist. Emilio sicher nicht. Aber Martha könnte es ahnen.
Sonst geht man daran kaputt.“
So wie du.“, meint Martha traurig.
Ja, sie weiß es.
Und ich denke … man … muß sich irgendwann verzeihen können. Wenn man das nicht macht, … dann wiederholt sich das alles immer und immer wieder. Wie ein Kreisel … ein Kreisel aus Angst. Und aus Alpträumen.“
Emilio bedauert, daß Kim nicht hier ist und meine Worte hört. Er scheint zu begreifen, daß es wichtig ist und ihr helfen kann.
Martha verspricht mir fest, Kim die Karte zu geben. Ich weiß, sie wird Kim meine Worte nahelegen.
Ich wende mich zum Gehen.
Ich muß jetzt allein sein.
Allein ja, aber nicht mehr einsam.
Ich habe den Schrank verlassen.
Die Tür aufgestoßen.
Zurück ins Leben.
Danke, Martha.“, sage ich und drücke ihre Hand.
Denn ein gutes Stück weit verdanke ich es ihr.
Ich hoffe, sie versteht, daß dies kein erneuter Rückzug von mir ist.
Ich wende mich noch einmal an Emilio. „Paß gut auf deine Frau auf. Du bist der Einzige, den sie hat.“
Martha kommt mir nach zur Tür.
Ich spüre, daß sie mich gerne zurückhalten, daß sie gerne für mich da sein würde.
Martha, das ist keine Flucht.
Ich brauche nur etwas Ruhe und Zeit für mich, um mit mir ins Reine zu kommen.
Schuldgefühle und Selbstvorwürfe endgültig hinter mir zu lassen.
Die Schranktür hinter mir zu schließen ...
Für immer.

4376
Ich bin bei der Arbeit, als Martha zu mir kommt.
Eine Weile sieht sie mir einfach nur zu.
Ich bin leicht nervös, weil ich nicht weiß, was sie von mir erwartet.
Ich will nichts Falsches sagen, nichts Falsches tun.
Ich hätte nie gedacht, daß ich in Gegenwart einer Frau mal so unsicher sein würde.
Aber ich habe ja auch noch nie zuvor gefühlt, was ich für sie fühle.
Ich hab Angst vor morgen.“, sagt sie.
Morgen? Ach so … die Beerdigung ihrer Tante.
Ich sehe Martha kurz an.
Sie sieht so traurig aus.
Aber sie läßt den Schmerz zu, sie rennt nicht vor ihm davon.
Es ist ihr auch egal, daß andere ihre Verletzlichkeit erkennen.
Sie ist so stark, auch wenn sie gerade meint, es nicht zu sein.
Denn Gefühle zeigen, verlangt Stärke.
Sie hat Angst, nicht mitansehen zu können, wie ihre Familie sich von Viktoria verabschiedet.
Ich schaff das nicht.“
Es ist ein Hilfeschrei.
Eine eindringliche Bitte um Hilfe.
Und sie ist an mich gerichtet.
Auch wenn sie es nicht ausspricht.
Ich starre auf meine Arbeit und bemühe mich, ruhig zu bleiben, weil ich einen Anflug von Panik verspüre.
Ich kann nicht auf diese Beerdigung!
Zusehen, wie ein geliebter Mensch begraben wird, zugedeckt mit kalter, feuchter Erde …
Aber Juri, sie braucht dich!
Das weißt du genau. Du spürst es.
Also ich denke … wenn du es willst ...“
Ich kann nicht.
Ja?“
„ … dann … schaffst du es auch.“
Klar.“, sagt sie.
Sicher ist sie wieder einmal herbe enttäuscht von dir.
Und deiner erbärmlichen Feigheit.
Juri, du verdammtes Arschloch!
Du hast ihr versprochen, sie nie mehr allein zu lassen.
Sie steht hier und fleht dich förmlich an, ihr in diesem einen schweren Moment beizustehen.
Und du läßt sie allein.
Sie schafft das, wenn sie es nur will, jaja …
Sowas von dem Mann, der behauptet, sie zu lieben.
Und du fragst dich, warum sie sich nicht auf dich einlassen will?
Deine erste Bewährungsprobe und du kneifst wieder?
Recht hat sie, dir nicht zu vertrauen.
Ich hasse mich.
Würde ein Spiegel über meinem Tisch hängen, würde ich mich anspucken.

Es ist nur …
Ich habe Angst.
Ich war noch nie auf einer Beerdigung, seit …
Bilder ziehen an mir vorüber.
Ein Massengrab … unzählige tote Körper … hineingeworfen, übereinandergestapelt wie ein Haufen alter Kleider …
Onkel Branko, der einen Jungen im Arm hält, der wie versteinert erscheint.
Mich.
Mit jedem Klumpen feuchter Erde, welche das grob ausgehobene Loch in der Erde verschließt, verschließt sich auch mein Inneres Stück für Stück ...
Ich blicke zu Martha, die noch in meiner Nähe ist, als ob sie darauf warten würde, daß ich ihr doch sage, daß ich für sie da sein werde.
Sie sagt nichts, sie blickt mich nicht an.
Und doch spüre ich so deutlich, daß sie mich braucht.
Laß sie doch nicht allein mit ihrem Schmerz, Juri!
Ich fühle mich so hilflos.
Wie soll ich Kraft und Trost spenden, wenn ich schon bei dem Gedanken an diese Beerdigung beinahe Panik bekomme?
Würde ich doch wenigstens den Mut aufbringen, Martha von meiner Angst zu sagen.
Sie würde es sicher verstehen.
Aber irgendwie gleite ich in meine alten Verhaltensweisen zurück.
Ich erstarre innerlich.
Wie an dem kalten feuchten Loch, in dem meine Eltern verscharrt wurden.

*******

Ich kann mich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren.
Gehe nach unten, spiele mit dem Gedanken, kurz raus an die Luft zu gehen.
Ich spüre eine Beklemmung in der Brust, als ob mir ein dicker Felsbrocken darauf läge.
Mein Blick fällt auf das Kondolenzbuch, das in der Eingangshalle ausgelegt ist.
Ich habe nichts hineingeschrieben.
Weil der Bogen, den ich um den Tod schlage, sogar soweit reicht, mich vor solchen Dingen zu verschließen.
Aber das ist egoistisch. Und das weißt du, Juri.
Es geht nicht immer nur um dich.
Um das, was du willst. Was du meinst, das richtig ist.
Viktoria war immer freundlich zu dir.
Und auch, wenn du sie nicht näher kanntest, ist das kein Grund, ihr Andenken nicht zu ehren.
Jetzt denk nicht wieder nur an dich und gib dir einen Ruck!
Zögerlich blättere ich in dem Buch.
Mir ist unbehaglich zumute.
Mein Blick fällt auf ein Zitat von Goethe:
Was man tief in seinem Herzen besitzt, kann man nicht durch den Tod verlieren.
Ich ringe mit mir, habe den Stift schon in der Hand …
Und nach und nach erschließt sich mir die Bedeutung der Worte des deutschen Dichters …
Der Tod hat mir meine Eltern nicht genommen.
Ich trage sie tief in meinem Herzen ...

Diese Erkenntnis gibt mir die Kraft, mich dem zu stellen, was sein muß.
Ich liebe Martha.
Ich will mit ihr zusammensein.
Dies ist nur die erste von vielen Bewährungsproben, die mir bevorstehen werden.
Wenn ich diese nicht erfolgreich bestehe, brauche ich Martha nicht mehr von wegen fester Beziehung zu kommen.
Weil es keinen Sinn hätte.
Du wolltest es ihr beweisen, Juri.
Ihr beweisen, daß du sie liebst.
Daß sie dir vertrauen kann.
Daß du für sie da bist.
Nun, wo ist der Beweis?
Wieder nur leere Worte, Juri?
NEIN.
Ich sage mir Goethes Worte wieder und wieder vor und langsam weicht die Angst, die mir der Gedanke an die Beerdigung macht.
Juri, du kannst das schaffen.
Du mußt nicht an die Grube herantreten, du bist ja kein Angehöriger.
Du kannst dich im Hintergrund halten.
Aber sei da, wenn Martha dich braucht!
Sei einfach da!
Egal, wie schwer dir das fällt.
Meinst du, Martha fällt es leicht?
Und doch tut sie es.
Beim Gedanken an sie wird mir klar, daß ich mich eben schon wieder wie ein egoistisches Arschloch verhalten habe.
Mir nur Sorgen gemacht habe, daß ich mir meine Chancen bei ihr versaue.
Aber verdammt, es geht hier überhaupt nicht um mich!
Nur um sie.
Einzig nur darum, ihr beizustehen.
Es ist so verdammt schwer, sich aus den eingefahrenen Bahnen herauszustrampeln. Das Ich-Denken abzulegen.
Goethe, Juri.
Tue es für sie.
Ihr Wohlergehen ist im Moment wichtiger als alles andere auf der Welt.
Was man tief im Herzen trägt …
Der Druck auf meiner Brust löst sich.
Ich bin nervös und schwitze leicht. Aber es fühlt sich nicht nach beginnender Panik an.
Entschlossen mache ich mich auf den Weg.

*******

Ich merke, wie sich meine Schritte verlangsamen, als ich mich auf dem Friedhof der Trauergruppe nähere.
Ich atme tief durch und nehme mir fest vor, das ganz in Ruhe anzugehen.
In kleinen Schritten.
Es besteht gar nicht die Notwendigkeit, mich selbst zu überfordern.
Also bleibe ich immer wieder kurz stehen und atme tief ein.
Und so schaffe ich es bis auf wenige Meter an die Gruppe heran.
Ich habe Glück.
Martha hält einen respektvollen Abstand zu den direkten Angehörigen.
Ich muß gar nicht weiter heran.
Und das hätte ich wohl auch nicht geschafft.
Denn das, was hier passiert, ist harter Stoff für mich.
Ich höre Marthas Cousinen weinen, Marlenes Stimme klingt total brüchig.
Mir klingen Stimmen in meiner Muttersprache im Ohr … das herzzerreißende Weinen kleiner Kinder, die nicht verstehen …
Ich sehe zu Martha und weiß, daß ich durchhalten muß.
Denk an Goethe, Juri!
Und wieder einige Schritte näher.
Bis ich endlich neben ihr stehe.
Sie bemerkt mich, sieht mich an.
Sie weint stumme Tränen.
Wie gerne würde ich sie in den Arm nehmen.
Damit wir uns gegenseitig halten können.
Ich begreife, daß genau das eine Partnerschaft ausmacht.
Ich muß nicht immer der Starke sein, nur weil ich ein Mann bin.
Ja, wenn nur Martha hier wäre, würde ich auch meine Sonnenbrille abnehmen, die meine Gefühle, meine Angst, meine Verletzlichkeit vor der Welt verstecken soll.
Sie dürfte mich so sehen.
So wie ich bin.
Mit all meinen Schwächen.
Ich lege Martha sanft meine Hand auf die Schulter.
Es ist ein leises „Hey, ich bin da.“
Dieser tröstende Körperkontakt gibt auch mir Halt.
Ich spüre, wie ihre Nähe auch mir die Angst nimmt.
Ich weiß nicht, ob ihr bewußt ist, wie sehr sie in diesem Augenblick auch für mich da ist … aber ich spüre, daß ich hierher gehöre.
An ihre Seite.

4377
Als ich endlich meinen verdammten Schiß vor der Beerdigung überwunden hatte, war meine Angst um Martha und daß sie zusammenbrechen könnte, so groß geworden, daß ich nicht lange nachgedacht, sondern mir den Schlüssel einer der LCL-Limousinen genommen habe.
Und in dieser Limousine sitzen Martha und ich jetzt. Sie war einverstanden, daß ich sie zurückfahre.
Wir reden während der Fahrt nicht, hängen wohl beide unseren Gedanken nach.
Meine kreisen um sie und ich spüre meine Sehnsucht, mein Verlangen nach ihr immer stärker werden.
Und das sind Gefühle, die ungleich viel stärker sind, als das Begehren, das ich je für eine der vielen Frauen empfunden habe, mit denen ich im Bett war.
Ich beginne zu ahnen, daß Leidenschaft gepaart mit Liebe etwas sein muß, das sich mit nichts anderem vergleichen läßt.
Als wir bei LCL anhalten, meint sie „Danke.“.
Ist schon okay.“
Nicht nur für's Nachhausefahren. Auch daß du bei Viktorias Beerdigung dabei warst. Du hast mir wirklich geholfen, das … durchzustehen.“
Ich bin so froh, daß ich mich habe noch rechtzeitig überwinden können.
Ihre Bemerkung zeigt mir, wie sehr sie mich gebraucht hat.
Die letzte Beerdigung, auf der ich war, war die meiner Eltern.“, sage ich.
Ich will damit nicht um Verständnis für mein Zögern werben oder gar um Mitleid heischen, wie schwer ich es doch habe.
Ich will einfach nur ehrlich sein und einen weiteren Schritt auf dem Weg zu mehr Offenheit tun.
Ich spüre ihre Blicke und denke, daß sie versteht.
Dann will sie sich verabschieden, sie möchte zu ihrer Familie.
Du kannst dir nicht vorstellen, mit hochzukommen? Also ich frag jetzt nicht aus Höflichkeit ...“
Ich freue mich wirklich darüber, daß sie mich bei sich haben will.
Aber der Kontakt mit dieser trauernden Familie … ich weiß nicht, ob ich die Gegenwart von Kim ertragen könnte, die dasselbe mitgemacht hat wie ich.
Der Besuch auf dem Friedhof hat mich sensibilisiert.
Deshalb lehne ich ab.
Und Martha, die Liebe, versteht.
Ich spüre, daß es ihr nicht leicht fällt, sich von mir zu trennen.
Ich sehe sie an und empfinde es als schrecklich frustrierend, daß zwei Menschen, die sich lieben und Sehnsucht nacheinander haben, nicht zueinander kommen.
Plötzlich beugt sie sich zu mir, zögert kurz.
Und ich Idiot frage „Was machst du da?“.
Ein Kuß. Auf die Wange. Hat nichts zu bedeuten.“
Sie ist sichtlich von meiner Reaktion irritiert.
Was tust du da, Juri?
So enttäuscht, daß sie sich nicht auf dich stürzt und dir die Klamotten vom Leib reißt?
Ich weiß, ich sollte glücklich damit sein, daß sie mir ein liebes Küßchen geben will. Und gestern wäre ich das vielleicht auch noch gewesen.
Ich weiß nicht, ob es an den Nachwirkungen des Besuchs auf der Beerdigung liegt, aber ich will sie mehr als je zuvor!
Hat nichts zu bedeuten.
Oh, Martha! Wem versuchst du das einzureden?
Man mache das so zum Abschied, meint sie.
Wo man sowas mache, frage ich frustriert zurück.
Wir werden wieder auseinandergehen, ohne uns einen Schritt nähergekommen zu sein.
Meine Gefühle kochen hoch.
Ich will sie so sehr!
Und sie will mich!
Daß wir hier sitzen und über ein Abschiedsküßchen nicht hinauskommen, ist doch total bescheuert!
Sie steigt aus und ich weiß, daß sie auch nicht glücklich ist, wie das grade abgelaufen ist.
Nein, Martha! Jetzt versuchen wir's anders!
Du willst mich und ich werde jetzt mal schauen, wie lange du mir standhältst, wenn ich Ernst mache!
Ich steige ebenfalls aus und halte sie am Arm fest.
Drehe sie zu mir herum.
Und küsse sie.
Ich lege alle meine Sehnsucht in diesen Kuß.
Und spüre, wie sehr sie genau das fühlen will.
Denn sie wehrt sich nicht, im Gegenteil.
Sie erwidert den Kuß mit derselben Leidenschaft.
Ich genieße es, wie sie mit einer Hand meine Wange streichelt und mir mit der anderen begierig durch's Haar fährt.
Gegen solche Gefühle kommst du nicht an, Martha! Und das willst du auch gar nicht, daran gibt es keinen Zweifel.
Ich löse mich von ihr, sehe ihr in die Augen und sage: „Das bedeutet was.“
Ich sehe sie herausfordernd und sicher etwas provokant an.
Aber ich will ihre Emotionen aufrühren.
Und oha, das funktioniert!
In der nächsten Sekunde packt sie meinen Kopf und küßt mich auf eine Weise, die mich fast um den Verstand bringt.
Ich habe mich nicht mehr unter Kontrolle, aber das ist mir egal.
Das ist es, was wir beide wollen!
Wir küssen uns so heftig, daß uns fast die Luft wegbleibt.
Begierig dränge ich sie gegen den Kühler der Limousine, während meine Hände, meine Lippen einfach nicht mehr von ihr lassen können.
Sie läßt es – so scheint es – gern geschehen.
Doch als ich sie in meiner Leidenschaft auf die Motorhaube niederdrücke, scheint es doch ein wenig viel für sie zu sein.
Für den Moment.
Aber ich weiß, das Feuer ist entfacht. Und es wird schnell wieder auflodern.
Das … tut mir leid … das wollte ich nicht.“, meint sie.
Och, Martha, das macht gar nichts.
Ich weiß, ich sollte nicht so denken, nicht bei Martha. Vielleicht ist es die Überdosis Endorphine, die der heiße Kuß ausgeschüttet hat … aber ich weiß, was für eine Wirkung ich auf Frauen habe und daß mir so leicht keine widersteht.
Nach außen spiele ich den Coolen, meine, daß es mein Fehler war, weil ich ihr den Raum nicht gegeben habe, den sie haben wollte.
Sie stimmt mir zu und ich weiß, daß sie ganz was anderes denkt.
Völlig durch den Wind läuft sie um die Limousine herum und ich kann nicht anders, ich muß grinsen. Sie ist in ihrer Verwirrtheit unheimlich süß.
Sie hat dann doch noch die richtige Tür gefunden und holt ihre Tasche aus dem Wagen.
Ich stelle mich ihr in den Weg und sehe ihr in die Augen.
Mit einem Blick, von dem ich weiß, sie wird weiche Knie bekommen.
Süße Martha, du gehörst mir und das weißt du auch, auch wenn du jetzt stolz und selbstbewußt davon gehst.
Ich lehne mich gegen den Wagen und weiß, daß ich geradezu unverschämt siegessicher grinse.
Es sind sicher immer noch die Hormone, aber in dem Moment weiß ich einfach, daß sie mir gehört.
Ganz und gar.

*******

Ich bin oben am meinem Arbeitstisch.
Aber ich arbeite nicht.
Ich lasse Marthas Blümchen wackeln und meine zugegeben ziemlich erotischen Phantasien schweifen.
Meine Hände streicheln einen der Büstenhalter aus meiner Kollektion und ich stelle mir vor, wie …
Ich bin so in meine herrlichen Phantasien versunken, daß ich vor Schreck zusammenfahre, als Sascha mich von der Seite anquatscht.
Der grinst sich nur eins.
Als er Anstalten macht, mich wieder allein zu lassen, halte ich ihn auf. „Warte.“
Ich weiß selbst nicht, was ich genau von ihm will.
Ich war auf der Beerdigung.“, teile ich ihm schließlich mit.
Und? Martha?“
Will er wissen, ob wir jetzt fest zusammen sind?
Ich weiß es nicht.“

*******

Ich bin auf dem Weg die Treppe runter und da hockt eine Gestalt.
Sofort werden Erinnerungen wach, die viele Monate zurück liegen.
Eine junge Frau in demütigender Situation, der niemand hilft.
Eine Frau, die zu mir aufsieht, als wäre ich ihr Prinz aus dem Märchen, der sie nun auf sein Pferd hebt.
Ich kann nicht anders, als mich genau so vor Martha hinzustellen wie damals.
Ihr genauso in die Augen zu schauen.
Sie wie an jenem Tag zu fragen, ob sie laufen kann.
Als ich wie damals meine Jacke ausziehe, will sie abwehren.
Genau so hätte es angefangen.
Genau, meine Süße. So hat es angefangen. Mir ist jetzt klar, daß es nie anders hat sein sollen.
Auch wenn es kitschig klingt, aber wir gehörten von Anfang an zusammen.
Jetzt muß ich nur noch dafür sorgen, daß auch dir das klar wird.
Ich ziehe sie sanft hoch.
Und nehme sie wie am Tag unserer ersten Begegnung auf meine Arme, trage sie durch die Halle.
Sie schimpft wie ein Rohrspatz, daß sie runter will.
Aber ich lasse mich nicht beirren.
Sie ist hierher zu LCL gekommen, weil sie mich genauso will wie ich sie.
Sie droht mir damit, zu schreien.
Du weißt nicht, wie laut ich schreien kann.“
Ich bin gespannt.“
Ich grinse dreckig und meine das sehr, sehr zweideutig.
Sie versucht wütend auszusehen, aber sie kann nicht ganz verhindern, daß sich auch ein glücklicher Ausdruck in ihr Gesicht stiehlt.
Natürlich macht es sie glücklich, daß ich sie so sehr will, daß ich mich nicht mehr abweisen lasse.
Ich setze sie auf der Theke am Empfang ab und frage sie, was ihr zuviel ist.
Ich spüre, daß sie just in diesem Moment Angst vor ihren eigenen heftigen Gefühlen bekommt.
Mehr instinktiv versucht sie es mit einem Rückzug.
Aber ich lasse sie nicht mehr aus; ich will nicht in ein paar Tagen wieder von vorn anfangen.
Sehr bestimmt, aber auch sehr sanft sage ich: „Ich will dich und du willst mich.“
Dann werde ich frech, meine, daß sie mich ja nach Berlin hätte schicken können, es aber nicht getan habe.
Könnte sie aber immer noch, faucht sie zurück.
Du willst es nicht.“, sage ich und blicke ihr unverwandt in die Augen.
Langsam ziehe ich sie an den Armen nah zu mir.
Und dann küsse ich sie.
Anders als vorhin.
Sehr zärtlich, sehr liebevoll.
Ich lege ihren Arm um meinen Hals und sie gibt nach.
Erwidert meinen Kuß genauso innig.
Längst schon haben sich ihre Hände in meinen Haaren vergraben.
Und wenn sie noch bemerken sollte, daß uns alle anstarren, dann ist ihr das genauso egal wie mir.

*******

In stillem Einvernehmen verlassen wir LCL.
Wir wissen beide, nun ist es soweit.
Der richtige Zeitpunkt, um endlich unseren Sehnsüchten nachzugeben.
Ich rufe uns ein Taxi und es fällt uns beiden schwer, uns während der Fahrt zurückzuhalten.
Wir küssen uns sehnsüchtig, meine Zunge spielt sanft mit ihrer.
Noch im Flur drückt sie mich gegen die Wand, macht mich so an, daß ich mich kaum noch unter Kontrolle halten kann.
Gott, ich will sie so sehr!
Dann sind wir endlich in meinem Loft.
Wir küssen uns wieder und ich genieße den Spaß, den sie so offenkundig dabei hat.
Ihre Handtasche und unsere Jacken fliegen achtlos in die Ecke.
Erneut küssen wir uns, nach mehr verlangend.
Ich sehe ihr tief in die Augen und weiß, daß sich mein Hunger nach ihr darin spiegelt.
Sie weicht langsam zurück, während ich ihr geschmeidig folge wie ein Raubtier, das gleich zum Sprung auf seine Beute ansetzen wird.
Ich schubse sie sacht, aber bestimmt auf's Bett.
Nun ist sie mein!
Aber sie setzt mir lasziv ihren Schuh auf die Brust und sieht mich herausfordernd an.
Martha, du süßes Stück Verführung pur!
Weißt du eigentlich, wie scharf du mich mit sowas machst?
Mein Blut ist in Wallung; ich beuge mich über sie und küsse sie lustvoll. Drücke meinen Körper an ihren und lasse sie spüren, wie sehr ich sie will.
Aber es ist ein Spiel.
Ein herrliches, erotisches Spiel.
Bei dem die Zärtlichkeit nicht zu kurz kommt.
Sie küßt mich wieder und wieder so liebevoll-sehnsüchtig, während sie sich an mich schmiegt, daß meine Gefühle Achterbahn fahren.
Ich will sie spüren. Ihren warmen Körper.
Ich genieße es, wie sie mir ganz langsam mein Shirt auszieht.
Ziehe sie wieder an mich.
Wir küssen uns, ich fahre, von der Zärtlichkeit, die ich für sie fühle, berauscht durch ihr weiches, duftendes Haar.
Auch sie läßt sich genüßlich von mir ihre Bluse abstreifen.
Und wieder küssen wir uns sehr zärtlich, während ich sie an mich drücke und mich dem herrlichen Gefühl hingebe, sie so in meinen Armen halten zu dürfen.
Sachte drücke ich sie auf's Bett.
Ganz zart streichle ich ihre weiche Haut.
Wir wechseln die Stellung; sie beugt sich nun über mich und sieht mich so zärtlich an, daß mir ganz warm wird.
Wieder und wieder liebkose ich ihr liebes Gesicht, vergrabe meine Hände in ihren Haaren.


Und dann fallen die letzten, vielleicht noch verbliebenen Hemmungen.
Wir genießen den Spaß an der Lust.
Und uuuuh, sie läßt mich mit ihrer Leidenschaft fast den Verstand verlieren.
Hatte ich mir vorher vielleicht eingebildet, ich könnte den erfahrenen Liebhaber spielen, der den aktiven Part übernimmt und dem sich seine Partnerin vertrauensvoll hingibt, dann habe ich mich in Martha gründlich getäuscht.
Während sie meine Brustwarzen mit ihren Lippen liebkost, umfaßt ihre rechte Hand meine Erektion und macht mir klar, was sie will.
Sie küßt mich heiß und fordernd und ich stöhne von Lust überwältigt in ihren Mund.
Nackt stehe ich vor ihr, sie preßt mich an die kalte Wand.
Ein Schauer nach dem anderen fährt mir den Rücken hinab.
Plötzlich wird mir klar, welch unbändige Sehnsucht sich in ihr aufgestaut haben muß.
Juri, mein Lieber, mach dich auf was gefaßt! Die Kleine macht dich fertig.
Aber ich werde jede einzelne Sekunde genießen!
Ich vergrabe mein Gesicht zwischen ihren weichen Brüsten, lasse meine Zunge mit ihren Nippeln spielen.
Ihr sinnliches Seufzen ist Musik in meinen Ohren und erregt mich noch mehr, als ich eh schon bin.
Sie liebkost meinen Nacken, schmiegt ihren nackten Körper an mich und ich bin froh, die kalte Wand im Rücken zu haben, sonst würde ich wahrscheinlich einfach so kommen, ohne weiteres Zutun.
Martha, Süße, das halte ich nicht mehr lange aus!
Sie zieht mich auf's Bett und sieht mich mit einem Blick an, der mir den Verstand raubt.
Mit vor Erregung zitternden Händen wühle ich nach Kondomen.
Sie wartet geduldig, küßt mich zärtlich.
Ich kann nicht eine Sekunde länger warten; ich will sie jetzt.
Trotzdem fühle ich behutsam vor, ob sie auch bereit für mich ist … auch wenn ich nicht den geringsten Zweifel daran habe.

Und tatsächlich spüre ich, daß sie schon herrlich feucht ist, als meine Finger sachte zwischen ihre Beine wandern.

Kurz spiele ich mit ihrem ziemlich angeschwollenen Kitzler, dann versenke ich mich mit einem einzigen, langen Stoß völlig in ihr.
Sie stöhnt und zieht meinen Kopf an den Haaren zu sich runter.
Auch sie will es so.
Ausgehungert und fast verrückt vor Sehnsucht pressen wir uns aneinander.
Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, vermutlich nur wenige Sekunden.
Aber sie kommt genauso heftig wie ich.
Schwer atmend stütze ich mich neben ihrem Kopf ab.
Wie sie mich ansieht!
So voller Liebe, voller Zärtlichkeit!
Noch habe ich nicht genug Luft zum Atmen, aber ich muß sie küssen!
Und ziehe sie in meine Arme.
Aber die Verschnaufpause ist nur kurz.
Meine süße Martha ist noch lange nicht satt.
Und ich auch nicht.
Sie drückt mich auf den Rücken, setzt sich auf mich.
Bei mir hat sich solcher Druck aufgebaut, daß meine Erektion nach dem ersten Höhepunkt gar nicht erst geschwunden ist.
Er ist noch genauso hart wie vorher.
Und Martha genießt das.
Sie lächelt lasziv, als ich mich ihrem Hunger nach mehr hingebe.
Und ich schließe die Augen und genieße ihre Bemühungen, mich um den Verstand zu bringen.
Das kann sie sehr gut.
Ich komme kaum weniger heftig als beim ersten Mal.


Wir kuscheln eine Zeit lang, genießen die Körperwärme des anderen, als Martha mir bedeutet, daß sie noch lange nicht genug hat.
Ich bin heilfroh, daß ich durch den regelmäßigen Sport in guter Kondition bin, denn die Süße nimmt mich richtig ran.
Aber wir haben auch einen Riesenspaß.
Neckisch verfolgen wir uns durch das ganze Loft.
Und ich genieße es, daß sie den Sex mit derselben Lebensfreude lebt, wie alles andere.
Sie ist was ganz Besonderes.
Glücklich sinke ich in ihre Arme, als wir kurz lachend verschnaufen.

Wir leben es aus.
Mit allen Sinnen.
Schon lange weiß ich nicht mehr, wo oben und unten ist.
Ziemlich erhitzt lege ich mich einfach auf den kühlen Boden, schließe meine Augen.
Doch plötzlich zieht mich Martha an den Knöcheln zu sich her.
Setzt ihre Lippen an.
Oh mein Gott!
Ehrlich, soviel Lust wie mit dieser Frau habe ich noch nie empfunden.
Der ganze Sex mit den Models … schnarchlangweilig gegen das, was hier zwischen Martha und mir passiert.
Und keins von ihnen kann mit der sinnlichen Ausstrahlung von Martha mithalten.
Ganz zu schweigen von ihrer mitreißenden, überschäumenden Lebensfreude.
Sie ist sehr geschickt mit ihren süßen Lippen und der weichen, warmen Zunge.
Ich zucke haltlos, habe kaum noch die Kraft zu stöhnen und komme …

Wir sind beide naßgeschwitzt und ich frage sie, ob sie mit mir zusammen duschen will.
Doch sich gegenseitig unsere nackten Körper einzuseifen, wirkt nicht unbedingt entspannend auf uns.
Aber der Sex unter dem warmen Wasser ist herrlich.
Genußvoll versenke ich mich erneut in ihr, während wir uns innig küssen.

Doch dann kann ich nicht mehr.
Als wir aus der Dusche kommen, knicken mir leicht die Beine weg.
Martha lächelt verständnisvoll und wir kuscheln uns gemütlich zusammen.
Das ist wundervoll.
Ich bin total erschöpft, aber noch nie so glücklich gewesen wie in diesem Augenblick, als sie sich zufrieden an mich schmiegt.
Mit geschlossenen Augen streichle ich zärtlich ihr Haar.
Sie meint zu mir, sie könne es noch nicht so richtig glauben, daß wir hier so liegen würden.
Ich auch nicht.
Ich hoffe, es ist nicht nur ein wundervoller Traum. Dann will ich nie mehr aufwachen.
Es fühlt sich so richtig an.“
Weil es von Anfang an so sein sollte.
Bist du auch so …?“
Was meinst du, Martha? Glücklich?
Ja.“, seufze ich selig. „Sehr sogar.“
Martha scheint ein wenig durcheinander zu sein. Ich bekomme nicht mehr alles mit, was sie sagt, weil eine unglaublich wohlige Entspannung mich wegdämmern läßt.

Als ich aufwache, erfüllt mich ein ungeheures, überwältigendes Glücksgefühl.
Ich erinnere mich.
Martha und ich … wir haben wunderbare zärtlich-sehnsüchtige Stunden miteinander verbracht.
Beim Gedanken daran bekomme ich Herzklopfen.
Ich drehe mich rum und will sie an mich ziehen, um sie noch einmal genüßlich zu vernaschen.
Aber sie ist nicht da.
Sicher, sie ist im Bad.
Ich rufe nach ihr und lasse in meiner Stimme durchklingen, daß sie hierher zu mir ins Bett gehört.
Leise gehe ich hinüber, schaue um die Ecke, einen sinnlichen Anblick von meiner nackten Martha unter der Dusche erhoffend.
Doch da ist sie auch nicht.
Meine Ängste wollen erwachen; ich bemühe mich, ruhig zu bleiben.
Es gibt ja vielleicht eine ganz harmlose Erklärung, warum sie nicht hier ist.
Vielleicht braucht ihre Familie sie.
Aber hätte sie dann nicht einen Zettel hinterlassen?
Ich ziehe mir was über, weil mich fröstelt.
Das darf es nicht gewesen sein!
Nicht jetzt, wo wir endlich …
Das verkrafte ich nicht.
Dann kommt mir der Gedanke, sie einfach anzurufen, um mich zu beruhigen.
Doch warum klingelt es vor meiner Tür?
Irritiert und gleichzeitig hoffnungsvoll öffne ich.
Wo warst du?“, frage ich und klinge aus lauter Sorge, es könnte etwas zwischen uns nicht in Ordnung sein, leicht ungehalten.
Ich mußte etwas besorgen.“
Was kann so wichtig sein, daß sie aus meinem Bett flieht?
Sie hält mir meinen Fluggutschein hin.
In mir krampft sich alles zusammen. Ich verstehe es nicht. Das kann sie doch nicht wollen!
Sag mal, willst du mich wegschicken?“
Nach dem, was gerade zwischen uns war?
Sie will wissen, wie weit Berlin entfernt ist.
Ich weiß es nicht, aber sie beantwortet ihre Frage gleich selbst.
Fünfhundertfünfzig Kilometer. Das sei ganz schön weit weg.
Und der Meter – der, den ich gerade von ihr entfernt bin – ginge auch nicht.
Mit diesen Worten zieht sie mich an meiner Halskette zu sich her.
Sie schüttelt den Kopf.
Ich ziehe sie zu mir hoch, stehe dicht vor ihr.
So besser?“
Sie verneint.
Ich drücke sie sanft auf's Bett, beuge mich über sie.
Mmh, 'n bisschen.“
Ich küsse sie zärtlich. „Und so?“
Das meinte ich.“, meint sie glücklich.
Wir küssen uns wieder sehr innig,
Dann sehe ich ihr tief in die Augen.
Du und ich?“
Du und ich.“
Endlich.
Wir sind zusammen.
Ich habe eine ernsthafte, feste Beziehung mit Martha.
Und es fühlt sich so wundervoll an!
Überglücklich versinken wir beide in einem weiteren langen, innigen Kuß …

4378
Mitten im schönsten Küssen nuschelt Martha in meinen Mund, das wäre ja der Wahnsinn.
Sie ist der Wahnsinn.
Ich kriege einfach nicht genug von ihr.
Aber eine Winzigkeit stört mich.
Martha!“, sage ich. „Du bist süß. Aber du redest viel zu viel.“
Ja, das wüßte sie. Und meint, sie könnte sich gar nicht richtig ausdrücken …
Ich weiß, was du sagen willst.“, sage ich sanft und küsse sie erneut, ganz zärtlich.
Dann fragt sie mich, ob wir jetzt wirklich zusammen sind.
Ja.“, sage ich ein wenig ungeduldig, weil mir echt nicht nach Reden ist angesichts dieser Lippen, die nach meinen rufen.
Aber ich verstehe sie schon. Viele Monate hat sie sich nach mir gesehnt, ohne Hoffnung, daß sie je eine Chance bei mir hätte. Kein Wunder, daß sie noch nicht gleich verinnerlichen kann, daß sie wirklich meine, Juri Adams feste Partnerin ist.
Scheiße.“, meint sie.
Ah, wie lieb! Ich grinse mir eins.
Ich werte das jetzt mal als positives Signal.“
Endlich läßt sie sich küssen ohne mir dazwischen zu quasseln.
Sie schmeckt so süß!
Da klingelt mein Telefon.
Mir ist das scheißegal.
Aber Martha anscheinend nicht. „Willst du nicht rangehen?“
Nein.“, knurre ich ungeduldig.
Ich brauche meinen Mund grade für Wichtigeres als zum Telefonieren.
Aber Martha ist durch das verdammte Klingeln wirklich irritiert und kann sich nicht fallenlassen.
Sehr, sehr widerwillig gehe ich ran. Es ist LCL. Jemand soll mit Mosch verhandeln und das soll ich sein. Ich sage, daß ich keine Zeit habe, aber die lassen leider nicht locker. Und ich kann nicht leugnen, daß mir meine Arbeit wichtig ist. Also sage ich, daß ich gleich komme.
Ach, wenn's doch so wäre!
Ich frage Martha, ob sie mitkommt.
Sie zögert. Und das liegt daran, wie sie mir sagt, daß wir uns vorhin vor aller Augen geküßt haben und wenn wir jetzt da zusammen ankommen würden, dann wüßten doch alle Bescheid.
Ja.“, sage ich und verstehe nicht, wo hier ein Problem sein soll.
Willst du ein Geheimnis draus machen?“, frage ich sie.
Ich weiß nicht. Du?“
Ist 'n neuer Gedanke für mich. Macht mich aber irgendwie an.“
Sie lächelt wieder.
Gut gelaunt machen wir uns auf den Weg zu LCL.

*******

Martha will ein Geheimnis. Dann soll sie eins kriegen.
Kaum bei LCL angekommen, ziehe ich sie mit mir. Viele Versteckmöglichkeiten gibt es hier in der Eingangshalle nicht, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Kleiderständer.
Ich kann mich eh kaum noch zurückhalten. Es muß mindestens zehn Minuten her sein, daß ich das letzte Mal geküßt habe. Und das ist eindeutig zu lange.
Sie hat Spaß. Sie quiekt und juchzt.
Und das macht mich so an.
Sie ist so wunderschön. So süß. So unwiderstehlich.
Wieso habe ich so lange gebraucht, um das zu kapieren?

*******

Ich habe das Gespräch mit Mosch hinter mir und es zieht mich zu Martha.
Sie ist an ihrem Arbeitsplatz. Ich sehe sie durch die Scheibe hindurch an und bekomme heftiges Herzklopfen.
Gott, ich will diese Frau so sehr!
Sie macht mich echt komplett verrückt!
Ich denke an die leidenschaftlichen Stunden mit ihr und kann meine Sehnsucht nach ihr kaum noch im Zaum halten.
Ich weiß, daß ich sie unverhohlen verlangend ansehe.
Ihr scheint das nicht wirklich aufzufallen.
Aber ich weiß, daß ihr mein offenes Begehren gefällt, es tut ihr gut.
Diese schöne Frau hat sich lange genug für ein Mauerblümchen gehalten.
Ich ziehe sie wieder mit mir, diesmal ins Lager.
Sie will erst Widerstand leisten, nuschelt mir wieder in den Mund.
Aber ich lasse sie nicht auskommen und es dauert nur Sekunden, bis ihr Widerstand bricht und sie meine Küsse leidenschaftlich erwidert.
Wir richten in unserem Ungestüm ein ziemliches Chaos an, aber das kümmert uns nicht.
Ich trage mich ernsthaft mit dem Gedanken, sie hier und jetzt zu nehmen.
Doch da werden wir gestört, eine ihrer Kolleginnen steht im Türrahmen und glotzt blöd aus der Wäsche.
Noch nie ein verliebtes Paar beim Knutschen gesehen?
Besetzt!“, meine ich und sie haut wieder ab.
Doch abschließen?“, frage ich.
Doch Martha ist aus dem Rhythmus. „Sorry.“, meint sie.
Na gut, nächstes Mal.“
Hast du was Bestimmtes vor?“
Ich krieg dich.“, sage ich und lasse keinen Zweifel offen, was ich will.

*******

Ich komme die Treppe runter und bekomme zufällig ein Gespräch zwischen Sascha und Martha mit.
Es scheint so, als dächte Sascha, Martha wäre nur eine Affäre für mich.
Er weiß nicht, daß die Geheimniskrämerei im Moment nur ein reizvolles Spiel für Martha und mich ist. Ich will wahrhaftig kein Geheimnis aus unserer Liebe machen, im Gegenteil.
Ich könnte mein Glück in die ganze Welt hinausschreien.
Meine süße Martha glaubt aber an mich und meine ernsthaften Gefühle für sie und mir wird bei ihren Worten ganz warm ums Herz.
Dann bemerkt sie mich, läßt Sascha stehen.
Im Vorbeigehen meint sie zu mir, daß alles okay sei.
Doch ich weiß, daß sie getroffen ist von dem Vorwurf, den man mir macht.
Ich kann Sascha seine Besorgnis um Martha nicht übelnehmen, er will sie nur vor Leid bewahren.

*******

Ich wußte, daß das Thema für Martha nicht gegessen ist.
Juri, weißt du, wie man eine Affäre definiert?“
Fekf.“, nuschle ich, denn ich habe meinen Zeichenstift zwischen den Zähnen.
Und sonst noch, will sie wissen.
Heimlicher Sex.“ Ich lerne schnell, mich trotz des Stiftes verständlich auszudrücken.
Also doch.“, murmelt sie.
Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn sie ständig hinter mir murmelt.
Martha, ich kann so nicht arbeiten.“
Sie sagt mir, daß unter den Kollegen erzählt wird, sie hätte sich hochgeschlafen.
Als ich nur die Augen verdrehe, weil es mir so egal ist, was die Leute schwätzen, fragt sie mich, ob mich das nicht stören würde.
Ich sage ihr, daß sie doch schon Designerin für Accesoires war, bevor wir was miteinander angefangen hätten.
Es ist offensichtlich, daß sie nicht einfach so locker wie ich darüber hinwegsehen kann.
Und da sie jetzt meine feste Partnerin ist, sollte ich ihre Sorgen und ihren Kummer wohl ernst nehmen und nicht einfach so abtun, wie es sonst meine Art ist.

*******

Ich nehme die Sache also in die Hand.
Und das Schicksal ist auf meiner Seite, denn just gerade redet Nicole, die für das niederträchtige Gerücht, meine Martha habe sich hochgeschlafen, verantwortlich ist, mit meiner Süßen.
Ich stelle mich ganz dicht hinter das blöde Weib, mißachte auf provokante Weise ihren Individualabstand und sage, als sie gerade meint, sie sei bisher nicht dazu gekommen, Martha ihr Beileid auszusprechen:
Du bist nicht dazu gekommen, weil es hier so viele interessante Gerüchte in der Luft gibt, hm?“
Martha versucht mich zu bremsen.
Aber ich habe keine Lust, daß Martha sich weiter Gedanken über die Tratscherei macht und uns beiden den Spaß an unserer Beziehung vergällt.
Ich glaub, ich möchte 'ne kleine Rede halten. ALLE MAL HERHÖREN!
Nicole hier denkt, Martha hätte sich hochgeschlafen. Von Ausbildung und Talent hat Nicole nicht soviel Ahnung.“ Und in drohendem Ton fahre ich fort: „Wenn hier noch jemand etwas denkt, dem oder der rate ich, denkt lieber an eure Arbeit, sonst schmeiß ich euch alle raus!“
Ich hoffe, das war deutlich genug.
Ich genieße die verdatterten und betretenen Gesichter.
Und greife mir Martha, um sie ungeniert vor allen leidenschaftlich zu küssen.

*******

Ich will Feierabend machen. Ich hatte eh heute nicht arbeiten wollen. Und ich kann mir angenehmere Dinge vorstellen, als weiter in diesem muffigen Kasten rumzuhängen.
Ich könnte mit Martha da weitermachen, wo wir vorhin zuhause unterbrochen hatten.
Sie bräuchte noch einen Moment, meint sie und fummelt an ihrer Handtasche rum.
Ich kenne sie zu gut, um nicht zu merken, daß was nicht stimmt.
Was?“
Eigentlich alles gut.“, wiegelt sie ab.
Martha, du machst mich fertig!“
Ich meine zu ihr, daß ich die Sache klargestellt hätte, weil sie doch unter dieser Situation gelitten hätte.
Und bekomme zu hören, daß es das „wie“ war. Wie ich diese Nicole angegangen wäre.
Und daß ihr mein Auftritt peinlich war.
Ich merke, wie unerfahren ich in Beziehungsdingen bin.
Wann habe ich mich je um die Gefühle einer Frau kümmern müssen? Mich in sie hineindenken?
Ich will mich nicht verstecken, aber ich will auch nicht, daß du so 'ne Show draus machst.“
Sie will es ganz normal langweilig.
Was immer das heißen mag.
Ich weiß nicht, was normal ist.“, gestehe ich ihr offen meine Unsicherheit.
Das ist neu für mich.“
Du hast doch auch schon mal 'ne Freundin gehabt.“
Nein, Martha, hatte ich nie.
Affären. Bis jetzt.“
Jetzt wirst du aber nervös.“, meint sie und hat so Recht damit.
Unsicher fahre ich mir durch die Haare und ringe nach Worten.
Und dann finde ich die einzig Richtigen, die einzig Wahren.
Martha … ich liebe dich. Ich will nichts falsch machen.“
Ich habe wirklich Angst, sie wieder zu verlieren und durch meine Unerfahrenheit selbst schuld daran zu sein.
Der Gedanke, ohne Martha zu sein, ist schier unerträglich für mich.
Ich merke jetzt erst so richtig, wie sehr ich sie liebe, wieviel sie mir bedeutet.
Wirst du nicht.“, sagt sie und lächelt mich an.
Ich liebe dich auch.“
Ich sehe ihr in die Augen und fühle soviel Dankbarkeit für sie, daß sie einem emotionalen Krüppel wie mir eine Chance gibt.

*******

Wir gehen die Treppe runter und Martha meint zu mir, daß ich sie nicht falsch verstehen möge – sie fände es toll, daß wir uns nicht verstecken, aber so ein bisschen heimliches Rumgeknutsche wäre ja doch ganz schön.
Ich lehne meine Stirn zärtlich an ihre und frage:
Also … gehen wir zu dir oder zu mir?“
Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder ungestört mit ihr zu sein.
Da sie nicht gleich antwortet, meine ich, das sei doch eine ganz normale Frage gewesen.
Sie hat aber lediglich gezögert, weil sie nach ihrem Onkel sehen möchte.
Aber wenn zuhause alles okay ist, würde ich gerne nachher noch zu dir kommen.“
Das heißt, ich fahre jetzt alleine nach Hause und freu mich dann auf dich?“
Sie lächelt so süß, so bezaubernd, daß es mir mehr als schwer fällt, sie gehen zu lassen und geduldig zu warten.
Wir küssen uns zum Abschied.
So fühlt sich das an?“, frage ich und halte sie fest, als sie gehen will.
Was?“
Ich küsse sie erneut.
Die ganz normale Liebe … fühlt sich so an?“
Du spinnst.“, lacht sie.
Warte mal.“, sage ich und halte sie wieder fest.
Küsse sie abermals.
So?“, frage ich.
Hm, wenn das so ist, dann fühlt es sich verdammt gut an.
Und es kommt überhaupt nicht in Frage, daß wir hier einzeln raus marschieren, wo wir doch ein Paar sind. Ich hake mir Marthas Arm unter und so verlassen wir LCL. Als offizielles, aber ganz normales, langweiliges Liebespaar.

*******

Die Wartezeit auf Martha wird mir erstaunlicherweise nicht lang.
Meistens liege ich auf dem Bett und gebe mich meinen Gedanken hin.
Sie hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt.
Zwischen all den Gefühlen ist eins vorherrschend.
Ich bin einfach glücklich.
Ist das auch ganz normal langweilig, daß man meint, vor Glück beinahe zu platzen?
Dann klopft es und Martha steht da. Aber nicht nur sie alleine.
Sie hat zwei Koffer bei sich.
Damit überrumpelt sie mich.
Ich bin irgendwie noch nicht dazu gekommen, mir Gedanken darüber zu machen, ob und wie wir zusammenleben wollen.
Ich versuche, die Situation gelassen zu nehmen.
Vor allem, um ihren Redefluß zu stoppen. Sie redet nämlich schon wieder viel zu viel, wo mir doch nach ganz anderen Dingen als Reden ist.
Martha hat das Gefühl, mir zu sehr auf die Pelle zu rücken und meint, wenn ich das nicht wolle, daß sie so mehr oder weniger bei mir einzieht, dann würde sie ihre Sachen wieder mitnehmen.
Eine Bedingung.“, meine ich. „Hast du dein Sex-Bomb-T-Shirt dabei?“
Wieso? Willst du's dir ausleihen?“
Nein. Ich will, daß du's anziehst. Dann kann ich's dir gleich wieder ausziehen.“
Damals, in dem Münchner Hotelzimmer. Ich fast nackt unter der Decke. Und sie so süß nervös, weil so verliebt in mich.
Da hat sie davon geträumt, von mir verführt zu werden.
Ich weiß es.
Und jetzt mache ich das wahr.
Ein kleines Geschenk für meine Süße.
Ich packe sie an den Hüften und schubse sie auf's Bett.
Lachend läßt sie mich gewähren.
Ich hab ja gesagt – ich krieg dich.

4379
Wir haben uns chinesisches Essen kommen lassen. Meine süße Martha wäre mir sonst noch verhungert.
Ich wundere mich darüber, wieviel Freude mir so simple Dinge machen, wie zum Beispiel Martha mit den Eßstäbchen zu füttern.
Für sie scheint sowas ganz normal zu sein.
Wahrscheinlich ist das auch ganz normal in einer ganz normalen Beziehung.
Nur ich fühle mich nicht normal.
Alles, aber auch alles ist anders.
Ich bin glücklich, aber auch beunruhigt, weil ich meine Gefühle für Martha einfach nicht unter Kontrolle habe.
Ich weiß nicht, vielleicht ist das ja auch normal.
Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen und bemühe mich aktiv um Normalität.
Dazu gehört schon mal die Arbeit und es ist sogar dringend notwendig, an der Kollektion zu arbeiten. Die neuen Entwürfe müssen heute fertig werden.
Martha stimmt mir zu, während sie fröhlich weiter kaut.
Ich beneide sie um ihre Gelassenheit.
Meine Gedanken sind schon wieder ganz woanders.
Sie will sich einen Personal Trainer nehmen. Im Ernst.
Sie will wieder laufen gehen. Morgen schon.
Ich sehe sie an und bekomme meine Gefühle einfach nicht in den Griff. Ich weiß genau, daß ich permanent ein unanständiges Grinsen zur Schau stelle, weil meine Phantasie Amok läuft.
In einer Woche laufe ich dir davon.“
Ich hatte gehofft, daß wir länger als 'ne Woche zusammenbleiben.“
Ich hätte gar nicht damit gerechnet, daß ich in meiner Situation noch schlagfertig sein könnte.
Ich fühle mich so übermütig.
Und das ist ein Grund mehr, endlich wieder was für mich zu tun.“
Moment, Süße, du willst doch nicht etwa abnehmen? Das läßt du mal schön bleiben! So wie du bist, bist du perfekt und jedes einzelne Gramm an dir ist Gold wert!
Sie stellt die Eßschale weg und lehnt sich zurück.
Hast du keinen Hunger mehr?“
Sie will jetzt nicht wirklich Diät machen?
Sie schaut mich an und ich kapiere sofort.
Hunger ist durchaus noch da.
Ich bin zwar satt, aber so ein verlockender Nachtisch wie du geht immer!
Langsam schiebe ich mit meinen Eßstäbchen die Decke über ihren Beinen nach oben.
Wie wär's eigentlich, wenn du mein Personal Trainer wirst?“
Mir fällt der Hahnenkamm zusammen.
Och, Martha!
Gleich morgen will sie mit mir zusammen joggen.
Und als ich schon befürchte, daß ihr Redefluß wieder nicht zu stoppen sein wird, schweigt sie und sieht mich in einer Weise an, die mein Blut sofort vom Hirn in tiefer gelegene Regionen schießen läßt.
Meine Eßstäbchen landen klackernd irgendwo im Loft und die störende Decke fliegt gleich hinterher.
Oh, Martha, du machst mich wahnsinnig!

*******

Es war wieder … wundervoll.
Ich glaube nicht, daß ich vor Martha jemals den Sex mit einer Frau als wundervoll bezeichnet habe.
Heiß, geil, ja.
Doch das ist der Sex mit Martha auch.
Aber eben auch … wundervoll.
Ich kann nicht beschreiben, was genau ich überhaupt damit meine.
Ich liege auf dem Bauch, den Kopf auf den Armen und genieße die Nachwehen.
Bleibt das jetzt für immer so?“, fragt Martha und küßt mich auf die Schulter. „Du und ich?“
Ja.“, seufze ich glücklich und will grade die Augen schließen, als mich ein Rascheln aufmerken läßt.
Martha hat sich ihr Sexbomb-Shirt zum Schlafen übergezogen.
Sofort bin ich wieder hellwach. Zumindest der wichtigste Teil von mir.
Was?“, fragt sie, als sie meinen Blick bemerkt.
Ich weiß nicht … irgendwie … ist das ein … ziemlich geiles T-Shirt.“
Dann warte erstmal, bis ich wiederkomme.“, meint sie lasziv und verschwindet im Bad.
Ich habe eine Idee, springe auf und fange an zu zeichnen.
Plötzlich ist Martha wieder da, ich habe sie nicht reinkommen hören.
Ob ich arbeiten wolle, fragt sie rücksichtsvoll.
Nein, sage ich, ich hätte nur eben schnell was skizzieren wollen, bevor ich es wieder vergesse. Und das stimmt.
Sie könne auch zuhause schlafen, das sei kein Problem.
Ich glaube, sie ist enttäuscht, weil sie mich wohl mit einem sexy Auftritt überraschen wollte und ich hab's nicht mal mitgekriegt.
Wir wollten doch was mit diesem T-Shirt anstellen.“, bemühe ich mich, die Sache wieder gutzumachen.
Dem T-Shirt?“, fragt sie ahnungslos.
Ja, ich erinnere mich, daß ich dir das ausziehen wollte.“ Bei diesen Worten wandern meine Hände unter das Shirt und das Gefühl ihrer warmen Haut unter meinen Fingern läßt meine Sehnsucht nach dieser umwerfenden Frau gleich wieder auflodern.

*******

Ich liege neben Martha und warte geduldig, bis sie eingeschlafen ist.
Dann will ich arbeiten.
Als ihr Atem ganz ruhig und gleichmäßig geht, stehe ich leise auf.
Ich hocke mich wieder über meinen Skizzenblock und ziehe ein paar Striche.
Aber meine Gedanken sind nicht voll dabei.
Ich blicke über die Schulter zu meinem Bett, wo Martha glücklich und zufrieden schläft.
Ich hatte gedacht, daß ich in Ruhe arbeiten könnte, während sie schläft.
Aber …
Es zieht mich zu ihr.
Ich stehe vor ihr und betrachte zärtlich ihr süßes Gesicht.
Und der Wunsch, mich wieder an sie zu kuscheln ist stärker als die Bereitschaft, an meinen Entwürfen zu arbeiten.
Die Nacht ist noch lang.
Ein, zwei Stunden schön kuscheln, schlafen und dann ran ans Werk!
Ich schicke mich an, sanft ihre Schulter zu streicheln, lasse es aber, weil ich sie nicht wecken will.
Schlafen kann ich nicht; ich fühle mich wie gedopt. Und dabei habe ich heute eher wenig Kaffee getrunken.
Ich stehe wieder auf und laufe leise ein wenig auf und ab.
Klemme mich wieder über meinen Block und warte auf meine nächtliche Erleuchtung.
Aber da kommt nichts.
Das beunruhigt mich.
Ich habe immer schon gerne und gut nachts gearbeitet.
Wenn draußen alles still ist.
Auch heute ist es still draußen.
Aber nicht in mir drin.
Sie ist keine zwei Meter weit von mir entfernt und doch vermisse ich sie.
Das ist doch verrückt!
Ich mache ein wenig Schattenboxen in der Hoffnung, den Kopf frei zu bekommen.
Aber ich ahne schon vorher, daß das nicht funktioniert.
Das soll normal sein, Martha?
Daß man vollkommen durch den Wind ist? Daß man total neben sich steht?
Sind Verliebte überhaupt noch zu was anderem fähig, als sich sehnsüchtig im Bett zu wälzen?
Wie machen die anderen das?
Arbeiten, ihr Leben bewältigen, obwohl sie verliebt sind?
Sag mir das doch mal einer!
Wieder hocke ich vor ihr, streichle ihr zärtlich eine Haarsträhne über dem Ohr glatt.
Arbeiten müßte ich, aber küssen, streicheln will ich sie.
Mittlerweile müßte ich schon eine Furche in den Boden des Lofts gelaufen haben, so oft wie ich rastlos auf und ab wandere.
Und wieder hocke ich vor ihr, sehe sie an, als ob ihr schlafender Anblick mir die Lösung bieten könnte.
Völlig fertig mit den Nerven lasse ich meinen Kopf auf die Matratze sinken.
Ich weiß nicht, wohin mit mir und dem Chaos in meinem Inneren.
Normalität, ja?

*******

Irgendwann gebe ich erschöpft den Kampf auf und lege mich wieder hin.
Schlafen kann ich nicht.
Und so bin ich immer noch wach, als Marthas Wecker klingelt.
Sie wünscht mir zärtlich guten Morgen, aber es hat keine Wirkung auf mich.
Ich bin … ja, ich denke, man kann das sagen ... verstört.
Es macht mir Angst, was da mit mir vorgeht.
Ich liebe Martha, aber wo soll das hinführen, wenn ich meine Gefühle nicht so weit im Griff habe, daß ich meiner Arbeit nachgehen kann?
Die Sache mit Martha darf mich doch nicht so aus der Bahn werfen!
Na? Hast du auch so wunderbar geschlafen wie ich?“, fragt sie sanft.
Ich weiß, ich sollte liebevoll darauf eingehen, aber ich kann nicht.
Ich bin jetzt nicht nur in Bezug auf meine Arbeit blockiert, sondern auch gegenüber Martha.
Meine Angst läßt mich wieder dichtmachen.
Dabei wäre es sicher besser, mit Martha darüber zu reden.
Sie hat doch keine Ahnung, was die Nacht mit mir los gewesen ist.
Sie kuschelt sich zufrieden an mich. „Genau so habe ich mir unsere erste gemeinsame Nacht vorgestellt.“
Ich mir leider nicht.
Obwohl … eigentlich war sie sogar besser, als ich sie mir vorgestellt habe.“
Sie sagt mir unheimlich süße Sachen und was mache ich? Starre mißmutig an die Decke und kann mich mal wieder selbst nicht leiden.
Und bei dir?“, fragt sie.
Ich hab dir beim Schlafen zugeguckt.“
Das ist nur die halbe Wahrheit.
Sie ist munter und ausgelassen und versucht mich hoch zu scheuchen. Wir wollten doch joggen gehen, meint sie.
Ich fühle mich körperlich durch den fehlenden Schlaf wie gerädert und innerlich durch die permanente Grübelei ähnlich kraftlos.
Aber ich will Martha nicht enttäuschen und so beklage ich mich lediglich über die Uhrzeit.
Ich habe kein gutes Gefühl dabei, nicht ehrlich zu ihr zu sein.
Immerhin haben wir jetzt eine ernsthafte Beziehung.
So nebenbei hoffe ich aber, daß die Bewegung an der frischen Luft mir hilft, wieder klar im Kopf zu werden.

*******

Dann sind wir unterwegs.
Und Martha redet und redet.
Während ich versuche, wieder normal zu werden.
An normale Dinge zu denken.
Zum Beispiel an meine Arbeit.
Sie hätte nicht gedacht, daß ich so ein Morgenmuffel sei.
Aber Thomas sei auch so.
Ohne seinen Kaffee sei er ungenießbar.
Ob ich auch so wäre?
Sie sei ja nicht so.
Sie redet munter vor sich hin.
Doch irgendwann merkt sie, daß mit mir was nicht stimmt.
Ob sie mich nerven würde?
Dann sollte ich das sagen.
Wir sollten ehrlich miteinander sein, meint sie.
Sie hat ja Recht, das weiß ich.
Aber das ist nicht so einfach.
Während ich verzweifelt überlege, wie ich mich ihr mitteilen soll, läuft sie auf einmal voll vor einen Baum.
Ich war leider zu sehr in meine Gedanken vertieft, um es zu verhindern.
Ich erschrecke mich sehr, denn sie liegt am Boden und rührt sich erstmal nicht.
Mann, du Idiot, kannst du nicht besser auf sie aufpassen?
Doch da reibt sie sich die Stirn, es scheint nichts Schlimmes passiert zu sein.
Ich helfe ihr in sitzende Stellung; sie lehnt sich zum Erholen an den Baumstamm.
Martha! Warum rennst du gegen einen Baum?“
Es ist lange her, daß sie sich zuletzt so tollpatschig benommen hat. Früher war immer ich schuld daran und mir schwant, daß es auch diesmal so ist.
Weil du mich verunsichert hast. Ja, du bist die ganze Zeit schon so komisch.“
Ich wußte es.
Du verheimlichst mir was. Willst du höflich sein?“
Nun habe ich wirklich keine Ahnung, was sie meint. „Höflich?“
Ich bin verliebt!“, sage ich und blicke ihr verzweifelt in die Augen.
Also ist da was?“
Das hab ich nicht gesagt.“
Ich will, daß du du bist. Laß doch deinen Impulsen freien Lauf.“
Ich sehe sie an und merke, daß mir wieder mal alle Felle wegschwimmen.
Sie deutet meinen Blick jedoch völlig falsch und meint, ich würde ihr auf eine beginnende Beule starren.
Du siehst geil aus.“, sage ich, finde das furchtbar unpassend und doch ist es genau das, was ich gerade denke.
Ich nehme ihr süßes Gesicht in beide Hände und küsse sie zärtlich.
Was ihre Laune sofort hebt.
Ich ziehe ihr den Reißverschluß ihres Kapuzenshirts runter.
Laß das.“, meint sie.
Ach komm, Martha, ich bin sicher, du magst das.
Ich küsse sie wieder und wieder, aber Martha mag sich nicht fallenlassen, weil ihr hier zuviel Menschen sind.
Na, da kann doch Abhilfe geschaffen werden!
Ich ziehe sie hoch und mit mir mit.

*******

Auf einem kleinen laubbedeckten Fleckchen Erde jenseits des Weges habe ich Martha soweit.
Ui, das gefällt uns beiden.
Als hätten wir tagelang nacheinander gehungert, lassen wir unserer Lust freien Lauf.
Ein wenig aus der Puste, aber sehr befriedigt liegen wir danach im warmen Laub und ich streichle glücklich ihre weiche Haut.
Ihr seliger Gesichtsausdruck läßt mich ebenso selig lächeln.
Zärtlich puste ich ihr eine Strähne aus der Stirn.
Ich bin süchtig nach diesen Momenten mit ihr.
Hey, das war ein Personal Training!“, meint sie auf einmal.
Solche Trainingsstunden gebe ich ihr gerne täglich.
Sie will heute schwänzen.
Ich frage sie, ob sie heute nicht ihre Präsentation bei dieser Pelztussi hätte.
Das ist ihr aber ziemlich egal.
Sie betrachtet den Himmel und ist von ihm begeistert.
Plötzlich meint sie ein Schwein in den Wolken zu erkennen.
Da funkt es auf einmal bei mir.
Meine letzte Chance für die Entwürfe.
Ohne weiter nachzudenken, aus Angst, die Idee könnte sich in Luft auflösen, springe ich auf, sage Martha, daß ich eine Idee hätte, schnell was erledigen müsse und wir uns später bei LCL sehen würden.
Und dann bin ich schon weg.
Spurte nach Hause.
Zeichne im Eiltempo die erste Skizze fertig und eine zweite noch dazu.
Es sind nur diese zwei, aber sie sind gut, denke ich.
Ich flitze damit zu LCL; wo bleibt denn Martha nur? Sie ist doch flott unterwegs.

*******

Als sie endlich kommt, ist sie ziemlich sauer und ich weiß gar nicht wieso.
Bis sie mir klar macht, daß es nicht besonders nett von mir war, sie halbnackt im Wald sitzen zu lassen.
Und sie ohne Schlüssel vor meiner verschlossenen Wohnungstür stehen zu lassen.
Ich war ja schon wieder weg.
Ich mag ihr gar nicht in die Augen sehen, so unangenehm ist mir das.
Nicht, daß sie mich vor Sascha und Marlene runterputzt.
Nein, weil ich so gedankenlos war.
Aber Herrgott, solche Überlegungen sind mir doch völlig fremd!
Wohnungsschlüssel, wie soll man denn auf sowas kommen?
Ich hab doch gar noch gar nicht richtig begriffen, daß da zuhause bei mir zwei Koffer mit ihren Sachen stehen.
Sowas gab's noch nie bei mir.
Oh!“, mache ich wenig intelligent und lasse die Standpauke geduldig über mich ergehen.
Gebe ihr meine Schlüssel.
Wenn du das noch einmal mit mir machst! … Machst du das noch einmal mit mir ...“
Ihre Augen sprühen Funken und ziemlich geladen rauscht sie davon.
Ihr Temperament macht mich so dermaßen an. Meine Hand zuckt nach vorne, weil sie ihr einen Klaps auf den süßen Arsch geben will.
Seufzend mache ich mich auf den Weg nach oben; Rebecca wartet.
Die freut sich echt, mich zu sehen. „Ich hasse dich, habe ich dir das eigentlich schon mal gesagt?“
Ich kann dich auch nicht leiden.“
Ohne Martha in meiner Nähe kann ich halbwegs normal denken.
Aber nur halbwegs.
Diese verzogene Göre mit dem Pelztick meint herablassend, daß Martha wohl noch mit einem üppigen Frühstück beschäftigt sei.
Ich atme tief ein und bemühe mich, meinen Unmut über diese Unverschämtheit nicht an ihr auszulassen.
Glücklicherweise verteidigt Rebecca Martha schon, die auch kurz darauf erscheint.
Die kleine Göre zickt rum, weil ich nicht alle versprochenen Entwürfe präsentieren kann.
Mir ist was dazwischen gekommen.“, meine ich.
Ich dachte, du arbeitest jede Nacht durch. Ich frage mich, was da … bei dir dazwischen gekommen ist.“, grinst Rebecca mich von der Seite an.
Klar, daß sich meine Ansprache an das Personal von gestern rumgeschwiegen hat.
Ich!“, platzt Martha raus. „Ich bin dir dazwischen gekommen.“

Wir gehen in den Waschraum, weil Martha Redebedarf hat.
Sie meint, sie hätte mich vom Arbeiten abgehalten.
Das stimmt zwar, aber nicht so, wie sie denkt.
Nicht, weil ich ihretwegen keine Zeit gehabt hätte.
Wir haben gestern die erste Nacht miteinander verbracht und gleich darauf hast du 'ne kreative Blockade und bist komplett durch den Wind!“
Das ist richtig, aber du verstehst trotzdem nicht, weswegen.
Verstehst du, bei mir hat noch nie eine Frau gefrühstückt, okay? Wir haben 'n paar Nummern geschoben, dann hab ich sie ins Taxi gesteckt und DANN habe ich angefangen zu arbeiten!“
Ich hab dich gestern extra noch gefragt.“
Ich wollte warten, bis du schläfst und dann wollte ich arbeiten.“, meine ich seufzend, weil sie einfach nicht versteht.
Du hätt'st mich ja wecken und ins Taxi stecken können.“
NEIIIN!“, brülle ich entnervt. „Dann wär's doch wieder nicht gegangen, weil du nicht da bist! Verdammte Scheiße, ich liebe dich!!! … Du machst mich fertig.“ Heftig atmend sehe ich ihr in die Augen.
Doch sie grinst mich nur an. Ich glaube, sie fühlt sich geschmeichelt dadurch, mich um den Verstand zu bringen.
Okay, du liebst mich. Ist das jetzt gut oder schlecht?“
Ich könne wegen ihr nicht mehr arbeiten, das sei doch nicht gut. Normalerweise inspiriere man sich, entwickle sich weiter, helfe sich gegenseitig, aber so?
Sie sei monatelang meine Assistentin gewesen, sie wisse genau, auf was sie sich mit mir einlasse.
Ich meine, sie sei immer noch böse mit mir.
Sie streitet erst ab. Doch dann gibt sie es zu.
Und findet es seltsam, daß ich nicht arbeiten könne, während sie schlafe, aber kein Problem damit hätte, sie halbnackt im Wald stehen zu lassen.
Ich reagiere ungeduldig, das weiß ich.
Sage ihr, daß ich die ganze Nacht diesen Entwurf im Kopf gehabt hätte und der irgendwann mal raus mußte.
Daß ich echte Panik hatte, in ihrer Nähe nie mehr einen klaren Gedanken fassen zu können, sage ich ihr nicht. Ich will sie nicht noch mehr beunruhigen.
Aber für mein beschissenes Timing sollte ich mich entschuldigen.
Und das tue ich auch.
Ich werd' das nächste Mal einfach meine Klamotten zuhause lassen.“, meint sie und will mir meinen Schlüssel wiedergeben.
Nein. Behalte ihn. So als Test … ob das mit uns beiden funktioniert.
Ähm, wir zwei … in einer Wohnung?“
Ja.“
Dann kannst du aber nie wieder arbeiten.“
Danke, Martha. Sehr aufmunternd.
Ich zucke nur mit den Schultern und werfe ihr das Handtuch ins Gesicht.

*******

Nein, so locker nehme ich das nicht. Ich bin ziemlich beunruhigt.
Aber wir gehen erstmal essen.
Beim Mexikaner.
Die Erinnerung an unser erstes „Geschäftsessen“ hier heitert mich auf.
Meine süße Martha so nervös, weil so verliebt.
Und ich, der ich mich köstlich darüber amüsiere. Sie wieder mit ihrem Ausrutscher mit Emilio aufziehe.
Nun hätte sie Grund, sich über mich zu amüsieren.
Nun bin ich der verliebte Trottel, der total neben den Schuhen steht.
Martha versucht, mich zu beruhigen.
Daß man den anderen nicht mehr aus dem Kopf kriegen und überhaupt nur ans Vögeln denken könnte – ja das hat sie so gesagt – sei anfangs völlig normal.
Das würde sich aber geben und dann könne man eine Liebesbeziehung und den normalen Alltag durchaus unter einen Hut bringen.
Bei mir sei das alles halt ein wenig heftiger, weil ich das erste Mal wirklich verliebt sei.
Wie lange das dauert, bis „das sich gibt“, sagt sie mir nicht.
Ich bin nur halbwegs beruhigt.
Ich bemühe mich aber, mich nicht verrückt zu machen.

Zurück bei LCL küßt Martha mich sehr zärtlich und läßt mich dann ganz in Ruhe.
Ich mache mich an die Arbeit, Kopfhörer auf und Augen zu.
Natürlich sehe ich Martha vor mir.
Und während ich noch denke, scheiße, das geht doch wieder nicht, schwirren Formen und Linien durch mein Hirn …
Martha hat mich immer inspiriert. Eigentlich müßte das jetzt doch sogar noch viel mehr der Fall sein.
Laß dich drauf ein, alter Junge!
Fallenlassen.

Es funktioniert recht gut. Ich bin mit dem Ergebnis zufrieden. Keine Geniestreiche, aber verglichen mit letzter Nacht …
Ich sehe Martha mit der jungen Büglerin an der Küchenzeile stehen. Die beiden reden sehr engagiert.
Martha ist immer so süß, wenn sie sich ereifert. Ihr hübsches Gesicht glüht und ihre Augen leuchten.
Ich muß lachen, als Martha in ihrem Eifer der jungen Frau fast die Tasse aus der Hand haut und sie vollschlabbert. Scheint aber nur Wasser gewesen zu sein. Beide lachen.
Als die junge Frau gegangen ist, fällt Marthas Blick in meine Richtung. Sie sieht mich lächeln, lächelt zurück. Macht sich an der Kaffeemaschine zu schaffen.
Und steht wenige Augenblicke mit einer dampfenden Tasse vor mir.
Der Kaffee hier ist ziemlich mies, aber brauchen kann ich jetzt trotzdem einen.
Sie sieht mich fragend an, mir ist klar, sie will wissen, wie ich vorankomme. Ich lächle nur und nicke.
Alles gut.
Ich frage sie, ob sie wieder Futter für ihr Helfersyndrom gefunden hätte.
Was?“
Na, die kleine Büglerin. Eva, heißt sie, glaub ich.“
Ja, Eva. Na ja, sie hat Kummer und hat sich vorhin ein bisschen bei mir ausgeheult. Ich war halt grade da. Und …“
Martha, ich weiß, daß du an keiner armen Seele vorbeigehen kannst. Du mußt einfach helfen.“
Machst du dich über mich lustig?“
Nein.“
Na ja … sie ist ziemlich fertig, weil … sie hat einen Heiratsantrag bekommen, weiß aber nicht, ob sie der Liebe dieses Mannes vertrauen kann. Sie liebt ihn auch, aber … ich hab ihr gesagt, daß du mir so oft vor den Kopf gestoßen hast, daß ich gar nichts mehr glauben konnte, daß ich nicht mehr wußte, wo oben und unten ist. Aber daß du mir bewiesen hast, daß du es ehrlich meinst. Daß du mich liebst. Und daß du dich ändern kannst.“
Du hast also wieder ein Plädoyer für die wahre Liebe gehalten?“
Du machst dich doch über mich lustig.“
Nein, tue ich nicht. Das bist eben du. Und dafür liebe ich dich. Für dein Mitgefühl, für dein großes Herz, für deine Fähigkeit zu bedingungsloser Liebe. Was wäre die Welt ohne dich … was wäre ich ohne dich?“
Ich sehe sie zärtlich an, sie wird rot.
Juri …“
Ja, ich kann das auch, wenn ich will. Also romantisch sein und so.“
Nun lacht sie.
Mach das bloß nicht zu oft, das verwirrt mich.“
Okay.“
Dein ‚Verdammte Scheiße, ich liebe dich!‘ – das warst du. So kenne ich dich. In den Mann habe ich mich verliebt. Den mit Ecken und Kanten. Nicht weichgespült.“
Okay, ich hab’s verstanden.“, grinse ich.

Als wir an diesem Abend im Bett liegen nehme ich mir gar nicht erst vor, diese Nacht zu arbeiten.
Und siehe da, gute fünf Stunden schlafe ich ganz entspannt an Martha gekuschelt.
Dann greife ich mir meinen Skizzenblock und setze mich ihr gegenüber auf den Boden. Warum ihren Anblick meiden, wenn ich es doch eh nicht kann? Und auch gar nicht will.
Viel schaffe ich nicht, weil ich sie immer wieder ansehen muß.
Aber was ich auf’s Papier bringe, ist gut.
Weil ein guter Teil Martha drin ist.